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Eines der wichtigsten und erschütterndsten Werke zur Zeitgeschichte des Ersten Weltkrieges. Darin enthalten ist eine unglaubliche Fülle an Namen, Beschreibungen und Ereignissen. Ein ausführliches Zeugnis von menschlichen Schicksalen. Von Freude, Siegen, Leid und Tod. Obwohl das Buch ein fesselndes Mammutwerk darstellt, zeigt es nur einen kleinen Ausschnitt aus dem großen Geschehen des Krieges.
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Seitenzahl: 653
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Auf See unbesiegt
30 Einzeldarstellungen aus dem Seekrieg
von
Eberhard von Mantey
Vizeadmiral a. D.
_______
Erstmals erschienen im: J. F. Lehmanns Verlag, München, 1921
__________
Vollständig überarbeitete Ausgabe.
Ungekürzte Fassung.
© 2017 Klarwelt-Verlag
ISBN: 978-3-96559-083-0
www.klarweltverlag.de
Die 28 Bilder gefallener Helden bilden nur einen sehr kleinen Teil der großen Heldenschar, die sich für das Vaterland geopfert hat. — Die Bilder sollen weniger dem einzelnen Helden , den sie darstellen, als dem Vertreter eines Schiffes, eines U-Bootes, einer größeren Waffentat, bei der stets sehr viele Kameraden aller Grade ihr Leben ließen, gelten. — eine Auswahl nach Leistungen ist ganz unmöglich, denn zum Beispiel sind von 18 000 U-Bootsleuten allein 5087 Offiziere und Mannschaften geblieben. Jeder ein Held. — Ehre ihrem Andenken!
Inhaltsverzeichnis
Titel
Zum Geleit
Auf See unbesiegt!
Mit Admiral Scheer auf der Kommandobrücke.
Der Durchbruch S. M. Schiffe „Goeben“ und „Breslau“ von Messina nach den Dardanellen.
Der Vorstoß S. M. S. „Blücher“ vor dem finnischen Meerbusen am 6. September 1914.
Die Vernichtung des englischen Linienschiffes „Goliath“.
Mit dem Marinekorps vor Antwerpen und in Flanderns Dünen.
Torpedobootsfahrten in der Ostsee.
Der 24. Januar 1915.
Bilder von der Belagerung Tsingtaus.
Kreuzfahrten und Untergang S. M. S. „Karlsruhe“.
Zwei Dardanellenkämpfe.
Marinedienst am Euphrat.
S. M. S. „Königsberg“. Abschnitt I und III von Konteradmiral Looff, im Kriege Kommandant S. M. S. „Königsberg“.
Das Maschinenpersonal in der Skagerrakschlacht.
Im nordischen Eis und Schnee. Marineexpedition zur Befreiung Finnlands Februar bis Mai 1918.
Die schweren Marinegeschütze an der Westfront und gegen Paris.
Zum letzten Male mit „UC 65“ im Englischen Kanal.
Die „Möwe“-Abteilung auf dem Tanganjikasee in Deutsch-Ostafrika 1914—1916.
Erlebnisse eines Schiffsarztes in der Schlacht vor dem Skagerrak.
Kriegsfahrten einer Minensuchflottille.
Kriegsweihnachten und andere Bilder aus der Marineluftschiffahrt.
Der letzte Kampf S. M. S. „Leipzig“.
Die Versenkung der „Lusitania“ und Schwiegers andere U-Bootsfahrten im Jahre 1915.
Der Endkampf des Kleinen Kreuzers „Cöln“.
Die letzten Stunden S. M. S. „Wiesbaden“.
U-Boot gegen U-Boot.
Ein Morgen an der flandrischen Küste.
Fliegererlebnisse.
Weltkrieg in der Irbenstraße.
Die Versenkung der deutschen Flotte in Scapa Flow.
Nachwort.
Personennamen-Verzeichnis
„Wiking, du Kühner,
Wo ist dein Grab?
Wo sank dein grüner
Lorbeer hinab?
Wo ist die Stätte
Verweht, — dein Bette
Tief unter der See?“
o liegen sie alle, die Männer mit den eisernen Fäusten, den blitzenden Augen, den fröhlichen Herzen, die dereinst auf ihren guten Schiffen, Torpedo- und U-Booten hinauszogen, um für ihr heißgeliebtes Deutschland zu kämpfen? — Wo sind die Spuren derer, die in der Tropenglut unsrer afrikanischen Kolonien, die in Asien am Euphrat, im fernen Kiautschou, an den Dardanellen, oder näher der Heimat in Flandern, in Kurland unter der deutschen Kriegsflagge „schwarz-weiß-rot“ stritten und litten, siegten und starben? — Ihre Gebeine mögen im tiefen Meere „im eisernen Schreine, in heiliger Hut“ ruhen oder in der Wüstenglut bleichen — irgendwo? — aber ihre Namen sollen unvergessen bleiben, ihre Taten sollen leuchten, zu ihnen wollen wir uns bekennen, ihr Lieben, Kämpfen und Sterben soll nicht umsonst gewesen sein. Die Zahl derer ist riesengroß, die ihr Höchstes und Bestes hingegeben haben, die in heiliger Vaterlandsliebe ihr Herzblut einsetzten, in dem festen Glauben, dass hierdurch ihren Müttern und Frauen, Kindern und Enkeln, Brüdern und Schwestern ein Weg in die dunkle Zukunft gebahnt würde, der sie vorwärts und aufwärts führe. — Wenn in diesem Buche nur eine beschränkte Anzahl von Selbsterlebtem wiedergegeben werden kann, so bildet dieses eben nur einen kleinen Ausschnitt aus den großen Geschehnissen des Weltkrieges. — Wie einzelne Lichtstrahlen in dunkler Nacht beleuchten sie die Taten unsrer „Blauen Jungen“ sowohl der Offiziere, wie auch der Mannschaften, die nach Idealen strebend, Leistungen vollbrachten, vor denen wir uns in Ehrfurcht beugen müssen. Aber neben körperlichen und geistigen Anstrengungen und Kraftäußerungen zieht durch alle Erinnerungen ein Band echter Mannentreue, herzlichster Kameradschaft. — Niemand denkt selbstsüchtig an sich, jeder steht für den andern, für das Ganze. Wenn es ans Sterben geht, dann liegt trotz des grauenvollen Tosens der Schlacht, trotz Blut und Eisensplittern, trotz giftiger Gase und kochender Dämpfe, trotz der gierigen, kalten, unbarmherzigen See, die ihr sicheres Opfer fordert, ein innerer Friede über den Kämpfern. Beim Verlassen des Schiffes, der sinkenden Heimat, daran sie mit allen Fasern des Herzens verwachsen sind, erklingt „Deutschland, Deutschland, über alles“ und „Stolz weht die Flagge schwarz, weiß, rot“. In Ruhe und Ordnung, nicht entmutigt, ungebeugt, sondern den Sieg ihrer Taten fühlend, geht es mit erhobenen Herzen, mit jubelndem Kaiserhoch von Bord in die dunkle Tiefe des Meeres. — Mit wehender Flagge! Das ist unbesiegt! Schwimmend in dem kalten Element, im Angesicht des Todes, in Stunden, über die nach menschlichem Ermessen kein Zeuge mehr berichten kann, wird heilige Treue, ehrliche Kameradschaft, aufopfernde Nächstenliebe gehalten; in Not und Tod trägt einer des andern Last, lässt jeder das Leben für seine Brüder. Solche Männer sind unbesiegt, sie haben die Krone des Lebens errungen. Tief ist gegenwärtig unser Volk gesunken. „Unbesiegt auf See“ hat es den Irrlehren falscher Schwächlinge geglaubt und seine guten Waffen freiwillig aus der Hand gelegt von dem törichten Wahn befangen, dass der Feind in edler Menschenliebe jeden Hass, ja vielleicht sogar seinen eigenen Vorteil beiseite stellen würde. Friede, Freundschaft, Völkerverbrüderung wurde erhofft. — Dies Trugbild zerweht. Das Leben auf dieser Erde ist nun einmal ein Kampf. Jetzt gilt es mit eisernem Fleiß und festem Willen wieder aufzubauen und aufzurichten. Nicht Feindschaft untereinander, nicht Besserwissen, sondern Ordnung und Unterordnung, nicht Reden, sondern Taten sind nötig. — Die im Folgenden geschilderten Erlebnisse mögen ein Wegweiser sein und zugleich einen Maßstab geben, indem sie zeigen, was starke Männer in großer Zeit als etwas ganz Selbstverständliches geleistet haben. — An diesen Taten wollen wir uns erfreuen und aufrichten, der Helden in Ehrfurcht gedenken, ihnen die Treue lohnen, die sie uns bewiesen haben, und fest der Zukunft entgegen schauen. Unser Staatsschiff steuert in dickem Nebel, voraus ist noch nichts zu erkennen, ob auch tausende von Augen sorgen und hinausspähen, selbst die stolze Flagge ist von trüben Nebelschwaden bedeckt. — Sturm ist besser als Nebel, aber der Nebel wird auch verflüchten und es wird klar und sichtig werden. Ein jeder, ob Mann oder Frau, soll daher feststehen auf seinem Posten, nicht klagen, sondern helfen und vor allen Dingen die Jugend zur Ehre und Pflicht, zur Mannhaftigkeit und Selbstlosigkeit aufrufen und erziehen. — Das Herz auf dem rechten Fleck, eingedenk, dass wir Deutsche sind! Dann wird die Dankesschuld unsern Helden gezahlt, dann sind wir unbesiegt, dann wird unsre Flagge in lichter Klarheit auf allen Meeren im alten Glanze wieder wehen.
„Op düssen Dag lurt all de Doden,
De dor in Sand und Woter liggt,
Op düssen Dag lurt all de Goden,
De nach ehr Dütschland Heimweh kriegt.“
v. Mantey.
Von Eberhard von Mantey.
Standhaft und stark in Freud und Leid,
Zum Dienen und Sterben allzeit bereit,
Das schwuren wir einst in dem Fahneneid —
Und über uns wehte die Flagge!
In eisigem Winter, in Sommers Pracht,
In harter Arbeit bei Tag und bei Nacht,
So festigten wir unsere Flottenmacht
Unter stolzer, wehender Flagge!
Wir führten die Schiffe trotzig und gut
In sengender, brennender Tropenglut,
Über stürmende See mit hohem Mut
Treu dienend der wehenden Flagge!
Es kam der Krieg! — Viel Feind‘ viel Ehr‘!
Manch‘ Kreuzer versank nach tapferer Wehr,
Manch' U-Boot kehrte zur Heimat nicht mehr —
Sie sanken mit wehender Flagge!
Ein Festtag im Mai! — Es ist Himmelfahrt!
Vorm Skagerrak schlugen, nach deutscher Art,
Wir endlich Alt-England! — Wir trafen es hart!
Und ruhmvoll wehte die Flagge!
Auf See unbesiegt! — Doch Gift, Zwietracht und Not
Verraten die Flagge! — Auf Wahnsinns Gebot
Heißt man einen Fetzen — das Seeräuber-Rot,
Das ist keine ehrliche Flagge!
Bei Scapa-Flow der Irrwahn vergeht.
Auf der Flotte wieder die Flagge weht.
Sie rüstet zum Sterben — ein stilles Gebet —
Und sinkt mit wehender Flagge!
So bleibt unsere Flagge in Ehren doch,
Wir wahren der Alten die Treue noch!
„Der letzte Mann“ hält sinkend sie hoch,
Als siegreich wehende Flagge!
Einst hatte das „Flaggenlied“ guten Klang,
Ihr Jungen, vergeßt nicht zu zahlen den Dank,
Ihr schuldet ihn Jedem, der sterbend es sang.
Das Lied von der wehenden Flagge!
Von Vizeadmiral Adolf von Trotha, damals Chef des Stabes der Hochseeflotte.
itten hinein treten wir in die Seeschlacht vom Skagerrak neben Admiral Scheer auf die Kommandobrücke des Flottenflaggschiffes S. M. S. „Friedrich der Große“.
Der einleitende Kreuzerkampf zwischen Hipper und Beatty ist siegreich für die deutsche Flotte beendet. Zwei der größten, stärksten englischen Panzerkreuzer sind unter dem überlegenen Geschützfeuer der deutschen Kreuzer in gewaltigen Explosionen vernichtet, vier bis fünf englische Zerstörer gesunken, Teile ihrer Besatzungen zu Gefangenen gemacht. Von uns sind nur zwei Torpedoboote verloren, ihre Bemannung aber von uns geborgen.
Aus dem Verfolgungsgefecht gegen den geschlagenen Beatty ist der Entscheidungskampf gegen den zweifach überlegenen Gegner geworden. Im weiten Bogen von Norden bis Osten hüllt dichter Qualm den Horizont ein, aus dem englische Geschütze zum Kampfe rufen. Etwa Backbord voraus vor uns ficht die todwund geschossene „Wiesbaden“ ihren Heldenkampf gegen überwältigende Übermacht, den Atem nicht verlierend, während vorgeschickte Torpedoboote versuchen, ihren hart bedrängten Kameraden hilfreich zur Seite zu treten. Die Spitze unsrer Flotte, wieder voran die Hipperschen Panzerkreuzer mit kleinen Kreuzern und Torpedobooten und das III. Geschwader unsrer neuesten Linienschiffe unter Admiral Behncke, steht bereits in schwerem Kampf. Nur da und dort tauchen aus dem verqualmten Horizont die Umrisse der englischen Schiffe hervor, aber unsre zielsichere Artillerie weiß sie zu fassen und donnernd rollen die deutschen Grüße übers Wasser, Salve auf Salve den Eisenhagel dem Feinde entgegenwerfend. Die Maschinen arbeiten mit größter Anstrengung, um die über 16 km lange deutsche Linie geschlossen am Vordermann zu halten.
Admiral Scheer hat, um die Entwicklung der Schlacht gut zu übersehen, frei auf der oberen Brücke gestanden. Jetzt aber schlagen auch bei „Friedrich dem Großen“ die schweren Granaten des Gegners ein, die Salzwasserflut als Regen über das Schiff werfend und mahnend, den Gefechtsstand aufzusuchen. Wir treten in den Kommandostand. Ein enger, nur wenige Meter messender Raum, durch stärksten, nach vorn fast ½ m starken Panzer bewehrt. Nur durch schmale Sehschlitze ist der nötige Ausblick möglich oder durch Beobachtungsgläser, die durch die Panzerdecke hindurchgeführt sind. Man fühlt die Nervenspannung, die auf den Personen liegt, die hier aufs engste gedrängt, ihre ganze Sinneskraft zusammennehmen müssen, um ihren verantwortungsvollen Dienst zu versehen. Rein unnützes Wort wird gesprochen, nur kurze Meldungen und Befehle. Hier ist das Hirn des Schiffes und zugleich das Hirn der ganzen Flotte.
Von diesem engen Panzerstande aus gilt es die ganze Flotte von über 100 Schiffen und Torpedobooten in der Hand zu halten. Außer dem Chef des Stabes und den erforderlichen Admiralstabsoffizieren finden die beiden Flaggleutnants — für Flaggen und Leuchtsignale und für die Funkentelegraphie — neben Admiral Scheer ihren Platz. Sie sichten die zahlreichen Meldungen, die Sprachrohre, Telefone und Rohrpostverbindungen nach und von den Gefechtssignalstellen, dem Funkenraum und sonst woher heranbringen. Daneben arbeitet in diesem drangvoll engen Betrieb der Flottennavigationsoffizier und sein Obersteuermann still und unbekümmert wie im Manöver, um in dem jagenden, einer mächtigen Reiterschlacht ähnlichen Kampf den Standort der Flotte sicher festzuhalten, während an anderer Stelle nach allen Meldungen eine Skizze der Kampflage entworfen wird.
Vorn steht der Kommandant, neben sich den Manövrieroffizier, seinen Signaloffizier und den Gefechtsrudergänger das schwere, vorwärtsstürmende Schiff, dem mächtigen Vordermann in der Linie dicht aufgeschlossen haltend, die scharfe Aufmerksamkeit geteilt zwischen der Führung des Schiffes und der Verwendung der Waffen gegen den Feind. Unten kauert in einer Versenkung der Maschinentelegraphenposten. An der Seite verfolgt der Torpedooffizier das Gefecht, um im gegebenen Augenblick seine totbringende Waffe gegen den Feind loszulassen; aus besonders abgeschottetem Raum leitet der Artillerieoffizier die schwere Artillerie in dröhnendem Kampf. Beobachtungen aus dem hochragenden Vormars und dem Hinteren Kommandostand, Meldungen und Gegenmeldungen aus allen Seiten des Schiffes laufen ein, Signale und Verständigungen werden von den sich in die Ecke drückenden Sprachrohrposten hin und her gegeben. Donnernd krachen die Salven der 30,5 cm-Türme vor und hinter dem Kommandostand, gelblicher Pulverqualm verdunkelt für Augenblicke jede Aussicht und zieht beißend durch den engen Raum, feindliche Granaten sausen zischend und heulend vorbei und schlagen tosend ins aufgewühlte Wasser.
Ruhig, nicht anders als wir es aus mancher Übungsfahrt gewohnt waren, übersieht Admiral Scheer die Lage. Es war seine Gewohnheit, in so entscheidungsschweren Augenblicken sich auf das Große einzustellen und jedem einzelnen seinen Teil an Arbeit und Verantwortung zu lassen. Blick, Gedanken und Entschlusskraft müssen frei bleiben, um in Sekunden entscheidend einzugreifen, um Lage und Kampfziel zu übersehen und zu meistern, während die gewaltigen Massen der großen Schiffe, die kleinen Kreuzer und die Menge der Torpedoboote in schärfster Gangart dem Feuer entgegenstürmen. Die britische Kampflinie ist nicht zu übersehen, Qualm und Dunst, auch künstlicher Nebel, der die „Wiesbaden“ hatte decken sollen, verhinderten den freien Ausblick. Aus einer Meldung des Admirals Hipper konnte man die äußerste Spitze des Feindes in Ost annehmen und aus mehreren Torpedobootsmeldungen war zu erkennen, dass wir wahrscheinlich der ganzen englischen Flotte, einer gewaltigen Übermacht, gegenübergestanden. Angreifen — so stark der Feind auch sein mochte — war die Losung.
Mit einer kurzen Wendung auf den Feind zu sollte der „Wiesbaden“ möglichste Entlastung gegeben werden, um dann bald wieder in die Linie einzudrehen. Die Artillerie verlangt Stetigkeit in der Schiffsführung, wenn sie ihre Arbeit tun soll; schwer genug ist schon so ihre Aufgabe in zagendem Kampf.
Vorn konnte man erkennen, dass die Hipperschen Panzerkreuzer und die Spitze der Linienschiffe unter Admiral Behncke langsam nach Süden schwenkten, um mit dem Gegner, dessen vorderste Schiffe uns allerdings erheblich überflügeln mussten, möglichst zum laufenden Gefecht zu kommen. Die Entwicklung der Schlacht war dort vorn in guter, erprobter Hand, ein Eingriff durch den Flottenchef kam noch nicht in Frage.
Der Kampf steigerte sich jetzt mit jeder Minute. Weit über 500 schwerste Geschütze standen im gegenseitigen Ringen. Unsere Spitze hatte die Hauptlast zu tragen. Haushohe Flammengarben auf beiden Seiten zeugten von der Wucht einschlagender Geschosse und in dem unsicheren Bild der feindlichen Linie sieht man von „Friedrich dem Großen“ aus ein Schiff des Gegners in mächtige Qualm- und Feuerwolken gehüllt auseinanderbrechen. Es war die Zeit, in der die englischen Panzerkreuzer „Defence“ und „Warrior“ unter dem vernichtenden Artilleriefeuer unserer Kampflinie zusammensinken und wo bald darauf der Schlachtkreuzer „Invincible“, von S. M. S. „Derfflinger“ niedergekämpft, mit gewaltiger Explosion in die Luft fliegt, während unsere Schiffe, außer der „Wiesbaden“, wenn auch mit ehrenvollen Wunden bedeckt, doch alle erfolgreich im Kampfe stehen.
Unsere Spitze biegt in ihrem Stoß gegen den Feind immer schärfer ab, der Überblick für den Führer wird nach allen Seiten nötig, im gedrängten Kommandostand wird es für solche Lage zu eng und während die schweren Geschosse immer zahlreicher beim Flaggschiff einschlagen, merkwürdigerweise ohne „Friedrich den Großen“ zu treffen, tritt Admiral Scheer auf die offene Kommandobrücke. Der Stoß gegen den Feind kann so nicht fortgehen, die Spitze muss die Last zu sehr allein tragen, es wird auch zu eng und drückend dort für die leichten Kreuzer und Torpedoboote. Die Granaten des Feindes schlagen nicht nur von Backbord und vorne, sondern auch von Steuerbord heransausend ein. Ein schneller Entschluss muss hier eine Lösung bringen, die Artillerie allein scheint unsere Überlegenheit nicht mehr zu halten.
„Kehrtwendung der ganzen Flotte!“ — Von beiden Flaggleutnants wird der Befehl des Flottenchefs nach unten weitergegeben. —
Ein spannender Augenblick, die kühne Bewegung oft geübt, aber heute die Probe im schwersten feindlichen Feuer, während die Signalmittel und die Funkennetze teilweise zerstört sind. Über 100 Schiffe und Fahrzeuge sind im schärfsten Vorwärtsjagen und härtestem Kampf mit einem Anruf herumzuwerfen. —
Man muss einen Funkenraum an Bord gesehen haben, wo in engster, überheißer Zelle, während draußen der Kampf auf Tod und Leben tobt, sich in hastender, verantwortungsvoller Arbeit die einlaufenden Signale und abzugebenden Befehle in überstürztem Maße drängen, wo jedes Wort geschlüsselt oder entziffert werden muss, wo wichtige Signale vorgezogen, unwichtige zurückgeschoben werden müssen. Dahinein plötzlich ein Befehl für die ganze Flotte. In wenigen Sekunden muss die Gewissheit vorliegen, dass das Signal auf allen Schiffen und Fahrzeugen sicher verstanden und ausführungsbereit ist.
Wenige Sekunden höchster Spannung! Da kommen auf allen Schiffen die Flaggen heraus, Leuchtkugeln — auch am Tage — steigen auf, Winkflaggen werden geschwenkt und wie auf dem Exerzierplatze, ohne irgendeine Störung legt Schiff auf Schiff Ruder zur Kehrtwendung, ein glänzender Triumph unserer Friedensausbildung.
Fast unmittelbar sind wir vom Feinde gelöst; diese Beweglichkeit einer mächtigen Kampflinie ist ihm eine Überraschung, der er nicht gewachsen ist. Der Höllenlärm der schweren Artillerie, bei uns durch die Kehrtwendung unterbrochen, lässt überall nach, auch beim Feinde wird es still. Eine Atempause im schweren Kampf und für den Flottenchef ein ruhiger Augenblick zu neuen Entschlüssen.
Die Dunkelheit rückt näher, für die Nacht muss eine Lösung der Schlachtlinien voneinander gelingen, so dass wir uns nicht von unserer Basis abschneiden lassen, sondern im Morgengrauen am Eingang der deutschen Bucht wieder von neuem bereitstehen können, dem Gegner entgegenzutreten. Aber jetzt ist es noch zu früh, der Feind darf noch nicht zur Besinnung kommen, er soll nicht sagen dürfen, wir hätten das Feld vor ihm geräumt, außerdem steht „Wiesbaden“ zurück.
Das sind die Überlegungen, aus denen Admiral Scheer seinen angriffsfreudigen Schluss zieht: Erneut den Feind angefasst; mit stärkstem Stoß hinein in den weiten Bogen der feindlichen Macht! Der Feind soll spüren, dass wir uns stärker fühlen, auch seiner Übermacht gegenüber.
Und wieder geht‘s, nach schnellem Herumwerfen der Flotte, erneut gegen den Feind.
Mit aller Kühnheit wirft sich unsere Flotte, voraus wie immer die mit starker Hand geführten Panzerkreuzer mit den Torpedobootsflottillen, dem Höllenfeuer des Feindes entgegen. Mit aller Macht entfesselt sich der Riesenkampf von neuem.
Herz und Sinne fühlen sich getragen von der ungeheuren Hingabe und vaterländischer Treue viel Tausender, die hier in einem gleichen, starken Willen gefasst, ihr Höchstes sehen in selbstlosem Opfer fürs deutsche Vaterland.
Mit dem überall freudig aufgenommenen Signal: „Ran an den Feind“ treibt Admiral Scheer seine Flotte zum Höchsten an.
Ruhig, frei auf der Brücke stehend, verfolgt er den mächtigen Stoß der Flotte, der Druck der Salve eines 30,5 cm-Turmes auf „Friedrich dem Großen“ reißt ihm den Mantel vom Leibe und wirft den Admiral für Augenblicke zu Boden.
Vorn stürmen die Torpedoboote zum Angriff in den Feind, künstlicher Nebel und absichtlich erzeugter dicker Ölqualm aus den Schornsteinen dienen zur Deckung, alle Massen, technischen und menschlichen Kräfte ringen mit höchster Anspannung gegen riesige Übermacht des Feindes. Die Uhr zeigt auf 917 als so der ungeheure überraschende Stoß auf dem Höhepunkt seiner Wirkung stand.
Jetzt wird es Zeit sich vom Feinde zu lösen, wenn die Dunkelheit uns nicht überraschen und dem Zufall ausliefern soll.
„Kehrtwendung der ganzen Flotte!“ Wieder vollzieht sich blitzschnell die Bewegung als ob das alles Spiel wäre, was da getrieben wird, trotzdem die Linie so eng geschlossen ist, dass „Friedrich der Große“ seitwärts Platz machen muss. Wieder verstummt sofort das Getöse des Kampfes und dem wilden Ringen folgt eine willkommene Abspannung der Nerven, Vom Flottenflaggschiff werden schnell die Befehle für den Nachtmarsch erteilt.
In der beginnenden Dunkelheit kann man gerade noch erkennen, dass alle Linienschiffe ihren Posten halten, keins ist lahmgeschossen; der Schlachtkreuzer S. M. S. „Lützow“ hängt sich, tief zu Wasser liegend, hinten an die Linie an, scheint aber die Marschfahrt noch halten zu können. Admiral Hipper hat zwischen dem ersten und zweiten Vorstoß sein Flaggschiff gewechselt und ist von „Lützow“ auf S. M. S. „Moltke“ übergestiegen. Von der englischen Flotte wissen wir heute, dass sie den zweiten deutschen Vorstoß nicht ausgehalten hat. Die vernichtende Wirkung unserer Artillerie auch gegen seine größten und stärksten Schiffe hatten ihn in dem Vertrauen zu seiner historischen Unüberwindlichkeit erschüttert und der unübertreffliche Angriffsgeist unserer Torpedoboote hatte ihm die Ruhe genommen, vor dem Massenangriff unserer Flottillen wendete der Feind ab. Die Einheitlichkeit der englischen Flotte reißt auseinander, Schulung, Führung und Befehlswesen reichen nicht aus, um die große englische Flotte wieder fest zusammenzufassen. Die späte Abendstunde bringt bei völliger Dunkelheit, während wir uns umrangieren, noch einen kurzen Zusammenstoß mit Admiral Beatty, den in der Hauptsache unser II. Geschwader abwehrt.
Vor der Brücke S. M. S. „Friedrich der Große“ sieht man den Vordermann nur als schwarzen Schatten vor sich hergleiten, ein schwacher Lichtschimmer seiner abgeblendeten Hecklaterne spielt auf dem Schaum des Schraubenwassers, ein Lichtpünktchen auf der Back gibt dem Rudergänger die Richtlinie für das eigene Schiff, sonst überall Dunkelheit. Die Hälfte der Besatzung liegt bereit an den Geschützen, alle wichtigen Posten, die Sprachrohre und Telefone sind besetzt, die Scheinwerfer klar zum sofortigen Leuchten, die Torpedowaffe schussfertig, auch die Maschinenleitung, die immer noch in schwerster Arbeit das Höchste leisten muss, achtet auf das sorgsamste, dass keine Funkengarben aus den Schornsteinen das Schiff verraten.
Kein lautes Wort, nur Flüstern, kein Licht. Schweigendes Dunkel! Gespannteste Aufmerksamkeit! Jeder Sektor des dunklen Horizontes wird unter Leitung von Offizieren mit Nachtgläsern abgesucht, hunderte von Augen spähen in die Nacht, hunderte von Sinnen spannen sich aufs Höchste in Erwartung und Bereitschaft.
Admiral Scheer erscheint von Zeit zu Zeit auf der Brücke und empfängt die Meldungen; auch er sieht hinaus gegen die finstere Wand der Nacht. —
Plötzlich eine laute Meldung von einem Ausguck, kurze scharfe Befehle folgen und fast unmittelbar schießt ein Scheinwerferstrahl übers Wasser und entschleiert mit grellem Licht einen dunklen Schatten als heranjagendes feindliches Torpedoboot. Auch vom Vordermann trifft den Feind der Lichtkegel. Die Stille der Nacht ist zerrissen, die Artillerieleitung arbeitet, die Signalglocken tönen, Mündungsfeuer blitzt grell auf, die Granaten pfeifen dem Feind entgegen. Wassergarben spritzen um das Ziel auf, Dampfwolken schießen aus der zerrissenen Bordwand, Feuer züngelt auf am wunden Leib des Bootes, das leicht entzündliche Heizöl gießt sich als Feuermeer darüber und wie eine mächtige Fackel versinkt der vernichtete Feind in die Flut. Die Scheinwerfer klappen zu, wieder ist dunkle Nacht, wartende Finsternis und lautlose Stille.
Plötzlich leuchtet es unmittelbar vor uns bei „Thüringen“ und „Ostfriesland“ auf. Ein mächtiger feindlicher Panzerkreuzer steht in grellem Scheinwerferlicht und auch „Friedrich der Große“ greift in den Kampf ein. Unsere Granaten schlagen in das überraschte Schiff, das keine Zeit zur Gegenwehr findet. Man sieht die Mannschaften drüben, taghell beleuchtet, hin- und herlaufen, schon reißen die deutschen Geschosse die Schiffswand auf, Feuer und Explosionen beginnen ihr schauriges Werk, schon jagt rote Glut über das Schiff, bis zu den Masten hinauf klettert die gierige Flamme und während Salve auf Salve hineinfegt, steht Rumpf und Takelwerk in blendendem Flammenmeer, die englische Flagge grell beleuchtend, dann geht schweres Zucken durch den mächtigen Schiffskörper, Stichflammen schießen hervor, in grauenhafter Explosion hebt sich der stolze Panzerkreuzer, in glühende Atome zerspringend. Klapp, schlagen die Scheinwerfer zu, die Artillerie klingelt „Batterie halt“! Wieder herrscht stille Finsternis, nur das gleichmäßige Surren der Ventilationsmaschinen und das Rauschen der See singen ihr einförmiges Lied.
Als der Morgen graut, steht die deutsche Flotte geschlossen vor der Deutschen Bucht.
Auf der Kommandobrücke des Flottenflaggschiffs wird der Aufmarschbefehl für den kommenden Tag festgelegt. Meldungen aller Geschwader laufen ein und stellen trotz mancher schweren Zerstörungen die Gefechtsbereitschaft der Flotte fest. Es ist erstaunlich, was unsere Schiffe ausgehalten haben und wie wenig die schwere Artillerie der Engländer geleistet hatte. Mit 20 schweren Treffern im Rumpf steht das Flaggschiff des Admiral Behncke, S. M. S. „König“, fest in der Linie, S. M. S. „Lützow“, die als Flaggschiff der Kreuzer viele Stunden an vorderster Stelle geführt hatte, hat sich gegen Morgen nicht mehr halten lassen, aber die tapfere Besatzung ist durch unsere Torpedoboote geborgen; der kleine Kreuzer „Frauenlob“ ist, in nächtlichem Zusammenstoß mit überlegenen Gegnern kämpfend, gesunken, und die kleinen Kreuzer „Rostock“ und „Elbing“ haben aufgegeben werden müssen, nachdem ihre Besatzungen durch Torpedoboote in Sicherheit gebracht waren. „Pommern“ und „Wiesbaden“ sind geblieben.
Vom Feinde nichts zu sehen. Die Meldungen der Luftschiffe, die auf die ersten Nachrichten vom Zusammentreffen mit dem Feinde trotz des unsicheren Wetters aufgestiegen waren, stellten einen Teil, des feindlichen Gros im Norden von Jütland in der Jammerbucht, einen anderen englischen Verband in der südlichen Nordsee fest. Die übermächtige feindliche Flotte ist nicht einheitlich mehr in der Hand ihres Führers. Sie zu einem Endkampf zu stellen, ist aussichtslos; das Wetter ist trüber geworden, die eigene Linie nur wenige Schiffe weit zu übersehen, ein Vorstoß in die Nordsee würde ein Zufallsunternehmen werden. Dem Admiral Scheer bleibt nur der Entschluss einzulaufen nach Wilhelmshaven, um die Flotte so schnell wie möglich wieder gefechtsbereit zu machen. Währenddessen kommen immer neue Torpedoboote längsseit mit englischen Gefangenen der verschiedensten Schiffe und Zerstörer an Bord. Mit Hurra begrüßt und mit Jubel beantwortet, bringen sie Berichte über vernichtete Feinde und stolze Erfolge, immer klarer und größer wird das Bild der englischen Niederlage. Als am Nachmittage vor Wilhelmshaven der Anker fällt, und Admiral Scheer S. M. S. „Friedrich der Große“ verlässt, da schallen donnernde Hurras übers Wasser, den Flottenchef als Sieger jauchzend zu begrüßen. Deutsche Tüchtigkeit und Pflichttreue und das in ernster Friedensarbeit gegründete Vertrauen zwischen allen Stellen der Flotte hatten den deutschen Waffen das stärkere Können, der deutschen Führung den Sieg in die Hand gegeben und bald erklang es von den Schiffen:
England komm‘ nur dem Barbaren
Nicht zu dichte bei,
Sonst gibt‘s wieder Himmelfahren
So wie jüngst im Mai.
Solange wir fest und vertrauenvoll zusammenstanden, hat uns kein Engländer besiegt, ist kein Franzose auf See uns im Kampf entgegengetreten. Möge aus dem sieghaften Kampfe Scheers, aus dem Opfermut und der Treue unserer vielen Kameraden, die den Heldenschlaf halten im tiefen Meer, aus der Kraft unserer unbezwungenen Schiffe, über die die Wogen der See sich geschlossen haben, Glauben und Wollen und Sieg erwachsen für eine deutsche Zukunft auch über See, zum Nutzen aller Kultur in der Welt und zum Segen unseres deutschen Vaterlandes.
Von Admiral z. D. Wilhelm Souchon, damals Chef der Mittelmeerdivision.
eim Ausbruch des Weltkrieges befanden sich von der deutschen Mittelmeerdivision im Mittelmeer nur das Flaggschiff S. M. S. „Goeben“, Kommandant Kapitän z. See Ackermann und S. M. S. „Breslau“, Kommandant Fregattenkapitän Kettner, dazu noch in Skutari, Albanien, eine Abteilung Marineinfanterie unter Major Schneider und im Bosporus das Stationsfahrzeug S. M. S. „Lorelei“, Kommandant Kapitänleutnant Humann. Die beiden fehlenden kleinen Kreuzer S. M. S. „Dresden“ und „Straßburg“ waren vorübergehend anderen Auslandsstationen zugeteilt.
„Goeben“ und „Breslau“ waren beides vortreffliche neue Schiffe, „Goeben“ ein erst 1911 in Hamburg von Stapel gelaufenes Großkampfschiff von 23 000 t Wasserverdrängung und 52 000 Wellenpferdestärken, einer Höchstgeschwindigkeit von 29 Knoten und einer Schwerarmierung von zehn 28 cm-Geschützen; der kleine Kreuzer „Breslau“, ebenfalls 1911 von Stapel gelaufen, von 4550 t Wasserverdrängung und 25 500 Wellenpferdestärken, 27 Knoten Höchstgeschwindigkeit und zwölf 10,5 cm-Geschützen. „Goeben“ galt als das stärkste und schnellste Kriegsschiff des Mittelmeeres. Letzteres traf im Sommer 1914 nicht mehr zu. „Goeben“ hatte lecke Kesselrohre und dadurch sehr verminderte Geschwindigkeit und Dampfstrecke. Es war deshalb ihr Austausch durch S. M. S. „Moltke“ für den 4. Oktober in Algeciras bereits befohlen.
Die englische Mittelmeerflotte enthielt sieben große Kreuzer (davon drei Großkampfschiffe mit 30,5 cm-Geschützen) und vier kleine Kreuzer, die französische siebzehn Linienschiffe mit 30,5 cm- Geschützen und sechs große Kreuzer. Dazu kamen sehr zahlreiche Torpedobootsstreitkräfte und Unterseeboote.
Am 23. Oktober 1913 hatte ich in Triest meine Flagge auf „Goeben“ gesetzt. Von der Zeit an hatte ich es mir sehr angelegen sein lassen, nicht nur alle in Betracht kommenden maritimen Stützpunkte und Hilfsquellen jeder Art selbst zu besuchen und beurteilen zu lernen, sondern auch mit den führenden Männern bekannt zu werden, mit denen ich bei Kriegsausbruch sei es als mit Gegnern oder sei es als mit Helfern und Waffenbrüdern zu arbeiten haben würde. So hatte ich die sardinischen und sizilianischen Häfen, Fahrwasser und Küstenbeobachtungsstationen und die italienischen Kriegshäfen und Marinearsenale alle persönlich besucht, in Rom war ich mit den Ministern der Marine und des Krieges und dem Admiralstabschef, in Spezia mit dem italienischen Flottenchef in Verkehr getreten. Die französischen Admirale, den bärbeißig blickenden, unter seinen Leuten als loup de mer gefürchteten Flottenchef Vizeadmiral Boué de Lapeyrére und dessen zweiten Admiral, der auf mich den Eindruck eines feinen alten Hofbeamten gemacht hatte, Konteradmiral Lacaze, hatte ich in ihren üppig ausgestatteten Flaggschiffsräumen an der sizilischen Küste getroffen. Mit dem hochbegabten, ungemein rührigen und tätigen italienischen Geschwaderchef, nachmaligem Flottenchef, dem Herzog der Abbruzzen, stand ich schon von früher her in regem, freundschaftlichem Verkehr, die österreichischen Admirale in Pola und Triest waren mir mit herzlicher Kameradschaft entgegengekommen. Nur die Engländer hatte ich nicht kennen gelernt, es war mir das in der verhältnismäßigen Kürze der Zeit vor dem Ausbruch des Krieges nicht möglich gewesen. Ich hatte sie in ihrem Hauptkriegshafen La Valetta auf Malta nicht aufgesucht, da mir Malta von früher her bekannt war. Dass wir uns nicht begegnet waren, lag aber auch an der von den Engländern konsequent durchgeführten Methode, ihre Kriegsschiffe nicht gleichzeitig mit unsern deutschen in fremden Häfen liegen zu lassen. Der englische Admiral erschien stets prompt nach meinem Verlassen eines Hafens in diesem, trat mit mehreren Schiffen sehr anspruchsvoll auf, stets offensichtlich bemüht, den Eindruck unseres Besuchs zu verwischen. John Bull musste immer in die Suppe spucken, wie es eine Randbemerkung von Allerhöchster Hand zu meinem Bericht darüber drastisch bezeichnete. Immerhin stand ich auch mit den englischen Admiralen in funkentelegraphischem, kameradschaftlichem Verkehr.
Vorausschickend möchte ich bemerken, dass die militärischen und politischen Erfolge der Mittelmeerdivision in der ersten Kriegszeit nur möglich gewesen sind durch die Höhe und Gediegenheit der Admiralstabsvorarbeit meines trefflichen ersten Admiralstabsoffiziers Korvettenkapitän Busse und durch die Funkspruchausbildung.
Die Nachricht von der Ermordung des Erzherzogpaares, mit dem ich noch am 27. März in dem lauschigen, sonnigen Schlösschen Miramar bei Erdbeerbowle und Kiebitzeiern heitere Stunden verlebt hatte, traf mich auf einer Abendgesellschaft beim deutschen Konsul in Haifa in Syrien. Sie ließ in mir sogleich die Überlegung aufkommen, dass das scheußliche Verbrechen für Deutschland zum Kriege führen könne und damit die drückende Sorge, dass ich in dem Falle gezwungen sein würde, in den Krieg mit einem durch lecke Kessel in seiner Verwendbarkeit arg herabgesetzten Flaggschiff einzutreten. Mein erstes Streben musste deshalb darauf gerichtet sein, zu versuchen, den Ersatz lecker Rohre, so weit irgend behelfsmäßig möglich, in dem österreichischen Kriegshafen Pola vorzunehmen. Ich funkte sofort an den Staatssekretär die dringende Bitte, mir Ersatzrohre in möglichst großer Zahl und in deren Einbau geübte Werftarbeiter nach Pola zu senden und richtete mich so ein, dass „Goeben“ einige Tage vor dem Eintreffen der Rohre und Arbeiter in Pola eintraf.
In Pola wurde von „Goeben“ nun diese Arbeit mit Hochdruck in Angriff genommen und in Julihitze, Tag- und Nachtschichten so gefördert, dass bei der Ankunft des Schiffes in Messina am 2. August so viel Reihen Rohre ausgewechselt waren, dass das Schiff, wenn auch unter häufigem Ausfall von Kesseln und dadurch bedingtem Dampf- und Wasserverlust eine Marschgeschwindigkeit von 18 Knoten halten und wie die Not am August gezeigt hat, für kurze Zeit bis zu 24 Knoten laufen konnte. Das Hauptverdienst daran hat der leitende Ingenieur, der damalige Oberstabsingenieur Breuer, der Besten einer von den vielen vortrefflichen Ingenieuren, mit denen ich im Verlauf meiner langen Dienstzeit gefahren bin. Er kannte keine Schwierigkeiten und scheute keine Verantwortung. Selbst unermüdlich tätig, immer frisch und aufmunternd war er ein beliebter Vorgesetzter, der es verstand, aus Menschen, Kohlen und Maschinen die höchsten Leistungen herauszuholen.
S. M. S. „Breslau“ lag zu der Zeit mit einzelnen Kriegsschiffen anderer Mächte zur Stützung der Prinzlich Wiedschen Regierung vor Durazzo an der albanischen Küste. Ich unterrichtete sie am 8. Juli in Korfu mündlich über die Lage und Absichten und zog sie dann erst bei Ausspruch der Mobilmachung zu mir heran. Sie verließ die Reede von Durazzo als letztes der dort stationierten Kriegsschiffe. Mit ihrem ersten Gegner, dem englischen kleinen Kreuzer „Gloucester“ hatte sie dort engen kameradschaftlichen Verkehr gepflegt, täglich mit ihm im friedlichen Wasserballspiel ihre Kräfte gemessen.
Während des dreizehntägigen Arbeitsaufenthalts meines Flaggschiffs in Pola verkehrte ich sehr viel mit dem allgemein beliebten und verehrten Führer der österreichisch-ungarischen Flotte, dem während des Krieges verstorbenen Admiral Haus. Seine Gesundheit war schon damals nicht mehr fest. Er gab sich mancher Sorge für die Zukunft seines Vaterlandes hin. Wie die große Mehrzahl seiner Offiziere glaubte er aber nicht an Krieg. Auf meine die Einzelheiten unserer Kriegführung betreffenden Anregungen pflegte er nur zögernd einzugehen und er versicherte mir noch bei einem Abschiedsglas am 23. Juli, es wäre ja möglich, dass wir uns unter ganz veränderten Umständen wiedersähen, aber glauben täte er es nicht. — Am 26. Juli machte Österreich-Ungarn mobil.
Es lag mir sehr daran, auch mit dem italienischen Admiralstabschef vor dem eventuellen Ausbruch der Feindseligkeiten unser Vorgehen zu besprechen. Ich schlug ihm für den 30. Juli eine Zusammenkunft in Rimini vor, er dagegen mir für den 3. August eine solche in Alatri unweit Roms. Aus den Begleitumständen ersah ich, wie wenig er und der die Einladung vermittelnde Marineattaché sich des Ernstes der Lage bewusst waren.
Am 2. August, dem ersten Mobilmachungstage trafen die Schiffe in Messina ein.
Auf der Fahrt nach dem Süden brachten uns die Hertzschen Wellen die „drohende Kriegsgefahr“ und den Mobilmachungsbefehl. Der Schiffsdienst lief wie alltäglich weiter. In den Heizräumen ging die Arbeit des Rohreinsetzens zu Ende und wurde aufgeklart. In meinem Arbeitszimmer erwog ich mit meinem Stabschef die Aussichten, die sich uns boten, um wirkungsvoll am Kriege teilzunehmen, Von den Faktoren, die wir unserer Rechnung zugrunde legen mussten: wahrscheinliches Verhalten der Gegner England und Frankreich, Unterstützung durch unsere Bundesgenossen Österreich und Italien, Handhabung der Neutralität seitens Spaniens und Griechenlands, Funktionieren unseres Agentenwesens, Unterstützung aus der Heimat, waren fast alle unbestimmt und unbestimmbar. Fürs erste schien nur eins sicher, erdrückende feindliche Übermacht auf der einen und unsre beiden guten Schiffe auf sich selbst gestellt auf der andern Seite. Unter diesen Umstanden lag der Gedanke nahe, uns nach der Nordsee durchzuschlagen. Er schied aus der Überlegung aus wegen der Kesselhavarie der „Goeben“. Unsere Chancen, den Feind im Mittelmeer empfindlich zu schädigen, schienen, selbst wenn wir für alles die günstigsten Werte einsetzten, sehr gering. Dass sie sich bessern würden, sobald die Kriegs- und Neutralitätserklärungen erfolgt sein würden, schien nicht gerade wahrscheinlich. Deshalb ist uns der Gedanke, die Entwicklung der Dinge etwa in Pola abzuwarten, gar nicht gekommen. Das Gebot der Stunde lautete: Handeln, Ran an den Feind, keine Chance ungenutzt lassen, heute schlagen und wenn's sein soll in Ehren untergehen, wir wissen nicht, ob wir's morgen noch können!
Nacht, die Schiffe sorgfältig abgeblendet, Sturm gegenan, die Wachen auf der Brücke in Ölzeug, in den eingeschlossenen Decks in Troiern tun ihren regelmäßigen Dienst, in Spannung, was Messina bringen wird. An die enge, stickige Roje bringt mir der Flaggleutnant die von ihm entzifferten Funksprüche „Drohende Kriegsgefahr“, später „Mobilmachung befohlen“, korrekt, eisern, ohne eine Spur von Erregung zu zeigen, wie eine Maschine kommt und geht er. „Den Besatzungen erst bekanntgeben auf Befehl“, bemerke ich. „Kauffahrteischiffe unterrichten, anweisen neutrale Häfen aufzusuchen. — Wieviel Kessel sind ausgefallen?“ „Auf der Abendwache zwo, jetzt auch schon wieder einer.“ „Verd . . . . !“ Ein so schönes, mächtiges Schiff unter den Füßen und diese Not, jetzt, wo die große Stunde schlägt, wo dein Kaiser ruft, die Kameraden und die Deinen voll stolzen Vertrauens zu dir hindenken. Gott sei Dank weiß der Feind ja nicht, wie es mit uns steht. Noch gilt „Goeben“ als schnellstes Schiff im Mittelmeer. Nun aber schnell, ehe unser unglücklicher Zustand offenkundig wird. Drauf! und rausgeholt, was an Menschen- und Maschinenkraft drinsteckt so lange Kohlen, Wasser und Granaten reichen.
Auf nach Walhall! Hindernisse sind dazu da, um überwunden zu werden und wir wollen erst mal sehen, wer dem andern über ist. Ich oder du loup de mer oder ihr Epigonen Nelsons. Umsonst haben wir doch nicht dreißig Jahre gearbeitet wie keine Flotte gearbeitet hat, unter unserem für das Seewesen begeisterten obersten Kriegsherrn, unter Lehrmeistern wie Tirpitz und Koester, Winter und Sommer, Tag und Nacht, in Sturm und Nebel, Strom und Eis unsrer nordischen Heimatgewässer wie fernab in Tropenglanz und Fieberschwüle südlicher Meere, auf Schiffen und Werften, hoch oben in der Takelage und tief drunten im Bunker, an Deck und in der Maschine, am Geschütz und Torpedo, auf der Brücke wie am Schreibtisch, oft, ja meist mit unzureichenden Mitteln aber nie mit mangelnder Triebkraft, rastlos vorwärts, immer nur vorwärts um den Preis der höchsten Kriegsfertigkeit! Heil, dass wir den Tag erleben dürfen! Viel Feind, viel Ehr! Drauf!
Auf S. M. S. „Goeben“ wohnt der Admiral in einem Aufbau an Deck am hinteren Schornstein, mitten im Getriebe des Schiffsdienstes. Nach Hellwerden flutet das goldige Morgenlicht in die jetzt weit geöffneten Fenster meiner Wohnräume, viele geschäftige Hände fegen und klaren um mich auf. Gelegentlich ruhen fragende Blicke auf der weit offen stehenden Kajütstür. Ich sehe noch dein stummes fragendes Gesicht, mein lieber Hans Schinke, der du mich während meiner ganzen Mittelmeerzeit, Krieg und Aufruhr in der Heimat mit hingebender Liebe betreut hast.
Du verstandest mich, als ich dir nur zunickte und meldetest durch verstohlenes Handaufheben nach draußen „klar“, Vor versammelter Mannschaft hörte ich dann den Kommandanten den Mobilmachungsbefehl bekanntgeben und das Kaiserhoch ausbringen. Ein Freudentaumel ergriff dabei die Mannen, jubelnd schlug die Menschenwoge um mich zusammen. „Ja, es geht los. Wir geben den ersten Schuss ab!“ Elementare Hurras, Musik an Deck, Preußenmarsch, Friedericus Rex.
Wie nicht anders erwartet, waren bei unserer Ankunft in Messina weder Österreicher noch Italiener zur Stelle. Die italienische Regierung war in ihrem Verrat schamlos genug gewesen, eilends in ihren Häfen das Liefern von Kohlen und Proviant zu verbieten. Wir fragten nicht viel. Wir halfen uns so gut es ging durch Längsseitnehmen deutscher Dampfer, aus denen wir, wenn auch natürlich mit großer Mehranstrengung und Verzögerung, da gewöhnliche Dampfer nicht zur Abgabe von Kohlen eingerichtet sind, drauflos kohlten. Und wie kohlten die Schiffe! Ich habe vieles Kohlen gesehen, oft unter schwierigen Verhältnissen, bei Seegang, aus Dampfern und selbst in Fahrt während meiner Ersten-Offizier-Jahre geleitet. Jetzt bewährte sich unsre Ausbildung, die das Kohlen stets als Manöver, nie als Arbeit gehandhabt hatte. Dass Offiziere und Fähnriche im Prahm und Bunker selbst anfassten, jeder Törn den andern an Förderung zu übertreffen suchte, dass hierdurch Höchstleistungen erzielt wurden, die kaum noch steigerungsfähig erschienen, das waren wir gewohnt. Dies Kohlen in der Kriegsbegeisterung vor Messina war aber doch der Gipfel! Im Nu hatten Äxte und Maker alles weggeschlagen, was das Kohlenherausnehmen behinderte und dann setzte ein Kohlen ein, so heiß, so mitreißend, dass ich mich mühsam zurückgehalten habe, nicht selbst mit zur Schaufel zu greifen. Schweiß von hoch und niedrig mischte sich in Strömen. Wäre doch die Güte der Kohle dieses Schweißes der Edlen wert gewesen! Sie war es leider nicht. Handelsdampfer kohlen da, wo es am billigsten ist, ihre Kessel erfordern nicht so gleichmäßig hochwertiges Brennmaterial wie die komplizierten Kriegsschiffkessel, namentlich nicht wie die subtilsten aller Kessel, die engrohrigen Hochdruckwasserrohrkessel der „Goeben“. Nun, besser als nichts waren die Kohlen immer, Verhältnismäßig gut waren die vom Hamburger Dampfer „General“.
Diesen schönen, mit Gütern und Passagieren für die Ausstellung in Dar-es-Salam vollbeladenen Dampfer der Deutschen Ostafrikalinie hatte ich funkentelegraphisch von Kreta zurückgerufen und als Trossdampfer requiriert. Er kam gleichzeitig mit uns in Messina an, ich fuhr gleich an Bord und ordnete die Ausschiffung der Passagiere an. Da diese ohne Barmittel und am Orte ohne Bankkredit waren, erhielt jeder aus unserm Kriegsgoldvorrat das Eisenbahnfahrgeld bis Neapel. Bald riefen sie uns von der Fähre nach Reggio herzliche Scheidegrüße zu. Dampfer General stand uns dann bereitwilligst zur Abgabe von Material und Proviant wie zur Übernahme von Reservevorräten und Aufbewahrung der für den Krieg hinderlichen Inventarien der Schiffe zur Verfügung. Unter seinem ausgezeichneten Führer, Kapitän Fiedler, ist er mir in sehr geschickter Weise nach Konstantinopel gefolgt und hat uns dort in vielseitigster Weise während des ganzen Krieges großen Nutzen gebracht.
Mein Operationsplan war schnell gefasst: die Hauptverschiffungshafen für das XIX. französische Armeekorps an der algerischen Küste, die befestigten Häfen Böne und Philippeville bombardieren, ihre Verladungseinrichtungen und Fahrzeuge möglichst zerstören.
Um dazu bei Hellwerden am 4. August an der algerischen Küste stehen zu können, verließen die Schiffe 1. Uhr nachts am 3. August heimlich Messina. Über die uns befreundete sardinische Funkstation Vittoria erhielten wir gerade rechtzeitig bevor wir uns teilten die Nachricht vom Kriegsausbruch gegen Frankreich.
Zwei Stunden vorm Feuereröffnen übermittelt uns Nauen den Allerhöchsten Befehl sofort nach Konstantinopel zu gehen. Sofort umkehren, so dicht vor der von uns allen mit heißer Sehnsucht erwarteten Feuereröffnung — das brachte ich nicht übers Herz, planmäßig mit Hellwerden sausten die ersten deutschen Granaten in die Rais und Transportschiffe in Böne und Philippeville unter den darauf zum Abtransport nach Frankreich versammelten Truppen Tod und Verderben verbreitend.
Hätten wir nun in Brindisi oder Messina genügend gute Kohlen auffüllen können, so hätten wir den Marsch nach den Dardanellen ohne Aufenthalt und Umwege machen können. So, wählte ich den Weg durch die Straße von Messina, wo ich hoffen konnte, aus deutschen Dampfern Kohlen ergänzen zu können. Unterwegs dorthin sollten wir spannungsvolle Stunden erleben, eine Hetze auf Leben und Tod.
„Goeben“ und „Breslau“ hatten kaum ihr Zerstörungswerk vollbracht und sich dem sehr spät einsetzenden Feuer der französischen Küstengeschütze entzogen, da schwirrten die Funksprüche französischer Küsten und Schiffsstationen wie unsinnig um uns rum, alle in offner Sprache, so dass wir mit stolzer Freude unsern Erfolg vernahmen. Es hieß jetzt schnell und unbemerkt wie wir herangekommen waren verschwinden. Das glückte aber nicht. Wir liefen dem britischen Löwen direkt in den Rachen.
10 Uhr vormittags kommen plötzlich voraus an Backbord 2 Großkampfschiffe in Sicht und auf Gegenkurs mit hoher Fahrt auf uns zu. „An die Geschütze!“ Klar zum Feuern stürmen wir weiter. Was mag werden? „Goeben“ mache deinem Namen Ehre, zeige, was deutsche Schießkunst, deutsches Material auch über überlegene Zahl und Kaliber vermag. Arme, schmucke, kleine „Breslau“, wie wird es dir ergehen!
Sie kommen schnell näher, da lässt sich ausmachen, es sind keine hochbordigen Franzosen, es sind Engländer mit Dreibeinmasten, Indomitables (Unbezähmbare). Mit höchst gespannter Erwartung sehen wir sie auf 90 Hektometer passieren, nicht feuern, aufdrehen und uns folgen. Ich durfte sie nicht unter Feuer nehmen, da ich nicht benachrichtigt war, dass England Feind sein würde, wunderte mich, dass sie nicht schossen. Noch jeden Krieg hat ja England damit eröffnet, dass es vor der Kriegserklärung, oft im tiefsten Frieden über den Gegner herfiel. Die englischen Kreuzer bemühten sich nur, planmäßig unsern Funkspruchverkehr zu stören.
Wir durften uns nun möglichst nicht merken lassen, dass wir kessellahm waren, und versuchten den Gegner abzuschütteln. Beides ist mit fast übermenschlicher Anstrengung unsres, dem englischen erstklassigen weit überlegenen Maschinenpersonal und dank dem glücklichen Umstande, dass es gegen Abend unsichtig wurde, erreicht worden. Die Engländer hatten noch mehrere kleine Kreuzer zu unsrer Verfolgung herangezogen, alles moderne 25- bis 26-Knotenschiffe. Trotzdem auf „Goeben“ ständig Kessel, bis zu dreien gleichzeitig, ausfielen, gelang es dem Schiff zeitweilig Umdrehungen bis zu 23 Knoten herauszukriegen und damit, o Wunder, den englischen Schiffen davonzulaufen!
Die englische Darstellung entschuldigt diesen Versager damit, dass sie den deutschen 29- und 27-Knotenkreuzern umso weniger hätten folgen können, als ihre Schiffe lange nicht im Dock und mit Maschinenpersonal nicht voll besetzt gewesen wären, würde das englische Publikum sich die kleine Mühe machen und auf der der englischen Darstellung beigegebenen Karte nachmessen, so würde es finden, dass seine modernen 26-Knotenschiffe bei dieser Fahrt während weniger Stunden nicht 22 Knoten haben halten können. Auch „Goeben“ hatte vor 10 Monaten zuletzt gedockt.
Die beiden Indomitables sackten schon am Nachmittag achteraus, 9 Uhr abends verloren wir den letzten englischen Kreuzer aus Sicht. Eine Stunde später, nahmen wir von der Funkstation Cavallo die sehr verzögerte Nachricht ab „Kriegserklärung Englands wird voraussichtlich erfolgen dritten August“ und am folgenden Morgen, also am 5. August, von der Station Vittoria „England hat Deutschland am 4. August den Krieg erklärt“.
Die Nachtfahrt entlang der sizilianischen Küste brachte uns noch ein Zusammentreffen mit einer Torpedobootsflottille. Glücklicherweise wurde diese im hellen Mondschein gerade noch rechtzeitig als italienisch erkannt und daher nicht beschossen. Aufs äußerste erschöpft kamen die Schiffe nach Messina zurück. Die Leute hatten nicht nur wenig Schlaf gehabt, sie waren als Wache dauernd auf der Gefechtsstation, als Freiwache angestrengt beim Kohlentrimmen gewesen. Einen Jungmatrosen fanden wir tot an Überanstrengung im Bunker. Und doch konnte nun von Schonung erst recht keine Rede sein. Unser Bleiben in Messina musste so kurz wie möglich bemessen und dabei zum Kohlen unter schwierigen Verhältnissen aufs nachhaltigste ausgenutzt werden.
Weniger im Glauben, damit etwas zu erreichen als aus Bundespflichtgefühl funkte ich an Admiral Haus die Bitte, mir mit der österreichischen Flotte zu Hilfe zu kommen. Er antwortete „Zweite Mobilmachung entmutigte, kann nicht kommen“ und hat sich später damit entschuldigt, er habe nach seinen Nachrichten die Befreiung der deutschen Schiffe aus der kolossalen englisch-französischen Umklammerung für hoffnungslos ansehen müssen und daher nicht erst versucht.
Unsern Vertrauensmann in Athen baten wir funkentelegraphisch, uns einen Dampfer mit 800 Tonnen Kohlen nach der Südspitze von Griechenland, Kap Maleas zu senden, einen andern in Konstantinopel desgleichen nach der südlichsten Zykladeninsel Santorin.
In Messina wurde nichts unversucht gelassen, um Kohle zu kriegen. Es halfen uns dazu der Marineattache in Rom durch erfolgreiche Bearbeitung der mir persönlich bekannten Chefs im Marineministerium und Auswärtigen Amt, so dass diese die Kohlenübernahme zuließen „zum letzten Mal“, dann der sehr energische, rührige Vertreter von Hugo Stinnes in Messina, dessen Geschick wir mehrere Prähme guter Kohle verdankten, Von den im Hafen liegenden deutschen Dampfern wollte keiner hinter dem andern zurückstehen, um uns Kohlen und was wir sonst brauchen konnten abzugeben. Hätten sie nur bessere Kohle und Einrichtungen zur Abgabe gehabt! Das Hauptverdienst an der Kohlenbeschaffung gebührt aber meinem gewandten Stabschef Kapitän Busse. Er brachte es fertig, dass wir sogar aus einem englischen Dampfer kohlen konnten, wenn er auch nicht, wie die Legende ihm andichtete, persönlich dazu den englischen Kapitän unter den Tisch getrunken hat. Im Ganzen ist es uns gelungen, 2000 Tonnen Kohlen zu kriegen.
Abends spät erschien eine Abordnung von vier italienischen Offizieren mit einem Brief des Gouverneurs bei mir, der die „Mahnung“ enthielt, meinen Aufenthalt in dem neutralen Hafen nicht über 24 Stunden auszudehnen. Ich ließ ihn mit der Versicherung beruhigen, mein Aufenthalt zum Kohlennehmen würde sicher nicht 24 Stunden überschreiten, er rechne vom Eintreffen der Erlaubnis der italienischen Regierung zum Kohlennehmen, im Übrigen sei dreimal 24 Stunden als internationales Kriegsrecht anzusehen.
Das Kohlen dauerte jetzt in dem Erschöpfungszustand der Besatzungen, der Augusthitze und dem hohen Grußgehalt der meisten Kohlen Tag und Nacht durch schier endlos. Das Schleppen und Schippen wurde von Stunde zu Stunde langsamer. Aufmunternde Musik, Extraverpflegung, anfeuernde Zurufe und das Beispiel der ständig mitarbeitenden Offiziere, Scherzworte von meiner Seite, nichts vermochte mehr, die Leute auf den Beinen zu halten. Die Leute fielen vor Müdigkeit um, wurden abwechselnd für Stunden auf dem Dampfer General zum Schlafen in die Passagierkojen gesteckt, verschwenderisch mit kühlen Getränken und Bädern erfrischt, alles vergeblich, Ohnmacht und Sonnenstichfälle mehrten sich, es wurde nichts mehr geschafft. Da gab ich am 6. August mittags schweren Herzens, denn es waren noch viele Kohlen da, den Befehl zum Ausscheiden. Um 5 wollte ich auslaufen, der Feind erwartete uns. Dazu mussten die Schiffe wenigstens etwas ausgeruht und gefechtsfähig sein.
Inzwischen hatte ich über den Feind ununterbrochen Nachrichten von allen Seiten erhalten, von Berlin, von Rom, von Wien, am lebhaftesten und aufdringlichsten von Messina selbst. Aus allen war mit Sicherheit nur zu entnehmen, was ich erwartete, dass der Feind die beiden Ausgänge der Messinastraße besetzt hielt, einen beobachtenden englischen Kreuzer am Südausgang sahen wir mit eignen Augen. Über die Anwesenheit einer Flotte vom großen Schiffen am Nordausgang bei den Liparischen Inseln unterrichtete mich auf Grund der mündlich überbrachten Meldung des Konsularagenten in Milazzo unser verdienter Konsul Jacobs selbst. Der liebe alte Herr, der einst bei Spichern mit gestürmt hatte, war ganz gebrochen von dem vermutlichen Untergang, der den Schiffen bevorstand. Nachdem er mir alles, was er erfahren hatte — von Offizieren der italienischen Küstenartillerie stammte die Nachricht vom Sichten einer Flotte bei Taormina — umständlich berichtet hatte, suchte ich ihn hinsichtlich des erwarteten Untergangs der Schiffe zu beruhigen, die Schiffe seien so genial unterteilt und sinksicher gebaut, dass sie gar nicht zu versenken wären. Für die Nachrichten dankte ich ihm sehr, bat ihn aber, nun keinem andern Menschen davon zu erzählen, es genüge ja wohl, wenn ich genau unterrichtet sei. Wenn auch die Kampfstimmung der Leute und ihr Vertrauen zu der Führung fest und über jedes Lob erhaben schien, wurden diesen unnötige Belastungsproben doch besser ferngehalten. Umso mehr, als der mühselige Dienst des Kohlens und Vonbordgebens aller Holzteile und brennbaren, nur der Wohnlichkeit und Gemütlichkeit dienenden Einrichtungsgegenstände bei Dreck und Hitze den Übermüdungszustand der Leute in einen Desperadozustand übergehen lassen konnte. An äußerer Einwirkung dazu ließen es die die Schiffe in hunderten von Booten Tag und Nacht belagernden sensationslüsternen, aufdringlichen Sizilianer wahrhaftig nicht fehlen. Ringsum zerlumptes Volk mit Obst, Süßigkeiten, Ansichtskarten, Andenken aller Art zum Rauf, Bänkelsänger mit Mandolinen, Klavieren, Kastagnetten, Karabinieri, Dirnen, Mönche, Soldaten, Schwestern, vereinzelt auch gut gekleidetes Publikum versuchten unablässig unseren halbnackten, kohlengeschwärzten Gesellen zuzusetzen und alles, was nicht niet- und nagelfest war, vom Hosenknopf bis zur Kohlenschaufel, als Andenken an „die dem Tode Geweihten“ zu ergattern. In das Pochen und Brechen, Rauschen und Schütten, Schurren der Schaufeln, Kreischen der Winden, Ächzen der Giene, in Staub und Dunst, Gerüche von Öl und Schweiß mischen sich die Ausrufe der Extrablattverkäufer und Zeitungshändler: „in den Rachen des Todes“, „letzte Fahrt“, „Schande oder Untergang“, „der Salto vom Gipfel des Ruhmes“. . . Manch einer hat sich da wohl nach einer Atempause gesehnt, einem ruhigen Winkel zu einer vielleicht letzten Einkehr der Gedanken ins Elternhaus, zu ein paar Abschiedsworten, zu einem letzten liebkosenden Blick auf die Bilder seiner Lieben, bevor seine Habseligkeiten auf dem Trossdampfer oder unterm Panzerdeck verschwanden. Die braven Jungen konnten ja nicht so wie ich ganz ausgefüllt sein von dem Reiz der mir zugefallenen Aufgabe, dem Glauben, dass es mir gelingen musste und würde.
Die Legende hat von einem langen Zug der „Goeben“- und „Breslau“-Leute mit Kaiserbildern und letztwilligen Verfügungen an Land zum deutschen Konsulat berichtet, sehr zu Unrecht. Der Landgang ist auf einzelne Personen, die dienstlich an Land mussten, beschränkt geblieben. Aus meinen Räumen ist im Besonderen nicht ein Stück, nicht ein Bild von Bord gegeben oder vernichtet worden. Meine Burschen Schinke und Bohrmann haben alles ordnungsmäßig unterm Panzerdeck verstaut, von wo es später, im Bosporus, wieder hervorgeholt und dann allerdings so weit von Bord gewandert ist, als es sich um Dinge handelte, die im Kriege an Bord dauernd unnötig sind. Die ernsten Züge unseres Kaisers und die gütigen Augen unserer Kaiserin, beides persönlich geschenkte Bilder Ihrer Majestäten vom April 1914 stehen noch heute vor mir.
Neben dem Kohlen und Entholzen der Schiffe spielte sich an mehreren Stellen das Einstellungsgeschäft ab. Erhebend war der Andrang der Besatzungen der Kauffahrer zum Kriegsdienst. Reservisten, See- und Landwehr, Landsturm, Kriegsfreiwillige von Bord der im Hafen liegenden Schiffe und von Land drängten sich in heller Begeisterung, oft gegen den Widerspruch ihrer Kapitäne, zur Mitfahrt. Die wenigsten hatten Papiere. So geschah die Auswahl dem Bedarf entsprechend nach körperlicher Brauchbarkeit und dem Zeugnis der Kapitäne. Die für den Mobilmachungsfall vorgesehene Zahl von rund 400 Mann Auffüllungspersonal war bald überschritten. Seeleute, Kellner, Kolonialdeutsche, Suahelis wollten eingestellt sein. Staatsangehörige der österreichisch-ungarischen Monarchie, auch Ausländer, Schweizer und Amerikaner, ließen sich nicht abweisen. Nur die Söhne des Reichs der Mitte, unsere chinesischen Waschleute, wurden von der Kriegsbegeisterung nicht erfasst. Nach Konstantinopel kamen sie gerade noch mit, suchten aber dann bald das Weite. Unter den Freiwilligen war der stellvertretende Schiffsarzt des Dampfers „General“, ein hoher Sechziger, Magdeburger praktischer Arzt. Er hatte auf telegraphischen Abruf den Dampfer gerade vor der Abfahrt in Neapel erreicht und dabei bis auf einen Strohhut all sein Gepäck eingebüßt. Ein frischer 15jähriger Schiffsjunge versuchte es an allen Stellen mit Bitten, Vorstellung und Tränen, genommen zu werden. Er setzte es durch, mir vorgeführt zu werden. Ich konnte seinem stürmischen Verlangen ebenso wenig nachgeben wie die Schiffsärzte. Er wurde ein paar Tage später von „Breslau“-Leuten halbverschmachtet aus dem Bunker gezogen. Er hatte es also doch erreicht mitzukommen.
Er ist dann bei uns geblieben, gehörte zur Maschinengewehrabteilung der Flotte auf Gallipoli und hat wie so mancher seiner „Onkels“ die Heimat nicht wiedergesehen.
Am 6. August nachmittags wusch und ruhte alles, die Gefechtsstationen wurden gesäubert und wer‘s noch hatte, zog sich reines Zeug an. 11 Uhr vormittags hatte ich vom Admiralstab die Mitteilung bekommen: Einlaufen Konstantinopel zurzeit noch nicht möglich aus politischen Gründen. Dies sowie die mir durch den Admiralstab übermittelte dringliche Empfehlung des Marineattaches in Rom, nach der Adria zu gehen, machten mich in meinem Entschluss, nach den Dardanellen zu gehen, nicht wankend. Im Mittelmeer war bei der Übermacht von Feinden und beim Fehlen aller Subsistenzmöglichkeiten meines Bleibens nicht, in die Adria wollte ich unter keinen Umständen in dem wohl sicheren Gefühl, dass ich dort, auf österreichische Unterstützung angewiesen, kaum zu aktiver Verwendung kommen würde. So stand in mir der Entschluss fest, wenn nicht mit, so im Notfall gegen den Willen der Türkei durch Dardanellen und Bosporus den Krieg ins Schwarze Meer zu tragen. Ich hatte die Hoffnung, die Türken zum Mitgehen gegen ihren Erzfeind, den „Moskov“, zu kriegen.
Für das Gelingen des Durchbruchs nach den Dardanellen rechnete ich damit, dass dem Feinde die Kesselhavarie und die daraus resultierende Einbuße an Geschwindigkeit und Dampfstrecke der „Goeben“ unbekannt war, dass der Feind unser Reiseziel nicht kannte und in seinen Dispositionen nicht berücksichtigte und hauptsächlich — das sagte mir mehr das Gefühl als der Verstand — dass die modernen englischen Admirale mir nicht entgegentreten würden, es sei denn, dass es ihnen gelänge, ihre große Übermacht dazu gesammelt heranzubringen. Mit den Franzosen glaubte ich nicht rechnen zu brauchen. Englische Torpedobootsangriffe waren, da es Vollmond und klar war, nicht sehr zu fürchten. Alles hing im Übrigen davon ab, dass es mir gelang, vor der englischen Verfolgung genug Vorsprung zu gewinnen, um unterwegs Kohlen auffüllen zu können, und dass ich wenigstens einen der bestellten Kohlendampfer zu mir heranziehen konnte.
Mein Operationsbefehl war einfach: „Goeben“ läuft 5 Uhr aus, Fahrt 17 Knoten, „Breslau“ folgt mit fünf Seemeilen Abstand. Ich werde zunächst den Eindruck zu erwecken suchen, dass wir nach der Adria wollen und dann, falls das erreicht scheint, in der Nacht durch überraschendes Rechtsum mit höchster Fahrt Vorsprung auf Kap Matapan zu gewinnen suchen.
Das Auslaufen vollzog sich wie befohlen. Unter nicht endenwollenden Evvivas und Hurras der Menge auf Schiffen und Booten, die an den Felsen von Scylla und Charybdis das Echo weckten, bei Tageslicht, in Sicht des vor dem Ausgang stationierten Kreuzers glitten die Schiffe stolz von dannen, voller Siegeshoffnung einem ungewissen Schicksal entgegen. Es verbreitete sich das hübsche Märchen, um das Auslaufen der Schiffe zu verschleiern sei die Musik im Nordausgange der Straße auf einem Prahm zurückgelassen worden und habe dort so lange „Deutschland, Deutschland über alles“ ertönen lassen, bis die Schiffe aus dem Südausgang entschwunden waren. Das Märchen hat dem Musikdirigenten für seine Ausdauer von Seiten eines rheinischen Gesangvereins einen silberbeschlagenen Taktstock als Ehrengabe eingebracht.
Wie vorausgesehen, nahm der vor dem Südausgang der Straße stationierte englische kleine Kreuzer „Gloucester“ an uns Fühlung und hielt diese in der klaren, stillen Vollmondnacht, auch als wir 10 Uhr 45 abends das beabsichtigte Rechtsum machten, Von diesem Zeitpunkt an wurde nun der englische Funkenverkehr eine Stunde lang planmäßig nach bestimmtem System gestört, um die Meldung über unsere Kursänderung möglichst zu verzögern. Da dies Verfahren das Durchkommen feindlicher Funksprüche zwar sehr erschweren, nie aber sicher verhindern kann und im übrigen Personal und Apparate sehr anstrengt, wurde es nicht über eine Stunde fortgesetzt. „Gloucester“ folgte uns bis zum nächsten Mittag nach und verabschiedete sich nach einem kurzen Gefecht mit S. M. S. „Breslau“ als S. M. S. „Goeben“ eingriff. „Breslau“ bekam dabei einen wirkungslosen Treffer auf die Bordwand ab. Obgleich unsere Schiffe nach dem Rechtsum mit nur 18 Knoten Durchschnittsfahrt marschiert waren, hatten es die Engländer bis dahin nicht fertig bekommen, irgendwelche Schiffe oder Torpedoboote an uns heranzubringen.
Den Fühlungshalter waren wir nun glücklich los, immerhin kannte der Feind genau unseren Schiffsort, Kurs und Fahrt, bis nach den Dardanellen war es noch weit und genug Kohlen, um hinzukommen, hatten wir noch nicht, wahrlich Chancen übergenug für „Milne“ und „Troubridge“, uns mit Übermacht vor den Dardanellen zur Schlacht zu stellen. Wo und wie weit ab von „Gloucester“ die feindlichen Streitkräfte standen, wusste ich nicht. Vor uns vermutete ich sie am wenigsten. Deshalb hielt ich es für das Beste, weiter nach Osten Vorsprung zu gewinnen, um ihnen das Wiederfinden zu erschweren.
Alles hing nun davon ab, dass unsere Admiralstabsvorarbeit klappte, dass ein richtig ausgerüsteter Kohlendampfer uns am befohlenen Ort erwartete. Und sie klappte! 4 Uhr 40 nachmittags trafen wir ihn bei Kap Maleas zu Anker liegend. Unauffällig erhielt er im Vorbeifahren Signalbefehl: Liegen bleiben. Nachts wurde er dann von „Breslau“ herangelenkt.
Als altem Admiralstäbler hat mir diese erste Kriegsfrucht langer Papierkriegsvorbereitung besondere Genugtuung bereitet. Welch unendlich mühsame, peinlich genaue, meist unfruchtbar erscheinende Arbeit ist für uns nötig gewesen, das Fehlen von Stützpunkten für die Auslandskriegführung, durch ein Netz von vertrauenswürdigen, leistungsfähigen, zweckmäßig unterwiesenen Agenten allerorten, bestmöglich wettzumachen, welcher Hingabe in erster Linie der Astos (Admiralstabsoffiziere) hat es bedurft, um die dauernd in Fluss befindlichen Abmachungen bei dem ununterbrochenen Wechsel der Agenten ständig auf dem Laufenden zu halten, oft durch englische Verdachtschnüffelei behindert und meist durch unsere amtlichen Vertreter erschwert. Es ist das die Kleinarbeit, die Generalfeldmarschall von Hindenburg in seinen Lebenserinnerungen als einen so unerlässlichen Teil der Generalstabsarbeit nennt.
Sie hat für den Seekrieg fast noch größere Bedeutung als für den Landkrieg, reißt doch spätestens mit Kriegsausbruch die Verbindung unserer Auslandskreuzer mit dem Admiralstab ab und muss daher für diesen Fall stets alles fertig und in Händen der Beteiligten sein, während im Krieg auf dem Lande die persönliche Berührung zwischen Generalstab und Truppe fortbesteht.
Die Schiffe traten nun in die ägäischen Inseln ein, trennten sich, vermieden die Hauptfahrstraßen und gaben den Besatzungen die so sehr nötige Ruhepause. Den Kohlendampfer erwartend hielten wir uns den 8. August über aus Sicht von Land. Da es nicht gelang, mit Konstantinopel Funkverbindung herzustellen, wurde Dampfer „General“ nach Smyrna gelenkt, um von dort telegraphische Verbindung dorthin herzustellen. Er übermittelte an unseren Marine-Etappenkommandanten Kapitänleutnant Humann, den gewandten, in Smyrna aufgewachsenen Sohn des Pergamon-Ausgräbers: Tun Sie Ihr Äußerstes, dass ich die Meerengen passieren kann, mit Erlaubnis der türkischen Regierung, gegebenenfalls ohne ihr formelles Einverständnis.
Mit Hellwerden am 9, August ankert „Goeben“, einige Stunden später „Breslau“ und nachmittags der langsame Kohlendampfer in der geschützten Bucht der abgelegenen, vom Weltverkehr noch nicht berührten kleinen Felseninsel Denusa. Den Dampfer, es war der deutsche Levantedampfer „Bogador“, hatte ein „Breslau“-Offizier, der später auf Gallipoli gefallene Leutnant zur See der Reserve Oskar Hildebrandt, unauffällig herangebracht als griechischen Dampfer „Polymitis“, wie auf dem Namenschild und den griechischen Mützenbändern der Leute zu lesen war. Er hatte reichlich Kohlen, Schmier- und Brennöl an Deck und in den Laderäumen zur Abgabe klar, wurde nun zwischen beiden Schiffen vertäut und wieder ging's ans Kohlen, von beiden Seiten um die Wette, „nach gänzlich neuem und erweitertem Programm“, wie es der Witzbold der „Goeben“-Mannschaft nannte. Währendem lagen die Schiffe klar zum fechten und Kette schlippen unter Dampf, von den Bergkuppen der Insel aus hielten Signalgäste den Sichtkreis unter Beobachtung.
Die Nacht wurde durchgekohlt. Mit Hellwerden am 10. August wurde mit 18 Knoten auf die Dardanellen losmarschiert. Kein Feind weit und breit. Auch kein Funkspruch zu hören, der auf die Nähe eines Feindes hätte schließen lassen. Für den Fall, dass uns trotzdem der Feind vor den Dardanellen auflauerte oder dass wir uns die Einfahrt in die Dardanellen mit Gewalt erzwingen mussten, waren die Schiffe in voller Gefechtsbereitschaft und gegen Minengefahr rollenmäßig gesichert. Mein bewährter Flaggleutnant, Oberleutnant zur See Wichelhausen, kannte die Lage der türkischen Minensperren aus dem Türkisch-Italienischen Kriege, den er auf der „Loreley“ miterlebt hatte. Die Wahrscheinlichkeit sprach dafür, dass die Minenfelder jetzt ähnlich lagen und wie damals an der europäischen Seite die Durchfahrt gestatten würden. Ich war entschlossen, hier die Durchfahrt zu erzwingen. Dampfer „General“ funkte ein in Smyrna verstümmelt eingelaufenes Ziffer-Telegramm: Fragezeichen, Einlaufen, Festung zur Kapitulation auffordern, Rest verstümmelt. 4 Uhr nachmittags kamen Tenedos und Imbros, die trojanische Ebene und der Hellespont in Sicht. Die Einfahrt schien frei. In höchster Spannung, alles auf Gefechtsstation, klar zum Feuern liefen wir ein. Ich signalisierte an die Signalstation Rap Helles: Schicken Sie mir sofort einen Lotsen. Da kommt aus der Einfahrt ein türkisches Torpedoboot auf uns zu. Es hat das Signal wehen: Folgen Sie mir. Ich schüttle dem mir von Smyrna her bekannten, deutschsprechenden türkischen Generalstabsmajor Kerameddin freudig die Hand und dann umarme ich den „Chief“, Oberstabsingenieur Breuer. Eben noch vor Dunkelheit ankern unsere Schiffe friedlich innen vor Tschanak, und draußen wird ein fremdes Kriegsschiff gesichtet.