August von Kotzebue - Axel Schröter - E-Book

August von Kotzebue E-Book

Axel Schröter

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Beschreibung

August Friedrich Ferdinand von Kotzebue war der erfolgreichste Dramatiker seiner Zeit. Seine rund 230 Schauspiele wurden europaweit gespielt und unter anderem ins Englische, Französische, Spanische sowie Italienische übersetzt. Komponisten vom Rang eines Beethoven, Schubert und Weber vertonten seine Opernlibretti und schrieben zu seinen Schau-spielen Musik. Bereits zu Lebzeiten ehrte der Wiener Verleger Anton Doll den Erfolgsautor mit einer 56 Bände umfassenden Gesamtausgabe der dramatischen Werke. Während Goethes Theaterleitung (1791-1817) wurde in Weimar an nicht weniger als 451 Abenden Kotzebue gegeben. Goethes Bühnenwerke standen im gleichen Zeitraum hingegen nur 164-mal auf dem Programm, Schillers 182-mal. Heute scheint Kotzebues Schaf-fen weitgehend vergessen. Axel Schröter beleuchtet Leben und Werk dieses bedeutenden Dichters und Schriftstellers der Goethezeit und versucht mittels authentischer zeitgenössischer Quellen und Dokumente Licht in die zunächst so verworren scheinende Vita zu bringen. Anhand biografischer Hintergrundinformationen entwickelt der Autor eine Persönlichkeitsstudie im Spannungsfeld zwischen Klassik, Frühromantik und Aufklärung, die sichtbar werden lässt, warum sich gerade die Literaturwis-senschaft so rasch von diesem Autor distanzieren musste.

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Axel Schröter

Augustvon Kotzebue

Eine Biographie

Inhalt

Vorwort

Die frühe Weimarer Zeit: Kindheit, Adoleszenz und Studium

Karriere in St. Petersburg (1781)

Der Durchbruch als Dramatiker (1788)

Gesundheitsprobleme und Kuraufenthalte in Bad Pyrmont (1790)

Die Flucht nach Paris (1790)

Der Skandal um Doctor Bahrdt (1791/92)

In Zurückgezogenheit auf dem Landsitz Friedensthal bei Reval (1795)

Intermezzo in Wien (1798)

Zwischenaufenthalt in Weimar (1799)

Verhaftung bei der Einreise nach Russland, Verbannung nach Sibirien und Rehabilitierung (1800)

Erneut in Weimar (1801)

Der Bruch mit Goethe (1802)

Die Eroberung des Berliner Publikums (1802)

Die zweite Reise nach Paris (1803)

Die Italienreise (1804)

Als Historiker in Königsberg (1805)

Rückzug vor den Napoleonischen Truppen nach Schwarzen bei Riga (1806)

Neue Erfolge als Dramatiker: Die Trilogie für das Theater in Pest (1812)

Als Russischer Generalkonsul und Theaterleiter in Königsberg (1814)

Rückkehr nach Weimar als Etatsrat in russischen Diensten (1817)

Versöhnungsversuch mit Goethe und Erfolge im Weimarer Theateralltag

Umzug nach Mannheim und Ermordung durch den Burschenschaftler Carl Ludwig Sand

Zur Rezeption der Werke Kotzebues außerhalb Weimars

Schlusswort

Anhang

Zeittafel

Stadtrundgang

Literaturverzeichnis

Personenverzeichnis

Bildnachweis

Danksagung

Abb. 1: August von Kotzebue (Stich von Hermann Hirsch Pinhas nach einem Portrait von Ferdinand Jagemann), ca. 1818

Vorwort

I

Wenn man heute in Weimar die Schlossgasse in Richtung Marktplatz entlanggeht, so befindet sich linker Hand ein pastellgrün-beige gestrichenes Haus, das mit seinen orangefarbenen Ornamenten kaum näher den Blick auf sich zieht. Im Jahr 2007 wurde es für 290.000 Euro zum Verkauf angeboten. Das Kulturdenkmal mit Galerie im Erdgeschoss wurde im 20. Jahrhundert teilmodernisiert und ist nur noch bedingt mit dem Zustand zu vergleichen, in welchem es sich im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts und im frühen 19. Jahrhundert befand. In jener Zeit wohnten in dem Haus Schlossgasse 6 August von Kotzebue (1761–1819) und seine Mutter Anna Christina Kotzebue, geborene Krüger (1736–1828), Ersterer allerdings nur in seiner Jugendzeit sowie bei Gastaufenthalten. Bei seinem letzten Weimaraufenthalt 1817/18 hatte Kotzebue zusammen mit seiner dritten Frau und seinen 13 Kindern eine Wohnstätte in der Ackerwand, nämlich das Haus Goulon (heute Haus-Nr. 9), bezogen.

Kotzebues eigentliche Wohnsitze lagen indes im Baltikum. Dort besaß er ein Rittergut nahe Riga (Gut Koppelmann), das er 1792 gekauft und zu einem Landsitz ausgebaut hatte, dann das in Livland gelegene Krongut Worroküll, das ihm Zar Paul I. im Jahr 1800 als Wiedergutmachung für seine irrtümliche Verhaftung und Verbannung nach Sibirien auf Lebenszeit verlieh sowie schließlich das Landgut Schwarzen (Vardi), 45 km von Reval entfernt, das der Erfolgsautor 1806 erwarb und wohin er nach der französischen Besetzung Berlins umzog.

Kotzebue konnte sich einen derartigen Komfort tatsächlich leisten. Seine Dramen beherrschten nicht nur die deutschsprachigen Bühnen, sondern sie erfreuten sich vielfacher Übersetzungen und wurden unter anderem in Spanien, England, Italien, Frankreich, Dänemark und Russland gespielt. Goethe und Schiller mussten gegenüber dem Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad Kotzebues regelrecht erblassen.

Man mag das heute kaum glauben oder für Übertreibung halten, sind die Werke Kotzebues – allein rund 220 Schauspiele gilt es festzuhalten (die Bearbeitungen und Übersetzungen vornehmlich französischer Vorlagen nicht mitgerechnet) – doch zu Beginn des 21. Jahrhunderts nahezu vergessen und insbesondere bei Literaturwissenschaftlern, die nach wie vor noch an die Undurchlässigkeit der Grenze zwischen Hoch- und Popularkultur sowie an die gesellschaftlich unangefochtene Superiorität ersterer glauben, als Inbegriff des Trivialen im Verruf. Auch Historiker kennen Kotzebue nicht aufgrund seiner zahlreichen Historiendramen oder seiner Geschichte des Deutschen Reichs (1814/15), sondern »lediglich« deshalb, weil das politisch motivierte Attentat, das der Burschenschaftler Carl Ludwig Sand am 23. März 1819 auf Kotzebue ausübte, Anlass für die sogenannten Karlsbader Beschlüsse war, die eine verschärfte Überwachung der Universitäten, eine strengere Zensur und die Verfolgung vermeintlich »demagogischer Umtriebe« zur Folge hatten.

Musikhistoriker schätzen Kotzebue immerhin als Verfasser zahlreicher Dramen, zu denen teils prominente Komponisten die Musik schufen. Zu nennen ist beispielsweise Beethoven, der mit König Stephan oder Ungarns erster Wohltäter sowie Die Ruinen von Athen gleich zwei Werke Kotzebues vertonte. Beide Stücke wurden 1811 zusammen mit dem Schauspiel Belas Flucht zur Eröffnung des neuen Theaters in Pest verfasst. Beethoven war von Kotzebues Texten so begeistert, dass er den Dichter nach der Komposition der Schauspielmusiken mit der Bitte anschrieb, er möge für ihn doch auch noch eine Oper mit einem historischen Sujet à la Attila dichten, wozu es allerdings nicht kam. Auch der junge Franz Schubert griff 1812/1813 zu Kotzebues Libretti und versuchte sich mit Des Teufels Lustschloss und Der Spiegelritter im Genre des Musiktheaters.

Dass die Werke Kotzebues heute vergessen sind, hat weder allein mit ihrer Zeitverhaftetheit noch mit mangelnder Qualität zu tun, die die zeitgenössischen Rezensenten ihnen oft zu Unrecht unterstellten. Wenngleich man auch zugestehen muss, dass von den rund 220 Schauspielen, die der Dichter verfasste, weit mehr als Zweidrittel der Tagesproduktion hinzuzuzählen sind, und ihr literarischer Wert durchaus als fraglich erscheint – nicht zuletzt, weil sie auch anlassbezogen für Laien- bzw. Liebhabertheater verfasst wurden –, so existiert doch eine Reihe von Werken, die auch heute noch Spaß am Lesen erwecken.

Genannt seien neben dem Lustspiel Die Deutschen Kleinstädter Stücke wie das von Bernhard Anselm Weber großartig vertonte Schauerdrama Deodata oder Das Gespenst, ferner das »vaterländische Schauspiel mit Chören« Die Hussiten vor Naumburg, das Historiendrama Gustav Wasa, das Lustspiel Der Rehbock, aus dem im späteren 19. Jahrhundert Albert Lortzing seine Oper Der Wildschütz generierte, oder die Legende in 6 Akten und einem Vorspiel Der Schutzgeist, die selbst Goethe so sehr schätzte, dass er sie für das Weimarer Theater in eine fünfaktige Fassung umarbeitete. Ob sich die Wiederbelebung derartiger Stücke, insbesondere jener, die gezielt mit dem Einsatz und der Wirkung von Schauspielmusik kalkulieren, auch noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts lohnen würde, bedürfte eines Experiments. Die Bühnenwirksamkeit wäre gewiss allein schon bei einer gebührenden musikalischen Umrahmung gesichert.

Abb. 2: August von Kotzebue (Stich des Berliner Grafikers Johann Friedrich Bolt, nach dem Ölgemälde von Johann Carl Heinsius, ca. 1797)

Dass Kotzebue heute kein Gegenstand der Auseinandersetzung mehr ist, hat seinen Hauptgrund indes in der rasch einsetzenden Negativkanonisierung, die dem Autor und dessen Schaffen gemäß Simone Winko zuteilwurde. Sie ging von namhaften Persönlichkeiten, insbesondere von den Jenaer Frühromantikern August Wilhelm und Friedrich Schlegel aus und zog rasch weite Kreise. Für die Gebrüder Schlegel und gleichgesinnte Verfechter einer progressiven Universalpoesie – und dieses Netzwerk war groß – wurde Kotzebue gleichsam zu einer Art Sündenbock, auf den man bequem alles der eigenen Ästhetik Feindliche projizieren konnte, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Bezeichnend ist diesbezüglich etwa das Pamphlet August Wilhelm Schlegels, das nach Kotzebues Verhaftung auf einer Durchreise durch Russland und seiner Rehabilitierung weite Verbreitung fand. Der Titel Ehrenpforte und Triumphbogen für die Rückkehr des Theaterpräsidenten August von Kotzebue ins Vaterland ist ironisch, der Inhalt sarkastisch. Der Spott Schlegels richtet sich in dieser Schrift erstens gegen Kotzebues Sendungsbewusstsein als Theaterdichter, das aufgrund seiner internationalen Erfolge zu Recht bestand, zweitens gegen die auf ein breites, nicht aber auf ein literarisch anspruchsvolles Publikum zielende Wirksamkeit seiner Dramen, drittens gegen Kotzebues patriotische Gesinnung, viertens gegen seine Vorliebe, die eigenen Schauspiele mit besonderer Rücksicht auf den Einsatz von Musik zu konzipieren sowie fünftens gegen den aufrichtigen Glauben des Dichters, er habe es verdient, mit Ehren und Ruhm überhäuft zu werden.

In Schriften wie der diffamierenden Ehrenpforte sowie in den namhaften Literaturzeitschriften der Zeit, insbesondere der Jenaer Allgemeinen Literaturzeitung, wurden die Werke Kotzebues in der Regel heftig angegriffen und abklassifiziert. Gerade in Weimar/Jena gehörte es unter den literarisch Gebildeten zum guten Ton, gegen Kotzebue zu opponieren.

Genährt wurde die »ästhetische Prügelei«1 vor allem dadurch, dass Kotzebue ebenso streitsüchtig wie eitel und provokant war und sich nur allzu gern zu Gegendarstellungen, leider meist platter Art, hinreißen ließ, was die bestehende Brisanz verschärfte. Spätestens 1802 verdarb er es sich darüber hinaus mit Goethe, weil er es ablehnte, dessen vorgeschlagene Kürzungen in dem Schauspiel Die deutschen Kleinstädter umsetzen zu lassen. Er zog sein Werk zurück und die geplante Weimarer Uraufführung platzte. Dass er sich so etwas leisten konnte, spricht für seine Größe. Seinem Ruhm und seinen Erfolgen schadeten solche Aktionen durchaus nicht. Nur waren spätestens ab jenem Zeitpunkt nicht nur die Gebrüder Schlegel und die Romantiker seine Feinde, sondern auch Goethe, in dessen Kulturpolitik und klassizistische Ästhetik Kotzebues Kommerzkultur ebenso wenig passte. Damit konnte Kotzebue im Netzwerk der literarischen Hochkultur keine wirkliche Unterstützung erwarten, was wiederum dazu führte, dass er zwar von seinem Publikum nach wie vor auf Händen getragen und insbesondere im Ausland hoch geschätzt wurde, ihm die Apologeten einer auf »wahre Kunst« setzenden Ästhetik aber entfernter waren denn je, seine Dichterwelt verabscheuten, ihm schlechten Geschmack, mangelndes Kunstverständnis und Trivialität vorwarfen.

Hinzu kamen ferner die teilweise sehr erfolgreichen Versuche der Burschenschaftler, Kotzebue als Feindsymbol des studentischen Liberalismus, als Repräsentant eines restaurativen Deutschlands sowie als Vaterlandsverräter zu stilisieren. Die nationale Demontage, zu der auch der unberechtigte Vorwurf zählte, Kotzebue sei ein Spion des Zaren gewesen, setzte spätestens nach der Enthauptung seines Mörders Carl Ludwig Sand ein und führte dazu, dass jener zum Märtyrer und Helden der Nation verklärt wurde. Zusammengenommen sind all dies Gründe dafür, dass gerade in Weimar/Jena, der Wiege der Deutschen Klassik und Frühromantik, von der Gedenktafel am Haus der Schlossgasse 6 abgesehen, heute nur noch wenig auf August von Kotzebue hinweist. Die Rezeptionsgeschichte hat hier gründlich aufgeräumt, aber auch verzerrt, wenn nicht gar verleumdet. »Verehrt, verdammt, vergessen«2, das ist das Schicksal Kotzebues gewesen.

Und so mag man es kaum glauben, was die umfangreichen Theaterzettelsammlungen der Zeit unmissverständlich zu erkennen geben, dass selbst in Goethes Weimar Kotzebue mit Abstand der meistgespielte Autor war. Dessen Schauspiele dominierten allein quantitativ die Werke eines Schiller und Goethe um ein Vielfaches. Während Goethes Direktion wurden, trotz der Animositäten zwischen dem Theaterleiter und Kotzebue, in Weimar an rund 450 Abenden Kotzebues Werke gespielt. Dabei gelangten 85 Schauspiele auf die Bühne. Rechnet man die Gastspiele des Weimarer Hoftheaters in Erfurt, Bad Lauchstädt, Rudolstadt, Leipzig und Naumburg mit, so waren es sogar insgesamt knapp 670 Vorstellungen. In Anbetracht solcher Quantitäten waren die Schiller-, Goethe- und Shakespeare-Aufführungen von vernachlässigenswerter Größe.3

Dabei mag es kurios erscheinen, dass Goethe trotz seiner Antipathie gegenüber Kotzebue als Autor und Mensch gezwungen blieb, dessen Werke auf den Spielplan zu setzen. Sie füllten die Theaterkasse und hatten, trotz der mitunter spärlichen Ausstattung, mit der man sie in Weimar auf die Bühne brachte, einschlagenden Erfolg.

Abb. 3: Theaterzettel der Weimarer Erstaufführung von Menschenhass und Reue, 24.5.1791 (ThHStA Weimar). Mit Menschenhass und Reue erzielte Kotzebue 1788 in Reval seinen Durchbruch. Das Schauspiel fand innerhalb weniger Jahre europaweite Verbreitung und wurde unter anderem ins Dänische, Französische, Englische, Holländische und Italienische übersetzt. Während Goethes Theaterleitung stand das Werk erstmals 1791 auf dem Spielplan.

Abb. 4: Theaterzettel der Weimarer Erstaufführung von Die Deutschen Kleinstädter, 26.11.1803 (ThHStA Weimar). Die in Weimar von Goethe ursprünglich für März 1802 vorgesehene Uraufführung der Deutschen Kleinstädter ließ Kotzebue platzen, weil Goethe einzelne Stellen, die Anspielungen auf seine literarischen Gegenspieler – vor allem auf die Gebrüder Schlegel – enthielten, streichen wollte.

Abb. 5: Theaterzettel der Weimarer Erstaufführung von Die Hussiten vor Naumburg, 15.2.1804 (ThHStA Weimar). Mit Die Hussiten vor Naumburg schuf Kotzebue ein Rührstück par excellence. In Weimar wurde das Werk mit der Musik des Weimarer Hofkapellmeisters Franz Seraph von Destouches aufgeführt.

Abb. 6: Theaterzettel der Weimarer Erstaufführung von Der Schutzgeist, 3.3.1817 (ThHStA Weimar). Kotzebues dramatische Legende Der Schutzgeist wurde in Weimar in einer Bearbeitung Goethes gespielt. Dieser nahm die Bearbeitung auf Veranlassung des Weimarer Hofes vor. Auf dem Theaterzettel wurde weder Goethe noch Kotzebue als Autor genannt. Aufgrund der handschriftlichen Quellen des Goethe- und Schiller-Archivs Weimar besteht an Goethes Mitautorschaft kein Zweifel.

Abb. 7: Theaterzettel der Weimarer Erstaufführung von Die Kreuzfahrer, 15.4.1818 (ThHStA Weimar). Kotzebues im Jahr 1800 zur Eröffnung des Berliner Theaters geschriebenes Schauspiel Die Kreuzfahrer wurde in Weimar erst 1818 aufgeführt. Der Theaterzettel der Vorstellung vom 22. April enthält zahlreiche Besetzungsänderungen sowie einen Hinweis auf die Weimarer Erstaufführung vom 15. April.

Darüber hinaus verkauften sie sich auch gut. So rief der Wiener Verleger Anton Doll bereits 1810 eine Gesamtausgabe der Bühnenwerke Kotzebues ins Leben, die bis 1820 fortgeführt wurde und es insgesamt auf 56 Bände brachte. Sie wurde teilweise auch mit amüsanten Frontispizen ausgestattet, von denen in dieser Publikation nur einige wenige reproduziert wurden.

II

Nicht nur Kotzebues Werke sind heute vergessen, sondern auch seine so ereignisreiche Vita ist bislang nicht annähernd wissenschaftlich aufgearbeitet, was nicht verwundert, da authentische Zeugnisse – verglichen etwa mit denen der Weimarer Klassiker – nur in Bruchstücken überliefert sind. So gibt es bislang lediglich drei etwas umfangreichere wissenschaftliche Brief-Editionen: die von Jürg Mathes herausgegebenen 31 Briefe an die Mutter, der 66 Schriftstücke umfassende, von Bernd Maurach edierte Briefwechsel Kotzebue/Carl August Böttiger sowie die 123 auszugsweise, ebenfalls von Mathes publizierten Briefe Kotzebues an seinen Verleger Kummer. Über diese Dokumente hinaus sind authentische Annäherungen an den Lebensweg Kotzebues am ehesten über die Prosaischen Schriften des Dichters – etwa die Reiseberichte oder den sogenannten »literarischen Lebenslauf« – sowie vermittels Erinnerungen seiner Zeitgenossen und Rezensionen seiner Werke möglich. Ferner ist der Fundus an Briefen und Dokumenten der in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz aufbewahrten Autographen-Sammlung Herbert Adams zu nennen, der bislang nur ansatzweise veröffentlicht worden ist.4 Auf diesen Dokumenten sowie dem 2011 erschienenen Lexikon der Dramen Kotzebues basiert auch der folgende Versuch der Annäherung an Kotzebue.

III

Es handelt sich bei der vorliegenden Biographie um eine Fortsetzung der Forschungen über August von Kotzebue, die der Verfasser im Rahmen seiner Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sonderforschungsbereich 482 der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Ereignis Weimar–Jena. Kultur um 1800, Teilprojekt C 8: Musik und Theater) begann. Dabei werden aktuelle wissenschaftliche Forschungsergebnisse einem Leserkreis zugänglich gemacht, der mit Fachpublikationen gemeinhin nicht erreicht wird.

Ein Hauptziel dieses biographischen Versuchs ist es, von den üblichen Vorurteilen Abstand zu nehmen und das Phänomen Kotzebue anhand von Fakten, und nicht mithilfe von Klischees oder phantasievollen Ausschmückungen zu beleuchten. Nicht zuletzt deshalb weist die vorliegende Publikation zahlreiche Zitate auf, die einen hohen Authentizitätsgrad garantieren und darüber hinaus zur Veranschaulichung entscheidend beitragen sollen. Die Integration derselben erwies sich vor allem auch deshalb als sinnvoll, weil die entsprechenden Quellen (Briefe, Auszüge aus Schriften, Rezeptionsdokumente aus zeitgenössischen Zeitschriften) heute rar sind und die Zugänglichkeit somit erschwert ist. Welche Bibliothek verfügt etwa über die in den Jahren 1842/43 erschienene, 45 Bände umfassende Ausgabe der Prosaischen Schriften?

IV

Seit der Erstauflage dieser Biographie hat das Interesse an Kotzebue erfreulicherweise wieder zugenommen, was nicht zuletzt der Entdeckung der kulturgeschichtlichen Bedeutung des Erfolgsautors und dem Tatbestand geschuldet ist, dass man erkannte, wie sehr aus seinen Werken der Zeitgeist eines scharfsinnig Urteilenden herausdestilliert werden kann und wie sehr er mit seinen Werken meinungsbildend wirkte. Aus der Fülle an Publikationen seien hier nur herausgehoben das 2011 erschienene Lexikon der Dramen Kotzebues (hrsg. von Johannes Birgfeld, Julia Bohnengel und Alexander Košenina), die Untersuchungen zu Kotzebues politischen Zeitschriften (Sven Lachhein), zu seiner Bedeutung für die russische Kulturpolitik (Franziska Schedewie, Klaus Ries) sowie für den estnisch-deutschen Dialog, unter besonderer Berücksichtigung Revals (hrsg. von Klaus Gerlach, Harry Liivrand und Kristel Pappel). Dabei handelt es sich größtenteils um Dissertationen, Kongress- bzw. Tagungsberichte sowie um eine Habilitationsschrift. Hinzu kommen gleichermaßen eine Fülle einzelner Aufsätze, insbesondere zur Kotzebue-Rezeption, wie Neueditionen ausgewählter Werke. Dass aus Anlass des 200. Todestages ein internationaler Kongress in Mannheim stattfand, der sich dem Dramatiker im europäischen Kontext, seinem schriftstellerischen Engagement jenseits der Bühne sowie der Ermordung und ihren politischen Folgen widmete, zeigt Kotzebues fortwährende Präsenz im aktuellen wissenschaftlichen Diskurs.

Bremen, 31.5.2019 Axel Schröter

Abb. 8: August von Kotzebue (Lesezeichen mit falschem dritten Vornamen nach dem Kupferstich von Johann Pleikard Bittheuser, nach dem Gemälde von Johann Friedrich August Tischbein), ca. 1809

Die frühe Weimarer Zeit: Kindheit, Adoleszenz und Studium

Geboren wurde August Friedrich Ferdinand von Kotzebue am 3. Mai 1761 in Weimar im nach der Fassadenfarbe benannten »Gelben Schloss«5, welches heute als Gebäudeteil der Herzogin Anna Amalia-Bibliothek dem Weimarer Residenzcafé gegenüberliegt. Er entstammte einer angesehenen bürgerlichen Familie. Sein Vater Levin Carl Christian Kotzebue (1727–1761) war zunächst braunschweigischer Kanzleisekretär, dann herzoglich-sächsischer Legationsrat, sein Großvater Johann Ludwig Kotzebue (1694–1730) herzoglich-braunschweigischer Kommissionsrat. Die ehemalige Prinzessin von Braunschweig-Wolfenbüttel und spätere Herzogin Anna Amalia vonSachsen-Weimar-Eisenach hatte Levin Carl Christian Kotzebue 1758, also kurz nach dem Tod ihres Gemahls Herzog Ernst August Constantin von Sachsen-Weimar-Eisenach, von Braunschweig nach Weimar berufen und als Kabinettsekretär in öffentlichen wie privaten Angelegenheiten angestellt. Sie schätzte ihn nicht nur als einen tätigen, einsichtsvollen Diener, sondern war auch Patin seiner am 1. Oktober 1759 geborenen Tochter Karoline Amalie.6

Levin Carl Christian Kotzebues Frau, Anna Christina, geb. Krüger (1736–1828), stammte aus Braunschweig-Wolfenbüttel und war ihrem Mann nach Weimar gefolgt. Nach dem frühen Tod ihres Gatten im Alter von nur 34 Jahren widmete sich die Fünfundzwanzigjährige ganz der Erziehung ihrer drei Kinder Carl Ludwig Anton (1758–1832), Karoline Amalie (1759–1854) und August Friedrich Ferdinand (1761–1819). Der junge Kotzebue konnte so, abgesehen davon, dass er vaterlos aufwuchs, eine vergleichsweise unbeschwerte Kindheit und Adoleszenz genießen. Ein besonders inniges Verhältnis hatte er zu seinem Lehrer und Onkel Johann Carl August Musäus, der ihn gleichsam für die Dichterlaufbahn prädisponierte und den Kotzebue so sehr schätzte, dass er nach dessen Tod eine Ausgabe seiner Schriften herausgab.7 In dem der Sammlung vorangestellten umfangreichen Vorwort erinnerte er sich ebenso wehmütig wie rührend an die Zeit, die er als Kind mit Musäus in dessen Garten an der Ilm verbrachte:

Ein kleiner Garten an der Ilm mit einer Hütte, nur eben groß genug, um einen Tisch und ein Paar Stühle zu fassen, lud im Sommer ihn oft in seine Schatten ein. Da war es still und kühl, und nur der Fluß murmelte leise. Ach! da habe ich oft an seiner Seite gesessen, er für die Nachwelt dichtend, und ich, den Musen meine Erstlinge opfernd. Wenn er dann ein paar Seiten geschrieben hatte, so machte er mir zuweilen die Freude, mir das vorzulesen. Vergieb mir Leser, daß ich bey diesem schönen Andenken verweile! Es waren die schönsten Stunden meiner Jünglingsjahre.8

Kotzebues dichterische, insbesondere seine theatralische Begabung zeigte sich, wenn man seinem Literarischen Lebenslauf9 und der auf diesem beruhenden, möglicherweise von fremder Hand zusammengestellten Autobiographie10 Glauben schenkt, bereits früh. Romeo und Julia, Don Quixote und Robinson Crusoe hat er als Knabe mit Enthusiasmus gelesen, sein erstes Theatererlebnis machte er im Alter von neun oder zehn Jahren. Musäus hatte das pädagogische Feingefühl gehabt, die Begegnung mit dem Theater zu einem prägenden Erlebnis werden zu lassen. Kotzebue schrieb diesbezüglich rückblickend:

Die vielen Lichter, die versammelte Menge, die Schildwachen, die geheimnisvolle Gardine, alles das spannte meine Erwartung auf’s höchste. Man gab den Tod Adam’s von Klopstock. Musäus stellte mich vor sich auf die Bank, damit ich über die Köpfe wegsehen konnte. Der Vorhang rollte auf, ich war ganz Auge, ganz Ohr, mir entging kein Wort, keine Bewegung, ich wurde unwillig, wenn Jemand von den Zuschauern hustete, oder sich ausschnaubte. Ich strampelte auf meiner Bank mit den Füßen, wenn ein lästiger Nachbar den gefälligen Musäus anredete. Nein, nie! nie habe ich wieder einen mächtigern Eindruck auf meinen Geist empfunden.11

In der Folgezeit erlebte Kotzebue in Weimar all die namhaften Schauspielertruppen, die das Schlosstheater Anna Amalias bespielten, unter anderem die von den Schauspielern Seyler, Brandes, Boeck und Eckhof geleiteten Ensembles. Insbesondere Ballett und Schauspiel hatten es Kotzebue angetan. So schrieb er zurückschauend:

Mit dem innigsten Vergnügen erinnere ich mich der trefflichen Bühne zu Weimar in den Jahren 1771 und 72, unter Eckhofs Leitung. Die Zahl ihrer Mitglieder war kaum ein Dutzend; aber sie gab vollendet Lessings Meisterwerke, und Alles, was zu jener Zeit an Originalen oder Uebersetzungen Gutes vorhanden war.12 Weiter heißt es: Auf die großen pantomimischen Ballette wurden in Weimar ansehnliche Kosten verwendet. Mit Entzücken erinnere ich mich noch der glänzenden Darstellungen von Idris und Zenide, Orpheus und Euridice, Incle und Iariko, die Amazonen u.s.f. (Die Idee zu dem letzteren war von Musäus.) Was die Schauspiele auf meine Empfindung, das wirkten die Ballette auf meine Sinne, und ich dachte bald auf Mittel, auch diese nachzuahmen.13

Auch Goethe, der 1775 nach Weimar kam, hat Kotzebue bereits in jener Zeit kennengelernt. Er soll gelegentlich Gast im Hause Kotzebue gewesen sein. Besonders gefiel es dem Heranwachsenden, dass Goethe es ihm erlaubt hatte, »in seinem Garten Vögel in Schlingen zu fangen«. Auch durfte er in dessen Stück Die Geschwister in die Rolle des Postboten schlüpfen und einen Brief überbringen.14

1777 bis 1779 studierte Kotzebue in Jena und auch für kurze Zeit in Duisburg, wohin seine Schwester 1778 nach ihrer Heirat mit Johann Friedrich Gildemeister (1750–1812)15 gezogen war, Jura. Allerdings dürfte diesen Studien, die später seiner Karriere in Reval gewiss förderlich gewesen sind, im Hinblick auf Kotzebues Entwicklung als Schriftsteller und Dichter keine allzu große Bedeutung beizumessen sein. Vielmehr scheint es, als habe Kotzebue schon während seiner Studienzeit mehr Theater gespielt als ein wirklich solides Fundament für ein Advokatendasein angestrebt. So berichtet Karl Müchler in seinem 1819 unmittelbar nach Kotzebues Tod herausgegebenen Quellenband: