Aus der Dunkelheit ans Licht. Wenn Angst zur Krankheit wird - Roland Rosinus - E-Book

Aus der Dunkelheit ans Licht. Wenn Angst zur Krankheit wird E-Book

Roland Rosinus

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Beschreibung

Angst ist wahrscheinlich das älteste und intensivste Gefühl des Menschen. Von ihrem Wesen her ist sie nichts Krankhaftes, sondern übt im Gegenteil eine Schutzfunktion aus. In Gefahrensituationen löst Angst bestimmte bio-chemische Prozesse im Körper aus, die uns in die Lage versetzen, schnell zu reagieren und uns zu verteidigen oder zu fliehen. Zur Krankheit wird Angst, wenn der Betroffene selbst objektiv unbedrohliche Situationen wie das Steigen auf einen Turm oder ein geselliges Beisammensein mit Arbeitskollegen als »gefährlich« beurteilt und die Angstreaktionen dann unwillkürlich ablaufen und sich verselbständigen. Oft bestimmt die Angst bald jede nur denkbare Lebenssituation in einem solchen Maße, daß dem Betroffenen ein normales Leben nicht mehr möglich ist. Inzwischen leidet jeder dritte Bundesbürger an einer Angsterkrankung – doch die wenigsten sprechen darüber. Angst gilt in unserer leistungsorientierten Gesellschaft als Schwäche, und Hilfe suchen die meisten, wenn überhaupt, nur heimlich. Über Angst muß endlich gesprochen werden, meint Roland Rosinus, einer von vielen, die es mitten in einem erfolgreichen Berufsleben »erwischte«, und verzichtete konsequent auf die Verwendung eines Pseudonyms für dieses Buch. Sein offener Erfahrungsbericht macht allen Betroffenen Mut, sich ihrer Angst zu stellen und die vielen Möglichkeiten zu nutzen, die dem Angsterkrankten heute zur Verfügung stehen.

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Vorwort

Einleitung

Der Zusammenbruch – Wie alles anfing

Arzt oder Heilpraktiker?

Verlauf der Erkrankung und Erklärungsversuche

Wissenswertes zum Thema Angst

Angst als Urgefühl

Bio-chemische Prozesse

Angstsymptome

Angst als Krankheit

Angst / Depression

Der Angstkreislauf und die

Angst vor der Angst

Formen der Angst

Folgen der Erkrankung und Reaktionen des sozialen Umfeldes

Mein persönliches Angstbewältigungstraining

Diagnose “Angsterkrankung” – was nun?

Bestandsaufnahme

Positive und negative Aspekte – eine Gegenüberstellung

Die ersten Bausteine

Informationen über Angst immer wieder lesen

Fachliche Hilfe annehmen

Die Angst akzeptieren

Die Funktion der Angst

Austausch mit Betroffenen

Das Versteckspielen aufgeben

Vermeidungen aufgeben

Führen eines Angsttagebuches

Beispiel

Durchführen von Angstübungen (Grundsatz der Schriftlichkeit)

Vorbereitung der Angstübungen

Die Regeln der Angstkonfrontation

Eine Angstübung in der Praxis

Ein weiteres Beispiel

Panikregeln

Angstübungen zu Hause

Schritt für Schritt die Angst verlieren

Mit seiner Energie haushalten

Weitere Möglichkeiten zur Verbesserung des Energiehaushaltes

Die Realität sehen

Realistische Ziele setzen

Verzicht auf Medikamente und Alkohol

Das Arbeiten an meinem Ich-Bild

Die Veränderung des Selbstgespräches

Überprüfung meiner Einstellungen zum Leben

Wie sieht eine Einstellungsänderung in der Praxis aus?

Ein praktisches Beispiel

Wahrnehmen, was ich denke und sage

Stop-Sätze

Sprechen mit der Angst

Spiegelarbeit

Vorstellungsübungen

Affirmationen

Schuldgefühle aus seinem Leben verbannen

Sozialcourage – Selbstsicherheit im Alltag

Beispiele für Wollen und Nichttun / Nichtwollen und Tun

Entspannungsübungen

Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen

Praktische Übungsanleitung

Die muskuläre Entspannung in gedanklicher Form

Autogenes Training

Sonstige Entspannungsübungen

Entspannen mit Musik

Atemübungen

Gestalttherapie

Sport

Sauna

Körperpflege

Liebevolle Beziehungen

Mit dem Partner

Partnerschaft mit den Kindern

Ein guter Freund – eine gute Freundin

Herzlich und höflich sein

Loslassen

Mit Haßpersonen ins Reine kommen

Das Gebet

Noch ein paar Anregungen

Etwas ausprobieren – “verrückte” Dinge tun

Angstbewältigung – Vorsicht, Glatteis!

Die Stufen der Angstbewältigung

Die 5 Phasen des Umlernens

Selbstzweifel

Stillstand – Rückschritt – Fortschritt

Perfektion bei der Heilung – Vorsicht!

Verhaltensänderung und Umfeld

Angst und Sport

Angst und Gesellschaft

Schlusswort

Für Erfahrungsaustausch und den Bezug der Kassette

Besuchen Sie mich im Internet

Literaturhinweise

VORWORT

Menschsein heißt frei sein, frei sein von allen Zwängen und Unterdrückungen – gemeint sind hier nicht nur körperliche, sondern ganz besonders seelische “Erdrückungen”. Angst ist ein ungeheurer Druck, eine Pein, die das Leben unfrei und erdrükkend macht.

Franz von Assisi hat das schöne Wort geprägt:

Tue erst das Notwendige,dann das Mögliche,und plötzlich schaffst Du dasUnmögliche!

Roland hat dies getan: Er hat sich geöffnet (das moderne Wort heißt: geoutet) – er hat seiner Umwelt seine Angst kundgetan – und so schaffte er das “Unmögliche”: seine Heilung!

Einige Menschen waren für ihn Licht. Bruder Alexander hat einmal gesagt: “Wo Licht ist, muß Finsternis weichen.”

Ein Mensch, der Angst hat, lebt in der Finsternis. Wer Angst hat, darf nicht einfach mit Medikamenten (Sedativa) ruhig gestellt werden – er braucht Menschen und Gespräche.

Wer Angst hat, suche sich und öffne sich solchen Menschen, die Zeit haben für Gespräche.

Franz-Josef KleinHeilpraktiker

Sich selbst finden heißt…die Angst vor dem Leben überwinden.Anonym

EINLEITUNG

ANGST!!! Nichts be-HERR-schte mich die letzten 10 Jahre mehr als dieses Gefühl. Sie schnürte mir die Kehle zu, ließ mein Selbstbewußtsein gegen Null sinken. Sie nötigte mich zum Rückzug von Menschen, selbst von denen, die ich liebe oder mag.

Sie bescherte mir Körpergefuhle von einer nie gekannten Intensität. In Situationen der Panik glaubte ich sterben zu müssen. Angst begleitete mich den ganzen Tag: Angst, Angst, Angst, morgens wenn ich aufwachte, den Tag über im Beruf und in der Familie und abends beim Schlafen gehen. Ich hoffte abends, sie möge verschwinden, doch morgens war sie pünktlich wieder da, so, als wollte sie mich an etwas erinnern.

Erinnern Sie sich an das Vorwort von Herrn Klein: Wer Angst hat, öffne sich und suche Menschen, die Zeit für Gespräche haben.

Ich danke diesen Menschen, die Zeit für mich hatten. Von Mit-Betroffenen habe ich am meisten gelernt. Ich schrieb dieses Buch für Menschen, die angstkrank sind. Ich erzähle meine Geschichte schonungslos offen. Das Buch erhebt keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und Vollständigkeit. Vielmehr möchte ich aus der Sicht eines Betroffenen zeigen, wie eine Angstkrankheit entstehen kann, wie sie sich hält, aber auch, wie ich mit ihr umgehen kann. Angst ist heilbar. Es ist ein langer Weg, auf den ich mich begeben habe. Die Chance und der Glaube, daß sich der Weg lohnt, ist meine Motivation. Ich kann nur gewinnen.

Ich würde mich freuen, wenn meine Geschichte anderen Menschen helfen könnte, sich ebenfalls auf den Weg zu machen.

Wenn die Hoffnung aufsteht,legt sich die Verzweiflung schlafen…Unbekannt

DER ZUSAMMENBRUCH – WIE ALLES ANFING

In meinem Kopf ist ein Datum wie mit Leuchtziffern eingebrannt: 05. November 1996.

Ein Jahresrückblick zeigte mir, wie viel ich mir wieder zugemutet hatte. Ich hatte einen Posten als Gewerkschaftsvorsitzender angenommen, war als Dozent für Entspannungsübungen an der Volkshochschule tätig und leitete als Trainer eine Lehrer-/Eltern-Gruppe.

Mein Beruf als Polizeibeamter in leitender Position im Wechseldienst forderte mich voll. Zum Ausgleich “ein wenig Sport”, ehrgeizig und verbissen: Tennis, Tischtennis, Laufen, Fußball. Ja – und irgendwo war da noch meine Familie.

Ich versuchte allen gerecht zu werden, nur mir nicht. Nach außen hin wirkte ich souverän und ausgeglichen, doch innen brodelte es bereits. Mein Verstand sagte mir: Roland, brems!, doch ich konnte oder wollte die Bremse nicht finden.

Bis ich an jenem 5. November jäh gestoppt wurde. Ich hatte Frühdienst, eigentlich ein Tag wie jeder anderer. Eigentlich? In der Nacht hatte es stark geschneit, für saarländische Verhältnisse Winter pur.

Ich war alleine und saß am Leitpult der Polizei. Die Kollegen fuhren von einem Verkehrsunfall zum nächsten. Als Dienstgruppenleiter bin ich sehr oft alleine mit den 4 Telefonen, 3 Funkgeräten, der Bank- und Brandmeldeanlage und einigen Haus- und Türdrückern. Empfangen, Betreuen und “Verteilen” des Publikumsverkehrs gehörte ebenfalls zu meinen Aufgaben.

An diesem Morgen standen die Telefone nicht still. Jeder Bürger wollte wissen, welche Straßen gesperrt sind, natürlich den nächsten Weg unter diesen Umständen und warum der Streudienst immer zuletzt in ihrem Viertel auftauche, obwohl er schließlich auch seine Steuern bezahle.

Mir wurden wegen Sperrungen, aber auch NichtSperrungen Dienstaufsichtsbeschwerden angedroht von Leuten, die nach eigenen Angaben beste Beziehungen nach “oben” hätten. Ich würde schon sehen, wo ich hinkäme.

Für einen Polizisten Realität, ein normaler Alltag mit Schwierigkeiten, deren Bewältigung mit entsprechender Gelassenheit möglich sein müßte. Ich möchte auch nicht falsch verstanden werden: Ich liebe meinen Beruf und gab ihm nicht die Schuld an meiner Erkrankung. Ich denke sogar, der Beruf ist austauschbar: Krankenschwestern, Lokführer, Lehrer, Sprengmeister, Versicherungsangestellte… u.v.a.

Doch heute kroch in mir das Grauen hoch, jeder Anruf ließ meinen Adrenalinspiegel steigen. Ich war nervös, unruhig, zuckte unaufhörlich und wurde zunehmend aggressiv und hilflos. Alles schien mir über den Kopf zu wachsen. In mir schrie etwas: Aufhören! Laßt mich in Ruhe! Bitte keine Anrufe mehr! Doch die nächsten Anrufe kamen… gleichzeitig… immer wieder und wieder… “Man müßte mehr tun in der Kreisgruppe der Gewerkschaft”, meinte ein Anrufer, und ein Bürger wollte wissen, ob der Flughafen Saarbrücken vereist sei, der nächste verlangte einen Soforteinsatz, weil Kinder auf seinem Bürgersteig Schlitten fuhren.

Schließlich kamen die Kollegen von ihren Einsätzen zurück. Von Entlastung keine Spur, jetzt begann ihre Schreibarbeit. Plötzlich bekam ich von meinem Körper eine Lektion erteilt, die ich so schnell nicht vergessen sollte. Daß ich in diesem Moment immer noch versuchte, souverän zu bleiben, obwohl alles um mich herum schwankte, gehört wohl zum Krankheitsbild der Angst. Jedenfalls wurde mir plötzlich übel, der Körper erstarrte regelrecht. Es war, als würden tausend Stromstöße meinen Körper lähmen. Ich dachte noch: Jetzt ist alles aus, krallte mich an den nächsten Kollegen und hielt mich fest. Ich hatte keinen Boden mehr unter den Füßen. Als die Kollegen die Lage erfaßt hatten, stützten sie mich und setzten mich auf die Eckbank im Sozialraum. Der Spuk dauerte fünf Minuten, dann war er vorbei. Doch der Eindruck war so nachhaltig, daß er mein ganzes Leben verändern sollte. Zurück blieb unmittelbar danach eine große Angst. Ich zuckte und zitterte am ganzen Körper, hatte Angst, einen Herzinfarkt zu erleiden, und dachte pausenlos nur: Was war das? Meine Gedanken hämmerten. Nachdem ich mich einigermaßen beruhigt hatte, fuhr mich ein Kollege zu meinem Hausarzt. Das Ergebnis war verwunderlich: EKG in Ordnung, normaler Blutdruck, ohne Befund. Ich bekam eine Beruhigungsspritze.

Doch mein Leben war aus den Fugen. Ich hatte eine Panikattakke erlitten (das erfuhr ich erst später). Wer jemals eine solche Panikattacke erlebt hat, denkt nur noch: So etwas will ich nicht noch einmal haben. Genau diese Denkweise nährt den nächsten Anfall, in immer kürzer werdenden Abständen.

Ich schleppte mich so über den Jahreswechsel hinaus, begleitet von düsteren Gedanken, depressiven Phasen und dem Bewußtsein Es wird immer schlimmer.

Ab 08. Januar 1997 – knapp 2 Monate nach dem ersten Anfall – besuchte ich ein Gewerkschaftsseminar. Vielmehr, ich wollte! Ich bemerkte gleich die Gegenwehr meines Körpers. Ich konnte mich nicht konzentrieren, zuckte und würgte. Die Themen, die mich sonst interessierten, kotzten mich nun regelrecht an. In einer Pause konnte ich die Kontrolle über mich nicht mehr aufrecht erhalten. Ich weihte den Landesvorsitzenden ein, packte meine Sachen und fuhr nach Hause.

Tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf. Am ausgeprägtesten waren die Gedanken, versagt zu haben. Zukunftsangst – Was wird aus mir? Was wird aus meiner Familie, unserem Haus, wenn ich nicht mehr arbeiten kann? Werde ich verrückt? – war ab sofort mein ständiger Begleiter. In meinem Kopf spielten sich nur noch Katastrophen ab. Am größten war die Angst zu sterben.

Der Hausarzt erschien, wollte mich für sechs Wochen in die Psychiatrie einweisen. Meine Therapeutin (denn ich war zwischenzeitlich in psychotherapeutischer Behandlung) machte mir Mut, es noch mal mit einer ambulanten Therapie zu versuchen.

Ich war dienstunfähig. Ich bekam starke Beruhigungsmittel, die die Angst lösten. Die Entspannung war trügerisch, betäubte nur die Gefühle.

Meiner Ehefrau und den Kindern sah ich ihr Entsetzen an. Doch meine Frau ließ den Kopf nicht hängen, kämpfte. Meine Eltern und Schwiegereltern verstanden die Erkrankung nicht, waren ratlos. Wie auch?! Freunde und Sportkameraden waren fassungslos. Wer? Roland? Der doch nicht! Ein so ruhiger und ausgeglichener Mensch!

Ich mochte niemanden sehen und nicht weggehen. Ich schlief nicht mehr gut, schreckte hoch, hatte Träume voller Müll. Nach nächtlichen wilden Zuckungen hielt ich mich krampfartig am Bettkasten fest, in der Erwartung, jederzeit einen Herzinfarkt zu bekommen. Ich dachte, ein Körper kann das doch nicht aushalten. Ich hatte Angst, die Kontrolle zu verlieren, Angst, verrückt zu werden, Angst zu sterben, Angst, Angst, Angst… nur noch Angst.

Fünf Minuten Besuch, selbst von mir geliebten Menschen, gingen an den Rand meiner Kräfte.

Kein Autofahren, kein Sport. Es war schrecklich, alleine zu sein. 10 Minuten am Abend spazieren zu gehen verlangte mir meine ganze Kraft ab. Ich hatte keine Energie mehr. Ich dachte: Hoffentlich bleibt keiner bei mir stehen, ich schwanke, ich falle um. Dann käme der Krankenwagen. Das wäre schrecklich. Wie peinlich! Ich kann nicht mehr stehen. Es war, als würde sich eine Erdspalte auftun. Festhalten, nur noch festhalten!

Ich hatte auch den Eindruck, den Tag nicht zu schaffen. Nur zwei Stunden nach dem Aufwachen schaute ich auf die Uhr, verstand nicht, warum ich schon wieder erschöpft war. Ich flüchtete mich häufig in einen oberflächlichen Schlaf.

Die Zeit zu Hause wurde mir zu lang. Ich wurde zunehmend ungeduldiger. Ich starrte die Wand an. Ich dachte an Selbstmord, machte aber nie Anstrengungen, den Gedanken in die Tat umzusetzen. Das war nicht mein Ding!

Zeitweise ging es auf und ab. Der verhängnisvolle Satz “Du bist aber blaß!” ließ mich direkt wieder abstürzen.

Und dennoch! Ich gab nicht auf. Einem “Widder” sagt man ja nach, daß er sich immer wieder aufrichtet, wenn er wie ein Käfer auf dem Rücken liegt.

Ich fing langsam an, unter die Leute zu gehen. Ein kurzer Einkauf, die Spaziergänge wurden wieder länger. Ich durfte mir nicht zu viel zumuten.

Ein Besuch auf der Dienststelle brachte mir einen Schweißausbruch ein. Ich zitterte leicht.

Zu diesem Zeitpunkt fing ich an, mich mit meiner Krankheit auseinanderzusetzen. Ich holte meine Tochter ab, obwohl ich panische Angst davor hatte. Ich stellte mir das Schlimmste vor, was passieren könnte, es war aber gar nicht so schlimm. Zudem traten die Katastrophen im Kopf nie wirklich ein.

Meine Frau nahm mir den Ernährer- und Beschützerdruck: “Wir gehen nicht unter, egal, was passiert!” Meine Stimmungen waren zwar schwankend, aber ich wurde insgesamt optimistischer. Nach schlechten Tagen folgten jetzt wieder bessere. Ich konnte auf einen Geburtstag gehen und auch wieder geringfügig Sport treiben.

Hatte ich mich vorher versteckt und geschauspielert, akzeptierte ich nun nach und nach, daß ich krank war. Ich öffnete mich gegenüber meinem Umfeld und erzählte von meiner Krankheit. Für manche Menschen schien dies wie eine Befreiung gewesen zu sein, kamen sie doch nun ebenfalls aus der “Böschung”. Ich erfuhr: viele Menschen haben Angst und körperliche Streßreaktionen.

Zwar noch schwach ausgeprägt, kam mir der Gedanke, daß die Angst ein Warnsignal war, also eine Funktion hatte. Wahrscheinlich sollte ich mich mehr um mich kümmern, Prioritäten setzen.

Während dieser Phase kam der Vorschlag meiner Therapeutin, in einer Fachklinik eine stationäre Therapie zu beginnen. Ich überlegte, stimmte zu. Ich sah die Chance, mit fachlicher Hilfe mein Leben positiv umzukrempeln.

Ich glaube, ich habe diese Chance gut genutzt!

Lieber Leser, mit dieser ausführlichen Schilderung wollte ich Ihnen (und mir selbst noch einmal) praktisch vor Augen führen, wie es zu einer Angsterkrankung kommen konnte. Vielleicht gibt es ja Parallelen zu Ihrem Krankheitsverlauf. Ging es Ihnen auch so? Schon beim Lesen dieses Kapitels wurde ich auf Dinge aufmerksam, die ich vorher nicht bewußt wahrgenommen hatte: Selbstüberschätzung, Raubbau mit der eigenen Energie, zu hohe Erwartungen, Vernachlässigung der Familie… Na, dämmerts?

Auf jeden Fall habe ich beim Schreiben den Eindruck gehabt, die Geschehnisse neu aufleben zu lassen. Ich war ganz schön nervös und habe gezittert. Später wurde ich ganz ruhig.

Die folgenden Kapitel sind ein Resümee meiner Arbeit. Ohne meine Therapeuten wäre ich noch nicht so weit. Aber die Arbeit beinhaltet auch, irgendwann einmal “frei zu schwimmen”. Die Arbeit an sich selbst stellt den größten Part. Es ist so, als machte ich den Führerschein und müßte nun lernen, Auto zu fahren.