Auf Herz und Nieren - Stefan Loß - E-Book

Auf Herz und Nieren E-Book

Stefan Loß

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Beschreibung

'Herr Loß, Sie haben Zystennieren.' Mit dieser Diagnose beginnt für Stefan Loß die herausforderndste Zeit seines Lebens. Eine Achterbahnfahrt, die ihn extrem herausfordert. In seinem Berufsleben hat er oft Menschen portraitiert, die selbst Grenzsituationen erlebt haben. Ihn hat die Frage interessiert, ob der Glaube an Gott in schweren Zeiten tatsächlich trägt und Hoffnung gibt. Er liebt es, solche Geschichten für TV und Radio nachzuzeichnen. Jetzt ist es seine eigene Geschichte, die ihn in Grenzsituationen bringt. Und das in der aktivsten Zeit seines Lebens. Nur acht Jahre nach der Diagnose versagen seine Nieren. Er wird Dialysepatient. Am 28. Februar 2017 spendet ihm seine Frau Sabine eine ihrer Nieren im Rahmen einer ABO-inkompatiblen Lebendspende. Bis dahin ist es ein weiter Weg, der von Zweifeln und Ängsten geprägt ist, aber auch von der Hoffnung und dem Glauben an einen guten Gott, der ihn nicht alleine lässt. Stefan Loß nimmt die Leser mit auf die Achterbahnfahrt seines eigenen Lebens. Lesenswert, weil ehrlich und authentisch. Ein Buch, das Hoffnung darauf macht, dass der Glaube an Gott auch in schweren Zeiten trägt.

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Stefan Loß

Auf Herz und Nieren

Als das Leben mit mir Achterbahn fuhr

Stefan Loß, Jahrgang 1962, Redakteur, Autor, Coach und Moderator. Verheiratet mit Sabine. Drei erwachsene Kinder. Hat in Heidelberg Politik, Geschichte und Philosophie studiert. Arbeitet als Ausbildungsleiter und Moderator für ERF Medien. Der Autor steht für Lesungen, Vorträge, Predigten und Coachings zu Interviewführung und Gottesdienstmoderation zur Verfügung. Weitere Infos und Anfragen: www.StefanLoss.deAuf der Webseite finden Sie auch ergänzendes Material zum Buch und manches mehr.

Wenn nicht anders angegeben, sind die Bibelstellen (Neues Testament) demBibeltext der Neuen Genfer Übersetzung – Neues Testament und Psalmenentnommen (NGÜ), © 2011 Genfer Bibelgesellschaft.Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten.Die Bibelstellen (Altes Testament) sind der Übersetzung Hoffnung für alle®entnommen (Hfa), © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica, Inc.®.Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Fontis.Gekennzeichnete Ausnahmen:Revidierte Elberfelder Bibel© 1985/1991/2006 SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten (ELB)Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift© 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart (EÜ).

© 2020 Brunnen Verlag GmbH

Lektorat: Petra Hahn-Lütjen

Umschlagfoto: Inara Janzen

Umschlaggestaltung: Jonathan Maul

Satz: DTP Brunnen

ISBN Buch: 978-3-7655-0744-1

ISBN E-book: 978-3-7655-7557-0

www.brunnen-verlag.de

Inhalt

Stimmen zum Buch

Kapitel 1 „Bitte anschnallen!“

Kapitel 2 Meine Suche nach einem Halt im Leben

Kapitel 3 Aufbruch zu einer Reise, die ich nie antreten wollte – und die vage Hoffnung auf ein Wunder

Kapitel 4 Beten für ein Wunder?

Kapitel 5 Schluss mit dem Verdrängen – und eine unverhoffte Auszeit

Kapitel 6 Weihnachten, der erste Klinikaufenthalt und eine besondere Gottesbegegnung in London

Kapitel 7 Zwischen den Zeiten – ein besonderes Osterfest

Kapitel 8 Ein schlimmer Verdacht – Krebs an der Niere?

Kapitel 9 Die erste Operation – und warten auf gute Nachrichten

Kapitel 10 Die Frage nach dem „WARUM“

Kapitel 11 Die Zeit an der Dialyse und Vorbereitung der Transplantation

Kapitel 12 Eine Auszeit in Dänemark – Blutdruck und andere gute Freunde

Kapitel 13 Endlich – Vorbereitungen auf die Transplantation!

Kapitel 14 Transplantation – der erste Anlauf

Kapitel 15 Zwischen den Zeiten – Weihnachten in der Parallelwelt

Kapitel 16 Der zweite Anlauf – die Transplantation

Kapitel 17 Der Endspurt – die Transplantation

Kapitel 18 Nach der Transplantation

Kapitel 19 Und heute?

Dank

Anmerkungen

Stimmen zum Buch

Krankheit gehört zum Leben. Sie fragt nicht nach „gut oder böse“, „fromm oder atheistisch“, „klug oder dumm“. Wenn sie da ist, ist sie da – und wir Menschlein müssen damit leben, umgehen, überleben.

Ich kenne Stefan Loß schon viele Jahre, fast ein Leben lang. Mich fasziniert, wenn Menschen eine ehrliche und hoffnungsvolle Sprache finden für ihren ganz eigenen Umgang mit ihrem Schicksal. Das gelingt Stefan – mit Ernst, Ehrlichkeit und einer guten Prise Humor. Was er schreibt, hilft mir. In meinem Umgang mit Krankheit und den Achterbahnfahrten des Lebens. Und Ihnen hilft es bestimmt auch.

Dr. Michael Diener,Präses Evangelischer Gnadauer Gemeinschaftsverband

Stefan Loß ist ein Gott-Sucher. Er hält bevorzugt da seine Sinne durchlässig, wo das Leben sich im Bunten, Sanften und Wohltönenden entfaltet, wie wohl die meisten von uns. Dass der Gott, an den er glaubt, auch im Grauen zu finden sein könnte, wusste er längst, nur erfahren hatte er es noch nicht.

Von dieser Erfahrung erzählt seine Chronik zahlloser Einbrüche des Unfassbaren und vieler kleiner Aufbrüche zu einer neuen Wahrnehmung des Schöpfers, Bewahrers und Retters allen Lebens.

Da fügt es sich gut, dass die harte Gnade einen wortmächtigen Journalisten mitriss, in dessen Grundausstattung ein wenig britischer Humor und viel literarische Kenntnis verbaut sind, auch die Kenntnis biblischer Verse, die hier einen aktuellen Kontext bekommen.

„Auf Herz und Nieren“ hat das Zeug, denen gefühlvoll ans Herz zu gehen, die selbst Irrsal und Wirrsal erleiden, und denen ganz nüchtern an die Nieren, die am „lieben Gott“ nur sanfte Züge erkennen wollen.

Uwe Schulz, Moderator, WDR

Seit 30 Jahren kenne ich Stefan Loß als Journalistenkollegen und Freund. Ich war geschockt, als ich von seiner schweren Krankheit gehört habe. Über seinen Blog konnte ich mit ihm und der ganzen Familie und Freunden hoffen, beten, weinen und mich natürlich auch mitfreuen. Beim Lesen des Buches hat mich beeindruckt, wie ihn die schweren Zeiten verändert haben: Statt bitter zu werden, ist er dankbarer geworden als je zuvor! Er geht mit seinem Glauben an Gott viel offener um. Er verschweigt seine Ängste und Sorgen nicht. Gerade das macht ihn so authentisch und glaubwürdig! Ich bin froh, dass er seine Erlebnisse, Gedanken und Gefühle in diesem Buch zusammengefasst hat. Und ich denke, dass die Leserinnen und Leser dadurch ermutigt werden.

Sabine Langenbach, Autorin, Referentin für Lebensfragen,Radio-, TV- und Eventmoderatorin

Ein starkes Buch! Eins, das Klartext spricht, das Fakten wie Gefühle benennt und mich so mitnimmt auf die Achterbahnfahrt, die Stefan Loß nach der Diagnose unfreiwillig durchstehen muss: „Zystennieren“. Unheilbar. Sein Leben wird komplett auf den Kopf gestellt, und er beschreibt genau das.

„Manches mag respektlos klingen, aber in Grenzsituationen will man keine netten Worte finden“, erklärt er. Diese Ehrlichkeit und Offenheit machen das Buch so wertvoll.

Heute lebt Stefan mit der Niere seiner Frau weiter. Er ist ein anderer Mensch geworden. Ein dankbarer, tiefgründender, noch intensiver Glaubender. Sein „Zwischenergebnis“ ist verblüffend: „Ja, ich bin Gott dankbar. Vielleicht nicht direkt für die Krankheit. Aber ich bin Gott dankbar für vieles, was ich in der akuten Zeit der Krankheit erleben und erfahren durfte.“

Stefans Erfahrungen, seine selbst durchlebte, selbst durchlittene, sehr reflektierte Geschichte ist authentisch, wahr und Mut machend. Beim Lesen nehme ich ihm jedes Wort ab – er hat ein Buch für Kranke, Gesunde und alle anderen „Achterbahnfahrer“ geschrieben.

Christoph Zehendner, Journalist, Liedermacher, Theologe

Kapitel 1

„Bitte anschnallen!“

Wie mein Leben zur Achterbahnfahrt wurde

„Habe dein Schicksal lieb,es ist der Weg Gottes mit deiner Seele.“

FJODOR MICHAILOWITSCH DOSTOJEWSKI

Es war damals die höchste Achterbahn Europas. Das wusste ich, aber mein Sohn wollte unbedingt damit fahren. Und weil Christian erst zehn war, musste Papa mit. Wir stellten uns geduldig an, dann waren wir an der Reihe. Wir zwängten uns in die Sitze. Die Bügel wurden runtergeklappt und ich war fest im Wagen verkeilt. Zumindest meine Oberschenkel. Die Wagen setzten sich in Bewegung. Ratternd ging es in die Höhe. Immer weiter und weiter. Langsam wurde mir mulmig. Dann hatten wir den Gipfel erreicht und gleich darauf ging es fast senkrecht nach unten. Ich war mir sicher: Da waren keine Schienen vor uns, da war nur eine große Leere und in wenigen Sekunden würden wird dort unten krachend auf dem Boden aufschlagen und das war’s. Aber kurz vor dem tödlichen Aufprall änderte der Wagen seine Richtung, legte sich in die Kurve und schoss direkt auf den nächsten Gipfel zu. Ganz kurz war ich erleichtert, dass ich den Sturz ins Bodenlose überlebt hatte. Dann sah ich den nächsten Gipfel der Achterbahn. Und mir war klar: Wenn wir mit dieser Geschwindigkeit über die nächste Spitze fahren, hebt es mich einfach aus dem Sitz und ich verschwinde irgendwo im All. Ich war mir sicher.

Der Bügel an meinen Beinen hat auch dieser Belastung standgehalten und es hat mich nicht aus dem Sitz katapultiert. Langsam wurde die Fahrt etwas gemütlicher und ein Ende war absehbar. Als wir kurz vor dem Ziel langsam ausrollten, war ich überzeugt: Das war meine letzte Fahrt in einer Achterbahn. Man soll sein Schicksal nicht unnötig herausfordern. Christian war begeistert. Ich war nur froh, dass ich aussteigen konnte und dass er vor lauter Begeisterung meine zitternden Knie nicht bemerkte.

In einem Vergnügungspark kann man sich aussuchen, welche Attraktionen man ausprobieren will. Da gibt es auch durchaus entspanntere Möglichkeiten als eine halsbrecherische Achterbahnfahrt. Aber im wahren Leben ist die freie Auswahl begrenzt. Gerade wenn man sich so richtig wohl und sicher fühlt, kann es passieren, dass man sich auf einmal auf der Achterbahn des Lebens wiederfindet. Manchmal reicht ein Anruf, um das Leben aus dem Gleichgewicht zu bringen. Eine kleine Unachtsamkeit beim Autofahren oder eine überraschende Diagnose nach einer Routineuntersuchung.

Die Diagnose

Seit dem Sommer 2008 weiß ich, dass ich Zystennieren habe. Der Arzt informierte mich darüber, dass es wahrscheinlich noch acht bis zehn Jahre dauern würde – bis zum Nierenversagen. Terminale Niereninsuffizienz nennt man das im Fachjargon. Danach müsste ich dann an die Dialyse, und wenn ich Glück hätte, käme für mich eine Transplantation infrage.

An diesem Tag begann meine persönliche Fahrt auf der Achterbahn des Lebens. Niemand hatte mich gefragt, ich bin nicht freiwillig eingestiegen und ich hatte auch kaum eine Ahnung davon, was auf mich zukommen sollte. Das kam erst Stück für Stück, als ich begann, mich über „meine“ Krankheit zu informieren: Bei ADPKD wachsen Zysten im Nierengewebe, die das gesunde Gewebe verdrängen. Die Zystennieren können mehrere Kilogramm schwer werden und entsprechend groß, was zu erheblichen Belastungen und Schmerzen führen kann. Eine Heilung gibt es nicht.1

Im Sommer 2008 hatte ich noch nicht viel Ahnung – und die Zystennieren schränkten mein Leben auch noch nicht ein. Deshalb habe ich das Ganze für die nächsten Jahre erst einmal – so gut es ging – verdrängt. Dennoch war mir klar, dass diese Krankheit einen wesentlichen Einfluss auf meine Zukunft haben würde. Einschränkungen durch die Dialyse, vielleicht eine Transplantation und auf jeden Fall eine geringere Lebenserwartung.

Ich hatte Angst vor dem, was auf mich zukommen würde. Ich war wütend, weil ich das Gefühl hatte, der Krankheit ausgeliefert zu sein: Da brach etwas über mein Leben herein, das ich nicht beeinflussen konnte.

Ich traute mich kaum zu hoffen, dass es für mich irgendwann noch einmal ein unbeschwertes Leben würde geben können. Aber gleichzeitig erinnerte ich mich auch an die vielen Lebensgeschichten von Menschen, die Ähnliches erlebt hatten. Ihr Glaube hatte ihnen Hoffnung gegeben, und auch in schweren Situationen hatten sie eine neue Lebensperspektive bekommen. Jetzt war ich an der Reihe. Und die Frage nach dem, was im Leben hält, galt nicht einem Interviewgast vor der Kamera, sondern dieses Mal galt sie mir selbst: „Stefan, gibt dir dein Glaube an Gott Halt, wenn es dir den Boden unter den Füßen wegzieht?“

So kurz nach der Diagnose hatte ich noch keine ehrliche Antwort auf diese Frage. Aber nach all den Interviews, die ich geführt hatte, hatte ich die Hoffnung, dass es auch bei mir „funktionieren“ würde. Die Hoffnung, dass ich nicht allein durch diese schwere Zeit würde gehen müssen.

Was für eine Geschichte!

Als Redakteur und Autor liebe ich es, wahre Geschichten zu erzählen. Lebensgeschichten von Menschen, die durch herausfordernde Zeiten in ihrem Leben gegangen sind und die dabei erfahren haben, dass Gott ihnen gerade in diesen Zeiten besonders nahe war. Ich habe mit Menschen gesprochen, die schwere Schuld auf sich geladen haben, mit Menschen, die schlimme Krankheiten überstanden haben, deren Leben von Missbrauch und Drogen gezeichnet war. Geschichten von Leid, Schmerz, Hoffnung und Liebe. Es waren aber auch Geschichten von einem guten Gott, der dem Leben Halt gibt, wenn es einem den Boden unter den Füßen wegzieht. Mir war es immer schon wichtig, solche Geschichten zu erzählen. Erstens, weil ich davon überzeugt bin, dass sie anderen Menschen Mut, Hoffnung und vielleicht sogar Glauben schenken können. Und zweitens, weil diese Geschichten mir selbst geholfen haben, an Gott zu glauben.

Während ich dieses Buch schreibe, lebe ich schon seit fast drei Jahren mit einer Niere meiner Frau. Ich habe etwas Abstand zu dieser herausfordernden Zeit bekommen. Nierenversagen, die Zeit an der Dialyse, die Krankenhausaufenthalte und die Transplantation liegen schon einige Jahre zurück. Und ich merke, dass das auch gut so ist. Einiges habe ich verdrängt, vieles klingt im Rückblick nicht mehr so dramatisch, wie es tatsächlich war. Manches treibt mir heute noch die Tränen in die Augen – vor allem vor Dankbarkeit, dass Gott mich immer wieder fest an die Hand genommen hat, wenn ich es dringend brauchte.

Ich habe damals einen Blog geschrieben, über den ich enge Freunde auf dem Laufenden gehalten habe. Außerdem gibt es Mails, Notizen und Fotos, die mir geholfen haben, mich beim Schreiben dieses Buches wieder in diese Zeit hineinzudenken, auch wenn mir das nicht immer leichtgefallen ist.

Einzelne Zitate aus dem Blog, aus WhatsApp-Nachrichten und aus Mails lasse ich in das Buch einfließen. Mir ist es wichtig, an entscheidenden Stellen möglichst authentisch nachzuzeichnen, wie mein direktes Erleben war. Ungefiltert und unreflektiert.

Manches mag respektlos klingen, aber in Grenzsituationen will man keine netten Worte finden. Da denkt man nicht über komplizierte Sätze nach, sondern sagt frei raus, was einem auf dem Herzen liegt. Übrigens: Nichts anderes ist Gebet, wenn man es richtig versteht. Ich bin davon überzeugt: Ein Glaube, der mit Leib und Seele gelebt wird – sozusagen mit Blut, Schweiß und Tränen, der lässt sich kaum in schöne, saubere und glatte Worte fassen.

Und schließlich ist dieses Buch nicht nur für Menschen geschrieben, die mit der Kultur und Sprache von Kirche vertraut sind. Es richtet sich an alle, die nach einem Halt für ihr Leben suchen. Jedes menschliche Wesen hat eine Seele, und jede Seele hat Durst nach Sinn, Halt und echtem Leben. Durst nach Gott, wie David es im 143. Psalm so anschaulich beschreibt:

„Ich strecke meine Hände zu dir aus, meine Seele dürstet nach dir wie dürres Land nach Wasser.“ Psalm 143,6 (NGÜ)2

Warum es dieses Buch gibt? Ich erlebe, dass es gut ist, ehrlich zu sein und auch von den Tiefen und Schlaglöchern im eigenen Leben zu erzählen. Das schafft die Basis für Gespräche und Beziehungen auf Augenhöhe mit anderen Menschen, unabhängig davon, ob sie so denken und glauben wie ich oder nicht. Das Leben ist kein Ponyhof, wie man so schön sagt. Auch das Leben von Christen ist kein Ponyhof, obwohl das mancher glaubende Mensch gerne so hätte. Gott bewahrt uns nicht vor der Achterbahnfahrt des Lebens, aber er hat versprochen, dabei zu sein, mir die Hand zu halten, meine Tränen zu trocknen und mir ein Licht anzuzünden, das mir Hoffnung gibt, wenn ich keine Hoffnung mehr sehe. Und er hat versprochen, dass er mich hält, wenn das Leben droht, mich aus der Bahn zu katapultieren.

Wie gesagt – ich liebe es, Geschichten zu erzählen von Menschen, die durch große Herausforderungen in ihrem Leben gehen. Diesmal ist es meine eigene Geschichte. Und ich hoffe, dass sie anderen Mut macht, nach einem Halt im Leben zu fragen, wenn sie den für sich noch nicht gefunden haben. Aus den Interviews, die ich gemacht habe, habe ich die Erkenntnis mitgenommen: Der Glaube an Gott ist eine tragfähige Basis im Leben, an guten und an schlechten Tagen. Gott sei Dank habe ich genau das selbst erlebt, als über meinem Leben die dunklen Wolken einer schweren Krankheit heraufgezogen sind. Davon soll dieses Buch erzählen. Offen, ehrlich, authentisch. Und getragen von der Hoffnung, die der Glaube an Gott schenken kann:

„Bei Gott allein soll meine Seele Ruhe finden,

von ihm kommt meine Hoffnung.

Er allein ist mein Fels und meine Rettung,

ja, er ist meine sichere Festung. (…)

Er ist der Fels, der mir Halt gibt,

meine Zuflucht finde ich bei Gott.

Vertraut auf ihn zu jeder Zeit, ihr alle aus meinem Volk!

Schüttet ihm euer Herz aus!

Gott ist unsere Zuflucht.“

Psalm 62,6-9 (Luther 2017)3

Stefan Loß, Aßlar, im April 2020

Kapitel 2

Meine Suche nach einem Halt im Leben

„Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen,was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem,was man nicht sieht.“

HEBRÄER 11,1 (LUTHER 2017)

Woher komme ich?

Die Frage nach einem Halt im Leben hat mich schon ziemlich früh beschäftigt. Vielleicht liegt das daran, dass ich als Einzelkind aufgewachsen bin und viel Zeit zum Nachdenken und Grübeln hatte. Der Gedanke, dass alles Zufall sein sollte, machte mir Angst. War ich auch ein „Zufall“? Was wäre, wenn es mich nicht geben würde? Wenn ich einfach nicht existieren würde? Wenn meine Eltern sich nie getroffen hätten? In meinem Fall wäre das durchaus eine Option gewesen. Denn meine Eltern hatten typische Nachkriegsbiografien. Mein Vater ist in Ostpreußen geboren. Meine Mutter hatte ihre Wurzeln in Schlesien. Beide trafen sich dann Ende der 1950er-Jahre bei einer Tanzveranstaltung in einem Duisburger Café. Dabei muss es zwischen ihnen gefunkt haben. Am 1. Dezember 1960 haben sie schließlich geheiratet. Am 29. Juli 1962 wurde ich geboren. Ich sollte ihr einziges Kind bleiben.

War das ein Zufall, war es Schicksal, oder steckte irgendeine Absicht dahinter, dass meine Eltern sich getroffen haben und dass ich geboren wurde? Was wäre gewesen, wenn sie irgendwo auf diesem Weg eine andere Abzweigung genommen hätten? Wäre ich dann nie zur Welt gekommen? Was wäre dann mit „mir“? Oder war ich eine Seele, die nur darauf wartete, in irgendein Neugeborenes zu fahren und es mit Leben zu erfüllen? Das alles ging mir durch den Kopf, als ich noch keine zehn Jahre alt war. Kein Wunder, dass ich später Philosophie studiert habe.

Aber zurück zu dem jungen Mann, der ich mal war. Die Frage nach einem Halt im Leben wurde für mich noch drängender, als das Thema „Tod“ in mein Leben trat. Zuerst nur theoretisch. Mangels anderer Lektüre habe ich im Urlaub Landser-Hefte verschlungen. Das sind dünne Heftchen, in denen große Schlachten aus dem Zweiten Weltkrieg nacherzählt werden. Natürlich starben da Menschen, wie es in einem Krieg normal ist. Die Geschichten faszinierten mich, aber die Frage nach dem Tod stand plötzlich im Raum. „Wohin gehe ich?“, fragte ich mich. Meine Grübeleien hatten mich zu der Erkenntnis gebracht, dass ich kein Zufall sein konnte. Und das, obwohl Gott für mich damals noch keine Rolle spielte. Ich hatte zwar hin und wieder den Kindergottesdienst besucht und war auch im Besitz einer bunten Kinderbibel. Aber das waren auch meine einzigen Berührungspunkte mit Gott. Jetzt wurde die Frage drängender: „Wenn ich kein Zufall bin, was passiert dann nach meinem Tod? Gibt es ein Leben danach, und wenn ja, wie wird das aussehen?“ Das waren die Fragen, mit denen ich mich in diesem Urlaub beschäftigte. Antworten hatte ich keine, aber die Idee, dass hinter alldem ein Gott stecken konnte, lag für mich nahe. Viel wusste ich von diesem Gott nicht, aber das Vaterunser konnte ich auswendig. Deshalb beschloss ich noch in diesem Urlaub, dieses Gebet zu einem Teil meines Lebens zu machen. Ich teilte meinen Eltern mit, dass ich ab sofort jeden Abend kurz vor dem Einschlafen für uns zusammen das Vaterunser sprechen würde. Und das tat ich dann auch. Antworten auf meine Fragen hatte ich also noch nicht bekommen, aber ich hatte eine Idee, wo ich suchen musste.

Wohin gehe ich?

Als ich dreizehn Jahre alt war, kam der Tod zum ersten Mal ganz praktisch in mein Leben. Meine Oma, die bei uns lebte, hatte einen Schlaganfall. Wenige Wochen später starb sie. Als der Pfarrer zur Aussegnung zu uns nach Hause kam, schloss ich mich in der Toilette ein. Ich konnte es kaum ertragen, meine geliebte Oma tot auf dem Bett liegen zu sehen. Blass, kalt und stumm. Ihr Leben war nach vierundachtzig Jahren ans Ende gekommen. Sie fehlte mir. Wo war sie jetzt?

Einige Monate vorher hatte mein Konfirmandenunterricht begonnen. Zu meiner großen Überraschung sprach der Pfarrer genau über die Fragen, die mich schon seit einigen Jahren bewegten. Und er gab Antworten, die mich überzeugten. Innerlich machte ich oft nach den Unterrichtsstunden einen Haken auf meiner Liste von Fragen. Eine nach der anderen wurde beantwortet. Mit offenen Ohren und einem offenen Herzen saugte ich auf, was ich hörte: Dass Gott mich immer schon geliebt hat, noch bevor ich geboren wurde. Dass er mich geschaffen hat. Dass ich kein Zufall bin, sondern dass er mich gewollt hat. Und dass es ein Leben nach dem Tod gibt.

Ich kann kaum beschreiben, wie erleichtert ich war, das alles zu hören. Der Tod meiner geliebten Oma bewirkte, dass ich das Ganze noch ernster nahm. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich einen toten Menschen gesehen. Und zum ersten Mal hatte ich davon gehört, dass es so etwas wie ewiges Leben gibt und dass es Menschen gibt, die daran glauben, dass der Tod nicht das Ende des Lebens ist. Ich hatte es geahnt und gehofft, und jetzt konnte ich auch anfangen, es zu glauben. Auch, wenn eine gesunde Skepsis mein lebenslanger Begleiter bleiben würde. Vielleicht hatte ich als junger Mensch einfach zu viel und zu gründlich nachgedacht, um mich mit einfachen und platten Antworten abzufinden. Dass das die ideale Vorbereitung auf meine spätere Arbeit als Journalist war, konnte ich damals natürlich noch nicht ahnen.

Die Entscheidung

Am 4. April 1976 habe ich zum ersten Mal laut und öffentlich „Ja“ zu Gott gesagt. Es war mein Konfirmationsgottesdienst. Damit waren längst noch nicht alle Fragen in meinem Leben beantwortet. Aber ich hatte mich entschieden, dass Gott sozusagen der archimedische Punkt4 in meinem Leben sein sollte. Das Zentrum meiner Existenz, mein Sinn und mein Halt in allem, was kommt. Ich habe mich entschlossen zu glauben, dass er mich gewollt hat, dass er mich geschaffen hat und dass er mich bedingungslos liebt und immer bei mir ist. Ganz egal, was kommt. Natürlich weiß ein Dreizehnjähriger noch nicht viel vom Leben. Aber durch diesen Glauben habe ich meine innere Mitte gefunden. Und dafür bin ich Gott noch heute von Herzen dankbar.

Glauben lernen

Auf meiner persönlichen Glaubensreise bin ich auf einen Vers aus der Bibel gestoßen, der mein Lieblingsvers geworden ist, weil er den Unterschied zwischen Religion und Glauben sehr gut auf den Punkt bringt. Es ist ein bekannter Vers, der erst durch eine andere Übertragung für mich zu einem echten „Hingucker“ geworden ist. Beim Lesen der englischen Übertragung „The Message“ ist mir die Formulierung aufgefallen: „Religious Burnout“ – also: religiöser Burn-out. Als ich mir den Vers dann näher angeschaut habe, war ich überrascht. Der Vers, den ich als die Aufforderung kenne, dass ich bei Jesus meine Lasten ablegen kann – „Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid“ –, hat nämlich ursprünglich eine sehr besondere Bedeutung.

Hier die Version aus „The Message“5 (Matthäus 11, 28-30):

“Are you tired? Worn out? Burned out on religion? Come to me. Get away with me and you’ll recover your life. I’ll show you how to take a real rest. Walk with me and work with me – watch how I do it. Learn the unforced rhythms of grace. I won’t lay anything heavy or ill-fitting on you. Keep company with me and you’ll learn to live freely and lightly.”

Frei übersetzt sagt Jesus nichts anderes als:

„Bist du müde, ausgepowert, ausgebrannt durch ‚Religion‘? – Komm zu mir, geh mit mir zusammen weg und du wirst dich erholen. Ich zeige dir, wie du richtig zur Ruhe kommst. Geh mit mir, schau mir zu beim Arbeiten. Lerne in dem schwerelosen Rhythmus der Gnade zu leben. Ich werde dir nichts auferlegen, was du nicht tragen kannst. Bleibe bei mir und du wirst lernen, wie man frei und leicht lebt.“

„Zur Ruhe kommen“ … der „schwerelose Rhythmus der Gnade“ … das waren Worte, die mir direkt ins Herz gingen.

„Frei und leicht“ zu leben: Genau das war mein Traum.

Was für eine Offenbarung war es für mich, diesem altbekannten Text in neuen Worten zu begegnen!

Der Glaube, den Jesus gepredigt hat, ist keine Sammlung von Spielregeln und Gesetzen. Bei Gott ist eine Schulter, an die ich mich anlehnen kann. Ein Ort, an dem meine Seele zur Ruhe findet. In seiner Gegenwart „bin“ ich.6 Das ist tatsächlich die beste Botschaft aller Zeiten.

Glauben leben

Weil jeder Mensch anders ist, lebt auch jeder den Glauben anders. Deshalb sind auch die Lebensgeschichten von glaubenden Menschen so unterschiedlich. Es sind genau diese persönlichen Geschichten, die ich liebe. Seit fast dreißig Jahren arbeite ich als Redakteur, Autor und Moderator – die allermeiste Zeit davon für Sender und Programme, die über Menschen berichten, die an Gott glauben. Es waren unfassbar viele Interviews und Begegnungen, in denen die unterschiedlichsten Facetten von Glauben sichtbar geworden sind. Ich war in vielen Ländern Europas unterwegs, in Afrika, in Lateinamerika, in Sri Lanka und in Indien. Oft habe ich Menschen porträtiert, die durch große Herausforderungen gegangen sind. Von ihnen wollte ich wissen, wie ihr Glaube an Gott sie durch diese Situationen durchgetragen hat. Wie sie in herausfordernden Situationen Halt im Glauben gefunden haben. Eine Frage, die mich nach wie vor selbst interessiert. Natürlich ahnte ich nicht, in welche Herausforderungen ich selbst noch geraten würde. So gesehen haben mich diese Begegnungen vorbereitet auf meine eigenen Herausforderungen durch meine Krankheit.

Ich bin überzeugt davon: Glaube wird sichtbar und greifbar in den Brüchen des Lebens. Wenn alles glattläuft, interessiert die Frage nach Gott oder nach einem Halt im Leben nur die wenigsten. Aber wenn Herausforderungen kommen, dann wird schnell nach dem Sinn und Halt im Leben gesucht. Deshalb habe ich Christen genau danach gefragt. Auch, wenn mir das manchmal nicht leichtgefallen ist.

Glauben erleben