Anna lebt noch einmal - K. E. Paul Puchstein - E-Book

Anna lebt noch einmal E-Book

K. E. Paul Puchstein

4,7

Beschreibung

Anna steht zwischen Ingo und Mario. Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes Richie muss sie ihr gesamtes Leben nach 44 Jahren Ehe umkrempeln. Das Haus ist viel zu groß und sie lebt nicht gern allein. Zusammen mit Freunden packt sie aktiv die Situation an. Wohnprojekte entstehen. Anna will noch einmal leben. Die Erzählung spielt in der Gegenwart 2016 und fasst besonders die Wohnprobleme unserer Gesellschaft an. Es geht um die Lebenssituationen von Rentnern und Pensionären, dem Wunsch nach Enkelkindern und den Schwierigkeiten von Paaren, Familien zu gründen. Berufliche Hindernisse und Wohnsituationen zwingen die Personen zum Handeln. Wie sie das zusammen mit der älteren Generation lösen, stellt der Autor dar. Bei der Suche nach dem richtigen Weg stoßen sie auf ein altes Gesetz, mit dem man von 1920 bis 1993 die Unpfändbarkeit der eigenen Immobilie erreichen konnte. Das Gesetz und die Unpfändbarkeit wurden 1993 vom deutschen Parlament abgeschafft. Beim Blick über die Grenzen entdecken sie das Wiener Wohnen und wie leicht man in Wien eine preiswerte Wohnung bekommen kann. Wie sie trotz aller Widrigkeiten in Deutschland doch noch zu bezahlbarem Wohnraum kommen und sich gegenseitig unterstützen, ohne ihre Individualität aufzugeben, wird auf wenigen Seiten erzählt. Anna findet schließlich heraus, wer ihr neuer Partner sein soll. Sein Nebenbuhler bringt den Freundeskreis zu einer vollkommen neuen Erkenntnis. Die 17 Abbildungen der Kunstwerke im Buch und der Skulpturen auf dem Cover von Charlotte Suttrop-Puchstein lockern die Geschichte auf. Ohne ins Detail zu gehen, vermitteln sie die Gefühle der Akteure und lassen viel Raum für die eigene Phantasie der Leserinnen und Leser. Zusammen ergeben Darstellungen und Text ein Gesamtkunstwerk, das die Handlung in der Erzählung, das Thema und die Erlebnisse in unserer Gesellschaft zusammenführt.

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Seitenzahl: 59

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Die Abbildungen wurden vom Autor fotografiert.

Es sind Bilder, Skulpturen und weitere künstlerische Werke von Charlotte Suttrop-Puchstein

Kleiner Bach im Ammertal bei Schnee

Anna, seit kurzem verwitwet, vermisst ihren Mann Richie. Sie hatten zwei Kinder, Ellen und Andy.

Mario und Ingo, gute Freunde von Anna, beide ohne feste Beziehung. Ingo ist pensionierter freier Wirtschaftsjournalist. Mario ist Naturfreund, begeisterter Mountainbikefahrer, geschieden, Vater, Großvater.

Maria, Annas Haushälterin, kommt in der Woche vormittags. Geschieden, zwei erwachsene Söhne; wir lernen Ulf und seine Freundin Inge kennen.

Lisa ist die allerbeste Freundin von Anna, sei langem geschieden und mit Samuel liiert. Ihre Tochter Carola lebt mit Jean zusammen.

Jaqueline und Peter sind Freunde von Anna, die wegen ihrer Musikleidenschaft etwas außerhalb wohnen. Sie spielen selber Instrumente.

Trude und Paul, ebenfalls Freunde von Anna. Trude verwaltete im Berufsleben Häuser. Paul ist mit dreiundachtzig der Senior im Freundeskreis.

Else und ihr Mann Ralf betreiben ein Café in der Nähe von Annas Haus.

Petersen, der örtliche Fahrradhändler, ist auf den Trend mit den E-Bikes aufgesprungen.

Nein, so ging das wirklich nicht! Was sie wirklich nervte, war vor allem die Einsamkeit in den Nächten. Im Geiste konnte sie immer mit Richie sprechen, aber er war eben nicht da! Das Gefühl der Verlassenheit überwältigte sie doch allzu oft.

Richie fehlte ihr überall.

Er war im Januar beim Skilanglauf im Ammertal tot umgefallen. Einfach so. Seitdem war sie Witwe.

Am zehnten April schon war das Konto leer - Anna hatte es nicht glauben wollen. Das konnte gar nicht sein, und doch gab es keinen Irrtum. Sie musste wieder an die Rücklagen heran. Schon im März war am Fünfzehnten kein Geld mehr auf dem Konto gewesen. So konnte es auf keinen Fall weitergehen.

Zuerst hatte sie von Tag zu Tag überlebt. Dann hatte sie sich getröstet, dass es für Richie ein schmerzloser, schneller Tod gewesen war, mitten aus dem Leben heraus ohne Leidenszeit.

Dank ihrer Freunde war sie keinen Tag allein gewesen und besonders Paul hatte sie darin bestärkt, die Kontakte zu intensivieren. Jeden Tag kam jemand. Mario und Ingo wechselten sich mit der Nachtwache ab, seitdem morgens um halb zwei Sturm geklingelt worden war. Sie hatten später auf dem Monitor der Überwachungsanlage gesehen, dass zwei Betrunkene davongetorkelt waren.

Auf den Schrecken hin hatten die Freunde Kriegsrat gehalten und beschlossen, dass immer einer von ihnen in den Gästezimmern übernachtete. Mario und Ingo hatten sich sofort angeboten. Zu Hause wartete niemand auf sie und sie brauchten bei Anna ihre Gewohnheiten nicht einzuschränken. Manchmal blieben sogar beide und Anna genoss die Gespräche mit ihnen, eine willkommene Ablenkung von der Trauer um den Verlust von Richie.

Wenn es doch zu viel wurde, zog sie sich in ihren wunderschönen wilden Garten mit den vielen Tieren zurück. Die waren einfach immer für sie da, die Meisen und alle anderen Vögel, das Rotkehlchen kam und bat um Futter. Im Garten konnte sie mit Richie sprechen, denn sie hatten oft gemeinsam Bäume und Pflanzen betrachtet und die Tiere beobachtet. Der Garten gab ihr Trost und Hoffnung. Das war schon immer so gewesen. Alle Probleme und Schwierigkeiten hatte sie beim Nachdenken im Garten überwunden. Einmal ertappte sie sich selbst bei der Frage darüber, wer ihr wohl besser gefiel, Mario oder Ingo. Sie schalt sich sofort eine Närrin und verwarf diese Gedanken gleich wieder.

Richie und sie hatten immer gelebt wie die Götter, sechs Mal im Jahr waren sie verreist und das in alle Welt. Keinen Erdteil ließen sie aus und sogar Grönland und die Antarktis hatten sie gesehen. Nicht, dass sie Millionen besaßen, aber wohlhabend waren sie immer gewesen. Ihr Richie hatte meist sehr gut verdient. Das ansehnliche Anwesen war bezahlt und beide sausten sie in wunderschönen Cabrios umher. Es war toll, mit offenem Verdeck zu fahren und die Haare im Fahrtwind wehen zu lassen. Wenn sie langsam einen Feldweg entlangrollten, konnten sie alle Vögel singen hören.

Und was für schöne Feste sie gefeiert hatten! Viele Freunde kamen, oft von weit her. Anna hatte sich vorgenommen, das weiterhin so zu machen. Als sie mit Paul darüber sprach, ermunterte er sie dazu.

Nicht immer hatten Richie und Anna so unbeschwert gelebt. Anna musste gleichzeitig lachen und weinen, wenn sie sich daran erinnerte, wie sie sich kennengelernt hatten, am Strand zwischen den großen Granitfelsen. Sie hatte sich beim Spaziergang ganz allein an der Wasserkante müde gelaufen, viele Meeresvögel angetroffen, Muscheln und Krebse gesehen, junge Fische in einer kleinen Bucht beobachtet und wollte ein bisschen ausruhen. Bei den großen Steinen, die die letzte Eiszeit an der Steilküste hinterließ, hatte sie sich auf ihr Handtuch gesetzt, mit dem Rücken gegen einen großen Block gelehnt und unter dem breiten Rand ihres Hutes über die Wellen geschaut. Ab und zu beobachtete sie durch ihr Fernglas eine Möwe, vorbeifliegende Gänse und Enten. Sie freute sich an den Tieren, die waren ihre Freunde schon von Kindheit an. Am Horizont fuhren große Schiffe, Frachter und Fähren, fernen Zielen entgegen. Es gab nur wenige Segelboote, denn es war Montag, ein warmer Junitag, der Wind hatte sich gelegt. Still war es am Strand, bis auf die Rufe der Möwen. Sie schrak zusammen, als sie hinter dem mächtigen Felsbrocken, an dem sie lehnte, ein deutliches Schnarchen vernahm. Sie hatte eine Weile gehorcht und dann für sich festgestellt: Da schlief jemand. Einen Moment hatte sie überlegt, sich einfach davonzustehlen. Aber sie war zweiundzwanzig und ihre Neugier hatte schnell gesiegt. Vorsichtig stand sie auf und lugte um den Felsen herum. Wie sie vermutet hatte, handelte es sich um einen Mann. Nicht unattraktiv, eigentlich ganz ansehnlich. Und intelligent.

Das schloss sie aus den beiden Büchern, die neben seinem Kopf im Sand lagen. Welcher Mann schleppt schon zwei Bücher an den Strand und liest sogar noch darin? Das Taschenbuch von Siegfried Lenz lag aufgeklappt mit dem Umschlag nach oben. Auf dem anderen stand Doris Lessing als Autorin. Mit dem Mann konnte sie sich unterhalten. Sie hatte innerlich gelacht, als sie darüber nachdachte, was sie Lisa erzählen würde. Strandgut der besonderen Art gefunden. Frauenlosen Mann, zwischen den Felsen, sehr gut erhalten. Ohne mit ihm zu sprechen, hatte sie seine Intelligenz festgestellt. Sie hatte sich Mühe gegeben, nicht lauthals zu lachen, um den Anblick noch eine Weile zu genießen. Für einen Augenblick konnte sie seine Hände sehen, in die er den Kopf gebettet hatte. Kein Ring! Das sagte zwar nichts, aber sie hatte sich entschlossen, Kontakt aufzunehmen. Er schien um die dreißig zu sein, überlegte sie – und die Situation zwang sie zum Lachen. Es war ein unwahrscheinlich witziger Moment.

Anna zog sich zusammen, als sie daran dachte, wie es weiter gegangen war. Sie saß auf dem Sofa in ihrer Lieblingsecke, ganz dicht zog sie die Beine an sich heran und umfasste sie mit beiden Armen. Es war kein Richie mehr da, ihn konnte sie nicht mehr umarmen, und doch war er ihr so nah, wie damals vor vierundvierzig Jahren. Die Tränen liefen ihr die Wangen herunter.