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Zauberhaft und geheimnisvoll ist Astrid Lindgrens Märchenwelt. Petra und Peter, zwei Kinder so groß wie Puppen, tauchen plötzlich in der Schule auf. Eine Elfe fliegt ins Kinderzimmer von Lena und der Junge Göran erlebt Abenteuer im Land der Dämmerung. Der Erzählband enthält 15 der schönsten Märchen der weltberühmten schwedischen Schriftstellerin, darunter die Geschichten von Nils Karlsson-Däumling, der Puppe Mirabell und dem Drachen mit den roten Augen. Mit vielen farbigen Illustrationen von Ilon Wikland. Enthält die Märchen: Rupp Rüpel, das grausigste Gespenst aus Smaland Die Prinzessin, die nicht spielen wollte Im Land der Dämmerung Kuckuck Lustig Die Elfe mit dem Taschentuch Junker Nils von Eka Die Schafe aus Kapela Im Wald sind keine Räuber Nils Karlsson-Däumling Sonnenau Die Puppe Mirabell Allerliebste Schwester Peter und Petra Klingt meine Linde Der Drache mit den roten Augen
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Zauberhaft und geheimnisvoll ist Astrid Lindgrens Märchenwelt. Petra und Peter, zwei Kinder so groß wie Puppen, tauchen plötzlich in der Schule auf. Eine Elfe fliegt ins Kinderzimmer von Lena, und der Junge Göran erlebt Abenteuer im Land der Dämmerung. Der Erzählband enthält 15 der schönsten Märchen der weltberühmten schwedischen Schriftstellerin, darunter die Geschichten von Nils Karlsson-Däumling, der Puppe Mirabell und dem Drachen mit den roten Augen.
Es ist gut, eine Großmutter zu haben, besonders eine, die Spukgeschichten erzählen kann. Und so eine hatten wir, mein Bruder und ich.
Großmutter wohnte in einem kleinen Haus ganz am Ende eines Bergrückens, der nur aus Geröll bestand. Ich weiß nicht, was spannender war, dieser Geröllhang oder Großmutters Spukgeschichten. Eins steht jedenfalls fest, es machte Spaß, Großmutter zu besuchen, und wir taten es oft, mein Bruder und ich. Dabei war es ein mächtig weiter Weg dorthin. Es ging über Wiesen und durch kleine Wälder und über Anhöhen mit Kiefern, bis wir endlich das Großmutterhäuschen in einer Mulde am Berghang liegen sahen. Und dort in der kleinen Küche saß Großmutter, die so lieb war und so wunderbar erzählen konnte.
Es dauerte auch nicht lange, und wir bettelten wie immer: »Großmutter, erzähl doch mal von Rupp Rüpel!« Und dann tat Großmutter es. Ungefähr so fing sie an:
»In dem Dorf, wo ich geboren bin, gab es vor vielen Hundert Jahren einen Knecht. Rupp Rüpel hieß er.«
»Aber warst du denn damals schon auf der Welt?«, fragte ich.
Großmutter schnaubte ungeduldig durch die Nase.
»Hab ich das etwa gesagt? Ich doch nicht, du Dummerchen! Aber meine Großmutter, die konnte von ihm erzählen, sodass es mich dummes kleines Ding, das ich damals war, richtig gruselte.«
»Dann hat also deine Großmutter Rupp Rüpel gesehen?«, fragte mein Bruder.
»Nein, hat sie nicht. Aber ihre Großmutter hat ihn wohl gesehen, soviel ich weiß. Jedenfalls hat sie von ihm erzählt, als meine Großmutter noch klein war.«
»Und jetzt bist du an der Reihe, Großmutter«, sagte ich. »Also wie war das?«
»Ja, dieser Rupp Rüpel, das war ein wilder Kerl, der dauernd irgendwas ausheckte und nichts als dummes Zeug im Kopf hatte«, erzählte Großmutter. »Und das, obwohl der Knecht beim Pfarrer war und sich weiß Gott hätte anständiger benehmen müssen. Einer, den dieser Rupp Rüpel nicht ausstehen konnte, war der Küster. Der war ihm ein Dorn im Auge.«
»Der Küster, das war doch der, der sonntags in der Kirche immer die Orgel spielte, nicht?«, sagte mein Bruder, nur um Großmutter zu zeigen, dass wir im Bilde waren.
»Ja«, sagte Großmutter, »und manchmal spielte er auch nachts. Also auf der Orgel in der Kirche, zu der er ja den Schlüssel hatte, und darum konnte er kommen und gehen, wann er wollte. Und Musik liebte dieser Küster über alles, egal, ob es Tag war oder Nacht. An einem kalten Herbstabend tauchte in Rupp Rüpels sündigem Schädel der Gedanke auf, dem Küster jetzt einen ordentlichen Schrecken einzujagen.«
»Was tat er denn?«, fragte mein Bruder, obwohl er es genauso gut wusste wie ich.
»Dieser Schurke hatte sich mit weißen Laken als Gespenst verkleidet und sich dazu eine Maske aufgesetzt, eine Fratze, die irgendwie leuchtete. Und so schlich er sich in die Kirche. Und da sitzt nun der arme Küster in aller Seelenruhe und spielt so himmlisch schön. Plötzlich hört er im Gotteshaus ein fürchterliches Gebrüll, und vorne vor dem Altar steht ein Scheusal, eine grässliche Spukgestalt. Kein Wunder, dass der Küster entsetzt aufschrie und auf den Ausgang zustürzte, so schnell ihn die Beine nur trugen. Doch hinter ihm her rannte das Gespenst und jagte ihn durch die ganze Kirche. Der Küster lief um sein Leben und konnte sich gerade noch im letzten Augenblick durch die Tür retten. Aber hinter ihm kam das Gespenst, es wollte auch raus. Ja, Rupp Rüpel wollte auch raus, denn allein in der Kirche zu bleiben, traute er sich nicht. Er hatte nämlich selber Angst vor Gespenstern! Aber da traf ihn die Strafe. Gerade als er sich durch das Kirchentor zwängt, spürt er, wie ihn jemand von hinten zu packen kriegt, und da gefror ihm vor Schreck das Blut in den Adern. Denn wer sonst konnte ihm beim Schlafittchen packen, wenn nicht ein Gespenst oder womöglich gar der Herrgott selber, der ihn für das bestrafen wollte, was er dem Küster angetan hatte, obendrein noch in Gottes eigenem Haus.
Der nächste Tag war ein Sonntag, und als die Dorfbewohner mit dem Pfarrer und dem Küster an der Spitze zur Kirche kamen, da fanden sie Rupp Rüpel kalt und steif vor der Kirchentür liegen. Aber es war weder ein Gespenst noch der Herrgott im Himmel, der seine Hand nach Rupp Rüpel ausgestreckt hatte, es war die schwere Kirchentür gewesen. Sie war hinter ihm zugeschlagen und hatte sein Gespensterlaken festgeklemmt, sodass er nicht mehr loskam.«
»War er tot?«, fragte ich, obwohl ich wusste, wie es war. »Nein, tot war er nicht«, sagte Großmutter. »Aber lebendig war er auch nicht mehr, o nein! Denn das Blut war ihm ja in den Adern zu Eis gefroren, und es taute nie wieder auf. Und auf diese Weise wurde Rupp Rüpel zu einem Gespenst. So ergeht es dem, der im Gotteshaus Unfug treibt! Weder der Pfarrer noch die Gemeinde wussten, was sie mit ihm machen sollten. Begraben konnten sie ihn ja nicht, wenn er nicht richtig tot war. Darum hoben sie ihn einfach auf und lehnten ihn, so stocksteif, wie er war, an die Kirchenmauer. Und da stand er dann. »Wie lange denn?«, fragte mein Bruder, obwohl wir es schon so oft gehört hatten.
»Hundert Jahre lang«, sagte Großmutter. »Noch lange nachdem der Küster schon tot und begraben war und der Pfarrer ebenfalls, stand Rupp Rüpel da und spukte, dass die Leute vor lauter Entsetzen weite Umwege machten. Keiner wollte in seine Nähe kommen.«
»Aber wie war das noch mit der Magd des Pfarrers?«, fragte mein Bruder, und ich kriegte eine Gänsehaut, denn jetzt fing es erst richtig an.
»Damals wohnte im Pfarrhof schon lange ein neuer Pfarrer«, sagte Großmutter. »Und er hatte eine Magd, die sich vor nichts auf der Welt fürchtete, nicht vor Gespenstern und Teufeln und nicht vor Unholden oder sonstigem Höllenpack.
Nun wurde an einem Herbstabend im Pfarrhof ein Fest gefeiert. Es waren viele junge Leute da und darunter ein richtiger Tollkopf. der wissen wollte, ob sich die Magd denn wirklich vor gar nichts fürchtete. ›Wenn du tatsächlich so mutig bist, dann kannst du ja mal zur Kirche raufgehen und Rupp Rüpel herholen. Tust du das, kriegst du fünf Kronen für einen Kleiderstoff von mir‹, sagte er, denn er war ein reicher Pinkel. Die Magd lachte nur und sagte, diesen Kleiderstoff habe sie schon so gut wie in der Tasche.
Und sie raus in die dunkle Nacht und rauf zur Kirche. Da nahm sie Rupp Rüpel auf den Rücken und trug ihn zum Pfarrhof. Geradewegs in den großen Esssaal trug sie ihn, und da warf sie ihn auf die Dielen, dass es nur so krachte. Wie ein Rauschen ging es durch den Saal, denn so ein mutiges Mädchen hatte noch keiner je gesehen. Und der Bursche, der sie losgeschickt hatte, kramte auch sofort fünf Kronen für einen Kleiderstoff hervor. ›So, und jetzt kannst du Rupp Rüpel wieder zurückbringen‹, sagte er. Tja, das hatte er sich so gedacht! ›Wir haben nur abgemacht, dass ich ihn herhole‹, sagte die Magd. ›Zurückbringen kannst du ihn selber.‹
Aber das wagte der Bursche natürlich nicht. Also musste er der Magd noch einmal fünf Kronen geben, damit sie es tat, mit weniger gab sie sich nicht zufrieden.
Und dann stiefelte dieses mutige Mädchen wieder in die Dunkelheit hinaus. Mit Rupp Rüpel auf dem Rücken kletterte sie den Kirchhügel bergan, und Angst hatte sie auch jetzt nicht. Kaum aber war sie bei der Kirche angekommen, da kriegte Rupp Rüpel sie zu packen.«
Als Großmutter das sagte, gefror auch uns das Blut in den Adern. »Da kriegte Rupp Rüpel sie zu packen« – dass es so furchtbare Worte überhaupt geben konnte!
»Und dann krallte er ihr seine kalten Gespensterfinger um den Hals, das hat er doch gemacht, nicht?«, fragte mein Bruder, so als hätte er es noch nie gehört.
»Genau das machte er«, sagte Großmutter. »Denn er wollte die Magd zwingen, ihn zum Grab des Küsters zu tragen, damit er ihn um Verzeihung dafür bitten konnte, dass er ihn so fürchterlich erschreckt hatte, vor so etwa hundert Jahren. Und die Magd musste gehorchen, denn das muss man, wenn einem Gespensterhände die Kehle zuschnüren, sonst nimmt es ein schlimmes Ende. Sie schleppte Rupp Rüpel also zum Grab des Küsters, und dort bat er den Küster mit seiner grausigen Gespensterstimme um Verzeihung«, sagte Großmutter.
»Und da kam aus dem Grab eine andere hohle Gespensterstimme, es war die des Küsters, und die antwortete: ›Ich verzeihe dir, wenn Gott dir verzeiht.‹ Im selben Augenblick fiel Rupp Rüpel zusammen und war nur noch ein Häuflein Asche. Aber die Magd vom Pfarrhof war von da an nicht mehr ganz richtig im Kopf«, sagte Großmutter.
»Na, kein Wunder«, sagte mein Bruder.
In Großmutters Häuschen gab es nur ein Zimmer und die Küche, aber darüber war noch ein kleiner Dachboden. Dort oben verwahrte Großmutter alle möglichen seltsamen Dinge, und fast immer, wenn wir bei ihr waren, kramte sie irgendwas hervor, das sie uns schenkte. Auch jetzt, nachdem wir Rupp Rüpels Geschichte zu Ende gehört hatten, verschwand sie nach oben. Eine Weile später kam sie mit einer alten Gitarre zurück, die sie meinem Bruder schenkte, und ich kriegte einen dicken Band gebundener Zeitschriften mit vielen Bildern. Als ich ihn anhob, spürte ich, wie schwer er war. Aber Großmutter stopfte ihn in einen Sack und band ihn mir mit einem Strick auf dem Rücken fest. Wirklich eine gute Idee, denn jetzt war es keine Kunst mehr, ihn zu tragen!
»Aber jetzt müsst ihr euch beeilen, damit ihr zu Hause seid, bevor es dunkel wird«, sagte Großmutter. Und da machten wir, dass wir wegkamen; denn es war November und wurde früh dunkel. Wir sagten also Danke schön und Auf Wiedersehen und waren auch schon zur Tür hinaus, ehe Großmutter nur blinzeln konnte.
»Wir gehen über den Berg«, sagte mein Bruder, und er bestimmte natürlich, wie gewöhnlich. Es führte nämlich ein schmaler, holpriger Weg unten am Hang entlang, den vernünftige Leute benutzten, und den hätten wir auch nehmen sollen, wenn wir nur unsern Grips gebraucht und daran gedacht hätten, noch bei Tageslicht heimzukommen. Aber mein Bruder wanderte, vergnügt auf der Gitarre klimpernd, voran und ich natürlich hinterher, denn ich folgte meinem Bruder durch Feuer und Wasser, wenn es sein musste. Oben auf der Höhe wand sich ein kleiner Pfad zwischen Fichten und Kiefern hindurch. Wie durch eine Säulenhalle ging man dort. Geheimnisvoll und herrlich war es sonst hier oben, doch jetzt, so im Dämmerlicht, fand ich es ziemlich gruslig. Außerdem wurde ich langsam müde. Der Sack war schwer, und ich wünschte mir nur, wir wären schon zu Hause. Ich konnte nicht so schnell gehen wie mein Bruder, und nach und nach blieb ich zurück. Schließlich war er mir schon ein gutes Stück voraus, merkte es aber nicht. Er spielte nur munter drauflos. Endlich entdeckte er, dass ich nicht mehr dicht hinter ihm war, und rief:
»Was ist los? Ist der Sack zu schwer?«
Und da rief ich ihm zu – ja, ich schaudere, wenn ich nur daran denke –, ich rief also:
»Ja, er ist so schwer, Lieber würde ich Rupp Rüpel schleppen!«
Oh, wie konnte ich nur so etwas Schreckliches sagen! Warum hatte ich das bloß getan? Gespenster kamen, wenn man sie rief und sie beim Namen nannte, das wusste ich doch! Wie konnte ich nur so dumm sein?
Jetzt kam er bestimmt angeschlichen, hier zwischen den Kiefern, Rupp Rüpel, das grausigste Gespenst in ganz Småland. Jeden Augenblick konnte er hier auftauchen und mit seiner schaurigen Gespensterstimme rufen: »So, du willst mich also tragen? Das kannst du haben!«
Ich versuchte, nach meinem Bruder zu schreien, aber er hörte mich nicht. Er spielte ja, so laut er konnte, auf der Gitarre.
Wir waren jetzt auf dem Weg bergab. Dort am Ende des Hanges stand ein dichtes Gebüsch von Haselsträuchern, durch das wir hindurchmussten, um auf die Landstraße zu kommen. Diesem Gebüsch hatten wir einen besonderen Namen gegeben, mein Bruder und ich. »Hain des Heimwehs« nannten wir dieses Gehölz, wieso, wussten wir nicht, wir fanden, es klang so schön.
Jetzt sah ich meinen Bruder im Heimwehhain verschwinden, und mir war so einsam und bange zumute, und ich fühlte mich so verlassen wie sonst niemand auf der Welt. Ich konnte keinen einzigen Schritt mehr tun. Aber ich wusste, ich wusste ja, dass Rupp Rüpel hier irgendwo im Dunkeln lauerte. Ich musste meinen Bruder einholen. Er war dort drinnen im Haselgebüsch. Ich hörte ihn spielen, und weinend und keuchend stolperte ich ihm nach, hinein in den Heimwehhain. Und da kriegte mich Rupp Rüpel zu packen, ja, das tat er. Mit seinen Gespensterhänden griff er von hinten nach mir und hielt mich fest. Ich schrie, aber er ließ mich nicht los, oh, ich schrie so, dass mir das Blut in den Adern gefror. Jetzt war es aus mit mir, das wusste ich, jetzt gab es keine Rettung mehr.
Doch manchmal geschehen Wunder. Plötzlich hörte ich die Stimme meines Vaters, Papa stand da!
»Aber Kinder, was um alles in der Welt treibt ihr denn hier?«, fragte er.
»Wir waren bei Großmutter«, sagte mein Bruder. Jetzt stand auch er neben mir. »Was hast du denn?«, fragte er.
Er legte mir die Hand um den Nacken, und dann lachte er laut los.
»Du sitzt ja fest«, sagte er. »Guck mal, ein Haselzweig hat sich unter dem Strick festgeklemmt.«
Aber ich konnte nicht lachen. Auch wenn Rupp Rüpel ganz plötzlich verschwunden war. Ich weinte nur, ja, ich weinte, während Papa mich befreite und mir den schweren Sack abnahm, und ich weinte auch noch, als er mich hinunter zur Landstraße trug, wo Pferd und Wagen standen. Doch da trocknete ich meine Tränen und kletterte geschwind auf den Wagensitz. Was für ein Glück, dass Rupp Rüpel verschwunden war und ich meine müden Beine ausruhen konnte. Ja, es war wunderbar, den ganzen Weg nach Hause zu fahren. Manchmal hat man ja wirklich Glück. Papa war in der Mühle gewesen, und die lag nicht weit von Großmutters Häuschen. Auf dem Heimweg hatte er von oben, vom Bergrücken, Gitarrengeklimper und lautes Schreien gehört.
»Und da dachte ich mir: Da sind doch bestimmt die Kinder«, sagte Papa.
Ich saß neben ihm auf dem Kutschbock und hielt seinen Arm ganz fest. Jetzt ging es heimwärts auf dem holprigen Weg, wo der Wagen hüpfte und schaukelte, heimwärts in der Dunkelheit. Und bald war es auch stockfinster. Hinter mir auf der Ladefläche hockte mein Bruder. Er hatte wieder angefangen zu spielen, und jetzt sang er auch dazu:
»Im tiefen, tiefen Walde«, sang er.
Es war eins unserer schönsten Lieder, ein trauriges, von einem armen Kind, das sich im dunklen Wald verirrt hatte.
»Kindlein in der Einsamkeit
weinte sehr, ging zu weit«,
oh, wie traurig und schön es war! Aber zum Glück endete alles gut, das Kind kam schließlich nach Hause. Und mein Bruder zupfte die Saiten und schmetterte fröhlich den Schlussvers:
»Vater, Mutter sind zu Haus,
und jetzt ist der Kummer aus!«
Auch für mich war alles gut ausgegangen, ich weinte nicht mehr in der Einsamkeit unter Kiefern und Haselsträuchern. Und bald waren wir zu Hause, und der Kummer war aus. Und Rupp Rüpel hatte mich auch nicht in seinen Klauen!
Aber den Schrecken hatte ich nicht vergessen. Und als wir beide zu Hause am Küchentisch saßen und Abendbrot aßen, mein Bruder und ich, da fragte ich ihn:
»Glaubst du, dass ich nach alldem auch nicht mehr ganz richtig im Kopf bin?«
»Ach, so einigermaßen schon«, sagte mein Bruder.
Wirklich beruhigt war ich trotzdem nicht.
»Aber die Magd auf dem Pfarrhof, die wurde nie wieder richtig im Kopf, das weißt du!«
Da lachte mein Bruder.
»Na, ganz so übergeschnappt wie die bist du ja nun doch nicht«, sagte er.