Artefakte Band 11 - Vor Adam - Jack London - E-Book

Artefakte Band 11 - Vor Adam E-Book

Jack London

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Beschreibung

Eine große Faszination übt auf viele von uns das Leben der Menschen in der Vorzeit aus. Seit dem 19. Jahrhunter haben sich viele Autoren jeglicher Couleur mit dieser Thematik beschäftigt. So auch Jack London in seinem 1907 erschienen Werk „Vor Adam“. Darin nähert sich London dem Thema Urmensch allerdings auf eher subtile Weise. Ein Mann unserer Zeit wird von ungeheuer plastischen und farbigen Albträumen heimgesucht. Darin erinnert er sich an das Leben eines seiner fernen Vorfahren, der mit seinem Stamm von Urmenschen – kaum dem Affendasein entwachsen - vor vielleicht hunderttausend Jahren gelebt hat und in täglichem Existenzkampf mit wilden Tieren, Artgenossen und einem anderen weit überlegenem Stamm – den Feuermenschen - stand. Vor Adam ist – wie schon das ebenfalls bei uns erschienene Werk „Die Scharlachseuche“ (Vergangene Zukunft Band 1) - ein relativ unbekanntes Juwel aus dem Gesamtwerk Jack Londons.

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Jack London

Artefakte Band 11 - Vor Adam

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Text

Artefakte – Band 11

Jack London – Vor Adam

1. eBook-Auflage – April 2013

© vss-verlag Hermann Schladt

Titelbild: Allan Bruder

Übersetzung: Chris Schilling

Lektorat: Hermann Schladt

www.vss-verlag.de

Jack London

 

Vor Adam

 

 

 

 

1. KAPITEL

 

Bilder! Bilder! Bilder! Oft, bevor ich das nötige Wissen erwarb, pflegte ich mich zu fragen, woher die zahlreichen Bilder kamen, die meine Träume erfüllten, denn es waren Bilder einer Art, die ich tagsüber - im Wachzustand - noch nie gesehen hatte. Sie machten meine Kindheit zur Qual, meine Träume zu einer Folge von Nachtmahren und überzeugten mich bald, dass ich mich von jedem anderen meiner Art unterschied und eine widernatürliche Kreatur darstellte, auf der ein Fluch lastete.

Lediglich tagsüber konnte ich das Glück des Daseins erleben. Meine Nächte jedoch unterlagen der Herrschaft der Furcht - und welcher Furcht! Ich wage sogar zu behaupten, dass keiner der Menschen, die mit mir auf Erden wandeln, jemals eine ähnlich starke Furcht erlitten haben kann. Denn die Furcht, die mich erfüllte, ist die der Vergangenheit; die Furcht, die in einer jüngeren Welt vorherrschte, in den Kindheitstagen einer jüngeren Welt. Kurz gesagt: die Furcht, die in jener Periode überhandnahm, die man als Mittleres Pleistozän kennt.

Was ich damit meine? Ich sehe ein, dass es einiger Erklärungen bedarf, bevor ich über die Beschaffenheit meiner Träume berichten kann. Ohne sie könnte ich nur wenig von der Bedeutung der Dinge vermitteln, die ich so gut kenne. Während ich dies schreibe, erheben sich alle Wesen und Ereignisse dieser anderen Welt in einer vor mir ausgebreiteten Phantasmagorie, und ich weiß, dass diese Bilder für jeden anderen ungereimt und unverständlich bleiben müssen.

Was würde Ihnen die Freundschaft Schlappohrs bedeuten, was der warme Blick der Flinken, die Lüsternheit und der Atavismus Rotauges Ihnen bedeuten? Eine urkomische Zusammenhanglosigkeit, sonst nichts. Und eine urkomische Zusammenhanglosigkeit waren ebenso die Handlungen des Feuervolkes und der Baumbewohner und die plappernden Versammlungen der Horden, denn Sie kennen nicht den Frieden der kühlen Klippenhöhlen, das Durcheinander an den Wasserlöchern am Ende eines Tages. Sie haben nie das Beißen des Morgenwindes auf einem Baumwipfel erlebt, noch den süßen Geschmack junger Baumrinde im Munde.

Sie verstünden mich eher, wage ich zu behaupten, wenn Sie wie ich während meiner Kindheit die gleiche Begegnung gehabt hätten. Als Junge war ich den anderen sehr ähnlich -solange ich wach war. Erst im Schlaf zeigte sich der Unterschied. Solange ich mich zurückerinnern kann, bestand mein Schlaf aus einem Zeitraum des Entsetzens. Nur selten waren meine Träume mit einem Schimmer von Glück gesegnet. In der Regel waren sie vollgestopft mit Furcht, mit einer Furcht, die so seltsam und fremdartig war, dass sie keine abwägbare Natur besaß. Keine der Ängste, die ich in meinem wachen Leben erfuhr, kam jener gleich, die mich während des Schlafs übermannte. Diese Furcht war von einer Beschaffenheit und Art, die alle meine Erfahrungen überstieg.

Ich war zum Beispiel ein Stadtjunge, eine Stadtkind, für das das Land eher eine unerforschte Domäne darstellte. Und doch träumte ich niemals von Städten; nicht einmal ein Haus tauchte in meinen Träumen auf, und ebenso wenig durchbrach je ein menschliches Wesen die Mauern meines Schlafs. Ich, der die Bäume stets nur in Parks oder illustrierten Büchern gesehen hatte, durchwanderte im Schlaf endlose Wälder. Desweiteren waren diese Traumbäume keinesfalls nur eine verschwommene Vision. Sie waren klar und deutlich. Ich gehörte im Sinne einer praktizierten Intimität zu ihnen. Ich sah jeden Ast und jeden kleinen Zweig.

 

Ich erinnere mich noch sehr gut daran, als ich das erste Mal im Wachzustand eine Eiche sah. Als ich auf die Blätter, Äste, und Eicheln schaute, erkannte ich mit schmerzlicher Intensität, dass ich den gleichen Typ Baum unzählige Male im Schlaf gesehen hatte. Deswegen war ich auch nicht überrascht, als ich in meinem späteren Leben augenblicklich, beim ersten Ansehen, sofort Rottannen, Eiben, Birken und Lorbeerbäume unterscheiden konnte. Ich hatte sie alle schon gesehen und sah sie damals noch, jede Nacht im Schlaf.

Dies verstößt, wie Sie sicher bereits erkannt haben, gegen das oberste Traumgesetz, das man nämlich in seinen Träumen nur das sieht, was man zuvor im Wachzustand gesehen hat. Aber meine sämtlichen Träume widersprachen diesem Gesetz. Ich sah in ihnen niemals auch nur das geringste, das ich aus meinem wachen Leben kannte. Zwischen meinem Traum- und meinem Wachleben klafften Welten, und es gab nichts, was sie miteinander verband, außer mir. Ich war das einzige Verbindungsglied, das irgendwie beide Leben lebte.

Bereits während der frühesten Kindheit hatte ich erfahren, dass Nüsse vom Spezerei- und Trauben vom Obsthändler kommen; aber bevor dieses Wissen mich erreichte, hatte ich schon in meinen Träumen Nüsse von Bäumen gepflückt oder sie gesammelt am Fuße der Bäume verzehrt und auf gleiche Weise Trauben von Ranken und Büschen gegessen. Im wirklichen Leben hatte ich diese Erfahrung nie gemacht.

Ich werde niemals vergessen, als ich zum ersten Mal Heidelbeeren auf einem Tablett serviert sah. Ich hatte sie nie zuvor gesehen, und doch sprangen in dem Augenblick, in dem ich sie sah, aus meinem Geist Erinnerungen an Träume hervor, in denen ich durch ein sumpfiges Land gewandert war und mich an ihnen sattgegessen hatte. Ich füllte meinen Löffel und wusste - noch bevor ich ihn zum Mund führte - wie die Heidelbeeren schmecken würden. Ich war nicht einmal enttäuscht. Es war derselbe Geschmack, den ich tausendmal im Schlaf geschmeckt hatte.

Schlangen? Lange bevor ich von ihrer Existenz überhaupt hörte, quälten sie mich schon im Schlaf. Sie lauerten mir auf den Waldlichtungen auf, sprangen hoch, schnappten nach meinen Füßen, schlängelten sich durch das trockene Gras oder über nacktes Felsgestein, ringelten sich mit ihren langen, glänzenden Leibern um Baumstämme, trieben mich höher und höher und höher und weiter und weiter auf die schwankenden und knackenden Äste, während der Boden in schwindelerregender Tiefe versank.

Schlangen! - mit ihren gespaltenen Zungen, ihren perlenförmigen Augen und glitzernden Schuppen, ihrem Zischen und Klappern - kannte ich sie nicht schon allzu gut am Tage meines ersten Zirkusbesuchs, als ich den Schlangenbändiger sie aufheben sah? Für mich waren sie alte Bekannte; Gegner, die meine Nächte mit Angst erfüllt hatten.

Ah, und diese endlosen Wälder mit ihrer alptraumhaften Düsternis! Welche Ewigkeiten lang habe ich sie durchwandert, eine furchtsame, gejagte Kreatur, die beim kleinsten Geräusch zusammenzuckte, Angst vor dem eigenen Schatten hatte und stets alarmbereit war, in wilder Flucht um das eigene Leben zu laufen. Denn ich war die Beute jeder Art ungezügelten Lebens, das den Wald bewohnte, und es waren Ekstasen der Angst, die ich empfand, wenn ich vor den jagenden Ungeheuern floh.

Als ich fünf Jahre alt war, besuchte ich zum ersten Mal den Zirkus. Ich kam krank aus ihm nach Hause zurück, aber das lag weder an den Erdnüssen noch an der Zitronenlimonade. Lassen Sie es mich Ihnen erklären. Als wir das Tierzelt betraten, zerriss ein heiseres Brüllen die Luft. Ich riss mich von der Hand meines Vaters los und sauste auf den Ausgang zu. Ich prallte mit den Leuten zusammen, fiel hin und schrie während der ganzen Zeit vor Entsetzen. Mein Vater fing mich ein und besänftigte mich, indem er auf die Menge der Leute wies, die dem Brüllen sorglos gegenüberstanden und versicherte mir, mir könne nicht geschehen.

Nichtsdestotrotz verspürte ich Furcht und zitterte. Es kostete meinen Vater ziemliche Überredungskunst, mich dazu zu bewegen, an den Käfig heranzugehen. Ah, und im gleichen Augenblick erkannte sie mich. Die Bestie! Der Schreckliche! Und vor meinem inneren Auge blitzten die Erinnerungen an meine Träume auf: Ich sah die auf das hohe Gras scheinende Mittagssonne, den lautlos weidenden, wilden Stier, das sich plötzlich teilende Gras, den raschen Ansturm des Gelbbraunen, den Sprung auf den Rücken des Stiers. Ich hörte das Krachen und Brüllen und das Brechen von Knochen. Oder ein anderes Mal: die kühle Stille am Wasserloch, das Wildpferd auf den Knien, zaghaft trinkend, und dann der Gelbbraune - der ewige Gelbbraune! - auf dem Sprung, das Schreien des Pferdes, das Aufspritzen des Wassers - und wieder das Brechen von Knochen. Dann wieder das düstere Zwielicht und die traurige Stille am Ende des Tages, durchbrochen von gewaltigen, vollkehligen, wie die Posaunen des Jüngsten Gerichts erklingenden Aufbrüllen - und sofort daraufhin das wahnsinnige Plappern und Kreischen zwischen den Bäumen. Und auch ich zittere vor Angst, bin einer der vielen Kreischenden und Plappernden, die zwischen den Bäumen Schutz suchen.

Als ich ihn hilflos hinter den Käfigstangen sah, überfiel mich die Wut. Ich fletschte die Zähne, hüpfte auf und nieder, gab ein zusammenhangloses, kreischendes Gespött von mir und schnitt dumme Grimassen. Er antwortete, warf sich gegen die Gitterstäbe und brüllte mir seinen ohnmächtigen Zorn entgegen. Ja, auch er kannte mich, und die Träume, die ich träumte, waren die der alten Zeit und ihm daher verständlich.

Meine Eltern ängstigten sich. »Das Kind ist krank«, sagte meine Mutter. »Er ist hysterisch«, sagte mein Vater. Ich sagte nichts, und sie erfuhren es nie. Ich hatte bereits eine besondere, meine Dualität - diese Halb-Bewusstseinsspaltung, wie ich sie zu nennen glauben darf - betreffende Reserviertheit entwickelt. Ich sah den Schlangenbeschwörer und sonst an diesem Abend vom Zirkus nichts mehr. Ich wurde nervös und übermüdet nach Hause gebracht, krank vom Einbruch des Lebens der Träume in mein wirkliches.

Ich habe meine Reserviertheit erwähnt. Nur einmal bekannte ich mich gegenüber einem anderen. Es war ein Junge, mein Spielkamerad, wir waren acht Jahre alt. Aus meinen Träumen konstruierte ich für ihn Bilder der verschwundenen Welt, in der ich einst gelebt zu haben glaubte. Ich erzählte ihm von den Schrecken dieser frühen Zeit, von Schlappohr und den Streichen, die wir begingen, von den plappernden Versammlungen, den Feuerleuten und ihrem Lebensraum.

Er lachte mich aus, verspottete mich und erzählte mir Geschichten von Geistern und Toten, die nachts umher wandeln. Aber hauptsächlich lachte er über die Langweiligkeit meiner Phantasie. Ich erzählte ihm mehr, und er lachte noch lauter. Ich schwor ihm mit aller Ernsthaftigkeit, dass das, was ich ihm erzählte hatte, der Wahrheit entsprach - und da begann er mich merkwürdig anzusehen. Bald darauf gab er entstellte Versionen meiner Erzählungen an unsere Spielkameraden weiter, bis mich schließlich alle merkwürdig ansahen.

Es war eine bittere Erfahrung, aber ich lernte meine Lektion. Ich war anders als sie alle. Ich war anormal und besaß etwas, das sie nicht verstehen konnten. Alles, was ich darüber sagte, konnte nur Missverständnisse hervorrufen. Wenn die Geschichten über Geister und Kobolde die Runde machten, schwieg ich und lächelte grimmig vor mich hin. Ich dachte an meine furchtbaren Nächte und wusste, dass sie reale Dinge waren - real wie das Leben selbst, keine saftlosen Wahnvorstellungen und vagen Schattenbilder eingebildeter Ängste.

Im Gedanken an den Schwarzen Mann und böse Menschenfresser lag für mich kein Entsetzen. Der Sturz durch belaubte Zweige aus schwindelerregenden Höhen, die nach mir schnappende Schlange, die mich mit plapperndem Geschrei zur Seite springen und flüchten ließ, die wilden Hunde, die mich über offenes Land in ein Gehölz jagten - das waren konkrete und reale Schrecken. Es waren Ereignisse, keine Vorstellungen; Dinge aus Fleisch und Blut. Verglichen mit den Schrecknissen meiner Kindheit waren Menschenfresser und schwarze Männer Dinge, die ich mir als Bettgefährten gewünschte hätte - und immer noch wünsche, selbst heute, wo ich diese schreibe und reif an Jahren bin.

 

2. KAPITEL

 

Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass mir in meinen Träumen niemals ein menschliches Wesen begegnete. Diese Tatsache wurde mir sehr früh bewusst. Ich spürte das Nichtvorhandensein von Wesen meiner eigenen Art sehr deutlich. Selbst als kleines Kind hatte ich inmitten der Schrecken meiner Träume stets das Gefühl, ich bräuchte, um aus dem Entsetzen gerettet zu werden und nie wieder von ihm umgeben zu sein, nur einen einzigen Menschen finden!

Ich muss wiederholt vorbringen, dass ich diesen Gedanken während meiner Träume hatte und sehe dies als Beweis der Vermischung meiner beiden Persönlichkeiten an. Irgendwie müssen die beiden mir innewohnenden Seelen in einer Verbindung stehen. Meine Traumpersönlichkeit lebte im längst Vergangenen, in jener Zeit, bevor der Mensch, wie wir ihn kennen, zum Sein gelangte; meine andere, tagsüber dominierende, Persönlichkeit, versetzt sich bis zu einem gewissen Wissensgrad in die Substanz meiner Träume hinein.

Vielleicht werden die Psychologen, die dieses Buch lesen, sich daran stoßen, in welchem Zusammenhang ich den Begriff der „gespaltenen Persönlichkeit" gebrauche. Ich weiß um die Bedeutung dieses Begriffs, und doch bin ich in Ermangelung eines treffenderen Ausdrucks dazu gezwungen, ihn auf meine Weise zu gebrauchen. Ich nehme Deckung hinter der Unzulänglichkeit der Sprache. Und jetzt meine Erklärung des Gebrauchs - oder Missbrauchs - dieses Begriffs.

Erst als ich ein junger Mann war und das College besuchte, erhielt ich den ersten Hinweis auf den tieferen Sinn und die Ursache meiner Träume. Bis dahin waren sie bedeutungslos und ohne offensichtlichen Zusammenhang gewesen. Aber auf dem College entdeckte ich Evolution und Psychologie und lernte die Erklärungen verschiedener seltsamer geistiger Zustände und Erfahrungen kennen. Zum Beispiel gibt es da den Falltraum - die gewöhnlichste Traumerfahrung, die praktisch aus erster Hand jedem Menschen bekannt ist.

Dies, erzählte mir mein Professor, sei eine rassische Erinnerung. Sie führe zurück zu unseren entfernten, noch auf Bäumen lebenden Vorfahren. Für sie, die Baumbewohner, stellte die Gefahr des Fallens eine allgegenwärtige Bedrohung dar. Viele verloren dabei ihr Leben. Sie alle erlebten schreckliche Stürze und retteten sich nur, indem sie sich während des Falles an irgendwelche Äste klammerten.

Ein auf diese Weise verhüteter Sturz rief in ihnen einen Schock hervor. Und ein solcher Schock erzeugte in den Zerebralzellen einen Molekülwechsel. Diese Molekularveränderung wurde in die Zerebralzellen des Nachwuchses übertragen und somit, kurz gesagt, zu einer rassischen Erinnerung. Wenn Sie oder ich schlafen oder vor uns hin dösen, plötzliche in die Leere fallen und kurz vor dem Auftreffen auf den Boden entsetzt zu Bewusstsein gelangen, erinnern wir uns nur an das, was unseren baumbewohnenden Vorfahren geschah und uns durch zerebrale Veränderung in das Erbgut der Rasse eingeprägt wurde.

Daran ist nichts weniger seltsam als an einem Instinkt. Ein Instinkt ist lediglich eine Anlage, die in das Material unserer Erbmasse eingeprägt wurde, das ist alles. Es ist nebenbei bemerkenswert, dass wir in diesen Fallträumen, die Ihnen, mir und allen von uns so bekannt sind, den Boden niemals berühren. Ihn zu berühren wäre nämlich gleichbedeutend mit dem Tod. Jene unserer baumbewohnenden Vorfahren, die auf den Boden schlugen, starben auf der Stelle.

Richtig, der Schock ihres Falls wurde zwar den Zerebralzellen übermittelt, aber sie starben sofort, ohne Nachkommenschaft zu haben. Sie und ich stammen von jenen ab, die den Boden nicht erreichten; deswegen treffen Sie und ich auch niemals auf den Boden auf.

Und jetzt kommen wir zur gespaltenen Persönlichkeit. Wir haben, wenn wir hellwach sind, nie das Gefühl des Falls. Unsere tagwache Persönlichkeit hat diese Erfahrung nie gemacht. Deswegen - und hier ist die Beweisführung unwiderstehlich - muss es eine andere und abgesonderte Persönlichkeit sein, die fällt, wenn wir schlafen. Sie muss die Erfahrung eines solchen Falls gemacht haben und kurz gesagt die Erinnerung an die Erfahrungen einer vergangenen Rasse besitzen, so wie unsere tagwache Persönlichkeit eine Erinnerung an unsere bei Tage gemachten.

In diesem Stadium meiner Schlussfolgerung begann ich klarer zu sehen. Ich wurde von blendender Helligkeit erleuchtet und die Erleuchtung erklärte alles, was in meinen Traumerfahrungen bisher übernatürlich, unheimlich und von abnormer Unmöglichkeit gewesen war. Während des Schlafs nahm mich nicht meine Tagespersönlichkeit in ihre Obhut, sondern eine andere, abgespaltene, die einen neuen und völlig anderen Vorrat an Erfahrungen besaß und der Welt meiner Träume entstammte und Erinnerungen dieser anderen Erfahrungen besaß.

Wer war diese Persönlichkeit? Wann hatte sie selbst ein Tagleben auf diesem Planeten gelebt, um ihren seltsamen Erfahrungsvorrat sammeln zu können? Dies waren Fragen, die meine Träume selbst beantworteten. Diese Persönlichkeit hatte im fernen Gestern gelebt, als die Welt noch jung war; in jener Periode, die wir das Mittlere Pleistozän nennen. Sie fiel von den Bäumen, schlug aber nicht am Boden auf. Sie schnatterte vor Angst, wenn der Löwe brüllte. Sie wurde von Raubtieren verfolgt und von tödlichen Schlangen angegriffen. Sie plapperte während der Versammlungen mit anderen ihrer Art und empfing in jenen Tagen, in denen sie vor ihnen floh, die ungestümen Sitten des Feuervolkes.

Aber, so höre ich Sie jetzt einwenden, warum gehören diese rassischen Erinnerungen nicht auch uns; warum sehen wir nicht auch diese vage andere Persönlichkeit, die in die Leere fällt, wenn wir schlafen?

Ich darf darauf mit einer Gegenfrage antworten. Warum gibt es zweiköpfige Kälber? Und meine eiserne Antwort darauf lautet, weil sie Missgeburten sind. Und damit beantworte ich Ihre Frage. Ich besitze diese andere Persönlichkeit und diese vollständige rassische Erinnerung, weil ich eine Missgeburt bin.

Aber lassen Sie mich deutlicher werden. Die alltäglichste rassische Erinnerung haben wir während eines Falltraums. Die ihn erlebende andere Persönlichkeit ist nicht sehr ausgeprägt. Die einzige Erinnerung, die sie besitzt, ist die des Falls. Aber viele von uns haben schärfere, fest umrissenere andere Persönlichkeiten. Viele von uns haben Flugträume; Träume, in denen sie. von Ungeheuern verfolgt werden; Farbträume, Erstickungsträume und Reptil- und Ungezieferträume. Kurz gesagt, während die andere Persönlichkeit andeutungsweise in jedem von uns vorhanden ist, ist sie in manchen Menschen beinahe ausgelöscht, in anderen jedoch stärker vorhanden. Einige von uns haben stärkere und vollkommenere rassische Erinnerungen als die anderen.

Es ist alles eine Frage des unterschiedlichen Besitzergreifens durch die andere Persönlichkeit. Was mich anbetrifft, ist sie enorm. Meine zweite Persönlichkeit ist fast ebenso stark wie meine eigene. Und was das betrifft, bin ich eine Missgeburt; ein Wesen mit abnormen Erbgut.

 

Ich bin der Ansicht, dass dieses Besitzergreifen der anderen Persönlichkeit bei ein paar anderen, wo dies nicht sonderlich stark der Fall war, dazu geführt hat, dass sie an persönliche Wiedergeburt glauben. Es ist sehr plausibel für solche Leute, eine akzeptable Hypothese. Wenn sie Visionen von Ereignissen haben, die sie im wirklichen Leben niemals sahen und sie Erinnerungen von Handlungen und Geschehnissen aus grauer Vorzeit bestürmen, ist die einfachste Erklärung für sie die, dass sie schon einmal gelebt haben.

Aber diese Leute begehen den Fehler, ihre eigene Dualität zu ignorieren. Sie erkennen ihre andere Persönlichkeit nicht. Sie glauben, es sei ihre eigene und nehmen an, dass sie nur über eine einzige verfügen. Aus einer solchen Voraussetzung können sie nur schließen, vorhergehende Leben gelebt zu haben. Aber sie irren sich. Es handelt sich nicht um Reinkarnation. Ich sehe mich selbst durch die Wälder dieser noch jungen Welt streifen - und doch sehe ich nicht mich, sondern jemanden, der nur ein weitentfernter Teil von mir ist, wie mein Vater und mein Großvater weniger weitentfernte Teile meiner selbst sind. Dieses mein anderes Ich ist ein Vorfahr, ein Ahnherr meiner Ahnherren aus der Frühlinie meiner Rasse und selbst ein Nachkomme einer Linie, die lange vor seinen Lebzeiten Finger und Zehen entwickelte und auf die Bäume kletterte.

Ich muss noch einmal - selbst auf das Risiko hin, langweilig zu wirken - in diesem einen Fall darauf hinweisen, dass man mich als Missgeburt zu sehen hat. Ich besitze nicht nur ein rassisches Erinnerungsvermögen außergewöhnlichen Umfangs, sondern auch die Erinnerungen eines bestimmten und weitentfernten Vorfahren. Und trotzdem, - auch wenn dies äußerst ungewöhnlich ist - gibt es darüber nichts bemerkenswertes zu sagen.

 

Folgen Sie meiner Beweisführung. Ein Instinkt ist eine rassische Erinnerung. Ausgezeichnet. Dann erhalten Sie, ich und wir alle diese Erinnerungen von unseren Vätern und Müttern, wie diese sie von ihren Vätern und Müttern erhalten haben. Deswegen muss ein Medium existieren, durch das diese Erinnerungen von Generation zu Generation überliefert werden. Dieses Medium ist das von Weismann benannte „Keimplasma". Es transportiert die Erinnerungen der gesamten Evolution der Rasse. Diese Erinnerungen sind verschwommen und ungeordnet, viele davon gingen verloren, aber manche Keimplasmareihen befördern ausgedehnte Erinnerungsströme - sie sind, um wissenschaftlich zu werden, atavistischer als andere. Und über eine solche Reihe verfüge ich. Ich bin eine abstammungsmäßige Missgeburt, ein atavistischer Alptraum - nennen Sie es, wie Sie wollen. Aber dennoch bin ich hier, wirklich und leibhaftig, esse drei Mahlzeiten am Tage - und was wollen Sie dagegen machen?

Und jetzt, bevor ich meine Geschichte beginne, möchte ich den ungläubigen Thomassen der Psychologie, jenen, die geneigt sind zu spotten und andererseits sicher sagen würden, dass die Kohärenz meiner Träume auf Überarbeitung und die unterbewusste Projektion meines Wissens um die Evolution meine Träume hervorbringen, zuvorkommen. Erstens bin ich niemals ein eifriger Student gewesen. Ich bekam die schlechteste Abschlussnote meiner Klasse. Ich interessierte mich mehr für Sport und - es gibt keinen Grund, weswegen ich es nicht bekennen sollte - Billard.

Desweiteren wusste ich nichts von der Evolution, bevor ich aufs College ging, während ich in meiner Kindheit und Jugend bereits jegliche Details meines anderen, längst vergangenen Lebens in meinen Träumen erlebt hatte.