Aus den Angeln - Jaro Block - E-Book

Aus den Angeln E-Book

Jaro Block

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Beschreibung

Phillips Teenagerleben spielt sich zwischen Unterricht, Hausaufgaben und Computerbildschirm ab. Über Umwege wird er auf eine Party eingeladen. Sein bester Freund Chris muss ihn überreden hinzugehen, da Phillip mit Partys und fremden Menschen nur in der digitalen Welt etwas anfangen kann. Dort muss er gezwungenermaßen Smalltalk führen. Auch mit Laura. Das klappt besser als gedacht. Und als Phillips Vater Thilo die beiden mit in einen seiner Nachtclubs nimmt, erleben sie eine Nacht, die sie niemals vergessen werden.

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Inhaltsverzeichnis

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DANKE

Impressum

EINS

Dienstag. Phillip schleppt sich wie jeden Tag in den zweiten Stock zu seinem Klassenzimmer. Niemand beachtet ihn auf seinem Weg in den Geschichtskurs. Schritt für Schritt läuft er die Treppe hoch. Er fragt sich, wie es wohl sein mag, in Gruppen die unterrichtsfreie Zeit zu verbringen. Überall lachen sie, springen rum oder erzählen sich Geschichten.

»Meine Geschichten passieren halt am Schreibtisch«, denkt sich Phillip, als er das Zimmer betritt, welches sich seit der Erfindung des Tageslichtprojektors nicht verändert hat. Sich weiter darüber den Kopf zerbrechen kann er nicht, da der Lehrer den Raum betritt.

Phillip sieht aus wie ein 1,80 Meter langes Streichholz, auf seinem Platz in der ersten Reihe. Lang, dünn und Haut wie helles Holz. Nur die Haare sind braun, anstatt rot. Seine kurze Frisur hat er vorne hochgestylt und die runde Brille passt perfekt zum schmalen, kantigen Gesicht.

Er ist ein guter Schüler. Nicht nur fleißig, sondern wirklich interessiert. ”Hat Spaß an komplexen Themen”, stand im letzten Zeugnis. Er macht sich, als die Schule vorbei war, auf den Heimweg, um sich mit seinen Freunden zu treffen. Online.

»Eh, Phillipo?« brüllt es aus dem Headset auf seinem Schreibtisch.

»Ja, hallo?«, antwortet Phillip.

»Ich bin’s, Chris. Bereit für ´nen Raubüberfall?«

»Ja, warte kurz, ich räum noch meine Schulsachen weg und geh aufs Klo.«

»Perfekt, wir warten eh noch auf jemanden«, hört Phillip leiser, da er sich das Headset schon vom Kopf gepflückt hat. Chris ist sein bester, längster und auch einziger Freund in der realen Welt. Bis zur achten Klasse war er auch auf seiner Schule. Aber offensichtlich konnte die Mutter von Chris das Jobangebot in Wien nicht ausschlagen.

»Auf wen warten wir denn?«, fragt Phillip, als er die Kopfhörer wieder auf den Ohren hat.

»Kennst du noch Marcel? Der war früher bei mir im Tennisverein. Wir haben uns neulich auf Instagram wiedergefunden und wollten mal zusammen zocken.«

»Ne, kenn ich nicht, ist wahrscheinlich auch ´ne Stufe über mir, oder?«, antwortet Phillip.

»Der geht aufs Otto-Hahn und ist gar nicht bei dir auf der Schule.«

»Naja egal, wichtiger ist, dass der hier bald mal auftaucht.«

Phillip hat gerade fertiggesprochen, als eine neue Nachricht oben rechts auf dem Bildschirm auftaucht: ”Marcel ist jetzt in ihrer Party”

»Party ist eigentlich ein ziemlich unangebrachtes Wort dafür, dass man Schwerverbrechen begeht.«

»Was läuft, was läuft?«, begrüßt der Neue die beiden gut gelaunt, »seid ihr bereit, ein paar Banken um ihr Geld zu bringen?«

»Ja, safe«, antwortet Chris, während auf dem Ladebildschirm ein Räuber mit Clownmaske und schusssicherer Weste erscheint. Er verblasst und der virtuelle Raubzug startet.

»Du bist Marcel, oder?«, fragt Phillip.

»Jep«, antwortet dieser, »Chris hat gemeint, du kommst auch hier aus der Stadt?«

Die Clowns stürmen mit Maschinengewehren in die Bank.

»Genau, aber ich glaub, wir gehen nicht auf dieselbe Schule.«

»Ah ok, ja manchmal ist die Welt doch größer als man immer meint«, sagt Marcel.

»Wie lange seid ihr heute am Start?«, wirft Chris ein.

»Puh – nicht so lange«, meint Marcel, »ich hab nachher noch Training.«

»Ah, du spielst immer noch Tennis? «, fragt Chris.

»Ja, stecken mitten in der Saison. Aber man müsste die Tabelle drehen, um sagen zu können, dass wir erfolgreich wären«, jammert Marcel, »aber wir schweifen ab. Lass mal aufs Spiel konzentrieren! Ich bekomm hier den Tresor nicht auf.«

Eine Stunde später muss sich Marcel mit etlichen, virtuellen Goldbarren in der Tasche verabschieden: »Leute, ich pack´s ins Training. Ach ja Chris, du bist wahrscheinlich nicht in der Stadt, oder?«

»Ne, ich bin am Ende vom Sommer ´ne Woche bei Phil, aber bis dahin hier in Wien.«

»Schade. Hoffentlich sehen wir uns da. Phillip, hat Spaß gemacht, mit dir zu zocken. Wenn du Lust hast, kannst du am Freitag gerne zu meiner Party kommen. Schick mir im Chat deine Nummer, dann füg ich dich in die Gruppe hinzu. Bis dann.«

”Marcel hat die Party verlassen”

Drei Augenblicke später stand es klar und deutlich auf Phillips Display: Du wurdest zu ”5. April Abrissparty” hinzugefügt.

»Scheiße«, fegt es Phillip durch den Kopf, »was soll ich denn da?«

»Na, wann warst du das letzte Mal auf einer Party?«, fragt Chris grinsend.

»Ach halt’s Maul, du weißt doch ganz genau wie oft ich unter feiernden Menschen bin. Außerdem ist am Freitag eh Clantreffen. Kann euch doch nicht im Stich lassen«, sagt Phillip aus voller Überzeugung.

»Phil! Scheiß auf das Clantreffen! Du wirst dahin gehen! Benimm dich mal wie ein Siebzehnjähriger. Wie oft soll ich es dir noch sagen? Du brauchst keine Angst davor haben, wie du auf andere wirkst. Ja, du hast vielleicht andere Interessen. Du bist einfach nur unscheinbar, aber nicht komisch. Du musst mal wegkommen von deinem Schreibtisch. Klar willst du da jetzt nicht hin, aber wenn du in acht Jahren auf die Schulzeit zurückschaust, wirst du denken, dass du was verpasst hast. Glaub mir. Geh hin. Du kennst niemanden außer Marcel. Der wird dich ein paar Leuten vorstellen und so kommst du ins Gespräch. Du trinkst uns beim Pokerabend alle untern Tisch. Klar sind das die Jungs aus dem Clan, aber das funktioniert nicht wirklich anders. Lass den Rollkragenpulli daheim, nimm einen von Supreme aus dem Schrank, zieh deine Nike Air Force an und glaub mir, nach zwei Bier und bisschen Smalltalk regelt sich das alles von selbst!«

»Ja, ich versuch´s«, antwortet Phillip überrascht über sich selbst.

»Aber die Supreme Klamotten in meinem Schrank sind als Wertanlage gedacht und nicht dafür, dass billige Alkopops darin verenden. Die hängen schön in Plastik verpackt an der Kleiderstange«, wirft er frech hinterher.

»Junge, du bist noch nicht mal achtzehn und redest, als ob du schon 'ne Blasenschwäche hättest. Wertanlage. Pff. Dir fehlt es nicht an Geld. Und du holst sie gerne aus dem Schrank, erzähl mir nichts«, antwortet Chris genervt.

»Ja, ich hoffe es wird gut. Wenigstens kann ich dich mitverantwortlich machen, wenn es nicht funktioniert. Und jetzt ab in die Bank, bevor ich nervös werde!«

»Auf gehts.«

Freitagnachmittag. Mit siebzehn Grad und Sonnenschein im Nacken radelt Phillip auf seinem E-Bike vom Nachmittagsunterricht nach Hause. In seinem Kopf macht sich langsam die Angst breit: »Die sind auch schon alle in der Zwölften. Ich will da nicht hin. Ich kenne wirklich niemanden. Ich kann so schon mit den meisten Leuten nichts anfangen. Die denken mit Sicherheit alle, dass ich der nächste bin, der die Schule verriegelt und einem nach dem anderen eine Kugel in den Kopf jagt. Ich hab´ bei solchen Veranstaltungen einfach nichts zu suchen.«

An seinem Computer angekommen, ist Chris zum Glück schon online.

»Junge, du musst mir helfen!«, keucht Phillip immer noch verwirrt.

»Jetzt komm erstmal runter. Wo drückt denn der Schuh?«, antwortet Chris.

»Ich kann da nicht hin. Was soll ich reden? Ich kenne niemanden und bin auch einfach nicht wie die.«

»Phillip! Ich werde dir nicht nochmal sagen, warum du dahin gehen musst. Mach es einfach.«

»Ouh man. Und wann geht man auf 'ne Party?«

»Das kommt ganz drauf an, auf wann eingeladen ist.«

»Acht«, sagt Phillip.

»Dann um neun. Nicht zu früh und nicht, wenn sich alle schon die Laternen ausgetreten haben.«

»Ok, dann habe ich noch den einen oder anderen Banküberfall Zeit.«

»Clantreffen ist eh um acht, da solltest du dich dann mal fertig machen. Ach ja, nimm auf keinen Fall zu viel Parfüm«, wirft Chris noch ein, bevor die beiden sich in ihrem Element verlieren.

Fünf vor neun. Phillip ist mit einer viel zu teuren Flasche Wein auf seinem Fahrrad unterwegs. Einmal quer durch die Kleinstadt bis ins Industriegebiet. Einfamilienhäuser wurden inzwischen abgelöst von Handwerksbetrieben und Lagerhallen, als es steil den Berg hochgeht. Dabei hilft sein E-Bike, dass er nicht völlig verschwitzt ankommt. Auf der Zielgeraden hört man die Musik immer lauter werden. Zur Location geht es Treppen an einem Fabrikgebäude hoch. Nachdem er sein Stahlross an eine Straßenlaterne gefesselt hat, hält er kurz inne: »So schlimm kann es schon nicht werden. Jeder war irgendwann das erste Mal auf einer Party. Bei mir ist dieser Tag eben heute.«

Noch einmal durch die Haare fahren und los geht's. Er läuft an den Leuten, die im Innenhof stehen vorbei, geradeaus auf die Treppe zu. Der Bass kommt ihm entgegen. Das Treppengeländer ist mit einem rot leuchtenden Schlauch dekoriert.

»Ab in die Hölle«, denkt sich Phillip.

Oben angekommen, will er sich erstmal auf die Suche nach Marcel machen.

»Es scheint wirklich eine Abrissparty zu sein.«

Er steht mitten in einer riesigen Wohnung, die offensichtlich im Umbau ist.

»Marcel weiß nicht mal, wie ich aussehe. Fuck. Wie konnte ich so ein Idiot sein und auf den verfickten Chris hören. Party hin oder her. Es ist völlig in Ordnung introvertiert zu sein. Ich gehöre hier nicht hin und deswegen geh ich jetzt auch wieder!«

Sein rechter Fuß setzt gerade zum Umdrehen an, als ein kleingewachsener Typ aus dem Zimmer nebenan in den Flur stürmt. Seine feuerroten, schulterlangen Haare wirbeln bei der Geschwindigkeit umher. Hektisch schaut er links und rechts.

»Du hast nicht zufällig so 'nen Türken gesehen? Schwarzes T-Shirt, viel zu viel Gel in den Haaren und Silberkettchen um?«

»Eh, ne?«, antwortet Phillip überrascht.

»Ok, schade. Hast du Bock Bierpong zu spielen? Bin gleich dran und warte schon ewig.«

Regungslos steht Phillip da und merkt, wie die Weinflasche immer schwerer wird in seiner schweißnassen Hand: »Ich hab` noch nie

Bierpong …«

»Scheiß egal, komm jetzt. Die andern sind gleich fertig«, lallt der Unbekannte und zerrt ihn in das Zimmer neben der Treppe.

Auf einmal findet er sich zwischen etwa fünfzehn Leuten wieder. Das Zimmer hat beigefarbene Wände, von denen sichtbar die Tapete gekratzt wurde und eine Glühbirne an Drähten sorgt für die nötige Beleuchtung. In der Mitte des Raumes steht ein Bierpong Tisch, gebaut aus etlichen Bierkisten und der offensichtlich fehlenden Tür des Raumes. Der Teamkamerad stellt sich neben die Platte. Phillip stellt sich intuitiv daneben, seine Weinflasche fest im Griff.

»Wir haben uns gar nicht vorgestellt. Ich bin Manu.« Er streckt Hand aus.

»Phillip«, meint dieser unsicher und schüttelt sie.

»Freut mich! Und, ach ja, nicht so schlimm, wenn du kein Profi bist. Einer im Team reicht.«

»Ganz schön überheblich. Aber mit mir hat er wirklich ´ne Niete gezogen. Hätte er mal lieber seinen Kumpel gesucht. Dann wär ich jetzt wahrscheinlich schon zuhause«, denkt sich Phillip nervös.

Er schaut sich im Raum um. Jeanshosen und Lederjacken lassen ihn in einen Film aus der Vergangenheit eintauchen. Er selbst kommt sich fehl am Platz vor, in seinen Designerklamotten. Das alles ändert nichts daran, dass er sich nicht erinnern kann, schon mal einen Tischtennisball in der Hand gehabt zu haben. Das laufende Spiel ist spannend. Beide Mannschaften haben noch einen Becher vor sich stehen. Als endlich eines der Teams den Ball im Bier versenkt, füllt sich der Raum mit Lärm.

»Wir fangen an!«, brüllt Manu gegen die Geräuschkulisse an, und läuft auf die Seite der Verlierer. Phillip hinterher.

»Hier, mach die mal auf und schenk ein«, befiehlt Manu, nachdem er mit einer Hand zwei Bier aus dem danebenstehenden Kasten genommen hat.

»Zum Glück kann ich saufen«, denkt sich Phillip, während er das eine Bier mit dem anderen aufmacht.

»Hast du ´n Feuer?« fragt Phillip Manu.

»Logisch«, antwortet dieser, während er in seiner Hosentasche rumkramt.

Phillip kippt das Bier in die dunkelblauen Becher.

»Los gehts! Du fängst an«, sagt der Rotschopf und drückt Phillip einen orangefarbenen Ball in die Hand. Die Gegner kommen kurz vorbei und wünschen mit Faustschlag ein gutes Spiel. Er wischt seine schweißnassen Hände an der Hose ab. Die Zeit ist wie angehalten. Langsam schweift sein Blick nochmal durch den Raum. Jeder schaut ihn an. Alle Gespräche sind unterbrochen. Sein Herz klopft bis an die Schädeldecke. Er setzt zum Wurf an. In Zeitlupe fliegt der Ball über den Tisch. Vorbei an der gegnerischen Pyramide. Phillip fällt ein Stein vom Herzen, runter in den Marianengraben. Da er immerhin den Tisch getroffen hat, blamiert er sich nicht bis auf die Knochen. Manu trifft auch nur den Becherrand.

Nach und nach entwickelt Phillip immer mehr ein Gespür dafür, den Ball in die Becher zu werfen. Damit sinkt auch sein Puls und Gelassenheit macht sich breit. Nicht ganz unschuldig ist auch der Alkohol, der anfängt in seinen Adern zu zirkulieren.

Die Gegner haben noch vier Becher vor sich stehen. Phillip hat auch einen getroffen. Bei ihm und Manu stehen nur noch zwei Becher, was bedeutet, dass sie am Verlieren sind.

»Los komm, wir schaffen das!«, feuert Manu ihn an. Phillip wirft über den Tisch, den Gegnern direkt in die Hand.

»Schade!«, sagt Manu und setzt zu seinem Wurf an und trifft.

»Yes!«, schreit er energisch und hebt die Hand zum High Five, aus dem eine Umarmung wird.

»Dass man sich so über ein Spiel freuen kann. Wobei, vor dem Computer kann ich das auch.«

Phillip hat seinen Gedanken noch nicht mal richtig zu Ende geführt, als es laut im Raum wird.

»Der Nächste bitte!«, ruft das Mädchen aus dem anderen Team provokant.

Die Gegner haben beide Becher getroffen.

»Naja, auch egal! Saufen!«, brüllt Manu und schiebt Phillip einen der Becher zu, der noch auf dem Tisch steht. Die Rivalen bringen noch die anderen vier Becher. Manu teilt alles auf zwei auf und sagt mit lauter Stimme: »Ex!«