Atomgewicht 500 (Science-Fiction-Roman) - Hans Dominik - E-Book

Atomgewicht 500 (Science-Fiction-Roman) E-Book

Hans Dominik

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Beschreibung

Hans Dominiks Roman 'Atomgewicht 500' entführt den Leser in eine futuristische Welt, in der die Menschheit durch die Entdeckung neuer Energiequellen einen enormen technologischen Fortschritt erlebt. Der Autor präsentiert eine faszinierende Vision einer Gesellschaft, die von Atomenergie angetrieben wird und alle bisherigen Konventionen überwindet. Dominiks Schreibstil ist prägnant und detailreich, wodurch er eine immersive Leseerfahrung schafft. 'Atomgewicht 500' steht im Kontext des aufkommenden Genres der Science-Fiction-Literatur und hebt sich durch seine realistische Darstellung von zukünftigen Technologien hervor. Die Verwendung von wissenschaftlichen Konzepten und die Beschreibung innovativer Technologien verleihen dem Roman einen faszinierenden und informativen Charakter. Hans Dominik, ein deutscher Ingenieur und Schriftsteller, zeichnet sich durch sein umfangreiches Wissen im Bereich der Technologie aus. Seine Leidenschaft für wissenschaftliche Entwicklungen und seine Vision von einer fortschrittlichen Gesellschaft spiegeln sich in 'Atomgewicht 500' wider. Als Experte für technische Innovationen war Dominik in der Lage, ein realistisches Bild einer zukünftigen Welt zu malen, das sowohl faszinierend als auch inspirierend ist. Sein Werk zeigt seine Fähigkeit, komplexe wissenschaftliche Konzepte auf verständliche und unterhaltsame Weise zu präsentieren. 'Atomgewicht 500' ist ein fesselnder Science-Fiction-Roman, der sowohl Technikbegeisterte als auch Liebhaber spannender Geschichten ansprechen wird. Durch seine innovative Handlung, beeindruckende Detailgenauigkeit und visionäre Darstellung zukünftiger Technologien bietet das Buch eine einzigartige Leseerfahrung. Hans Dominiks Werk ist ein Muss für alle, die sich für die Möglichkeiten der Technik und die Zukunft der Menschheit interessieren.

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Hans Dominik

Atomgewicht 500

(Science-Fiction-Roman)
Einer der bekanntesten Romane des deutschen Science-Fiction-Pioniers
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Inhaltsverzeichnis

Cover
Titelblatt
Text

»In Gottes Namen los!«

Hart und gepreßt kamen die Worte aus dem Munde Robert Slawters, während seine Rechte den großen Stromschalter umlegte. Wohl an fünfzig Augen folgten der Bewegung seiner Hand und hingen an Meßinstrumenten, die hier und dort aus dem grauen Erdreich herausragten. Nur an diesen Instrumenten ließ sich ja die Wirkung der riesenhaften elektrischen Energie ersehen, der Mr. Slawter, der Chefchemiker der Duport Company, durch eine Schalterbewegung soeben den Weg in die Tiefe der Dammgrube freigegeben hatte.

Ein gefährlicher Versuch war es, der hier unternommen wurde, und von größter Wichtigkeit mußte sein Ausgang für die weiteren Arbeiten der Dupont Company, des zweitgrößten amerikanischen Chemietrustes, werden. Deshalb waren auch mehr Zuschauer zugegen, als sich sonst zu derartigen Experimenten einzustellen pflegen. Da stand Direktor James Alden neben dem Chief Manager Lee Dowd und verfolgte ebenso gespannt das Klettern der Zeiger über die Instrumentenskalen wie die Herren Larry und O’Brien, die andere Abteilungen der Company leiteten. Und hinter ihnen drängte sich die Schar der Assistenten und Laboranten, die alle darauf brannten, das große Ereignis in nächster Nähe mitzuerleben.

Würde es glücken? Würde Mr. Slawter die gewaltsame Umänderung der Materie gelingen, die er unter einem Einsatz von Tausenden von Kilowatt anstrebte? Dann mußten sich für den Konzern ganz neue Aussichten und Arbeitsmöglichkeiten eröffnen. Dann hatte die Company mit einem Schlage einen Vorsprung vor ihrer größten Rivalin, der United Chemical, den diese nicht so leicht wieder einholen konnte.

Das waren die Gedanken, die auch Mr. Spinner, den Nachrichtenchef des Konzerns, bewegten, denn kraft seiner Stellung wußte der ja vielleicht am besten von allen Anwesenden, was man bei der Konkurrenz trieb und wie weit man dort mit dem Problem gekommen war. Aber trotz seines Interesses blieb er vorsichtig im Hintergrund und zog sich noch weiter zurück, als die Zeiger der Meßinstrumente sich mit erschreckender Schnelligkeit dem roten Warnungsstrich auf den Skalenscheiben näherten. Jetzt hatten sie ihn erreicht, jetzt schossen sie darüber hinaus.

Slawter sah es, stutzte … zögerte einen Augenblick, hob die Hand zum Stromschalter, wollte ihn zurückreißen … um eine halbe Sekunde zu spät. Von selbst fielen die Zeiger zurück, die eben noch Drücke von vielen Tausenden von Atmosphären und Riesentemperaturen angaben. Ein Zeichen, daß die Energie auf dem Grunde der tiefen Dammgrube sich bereits selber gewaltsam freie Bahn geschaffen hatte.

Während Robert Slawter den Stromhebel herausriß, ging schon ein Beben und Schüttern durch das festgestampfte Erdreich über der Grube. Ein dumpfes Brausen erschütterte die Luft in der mächtigen Halle. Wie ein Krater hob sich der Boden an einer Stelle, und in mächtigem Schwall brach ein weißlichgelbes Gas aus der Tiefe. Alles vernebelnd, den Atem raubend, erfüllte es im Augenblick die große Halle.

Flucht! – der Gedanke, der alle Hirne beherrschte. Durch das offene Tor stürzten die Menschen ins Freie. Hier kam einer zu Fall, dort wurde ein Direktor von einem Assistenten überrannt. Stand und Rang waren in diesen Sekunden der Panik vergessen, Todesfurcht saß allen im Nacken, ließ die Gestürzten sich wieder aufraffen, zwang alle zu rasendem Lauf.

Erst mitten auf dem Werkhof, weitab von der Stätte des Unheils, kam die wilde Flucht zum Stehen. Mit keuchenden Lungen hielten sie an, sogen die frische Luft ein, sahen Sonne und blauen Himmel über sich und wurden sich bewußt, daß sie dem Verderben entronnen waren.

Mit dem Gefühl der Sicherheit kam die Selbstbesinnung wieder.

Direktor Alden packte Slawter bei der Schulter.

»Was war das, Slawter? Ist’s mißglückt?«

Robert Slawter riß sich zusammen und zwang seine Gedanken in Reih und Glied.

»Die Stahlbombe ist gesprengt, Alden … der Druck stieg zu schnell … die Gasmasken, Tamblyn«, schrie er seinen Assistenten an. »Schnell mit den Gasmasken her, Grimshaw! Howard, schaffen Sie schnell ein paar Rezipienten heran … wir müssen Gasproben nehmen und untersuchen«, wandte er sich wieder an Alden, »wir müssen feststellen, ob das Gas radioaktiv ist. Erst dann können wir sagen, ob der Versuch ein Erfolg oder ein Fehlschlag war.«

Lee Dowd, der Chief Manager, hatte die letzten Worte gehört und zuckte die Achseln.

»Ein Erfolg? Diese Explosion? Mr. Slawter, ich möchte es einen krassen Mißerfolg nennen.«

Robert Slawter warf den Kopf in den Nacken. »Die Explosion ist nebensächlich, Sir. War mein Fehler, ich habe zu spät ausgeschaltet. Die Instrumente haben rechtzeitig gewarnt. Das läßt sich bei zweitenmal vermeiden. Für einen zweiten Versuch können wir die Bombe auch später bauen. Nur darauf kommt’s an, ob die Materie radioaktiv geworden ist.«

Slawter hatte nicht länger Zeit, sich mit Dr. Dowd zu befassen, denn seine Assistenten kamen mit den Gasmasken und Rezipienten zurück. Er stülpte sich eine Maske über, griff einen der gläsernen luftleer gepumpten Rezipienten und lief wieder auf die Halle zu. Tamblyn und Grimshaw rüsteten sich in gleicher Weise aus und folgten ihm. Howard blieb abwartend stehen.

»Wollen Sie Mr. Slawter nicht folgen?« fragte Direktor Alden mit einer leichten Schärfe im Ton.

Howard stand immer noch überlegend und sagte dann zögernd:

»Ich fürchte, Herr Direktor, gegen radioaktive Gase schützen die Masken nicht.«

»Unsinn, Howard, unsere Masken sind gut gegen jedes Gas.«

Der Unwille Aldens kam voll zum Ausbruch, als er weitersprach. »Los, Mann! Seien Sie kein Feigling! Tun Sie, was Ihnen Mr. Slawter befohlen hat.«

Die Stimme und noch mehr der Blick des Direktors veranlaßten Howard, sich die Maske überzustülpen und sich in Bewegung zu setzen. Aber er ließ sich reichlich Zeit auf dem Wege zur Halle, und kaum war er ein paar Schritte in sie eingedrungen, hatte die ersten Gasschwaden erreicht, als er auch schon den Hahn seines Rezipienten öffnete. Zischend drang die ihn umgebende Atmosphäre in das luftleere Gefäß ein. Schnell schlug er den Hahn zu und machte, daß er mit der so gewonnenen Gasprobe wieder ins Freie kam. –

Auf dem Werkhof standen Alden und Lee Dowd zusammen und warteten die weitere Entwicklung der Dinge ab.

»Wenn Howard recht hätte …« bemerkte Lee Dowd nach einiger Zeit. »Wenn Slawter und seine Leute zu Schaden kämen … es wäre eine böse Geschichte …«

»Ich halte es für ausgeschlossen«, versuchte Alden ihn zu beruhigen. »Ich sah, daß sie unsere Universalmasken hatten. Die schützen gegen jede Art von Gas; machen Sie sich keine unnötigen Sorgen, Mr. Dowd.«

Er hatte den Satz kaum beendet, als Howard zurückkam. In der einen Hand hielt er den Rezipienten, in der anderen die Gasmaske, die er sich vom Kopf gerissen hatte. Sein Gesicht war gerötet; es ließ sich nicht sagen, ob von dem schnellen Laufen oder aus irgendeinem andern Grunde.

»Ein Unglück, Direktor Alden«, keuchte er atemlos, »die andern liegen bewußtlos bei der Dammgrube.«

Lee Dowd preßte die Lippen zusammen und blickte Alden an. Bevor er noch etwas zu sagen vermochte, griff Alden nach der Gasmaske in Howards Hand. Er wollte sie überstülpen, damit zu der Halle eilen, als Larry und O’Brien sich ins Mittel legten und ihn festhielten.

»Keinen Schritt weiter, Mr. Alden! So geht das nicht …«

Mit Gewalt wollte Direktor Alden sich befreien, aber die beiden packten nur um so fester zu.

»Sie würden auch in den Tod laufen«, schrie ihn O’Brien an. Larry aber rief nach Sauerstoffapparaten. Er hetzte seine Assistenten über den Platz, um die Apparate so schnell wie möglich herbeizuschaffen.

»Lauft, was ihr könnt, Jungen«, brüllte er ihnen nach, »ihr rennt um das Leben eurer Kameraden.«

Im Arbeitszimmer des Präsidenten der United Chemical, Henry Chelmesford, fand eine Besprechung statt. Seit fünf Minuten beklagte sich Professor Melton, der Chefchemiker des großen Trusts, bei Chelmesford über die Eigenwilligkeit eines Untergebenen.

»Well, Professor«, unterbrach ihn der Präsident ungeduldig, »werfen Sie den Mann ’raus, wenn er Ihnen Schwierigkeiten macht.«

Professor Melton suchte noch nach Worten für eine Entgegnung, als sich der dritte Mann im Zimmer, Direktor Clayton, einmischte.

»Ich rate dringend davon ab, Chelmesford. Wenn wir Doktor Wandel heut entlassen, tritt er morgen bei den Duponts ein.«

Präsident Chelmesford warf dem Direktor einen scharfen Blick zu, als der Name des Konkurrenzunternehmens fiel. Ärgerlich stieß er die Frage hervor:

»Wie kommen Sie auf die Dupont Company, Clayton?«

»Weil ich weiß, wie scharf die Company hinter Doktor Wandel her ist. Vielleicht erinnern Sie sich daran, daß ich es war, der den Deutschen für unsern Konzern gewann. Nach meiner Meinung ist er der geeignetste Mann für unsere neuen Arbeiten.«

»Was sagen Sie dazu?« fragte Chelmesford den Professor. Stockend antwortete der, während seine Blicke unsicher zwischen den beiden Direktoren hin und her gingen: »Ich kann nicht leugnen, daß Doktor Wandel über hervorragende Kenntnisse verfügt. Aber er widersetzt sich bei jeder Gelegenheit meinen Anordnungen … will alles nach seinem Kopf machen … überwirft sich mit meinen Assistenten …« Wieder mußte Professor Melton nach Worten suchen und konnte sie nicht recht finden. »So kann es mit diesem Doktor unmöglich weitergehn«, schloß er unvermittelt seine Rede.

»Also? Was soll geschehen?« fragte der Präsident.

»Ich werde mir den Doktor kommen lassen, Mr. Chelmesford, und unter vier Augen ein ernstes Wort mit ihm sprechen«, schlug Clayton vor, »ich glaube, ich habe einigen Einfluß auf ihn.«

»Ach ja, Herr Direktor! Tun Sie das«, sagte der Professor. »Hoffentlich gelingt es Ihnen, den überspannten Menschen zur Vernunft zu bringen. Sonst weiß ich nicht, was aus der Sache noch werden soll.«

Während diese Besprechung beim Präsidenten der United Chemical stattfand, stand Dr. Wandel, der Mann, um den es dabei ging, in dem neuen Versuchslaboratorium und überwachte die Aufstellung eines großen Autoklavs. Mammuthaft wirkte das mächtige Stahlgußgebilde, wie es da von den schweren Ketten zweier Deckenkrane langsam Zoll für Zoll auf die vorbereiteten Fundamente abgesenkt wurde. Knirschend nahm das Mauerwerk das gewaltige Gewicht auf, und die Ketten entspannten sich.

Schon bewegten sich die beiden Krane, von ihrer Last befreit, nach der Giebelwand des großen saalartigen Raumes hin, während Dr. Wandel das Fundament langsam umschritt und das kugelförmige Stahlgefäß von allen Seiten betrachtete. Schimmernd und glänzend ruhte es wie ein Sinnbild verhaltener Kraft auf seinen Fundamenten, aber dem Doktor schien es nicht zu gefallen.

Während er es betrachtete, vertieften sich die Falten auf seiner Stirn, und von seinen Lippen fielen halblaut Worte, die für Professor Melton keine Schmeichelei bedeuteten.

»Hallo, Doktor! Ein feines Stück, das die Bedlam-Stahlwerke uns da geliefert haben. Meinen Sie nicht auch?«

Die Worte kamen von einem der Laboratoriumstische her, an dem Phil Wilkin, der Erste Assistent Professor Meltons, mit allerlei Retorten und Reagenzgläsern hantierte. Dr. Wandel konnte den hämischen Zug nicht bemerken, der dabei um Wilkins Lippen spielte. Er war eben auf dem Wege zu der anderen Saalwand, um sich eine Leiter zu holen.

»Ein feines Stück, nicht wahr, Doktor?« wiederholte Wilkin seine Frage, als der Deutsche zurückkam. Ohne dem Assistenten zu antworten, lehnte der die Leiter gegen den Autoklav und stieg auf ihr empor. Oben angekommen, zog er eine Zeichnung aus seinem Rock, verglich sie kopfschüttelnd und achselzuckend mit dem Verschlußdeckel des Autoklavs und stopfte sie mit einer ärgerlichen Bewegung wieder in die Tasche.

»Ein erstklassiges Stück, nicht wahr?« stellte der Assistent die Frage zum drittenmal, als der Doktor von der Leiter herunterkam.

»Eine erstklassige Schweinerei ist’s, wenn Sie’s genau wissen wollen, Wilkin!« rief Dr. Wandel wütend. »Aber ich werde …«

In seine Worte schrillte das Telephon. Wilkin nahm den Hörer ab, lauschte einen Augenblick, antwortete dann:

»Jawohl, Herr Direktor, Herr Doktor Wandel ist hier. Soll ich ihn an den Apparat rufen? … So, nicht nötig? Danke schön, Schluß!« Er legte den Hörer wieder auf und wandte sich an Dr. Wandel.

»Sie möchten zu Direktor Clayton kommen, er erwartet Sie in seinem Zimmer.«

Der Doktor streifte den weißen Laborantenmantel ab und verließ den Raum. An der Tür prallte er beinahe mit dem irischen Laboratoriumsdiener MacGan zusammen. Verwundert blickte der Sohn der Grünen Insel dem eilig Weiterschreitenden nach.

»Der Deutsche scheint heute schlechte Laune zu haben«, konnte er sich nicht enthalten zu Wilkin zu bemerken.

»Ich vermute, MacGan«, erwiderte ihm der Assistent, »seine Laune wird in der nächsten Viertelstunde noch schlechter werden. Hoffentlich nimmt Direktor Clayton kein Blatt vor den Mund und sagt ihm gehörig die Meinung.«

Leise vor sich hinpfeifend, machte sich Wilkin wieder an seinem Tisch zu schaffen und zeigte keine Neigung, das Gespräch fortzusetzen.

Armer Dutchman, du hast keinen leichten Stand bei den Yankees, dachte der Ire bei sich, während er daranging, die Flaschen und Mensuren in einem Schrank zu ordnen. – –

»Ich habe Sie zu mir gebeten«, empfing Direktor Clayton Dr. Wandel bei seinem Eintritt, »um Mißverständnisse aus dem Wege zu räumen, die offenbar zwischen Ihnen und Professor Melton bestehen.«

Empörung und Verdruß malten sich in den Zügen des Doktors, während er dem Direktor gegenüber Platz nahm.

»Die Ursache dazu liegt nicht bei mir, Mr. Clayton«, erwiderte er mit kurzem Achselzucken. »Es wäre vielleicht richtiger, wenn Sie mit Professor Melton darüber sprächen.«

»Das ist eben geschehen, Herr Doktor. Der Professor hat sich in meiner Gegenwart bei dem Präsidenten über Sie beklagt. Ich habe es darauf übernommen, auch mit Ihnen zu sprechen. Sie wissen, Doktor Wandel, mit welchen Erwartungen und Hoffnungen ich Sie zur United Chemical geholt habe. Es wäre für mich nicht angenehm, wenn ich nachträglich eine Enttäuschung erleben sollte.«

Während Clayton sprach, fand Dr. Wandel Zeit, sich zu sammeln. Die Röte aus seinem Gesicht war gewichen, und sein Atem ging ruhiger, als er antwortete:

»Sie wissen auch, Herr Direktor, mit welchen Ideen und Plänen ich zu Ihrem Konzern gekommen bin. Doch was nutzt das, wenn ich sie nicht nach eigenem Ermessen ausführen kann? Ich weiß nicht, ob ich gegen Unwissenheit oder Böswilligkeit zu kämpfen habe, aber gegen eins von beiden sicherlich. Das steht für mich außer Zweifel.«

Stahlhart traf sein Blick während der letzten Worte den Claytons, bis der die Augen senkte.

»Ich begreife nicht recht, Herr Doktor, wie Sie etwas Derartiges behaupten können,« begann der Direktor von neuem. »Wir sind doch auf ihre Ideen eingegangen. Auf meine Veranlassung wurden die erheblichen Mittel für die Beschaffung des von Ihnen gewünschten Autoklavs zur Verfügung gestellt. Der Apparat wurde nach Ihren Zeichnungen gefertigt. Er ist meines Wissens inzwischen …«

»Er wurde nicht nach meinen Zeichnungen gefertigt«, fiel ihm Dr. Wandel ins Wort, »man ist von meinen Plänen abgewichen, … in einer Weise abgewichen, Mr. Clayton, daß ein Erfolg der beabsichtigten Versuche von Anfang an in Frage gestellt ist. Ich weiß nicht, auf wessen Veranlassung es geschah. Die Verantwortung dafür hat jedenfalls Professor Melton zu tragen.«

Während er sprach, zog Dr. Wandel einen Plan aus der Tasche und schob ihn dem Direktor hin.

»Das hier ist meine Zeichnung. Gerade jetzt mußte ich mich davon überzeugen, daß man sehr wesentlich von ihr abgewichen ist, ohne mir vorher ein Wort davon zu sagen.«

Clayton blickte unschlüssig auf die Zeichnung.

»Ich werde Professor Melton ersuchen, mir seine Gründe dafür anzugeben«, sagte er beschwichtigend.

»Er wird um Gründe nicht verlegen sein. Ich habe noch nicht erlebt, daß es Professor Melton an Gründen, sagen wir lieber Beschönigungen, für seine verkehrten Maßnahmen gefehlt hätte« brauste Dr. Wandel von neuem auf.

»Beruhigen Sie sich, Doktor!« fiel ihm Clayton ins Wort. »Man kann wissenschaftliche Fragen doch objektiv und in aller Ruhe besprechen.«

Der Doktor lehnte sich in seinen Sessel zurück.

»Also, bleiben wir objektiv, Mr. Clayton! Bei den Besprechungen, die meinem Eintritt in die United Chemical vorausgingen, waren wir beide uns über das Arbeitsprogramm völlig einig: man muß die geeignete Materie ganz außergewöhnlich hohen Drücken und Temperaturen aussetzen, wenn man das gesteckte Ziel erreichen will.«

Clayton nickte. »So ist es, Doktor Wandel, ich habe nicht vergessen, was Sie mir damals über die Forschungsergebnisse unseres berühmten Eddington mitteilten. Doch ich sagte Ihnen auch sofort, daß wir die Milliarden von Atmosphären und Temperaturgraden, die dieser Astronom im Innern der Weltensonnen voraussetzt, in einem irdischen Laboratorium niemals erreichen können.«

»Ihr Einwand ist berechtigt, Mr. Clayton. Aber wir müssen die Drücke und Temperaturen so hoch wie nur irgend möglich treiben. Wir müssen versuchen, im Laboratorium den von Eddington angenommenen Verhältnissen möglichst nahezukommen, wenn wir Erfolg haben wollen. Gerade daraufhin hatte ich den neuen Autoklav konstruiert. Ich muß mich bitter darüber beklagen, daß man hinter meinem Rücken von meinen Plänen abgewichen ist.«

Der Direktor rieb sich die Stirn. »Eine dumme Geschichte, Doktor Wandel. Lassen Sie doch die Dinge während der nächsten Wochen laufen, wie sie wollen. Wenn es Fehlschläge gibt, wird Professor Melton selber einsehen, daß er unrecht hat …«

»Und dann versuchen, mir seine Fehler mit allen Mitteln in die Schuhe zu schieben. Ich bin aber nicht gewillt, die Suppe auszulöffeln, die er eingebrockt hat.«

»Davor werde ich Sie schützen, Herr Doktor.« Clayton griff nach Bleistift und Papier. »Ich nehme Ihre heutigen Erklärungen zu meinen Akten. Widersprechen Sie einstweilen Professor Melton nicht. Lassen Sie ihn die Versuche nach seinen Anweisungen ausführen. Sollte es so kommen, wie Sie es fürchten, werde ich dies Blatt hier zu Ihrer Entlastung auf den Tisch legen und darauf dringen, daß man dann nach Ihren Vorschlägen arbeitet.«

Direktor Clayton wollte die Besprechung damit beenden, aber Dr. Wandel hatte noch etwas auf dem Herzen.

»Bedenken Sie auch, Mr. Clayton«, erwiderte er, »daß wir auf diese Weise wahrscheinlich Wochen und Monate verlieren werden. Sie könnten uns sehr fehlen, wenn andere Stellen, die an demselben Problem arbeiten, inzwischen Erfolg haben.«

Clayton machte eine beschwichtigende Handbewegung.

»Die Gefahr halte ich nicht für groß. So schnell wird es den andern auch nicht gelingen. Vermeiden Sie jetzt offenen Krach mit Professor Melton. Lassen Sie ihn sich totlaufen, dann wird Ihre Zeit ganz von selber kommen.«

Dr. Wandel erhob sich. »Ich danke Ihnen für Ihre Vermittlung und Ihren Rat, Herr Direktor«, sagte er beim Abschied; »ob meine Nerven allerdings der Geduldsprobe gewachsen sein werden, die Sie mir auferlegen, das kann ich Ihnen nicht mit Sicherheit versprechen.«

Und dann war Direktor Clayton allein in seinem Zimmer. Bedächtig steckte er die Notiz über die soeben beendigte Unterredung in seine Akten. Im Selbstgespräch kamen dabei abgerissene Worte von seinen Lippen. »Vielleicht hat der Deutsche recht … ich fürchte, Melton ist ein Esel … hoffentlich muß die United nicht die Zeche bezahlen …«

Nach dem Lunch kam Professor Melton in das Laboratorium zurück. Er war gespannt darauf, zu erfahren, wie die Unterredung mit Direktor Clayton auf seinen Untergebenen gewirkt hatte. Ob der eigensinnige Doktor nun endlich klein beigeben und sich seinen Anweisungen ohne lästigen Widerspruch fügen würde? Professor Melton wünschte es, aber er gab sich selbst keinen allzu großen Hoffnungen nach dieser Richtung hin. Erwartungsvoll betrat er den Raum und schaute sich nach allen Seiten um. Von dem Deutschen war nichts zu sehen.

»Wo ist Doktor Wandel?« fragte er Wilkin.

»Er ist fortgegangen, Herr Professor. Er bat mich, ihn für den Nachmittag bei Ihnen zu entschuldigen.«

Melton stutzte. Sollte es gar nicht zu der Unterredung gekommen sein, auf deren Ausgang er so neugierig war?

»Wann ist Doktor Wandel fortgegangen?« wollte er weiter wissen.

»Vor einer Viertelstunde, Herr Professor. Er wurde zu Direktor Clayton gerufen. Kam danach zurück, nahm seinen Hut und erklärte kurz, daß er einen Gang in die Stadt machen müßte.«

Eine Weile stand Melton nachdenklich da. Die Besprechung hatte also stattgefunden. Hoffentlich hatte Direktor Clayton dem Deutschen gehörig den Kopf gewaschen. Aber warum war er danach fortgegangen? Das sah nicht gerade nach innerer Zerknirschung und Besserung aus.

»Fiel Ihnen etwas Besonderes an Doktor Wandel auf? War er erregt … oder schlechter Laune?« fragte Melton vorsichtig weiter. Wilkin beobachtete ihn dabei forschend von der Seite.

»Nichts Besonderes, Herr Professor«, erwiderte er nach kurzem Überlegen. »Schlechter Laune war er eigentlich mehr vorher, ehe er zu Direktor Clayton gerufen wurde, als er sich den Autoklav hier besah. Als er zurückkam, schien er mir ganz ruhig zu sein.«

»So, Mr. Wilkin. Also war der Herr Doktor schlechter Laune. Wie hat sich das denn geäußert?«

Wilkin zauderte.

»Ich weiß nicht, Herr Professor, ob ich recht daran tue, es Ihnen zu sagen … es handelte sich dabei um den neuen Autoklav …«

»Bitte, keine falsche Scheu, Mr. Wilkin! Ich möchte einen genauen, möglichst wortgetreuen Bericht von Ihnen.«

Der Assistent zuckte die Achseln.

»Wenn Sie es durchaus wünschen, Herr Professor … es war nicht gerade fein, was Doktor Wandel über den neuen Apparat sagte …«

»’Raus mit der Sprache, Wilkin! Was hat Doktor Wandel gesagt?«

»Er nannte es eine erstklassige Schweinerei, Herr Professor.«

Während Wilkin sprach, beobachtete er Melton unter halb gesenkten Lidern und sah, wie der abwechselnd rot und blaß wurde.

»Das war vor der Unterredung mit Direktor Clayton?« fragte er kurz.

»Vor der Unterredung, Herr Professor.«

»Sie können diese Äußerung nötigenfalls auch vor andern bezeugen, Mr. Wilkin?«

»Selbstverständlich, Herr Professor. Ich habe sie deutlich gehört und Wort für Wort im Gedächtnis.«

Wieder arbeitete es in den Zügen Meltons, und er überlegte eine ganze Weile, bevor er seinem Entschluß Ausdruck gab.

»Nun gut, mein lieber Wilkin, dann wollen wir die Konsequenzen daraus ziehen. Wir wollen es Herrn Doktor Wandel nicht zumuten, mit einem Apparat zu arbeiten, den er so absprechend beurteilt. Wir beide werden zusammen die Versuche mit dem neuen Autoklav machen. Gelingen sie so, wie ich es hoffe, dann …«

Er scheute sich in Gegenwart des Assistenten auszusprechen, was er weiter dachte, nämlich, daß der querköpfige Doktor dann wohl endlich sein Bündel schnüren und sich zum Teufel scheren würde. Und Phil Wilkin bildete für sich auch einen ganz andern Schluß zu dem Satz. Dann werden wir beide den Ruhm und den Gewinn von der Sache haben, dachte der Assistent für sich. Dann kommt die Zeit der fetten Tantiemen und Beteiligungen, und ich werde ein ebenso großes Tier sein wie Professor Melton.

Mit raschem Griff warf George Larry den Sauerstoffapparat über, griff nach einem Ventil und drehte daran. Zischend drang reiner Sauerstoff aus dem stählernen Tornister auf Larrys Rücken in die luftdichte Gesichtsmaske. Er tat ein paar tiefe Atemzüge, um sich zu überzeugen, daß das Gerät richtig arbeitete, und eilte dann auf die Halle zu. Mochte das Teufelsgas da drinnen sein, von welcher Art es wollte, im Schutz der Sauerstoffmaske fühlte er sich sicher. Nur darauf war sein Sinnen gerichtet, die Verunglückten schnell aus der vergifteten Atmosphäre herauszubringen, denn Sekunden konnten über Leben oder Tod entscheiden.

Noch lagen dichte weißlich-gelbe Schwaden in dem Raum, als er die Halle betrat; nur undeutlich vermochte er die Gestalten der Gesuchten zu erkennen. Hingesunken, wie leblos lagen sie bei der Dammgrube. Er griff nach dem ersten, nächsten – es war der Assistent Grimshaw – und trug ihn ins Freie. Traf dabei auf zwei andere Leute, die sich ebenfalls mit Sauerstoffapparaten ausgerüstet hatten. Einem von ihnen drückte er den hilflosen Körper Grimshaws in die Arme und lief mit dem andern in die Halle zurück. Gleich danach waren auch Slawter und Tamblyn geborgen.

Schon kamen Sanitätsmannschaften des Werkes mit Tragbahren heran. Die Verunglückten wurden darauf gebettet. An vielen Stellen zugleich griffen die geübten Hände der Samariter zu. Die Gasmasken wurden den Regungslosen abgenommen. Hier wurde nach dem Puls gegriffen, dort künstliche Atmung eingeleitet, und nach langen, bangen Minuten machten sich die ersten Lebenszeichen bemerkbar, ein schwacher Pulsschlag bei dem einen, ein leichtes Röcheln bei dem andern, das kaum merkliche Zucken einer Muskel bei dem dritten.

Man brachte sie in das Werklazarett, wo ein Stab von Ärzten sich um die immer noch Bewußtlosen bemühte. In einer merkwürdigen, bisher unbekannten Weise hatte das unheimliche Gas, das beim Bersten der Bombe frei wurde, auf sie gewirkt. Schon, daß es glatt durch die Masken drang, war überraschend, und nicht minder eigenartig seine Auswirkung auf den betroffenen Organismus.

Die ärztliche Untersuchung konnte schnell feststellen, daß alle jene Verbrennungen, Verätzungen und Vergiftungserscheinungen, die sonst wohl von Gasen hervorgerufen wurden, fehlten. Aber der gesamte Nervenapparat der Verunglückten schien in Unordnung geraten zu sein. Bald drohte bei einem der Herzschlag zu stocken, um dann plötzlich wieder in rasendem Tempo zu laufen. Bald setzte bei einem andern die Atmung aus und mußte künstlich wieder in Gang gebracht werden. Dann wieder erschütterten schwere Krämpfe die ganze Muskulatur. Unaufhörlich mußten die Ärzte auf der Wacht sein, um die beängstigenden Symptome sofort mit geeigneten Mitteln zu bekämpfen.

Würde es ihnen gelingen, den Sensenmann zu vertreiben? Viele sorgenvolle Stunden hindurch blieb die Frage unentschieden. Erst nach Tagen begann die rätselhafte Störung, die das unbekannte Gas in den Körpern der Patienten verursacht hatte, zu weichen, und allmählich fing ihr Organismus wieder an normal zu arbeiten. Ein Tag kam dann – es war der siebente, seitdem der Unfall in der Dammgrube geschah –, da war die Krise überwunden. Slawter und seine beiden Assistenten waren dem Leben zurückgegeben und durften zum erstenmal ihr Lager verlassen.

Etwas blaß und schwach noch saß Slawter in einem Lehnstuhl, als ihm George Larry gemeldet wurde. Während der Besucher Worte der Teilnahme und Glückwünsche zur Genesung vorbrachte, hingen die Blicke Slawters an dem Gesicht des anderen. Dann konnte er nicht länger an sich halten und unterbrach dessen Rede jäh mit einer Frage.

»Haben Sie das Gas untersucht, Larry?«

Der nickte. »Wir haben es untersucht und alle wesentlichen Daten festgestellt. Ihr Versuch ist trotz des unglücklichen Zufalls gelungen.«

»Gelungen, Larry? Was haben Sie gefunden?«

In freudiger Bewegung wollte Slawter sich erheben; er war aber noch zu schwach dazu und sank in seinen Stuhl zurück. »Sprechen Sie! Sagen Sie mir, was Sie fanden!« stieß er erregt hervor.

»Das Gas ist stark radioaktiv, Mr. Slawter. Einen Teufelsstoff haben Sie in Ihrer Bombe zusammengebraut. Seine Gammastrahlung schlägt durch zölliges Blei. Ein Glück, daß wir’s sofort merkten und uns schützten. Es hätte sonst noch böse Verbrennungen im Laboratorium geben können … es ist kein Wunder, daß dieses Gas Sie trotz Ihrer Maske sofort betäubte und für Tage aufs Krankenlager geworfen hat. Seine Ausstrahlung ist ganz enorm …«

»Weiter, Larry, weiter!« drängte Slawter ungeduldig. »Das Wichtigste! Sie wissen, was ich meine.«

»Das Atomgewicht? Zweihundertzweiundvierzig! Vier Einheiten über dem Uran. Meinen Glückwunsch, Slawter! Es ist Ihnen als erstem gelungen, einen Stoff herzustellen, den es auf der Erde und in irdischen Verhältnissen bisher nicht gab.«

Zum zweitenmal versuchte Slawter aufzustehen, und wiederum zwang ihn die Schwäche zurück.

»Kann ich Ihre Analysen sehen, Larry?« stöhnte er, verzweifelt über sein körperliches Unvermögen.

»Ich habe sie Ihnen mitgebracht«, erwiderte Larry und zog ein Schriftstück aus seiner Mappe. »Hier sind die Protokolle über unsere Untersuchungen. Wie Sie sehen …« er deutete auf Zeitangaben in den Aufzeichnungen, »haben wir uns gleich nach dem Unfall an die Arbeit gemacht. Hier haben Sie alle Strahlungsmessungen, und hier …« er schlug mehrere Seiten um, »finden Sie die Feststellung des Atomgewichtes. Wir haben es nach mehreren Methoden bestimmt und einwandfrei das Resultat ermittelt, das ich Ihnen eben nannte.«

Slawter nahm ihm das Schriftstück aus der Hand. Während er darin blätterte, liefen seine Blicke gespannt über die Zeilen der einzelnen Seiten, als dürfe er sich kein Wort entgehen lassen. Nun war er mit der Durchsicht zu Ende und ließ das Papier sinken.

»Alle Hochachtung, Sie haben fabelhaft schnell und exakt gearbeitet, Larry. In knapp zehn Stunden alles Wichtige festgestellt … aber …« er warf Larry einen fragenden Blick zu, »ist das alles? Haben Sie in der Woche, die wir hier auf der Nase lagen, nicht noch mehr Untersuchungen mit dem Gas angestellt?«

Larry zuckte die Achseln.

»Ich fürchte, Slawter, ich muß Ihnen eine Enttäuschung bereiten. Das neue Element …« er machte einen Versuch zu scherzen »… ich schlage vor, daß wir es zu Ehren seines Schöpfers und Entdeckers ›Slawterium‹ nennen, hat nur eine sehr kurze Lebensdauer. Sein Zerfall in Uran und Helium geht ganz rapide vonstatten. Die ungemein starke Strahlung ließ uns sofort etwas Derartiges vermuten, und schon nach der ersten halben Stunde fanden wir unsern Verdacht bestätigt. Beinahe zusehends nahm die Menge der strahlenden Substanz in den Rezipienten ab. Wir mußten uns mächtig dranhalten, um überhaupt noch die Feststellungen zu treffen, die Sie hier im Protokoll finden« – Larry deutete, während er weitersprach, auf Photos in dem Protokoll –, »das Spektrum konnten wir in der zehnten Stunde eben noch mit Not und Mühe auf die lichtempfindlichste Platte bringen. Dann war die etwa noch vorhandene Menge des neuen Elementes unter die Grenze der Nachweisbarkeit gesunken.«

Slawters Rechte klammerte sich um die Sessellehne.

»Kein Gas mehr in den Rezipienten, Larry? Alles verschwunden, zerfallen? Dann war es doch ein Mißerfolg.«

Larry schüttelte abweisend den Kopf.

»Wie können Sie das behaupten, Slawter! Es liegt doch im Wesen aller strahlenden Materie, daß sie zerfällt und verschwindet.«

»Aber nicht so, Larry! Das habe ich mir ganz anders gedacht … O diese verwünschte Schwäche, wenn ich nur erst wieder Herr meiner Glieder wäre! Wir müssen neue Versuche machen … mit kräftigeren Bomben arbeiten, andere, viel stärkere Stoffe von längerer Lebensdauer herstellen …«

Ein Arzt kam in den Raum. Er hatte die letzten Worte noch gehört und bedeutete Larry, seinen Besuch zu beenden.

»Für heut ist’s genug, Mr. Larry. Unser Patient ist eben erst über den Berg und braucht noch Schonung. In acht Tagen vielleicht, mein lieber Slawter, werden Sie das erstemal wieder in Ihr Laboratorium gehen dürfen. Vorläufig gehören Sie noch ins Bett.«

In einem Punkt war dem Assistenten Wilkin bei seinem Bericht an Professor Melton ein Irrtum unterlaufen. Dr. Wandel war keineswegs ruhig, als er von der Unterredung mit Direktor Clayton in das Laboratorium zurückkam. Es stürmte in seinem Innern, und nur mit Mühe vermochte er äußerlich die Ruhe zu bewahren. ’Raus! Ins Freie! Andere Menschen sehen! waren seine Gedanken, als er nach Hut und Stock griff und das Laboratorium verließ.

Vor dem großen Portal der United Chemical blieb er aufatmend stehen. Das Werk des Konzerns, in dem er tätig war, lag im Südostviertel von Detroit, nicht allzu weit von dem Saint-Clair-See entfernt, den der Detroit River auf seinem Wege zum Eriesee durchfließt. In tiefen Zügen sog Dr. Wandel die kühle klare Luft ein und schritt die Uferpromenade neben dem Fluß entlang Während er weiter durch die parkartigen Anlagen ging, die sich bis zum Saint-Clair-See hinziehen, überdachte er seine Erlebnisse während der letzten Zeit.

… Von einem Vertrauensmann Claytons veranlaßt, aussichtsvolle Verhandlungen mit der Dupont Company abzubrechen und zur U. C. zu kommen … von Direktor Clayton mit turmhohen Versprechungen, von Professor Melton reichlich kühl empfangen … dann die drei Monate Arbeit in dessen Laboratorium. Vom ersten Tage an fühlte er, daß er gegen unsichtbare Widerstände zu kämpfen hatte. Man sagte ja zu allen seinen Vorschlägen und Plänen, aber man verzögerte ihre Ausführung, machte eigenmächtige Abänderungen … und nun endlich dieser letzte Streich mit dem Autoklav. Sollte er der Bande den ganzen Kram einfach hinwerfen? … Die Verhandlungen mit der Dupont Company wiederaufnehmen? … Gründe dafür waren genug vorhanden, doch wer konnte wissen, wie er’s dort treffen würde?

Auf jeden Fall bedeutete es, die Arbeit der letzten Monate verloren zu geben und wieder von neuem zu beginnen …

Dr. Wandel blieb stehen und riß den Hut vom Kopf. Sein Blick ging über den sonnenbeschienenen Park und die große Autostraße, die sich hier dem Fluß näherte, ohne daß er sich des schönen landschaftlichen Bildes recht bewußt wurde. Wie zwangsläufig arbeitete sein Gehirn weiter.

Von der United weggehen? … Hieß das nicht vor den Widersachern die Waffen strecken, sich für besiegt erklären? … Nein! So weit war es noch nicht mit ihm. Wenn die andern den Kampf wollten, sollten sie ihn haben. Ein leichtes Ringen würde es nicht sein, selbst wenn Direktor Clayton fest zu ihm hielt, darüber war er sich klar. Trotzdem … so oder so … er wollte es bis zu Ende durchhalten …

Der Weg, auf dem er dahinging, lief jetzt dicht neben der Autostraße entlang. Ein kräftiges Hupen hinter ihm ließ ihn stehenbleiben und sich umschauen. Ein Kraftwagen hielt neben ihm am Straßenrand; der Mann, der am Steuer des Wagens saß, streckte ihm die Rechte entgegen.

»Habe ich mich doch nicht getäuscht, Sie sind’s, Doktor? Konnte mir erst nicht recht denken, daß Sie hier spazierengehen, statt zwischen Ihren Retorten und Tiegeln im Labor zu stecken.«

»Wir haben uns lange nicht gesehen, Mr. Schillinger«, sagte Dr. Wandel, während er ihm kräftig die Hand drückte.

»Rund drei Monate, Doktor! Wollte Sie immer schon mal aufsuchen, aber Sie wissen ja …« er lachte und ließ dabei zwei Reihen blendend weißer Zähne sehen. »In den Staaten hat kein Mensch Zeit. Sie sind doch noch bei der United?«

»Immer noch, Mr. Schillinger. Habe ein Vierteljahr unentwegt im Labor gesteckt. Habe mir heut zum erstenmal einen freien Nachmittag genommen.«

»Großartig, Doktor!« Mr. Schillinger öffnete die Wagentür. »Steigen Sie ein und fahren Sie mit! Ich habe einen kleinen Trip zum See vor. Will da mal nach dem Rechten sehen. Ich denke, unser neues Werk wird Sie auch interessieren. Unterwegs können wir gemütlich plaudern. Haben Sie neue Nachrichten von den Verwandten in Deutschland?«

Dr. Wandel folgte der Einladung und nahm neben dem Fahrer Platz. Mit einem Ruck sprang der starke Wagen an und eilte im Hundertkilometertempo über die Autostraße dahin. Mit Behagen ließ der Doktor sich den kräftigen Fahrwind um die heiße Stirn wehen und fühlte, wie seine üble Laune allmählich einer gleichmäßig ruhigen Stimmung wich.

Ein wenig trugen dazu auch die Fragen bei, die Joe Schillinger während der Weiterfahrt an ihn stellte. Der alte Schillinger war in Deutschland mit dem Vater Dr. Wandels eng befreundet gewesen und später nach den Staaten ausgewandert. Das lag jetzt rund ein Menschenalter zurück, aber die Verbindung mit den deutschen Freunden war durch Besuche in der alten Heimat immer wieder aufgefrischt worden und lebendig geblieben. Auch Joe Schillinger, obwohl in den Staaten geboren, sprach fließend Deutsch, und als Dr. Wandel vor etwa einem halben Jahr nach Detroit kam, wurde er in dessen Haus mit offenen Armen empfangen. Jetzt machte er sich fast Vorwürfe, daß er diese Freundschaft so lange vernachlässigt hatte.

»In der Fabrikation wollen wir Mr. Ford keine Konkurrenz machen«, sagte Joe Schillinger, während der Wagen am Ufer des Saint-Clair-Sees entlangrollte, »aber was die Reparaturen betrifft, da können wir ihm schon einiges vormachen. In unserm neuen Werk haben wir sogar Martinöfen und Schmiedepressen aufgestellt. Wenn uns jetzt jemand seinen verbeulten Wagen bringt, brauchen wir nicht erst über tausend Meilen nach Ersatzteilen zu telegraphieren. Wir stellen sie schneller und ebenso billig her.«

Während Schillinger das sagte, ging Dr. Wandel ein Gedanke durch den Kopf. Unbestimmt und verschwommen zuerst noch, doch während der andere weitersprach, nahm die Idee immer festere Formen an.

»Martinöfen und Schmiedepressen«, meinte er, als Schillinger mit seiner Werkschilderung zu Ende war, »das ist interessant, die würde ich gern mal sehen.«

»Kann geschehen, Doktor, da liegt das Werk ja schon vor uns. Zum Kaffee ist’s ohnehin noch zu früh. Wenn’s Ihnen recht ist, sehen wir uns die Sache gleich mal an.«

Der Wagen hatte inzwischen das Tor erreicht und rollte über den weiten Werkhof. Langgestreckte Schuppen zu beiden Seiten machten weit eher den Eindruck einer großen Fabrik als einer einfachen Reparaturwerkstätte. Mehrere hundert Wagen standen in Reihen ausgerichtet auf dem Hof. Die einen noch in dem bedauernswerten Zustand, in dem sie von ihren Besitzern eingeliefert wurden, die andern schon wieder schmuck und schön, bereit zu neuen Fahrten.

»Ach ja! Gott sei Dank wird allerhand in den Staaten entzweigefahren«, sagte Schillinger mit einem Blick auf die Wagenmengen. »Wir machen ein gutes Geschäft damit.«

Durch endlose Hallen und Werkstätten führte er seinen Gast. Nicht ohne Stolz wies er auf das laufende Band in der Lackiererei, in der ein paar Dutzend Werkleute mit Spritzpistolen arbeiteten. Äußerlich noch unansehnlich kamen die reparierten Wagen an der einen Seite auf das Band. Dann zischten die Pistolen in den Händen der Arbeiter, ein Farbnebel spielte um das einzelne Fahrzeug, hier ein lichtes Grün, dort ein schimmerndes Rot oder ein sattes Blau, und schon wenige Minuten später liefen sie, mit einem neuen, spiegelnden Lackbezug versehen, vom andern Ende des Bandes ab.

Es war gewiß eine technische Leistung ersten Ranges, doch Dr. Wandel folgte den Erklärungen seines Freundes nur mit halbem Ohr. Es drängte ihn, weiterzukommen, und nachdem sie noch zehn andere Hallen durchwandert hatten, erreichten sie auch glücklich die Schmiede.

Gigantisch ragte in der Mitte des hohen Raumes das Gestell einer hydraulischen Presse empor. Joe Schillinger sprach ein paar Worte mit dem Meister und wandte sich dann an Dr. Wandel.

»Wir wollen ein wenig warten, Doktor. Die Leute haben gerade die Kupplung für einen schweren Traktor vor. Das Stück muß gleich aus dem Glühofen kommen.«

Sie brauchten nicht lange darauf zu warten. Schon fuhren Kranzangen in den Ofen und zogen eine schwere, hellrote Stahlmasse aus der Glut. Hitze und Licht durch den Raum verbreitend, schwebte sie am Kran zu der Presse hin, und dann traten die mächtigen Pressebacken in Tätigkeit. Wie weiches Wachs kneteten und formten sie den heißen Stahl, während der Meister, die Zeichnung in der Hand, darüber wachte, daß das Werkstück unter dieser gewaltsamen Behandlung die vorgeschriebene Form annahm.

Schweigend stand Dr. Wandel dabei und verfolgte den Werdegang des großen Schmiedestückes. Wie in Gedanken verloren, griff er in die Tasche, zog eine Zeichnung hervor und ließ den Blick prüfend zwischen ihr und dem Werkstück unter der Presse hin und her wandern. Joe Schillinger schlug ihm auf die Schulter.

»So nachdenklich, Doktor Wandel? Was für ein Papier studieren Sie da? Wollen Sie uns etwa einen Auftrag geben?«

Der Doktor ließ die Zeichnung sinken.

»So etwas fabrizieren Sie hier, Mr. Schillinger? Offen gesagt, das hätte ich nicht erwartet.«

»Oho! Doktor, unterschätzen Sie uns nicht. Solche Sachen schmieden wir hier nicht nur aus einem prima, primissima Stahl; wir bearbeiten sie auch haargenau auf unsern Werkzeugmaschinen.«

Er war währenddessen näher an den Doktor herangetreten und nahm ihm das Papier aus der Hand. Es war die gleiche Zeichnung, die Dr. Wandel noch vor wenigen Stunden dem Direktor Clayton gezeigt hatte. Joe Schillinger deutete auf die obere Ecke, wo der Deckel des Autoklavs dargestellt war, und meinte dabei:

»Sehen Sie, Doktor, solche Stücke wie das da zum Beispiel machen wir Ihnen hier mit Leichtigkeit. Wenn Sie mir jetzt die Zeichnung hierließen, könnten Sie sich’s in acht Tagen fix und fertig abholen.«

»Sie sind riesig geschäftstüchtig, mein lieber Schillinger« versuchte der Doktor zu scherzen. »Immerhin«, fuhr er ernster werdend fort, »gerade dieser Teil ist besonders stark beansprucht Es könnte wohl einmal geschehen, daß er schadhaft würde Die Bedlam-Stahlwerke brauchen wenigstens einen Monat Lieferzeit. In solchem Fall würde ich in der Tat auf Ihr Werk zurückgreifen.«

»Mit solchen Sachen kommen Sie wirklich besser zu uns. Es erspart Ihnen unnötige Wartezeit. Aber kommen Sie jetzt in unsern Erfrischungsraum, eine Tasse Kaffee haben wir uns redlich verdient.« – –

»Ihr Kaffee ist vorzüglich, Mr. Schillinger«, sagte Dr. Wandel, während er seine Tasse absetzte, und kam danach auf das Gespräch zurück, das sie in der Schmiede abgebrochen hatten. Er wünschte zu wissen, zu welchem Preis Schillinger den Autoklavdeckel liefern könnte. Der bat sich noch einmal die Zeichnung aus, nahm die Maße ab, überschlug, schrieb ein paar Zahlen nieder und nannte eine Summe, deren geringe Höhe Dr. Wandel angenehm überraschte. Während er langsam seine Tasse leerte, faßte er einen Entschluß.

»Wissen Sie, lieber Schillinger«, sagte er, »es wäre mir doch lieb, wenn ich für das Stück eine Reserve hätte.« Er griff nach einem Messer und trennte die obere Ecke der Zeichnung, die den Autoklavdeckel enthielt, ab. »Ich will Ihnen das gleich hierlassen. Fertigen Sie mir bitte danach ein Ersatzteil an.«

Schillinger nahm das Papier an sich.

»Wird schnellstens gemacht werden, Doktor. Soll ich die Rechnung dafür an die United schicken?«

»Nicht nötig, Mr. Schillinger. Rufen Sie mich im Labor an, wenn das Stück fertig ist. Ich werde es dann selber abholen und bei der Gelegenheit auch gleich bezahlen … Übrigens …« fuhr er nach einer Pause fort, »wäre es mir lieb, wenn möglichst wenig über den Zweck und Bestimmungsort dieses Stückes bekannt würde.«

Joe Schillinger lachte.

»Daß ihr Chemiker die Geheimniskrämerei nicht lassen könnt! Aber meinetwegen; wenn einer von unsern Leuten neugierige Fragen stellt, werde ich ihm irgendwas von einem Autoersatzteil erzählen … na, das würde mir vielleicht doch keiner glauben. Dazu ist der Brocken zu massig. Ich werde lieber sagen, daß er für eine Bleipresse der Kabelfabrik bestimmt ist. Da werden sie schon eher drauf ’reinfallen.«

»Machen Sie es, wie Sie wollen, Mr. Schillinger. Nur daß es für die United Chemical bestimmt ist, braucht nicht gerade bekannt zu werden.«

»All right, Doktor. In acht Tagen können Sie meinen Anruf erwarten«, schloß Schillinger die Unterhaltung und ließ sich dann das Vergnügen nicht nehmen, Dr. Wandel in seinem Wagen nach Detroit zurückzubringen.

Als Phil Wilkin am Abend dieses Tages die Woodward Avenue in Detroit entlangschlenderte, stieß er unversehens auf Thom White, einen alten Bekannten aus früheren Zeiten. In vergangenen Jahren hatten beide einmal zusammen Chemie studiert, sich danach aber aus den Augen verloren. Wilkin legte keinen besonderen Wert auf das Zusammentreffen; um so mehr schien der andere darüber erfreut zu sein, und seiner Einladung in den nächsten Salon konnte Wilkin sich schließlich nicht entziehen.

Beim Bier kam schnell ein Gespräch in Gang, aus dem er erfuhr, daß sein früherer Studiengenosse jetzt auch in Detroit in den großen Farbwerken am oberen River tätig sei. Daß Wilkin bei der United arbeitete, war White bereits bekannt, und im weiteren Verlauf des Gesprächs machte er aus seinem Herzen keine Mördergrube. Mit großem Freimut äußerte er sich über die schlechten Arbeitsbedingungen in den Farbwerken und schimpfte abwechselnd über miserable Bezahlung und engstirnige Vorgesetzte, während er eine Lage Bier nach der anderen anfahren ließ. Zuerst ließ Wilkin ihn reden, dann aber begann er, ganz gegen seine sonstige Art, ebenfalls aus sich herauszugehen, und schließlich kam eine halbe Stunde, in der er fast allein sprach.

Von seiner angenehmen Stellung als Erster Assistent bei Professor Melton erzählte er, und ein Wort gab dabei das andere. Auf den querköpfigen deutschen Doktor kam er zu sprechen. Offenbar ein Protektionskind der Direktion, sei der vor einem Vierteljahr mit ganz verschrobenen Ideen in die Abteilung hineingeschneit, aber sie würden ihn schon bald zahm bekommen. Professor Melton sei der richtige Mann, um solche Leute ablaufen zu lassen.

Tom White hörte aufmerksam zu und warf nur noch hin und wieder ein Wort in die Unterhaltung, wenn Wilkin einmal in seinem Redefluß erlahmte.

»Der deutsche Doktor ist jetzt schon kaltgestellt. Die neue Versuchsreihe werde ich zusammen mit Professor Melton bearbeiten«, beendete Wilkin schließlich seine Ausführungen.

Der andere seufzte. »Sie sind ein Glückspilz, Wilkin. Wer es doch so gut treffen könnte wie Sie! Ließe sich in ihrer Abteilung nicht vielleicht auch ein Plätzchen für mich finden?«

Unter dem Einfluß des Alkohols liefen Wilkins Gedanken anders als sonst. Durch und durch Egoist, hätte er unter andern Umständen die Frage von White wohl mit einer höflich ablehnenden Antwort beiseitegeschoben. Jetzt aber sagte er mit Gönnermiene:

»Man könnte es einmal versuchen. Schicken Sie doch ein Bewerbungsschreiben an Professor Melton, in dem sie unsere Bekanntschaft und gemeinsame Studienzeit erwähnen. Dann wird er mich sicherlich nach Ihrer Person fragen, und ich glaube, mein lieber White, meine Stimme hat bei Professor Melton einiges Gewicht.«

In überschwenglichen Worten sprach Thom White dem Assistenten seinen Dank für den guten Rat und seine Fürsprache aus. Gleich morgen früh wollte er das Schreiben an Professor Melton aufsetzen.

»Sobald die Sache klappt, werde ich Sie anrufen und Ihnen Bescheid sagen«, versprach Wilkin; »unter welcher Nummer kann ich Sie in den Farbwerken erreichen?«

Tom White schien um eine Antwort verlegen zu sein.

»Es wäre mir angenehmer, wenn Sie mich nicht an meiner Arbeitsstelle anriefen«, sagte er nach einigem Zögern. »Bei uns werden die Telephongespräche der Angestellten häufig von der Zentrale belauscht. Schreiben Sie mir lieber ein paar Zeilen in meine Wohnung. Hier haben Sie meine Adresse.«

»Wie Sie wünschen, Mr. White«, sagte Wilkin, während er die Adresse an sich nahm, »ich kann Ihre Bedenken verstehen.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Großer Gott, wo ist die Zeit geblieben! Für heut wollen wir Schluß machen, morgen ist auch noch ein Tag. Vergessen Sie nicht, Ihr Gesuch einzureichen.«

Während der letzten Worte griff er bereits nach Stock und Hut.

Großzügig ließ er es zu, daß Tom White die ganze Zeche beglich, obwohl dessen Gehalt in den Farbwerken nach seiner eigenen Aussage doch beklagenswert niedrig war. Draußen auf der Straße noch ein kräftiger Händedruck, und die beiden alten Bekannten gingen nach verschiedenen Richtungen auseinander. – –

Von Detroit bis zu dem Städtchen Salisbury in Delaware, in der die Dupont Company ihren Sitz hatte, sind es nur hundert geographische Meilen, und die amerikanische Flugpost arbeitet schnell. Schon am Nachmittag des folgenden Tages hielt Mr. Spinner, der Chef der Nachrichtenabteilung von Dupont, einen Brief in den Händen, in dem die Unterredung zwischen Phil Wilkin und Tom White fast wortgetreu zu lesen stand. Mr. Spinner studierte das Schriftstück sehr gründlich, und die anerkennenden Worte, die dabei gelegentlich von seinen Lippen fielen, hätten Tom White sicherlich erfreut, wenn er sie gehört hätte. Nun ließ Mr. Spinner das Schreiben sinken und fuhr in seinem Selbstgespräch fort.

»Hm, hm! Auf die Manier hat der Junge die Sache gedreht. Soll eine Verbindung mit Doktor Wandel aufnehmen, zieht es aber vor, sich an Wilkin ’ranzumachen; auch nicht übel … kann recht nützlich sein … Geht verflucht hart an den Wind, der Boy … trotzdem, wenn es glückt … eine Stellung im andern Lager, er könnte uns wertvolle Informationen geben … aber verdammt gefährlich. Na, er muß riskieren, dafür wird er bezahlt … aber in die Büroakten darf die Korrespondenz nicht kommen.«

Mr. Spinner erhob sich und trat zu einem großen Bücherschrank. In goldgepreßten Lederbänden leuchteten ihm daraus die englischen Klassiker entgegen. Ein Druck auf einen verborgenen Kontakt, und ein Elektromotor begann zu schnurren. Geräuschlos schob sich der ganze Schrank zur Seite. Eine Stahltür in der Zimmerwand wurde sichtbar, die Mr. Spinner mit einem komplizierten Schlüssel aufschloß, und das Innere eines Tresors lag offen da. Der Nachrichtenchef griff nach einem Aktendeckel und legte den Brief aus Detroit hinein.

»Bericht White – U. C.« schrieb er mit Rotstift auf den Deckel und legte ihn in den Tresor. Dann schnappte die Stahltür wieder zu, und der Bücherschrank rollte an seinen alten Platz zurück. Mr. Spinner ließ sich am Schreibtisch nieder und griff zur Feder, um einen Brief an Tom White zu verfassen. Es wurde ein mehrere Seiten langes Schreiben, und wer den Text so las, wie er auf dem Papier stand, mußte den Eindruck gewinnen, daß ein redseliger alter Onkel seinem Neffen endlose Familiengeschichten auftischte. Das Bild änderte sich aber wesentlich, wenn man sich beim Lesen einer Kartonschablone bediente, die Spinner neben sich liegen hatte. Auf eine Seite dieses wunderlichen Schreibens gelegt, verdeckte sie den größten Teil der Schrift und ließ nur einzelne Worte sichtbar. Dann stand etwas ganz anderes in dem Brief zu lesen. Neue Deckadressen fanden sich darin und eine dringende Mahnung zur größten Vorsicht bei allen weiteren Schritten.

Der letzte Satz, der unter der Schablone zutage trat, lautete:

»Wenn Sie die Stellung bei der U. C. bekommen, versuchen Sie, das Vertrauen Doktor Wandels zu gewinnen. Zu gegebener Zeit lassen Sie durchblicken, daß man ihn bei uns nicht vergessen hat und nicht abgeneigt ist, die Verhandlungen wieder aufzunehmen.«

Mr. Spinner beendete seinen Brief und legte die Schablone in eine Mappe. Unwillkürlich malte er sich dabei aus, wie der Empfänger des Schreibens in Detroit ein Duplikat der Schablone aus seinem Schreibtisch nehmen würde, bevor er sich ans Lesen machte.

Der Briefumschlag, in den der Nachrichtenchef das Schriftstück steckte, trug eine gedruckte Firmenbezeichnung, aber es war nicht diejenige der Dupont Company. Der Aufdruck wies vielmehr auf eine große Konfektionsfirma hin, die durch ihre billige Garderobe in den Staaten bekannt war.

Und schließlich gebrauchte Mr. Spinner noch die Vorsicht, sein Schreiben selbst zum Bahnhof zu bringen und in den Briefkasten des nach dem Westen fälligen Abendzuges zu stecken. Auf diese Weise wurde auch der Poststempel »Salisbury« auf den Briefmarken vermieden, der in einem argwöhnischen Beobachter vielleicht Erinnerungen an die Dupont Company wecken konnte.

Mr. Spinner liebte es, in jeder Hinsicht sicher zu gehen, und vielleicht beruhten seine zweifellosen Erfolge zum Teil mit auf der Sorgfalt, die er auch auf scheinbare Nebensächlichkeiten verwandte.

Professor Melton war über den Gleichmut erstaunt, mit dem Dr. Wandel die Mitteilung entgegennahm, daß der Professor die Versuche mit dem neuen Autoklav ohne ihn durchführen wollte.

»Ganz wie es Ihnen beliebt! Sie haben darüber zu bestimmen«, hatte der Doktor nur kühl und kurz erwidert und war in sein Zimmer zu den theoretischen Berechnungen zurückgekehrt, die ihn schon seit Wochen beschäftigten.

Professor Melton war sich nicht klar darüber, ob die Ruhe Dr. Wandels echt oder nur gemacht sei. Das aber wußte er sicher, daß er selbst sich in einer höchst unruhevollen Stimmung befand, und diese Stimmung wurde nicht besser, wenn sein Blick auf die mächtige dunkelschimmernde Stahlkugel in dem großen Laboratorium fiel. Immer mehr kam’s ihm so vor, als ob das nicht ein toter physikalischer Apparat sei, sondern ein lebendiges, unheildräuendes Wesen, das ihn tückisch anfunkelte. Schon kamen gelegentlich Minuten, in denen er es fast bereute, daß er die Versuche mit dem unheimlichen Gerät nicht dem deutschen Doktor überlassen hatte. Doch dann war es immer wieder Phil Wilkin, der ihm mit irgendeiner scheinbar zufällig hingeworfenen Bemerkung den Rücken steifte und die Durchführung der vorbereiteten Arbeiten weitertrieb.

Glücklicherweise hatte Dr. Wandel ein Manuskript in die Akten des Laboratoriums gegeben, in dem alles Wichtige über die geplanten Versuche und die dafür erforderlichen Vorbereitungen enthalten war … oder doch wenigstens enthalten zu sein schien. An Hand dieser Aufzeichnungen war Wilkin jetzt dabei, eine besonders kräftige Druckpumpenanlage und eine Starkstromquelle an die Autoklavkugel anzuschließen. Das beanspruchte immerhin mehrere Tage, in denen Professor Melton Zeit hatte, sich über die Versuche selbst schlüssig zu werden.

Nach dem Programm des deutschen Doktors sollten extrem hohe Drücke und Temperaturen auf eine geeignete Materie wirken. Über die Drücke ließ sich aus seinen Aufzeichnungen etwas entnehmen. Einer inneren Höchstspannung von hunderttausend Atmosphären durfte der stählerne Hohlkörper des Autoklavs ausgesetzt werden. Ging man darüber hinaus, dann riskierte man, daß der Apparat wie eine Riesengranate explodierte, und dem Professor war bei dem Gedanken an solche Möglichkeit nicht wohl zumute. Schon jetzt war er entschlossen, ein gutes Stück unter dem gefährlichen Höchstdruck zu bleiben.

Höchsttemperaturen sollten außerdem in der Stahlkugel erreicht werden, und dieses Problem machte dem Professor auch einige Kopfschmerzen, denn hier waren die Aufzeichnungen Dr. Wandels lückenhaft. Es war natürlich klar, daß man die Glut auf elektrischem Wege unmittelbar im Innern der Autoklavkugel erzeugen mußte. Aber während der Doktor sich noch mit der Projektierung der dafür erforderlichen Einrichtungen beschäftigte, hatte sein Zerwürfnis mit Melton bereits gröbere Formen angenommen, und verärgert hatte er davon abgesehen, weitere Notizen zu den Akten zu geben.

In verdrießlicher Stimmung ließ der Professor seinen Assistenten kommen, um die Frage mit ihm zu besprechen. Nach seiner Gewohnheit nahm Wilkin die Angelegenheit von der leichten Seite und versuchte die Zweifel seines Vorgesetzten zu zerstreuen.

»Der Heiztransformator mit einer Höchstleistung von tausend Kilowatt wurde nach den Angaben Doktor Wandels gebaut und angeliefert«, sagte er leichthin. »Ich trage kein Bedenken, ihn zu benutzen, und lasse eben jetzt einen dazu passenden Heizkörper wickeln.«

Die Ruhe, mit der Wilkin es sagte, strahlte auch auf Professor Melton über, und im Augenblick schien ihm die Angelegenheit gar nicht mehr so bedenklich, die ihm vor kurzem noch Sorgen machte.

»In etwa fünf bis sechs Tagen wird der neue Heizkörper fertig sein«, fuhr Wilkin in seinem Bericht fort. »Ich möchte vorschlagen, Herr Professor, daß wir dann zunächst einmal eine Reihe von Heizungsversuchen machen, ohne dabei Druck auf den Autoklav zu geben. Wir würden auf diese Weise ein klares Bild über die Hitzeentwicklung in der Kugel gewinnen.«

Bereitwillig stimmte Professor Melton den Worten seines Assistenten bei. Einmal, weil dessen Vorschlag ihm wirklich vernünftig erschien, weiter aber auch, weil sich in seinem Unterbewußtsein der Gedanke regte, daß bei solchem Vorgehen die wirklich gefährlichen Hochdruckversuche noch eine gute Weile Zeit haben würden.

»Übrigens«, meinte er, als Wilkin sich zum Gehen anschickte, »hier ist ein Bewerbungsschreiben von einem Mr. White eingelaufen. Gerade jetzt könnten wir noch eine Hilfskraft brauchen. Der Mann bezieht sich auf die nähere Bekanntschaft mit Ihnen. Können Sie ihn empfehlen?«

Wilkin dachte längst nicht mehr an Tom White. Erst die Worte Meltons brachten ihm jenen feuchtfröhlichen Abend und die Versprechungen, die er dem alten Studienkollegen gegeben hatte, wieder in die Erinnerung. Blitzschnell überlegte er.

Offensichtlich hatte der Chef die Absicht, noch jemand einzustellen. Warum sollte sein Freund White den Platz nicht ebensogut bekommen dürfen wie irgendein anderer? Er würde ihm jedenfalls für seine Empfehlung verpflichtet sein und nicht daran denken, gegen ihn zu arbeiten.

»Ich habe Mr. White zwar einige Zeit aus den Augen verloren«, sagte er mit betonter Objektivität, »aber von früher her kenne ich ihn als einen recht tüchtigen Chemiker und geschickten Laboranten. Ich glaube, Herr Professor, daß Sie keinen schlechten Griff tun, wenn Sie ihn einstellen.«

Der Professor nickte und gab ihm das Bewerbungsschreiben.

»Es ist gut, Mr. Wilkin. Veranlassen Sie, daß der Mann sich bei mir vorstellt. Auf Ihre Empfehlung hin will ich es mit ihm versuchen.«