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Sommerurlaub in Qual an der Ostsee: Wenn der Name mal nicht Programm ist! Anna stellt sich auf öde Ferien ein, doch bereits am ersten Abend hat sie das Gefühl, dass mit dem Ferienhaus etwas nicht stimmt. Es scheint zu atmen - und nachts wird sie von flüsternden Stimmen wach. Vor ihrem Fenster steht ein alter Mann, der sie zu sich heranwinkt, um im nächsten Moment zu verschwinden. Kann es sein, dass es in Qual spukt? Gemeinsam mit dem süßen Tjark beschließt Anna, den unheimlichen Ereignissen auf den Grund zu gehen. Doch die beiden ahnen nicht, dass sie damit die Geisterwelt in Unruhe versetzen - und das kann richtig gefährlich werden ...
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Seitenzahl: 310
Sabine Städing
Lübbe Digital
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG erschienenen Werkes
Lübbe Digital in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG
Copyright © 2012 by Anna Städing
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2012 by Boje Verlag
in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
Umschlaggestaltung: Gisela Kullowatz
Umschlagmotive: © shutterstock/URRRA/Immich Farkas/Annmarie Young
Datenkonvertierung E-Book: Helmut Schaffer, Hofheim
ISBN 978-3-8387-1995-5
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Für Alica,
die mich ein bisschen
an Anna erinnert
Es regnete. Genaugenommen schüttete es wie aus Kübeln. Meine schlechte Stimmung sank weiter Richtung Gefrierpunkt. Der Regen hatte mit unserer Abfahrt von der Autobahn eingesetzt und begleitete uns treu bis an unseren Urlaubsort. Sicher war das ein Zeichen. Wie sagt man so schön? »Nomen est omen.« Und wir machten Urlaub in Qual! Nie davon gehört? Ich auch nicht. Mein Vater ist der Meinung, seine Kinder sollten zuerst ihre Heimat kennenlernen, bevor sie das Ausland bereisen. Schräg, oder? Dabei hätten wir uns einen Urlaub in St. Tropez oder Miami, wo meine Freundinnen Urlaub machten, locker leisten können. Wir, das sind übrigens Mama, Papa, Joschi und ich. Ich heiße Anna, Anna Steenbuck, und bin fünfzehn Jahre alt.
Mein Bruder ist zehn, bald elf und eine echte Nervensäge.
Mein Vater ist Inhaber einer gut gehenden Konservendosenfabrik und meine Mutter hat eine eigene Boutique.
»Es ist ein Wunder, dass wir es jedes Jahr schaffen, gemeinsam in den Urlaub zu fahren«, sagte meine Mutter auch diesmal. Es ist einer ihrer Lieblingssätze.
Ich finde, es ist eher ein Wunder, dass meine Eltern es jedes Jahr schaffen, einen noch öderen Urlaubsort ausfindig zu machen. Letztes Jahr waren wir in Bad Tölz. In diesem Jahr war ich nur noch dabei, weil ich den Segelschein machen durfte.
»In dreihundert Metern rechts abbiegen! Jetzt rechts abbiegen«, nervte das Navi. Die Scheibenwischer gaben ihr Bestes. Dann waren wir in Qual. Zuerst steuerten wir die Tourismusinformation an, das machen wir immer. Sie war drei Straßen weiter, also einmal quer durch den Ort, und befand sich in einem alten Bauernhaus, in dem wir auch den Schlüssel für unser Ferienhaus abholen sollten. Wir stiegen alle vier aus und es tat gut, die steifen Glieder zu recken. Schließlich waren wir bereits seit neunzig Minuten unterwegs. Genau neunzig Minuten! So weit war es von Hamburg, wo wir wohnen. Kann sich das jemand vorstellen? Während meine Freundinnen sich in Miami oder auf Malle am Strand räkelten, machten wir Urlaub in Qual an der Ostsee, maximale Wassertemperatur neunzehn Grad.
Die Tourismusinformation hatte geschlossen. Wir gingen um das Haus herum auf den Hof. Papa guckte in den Stall, aber es war niemand da. Nicht einmal die Kühe. Der Regen tropfte vom Kuhstall direkt in meinen Kragen und einen winzigen Augenblick hoffte ich, dass es Mama hier zu dreckig und zu nass wäre. Da rumpelte ein riesiger Traktor auf den Hof. Joschi war begeistert. »Guckt euch mal das Riesenteil an!«, grinste er. »Ob ich da wohl mal mitfahren kann?«
»Bestimmt«, antwortete Papa und grinste genauso blöd wie Joschi.
Der Motor wurde abgestellt und ein Junge kletterte aus dem Fahrerhäuschen. Puuh! Also ich muss sagen, nach Qual sah der nicht aus. Dunkle Haare, breite Schultern, schmale Hüften … Ihr wisst Bescheid?
»Hallo, ich bin Tjark und Sie sind sicher die Feriengäste.« Er streckte zuerst meiner Mutter und dann meinem Vater die Hand hin. Joschi und mir nickte er nur kurz zu.
»Genau«, sagte mein Vater, »wir haben den Strandkorb gemietet.« Strandkorb! Ich fand das so peinlich. Das Ferienhaus hieß Strandkorb, obwohl es eine ehemalige Weberei war.
»Ich weiß«, sagte Tjark. »Ist ein besonderes Haus. Es liegt schön ruhig und hat einen eigenen Zugang zum Strand. Meistens ist das Wetter hier auch besser.« Er grinste schief. »Kommen Sie mit ins Büro, dann gebe ich Ihnen den Schlüssel.« Wir trotteten hinterher.
»Sie können direkt über den Hof fahren«, erklärte uns Tjark den Weg in unser Ferienhaus. »Dann folgen Sie einfach der schmalen Straße. Wenn Sie am Sanatorium vorbeikommen, sind es nur noch wenige Meter bis zum Haus. Sie biegen einfach links auf das Grundstück ein.«
»Sanatorium?« Meine Mutter zog fragend die Augenbrauen hoch. Sicher hatte sie sonntägliche Besucherströme und parkende Autos vor Augen. »Sagten Sie nicht, das Haus läge schön ruhig?«
»Es liegt ruhig«, beschwichtigte Tjark sie. »Das Gebäude steht leer.«
Kurz darauf fuhren wir auf einer schmalen Landstraße der Ostsee entgegen.
»Schau mal, Bernd!«, rief meine Mutter. »Das ist sicher das Sanatorium. Da! Du musst abbiegen.«
Ohne zu blinken, riss mein Vater in letzter Sekunde das Lenkrad herum und wir schossen über die Auffahrt auf das Grundstück.
Strandkorb wäre das letzte Wort, das mir zu diesem düsteren Haus eingefallen wäre. Es war ein einstöckiger Backsteinbau mit einer alten Veranda. Aber es lag inmitten von Apfelbäumen und bot einen freien Blick bis hin zum Meer. Am Horizont ließen sich trotz des trüben Wetters die weißen Segel der Boote erkennen. Man konnte leicht ahnen, dass der Ausblick bei klarer Sicht grandios war. Ich hütete mich allerdings, so einen Gedanken auch nur anzudeuten.
»Wer als Erster oben ist!«, rief Joschi und sauste rauf in den ersten Stock. Ich war ihm dicht auf den Fersen. Joschi war zwar zuerst oben, aber ich hatte den Überblick. Während mein kleiner Bruder noch unschlüssig im Flur stand, stürmte ich zielstrebig in das erste Zimmer auf der linken Seite, schmiss meinen Rucksack auf das Bett und rief: »Belegt!« Sofort stand Joschi hinter mir und fing an zu quengeln. »Das ist gemein, Anna, immer suchst du dir das bessere Zimmer aus.«
Dabei könnte ich wetten, dass Joschi nicht einmal wusste, warum dieses Zimmer das »bessere« sein sollte. Ich dagegen wusste es genau. Es war das Zimmer mit Blick aufs Meer. Joschi konnte das Zimmer gegenüber beziehen, von dort sah man auf die Landstraße und das leerstehende Haus nebenan. Aber im Grunde war Joschi der Ausblick völlig egal, er wollte nur immer genau dasselbe haben wie ich.
Während mein Vater den Wagen entlud, erkundeten wir mit meiner Mutter das Gelände. »Ist dieses Grundstück nicht eine echte Perle?«, rief sie. »Schaut euch doch nur einmal diese Schaukel zwischen den knorrigen Apfelbäumen an. Anna, das musst du unbedingt malen!«
Ich male, seit ich zehn bin, und hatte natürlich auch in diesem Urlaub meine Staffelei dabei.
Gemeinsam gingen wir bis zur Steilküste am Ende des Grundstücks. Linker Hand befand sich ein kleines Kiefernwäldchen, das außer einem recht verfallenen Schafstall keine weiteren Gebäude beherbergte. Rechts führte eine steile Holztreppe zwischen wilden Heckenrosen hinunter an den Strand. Bis auf einen einsamen Spaziergänger und seinen Hund war der Strand menschenleer.
»Ist dieser Ausblick nicht fantastisch?«, fragte meine Mutter. Wohl oder übel musste ich ihr zustimmen. Es war herrlich, hier oben zu stehen, über das Meer zu blicken und den Wind in den Haaren zu spüren. Die Regentropfen, die uns ins Gesicht schlugen, blendeten wir beide für diesen Moment einfach aus.
Zurück im Haus kochte meine Mutter eine Kanne Kaffee und Joschi und ich verstauten unsere Habseligkeiten in unseren Zimmern. Die Staffelei stellte ich neben mein Bett.
»Was haltet ihr davon, wenn wir uns nach dem Kaffee die Gegend ansehen?«, fragte Papa. »Es soll hier in der Nähe ein Kloster geben, vielleicht können wir es besichtigen.«
Ich zuckte nur gelangweilt mit den Schultern und verkniff mir die Bemerkung, dass die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung in St. Tropez sicher weitaus attraktiver wären, vom Wetter ganz zu schweigen.
Wenig später saßen wir im Auto. Normalerweise erkunden wir einen Ort zuerst mit unseren Fahrrädern, die wir eigens dafür mitbringen. Aber daran war heute nicht zu denken; zu dem ständigen Regen gesellten sich nun auch noch stürmische Böen.
»Wir können doch noch mal zu dem Bauernhof zurückfahren«, schlug Joschi vor. »Vielleicht lässt mich der Junge von vorhin ja auf seinem Trecker fahren.«
»Später, Joschi«, erwiderte meine Mutter, »zuerst halten wir nach einem Supermarkt Ausschau und sehen uns im Ort um.«
Tja, damit waren wir schnell durch – und ich muss sagen, bisher hatte Qual meine Erwartungen mehr als erfüllt. Es gibt in diesem Ort nämlich genau drei Geschäfte. Einen kleinen Edeka-Markt, einen Bäcker und die Eduard-Hasselreuther-Apotheke.
»Ist euch eigentlich aufgefallen, dass hier alles nach einem gewissen Eduard Hasselreuther benannt ist?«, fragte ich. »Es gibt eine Eduard-Hasselreuther-Apotheke, die Berufsschule ist eine Eduard-Hasselreuther-Schule und wir fahren auf der Eduard-Hasselreuther-Straße.«
»Vielleicht sind die Quäler zu blöd, um sich viele verschiedene Namen zu merken«, sagte Joschi nachdenklich. Ich fing an zu kichern. Manchmal ist mein Bruder echt witzig.
»Tatsächlich?«, fragte meine Mutter vom Beifahrersitz. »Anna kann gut beobachten.«
»Na, Anna, dann geh doch mal mit deinem Smartphone ins Internet«, meinte mein Vater. »Und google diesen Eduard Hasselreuther. Du würdest zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Erstens könntest du uns erklären, wer dieser Mensch war. Und zweitens würdest du mir das gute Gefühl geben, dass ich dir die Flatrate nicht nur zahle, damit du dich mit deinen Freundinnen zu jeder Tages- und Nachtzeit über Jungs, Lippenstifte und Klamotten austauschen kannst.«
Ich verdrehte die Augen. »Ich habe es jetzt nicht mit, es ist noch in meiner Tasche.«
»Da hast du es wieder«, sagte mein Vater. Meine Mutter legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm.
»Schaut mal, da vorn«, rief sie plötzlich. »Ist das nicht Tjark, der sich da so auf seinem Fahrrad abstrampelt? Und das bei diesem Wetter.«
»Die Jugendlichen auf dem Land sind eben nicht so verweichlicht wie die in der Stadt«, antwortete mein Vater und hupte zweimal, als wir Tjark überholten.
Mein Vater lässt selten eine Peinlichkeit aus. Ich hoffte inständig, dass Tjark uns nicht erkennen würde, aber da hob er schon grüßend die Hand.
»Hätte er das Fahrrad nicht dabei, hätte ich ihn mitgenommen«, erklärte mein Vater gönnerhaft.
»Ich will lieber an den Strand«, maulte Joschi. »Wie weit ist es denn noch bis zu diesem beknackten Kloster?«
»Wir sind gleich da«, beruhigte ihn meine Mutter. »Hier ist zum Glück nichts wirklich weit voneinander entfernt.« Und Sie hatte recht, schon zwei Straßen weiter kamen wir an der Klosteranlage an.
»Ach schade«, sagte meine Mutter. »Die Führung ist schon vorbei. Wir hätten zwei Stunden früher kommen müssen.«
Ich grinste.
»Was gibt’s denn da zu grinsen, Anna?«, empörte sich mein Vater. »Ein bisschen kulturelles Interesse könnte dir sicher nicht schaden. Und dir auch nicht, Joshua.«
Joschi kickte gerade eine leere Cola-Dose in ein Rosenbeet.
»Heb die Dose auf und wirf sie in den Mülleimer.«
»Wieso? Das ist nicht meine Dose. Ich hab sie nicht …«, begehrte Joschi auf. Er schwieg aber sofort, als er diesen bestimmten Blick meines Vaters auffing. Mein Vater würde uns niemals schlagen oder so, aber wenn er diesen Blick draufhat, ist es besser, sich der elterlichen Überlegenheit zu beugen. So ungerecht es auch sein mag.
»Schaut mal hier!«, rief ich, um die drohenden Wogen zu glätten. »Auf dieser Tafel steht schon wieder der Name Eduard Hasselreuther. Er hat die Klosterglocke gestiftet.«
»Na, das muss ja ein toller Mann gewesen sein«, antwortete mein Vater.
An diesem Tag besichtigten wir nur noch die kleine Kapelle und machten unseren Einkauf in dem winzigen Edeka-Laden. Der Wind frischte noch ein wenig auf und der Regen schien nicht in Stimmung, sich zu verziehen. Niemand aus der Familie hatte heute noch Lust, das Meer anzuschauen, außer Joschi natürlich. Deshalb fuhren wir zurück in unser Ferienhaus und machten es uns vor dem Kamin mit laufendem Fernseher gemütlich. Anschließend aßen wir Abendbrot und spielten ein paar Runden 17 & 4.
»Ostseeluft macht müde«, sagte meine Mutter und reckte sich. »Ich werde heute nicht alt.«
Ich verkrümelte mich ebenfalls in mein Zimmer. Verschickte noch ein paar Mails an meine Freunde, schaute kurz bei Facebook vorbei und wollte mich grade hinlegen, als mir Eduard Hasselreuther wieder einfiel. Papa würde mich morgen sicher nach ihm fragen. Also schnappte ich mir meinen Laptop und googelte. Bei Wikipedia wurde ich fündig. Eine kleine Fotografie zeigte einen hageren Mann mit Zylinder zwischen einer Schar Kinder.
Dr. Eduard Hasselreuther, geb. 1827 in Eutin, gest. 1895 in Qual. Eduard Hasselreuther wuchs in bürgerlichen Verhältnissen auf und studierte nach dem Abitur an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel Medizin. Anschließend lehrte er an den Universitäten in Leipzig und Heidelberg Virologie. Von 1869 bis 1874 leitete er in Suriname in Südamerika eine Leprakolonie. Zurück in der Heimat, gründete er 1877 die erste Lungenheilanstalt in Holstein, direkt an der Ostsee, in dem Ort Qual.
Was Dr. Eduard Hasselreuther so besonders machte und ihm sogar die Ehrenbürgerschaft der Gemeinden Qual und Graatz einbrachte, war sein außergewöhnliches soziales Engagement. Denn er stellte sein Sanatorium nicht nur der wohlhabenden Bürgerschicht zur Verfügung, er nahm auch an Tuberkulose und Typhus erkrankte Kinder und Jugendliche aus den Armen- und Waisenhäusern auf und behandelte sie in seinem Sanatorium kostenlos. Waren die Kinder dann von ihrer schlimmen Krankheit genesen, beschäftigte er sie für eine gewisse Zeit in der eigens zu diesem Zweck errichteten Weberei und schickte sie anschließend gesund und mit etwas Geld in der Tasche zurück in ein neues Leben.
Ich war beeindruckt. Schließlich hatte ich das Thema »Industrialisierung« doch gerade in der Schule gehabt und wusste daher, unter welch erbärmlichen Umständen die Armenhäusler und Waisenkinder gelebt hatten.
Draußen rüttelte der Wind an allen Fenstern und Türen.
Es war spät geworden und Mama hatte recht, wenn sie sagte, dass Ostseeluft in den ersten Tagen müde macht.
Also schaltete ich das Licht aus und kuschelte mich in die weichen Kissen. Der Regen trommelte wie mit ungeduldigen Fingern gegen die Fensterscheiben. Das ganze Haus heulte. Nein, heulen war nicht das richtige Wort. Es atmete, man konnte es laut und deutlich hören. Ich lauschte und fand, dass das Haus wie ein großes Tier klang, das wartete. Ein – aus – ein – aus.
Ich stand auf, um die geblümten Vorhänge zuzuziehen – und da bemerkte ich sie. Eine helle Gestalt, kaum mehr als ein Umriss. Sie stand da, direkt vor dem Haus, und sah zu mir herauf. Der starke Regen schien ihr nichts auszumachen. Mit einem Ruck zog ich die Vorhänge zu, zählte bis zehn und riss die Vorhänge wieder auf. Nichts. Die Gestalt war verschwunden, der Garten lag dunkel und verlassen da.
Nachdenklich legte ich mich wieder ins Bett. Ich neige nicht zu Hirngespinsten. Also wer stand da nachts bei strömendem Regen unter meinem Fenster? Ich nahm mir vor, der Sache morgen früh auf den Grund zu gehen. Vielleicht fand ich ja ein paar Fußabdrücke, oder ich hatte mich doch ganz einfach getäuscht.
Ein – aus – ein – aus – ein … Das war nicht der Sturm. »Hör auf, Anna, und schlaf jetzt!«, rief ich mich selber zur Ordnung.
Am nächsten Morgen hatte der Sturm den Himmel blank geputzt und sämtliche Wolken vertrieben. Die Morgensonne lächelte freundlich und die nächtlichen Schatten waren meilenweit entfernt.
»Habt ihr gut geschlafen, trotz des tobenden Sturms?«, fragte Papa beim Frühstück.
»Ich habe gedacht, das ganze Haus fliegt davon«, antwortete meine Mutter.
»Wie beim Zauberer von Oz«, sagte Joschi und zerkrümelte sein Croissant.
»Und ich hatte das Gefühl, es steht jemand vor dem Haus«, sagte ich.
Mama sah von ihrem Frühstücksei auf. »Warum denn das?«
»Ich wollte die Vorhänge zuziehen«, erklärte ich, »und da stand direkt vor dem Haus eine helle Gestalt, voll unheimlich.«
»Buuuuuuhuuhuu!«, machte Joschi.
»So, eine helle Gestalt«, sagte mein Vater. Ich hörte schon an seinem Tonfall, dass er mir nicht glaubte. »Und die hast du gesehen? Bei Nacht?«
»Ich sagte doch, sie war irgendwie hell«, verteidigte ich mich.
»Das kann alles Mögliche gewesen sein«, meinte meine Mutter. »Vielleicht eine Lichtspiegelung in den Regentropfen oder so etwas.«
»Ja, vielleicht«, gab ich zu. »Außerdem hat das Haus komische Geräusche gemacht. Es klang, als würde es atmen, irgendwie asthmatisch«, versuchte ich es weiter. Es konnte doch nicht sein, dass ich mir alles nur einbildete.
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