Auf den Körper geschrieben - Jeanette Winterson - E-Book

Auf den Körper geschrieben E-Book

Jeanette Winterson

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Beschreibung

Die Liebschaft der namenlosen Erzählerin – oder ist es doch ein Erzähler? – mit der verheirateten Louise überschattet an Intensität und Bedeutung alles bisher Gekannte. Als Louise jedoch nach nur kurzer gemeinsamer Zeit schwer erkrankt, gerät die gemeinsame Welt ins Wanken. Nur ihr verlassener Ehemann und Arzt kann sie retten, und ein existenzieller Kampf zwischen Liebe und Leben beginnt.

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INHALT

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ÜBER DIE AUTORIN

Jeanette Winterson, 1959 in Manchester geboren veröffentlichte mit fünfundzwanzig Jahren ihren preisgekrönten Debütroman Orangen sind nicht die einzige Frucht. Es folgten zahlreiche weitere Bücher, mit denen sie zu einer der angesehensten Autorinnen Großbritanniens avancierte. Sie ist mit zwei Romanen auf der Liste der »100 Greatest British Novels« vertreten und wurde 2006 von der Queen zum Officer und 2018 zum Commander of the Order of the British Empire ernannt. 2019 wurde ihr neuester Roman Frankissstein für den Booker Prize nominiert. Jeanette Winterson schreibt regelmäßig für den Guardian und lebt in den Cotswolds und in London.

ÜBER DAS BUCH

Die Liebschaft der namenlosen Erzählerin – oder ist es doch ein Erzähler? – mit der verheirateten Louise überschattet an Intensität und Bedeutung alles bisher Gekannte. Als Louise jedoch nach nur kurzer gemeinsamer Zeit schwer erkrankt, gerät die gemeinsame Welt ins Wanken. Nur ihr verlassener Ehemann und Arzt kann sie retten, und ein existenzieller Kampf zwischen Liebe und Leben beginnt.

Warum ist das Maß der Liebe Verlust?

Es hat seit drei Monaten nicht mehr geregnet. Die Bäume tun sich unterirdisch um und schicken Reservewurzeln in den trockenen Boden, Wurzeln scharf wie Rasiermesser, um vielleicht irgendwo eine wasserreiche Ader anzuzapfen.

Die Trauben sind auf den Weinstöcken verdorrt. Was prall und fest sein sollte, dem Druck der Finger Widerstand entgegensetzend, um auf der Zunge zu zergehen, ist matschig und verschrumpelt. Nichts mit dem Vergnügen, die blauen Trauben zwischen Daumen und Zeigefinger zu rollen und mir die Handfläche mit Moschus zu bespritzen. Sogar die Wespen machen dieses Jahr einen Bogen um das spärliche braune Geträufel. Sogar die Wespen. Es war nicht immer so.

Ich denke an einen bestimmten September: Ringeltaube Roter Admiral Gelbe Ernte Orange Nacht. Du sagtest: »Ich liebe dich«. Warum ist das Unoriginellste, was wir einander sagen können, immer noch das, was wir unbedingt hören wollen? »Ich liebe dich« ist stets ein Zitat. Du bist nicht der erste Mensch, der es gesagt hat, ich auch nicht, und dennoch: Wenn du es sagst und wenn ich es sage, sprechen wir wie Wilde, die drei Wörter entdeckt haben und sie anbeten. Ich habe sie angebetet, doch nun bin ich allein auf einem Fels, aus meinem eigenen Körper gehauen.

CALIBAN: Ihr lehrtet Sprache mich, und mein Gewinn ist, dass ich weiß zu fluchen. Hol die Pest Euch fürs Lehren Eurer Sprache.

Liebe verlangt nach Ausdruck. Sie will nicht still und stumm bleiben, brav und bescheiden, gesehen, aber nicht gehört, nein. Sie will in Zungen der Lobpreisung ausbrechen, in den hohen Ton, der das Glas splittern lässt und die Flüssigkeit zum Überlaufen bringt. Liebe ist kein Denkmalpfleger. Sie ist ein Großwildjäger, und du bist das Wild. Verflucht sei dieses Jagdspiel. Wie kann man ein Spiel spielen, wenn die Regeln sich ständig ändern? Ich werde mich Alice nennen und mit den Flamingos Krocket spielen. Im Wunderland mogeln alle, und die Liebe ist das Wunderland, nicht wahr? Liebe macht, dass die Welt sich dreht. Liebe ist blind. All you need is love. An einem gebrochenen Herzen ist noch keiner gestorben. Du wirst darüber hinwegkommen. Wenn du erst verheiratet bist, ist alles wieder gut. Denk an die Kinder. Die Zeit heilt alle Wunden. Du wartest immer noch auf Herrn Richtig? Auf Fräulein Richtig? Und vielleicht all die kleinen Richtigs?

Es sind die Klischees, die schuld sind an der Misere. Ein präzises Gefühl verlangt nach einem präzisen Ausdruck. Wenn das, was ich fühle, nicht präzise ist, soll ich es dann Liebe nennen? Sie ist so erschreckend, die Liebe, dass ich nur eines tun kann: sie ganz tief in eine Truhe voller kuscheligem rosa Spielzeug stopfen und mir selbst eine Karte mit der Aufschrift »Herzlichen Glückwunsch zur Verlobung« schicken. Aber ich bin nicht verlobt. Ich bin zutiefst verwirrt. Ich schaue verzweifelt in die andere Richtung, damit die Liebe mich nicht sieht. Ich will die verwässerte Version, die sentimentalen Sprüche, die bedeutungslosen Gesten. Den durchgesessenen Lehnstuhl der Klischees. Er ist in Ordnung, Millionen von Hinterteilen haben schon vor mir drin gesessen. Die Federn sind ausgeleiert, der Bezug riecht muffig und vertraut. Ich brauche keine Angst zu haben, meine Oma und mein Opa haben es getan, er in einem steifen Kragen mit einer Clubkrawatte, sie in weißem Musselin, der sich ein wenig über dem Leben darunter spannte. Sie haben es getan, meine Eltern haben es getan, und jetzt werde eben ich es tun, mit ausgestreckten Armen, nicht um dich festzuhalten, nur um mein Gleichgewicht zu halten, während ich wie ein Schlafwandler auf diesen Lehnstuhl zugehe. Wie glücklich wir sein werden. Wie glücklich alle sein werden. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Es war ein heißer Augustsonntag. Ich paddelte durch das seichte Wasser des Flusses, wo die kleinen Fische sich verwegen den Bauch sonnen. Zu beiden Seiten des Flusses war das saubere Grün des Rasens einer psychedelischen Spritzmalerei giftiger Lycra-Radlershorts und Hawaii-Shirts, made in Taiwan, gewichen. Sie waren gruppiert, wie Familien sich gerne gruppieren; Dad mit der Zeitung auf dem Bauch, Mum über die Thermosflasche gebeugt. Kinder, dünn und rot wie Zuckerstangen. Mum sah dich ins Wasser gehen und stemmte sich aus dem gestreiften, zusammenklappbaren Campingstuhl hoch. »Sie sollten sich was schämen. Es sind Leute mit kleinen Kindern da.«

Du hast gelacht und gewunken, dein Körper schimmerte unter dem klaren grünen Wasser, seine Form passte dir wie angegossen, hielt dich, war dir treu. Du drehtest dich auf den Rücken, deine Brustwarzen streiften die Wasseroberfläche, und das Wasser schmückte dein Haar mit Perlen. Du bist cremefarben bis auf dein Haar, dein rotes Haar, das dich zu beiden Seiten umrahmt.

»Warten Sie, ich hol meinen Mann, der wird Ihnen Bescheid sagen. George, komm her. Komm her, George.« »Siehst du nicht, dass ich fernsehe?«, sagte George, ohne sich umzudrehen.

Du bist aufgestanden, und das Wasser rieselte in silbernen Bächlein von dir herab. Ich überlegte nicht, ich watete hinein und küsste dich. Du schlangst deine Arme um meinen brennenden Rücken. Du sagtest, »Es ist keiner da außer uns«. Ich blickte auf, und die Ufer waren leer.

Du hast es sorgsam vermieden, jene Worte zu sagen, die bald zu unserem Privataltar wurden. Ich hatte sie vorher oft gesagt, sie fallen lassen wie Münzen in einen Wunschbrunnen, in der Hoffnung, sie würden mich wahr werden lassen. Ich hatte sie oft gesagt, aber nicht zu dir. Ich hatte sie als Vergissmeinnichts an Mädchen verschenkt, die es besser hätten wissen müssen. Ich hatte sie als Geschosse benutzt und als Tauschobjekt. Ich betrachte mich nicht gerne als unaufrichtigen Menschen, aber wenn ich sage, ich liebe dich, und es nicht meine, was bin ich dann?

Werde ich dich ehren und lieben, für dich zur Seite stehen, mich dir zuliebe bessern, dich immer sehen, wenn ich dich anschaue, dir die Wahrheit sagen? Und wenn Liebe nicht all das ist, was dann?

August. Wir diskutierten. Du willst, dass die Liebe immer so ist, jeden Tag, nicht wahr? Über 30 Grad, sogar im Schatten. Diese Intensität, diese Hitze, die Sonne, die sich wie eine Kreissäge in den Körper schneidet. Liegt es daran, dass du aus Australien kommst?

Du hast nicht geantwortet, hast nur meine heiße Hand in deinen kühlen Fingern gehalten und bist leichtfüßig dahingeschritten in Leinen und Seide. Ich kam mir lächerlich vor. Ich trug Shorts, die auf einem Bein das Wort RECYCLE aufgedruckt hatten. Ich erinnerte mich dunkel an eine ehemalige Freundin, die es ungehörig fand, in Shorts vor öffentliche Denkmäler zu treten. Wenn wir uns trafen, band ich mein Rad am Charing Cross an und zog mich in der Toilette um, bevor ich mich bei der Nelsonsäule mit ihr traf.

»Wozu die Mühe?«, sagte ich. »Er hatte nur ein Auge.« »Ich habe zwei«, sagte sie und küsste mich. Es ist ein Fehler, Unlogik mit einem Kuss zu besiegeln, aber ich mache es selbst immer wieder.

Du hast nicht geantwortet. Warum brauchen Menschen Antworten? Zum Teil wohl, weil eine Frage ohne Antwort, und sei es auch nur irgendeine, dumm klingt. Versuch es einmal. Stell dich vor eine Klasse und frag: Wie heißt die Hauptstadt von Kanada? Die Augen starren dich an, gleichgültig, feindlich, manche blicken in die andere Richtung. Du wiederholst: »Wie heißt die Hauptstadt von Kanada?« Und während du in dem Schweigen wartest, ganz entschieden das Opfer, beginnt dein eigener Geist zu zweifeln. Wie heißt sie wirklich, die Hauptstadt von Kanada? Warum Quebec und nicht Montreal? Montreal ist viel hübscher, sie machen einen besseren Espresso, du hast einen Freund dort. Und überhaupt, wen kümmert es schon, welche Stadt die Hauptstadt ist, nächstes Jahr ändern sie es wahrscheinlich. Vielleicht kommt Gloria heute Abend zum Swimmingpool. Etc. etc.

Größere Fragen, Fragen mit mehr als einer Antwort, Fragen ohne Antwort, sind schwerer zu bewältigen, wenn sie auf Schweigen stoßen. Einmal gestellt, lösen sie sich nicht in nichts auf, um den Geist seinen gelasseneren Betrachtungen zu überlassen. Einmal gestellt, gewinnen sie an Dimension und Substanz, bringen dich auf der Treppe zum Stolpern, wecken dich des Nachts. Ein schwarzes Loch schluckt ihre gesamte Umgebung, und nicht einmal das Licht entkommt ihm. Ist es also besser, keine Fragen zu stellen? Besser, ein zufriedenes Schwein zu sein als ein unglücklicher Sokrates? Da die Großmästerei für Schweine härter ist als für Philosophen, will ich es darauf ankommen lassen.

Wir kehrten zurück in unser gemietetes Zimmer und legten uns auf eines der Einzelbetten. In Mietzimmern von Brighton bis Bangkok passt die Bettdecke nie zum Teppich, und die Handtücher sind zu dünn. Ich legte eines unter dich, um das Laken zu schonen. Du hast geblutet.

Wir hatten dieses Zimmer gemietet, deine Idee, um mehr als bloß für ein Abendessen oder eine Nacht oder eine Tasse Tee hinter der Bibliothek zusammen sein zu können. Du warst immer noch verheiratet, und wenn ich auch nicht viele Skrupel kenne, habe ich es doch gelernt, mir einige zu machen, was diesen geheiligten Zustand angeht. Früher betrachtete ich die Ehe als ein Fenster aus Tafelglas, das nur um einen Ziegelstein bittet. Die Selbstdarstellung, die Selbstzufriedenheit, die Scheinheiligkeit, die Enge, die Kleinkariertheit. Die Art und Weise, in der Ehepaare zu viert ausgehen wie ein Pantomimenpferd, die beiden Männer vorne, die Frauen ein Stückchen weiter hinten. Die Männer holen die Gin Tonics von der Bar, und die Frauen führen inzwischen ihre Handtaschen auf die Toilette. Es muss nicht immer so sein, aber meistens ist es so. Ich habe viele Ehen durchgemacht. Nicht auf dem Weg zum Altar hinunter, immer die Treppe zum Schlafzimmer hinauf. Und mit der Zeit fiel mir auf, dass ich jedes Mal die gleiche Geschichte hörte. Sie ging so:

Innen. Nachmittag.

Ein Schlafzimmer. Vorhänge halb zugezogen. Zurückgeschlagenes Bettzeug. Eine Frau mittleren Alters liegt nackt auf dem Bett, den Blick zur Zimmerdecke gerichtet. Sie will etwas sagen, aber es fällt ihr schwer. Ein Kassettenrekorder spielt Ella Fitzgerald Lady sings the Blues.

NACKTE FRAU: Ich möchte dir sagen, dass ich so etwas normalerweise nicht tu. Man nennt es wohl Ehebruch (sie lacht). Ich hab es noch nie vorher getan. Ich glaube nicht, dass ich es noch einmal tun könnte. Mit jemand anderem, meine ich. Oh, mit dir schon. Mit dir möchte ich es wieder tun. Wieder und wieder. (Lässt sich auf den Bauch rollen.) Ich liebe meinen Mann, weißt du. Ich liebe ihn wirklich. Er ist nicht wie andere Männer. Wenn er so wäre, hätte ich ihn nicht heiraten können. Er ist anders, wir haben viel gemeinsam. Wir reden miteinander.

Geliebte/r fährt der nackten Frau mit einem Finger über die bloßen Lippen. Legt sich auf sie, schaut sie an. Sagt nichts.

NACKTE FRAU: Wahrscheinlich hätte ich mich nach irgendetwas umgesehen, wenn ich dich nicht getroffen hätte. Ich hätte zum Beispiel an die Open University gehen und ein Studium absolvieren können. Aber an das habe ich nicht gedacht. Ich habe ihm nie auch nur einen Augenblick Kummer bereiten wollen. Und darum kann ich es ihm nicht sagen. Wir müssen vorsichtig sein. Ich will nicht grausam und egoistisch sein. Das verstehst du doch, nicht wahr?

Geliebte/r steht auf und geht zur Toilette. Nackte Frau stützt sich auf die Ellbogen und setzt den Monolog in Richtung Badezimmer fort.

NACKTE FRAU: Beeil dich, Darling. (kurze Pause) Ich hab versucht, dich mir aus dem Kopf zu schlagen, aber ich krieg dich nicht aus dem Blut. Ich denke Tag und Nacht an deinen Körper. Wenn ich zu lesen versuche, lese ich dich. Wenn ich mich zum Essen setze, esse ich dich. Wenn er mich berührt, denke ich an dich. Ich bin eine glücklich verheiratete Frau mittleren Alters, aber ich sehe nichts anderes mehr als dein Gesicht. Was hast du mit mir gemacht?

Schnitt zum Badezimmer. Geliebte/r weint. Ende der Szene.

Es ist schmeichelhaft zu glauben, du und nur du allein, könntest das vollbracht haben. Ohne dich wäre die Ehe, so unvollkommen sie auch ist, so kläglich in vieler Hinsicht, mit ihrer mageren Kost ausgekommen und weiter gediehen. Und wenn schon nicht gediehen, so doch zumindest nicht verkümmert. Aber sie ist verkümmert, schlapp und unbenutzt liegt sie da, die leere Muschelschale einer Ehe, deren Bewohner beide geflohen sind. Aber manche Leute sammeln schließlich Muscheln. Sie geben sogar Geld dafür aus und dekorieren damit ihre Fensterbänke. Andere bewundern sie. Ich habe ein paar sehr berühmte Muscheln gesehen und in die Öffnungen vieler weiterer hineingeblasen. Wo ich Risse hinterließ, die nicht mehr zu flicken waren, haben die Besitzer ganz einfach die schlechte Seite weggedreht.

Sehen Sie? Selbst hier, an diesem einsamen Ort, ist meine Syntax ein Opfer der Täuschung geworden. Nicht ich war es, der diese Dinge tat; den Knoten durchschnitt, das Schloss aufbrach, mit Dingen davonging, die zu nehmen mir nicht zustand. Die Tür war offen. Zugegeben, sie hat sie nicht selbst geöffnet. Ihr Butler hat es für sie getan. Sein Name war Langeweile. Sie sagte, »Langeweile, bring mir ein Spielzeug«. Er sagte, »Sehr wohl, Ma’am«, legte seine weißen Handschuhe an, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen, pochte an mein Herz, und ich verstand, sein Name sei Liebe.

Sie glauben, ich wolle mich vor der Verantwortung drücken? Nein, ich weiß, was ich getan habe, und ich wusste es auch, als ich es tat. Aber ich bin nicht vor den Altar getreten, habe mich nicht in der Schlange vor dem Standesamt angestellt und geschworen, treu zu sein bis in den Tod. Das würde ich nie wagen. Ich habe nicht gesagt: »Mit diesem Ring vermähle ich mich dir.« Ich habe nicht gesagt: »Mit diesem Körper huldige ich dir.« Wie kann man so etwas zu einem Menschen sagen und vergnügt einen anderen vögeln? Sollte man diesen Schwur nicht nehmen und auf dieselbe Weise brechen, wie man ihn geleistet hat – in aller Öffentlichkeit?

Seltsam, dass die Ehe, eine öffentliche Zurschaustellung und allen frei zugänglich, dieser heimlichsten aller Liaisons Tür und Tor öffnet: einer ehebrecherischen Affäre.

Ich hatte einmal eine Geliebte. Sie hieß Bathseba. Sie war eine glücklich verheiratete Frau. Ich bekam langsam das Gefühl, als befände ich mich mit ihr in einem Unterseeboot. Wir konnten es unseren Freunden nicht sagen, zumindest konnte sie es ihren nicht sagen, weil sie auch seine waren. Ich konnte es meinen nicht sagen, weil sie mich darum gebeten hatte. Wir sanken tiefer und tiefer in unserem mit Liebe und Blei ausgekleideten Sarg. Die Wahrheit zu sagen, erklärte sie, sei ein Luxus, den wir uns nicht leisten könnten, und so wurde das Lügen zu einer Tugend, einer Einschränkung, die wir uns auferlegen mussten. Die Wahrheit zu sagen hätte wehgetan, und so wurde das Lügen zu einer guten Tat. Eines Tages erklärte ich: »Ich werde es ihm selbst sagen.« Das war nach zwei Jahren, zwei Jahre, nach denen ich mir dachte, sie müsste ihn endlich, endlich einmal doch verlassen. Das Wort, das sie benutzte, war »monströs«. Es ihm zu sagen wäre monströs. Monströs. Ich dachte an den an seinen ausgehöhlten Felsen geketteten Caliban. »Hol die Pest Euch fürs Lehren Eurer Sprache.«

Später, als ich frei war von ihrer Welt der Doppeldeutigkeiten und Freimaurersymbole, wurde ich zum Dieb. Ich hatte ihr nie etwas gestohlen, sie hatte ihre Ware auf einer Bettdecke ausgebreitet und mich zu wählen gebeten. (In Klammern jedoch stand der Preis dabei.) Als es vorbei war, wollte ich meine Briefe zurück. Mein Copyright, sagte sie, aber ihr Eigentum. Von meinem Körper hatte sie dasselbe gesagt. Vielleicht war es falsch, in ihre Rumpelkammer zu klettern und mir das Letzte zurückzuholen, was noch von mir da war. Sie waren leicht zu finden, in einen großen gepolsterten Umschlag mit einem Etikett aus einem Dritte-Welt-Laden gestopft, auf dem vermerkt war, dass sie im Falle ihres Todes an mich zurückzusenden seien. Ein netter Zug; sicher hätte er sie gelesen, aber dann wäre sie nicht mehr da gewesen, um die Folgen zu tragen. Und hätte ich sie gelesen? Wahrscheinlich. Ein netter Zug.

Ich ging damit in den Garten und verbrannte sie einen nach dem anderen, und ich dachte, wie leicht es doch ist, die Vergangenheit zu vernichten, und wie schwer es ist, sie zu vergessen.

Habe ich gesagt, dass mir so etwas immer wieder passiert ist? Sie werden denken, dass ich ständig in den Rumpelkammern verheirateter Frauen aus und ein gegangen bin. Ich habe Sinn für Höhen, das ist wahr, aber mein Magen verträgt keine Tiefen. Komisch, dass ich dann so viele ergründet habe.

Wir lagen auf unserem Bett in dem gemieteten Zimmer, und ich fütterte dich mit Pflaumen von der Farbe blauer Flecken. Die Natur ist fruchtbar, aber launisch. In einem Jahr lässt sie dich verhungern, im nächsten erstickt sie dich in Liebe. In jenem Jahr hingen die Zweige tief herab unter dem Gewicht, in diesem Jahr singen sie im Wind. Es gibt keine reifen Pflaumen im August. Habe ich einen Fehler gemacht in dieser zögernden Chronologie? Vielleicht sollte ich sie Emma Bovarys Augen nennen oder Jane Eyres Kleid. Ich weiß nicht. Hier sitze ich in einem anderen gemieteten Zimmer und versuche zurückzufinden zu der Stelle, wo die Dinge sich verfahren haben. Wo ich mich verfahren habe. Du warst am Steuer, aber ich habe mich auf der Suche nach meinem eigenen Kurs verirrt.

Wie dem auch sei, machen wir weiter. Es waren Pflaumen da, und ich brach sie über dir. Du sagtest: »Warum mache ich dir Angst?«

Mir Angst machen? Ja, du machst mir Angst. Du tust, als würden wir für immer zusammenbleiben. Du tust, als wäre die Freude unendlich und als hätten wir Zeit ohne Ende. Woher soll ich das kennen? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Zeit immer endet. Theoretisch hast du recht, die Quantenphysiker haben recht, die Romantiker und die Religiösen haben recht. Zeit ohne Ende. In der Praxis tragen wir beide eine Uhr. Wenn ich mich in diese Beziehung stürze, dann weil ich um sie fürchte. Ich fürchte, du hast eine Tür, die ich nicht sehen kann, und diese Tür kann jederzeit aufgehen und du bist fort. Was dann? Was dann, während ich auf die Wände einschlage wie die Inquisition, die nach einem Heiligen sucht? Wo werde ich den geheimen Ausgang finden? Für mich werden es nur dieselben vier Wände sein.

Du sagtest: »Ich werde gehen.«

Ich dachte: »Ja, natürlich, du kehrst zurück in die Muschelschale. Ich bin ein Idiot. Ich habe es wieder getan, und ich hatte gesagt, ich würde es nie wieder tun.«

Du sagtest: »Ich habe es ihm gesagt, bevor wir weg sind. Ich habe ihm gesagt, dass ich meine Absicht nicht ändern werde, auch dann nicht, wenn du deine ändern solltest.«

Das ist das falsche Skript. Das ist der Augenblick, in dem ich selbstgerecht und zornig sein müsste. Das ist der Augenblick, in dem du mir tränenüberströmt erklären müsstest, wie schwer es ist, diese Dinge zu sagen, aber was kannst du denn machen, was kannst du denn machen, und ich werde dich hassen und, ja, du weißt, dass ich dich hassen werde, und es gibt keine Fragezeichen in dieser Rede, denn sie ist ein fait accompli.

Aber du starrst mich an, wie Gott Adam anstarrte, und ich werde verlegen unter deinem Blick voller Liebe und Besitzergreifung und Stolz. Ich möchte gehen und mich mit Feigenblättern bedecken. Es ist eine Sünde, dieses Nichtbereitsein, dieses Der-Situation-nicht-gewachsen-Sein.

Du sagtest: »Ich liebe dich, und meine Liebe zu dir macht jedes andere Leben zu einer Lüge.«

Kann das wahr sein, diese einfache, klare Botschaft, oder bin ich wie jene schiffbrüchigen Seefahrer, die nach einer leeren Flasche greifen und eifrig herauslesen, was nicht drinnen ist? Aber du bist da, bist hier, wie ein Geist aus der Flasche zu zehnfacher Größe angewachsen, hoch überragst du mich, und deine Arme halten mich umfangen wie Gebirgshänge. Dein rotes Haar leuchtet, und du sagst, »Sprich drei Wünsche aus, und sie werden alle drei wahr werden. Sprich dreihundert aus, und ich werde jeden einzelnen davon erfüllen«.

Was taten wir in dieser Nacht? Wir müssen eng umschlungen zu einem Café gegangen sein, das eine Kirche war, wo wir einen griechischen Salat aßen, der wie ein Hochzeitsmahl schmeckte. Wir begegneten einer Katze, die bereit war, als Trauzeuge einzuspringen, und das Brautbouquet war ein Strauß Kuckucksnelken vom Rand des Kanals. Wir hatten etwa zweitausend Gäste, hauptsächlich Mücken, und wir fanden, dass wir alt genug wären, uns einander selbst zu vermählen. Es wäre schön gewesen, mich mit dir auf den Boden zu legen und dich unter dem Mond zu lieben, aber die Liebe in freier Natur ist nur in Filmen und in Country- und Westernsongs schön, in Wirklichkeit ist es eine kratzige Angelegenheit.

Ich hatte einmal eine Freundin, die auf sternenhelle Nächte stand. Betten gehörten ihrer Meinung nach in Krankenhäuser. Sie fuhr auf alles ab, was ungefedert war. Sobald man ihr eine Steppdecke zeigte, drehte sie den Fernseher an. Ich schlug mich auf Campingplätzen und in Kanus, in den Zügen der British Rail und in Flugzeugen der Aeroflot mit diesem Problem herum. Ich kaufte einen Futon und schließlich eine Turnmatte. Ich musste extradicke Teppiche auf den Boden legen. Ich gewöhnte mir an, wohin ich auch ging, stets ein Plaid bei mir zu haben, wie ein radikaler Parteigänger der schottischen Nationalisten. Als ich schließlich zum fünften Mal zum Arzt kam, um mir eine Distel entfernen zu lassen, sagte er: »Wissen Sie, die Liebe ist ja eine sehr schöne Sache, aber für Leute wie Sie gibt es Kliniken.« Na ja, es ist kein Spaß, wenn man in den Akten des staatlichen Gesundheitsdienstes als Perverser geführt wird, und Demütigungen dieser Art gehen wohl doch um eine Romanze zu weit. Wir mussten Abschied nehmen voneinander, und wenn es auch einiges an ihr gab, was mir fehlte, war es doch angenehm, wieder durch die Gegend zu spazieren, ohne in jedem Busch und jedem Gestrüpp einen potenziellen Aggressor zu sehen.

Louise, in diesem Einzelbett, zwischen diesen knallbunten Laken, werde ich eine Schatzkarte voller Verheißungen finden. Ich werde dich erforschen und in dir schürfen, und du wirst mich nach deinem Willen neu kartografieren. Wir werden jeder des anderen Grenzen überschreiten und uns zu einer Nation machen. Schöpf mich in deine Hände, denn ich bin gute Erde. Iss von mir und lass mich dir süß munden.

Juni. Der nasseste Juni aller Zeiten. Wir liebten uns jeden Tag. Wir waren glücklich wie die Fohlen, schamlos wie die Kaninchen und unschuldig wie Tauben in unserer Jagd nach Lust. Keiner von uns dachte darüber nach, und wir hatten keine Zeit, darüber zu reden. Die Zeit, die wir hatten, nutzten wir. Diese kurzen Tage und noch kürzeren Stunden waren kleine Opfergaben an einen Gott, der durch brennendes Fleisch nicht besänftigt werden konnte. Wir verzehrten einander, und gleich darauf waren wir wieder hungrig. Es gab kurze Weilen der Entspannung, Augenblicke der Ruhe, still wie ein künstlicher See, aber hinter uns immer die donnernde Flut.

Es gibt Menschen, die behaupten, Sex sei ohne Bedeutung für eine Beziehung. Was einen durch die Jahre bringt, seien Freundschaft und miteinander auskommen. Sicher ist das eine Aussage nach bestem Wissen und Gewissen, aber ist sie auch wahr? Ich war selbst zu dieser Überzeugung gelangt. Man kommt dahin, wenn man jahrelang den Lothario gespielt hat und nichts sieht als ein leeres Bankkonto und einen Stapel alter Liebesbriefe, der vor sich hin gilbt wie ein Stapel von Schuldscheinen. Ich hatte die Kerzen und den Champagner, die Rosen und das Frühstück im Morgengrauen, die transatlantischen Telefongespräche und die impulsiven Flugreisen zu Tode geritten. Ich hatte das alles getan, um dem Kakao und den Wärmflaschen zu entgehen. Ich hatte es getan, weil ich geglaubt hatte, der Feuerofen müsse besser sein als die Zentralheizung. Ich konnte wohl nicht zugeben, dass auch ich in einem Klischee befangen war, und es war um nichts weniger abgedroschen als die Rosen über der Tür meiner Eltern. Was ich suchte, war die perfekte Paarung; der von keinem Schlaf unterbrochene, gewaltige Nonstop-Orgasmus. Ekstase ohne Ende. Mein Karren steckte tief in der Rührseligkeit der Romantik. Klar, dass er ein bisschen rassiger war als die meisten, ich bin immer einen Sportwagen gefahren, aber auch wenn man den Motor noch so hinaufjagt, dem wirklichen Leben entkommt man ja doch nicht. Das nette, häusliche Mädchen kriegt einen am Ende ja doch. Und so ist es passiert.

Ich lag in den letzten Zuckungen einer Affäre mit einer Holländerin namens Inge. Sie war eine engagierte Romantikerin und anarchistische Feministin. Das war hart für sie, denn es bedeutete, dass sie es nicht über sich brachte, schöne Bauwerke in die Luft zu sprengen. Sie wusste, dass der Eiffelturm ein abscheuliches Symbol phallischer Unterdrückung war, aber als ihr aufgetragen wurde, den Lift zu sprengen, damit niemand mehr gedankenlos eine Erektion erklimmen konnte, kamen ihr all die jungen Romantiker in den Sinn, die ihren Blick über Paris schweifen ließen und Luftpostbriefe öffneten, in denen stand: Je t’aime.

Wir gingen in den Louvre, um uns eine Renoir-Ausstellung anzusehen. Inge trug eine Guerillakappe und Stiefel, um nicht irrtümlich für eine Touristin gehalten zu werden. Den Preis für ihre Eintrittskarte rechtfertigte sie als »politische Forschungstätigkeit«. »Schau dir diese Akte an«, sagte sie, obwohl ich keiner Aufforderung bedurfte. »Überall Körper, nackt, missbraucht, den Blicken preisgegeben. Weißt du, wie viel diese Modelle bezahlt bekamen? Kaum genug, um sich ein Baguette zu kaufen. Ich sollte die Bilder aus den Rahmen reißen und mich mit dem Ruf ›Vive la résistance‹ ins Gefängnis bringen lassen.«

Renoirs Akte sind nicht die schönsten der Welt, aber trotzdem, als wir zu seinem Bild La Boulangère kamen, weinte Inge. Sie sagte: »Ich hasse es, weil es mich berührt.« Ich sagte nicht, dass aus diesem Holz Tyrannen gemacht sind, ich sagte, »Es geht nicht um den Maler, es geht um das Gemälde. Vergiss Renoir, halt dich an das Bild«.

Sie sagte: »Weißt du nicht, dass Renoir behauptet hat, er würde mit dem Penis malen?« »Keine Sorge«, sagte ich. »Es stimmt. Als er starb, fanden sie nur einen alten Pinsel zwischen seinen Eiern.«

»Das hast du erfunden.«

Habe ich?

Schließlich fanden wir eine Lösung für Inges ästhetische Krise, indem wir ihr Semtex in eine Reihe sorgfältig ausgewählter Pissoirs brachten. Sie waren alle absolut hässliche Betonbaracken und eindeutig Funktionsstätten des Penis. Sie sagte, ich würde mich nicht zum Helfer im Kampf für ein neues Matriarchat eignen, weil ich SKRUPEL hätte. Das war eine KAPITALE Beleidigung. Trotzdem war es nicht der Terrorismus, der uns auseinanderbrachte, es waren die Tauben …

Meine Aufgabe bestand darin, mit einem von Inges Strümpfen über dem Kopf in die Pissoirs zu gehen. Das allein hätte vielleicht nicht viel Aufsehen erregt, Herrentoiletten sind ziemlich liberale Orte, aber dann musste ich die Reihe der Burschen dazu auffordern, sofort den Raum zu verlassen, wenn sie nicht riskieren wollten, dass man ihnen die Eier wegsprengte. Meist fand ich folgende Situation vor: Fünf Männer, Schwänze in der Hand, starrten auf das braun gestreifte Porzellan, als wäre es der Heilige Gral. Warum eigentlich machen Männer wirklich alles so gerne gemeinsam? Ich sagte (Inge zitierend): »Dieses Pissoir ist ein Symbol des Patriarchats und muss zerstört werden.« Dann (mit meiner eigenen Stimme): »Meine Freundin hat soeben den Sprengstoff verlegt, wärt ihr so nett, zum Ende zu kommen?«

Was würden Sie unter solchen Umständen tun? Man sollte doch meinen, die drohende Kastrierung, gefolgt vom sicheren Tod, müsste genügen, um einen normalen Mann dazu zu bringen, seinen Schwanz abzuwischen und um sein Leben zu rennen? Aber sie taten es nicht. Immer und immer wieder kam es vor, dass sie es nicht taten, bloß verächtlich die Tropfen wegschnalzten und Renntipps austauschten. Ich bin ein gesitteter Mensch, aber Unverschämtheit kann ich nicht leiden. Ich kam zu dem Schluss, dass es bei diesem Job recht hilfreich war, wenn ich eine Pistole bei mir hatte.

Ich zog sie aus dem Bund meiner RECYCLE-Shorts (ja, die habe ich schon lange) und richtete den Lauf auf den nächsten Pimmel. Das löste ein wenig Unruhe aus, und einer sagte: »Spinnst du oder was?« Er sagte es, aber er zog den Reißverschluss seiner Hosenklappe zu und zischte ab. »Hände hoch, Jungs«, sagte ich. »Nein, rührt sie nicht an, sie werden im Wind trocknen müssen.«

In diesem Augenblick hörte ich die ersten Takte von Strangers in the Night. Es war Inges Signal, dass es in fünf Minuten krachen würde, ob die fertig waren oder nicht. Ich schob meine zweifelnden Schlappschwänze durch die Tür und rannte los. Ich musste die fahrbare Hamburger-Bude erreichen, die Inge sich als Versteck gewählt hatte. Ich warf mich neben sie und blickte zwischen den Brötchen hindurch zurück. Es war eine sehr schöne Explosion. Eine herrliche Explosion, viel zu gut für ein paar mickrige Pissbuden. Wir waren allein am Rand der Welt, Terroristen im guten Kampf für eine gerechtere Gesellschaft. Ich dachte, ich liebte sie, und dann kamen die Tauben.

Sie verbot mir, sie anzurufen. Sie sagte, Telefone wären für Rezeptionistinnen, das heißt, für Frauen ohne Rang. Ich sagte, gut, dann schreibe ich. Falsch, sagte sie. Der Postbetrieb liege in den Händen von Despoten, die nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitskräfte ausbeuteten. Was sollten wir tun? Ich wollte nicht in Holland leben. Sie wollte nicht in London leben. Wie konnten wir in Verbindung bleiben?

Tauben, sagte sie.

Und so kam es, dass ich das Dachgeschoss des Pimlico Women’s Institute mietete. Ich habe weder etwas für noch gegen das Women’s Institute, sie waren die Ersten, die eine Kampagne gegen FCKW-haltige Aerosolsprays unternahmen, und sie backen einen gemein guten Biskuitkuchen, aber das ist mir im Grunde egal. Worauf es ankam, war, dass die Fenster ihres Dachgeschosses ungefähr in Richtung Amsterdam liegen.

Ich kann mir vorstellen, dass Sie sich mittlerweile fragen, ob ich als Erzählerinstanz vertrauenswürdig bin. Warum habe ich Inge nicht einfach stehen lassen und mich auf den Weg in eine Single’s Bar gemacht? Die Antwort sind ihre Brüste.

Es waren keine Superbrüste, nicht von der aufrechten Art, die manche Frauen wie Epauletten tragen, als Rangabzeichen. Sie waren auch nicht von der Art pubertärer Playboyfantasien. Sie hatten ihre Zeit gedient und begannen den hartnäckigen Gesetzen der Schwerkraft nachzugeben. Das Fleisch war braun, der Hof um die Brustwarzen noch brauner, die Brustwarzen selbst perlschwarz. Meine Zigeunerschwestern nannte ich sie, wenn auch nicht vor ihr. Ich vergötterte sie schlicht und aufrichtig, nicht als Mutterersatz oder weil ich ein Mutterschoßtrauma habe, sondern einfach um ihrer selbst willen. Freud hatte nicht in allem recht. Manchmal ist ein Busen ein Busen und nichts als ein Busen.

Ein halbes Dutzend Mal griff ich zum Telefon. Sechsmal legte ich den Hörer wieder hin. Wahrscheinlich hätte sie nicht abgehoben. Wahrscheinlich hätte sie das Telefon abgemeldet, wäre da nicht ihre Mutter in Rotterdam gewesen. Sie hat mir nie erklärt, woher sie wissen wollte, dass ihre Mutter dran war und keine Rezeptionistin. Woher sie wissen wollte, dass eine Rezeptionistin dran war und nicht ich. Ich wollte mit ihr sprechen.