Auch das ist der Camino! - Diana Dalladas - E-Book

Auch das ist der Camino! E-Book

Diana Dalladas

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Beschreibung

Dieser Pilgerbericht erzählt ehrlich von den Freuden und Leiden des Pilgerns, und den oft wundersamen Erlebnissen die geschehen. Für wen ist dieses Buch lesenswert? Für diejenigen, die eine leise Idee davon haben auch einmal pilgern zu wollen. - Sie können sich Tipps aus diesem Buch holen oder ein Gefühl dafür bekommen, wie Pilgern sein kann. Für diejenigen, die schon länger davon träumen den Jakobsweg zugehen. - Ihre Sehnsucht können sie mit dem Lesen dieses Pilgerberichts versuchen zu besänftigen. Für diejenigen, die schon einmal gepilgert sind. - Es werden Erinnerungen wach und sie können noch einmal stückweise ihre Pilgerreise durchleben. Für diejenigen, die mit der Pilgerei nichts am Hut haben. - Für sie mag es eine kurzweilige und amüsante Geschichte sein. Das Buch ist für Jung und Alt. So wie die Pilger auf dem Camino. Zahlreiche Fotos, die nicht nur die "Klassiker" zeigen, sondern auch Begebenheiten am Rande des Weges, vervollständigen diesen lebhaften Pilgerbericht vom portugiesischen Jakobsweg.

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Seitenzahl: 190

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Umschlaggestaltung von der Autorin

Alle Fotos und Zeichnungen von der Autorin

Außer auf S. → von Christoph und auf S. → von Lea

Diana Dalladas wurde 1964 geboren und war in ihrem „ersten Leben“ Lehrerin für Sonderpädagogik. Jetzt ist sie mit Leib und Seele Heilpraktikerin. Sie liebt die Natur und auch das Wandern. Da war der Schritt einmal einen Jakobsweg zu gehen, im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr weit. Diesen Traum hat sie sich im Frühjahr 2024 verwirklicht.

Inhalt

04.04.2024: Von Köln nach Porto

1. Tag: Freitag, 05.04.2024: Von Porto nach Lavra (Agudela) auf den Campingplatz von Orbitur, ca. 19 km

2. Tag: Samstag, 06.04.2024: Von Lavra nach Vila do Conde, 13 km

3. Tag: Sonntag, 07.04.2024: Von Vila do Conde nach Rates, 13,5 km

4. Tag: Montag, 08.04.2024: Von Rates nach Barcelos, 17 km

5. Tag: Dienstag, 09.04.2024: Von Barcelos nach Sao Simao, 21 km

6. Tag: Mittwoch, 10.04.2024: Von Sao Simao nach Oasis do Caminho, 19 km

7. Tag: Donnerstag, 11.04.2024: Von Oasis do Caminho nach Rubiães, 13 km

8. Tag: Freitag, 12.04.2024: Von Rubiães nach Tui, 19 km

9. Tag: Samstag, 13.04.2024: Von Tui nach O Porriño, 18 km (20 km)

10. Tag: Sonntag, 14.04.2024: Von O Porriño nach Redondela, 16 km

11. Tag: Montag, 15.04.2024: Von Redondela nach Ponte Sampaio, 8 km

12. Tag: Dienstag, 16.04.2024: Von Ponte Sampaio nach Pontevedra, 11,5 km

13. Tag: Mittwoch, 17.04.2024: Von Pontevedra nach Caldas de Reis, 23 km

14. Tag: Donnerstag, 18.04.2024: Von Caldas de Reis nach Herbon (Kloster), 19 km

15. Tag: Freitag, 19.04.2024: Von Herbon (Kloster) nach Teo (R. de Francos), 14 km

16. Tag: Samstag, 20.04.2024: Von Teo (Rúa de Francos) nach Santiago de Compostela, 14 km

17. Tag: Sonntag, 21.04.2024: Von Santiago de Compostela nach Porto mit dem Bus, ca. 250 km

18. Tag: Montag, 22.04.2024: In Porto, etliche Kilometer

19. Tag: Dienstag, 23.04.2024: Von Porto nach Köln

Wieder zu Hause und doch nicht zu Hause

Danke!

Pilger-Knigge – Ein paar Tipps

Ich packe meinen Rucksack und nehme mit …

Karte

Literatur

04.04.2024: Von Köln nach Porto

E ndlich! - Ich starte meinen Caminho Português. Dies ist mein erster Camino und ich glaube jetzt schon, es wird nicht mein letzter sein.

Ich sitze am Flughafen und sehe hier und da schon vermeintliche Pilger: In Outdoor-Klamotten gekleidet und einen Rucksack teilweise mit Pilgermuschel auf dem Rücken.

Mein Rucksack liegt im Flugzeug, da ich meine Wanderstöcke mitgenommen habe und die dürfen nicht ins Handgepäck. Vom Gewicht her (6,7 kg) und auch von den Abmessungen hätte mein Rucksack problemlos als Handgepäck durchgehen können. Doch mit den Stöcken und außerdem habe ich noch ein Taschenmesser dabei, geht dies leider nicht. So bin ich völlig ohne irgendeine Tasche, Beutel oder so etwas Ähnlichem am Flughafen unterwegs. Ich fühle mich ein wenig „nackig“. Doch die Pilgerin in mir reist mit leichtem - in diesem Fall mit gar keinem Gepäck.

Der Flug hat Verspätung – macht nichts, denn ich habe ja Zeit. Ich bin ja jetzt Pilgerin und versuche mich schon einmal damit im Hier und Jetzt zu sein, wenigstens sekundenweise. Gar nicht so einfach. Wie war das? Wenn ich es schaffe, „einfach nur“ Kartoffeln zu schälen, dann bin gut bzw. im Hier und Jetzt. Doch das klappt ja so überhaupt nicht bei mir. Mein Kopf meint, er müsste schon dieses oder jenes planen oder denkt so einfach vor sich hin.

Also übe ich mich im wertfreien nichtdenkenden Betrachten von Fluggästen und was alles so um mich rum passiert. Klappt natürlich nicht wirklich. Aber ich bin ja erst ganz am Anfang meiner Pilgerreise.

Irgendwann geht es dann endlich in den Flieger und ich beziehe meinen Fensterplatz. Doch zum Rausschauen komme ich gar nicht groß, weil ich direkt mit meiner Sitznachbarin ins Gespräch komme. Sie heißt Catarina, ist von ihren Wurzeln her Portugiesin und reist mit ihrem Vater, der ein paar Reihen hinter uns sitzt, zu der Hochzeit ihrer Schwester. Wir sprechen über dies und das und natürlich irgendwann auch über den Caminho Português. Ich zeige Catarina meinen Reiseführer und sie blättert ganz interessiert in ihm herum. Dabei übt sie mit mir schon einmal die Aussprache von Städten meines Weges oder der kulinarischen Besonderheiten von Portugal, wie beispielsweise die „Francesinha“. Das ‚h‘ wird ‚j‘ und das ‚s‘ am Ende eines Wortes wie ‚sch‘ ausgesprochen. Mit diesen neu erworbenen Kenntnissen werden mich die Portugiesen hoffentlich besser verstehen.

Mit Catarina an meiner Seite vergeht der Flug wie im Flug. Man verzeihe mir dieses etwas platte Wortspiel. Doch es passt einfach zu gut

Zu erwähnen sind noch Jonas, der links neben Catarina sitzt und Michaela, die vor mir ihren Sitzplatz hat.

Michaela ist auch Pilgerin, sie hatte ich schon im Wartebereich im Flughafen als solche identifiziert

Michaela pilgert auch zum ersten Mal. Ich frage sie, ob sie diese Nacht auch im Zentrum von Porto übernachtet. Doch sie hat sich ein Zimmer im Flughafenhotel genommen. Ich hatte die Hoffnung, ich hätte eine Begleitung, wenn ich mitten in der Nacht mit dem Bus durch halb Portugal fahre. Naja, auch egal. Wäre halt schöner gewesen.

Dann ist auch schon Landanflug und beim Herausgehen aus dem Flugzeug lerne ich auch Catarinas Papa kennen. Wir drei gehen zum Gepäckband und Catarina und ihr Vater warten noch so lange bis mein Rucksack kommt. Was ich total nett finde. Dann gehen wir noch gemeinsam zum Ausgang und sie zeigen mir, wo die Busse ankommen. Wirklich so nett die zwei. Vielen Dank nochmal bzw. Obrigado!

Ich stehe keine zwei Minuten an der Haltestelle, da kommt auch schon die 601. Diese Linie fährt, ohne dass ich umsteigen muss, ins Zentrum, in die Nähe von der Igreja e Torre dos Clérigos, wo sich meine Pension befindet. Der Bus braucht dafür 45 Minuten und ich bezahle nur 2,50 €.

Drei Minuten später, ich traue meinen Augen nicht, steigt Jonas ein. Bis dato weiß ich noch nicht, dass er so heißt. Wie stellen uns einander vor und finden heraus, dass wir beide Pilger sind. Wir kommen direkt ins Gespräch. Wie das nun mal so ist auf dem Camino. Er beginnt ja bekanntlich auch zu Hause. Da bin ich ja schon fast mitten drin. So vergeht auch diese Busfahrt wie im Fluge.

Jonas kommt aus Bonn und will eigentlich drei Stationen vorher aussteigen, fährt aber mit mir bis zur Endstation. Das finde ich auch wieder so nett! Danke, Jonas!

Ich fühle mich von Anfang an meiner Reise, meines Caminos im wahrsten Sinne des Wortes begleitet. Ein sehr schönes Gefühl! Und ich bin im Vertrauen, dass dies auch weiterhin so sein wird.

Jonas und ich verabschieden uns und meine Suche nach meiner Pension geht los. Ich hatte mir einen kleinen Mini-Stadtplan, wo der Weg von ca. 300 m eingezeichnet ist, ausgedruckt. Jetzt wird sich so mancher fragen, wieso benutzt sie nicht Google Maps. Tja, ich muss gestehen, an diesem Punkt bin ich wirklich ganz „old school“. Ich benutze diese App nicht. Ich habe auch keine Pilgerapp, von denen es mittlerweile ein paar gibt, auf meinem Handy. Ich möchte nicht mit dem Handy pilgern. Mein Handy dient mir auf meiner Pilgerschaft als Fotoapparat und um meinen Lieben daheim jeden Abend mitzuteilen, dass ich in dem Ort soundso gut angekommen bin. Ich habe vor alle WhatsApp Nachrichten auszublenden, nicht sinnlos im Internet zu surfen, nicht zu telefonieren. Also wirklich auch davon eine Auszeit zu nehmen. Nicht nur von dem Alltag daheim. Zweieinhalb Wochen Diana-Zeit. Zeit nur mit mir. Zeit und Offenheit für das, was ich erleben werde. Zeit, die ganzen vielfältigen Eindrücke auf mich wirken zu lassen und verarbeiten zu können. Zeit neuen Menschen zu begegnen und mich auf sie einzulassen. Zeit zu reflektieren. Zeit zur Ruhe zu kommen, obwohl ich ja eigentlich dauernd unterwegs bin. Zeit mein Gedankenkarussell zu verlangsamen und vielleicht auch mal stoppen zu können. Zeit für noch ungelöste Themen anzugehen und vielleicht aufzulösen oder schon einmal anzulösen. Einfach Zeit für mich. Zeit für mich in einem sehr besonderen Rahmen. Ich freue mich drauf. Ich freu mich so sehr darauf. Ich bin voll mit Endorphinen und strahle wie ein vollbeleuchteter Weihnachtsbaum.

Wo war ich doch gleich stehen geblieben? Ach ja, an der Bushaltestelle mit meinem kleinen Plan. Da stehe ich also mit meinem Plan und habe so überhaupt keinen Plan. Es ist dunkel, da sieht ja sowieso schon einmal alles anders aus. Straßenschilder sind, wenn vorhanden, kaum zu erkennen und dann ist Porto auch noch hügelig. Das gibt dem Ganzen noch eine andere Dimension. Also, kurz zusammen gefasst: Stadtplan und Wirklichkeit stimmen für mich, müde und gleichzeitig aufgekratzte Pilgerin, um 23.00 Uhr überhaupt nicht überein. Ich fühle mich eher wie „Hänsel und Gretel verlaufen sich in Porto“. Doch es sind noch einige Menschen unterwegs (hoffentlich keine Hexen) und ich frage eine Familie nach dem Weg. Der Familienvater zückt sofort sein Handy und öffnet, ihr ahnt es sicher schon, natürlich Google Maps. Er geht mit mir ein Stück, zoomt das Gebäude der Straße, wo ich einbiegen muss in Natura und gibt sich so viel Mühe. Ein ganz großes „Obrigado“ nochmal an diesen netten Mann. Ich ziehe von dannen. Doch irgendwie bin ich ziemlich verpeilt und die Erklärung seitens des netten Mannes, ging mir schon sehr entschleunigter Pilgerin zu schnell und ich stehe da schon wieder etwas verloren. Aber es gibt ja noch mehr Menschen, die ich hier fragen kann. Die nächsten, die ich frage sind Touristen, die mir auch nicht helfen können. Bei dem Pärchen, was ich als nächstes auserkoren habe zu fragen, habe ich Glück. Zack, Handy raus, Google Maps aktiviert, sich hin und her gedreht, um zu schauen in welche Richtung es geht und mir den Weg gezeigt. Ich war die ganze Zeit schon ganz nah dran, habe aber das Straßenschild nicht gesehen. Vielleicht war aber doch eine Hexe am Werk und hat es mal für kurze Zeit unsichtbar gemacht.

Ich also ganz happy, biege in die Straße ein und finde direkt das Haus. Also ich kann schon lesen! So ist es ja nicht. Ich krame meinen Zettel mit dem Türcode heraus und tippe die Nummer ein. Zum Schluss noch die #-Taste und … brrrrt die Tür geht auf. Am Empfang sitzt doch tatsächlich noch jemand. Ein netter älterer Herr, eigentlich würde Opi besser passen. Ich begrüße ihn mit meinem geübten: „Boa noite!“. Er grüßt erfreut zurück und gibt mir meinen Zimmerschüssel.

Glücklich stapfe ich die völlig schiefen Stufen (es ist halt ein sehr altes Haus) hoch zu meinem Kämmerlein. Das trifft es dann auch. Das Zimmer bzw. das Kämmerlein ist der Knaller. Doch es hat ein Waschbecken und sogar ein Bidet. Klein aber fein und für diese Nacht mein.

Im Gemeinschaftsbadezimmer steht noch ein altes graues Steinwaschbecken, wo man Wäsche waschen kann. Tja früher gab’s noch keine Waschmaschinen. Ich mache mich bettfein und schlüpfe unter die mit Chlorbleiche gewaschene Bettdecke.

1. Tag: Freitag, 05.04.2024: Von Porto nach Lavra (Agudela) auf den Campingplatz von Orbitur, ca. 19 km

D ie Nacht war bescheiden. Ich habe kaum geschlafen. Porto war zeitweise doch etwas laut: Kreischende Seemöwen, Autoverkehr und um halb fünf haben sich zwei Männer lauthals unter meinem Fenster unterhalten. Um halb sieben hält mich dann nichts mehr im Bett. Ich will los! Einmal Katzenwäsche gemacht, Füße mit Hirschtalg eingecremt, sorgfältig die Strümpfe und Stiefel angezogen. Bloß keine Falten in den Stiefeln haben, das könnte Blasen geben. Einer der Angstgegner auf dem Camino. Rucksack geschultert und die Treppen runtergestapft. Doch leider ist keiner an der Rezeption. Wohin mit dem Schlüssel? Da sehe ich doch einen ganz großen Türspalt und da lugt auch ein Schlüssel hervor. Ich denke, prima, so mache ich das auch und schiebe meinen Schlüssel unter dem Türspalt hindurch und verlasse die etwas eigenwillige Pension.

Draußen stehe ich dann, wie gestern etwas orientierungslos herum. Doch ihr kennt ja meinen Ansatz bzw. meine Vorgehensweise. So lernt man auch Leute kennen Ich spreche eine junge Frau an, die auch in meine Richtung gehen möchte. Perfekt! Doch ein paar hundert Meter vor meinem Ziel schlägt sie eine andere Richtung ein. Kein Problem. Es wird sich schon wer finden. Und so ist es denn auch. Schwubdiwub taucht ein junger Mann mit Rucksack und Pilgermuschel auf. Ich denke, das ist mein Mann! Ich frage ihn, ob er auch zur Kathedrale gehen möchte. Ja, klar! Will er. Denn dort startet ja der Caminho Português.

Wir kommen ins Gespräch und ich erfahre, er heißt Nando und kommt aus der Schweiz. Es ist Nandos dritter Camino und er möchte von Anfang an den zentralen Jakobsweg gehen, also direkt in das Landesinnere rein.

Diese Begegnung, auch wenn sie nur kurz war, hätte ich mit Google Maps, so praktisch es auch ist, nicht gehabt. Doch jeder soll es so machen, wie es für ihn richtig ist. Wie sagt man bei uns im Rheinland so schön: „Jeder Jeck ist anders und dat es jood esu!“ Sprich jeder soll nach seiner Fasson, nach seinem Stil leben. Hauptsache es schadet keinem anderen.

Genauso verhält es sich beispielsweise auch mit dem Vorbuchen von Zimmern. Im Zeitalter von Booking.com und Co ist es ja ein leichtes sein Zimmer bzw. Bett vorzubuchen. Ich möchte dies nicht, weil es meiner Art, wie ich das Pilgern für mich verstehe widerspricht, nicht zusammen passt. Ich weiß ja nicht, wie weit mich meine Füße an dem Tag tragen. Oder vielleicht gefällt mir ein Ort so gut, dass ich da länger verweilen möchte. Ich weiß es ja nicht. Ich möchte mich wirklich dem Hier und Jetzt hingeben. Ich schreibe das jetzt so leichtfertig. Doch ich möchte es wagen. Früher hätte ich keinen Gedanken an solche „Wagnisse verschwendet“. Ich war damals eher ängstlich und sehr schüchtern. Auch hätte ich mich niemals alleine auf eine Pilgerreise begeben. Dies ist für mich jetzt ganz wichtig, diesen Weg alleine zu gehen. Früher wäre ich sehr wahrscheinlich ständig in den Panikmodus verfallen, wenn ich nicht morgens gewusst hätte, wo ich abends hätte schlafen können. Viel zu viel Unsicherheit, weil viel zu viel Unsicherheit in mir war. Jetzt gehe ich das Wagnis, sogar mit etwas Freude ein, nichts vorzubuchen und freue mich, dass dies jetzt möglich ist. Mal schauen, ob es den ganzen Weg so sein wird. Es ist nichts in Stein gemeißelt und ich weiß ja auch nicht, was sich auf dem Weg alles so ergeben wird.

Doch jetzt wieder zu Nando und unserem Weg zur Kathedrale. Als wir an der Kathedrale ankommen, ist es 8.00 Uhr und sie ist noch geschlossen. Es werden erst um 9.00 Uhr die Pforten geöffnet. Das dauert uns zu lange. Wir wollen einfach los. Doch vorher machen mir noch gegenseitig Fotos von uns vor der Kathedrale. Beweisfotos so zusagen , dass wir wirklich hier in Porto gestartet sind. Es trennen sich unsere Wege und ich gehe mit meinem Pilgerführer in der Hand die Stufen an der Kathedrale vorbei runter Richtung Rio Douro.

Habe ich schon erwähnt? Porto ist echt hügelig. In diesem Fall geht es die ganze Zeit ganz schön bergab, über viele zeitweise recht große Stufen. Ich denke mir noch, die möchte ich nicht wieder hochgehen müssen.

Mit der guten Beschreibung im Reiseführer finde ich problemlos den Weg. - Ich schaffe das also auch alleine Unten angekommen schaue ich auf die Brücke Ponte de Luis. Wirklich schön! Doch für mich geht es in die andere Richtung und ich suche die Haltestelle der alten Eléctrico. Es ist die dienstälteste Straßenbahn von Portugal, die teilweise noch aus Holz besteht und alle halbe Stunde die Menschen zum Atlantik bringt.

Diese Bahn möchte ich gerne nutzen. Zum einen liebe ich Oldtimer, zum anderen spare ich 4,5 Kilometer Fußweg auf Asphalt am Rio Douro entlang. Ein Streckenabschnitt, der auch nicht so schön sein soll. Für den Anfang „gönne“ ich mir das. Später wird gegessen, was auf den Tisch kommt, sprich ich kann mir das Drumherum nicht aussuchen. Der Weg ist, wie er ist; und ich werde ihn gehen, wie er unter meine Füße kommt.

Schnell finde ich die Haltestelle, wo auch eine Pilgerin sitzt. Ich freue mich! Es ist Marianne. Auch Maria genannt, aus Österreich genauer aus Salzburg. Sie ist schon die ganze Algarve entlang gegangen. Hut ab! Denn Maria ist über 70 Jahre alt und hat einen Rucksack von 12 kg!!!

Da ich noch eine halbe Stunde Zeit habe und ich noch nicht gefrühstückt habe, packe ich Brot und Käse aus. Sachen, die ich noch von zu Hause mitgenommen habe. Mein Taschenmesser kommt zum Einsatz. Das habe ich also nicht umsonst mitgenommen.

Während wir auf die Eléctrico warten, erzählt mir Maria, dass sie gerne an der Küste lang gehen möchte. Für mich steht fest, dass ich in Vila do Conde auf den zentralen Weg wechseln werde.

Da kommt unsere Bahn und wir steigen ein. Vier ein halb Kilometern tuckert sie am Rio Douro entlang und ich genieße die Fahrt. Es sind einige Pilger zu sehen. Schlechtes Gewissen, weil ich in der Bahn sitze und „schummele“? Nein! Das war meine bewusste Entscheidung. Außerdem wären es höchst wahrscheinlich für den ersten Tag zu viele Kilometer für mich. Das würde sich vielleicht rächen, in Form von Blasen oder so. 19 Kilometer reichen für den Anfang.

Endstation! Wir sind angekommen. Ich steige aus und nehme erst einmal einen tiefen Atemzug. Aaaah! Diese herrliche Luft. Es riecht so gut. Jetzt bin ich am Atlantik. Der Rio Douro fließt hier direkt rein.

Schwups, über die Straße und jetzt geht es richtig los. Ich gehe beschwingten Schrittes an der Uferpromenade entlang bzw. ich habe eher das Gefühl zu fliegen. Von den tiefen Wolken heute Morgen ist nichts mehr zu sehen. Es ist strahlender Sonnenschein und ich strahle mit der Sonne um die Wette. Ich bekomme das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Meine Serotoninproduktion scheint auf Hochtouren zu laufen. Glücksgefühle ohne Ende. Ist das Leben schön! Ich grüße alle und jeden (natürlich auf Portugiesisch) mit einem: „Bom dia!“ und die Pilger mit einem: „Bom caminho!“.

Pilger gibt es zahlreiche. Wo kommen die überall her? Mal schauen, ob sich das noch ein wenig verläuft. Es gibt ja mittlerweile verschiedene Möglichkeiten des Caminho Português. Ich bin gespannt.

Und dann passiert es! Eine Portugiesin wünscht mir: „Bom caminho!“ Ich bin völlig aus dem Häuschen und habe ein wenig Pippi in den Augen. Ja, ich bin jetzt Pilgerin. So ganz kann ich es immer noch nicht fassen. Doch es ist einfach nur schön! Wirklich schön! Ich weiß, ich wiederhole mich, doch es ist einfach so schön! Versteht ihr?

Während ich am Atlantik lang gehe und dem Brausen des Wassers lausche und den Wellen zusehe, wie sie an den Strand branden, treffe ich Bärbel. Sie hat gestern in Santiago ihren Camino beendet und läuft heute noch einmal den Anfang. Bärbel ist immer noch ganz beseelt. Obwohl sie fast zwei Wochen nur Regen hatte, fand sie den Jakobsweg so umwerfend schön. Ja, ja der Camino. Er verzaubert wohl die meisten. Ich bin seinem Zauber schon völlig erlegen. Mal schauen, ob ich das in einer Woche auch noch sage. Doch ich bin ganz optimistisch!

An einer Stelle des Weges, ist es ein bisschen tricky und nicht ganz so eindeutig, wo es lang geht. Das ist wohl noch der ungeschulte Blick. Später habe ich förmlich den Gelbe- Pfeile- und Muschel-Blick. Auf jeden Fall treffe ich just an dieser Stelle eine 75-jährige Mannheimerin mit der Ninja-App. Sie wirkt ein wenig unsicher und gemeinsam finden wir den richtigen Weg.

Matosinhos naht. Ich sehe die Touristeninfo. An deren Wand prangt ein großer Pilgerstempel mit dem Hinweis, dass es hier Stempel gibt. Also nichts wie rein und endlich gibt es den lang ersehnten ersten Stempel! Nummer zwei gibt es in einer Bar, die damit auch in ihrem Fenster wirbt. Den Stempel gibt es aber nur, wenn man dort etwas trinkt oder verzehrt. Ich denke zunächst, na ja, das finde ich ja nicht so toll! Doch dann meint eine andere Seite in mir: Hey du, dein Frühstück war ja echt nicht so üppig und gegen einen Milchkaffee wäre ja wohl nichts einzuwenden. Wohl wahr! Also bestelle ich einen Milchkaffee und die portugiesische Spezialität Pastéis de Nata. Und natürlich bekomme ich noch einen schönen Stempel. Ich setze mich hin und genieße Kaffee und Co, da kommt ein Pilger mit einem Monsterrucksack herein. Er kommt aus Stuttgart und ist schon auf etlichen Caminos unterwegs gewesen. Sein Rucksack wiegt 13 kg, weil er seine Fotoausrüstung mitschleppt. Er hält zu Hause Vorträge über seine Jakobswege, wo er natürlich auch seine ganzen Fotos zeigt.

Nach dieser netten kleinen Pause geht es gestärkt weiter. Zunächst muss ich Treppen hinaufsteigen, um über die Brücke zu kommen. Dann geht es an einer Bar vorbei, wo ich gefragt werde, ob ich einen Stempel haben möchte. Natürlich möchte ich! Rucksack aus. Pilgerpass rausgekramt und einen schönen Stempel bekommen. Pilgerpass wieder eingepackt. Rucksack geschultert und weiter geht’s.

Ich treffe eine Niederländerin, die schon in Lissabon gestartet ist und meint, dass sie jetzt nach den vielen Kilometern wie automatisch läuft. Mal sehen, wie das bei mir wird.

In der zweiten Touristeninfo, na was mache ich da wohl? Richtig! Ich hole mir Stempel Nummer vier! Dort begegnen mir zwei Amerikanerinnen (Mutter und Tochter). Dies ist zwar nur eine sehr kurze, aber sehr nette Begegnung. Dann, wirklich kurios, läuft mir noch dreimal Bärbel über den Weg!

Mittlerweile geht der Weg über Stege am Atlantik entlang.

Sehr schön! Ab und zu gibt es kleine Ausbuchtungen mit Sitzgelegenheiten. Nach einer Weile lasse ich mich auf einer Bank nieder und ziehe Stiefel und Strümpfe aus. Ein Fest für meine Füße! Ich esse noch meinen Rest Käse (der wird ja auch nicht besser) und ein Stück Brot. Creme dann endlich mal mein Gesicht und meine Arme ein. Hatte ich völlig vergessen. Ziehe wieder Strümpfe und Stiefel an und weiter geht’s. In der übernächsten Ausbuchtung sehe ich den Stuttgarter mit dem großen Rucksack sitzen. Und was macht er da? Er cremt seine Füße mit Hirschtalg ein! Und meint, auch zwischendurch seine Füße einzucremen sei sehr wichtig. Ich denke: Gute Idee! Mache ich auch! Und setze mich dazu. Also wieder Stiefel und Strümpfe ausziehen, Hirschtalgcreme rauskramen und Füße verwöhnen. Das finden sie richtig gut!

Weiter geht es auf den Brettern, die den Caminho Português bedeuten und ich komme am Obelisken vorbei. Dort treffe ich auf Barbara, die auch in der Nähe von Aachen wohnt. Sie kommt aus Erkelenz. Die Arme hat Probleme mit ihrer Achillessehne. Es begann zwei Wochen bevor sie ihren Jakobsweg starten wollte. So etwas ist echt doof. Sie salbt ihren Fuß und hofft, dass die Schmerzen nicht stärker werden. Ich drücke ihr die Daumen.

Ich brauche eine kleine Pause. Doch Barbara sagt, sie müsse weiter. Ganz nach dem Motto von Sheelah oder war es Ann aus „Ich bin dann mal weg!“: „Keep on running!“