Aufbruch in Jackson -  - E-Book

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Beschreibung

Wie Schwarze Aktivist*innen die Befreiung praktisch von unten aufbauen: "Aufbruch in Jackson" dokumentiert die Geschichte eines der spannendsten revolutionären Experimente in den USA der Gegenwart. Seit den 1970er-Jahren nehmen Schwarze Befreiungsbewegungen im mehrheitlich Schwarzen Mississippi den Wandel selbst in die Hand. Der tiefe Süden soll zum Zentrum ihrer Unabhängigkeit werden – »Free the Land!«. In den 2010er-Jahren gelingt mit der Wahl von Chokwe Lumumba zum Bürgermeister in der Hauptstadt Jackson ein wichtiger Schritt in Richtung einer Umsetzung der Vision bestehend aus Versammlungsdemokratie, solidarischer Ökonomie und einem Ende der rassistischen Ungleichheit. Lumumba stirbt 2014 überraschend, aber sein Sohn Antar und die Cooperation Jackson schreiten weiter fragend voran. Wir erfahren von den Tücken radikaler Kommunalpolitik und Kämpfen um Wohnen und Land, demokratischen Wirtschaftsmodellen und Ökologie, internationalistischer Solidarität und den Parallelen zur Rojava-Revolution und den Zapatistas, von ermutigenden Erfahrungen, in denen unterschiedliche Anliegen Hand in Hand gehen.

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Karte des von der Republic of New Afrika angestrebten Kush-Distrikts und der Bundesstaaten des ›Schwarzen Gürtels‹ mit mehrheitlich Schwarzer Bevölkerung im Süden der USA.

Kali Akuno, Cooperation Jackson &Ajamu Nangwaya (Hg.)

Aufbruch in Jackson

Schwarze Selbstverwaltungund solidarische Ökonomie

mit einem Vorwort von

Mason Herson-Hord

Aus dem amerikanischen Englisch von

Michael Halfbrodt und Michael Schiffmann

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

Gefördert durch die Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt

Kali Akuno, Cooperation Jackson & Ajamu Nangwaya (Hg.):

Aufbruch in Jackson

1. Auflage, Oktober 2023

eBook UNRAST Verlag, Februar 2024

ISBN 978-3-95405-150-2

© UNRAST Verlag, Münster

www.unrast-verlag.de | [email protected]

Mitglied in der assoziation Linker Verlage (aLiVe)

Titel der Originalausgabe:

Jackson Rising. The Struggle for Economic Democracy and Black Self-Determination in Jackson, Mississippi

Veröffentlicht von Daraja Press, 2017

© Co-operation Jackson 2017

Alle Rechte vorbehalten

Karte Kush-Distrikt: Ken Lawrence collection, 1940-2010, HCLA 6312, Special Collections Library, University Libraries, Pennsylvania State University. (CC BY-NC-SA 2.0)

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung

sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner

Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter

Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: Felix Hetscher, Münster

Satz: Unrast Verlag, Münster

Inhalt

EinführungMason Herson-Hord

Vorwort: Alle Wege führen nach JacksonRukia Lumumba

Teil 1: Grundlagen

1. ›Build and Fight‹: Das Programm und die Strategie der Cooperation JacksonKali Akuno

2. Auf dem Weg zu Wirtschaftsdemokratie, Arbeiterselbstverwaltung und SelbstbestimmungKali Akuno & Ajamu Nangwaya

Teil 2: Entstehung & Substanz aufbauen

3. Der Jackson-Kush-Plan: Der Kampf für Schwarze Selbstbestimmung und WirtschaftsdemokratieKali Akuno

4. Übersicht über die Volksversammlungen: Das Modell der Jackson People’s AssemblyKali Akuno für NAPO und das MXGM

Teil 3: Kritische Untersuchungen

5. Das Land befreien: ein Interview mit Chokwe LumumbaBhaskar Sunkara

6. Warum die Linke auf Jackson, Mississippi, blicken sollteMichael Siegel

7. Der Jackson-Kush-Plan: Der Kampf um Land und WohnungenMax Rameau

8. Die Stadt als befreite Zone: Die hoffnungsvolle Perspektive der Volksversammlungen in JacksonMakani Themba-Nixon

9. Eine lange Geschichte mit starken Wurzeln im SüdenJessica Gordon Nembhard

10. Der Kreis schließt sich: Intersektionale Aspekte von Geschlechtergerechtigkeit und solidarischer ÖkonomieSacajawea ›Saki‹ Hall im Gespräch mit Thandisizwe Chimurenga

Teil 4: Vorangehen

11. Wie es sein könnte: Chokwe Lumumba und der Kampf für ethnische Gleichheit und wirtschaftliche Demokratie in Jackson, MississippiKali Akuno

12. Das sozialistische Experiment: Eine neue Vision von der Gesellschaft in Jackson, MississippiKatie Gilbert

13. Die Heimat ist nicht immer da, wo der Hass ist: Es gibt Hoffnung in MississippiAjamu Baraka

14. Leistet Widerstand und kämpft!Hakima Abbas

15. Gedanken über die letzten Jahre und die ZukunftKali Akuno im Gespräch mit Michael Schiffmann

Anhang

Glossar

Kurze Zeittafel

Bibliografie

Die Autor*innen

Anmerkungen

Einführung

Mason Herson-Hord,

August 2023[1]

Auf den Seiten dieses Buches finden wir einige der wichtigsten frühen intellektuellen Arbeiten der Bewegung zur Transformation der Verhältnisse in Mississippi und seiner Hauptstadt Jackson, dieser jüngsten Welle amerikanischer revolutionärer Bewegungen, die etwa 2012 begann. Diese Bewegungen sammelten sich und reiften heran in der Folge von Occupy Wall Street und im globalen Kontext der Revolution in Rojava und der Ausdehnung der Bewegung der Zapatistas. Während die radikale Demokratiebewegung in Jackson – am unmittelbarsten in Gestalt der Reaktion der Community auf Hurricane Katrina – ihre besondere eigene Geschichte hat, spielte sie zugleich auch eine führende Rolle bei der theoretischen Analyse dieses breiteren Kampfs für neue Formen von Demokratie und Sozialismus jenseits des Staates. Dabei hat der Beitrag von Cooperation Jackson zu dieser Bewegung einen sowohl visionären als auch einen experimentellen Charakter.[2]

Der in Kapitel 3 des vorliegenden Buchs skizzierte Jackson-Kush-Plan spricht von drei Bereichen der Arbeit zum Aufbau transformativer Bewegungen in Mississippi: (1) der Ausbreitung der solidarischen Ökonomie in allen Countys des Staates mit Schwarzer Mehrheit, (2) der Entwicklung einer direkt-demokratischen dualen Macht auf der Basis von Volksversammlungen und (3) der Schaffung einer politisch unabhängigen Parteiorganisation, die Kandidat*innen für öffentliche Ämter aufstellt, die gegenüber den Volksversammlungen rechenschaftspflichtig sind. Dabei stellten sich die Autor*innen vor, dass diese drei Kräfte und ihre jeweilige Entwicklung auf eine Weise interagieren würden, die es möglich machen würde, der reaktionären weißen Elite Mississippis die Macht abzunehmen und der Schwarzen Arbeiterklasse eine Basis realer gesellschaftlicher Macht und Selbstbestimmung zu verschaffen, was zugleich zu einer umfassenden Demokratisierung der Gesellschaft führen würde.

So könnten zum Beispiel die Volksversammlungen als Stützpunkte einer oppositionellen Macht außerhalb des Staates fungieren, mittels derer sympathisierende gewählte Amtsträger*innen im Hinblick auf die tatsächliche Durchführung der jeweiligen Programme kontrolliert würden, während die Amtsträger*innen ihrerseits ihre politische Autorität zur Unterstützung und weiteren Verbreitung kooperativer Unternehmen nutzen könnten, indem sie die Stadtverwaltung zu einer »Ankerinstitution« machen, die jungen Kooperativen verlässlich Aufträge garantiert. Zugleich würde die durch die Kooperativen geförderte wirtschaftliche Autonomie die politische Macht sowohl der Versammlungen als auch der politischen Partei stärken.

Cooperation Jackson wurde am 1. Mai 2014 eigentlich gegründet, um die erste dieser drei Missionen zu verwirklichen, indem sie die Gründung kooperativer Unternehmen vorantrieb. Aber seit 2014 hat sich in der Bewegungslandschaft in Jackson viel verändert. Für die Cooperation Jackson bedeutete das, dass sie nun nicht nur die erste, sondern auch die zweite der oben skizzierten Aufgaben – also sowohl das Vorantreiben der solidarischen Ökonomie als auch die Organisierung der Volksversammlungen – übernehmen musste, was dann in Gegensatz zur dritten Aufgabe, der Eroberung und Ausübung der örtlichen Staatsmacht, geriet.

Einige der Beiträge des vorliegenden Buchs diskutieren die Wahl, die Amtsperiode und den vorzeitigen Tod des radikalen Menschenrechtsanwalts Chokwe Lumumba. Bei den Konflikten innerhalb der radikalen Bewegung Jacksons in den Jahren seither ging es vor allem um die Kampagne, an seiner Stelle seinen Sohn, Chokwe Antar Lumumba, zum Bürgermeister wählen zu lassen. Bei der auf Chokwes Tod folgenden Sonderwahl scheiterte diese Bemühung noch, aber bei der regulären Bürgermeisterwahl von 2017 wurde Antar dann tatsächlich gewählt. In den Jahren seitdem haben viele Organisator*innen in Jackson die Straßen verlassen und sind ins Rathaus übergewechselt, während zugleich der politische Spielraum des Bürgermeisters für radikales politisches Vorgehen durch die Strukturen eingeschränkt war oder – so eine alternative Analyse – von diesem viel zu wenig genutzt wurde. Was immer die reformerischen Möglichkeiten eines mit dem Bernie-Sanders-Flügel der Demokratischen Partei verbündeten progressiven Schwarzen Bürgermeisters sein mögen – sie haben jedenfalls nicht dazu geführt, dass Formen der partizipatorischen Demokratie in der Regierung der Stadt Fuß fassen konnten. Diese hat die konventionellen Formen der Repräsentation und der Parteipolitik nicht hinter sich gelassen.

Das hat zu dem geführt, was Kali Akuno als »Bürgerkrieg« in der radikalen Bewegung in Jackson bezeichnet, die sich jetzt in der grundlegenden strategischen Frage unseres Verhältnisses zur Staatsmacht nicht mehr einig ist. Und da die Bewegung zum Aufbau einer demokratischen Selbstorganisierung der Schwarzen Arbeiterklasse in Jackson durch den Wahlerfolg letztlich geschwächt wurde, fiel Cooperation Jackson die Aufgabe zu, ihre Mission von der Gründung und Förderung von Kooperativen auf andere Bereiche wie gegenseitige Hilfe, politische Bildung, Volksversammlungen und Experimente mit Community Production[3] auszudehnen. Statt lediglich als eine der drei Säulen des Jackson-Kush-Plans zu dienen, verfolgt sie diesen nun mehr oder weniger allein. Das hat zu einer Mischung aus Experimenten und Rückzügen geführt, bei der die Kooperativen selbst – im Gegensatz zu der in Aufbruch in Jackson skizzierten expansiven Vision eines selbstversorgenden kooperativen Ökosystems – in ihrem Aufbau ins Stocken gerieten und letztlich weitgehend auf der Arbeit engagierter Aktivist*innen statt der von Arbeiter*innen basieren, denen ihr Betrieb gehört.

Ich meine das hier nicht als Kritik an dieser Arbeit, sondern möchte die Leser*innen damit lediglich vor allzu großem Überschwang warnen. In Detroit habe ich zur Organisierung einer Reihe von Lesekreisen zu diesem bemerkenswerten Buch beigetragen und bin dabei immer wieder auf das bedauerliche Phänomen einer wohlmeinenden Fehlinterpretation gestoßen. Die Pläne, die im Buch dargelegt werden, haben, besonders für diejenigen von uns, die in einem Umfeld leben, das Jackson so sehr ähnelt wie Detroit, etwas Berauschendes. Sie stimulieren unsere Vorstellungen davon, was für Möglichkeiten für uns selbst entstehen würden, wenn wir die Arbeit am Aufbau einer Bewegung auf eine strategische Vision stützten, die statt in Monaten in Jahrzehnten denkt, und es ist ganz normal, dass wir versuchen, unseren Hoffnungen durch das Wissen, dass sie anderswo, irgendwo, erwiesenermaßen schon verwirklicht werden, einen festen Boden zu geben. Und so gab es selbst bei Passagen des Buchs, die ausdrücklich festhalten, dass hier lediglich von Zukunftszielen die Rede ist, in jedem Lesekreis immer einige Teilnehmer*innen, die das jeweils Beschriebene als gegenwärtige Realität interpretierten.

So nahm ich Anfang 2020 an einem Workshop in Chiapas teil und eine ältere Frau aus New England, die sich als Mitglied einer Gruppe namens ›Friends of Cooperation Jackson‹ vorstellte, präsentierte dort das kooperative Ökosystem der Cooperation und beschrieb dabei, wie diese eine Farmkooperative aufgebaut habe, die eine Catering-Kooperative mit frischen Nahrungsmitteln versorge, die ihrerseits eine Kompostkooperative mit Material beliefere, die dann wiederum der Farmkooperative Kompostboden zukommen lasse. Dabei stellte sie es so hin, als sei all das bereits realisiert. Aber ich hatte zuvor eng mit Mitgliedern der Cooperation Jackson zusammengearbeitet, ihren selbstkritischen Diskussionen über ihre Arbeit zugehört und wusste daher ganz einfach, dass diese Darstellung nicht stimmte.

Eine solche ›Kooperative von Kooperativen‹ gibt es noch nicht und bei ihren möglichen Bestandteilen handelt es sich bis jetzt um nicht mehr als um Rudimente. Das ist ein unwillkommenes und unbequemes Problem, denn wir lesen diese Zeilen ja, um unsere politische Imagination als Organisator*innen zu erweitern und nicht, um unseren Hoffnungen einen Dämpfer aufzusetzen. Ich bin aber dennoch der Meinung, dass es für Leser*innen und Sympathisant*innen wichtig ist, die Arbeit von Cooperation Jackson wirklich ernst zu nehmen und als praktische Experimente mit praktischen Lehren zu begreifen statt als politische Fabeln, die man zusammen mit dem üblichen Pantheon der Pariser Kommune, dem revolutionären Spanien, Rojava und Chiapas nachbetet. Dazu müssen wir den Organisator*innen in Jackson und ihren kritischen Reflexionen über die Probleme, denen sie gegenüberstanden und die Fehler, die sie gemacht haben, zuhören. Ein solches solidarisches, vom Wunsch zu lernen getriebenes Zuhören ist unvereinbar mit der unkritischen Überhöhung, mit der Jackson trotz der Warnungen der Aktivist*innen oft betrachtet wird.

Die Offenheit der Mitglieder der Cooperation Jackson, mit der sie die Lehren aus ihren Erfahrungen geteilt haben, ist für die Entwicklung der breiteren Bewegung für radikale Demokratie und duale Macht sehr wichtig gewesen. Cooperation Jackson ist eine der bedeutenderen Mitgliedsorganisationen der Föderation Symbiosis, durch die und in der sie eine wichtige Rolle gespielt hat. Symbiosis ist das Projekt einer Reihe revolutionärer Basisorganisationen, die an einer Vision arbeiten, die dem Build-and-Fight-Modell der Cooperation Jackson ähnelt[4] und bei der örtliche Konstellationen von Basisinstitutionen der direkten Demokratie und eine solidarische Ökonomie zusammen zu einer dualen Macht gegenüber dem Staat aufgebaut werden. Einige dieser Bewegungen orientierten sich explizit am Modell von Cooperation Jackson, andere integrierten bestimmte Elemente der Erfahrung der Cooperation Jackson in ihre eigene Arbeit und wieder andere entstanden völlig unabhängig aus einer vollkommen anderen politischen Tradition, wurden aber durch eine Art konvergenter Entwicklung in dieselbe Richtung gezogen.[5]

Dabei schweben Symbiosis folgende drei Punkte als Zweck vor:

Der Aufbau von Beziehungen zwischen unseren Organisationen, um die kollektiven, kumulativen Erfahrungen und Erkenntnisse unserer Bewegung zu teilen, sodass wir alle von den Erfolgen und Fehlern der jeweils anderen lernen können.

Die Schaffung einer gemeinsamen Plattform zur Unterstützung des Aufbaus neu gegründeter, verbündeter Organisationen mit unseren gemeinsamen Ressourcen, um die Bewegung weit über alles bisher Bestehende hinaus auszuweiten.

Zumindest als Zukunftsvision die Entwicklung der organisatorischen Fähigkeit zur demokratischen Koordinierung unserer Aktivitäten über die örtliche Ebene hinaus, sodass wir dem Kapital und dem Staat auf einer breiteren geografischen Ebene entgegentreten können.

Dabei setzte Cooperation Jackson sich von Anfang an am energischsten von allen beteiligten lokalen Organisationen für die Verwirklichung des Projekts ein und trug dann stark dazu bei, Symbiosis Halt und Stabilität zu geben. Mit dem Congress of Municipal Movements in Detroit, Michigan, im Jahr 2019, bei dem wir uns formell als Föderation lokaler revolutionärer Organisationen gründeten, wurde dieses Projekt dann schließlich offiziell.

Cooperation Jackson hat nicht nur zum Aufbau der Föderation beigetragen, sondern auch als Quelle politischer Inspiration für andere Mitgliedsorganisationen gedient. Da die Revolutionär*innen in Jackson den meisten anderen in der Föderation vertretenen radikalen Bewegungen um ein paar Schritte voraus waren, haben sie Fehler gemacht, aus denen wir anderen lernen konnten. Sehr wichtig war, dass sie es sich zur bewussten Aufgabe machten, uns über diese Fehler aufzuklären und mit uns anderen in Symbiosis und anderswo in den Bewegungen überall im Land die Lehren zu teilen, die sie daraus gezogen haben. Sie luden uns zum ersten Symbiosis Summer im Jahr 2021 ein, bei dem Mitglieder von Symbiosis aus anderen Regionen des Landes eine Woche lang nach Jackson kamen, um an Projekten in der Gemeinde zu arbeiten: Sie bauten Auffangsysteme für Regenwasser, sie rissen für den Fannie Lou Hamer Community Land Trust verlassene Häuser ab oder renovierten sie, und sie arbeiteten am Gebäude des Community Production Center. Dieses Programm des Symbiosis Summer, das beim Gründungskongress von Symbiosis von dem Mvskoke-Ältesten Roberto Mendoza und dem People of the Global Majority Caucus vorgeschlagen worden war, sollte einen praktischen Rahmen für den Aufenthalt der Mitglieder der beteiligten PoC-geführten Organisationen schaffen, den Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen ermöglichen und Räume schaffen, wo die Menschen von der Arbeit der jeweils anderen lernen konnten. Dadurch, dass Cooperative Jackson für uns diesen ersten Symbiosis Summer organisierte, gewann unser kollektives Projekt stark an Tiefe.

Ein letzter wichtiger Kontext, der dazu beitragen kann, die heutigen Leser*innen von Aufbruch in Jackson auf den gegenwärtigen Stand der Bewegung zu bringen, ist natürlich die Covid-19-Pandemie. 2020 war in den USA ein explosives Jahr für revolutionäre Bewegungen, aber für alle, denen am Aufbau von Institutionen der Selbstbestimmung gelegen ist, war es auch ein Jahr großer Verluste und sogar der Trauer, etwas, worüber wir meiner Meinung nach nicht offen genug sprechen. Covid hat die an der Community orientierte Aufbauarbeit von Cooperation Jackson vor eine Reihe enormer Herausforderungen gestellt.

Ich möchte hier von Jackson selbst ein wenig ins Persönliche abschweifen und kurz darüber berichten, wie ich seit 2018 an der Umwandlung meines ›Blockclubs‹ in der Detroiter West Side aus einer Idee von ein paar Nachbar*innen in ein revolutionäres Werkzeug der Selbstbestimmung in der Nachbarschaft arbeitete. Ich hatte mich in einer Community-Organisation noch nie so beschwingt gefühlt wie im Februar 2020. Mitglied im Warren Junction Community Council zu sein fühlte sich an, als sei man an Bord eines Raumschiffs kurz vor dem Abheben. Normalerweise haben sämtliche Nachbarschaftsclubs in Detroit von November bis April geschlossen, weil es im dunklen und kalten Winter Michigans kaum möglich ist, irgendein Publikum anzulocken. Dessen ungeachtet versammelten sich im Januar 2020 zwanzig enthusiastische Nachbar*innen (zumeist Leute, die außer zur Wahl zu gehen zuvor noch nie irgendetwas ›Politisches‹ getan hatten) bei uns vor einem Wärmestrahler und bildeten Projektkomitees mit ambitionierten Visionen für das kommende Jahr. Wir hatten gerade den von der Planungsabteilung der Stadt lancierten Versuch zum Bau massiver umweltverschmutzender Industrieanlagen auf den Trümmern unseres niedergebrannten Community-Freizeitzentrums durchkreuzt. Wir arbeiteten an der Gründung einer Werkzeugausleihe, wir bauten einen Gemeinschaftsgarten auf, wir hatten ein dynamisches Agitationsteam zusammengestellt, das von Tür zu Tür ging, und am aufregendsten an alldem war, dass wir uns aktiv nach leerstehenden Grundstücken umsahen und so die direkte Demokratie des Nachbarschaftsclubs als Instrument zur Entwicklung von kollektivem Eigentum an Land und Gebäuden für gemeinschaftliche Zwecke nutzten.

Einige Wochen nach unserem letzten gemeinsamen Treffen im Februar 2020 (bei dem sich an die 15 Leute in meinem Wohnzimmer drängten) ging all das dann plötzlich und brutal zu Ende. Wir praktizierten durchaus gegenseitige Hilfe und versorgten bedürftige Nachbar*innen mit kostenlosen Lebensmitteln, wir bestellten immer noch den Gemeinschaftsgarten, und wir hielten durch. Aber wer dieses ›wir‹ war, hatte sich dramatisch verändert. Der Massencharakter der Organisation, und mit ihm deren radikaldemokratische Möglichkeiten, hatte sich fast über Nacht in Luft aufgelöst. In letzter Zeit habe ich mit einigen Leuten gesprochen, die von alldem, was wir für die Organisierung der Nachbarschaft getan hatten, gehört oder gelesen hatten, und wenn ich dann die auf neue Mythen begierige Begeisterung zerstören muss, mit der sie mehr davon hören wollen, empfinde ich den Schmerz über diesen Verlust jedes Mal von Neuem. Das meiste von dem, was damals im Entstehen war, ist jetzt tot und wir müssen uns in neue Richtungen bewegen, ernüchtert und in viel langsamerem Tempo.

Was uns geschah, war besonders extrem, da unser gesamtes Modell völlig auf unmittelbarem Kontakt basierte, bei dem man von Tür zu Tür ging, mit den Nachbar*innen sprach und sie dazu bewegte, zu Treffen zu kommen. In unserem Viertel gab es einen überdurchschnittlichen Anteil an älteren Leuten, die aus Sicherheitsgründen nicht nur Tätigkeiten vermeiden mussten, die unmittelbaren Kontakt involvierten, sondern die auch größere Schwierigkeiten als andere hatten, auf Online-Plattformen wie Zoom zu wechseln. Meiner Schätzung nach hat weniger als die Hälfte der Leute in unserem Viertel überhaupt einen Internetzugang in der Wohnung. Und unsere Treffen auf dem Bildschirm waren nur ein blasser Schatten dessen, was wir vor dem Shutdown erfolgreich in Gang gebracht hatten.

Anderswo und unter anderen Umständen gelang es Organisationen der Bewegung besser, mit all dem zurecht zu kommen, aber dennoch behinderte eine ähnliche Dynamik unsere Verbündeten überall. Noch Ende 2019 erschienen uns die Ergebnisse des Symbiosis-Kongresses wie eine gewaltige Errungenschaft; ein Jahr später hatten zwei der vielversprechendsten und engagiertesten Mitgliedsorganisationen, Olympia Assembly and Carbondale Spring, praktisch zu existieren aufgehört. Die Symbiosis-Sektion LSC Bay Area (›LSC Bae‹) war spurlos verschwunden, Cooperate Asbury traf sich nicht mehr und die Mitgliederzahl und Aktivitäten der meisten anderen Gruppen schrumpften dramatisch. Obwohl Cooperation Jackson stärker als andere Mitgliedsorganisationen von Symbiosis war, war auch sie keineswegs vor alldem gefeit. Viele ihrer Projekte erwiesen sich als Totgeburten; entstehende Kooperativen lösten sich wieder auf und viele Versammlungen wurden zeitweise eingestellt.

Soziale Bewegungen und bewegungsorientierte Organisationen scheitern manchmal an einer Mischung aus eigenen Fehlern und Umständen, die sie weder vorhersehen noch kontrollieren können. Sie treten manchmal den Rückzug an, gruppieren sich neu und überlegen von Neuem, welche Art von Aktivitäten sich lohnt. Manchmal harren sie in Zeiten der Niederlage mehr oder weniger in der Wüste aus. Das liegt in der Natur des revolutionären Experimentierens und der Praxis, den Weg zu schaffen, indem man ihn geht. Die Frage ist nie, ob wir Fehlschläge erleiden werden oder nicht (denn das werden wir auf jeden Fall), sondern ob wir aus unseren Fehlschlägen lernen und diese Lektionen mit anderen teilen.

Genau das ist es letztlich, was ich an Aufbruch in Jackson und der Arbeit von Cooperation Jackson so wertvoll finde. Die Aktivist*innen, um die es hier geht, fürchten sich nicht vor Fehlschlägen und verstehen ihre Arbeit als eine Praxis bewussten Experimentieren statt als Durchführung eines perfekten Plans. Sie machen Fehler, identifizieren bis dahin unvorhergesehene Fallen und teilen das, was sie dabei herausfinden, mit der Gesamtbewegung. Das stetige, geteilte Anhäufen solcher Erfahrungen mag sich vielleicht nicht unmittelbar in ›konkreten Ergebnissen‹ äußern, aber es ist dennoch ein wertvolles Plus. Das Teilen dieser hart erkämpften Lehren und Erfahrungen ist die Antwort auf das Problem der Idealisierung und der Mythenbildung und die beste Ergänzung zu unseren kühnen und offen gelebten Träumen.

Das ist die Geisteshaltung, zu der ich die Leser*innen von Aufbruch in Jackson ermuntern möchte: eine entschieden optimistische Vision des Möglichen, und dann eine echte Beschäftigung mit der Selbsteinschätzung der Revolutionär*innen in Jackson bezüglich ihrer Versuche zur Verwandlung dieser Visionen in die Realität. Hier sind Ideen, mit denen man sich auseinandersetzen muss, und Erfahrungen von Durchbrüchen und Fehlschlägen, aus denen man lernen kann. Am wichtigsten aber ist die Inspiration, diese Prinzipien von Demokratie, Selbstbestimmung, Ökologie und kollektiver Treuhandschaft kämpferisch an den eigenen örtlichen Kontext anzupassen. Die Leser*innen werden hier keine Blaupausen finden, die man lediglich übernehmen muss, aber das ist ohnehin auch nicht das, was unsere Bewegungen brauchen.

Vorwort: Alle Wege führen nach Jackson

Rukia Lumumba,

2017

Im März 1971 kam mein Vater zum ersten Mal in den Bundesstaat Mississippi. Einige Monate zuvor waren unbewaffnete Schwarze Studenten der Jackson State University auf dem Campus von der Polizei ermordet worden. Sie wurden kaltblütig erschossen, als sie sich mit ihren Freund*innen außerhalb des Mädchenwohnheims trafen. Mein Vater war als Teil der Provisional Government of New Afrika (im Folgenden PG-RNA genannt) gekommen. Ihre Aufgabe war es, eine neue Gemeinde namens El Hajj Malik zu gründen.[6] Die Idee entsprach dem Ziel der PG-RNA, eine neue Gesellschaft zu schaffen, in der es keine Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Klasse, Geschlecht oder körperlichen Fähigkeiten gibt. Das Endziel war die Schaffung einer neuen Gemeinschaft, in der jeder nach den höchsten Menschenrechtsstandards behandelt werden sollte. Ihre Idee bestand darin, auf Mittel zurückzugreifen, die durch die Gesetzgebung des US Congress mit der Bezeichnung ›New Communities Act‹ bereitgestellt wurden. Der ›New Communities Act‹ war erlassen worden, um Florida eine Menge Geld für die Entwicklung neuer Communitys[7] in unterentwickelten Gebieten zur Verfügung zu stellen. Mein Vater und andere Mitglieder der PG-RNA erkannten die dringende Notwendigkeit eines ähnlichen Plans in Mississippi. Zu dieser Zeit, in den frühen 1970er-Jahren, hatte sich die Schwarze Bevölkerung zwar gegen den Rassismus erhoben, litt aber immer noch unter der weißen Vorherrschaft und dem von den Weißen verübten Terror. Zwar hatten sich einige Türen, einige Restaurants und einige öffentliche Einrichtungen für Schwarze Menschen geöffnet, doch weiterreichende Konsequenzen blieben aus. Die fehlende Kontrolle über Ressourcen, Regierungssysteme, Gesetze und grundlegende Einrichtungen bedeutete ein niedrigeres Einkommensniveau, fehlendes Eigentum an Unternehmen und ein Mangel an sozialen Infrastrukturen. Die Schwarze Bevölkerung hatte nicht die Möglichkeit, Gesetze zu erlassen und Praktiken zu etablieren, die sie vor staatlicher und zivilgesellschaftlicher Gewalt schützten. Gewalt in Form von Lynchjustiz, polizeilichen Erschießungen unbewaffneter Schwarzer Jugendlicher, vom Staat ignorierten Misshandlungen und Vergewaltigungen Schwarzer Frauen durch weiße Männer, staatlich veranlassten Masseninhaftierungen der armen Schwarzen Bevölkerung und staatlich sanktioniertem Diebstahl von Schwarzem Eigentum. Diese boshafte Gewalt, die Rassismus genannt wird, wurde durch das im Jet Magazine veröffentlichte Foto von Emmet Till, einem 14-jährigen Schwarzen Kind, das von rassistischen weißen Einwohner*innen Mississipis bis zur Unkenntlichkeit verprügelt und getötet wurde, angemessen und dramatisch dargestellt.

Als Konsequenz aus dieser Gewalt wollte die PG-RNA einen Ort auf dieser Erde finden, an dem sie Land erwerben und eine eigenständige Gemeinschaft aufbauen konnte. Diese neuen Gemeinschaften sollten einen Standard und ein Tempo vorgeben, an dem die Menschen auf der ganzen Welt sehen konnten, wie Schwarze sich aus den Abgründen der weißen Vorherrschaft befreien. Diese Gemeinschaften sollten zuerst in Mississippi entstehen, wo einige der schrecklichsten Akte der Unterdrückung begangen worden waren und wo die Schwarze Bevölkerung den entschiedensten Widerstand gegen den von den Weißen verübten Terror geleistet hatte (Umoja 2013). Die Mississippi-Freedom[8]-Bewegung war der Dreh- und Angelpunkt der Bürgerrechtsbewegung. Die Grausamkeiten in Mississippi waren ein deutliches Zeichen für die Brutalität, die sich in den Städten des gesamten Südens ausbreiten und durchsetzen sollte. Der Terror, den die Schwarze Bevölkerung in Mississippi erleiden musste, war mit der Gewalt gegen Schwarze Menschen in keinem anderen Staat der Nation vergleichbar. Die physischen und psychischen Qualen, die der Schwarzen Bevölkerung in Mississippi zugefügt wurden, war außergewöhnlich, unübertroffen, unvergleichlich hoch, eine unvergleichliche Grausamkeit. Zwischen 1882 und 1940 wurden 534 Schwarze Einwohner*innen Mississippis gelyncht – die höchste Zahl in den Vereinigten Staaten während dieses Zeitraums. Die Bundesregierung ignorierte den Terrorismus, der gegen Schwarze Menschen gerichtet war. Der Kongress und der Präsident unternahmen nichts, um Lynchmorde zu verhindern, und die Bundesregierung verfolgte die Täter*innen auch dann nicht, wenn die Tat mindestens einen Tag im Voraus angekündigt wurde. Ohne irgendeine Möglichkeit der Zuflucht, durchdrang diese rücksichtslose Gewalt ihre Seelen und erzeugte eine so große Angst, dass nur Widerstand und Gegenwehr Abhilfe schaffen konnten. Also erhoben sich die Schwarzen Einwohner*innen Mississippis und schlugen zurück.

Mit der Vision einer neuen Gesellschaft vor Augen erwarb die PG-RNA 1971 Land außerhalb von Bolden und Edwards, Mississippi, um diese neue Gemeinschaft zu gründen. An einem strahlend sonnigen Tag im März desselben Jahres machte sich eine Gruppe von 500 Frauen, Männern, Kindern und Alten auf den Weg, um auf ihrem neu erworbenen Land zu feiern. Als sie sich dem Landstück näherten, wurden sie mit einer Blockade konfrontiert. Die Blockade wurde von demselben Polizeichef angeführt, der für die Ermordung der beiden Studenten der Jackson State University im selben Jahr verantwortlich war. Der Beamte stellte sich mitten auf die Straße und sagte: »Niggers, heute wird es keine Feier eures Landes geben.« Neben dem Beamten standen die Mississippi Highway Patrol, das FBI und der Ku-Klux-Klan. Aber mein Vater und die PG-RNA machten sich die Stärke der Freiheitskämpfer*innen von Mississippi, wie Fannie Lou Hamer und Medgar Evers, zu eigen. Sie blieben stark. Sie hatten das Land bereits gekauft und kehrten nicht mehr um. Mein Vater hat mir oft diese Geschichte über ihren Widerstand an diesem Tag erzählt:

»Dies war ein neuer Tag, der anbrechen sollte, und auch wenn wir unsere Tage manchmal etwas leichtsinnig beginnen, sollte er definitiv anbrechen. Wir waren also 500 Leute, und wir sagten, wir kommen in Frieden, aber wir kommen vorbereitet. Unsere 500 machten sich also auf den Weg zu der Straßensperre, und es waren alte Leute, junge Leute, Babys, alle dabei, und wir beteten. Wir waren hartgesottene Revolutionär*innen, die nun allein auf Gebete zurückgreifen mussten. Wir haben zu Gott gebetet, wo immer wir ihn finden konnten, denn es war ernst. Denn wir wussten, dass es ein paar Dinge gibt, die wir an diesem Tag nicht tolerieren würden. Wir wussten, dass wir uns nicht respektlos behandeln lassen würden; wir würden uns nicht wieder diese Sache mit den Hunden wie in Birmingham[9] oder die Sache mit dem Badewasser[10] gefallen lassen; und wir waren auch nicht dazu aufgelegt, die andere Wange hinzuhalten. Denn gerade als sie zeigten, was sie mitgebracht hatten, zeigten auch wir unsere Sachen, und es steuerte auf eine Katastrophe zu. Ich weiß, dass es für dich schwer zu glauben ist, aber es war wie in der Bibel, die Straße, die blockiert war, öffnete sich wie das Rote Meer und wir gingen hindurch. Als wir die Blockade überwunden hatten und das Grundstück erreichten, fingen die Menschen tatsächlich an, sich die Erde in den Mund zu stecken, um von ihr zu kosten, und so entstand der Slogan ›Free The Land‹.«[11]

Ich habe diesen Artikel mit dieser Geschichte begonnen, weil sie die Vision einer gerechteren Gesellschaft verdeutlicht – einer Gesellschaft, die auf gemeinsamer Führung, kollektiver Verwaltung und Nutzung von Ressourcen sowie Einheit in der Vielfalt beruht. Vor allem aber verkörpert sie die Einsicht, dass die Fähigkeit der Menschen, ihre Menschenrechte wahrzunehmen, entscheidend davon abhängt, ob sie in der Lage sind, über sich selbst zu bestimmen und ihr Territorium zu kontrollieren. Selbstbestimmung ist nach der Definition von Fannie Lou Hamer »der Prozess, durch den eine Person ihr eigenes Leben kontrolliert«. Es ist dieses Verständnis von Selbstbestimmung und die Vision einer besseren Gesellschaft, die meinen Vater dazu veranlasste, 1989 zurück nach Mississippi zu ziehen, 2008 in den Stadtrat einzutreten und sich 2013–2014 als Bürgermeister wählen zu lassen, und es ist die wesentliche Ursache für die Entwicklung der Cooperation Jackson und der Anlass für dieses Buch.

Die Cooperation Jackson und dieses Buch wollen das Lebenswerk meines Vaters und die Arbeit der großen Freiheitskämpfer*innen aus Mississippi, die vor ihm kamen, fortführen. Wie die Arbeit meines Vater, so ist auch die derzeitige Organisierung und der Aufbau von Institutionen in Jackson, Mississippi, in dem Wunsch verwurzelt, eine neue Gesellschaft, eine neue Art des Denkens, eine neue Art der Planung und Regierung, in der jeder mit Würde behandelt wird, zu schaffen. Es ist mir eine Ehre, den Slogan meines Vaters hochzuhalten: »How’re we gonna make Jackson rise? Educate, Motivate, Organize!« [Wie werden wir Jackson nach oben bringen? Bilden, Motivieren, Organisieren!), und dieses wichtige Buch vorzustellen.

Aufbruch in Jackson dokumentiert die Geschichte und die Überschneidungen zwischen der Kooperativbewegung[12] und der Freiheitsbewegung in Mississippi. Vor allem aber ist Aufbruch in Jackson ein aktuelles und konkretes Beispiel dafür, wie es aussieht, wenn man Systeme aufbaut, die auf die unbefriedigten Bedürfnisse der Menschen eingehen – seien es Produzent*innen, Arbeiter*innen, Konsument*innen oder Käufer*innen – und ihnen die Waren, Dienstleistungen, das kulturelle Engagement, die demokratischen Rechte und die politische Autonomie bieten, die sie für ein selbstbestimmtes Leben benötigen. Um den Organizer Larry Stafford zu zitieren: »[Aufbruch in Jackson] ist wichtig, weil es uns lehrt, wie wir die Macht der Community aufbauen und erhalten können; es sagt uns nicht nur, wogegen wir uns wehren sollten, sondern bietet innerhalb eines Mikrokosmos ein Modell dafür, wie Macht der Community aussehen sollte.« Am wichtigsten ist Aufbruch in Jackson, weil es uns vom Reden über die Theorie zur Verwirklichung der Theorie bringt … die Schritte zu unternehmen, die physische Arbeit zu leisten, um die Menschenrechte für alle zur Realität zu machen.

Durch theoretische Entwicklung und physische Arbeit hat die Bewegung in Jackson viele Erfolge erzielt. Wir erreichten die Wahl meines Vaters, Chokwe Lumumba, zum Bürgermeister von Jackson, der Hauptstadt und bevölkerungsreichsten Stadt des Staates Mississippi. Durch die Möglichkeiten der Stadtverwaltung unter Bürgermeister Lumumba initiierten wir die erste Annäherung an eine partizipative Demokratie in Mississippi, bei der die Einwohner Jacksons mitbestimmen konnten, wie der Haushalt der Stadt ausgegeben wird. Das beste Beispiel für diese partizipative Demokratie war die Verabschiedung der 1%igen Verkaufssteuer durch die Bevölkerung, um die Stadt bei der Instandsetzung ihrer maroden Infrastruktur zu unterstützen. Wir setzten uns für die erste Menschenrechtscharta und -kommission des Bundesstaates ein, die der Stadt Jackson dabei helfen wird, viele der sozialen Missstände in unserer Gesellschaft besser zu bekämpfen, wie etwa den Missbrauch staatlicher Macht, die Brutalität der Polizei und die unmenschliche Politik, die zu Diskriminierung, Ungleichheit und Ungerechtigkeiten führt, die unter anderem Schwarze, Latinos, Indigene Menschen, Einwanderer*innen, Arbeiter*innen, Muslime und andere religiöse Minderheiten, Obdachlose und Mitglieder der LGBTQI-Community erfahren.

In Anlehnung an das Erbe der Menschen aus Mississipi, die vor uns kamen, haben wir zur Wiederbelebung von Kooperativen beigetragen, indem wir die Cooperation Jackson gegründet haben, Jacksons erste diverse Kooperative, die sich mit städtischer Landwirtschaft, Kompostierung und Recycling, Kunst und Kultur sowie politischen Initiativen befasst. Wir eröffneten das Lumumba Center, das als Ort und Ausgangspunkt für lokale und internationale Foren und Veranstaltungen dient. Wir haben auch einen Community Land Trust (CLT)[13] gegründet. Das vom CLT erworbene Land wird genutzt, um den Einwohner*innen Jacksons, insbesondere den von wirtschaftlicher Ungerechtigkeit am stärksten Betroffenen, den Obdachlosen und den arbeitenden Armen, kooperative Wohnalternativen zu bieten. Wir starteten unsere internationale Kampagne für Klimagerechtigkeit, die »Freedom Road from Jackson to Paris and Beyond«. Mit dieser Kampagne bringen wir unsere Stimme, unsere Bedürfnisse und unsere Lösungen in die Bewegung gegen den Klimawandel ein. Schließlich beteiligen wir uns weiter maßgeblich an der Durchführung von Volksversammlungen, bei denen es sich um Massenversammlungen für und von Einwohner*innen Jacksons handelt, auf denen wesentliche soziale Fragen angesprochen sowie Lösungen, Strategien, Aktionspläne und Entwicklungspläne entwickelt werden, um verschiedene sozioökonomische Bedingungen in einer von den Einwohner*innen gewünschten Weise zu verändern.

Obwohl die Bemühungen der Bewegung in Jackson zu mehreren Erfolgen geführt haben, sind unsere Errungenschaften ernsthaft in Gefahr, zerstört zu werden. Die Regierung des Bundesstaates Mississippi und die Gemeinden rund um Jackson versuchen, die Macht zu übernehmen. Ähnlich wie in anderen mehrheitlich Schwarzen Gemeinden in den Vereinigten Staaten versuchen die Gouverneure und die überwiegend weiße Legislative des Bundesstaates Mississippi, Gesetze zu erlassen, um dem mehrheitlich Schwarzen Stadtrat von Jackson die lokale Kontrolle zu entziehen. Die Legislative des Bundesstaates und der Gouverneur haben die durch die 1%ige Verkaufssteuer eingenommenen Gelder zur Finanzierung staatlicher Initiativen benutzt. Der Senat des Bundesstaates hat die »Airport Takeover Bill« (SB 2162) eingebracht, um Jackson die Kontrolle über den Flughafen und alle damit verbundenen Geschäfte zu entziehen. Der Senat hat die »Downtown Annexation Bill« (SB 2525) eingebracht, um Geschäftsleuten außerhalb Jacksons das Recht zu geben, die Entwicklung von Downtown Jackson zu bestimmen. Der Senat des Bundesstaates hat das »Racial Profiling/Immigrant Targeting Bill« (SB2306) eingebracht, um Polizeibeamte zu ermächtigen, Personen aufgrund ihrer Hautfarbe und kulturell verdächtigen Verhaltens zu verhaften, sowie Polizeibeamte zu ermächtigen, Personen lediglich aufgrund der Einschätzung des Immigrantenstatus durch die Polizist*innen zu verhaften. Der Senat des Bundesstaates verabschiedete das »Religious Freedom Bill«, um Mitglieder der LGBTQI-Community zu kriminalisieren; und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, hat der Gouverneur von Mississippi, Phil Bryant, ein Gesetz erlassen, das den April zum Monat des ›konföderierten Erbes‹ erklärt. Die Maßnahmen des Gouverneurs und der Legislative des Bundesstaates Mississippi sind eklatante und direkte Angriffe auf die Menschenrechte, die alle People of Color und der LGBTQI-Community besitzen. Diese gesetzgeberischen Bemühungen entwerten die Schwarze Regierung und sind ein klarer Beweis für die paternalistischen und rassistischen Absichten der weißen Machtstruktur in Mississippi, das Leben und das Land zu kontrollieren, auf dem die Schwarzen und nicht-weißen Einwohner*innen Mississipis leben. Die genannten Gesetzesentwürfe bestätigen praktisch das historische und tief verwurzelte Erbe der weißen Vorherrschaft in Mississippi und fördern es sogar noch.

Mississippi steht mit der jüngsten Einführung und Verabschiedung von Gesetzen, die auf eine Förderung des Hasses hinauslaufen, nicht alleine da. Überall in den USA werden ähnliche Gesetze erlassen. Deshalb ist die Arbeit, die wir in Jackson, Mississippi, leisten, so wichtig. In diesem Buch bieten wir historische Beispiele und aktuelle, konkrete Lösungen für die Kämpfe, mit denen wir uns befassen. Ich hoffe, ihr findet dieses Buch inspirierend und findet Wege, an unserer Arbeit in Jackson teilzuhaben. Wie mein Vater sehe ich Jackson, Mississippi, als einen Anfang. Wenn Jackson sich erhebt, werden wir uns alle erheben!

»Ich kann jetzt einfach nicht aufgebenIch bin schon zu weit von meinem Ausgangspunkt entferntNiemand sagte mir, der Weg würde einfach seinAber ich glaube nicht, dass er mich so weit gebracht hat, um mich zu verlassen.«[14]

Wir werden uns erheben!

* * *

Dieser Artikel ist meinen Eltern, Nubia und Chokwe Lumumba, Harriet Tubman, Fannie Lou Hamer, Ella Baker und all den Frauen, Männern, Kindern und allen sich geschlechtlich selbst definierenden Menschen in Mississippi gewidmet, die direkt und indirekt ihr Leben geopfert haben, um den schwarzen Körper und die schwarze Freude zu schützen. Free the Land!

Teil 1: Grundlagen

1. ›Build and Fight‹: Das Programm und die Strategie der Cooperation Jackson

Kali Akuno,

2017

Das grundlegende Programm und die Strategie der Cooperation Jackson sind verankert in der Vision und der Makro-Strategie des Jackson-Kush-Plans[15]. Der Jackson-Kush-Plan wurde, wie ihr später in diesem Buch lesen werdet, von der New Afrikan People’s Organization (NAPO) und dem Malcolm X Grassroots Movement (MXGM) zwischen 2004 und 2010 formuliert, um die Entwicklung der New-Afrikan-Independence-Bewegung voranzutreiben und die sozialistische Transformation der Gebiete zu beschleunigen, die derzeit vom US-amerikanischen siedlerkolonalistischen Staat beansprucht werden. Und wie in mehreren Artikeln des Buches erwähnt, ist die Cooperation Jackson ein Vehikel, das speziell dafür geschaffen wurde, um eine Schlüsselkomponente des Jackson-Kush-Plans zu fördern, nämlich die Entwicklung der solidarischen Ökonomie in Jackson, Mississippi, um den Kampf für Wirtschaftsdemokratie voranzutreiben, als Vorstufe des demokratischen Übergangs zum Ökosozialismus.

Obwohl die Cooperation Jackson auf einem ideologischen Konzept, einer Vision und Makro-Strategie beruht, ist sie keine statische Organisation. Wie jede dynamische Organisation tun wir unser Bestes, um unsere Praxis auf die konkreten Bedingungen unseres Ortes, unserer Zeit und unserer Verhältnisse abzustimmen und unsere Theorie mit unserer Praxis in Einklang zu bringen. Unser Programm und unsere Strategie passen sich daher ständig an und entwickeln sich weiter, um neue Herausforderungen zu bewältigen und neue Chancen zu ergreifen. Und sie werden dies auch weiterhin tun.

Zielsetzung

Das grundlegende Programm und die Strategie von Cooperation Jackson zielen darauf ab, vier grundlegende Ziele zu erreichen:

Das Eigentum und die Kontrolle über die primären Produktionsmittel direkt in die Hände der Schwarzen Arbeiterklasse Jacksons zu legen;

die Entwicklung der ökologisch-regenerativen Produktivkräfte in Jackson, Mississippi, auszubauen und zu fördern;

die politische Ökonomie der Stadt Jackson, des Staates Mississippi und der südöstlichen USA demokratisch umzugestalten; und

die Ziele des Jackson-Kush-Plans voranzutreiben, die darin bestehen, Selbstbestimmung für Menschen afrikanischer Abstammung und die radikale, demokratische Umgestaltung des Staates Mississippi (die wir als Vorspiel für die radikale Entkolonialisierung und Transformation der Vereinigten Staaten selbst ansehen) zu erreichen.

Die Kontrolle über die Produktionsmittel

Wir definieren die Produktionsmittel als Arbeitskraft sowie die physischen, nicht-menschlichen Inputs, die die Menschen befähigen, die natürliche Welt umzuwandeln, um ihren Lebensunterhalt zu erzeugen. Die betreffenden Inputs sind Ackerland, Zugang zu Wasser, natürliche Ressourcen (Holz, Metalle, Mineralien usw.) sowie die Werkzeuge und Einrichtungen, die den Anbau von Nahrungsmitteln und die Umwandlung von Rohstoffen in konsumierbare Güter und Dienstleistungen erlauben, sowie die Erzeugung oder Gewinnung von Energie für den Betrieb der Werkzeuge und Anlagen. Wir ergänzen unsere Definition um die Kontrolle von Prozessen des Stoffaustauschs und des Energietransfers, um ihr mehr Klarheit und Aussagekraft zu geben, im Einklang mit unserem Engagement für Nachhaltigkeit und Umweltgerechtigkeit. Die Prozesse, die zu kontrollieren wir für notwendig erachten, sind die Prozesse der Verteilung, des Konsums und des Recyclings und/oder der Wiederverwendung. Wenn wir nicht eine gewisse Verantwortung für diese Prozesse übernehmen, setzen wir lediglich die Dynamik der Externalisierung fort, insbesondere die Produktion von Umweltverschmutzung und die aus Überproduktion resultierende Verschwendung, die der kapitalistischen Produktionsweise immanent sind.

Von einer Bevölkerung, die keinen Zugang zu und keine Kontrolle über diese Mittel und Prozesse hat, kann man nicht behaupten, das sie Selbstbestimmung besitzt oder ausübt. Die Mehrheit der Schwarzen Arbeiterklasse in Jackson hat keine Kontrolle über oder unbestreitbares Eigentum an diesen Mitteln oder Prozessen. Unsere Mission ist es, der Schwarzen Arbeiterklasse in Jackson und der Arbeiterklasse insgesamt zu helfen, diese Kontrolle zu erlangen.

Die Produktivkräfte aufbauen

Zur Frage des Aufbaus der Produktivkräfte in Jackson ist anzumerken, dass Jackson zwar die größte und wohl auch die am stärksten industrialisierte Stadt im Bundesstaat Mississippi ist, aber kein wichtiges Zentrum der industriellen Produktion ist oder jemals war. Wie der Großteil des tiefen Südens basierte auch die Entwicklung Mississippis als siedlerkolonialistischer Staat im Wesentlichen auf der Gewinnung natürlicher Ressourcen wie Holz für den Schiffsbau der Kolonial- und Vorbürgerkriegszeit, sowie vom Anbau von Nutzpflanzen wie Baumwolle, Tabak, Zuckerrohr und Reis, die in erster Linie als internationale Handelsware verkauft wurden (siehe Abschnitt »Das Ausnutzen von Widersprüchen« unten). Mississippi, wie der größte Teil des Südens (North Carolina, Florida und Texas bilden je spezifische Ausnahmen), war nicht in der Lage, aus seiner historischen Position innerhalb des US-amerikanischen und globalen kapitalistischen Systems als Ort der Rohstoffgewinnung und der Überausbeutung von Arbeitskräften auszubrechen.[16] Eine unserer Hauptaufgaben ist es, diese strukturelle Beziehung zu durchbrechen, indem wir eine führende Rolle bei der Industrialisierung zunächst von Jackson, dann des Kush-Distrikts und schließlich ganz Mississippis spielen.

In vielerlei Hinsicht positionieren wir uns als ›Entwickler‹, was normalerweise eine Rolle ist, die ausschließlich der Bourgeoisie, d. h. der Kapitalistenklasse oder dem Staat, zukommt. Wir versuchen, dieses Paradigma auf vielen Ebenen und auf mehreren strategischen Wegen umzukehren. Erstens versuchen wir, die Rolle des Kapitals als primären Bestimmungsfaktor der sozialen Entwicklung von Jackson (siehe unten den Punkt über die Ausnutzung der Dynamik der ungleichen Entwicklung innerhalb des kapitalistischen Systems) zu negieren, indem wir diese Rolle in die Hände der Arbeiterklasse legen, die sie mittels ihrer eigenen autonomen Organisationen und ihre Kontrolle über den kommunalen Staatsapparat ausübt. Aber wir versuchen nicht, die Dynamik einer »Entwicklung« im üblichen kapitalistischen Sinne zu kopieren. Die zentrale Dynamik, die wir erstreben, ist es, die alten Ziele, Normen, Prozesse und Beziehungen der kapitalistischen Entwicklung, die wenig bis gar keine Rücksicht auf Ökologie und die Erhaltung der Umwelt legen, umzukehren und sie durch neue Normen zu ersetzen, die in erster Linie darauf ausgerichtet sind, die Schäden an unserer Umwelt und unseren Ökosystemen zu beheben und neue Systeme zu schaffen, die letztlich die Fülle des Lebens auf unserem Planeten in seiner ganzen Vielfalt regenerieren. Dies wird möglich sein durch die strategische Einbeziehung, Nutzung und Erneuerung der Technologien der dritten und (aufkommenden) vierten Welle der industriellen Revolution, die die Beseitigung des Mangels ermöglichen, jedoch innerhalb ökologischer Grenzen (siehe mehr zu diesem Punkt weiter unten). Unser Ziel ist es, Jackson zu einem Zentrum der Community Production zu machen, basierend auf 3D-Druck-Fertigung für den Gemeinschaftskonsum, d. h. direkte Gebrauchswertkonsum, und Warenproduktion für den Tausch auf Verbrauchermärkten. Wie wir diese Initiative vorantreiben wollen, wird weiter unten näher erläutert.

Demokratische Umgestaltung der Wirtschaft

Um die kapitalistische Weltwirtschaft demokratisch umzugestalten, müssen wir die zentrale Akteurin in diesem Prozess, die Arbeiterklasse, in ein demokratisches Subjekt verwandeln. Diese Umwandlung beginnt mit der Selbstorganisation der Klasse selbst. Obwohl ihr dies historisch keineswegs fremd ist, insbesondere der Schwarzen Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten (die oft zur Selbstverteidigung und zum Überleben auf sich selbst gestellt war), ist die Selbstorganisation der Arbeiter*innen gegenwärtig kein übliches Merkmal der Klasse. Das ist eine Dynamik, die wir in Jackson (und darüber hinaus) ändern müssen.

Um die Begriffe zu klären: Selbstorganisation bedeutet zunächst einmal die direkte Selbstorganisation der Arbeiter*innen durch verschiedene partizipatorische Mittel (Gewerkschaften, Versammlungen usw.) vorrangig an ihren Arbeitsplätzen oder Produktionsstätten, aber auch dort, wo sie leben, spielen, beten und studieren. Der Sinn dieser Selbstorganisation besteht darin, dass die Arbeiter*innen kollektive, demokratische Entscheidungen darüber treffen, wie, wann und wozu ihre Arbeit dient und wie sie gemeinsam handeln können, um kollektiv den Verlauf ihres eigenen Lebens und die Motivation ihrer eigenen Handlungen zu bestimmen.

Wir werden und können keines der oben beschriebenen Hauptziele erreichen, ohne die Selbstorganisation der Schwarzen Arbeiterklasse in Jackson im großen Maßstab anzuregen. Zwar haben die Cooperation Jackson, das Malcolm X Grassroots Movement und die gesamte Breite an Kräften, die mit dem Jackson-Kush-Plan verbunden sind, einige bedeutende soziale und politische Fortschritte gemacht und unsere Fähigkeit bewiesen, die Massen zu erreichen, vor allem in der Wahlpolitik, aber wir haben immer noch nicht die Selbstorganisation in großem Maßstab bewirkt. Es muss noch mehr, sehr viel mehr getan werden, um die Hauptaufgaben in dieser Hinsicht zu erfüllen, nämlich das Klassenbewusstsein der Community zu erhöhen und zu stärken, neue Beziehungen der sozialen Solidarität in der Klasse zu fördern und zu kultivieren und neue soziale Normen und Werte mitaufzubauen und voranzutreiben, die auf Menschlichkeit und radikalökologischen Grundsätzen beruhen. Unser Ziel ist es also, eine neue transformative Kultur zu entwickeln.

Um die Entwicklung dieser neuen Kultur innerhalb der gegenwärtigen Grenzen von Mississippi und des gesamten kapitalistischen Weltsystems zu stärken, müssen wir die Macht der Schwarzen Arbeiterklasse nutzbar machen und politisch einsetzen, um die strukturellen Hindernisse zu beseitigen, die die ›legale‹ Entwicklung der solidarischen Ökonomie innerhalb des Staates blockieren. Eines der wichtigsten Dinge, die wir beseitigen müssen, sind die gesetzlichen Bestimmungen von Mississippi, die Kooperativen derzeit auf landwirtschaftliche Unternehmen, Versorgungsbetriebe und Kreditkooperativen beschränken. Wir müssen einen neuen rechtlichen Rahmen und ein Paradigma schaffen, das es jeder Form von produktiver Unternehmung ermöglicht, zu einer Kooperative oder einem solidarisches Unternehmen zu werden.

Im Kontext von Jackson können wir nur daran denken, als gegenhegemoniale Kraft zu dienen, die in der Lage ist, die Wirtschaft demokratisch zu verändern, wenn wir durch die massenhafte Selbstorganisation der Klasse, den Aufbau einer neuen demokratischen Kultur und die Entwicklung einer Bewegung von unten, um die sozialen Strukturen zu verändern, die unsere Beziehungen prägen und definieren, insbesondere der Staat (d. h. die Regierung), handeln. Auch hier haben wir einige kleine Schritte in diese Richtung unternommen, mit der Wahl von Chokwe Lumumba zum Bürgermeister im Jahr 2013 und der Gründung von Cooperation Jackson im Jahr 2014. Aber wir haben noch einen langen Weg vor uns, um dorthin zu gelangen, wo wir sein wollen und müssen.

Den Jackson-Kush-Plan vorantreiben

»Politik ohne Wirtschaft ist Symbol ohne Substanz.« Dieser alte Spruch des Schwarzen Nationalismus resümiert und definiert die Beziehung von Cooperation Jackson zum Jackson-Kush-Plan und zu den politischen Zielen der New Afrikan People’s Organization und des Malcolm X Grassroots Movement, um ihn voranzubringen. Ohne ein solides wirtschaftliches Programm und Fundament ist der Jackson-Kush-Plan nicht mehr als eine korrekte Darstellung der revolutionären nationalistischen Politik. Cooperation Jackson ist das Vehikel, das wir kollektiv geschaffen haben, um sicherzustellen, dass wir mehr tun, als nur schöne Rhetorik zu produzieren, nämlich dass wir uns in einem konkreten Kampf für die Schaffung einer demokratischen Wirtschaft befinden, die es Schwarzen und und anderen kolonisierten, unterdrückten und ausgebeuteten Menschen ermöglicht, zur Selbstbestimmung in Mississippi (und darüber hinaus) zu gelangen.

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Selbstbestimmung ohne eine wirtschaftliche Basis unerreichbar ist. Und zwar nicht nur die übliche wirtschaftliche Basis, also eine kapitalistisch orientierte, sondern eine demokratische Basis. Selbstbestimmung ist innerhalb des kapitalistischen Gesellschaftssystems nicht möglich, weil das endlose Streben nach Profit, das dieses System antreibt, nur das Privateigentum und die individuelle Aneignung von Reichtum begünstigt. Das Endergebnis dieses Systems ist massive Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Wir wissen das aus der Brutalität unserer gegenwärtigen Erfahrung und den Albträumen der Geschichte, die uns im Laufe der letzten 500 Jahre wieder und wieder vor Augen geführt wurden.

Wir streben den Aufbau einer demokratischen Wirtschaft an, weil dies der sicherste Weg zu Gerechtigkeit, Gleichheit und ökologischem Gleichgewicht ist. Die Reproduktion des Kapitalismus, ob in seiner marktorientierten oder staatlich diktierten Form, wird nur die Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten wiederholen, die die Menschheit seit den Anfängen der landwirtschaftlichen Revolution geplagt haben. Wir glauben, dass der partizipative, basisdemokratische Weg zu Wirtschaftsdemokratie und ökosozialistischer Transformation am besten durch die Verankerung in der Selbstorganisation der Arbeiter*innen, die wegweisenden Strukturen von Kooperativen und Systemen gegenseitiger Hilfe und gemeinschaftlicher Solidarität, sowie durch das demokratische Eigentum, die Kontrolle und den Einsatz der umweltfreundlichen und von unnötiger Arbeit befreienden Technologien der vierten industriellen Revolution gewährleistet wird.

Als Student*innen der Geschichte haben wir unser Bestes getan, um Lehren zu ziehen aus den harten Lektionen der nationalen Befreiungsbewegungen und der sozialistischen Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Wir sind uns darüber im Klaren, dass Selbstbestimmung, ausgedrückt als nationale Souveränität, eine Falle ist, wenn sich der Nationalstaat nicht vom Diktat des kapitalistischen Systems befreit. Der Verbleib im kapitalistischen Weltsystem bedeutet, dass man sich der Herrschaft des Kapitals unterwerfen muss, was nur die nationale Bourgeoisie gegen den Rest der Bevölkerung innerhalb des nationalstaatlichen Gebildes stärkt. Wir sind uns jedoch ebenso im Klaren darüber, dass der Versuch, Wirtschaftsdemokratie oder Sozialismus von oben aufzwingen zu wollen, nicht nur ein sehr problematisches, weil antidemokratisches Unterfangen ist, sondern die kapitalistischen gesellschaftlichen Beziehungen nicht auflöst, sondern nur die Fragen der Arbeitskontrolle und der Kapitalakkumulation von der Bourgeoisie wegverlagert und in die Hände von Staats- oder Parteibürokratien legt. Wir sind uns darüber im Klaren, dass Wirtschaftsdemokratie und der Übergang zum Ökosozialismus von unten kommen müssen, nicht von oben. Dass Arbeiter*innen und Communitys den gesellschaftlichen Transformationsprozess durch ihre Selbstorganisation und Selbstverwaltung vorantreiben müssen und ihm nicht unterworfen bleiben dürfen. Dies bedeutet nicht, dass Einzelpersonen, Organisationen und politische Kräfte nicht versuchen sollten, einzugreifen oder die Entwicklung der Arbeiterklasse und unserer Communitys zu beeinflussen. Wir glauben, dass wir unsere besten Ideen, Programme, Strategien, Taktiken und Pläne offen und offensiv der Klasse und unseren Communitys präsentieren sollten, in offenen Foren, Diskussionen, Community-Versammlungen und anderen deliberativen Räumen und sie in einer fundierten demokratischen Weise zu diskutieren, damit die Arbeiterklasse und unsere Communitys selbst entscheiden können, ob sie Sinn ergeben und es wert sind, verfolgt und umgesetzt zu werden.

Dem Überflüssigwerden der Schwarzen Bevölkerung entgegentreten und es besiegen

Über all die oben erwähnten hochgesteckten Ziele und Ambitionen hinaus haben wir vor allem ein Ziel, nämlich der eskalierenden Bedrohung der Schwarzen Arbeiterklasse durch ihr Überflüssigwerden entgegenzuwirken.[17] Die US-amerikanische Wirtschaft braucht die Arbeitskraft der Schwarzen Arbeiterklasse nicht mehr, und infolgedessen stellt sie ein wachsendes Problem für die wirtschaftliche und soziale Ordnung des Empires dar, ein Problem, das einer Lösung bedarf.

Einst die treibende Kraft der US-Wirtschaft, die in der Zeit vor dem Bürgerkrieg mehr als die Hälfte des nationalen Reichtums repräsentierte (als »Besitz« in Form von Versklavten) und produzierte, ist die Schwarze Arbeiterklasse heute eine Überschussbevölkerung, die mit immer mehr Ausbeutung, Prekarität und materieller Not konfrontiert ist, als direkte Folge der Prozesse und Kräfte der Globalisierung und Automatisierung.[18] Gleichzeitig sind die landwirtschaftlichen Sektoren, auf die sich die Schwarze Arbeiterklasse bis ins frühe 20. Jahrhundert konzentrierte, weitgehend mechanisiert worden oder benötigen noch billigere Quellen überausgebeuteter Arbeitskraft von migrantischen Arbeiter*innen, um Profite zu erzielen.[19]

Um mit der Krise der Überflüssigkeit Schwarzer Arbeitskräfte fertig zu werden, hat die herrschende Klasse der USA mit einer mehrgleisigen Strategie der begrenzten Einbindung, der Aufstandsbekämpfung und der Masseninhaftierung reagiert. Die Strategie der begrenzten Einbindung zielte teilweise erfolgreich darauf ab, die Schwarze Community nach Klassen zu spalten, da Unternehmen und der Staat in der Lage waren, die Fähigkeiten von Teilen des Schwarzen Kleinbürgertums und der Arbeiterklasse zu ihrem eigenen Vorteil nutzen. Die Strategie der Aufstandsbekämpfung zerschlug, spaltete und schwächte erheblich die Schwarzen Organisationen, insbesondere die Schwarzen revolutionären Organisationen. Und die Strategie der Inhaftierung führte dazu, dass erneut Millionen von Schwarzen Menschen faktisch versklavt und in Gefängnissen im gesamten US-Imperium ›gelagert‹ wurden .[20]

Diese dreigleisige Strategie erschöpfte sich Mitte der 2000er-Jahre, als ihre zentrale Dynamik (insbesondere die mit der Masseneinsperrung und Verwahrung verbundenen Kosten) zunehmend unrentabel und damit unhaltbar wurden. Experimente mit alternativen Formen der Einsperrung (wie digital überwachter Hausarrest) sowie die räumliche Isolierung und Auslagerung der Schwarzen Überschussbevölkerung in die Vorstädte und Außenbezirke gibt es derzeit viele, aber die herrschende Klasse hat noch keine umfassende neue Strategie entwickelt, um das Problem zu lösen, was mit der Schwarzen Überschussbevölkerung zu tun ist und politisch getan werden kann. Was Ereignisse wie die Katastrophe nach dem Hurrikan Katrina und die Hunderten von Schwarzen Menschen, die täglich, monatlich und jährlich von verschiedenen Strafverfolgungsbehörden außergerichtlich getötet werden, zeigen, ist, dass die Leben der Schwarzen Bevölkerung immer entbehrlicher werden. Und sie wird entbehrlicher, weil im Kontext des kapitalistischen Wirtschaftssystems in den USA Schwarzes Leben eine Ware ist, die schnell an Wert verliert, aber eingehegt und kontrolliert werden muss.

Das kapitalistische System beweist Tag für Tag, dass es nicht mehr in der Lage ist, versprengte und vertriebene Bevölkerungsgruppen in produktive Unternehmungen zu integrieren, und es wird für die internationale herrschende Klasse immer schwieriger, die materiellen Vorteile aufrechtzuerhalten, die traditionell den loyalsten Untertan*innen des globalen kapitalistischen Empires gewährt wurden, nämlich den ›einheimischen‹ weißen Arbeiterklassen in Westeuropa und den ›Weißen‹ der siedlerkolonialen Projekte der Vereinigten Staaten, Kanadas und Australiens.

Wenn das kapitalistische System nicht expandieren und absorbieren kann, muss es sich selbst erhalten, indem es zu ›Korrektur und Schrumpfung‹ übergeht, indem es alle Überschüsse ausschließt und wenn nötig beseitigt, die nicht absorbiert oder profitabel genutzt werden können.[21] Wir befinden uns jetzt eindeutig in einer Ära der Korrektur und Schrumpfung, die genozidale Folgen für die Überschussbevölkerungen der Welt haben wird, wenn ihnen nicht begegnet wird. Die Schwarze Arbeiterklasse ist jetzt mit dieser völkermörderischen Bedrohung konfrontiert.

Im Kern wird dieses Programm und diese Strategie der Cooperation Jackson durch die Erreichung der vier oben genannten Ziele ein Modell schaffen, das ein Mittel bereitstellt, um der eskalierenden Bedrohung durch die Entbehrlichkeit der Schwarzen Arbeiterklasse entgegenzuwirken, und ein praktisches Wissen, wie man eine solide Basis für antikapitalistische Transformation schaffen kann.

Das Ausnutzen von Widersprüchen

Um unsere vier erklärten Ziele konkret zu erreichen, wollen wir drei kritische Widersprüche im kapitalistischen Weltsystem als Ganzes und in der politischen Ökonomie von Mississippi und den Vereinigten Staaten im Besonderen ausnutzen.

Einer der Hauptwidersprüche, den wir auszunutzen versuchen, ist die Dynamik der ungleichen Entwicklung. Ungleiche Entwicklung bezieht sich auf die Tatsache, dass der Kapitalismus als globales System die Welt durch die Konzentration von menschlicher Arbeit und menschlichen Erfindungsreichtums (d. h. Produktionsmittel, industrielle Fertigung, CO2-basierte Energiemanipulation, fortgeschrittene Kommunikation) zu verändern versucht, um die physische Umwelt dem Profitstreben anzupassen. Der Kapitalismus neigt dazu, die Entwicklung der produktiven und sozialen Kräfte in begrenzten Bereichen zu konzentrieren, während er gleichzeitig die Entwicklung und das Wachstum in anderen Bereichen einschränkt und verzerrt, als Teil desselben Prozesses. Wie die verschiedenen Produktionsweisen, die ihm vorausgegangen sind, kann der Kapitalismus die physische Umwelt, in der die Menschheit agiert und von der sie abhängt, nicht gleichmäßig entwickeln oder verändern. Das bedeutet, einfach ausgedrückt, dass man nicht überall Fabriken, Kraftwerke, Autobahnen, Einkaufszentren und Supermärkte bauen kann. Jeder ernsthafte Versuch, dies zu tun, würde die begrenzte Konzentration von Überschüssen beseitigen, die das System den Arbeitern und der Erde selbst abpresst.[22]

Cooperation Jackson plant, diesen besonderen Widerspruch auszunutzen, indem es auf die Position Mississippis als schwaches Glied in der kapitalistischen Produktionskette innerhalb der Vereinigten Staaten setzt. Mississippi ist, wie der größte Teil des Südostens der Vereinigten Staaten, im Vergleich zur Nordostküste, dem mittleren Westen und der Westküste, extrem unterentwickelt. Seit der kolonialen Besiedlung durch europäische Siedler*innen sind der Südosten, und insbesondere Mississippi, in erster Linie Standorte für die Rohstoffextraktion einerseits (z. B. Holz für den Schiffsbau in der Vorbürgerkriegszeit) und dem Anbau von Nutzpflanzen (wie Baumwolle) für internationale Produktions- und Verbrauchermärkte andererseits. Seit der Dominanz der vom Kohlenwasserstoff abhängigen (d. h. erdölbasierten) Industrieproduktion im kapitalistischen System ab dem frühen 19. Jahrhundert befanden sich die Regionen, die sich auf Rohstoffgewinnung und landwirtschaftliche Monokulturen konzentrierten, in einer relativen Abhängigkeit innerhalb des Systems, die ihre Entwicklung einschränkte.[23] Als ein Ort der abhängigen Entwicklung ist Mississippi nicht vom Kapital durchdrungen und entwickelt worden, um fortschrittliche Infrastrukturen und Netze (z. B. Eisenbahnen, Autobahnen, Häfen) oder Produktionskomplexe (Fabriken, Lagerhäuser, logistische Netzwerke) zu schaffen. Wie wir in »Wie es sein könnte« feststellen,[24] erzeugt die schwache und relativ spärliche Kapitalkonzentration in Mississippi einen gewissen ›Spielraum‹ an den Rändern und in den Zwischenräumen des kapitalistischen Systems, in dem ein Projekt wie das unsere sich bewegen und experimentieren kann.

Wir machen uns diesen Spielraum zunutze, indem wir auf die Tatsache setzen, dass es in dieser Region nur eine minimale Konkurrenz gibt, die von unserem Fokus ablenkt oder ihn verwässert, ein enormes Maß an aufgestauten sozialen Bedürfnissen, die darauf warten, erfüllt zu werden, und ein großes Reservoir ungenutzter menschlicher Potenziale, das darauf warten, angezapft zu werden.

Der zweite entscheidende Widerspruch, den wir auszunutzen versuchen, sind die ökologischen Grenzen des kapitalistischen Systems. Das kapitalistische System ist eines, das auf Selbstzerstörung basiert. Es kann kein grenzenloses Wachstum auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen geben. Es muss etwas passieren. So wie es jetzt aussieht, ist das kapitalistische System dabei, alle lebenswichtigen, lebensspendenden und -erhaltenden Systeme auf unserem Planeten zu zerstören. Die vom Kohlenwasserstoff abhängige Industrieproduktion hat unsere Atmosphäre für immer verändert. Es gibt jetzt mehr Kohlenstoffdioxid in unserer Atmosphäre als zu jedem anderen Zeitpunkt in den letzten 3 Millionen Jahren![25] CO2 , Methan und andere klimawirksame Gase, die durch die menschliche Produktion verursacht werden, beginnen das Klima zu erhitzen, wobei jedes Jahr heißer wird als das vorangegangene. Die polaren Eiskappen verschwinden direkt vor unseren Augen. Die Ozeane werden immer saurer und lassen jedes Jahr größere Todeszonen entstehen. Und ebenso wichtig: Meeresströmungen, die den Fluss der Wärmeenergie und der Wetterphänomene auf dem Planeten regulieren, reißen ab. Und der ständige Ressourcenraubbau und der Drang zur Verstädterung, die das Herzstück des kapitalistischen Systems sind, vernichten wichtige Ökosysteme und Lebensräume, von denen andere komplexe Lebensformen auf diesem Planeten abhängen, was zu einer Beschleunigung des sechsten großen Massenaussterbens führen könnte, dem Verlust von über 90 % der derzeit auf dem Planeten lebenden Arten führen könnte – uns eingeschlossen.

So heikel und problematisch es auch klingen mag, wir wollen diesen Widerspruch ausnutzen, indem wir das Thema Klimawandel politisch so weit wie möglich vorantreiben und die hier vorgeschlagenen wirtschaftlichen Strategien zur Bewältigung der Klimakrise umzukehren. Unser Ziel ist es, wie ihr später noch genauer lesen werdet, nicht, den sogenannten ›grünen Kapitalismus‹ zu fördern und zu stärken.[26] Unser Ziel ist vielmehr, bei der Gestaltung und Schaffung einer regenerativen Wirtschaft zu helfen, einer Wirtschaft, die nicht nur die Ressourcen, die sie der Erde entnimmt, wiederherstellt und auffüllt, sondern auch zur Wiederherstellung der Ökosysteme unserer Erde beiträgt. Wir wollen dies erreichen durch den Aufbau einer Reihe von unterstützenden Institutionen – wie grüne Arbeiter*innen-Kooperativen, Communal Land Trusts, Öko-Dörfer und Zentren für Community Production, die sowohl Gebrauchswerte durch gegenseitige Hilfe erzeugen und umverteilen, als auch Tauschwerte durch die Produktion von Gütern, durch das Bemühen um Recycling, Rückgewinnung und Wiederverwendung von 80 bis 90 % der derzeit verbrauchten Ressourcen und Materialien und die Einführung neuer emissions- und abfallfreier Produktionsmethoden in großem Umfang, angefangen bei unserer Community. Wir glauben, dass diese regenerative Ausrichtung, gepaart mit soliden Praktiken der solidarischen Ökonomie, die Grundlage für die Entwicklung der Wirtschaftsdemokratie als Alternative zum Kapitalismus und als Vorspiel für den demokratischen Übergang zum Ökosozialismus sein kann und wird.[27]

Der dritte und letzte Widerspruch, den wir auszunutzen versuchen, dreht sich um die Überwindung der produktiven Grenzen des kapitalistischen Systems, die sich auf den Konflikt zwischen der industriellen, vom Kohlenwasserstoff abhängigen Version der kapitalistischen Akkumulation und den neuen Produktionsmethoden und Technologien der dritten und vierten industriellen Revolution konzentriert. Diese neuen Methoden und Technologien ermöglichen potenziell die Entwicklung einer neuen Produktionsweise und einer radikal anderen Gesellschaft und anderer sozialer Beziehungen als die, die wir in den letzten fünfhundert Jahren kannten. Diese aufkommenden Technologien und neuen sozialen Beziehungen weisen auf die Entwicklung einer Gesellschaft hin, die manche als ›postkapitalistisch‹ bezeichnen, was ein potenzielles Äquivalent dessen ist oder sein könnte, was wir Wirtschaftsdemokratie nennen. Einer der Hauptbefürworter dieser Ansicht, Paul Mason, meint, dass »der Postkapitalismus aufgrund von drei wichtigen Veränderungen möglich ist, die die Informationstechnologie mit sich gebracht hat« (Mason 2015). Mason skizziert drei Schlüsselkomponenten, die für diesen Widerspruch von zentraler Bedeutung sind und ein enormes Maß an Manövrierfähigkeit ermöglichen. Er fasst sie folgendermaßen zusammen:

»Erstens hat [die Informationstechnologie] den Bedarf an Arbeit verringert, die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verwischt und das Verhältnis zwischen Arbeit und Lohn gelockert. Die kommende Welle der Automatisierung, die derzeit ins Stocken geraten ist, weil unsere soziale Infrastruktur die Folgen nicht tragen kann, wird den Arbeitsbedarf enorm verringern – nicht nur, um zu überleben, sondern um ein menschenwürdiges Leben für alle zu gewährleisten.

Zweitens untergräbt die Information die Fähigkeit des Marktes zur korrekten Preisbildung. Das liegt daran, dass Märkte auf Knappheit beruhen, während Informationen im Überfluss vorhanden sind. Der Schutzmechanismus des Systems besteht in der Bildung von Monopolen – gigantischen Technologieunternehmen – in einer Größenordnung, die es in den letzten 200 Jahren nicht gab, doch sie können nicht überleben. Durch den Aufbau von Geschäftsmodellen und Aktienbewertungen, die auf der Erfassung und Privatisierung aller gesellschaftlich produzierten Informationen beruhen, errichten diese Firmen ein zerbrechliches Unternehmensgebäude, das im Widerspruch zu dem Grundbedürfnis der Menschheit steht, nämlich Ideen frei zu nutzen.

Drittens erleben wir den spontanen Aufstieg der kollaborativen Produktion: Es tauchen Güter, Dienstleistungen und Organisationen auf, die sich nicht mehr den Diktaten des Marktes und der Managementhierarchie gehorchen. Das größte Informationsprodukt der Welt – Wikipedia – wird von Freiwilligen kostenlos erstellt, wodurch das Geschäft mit den Enzyklopädien abgeschafft wird und der Werbeindustrie schätzungsweise 3 Milliarden Dollar pro Jahr an Einnahmen verloren geht.

Fast unbemerkt, in den Nischen und Hohlräumen des Marktsystems, beginnen sich ganze Bereiche des Wirtschaftslebens in einem anderen Rhythmus zu bewegen. Parallelwährungen, Zeitbanken, Kooperativen und selbstverwaltete Räume haben sich ausgebreitet, kaum bemerkt von den Wirtschaftsfachleuten, und oft als direkte Folge der Zertrümmerung der alten Strukturen in der Krise nach 2008.«(ebd.).

Diese bemerkenswerten technologischen und produktiven Fortschritte sind das Ergebnis der dritten und vierten industriellen Revolution.[28] Wie bereits erwähnt, verändern sie rasch die Zivilisation, je nach Standpunkt zum Guten oder zum Schlechten, und sie ermöglichen eine dramatische Neuorientierung der Arbeit.

Die Dritte Industrielle Revolution (3IR), auch bekannt als digitale Revolution, begann in den 1960er-Jahren, explodierte aber in den späten 1980er- und 1990er-Jahren und breitet sich auch heute noch aus. Diese Revolution bezieht sich auf die Weiterentwicklung der Technologie von analogen elektronischen und mechanischen Geräten zu den digitalen Technologien, die wir jetzt haben. Zu den wichtigsten Technologien dieser Revolution gehören der Personal Computer, das Internet und fortschrittliche Informations- und Kommunikationstechnologien, wie z. B. unsere Handys.

Die Vierte Industrielle Revolution (4IR), auch bekannt als die Cyber-Physikalische-Revolution, ist gekennzeichnet durch technologische und wissensbasierte Durchbrüche, die auf der digitalen Revolution aufbauen und nun die physische, digitale und biologische Welt (einschließlich des menschlichen Körpers) verschmelzen. Zu den wichtigsten Technologien dieser Revolution gehören fortgeschrittene Robotik, CNC (Computer Numeric Control), Automatisierung, 3D-Druck, Biotechnologie, Nanotechnologie, Großrechenanlagen, künstliche Intelligenz und autonome Fahrzeuge.

Diese neuen Technologien verändern nicht nur alles in der Welt um uns herum, sondern sie verändern auch unsere sozialen Beziehungen und unsere Kultur(en). An und für sich sind diese Technologien in gewisser Weise wertneutral – das heißt weder gut noch schlecht. Ihr Wert und ihre Zwecke werden von der Menschheit bestimmt. Entweder helfen sie der Menschheit in ihrem kollektiven Streben nach Befreiung, oder sie werden die Unmenschlichkeit unserer Spezies gegenüber sich selbst und Mutter Erde fördern. Eines ist schmerzhaft deutlich, nämlich dass wenn diese Technologien das exklusive Eigentum der kapitalistischen Klasse und der von ihnen kontrollierten transnationalen Konzerne bleiben, sie nicht zum Nutzen der Mehrheit der Menschheit eingesetzt werden, sondern dazu, die Methoden der Kapitalakkumulation zu erweitern und die Macht des 1 %, das die Welt regiert, zu stärken. Unter ihrer Kontrolle werden diese Technologien zu einer Krise der globalen Arbeitslosigkeit führen, wie es sie in der Geschichte der Menschheit noch nie gegeben hat. Das Ergebnis wird eine globale Dystopie sein, d. h. ein sozialer Alptraum, der auf massiver Armut, Gesetzlosigkeit und staatlicher Unterdrückung beruht, und nicht die mögliche Utopie, die diese Technologien schon immer vorausahnen ließen.[29]