Aus dunklen Federn 2 -  - E-Book
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Beschreibung

Gänsehaut und Horrorfreuden: Erleben Sie mit „Aus dunklen Federn 2“ Schauergeschichten, feinsten Splatter und dunkle Fantasien als eBook bei dotbooks. Wenn die helfende Hand, die du hoffnungsvoll ergreifen willst, messerscharfe Klauen hat … Die kleine Anna ist mutterseelenallein und wünscht sich von ganzem Herzen einen Freund. Ein freundliches Ehepaar will nicht länger die Schikanen ihres sadistischen Nachbarn hinnehmen. Yvonne flieht vor dem Alltagsgrau in eine Fantasiewelt, in der sie eine mutige Heldin ist. Doch sie alle ahnen nicht, welche grausamen Folgen dies für sie haben wird! Die Bestsellerautoren Markus Heitz und Kay Mayer, Thomas Finn, Boris Koch und viele andere öffnen die Türen der Realität – und entfesseln in ihren meisterhaften Horror-Storys, die ungeahnten Schrecken, die in der Dunkelheit lauern. Ein faszinierendes, abgründiges Lesevergnügen für alle, denen Rabenschwarz schon immer lieber war als Glitzerrosa …

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Seitenzahl: 390

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Über dieses Buch:

Wenn die helfende Hand, die du hoffnungsvoll ergreifen willst, messerscharfe Klauen hat …

Die kleine Anna ist mutterseelenallein und wünscht sich von ganzem Herzen einen Freund. Ein freundliches Ehepaar will nicht länger die Schikanen ihres sadistischen Nachbarn hinnehmen. Yvonne flieht vor dem Alltagsgrau in eine Fantasiewelt, in der sie eine mutige Heldin ist. Doch sie alle ahnen nicht, welche grausamen Folgen dies für sie haben wird!

Die Bestsellerautoren Markus Heitz und Kay Mayer, Thomas Finn, Boris Koch und viele andere öffnen die Türen der Realität – und entfesseln in ihren meisterhaften Horror-Storys die ungeahnten Schrecken, die in der Dunkelheit lauern. Ein faszinierendes, abgründiges Lesevergnügen für alle, denen Rabenschwarz schon immer lieber war als Glitzerrosa …

Über die Herausgeberin:

Sonja Rüther, geboren 1975 in Hamburg, betreibt in Buchholz/Nordheide einen Kreativhof (»Ideenreich – der Kreativhof«) und den Verlag »Briefgestöber«.

Bei dotbooks veröffentlichte Sonja Rüther bereits die Thriller »Blinde Sekunden« und »Tödlicher Fokus«, die Horror-Story »Eine Spur aus Frost und Blut« sowie die von ihr herausgegebene Anthologie »Aus dunklen Federn«, in der neben ihr auch Autoren wie Markus Heitz, Kai Meyer, Boris Koch und Thomas Finn ihre schwärzesten Seiten zeigen.

Die Website der Autorin: www.briefgestoeber.de

Die Autorin im Internet: www.facebook.com/sonja.ruther.1

Informationen über die Autoren dieser Anthologie finden Sie am Ende dieses eBooks.

***

eBook-Lizenzausgabe April 2016

Copyright © der Print-Originalausgabe 2016 Briefgestöber, Buchholz/Nordheide. Das Copyright der einzelnen Beiträge liegt beim jeweiligen Autor; die Nutzung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Autoren.

Copyright © der eBook-Lizenzausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Alex Malikov.

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-626-3

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Aus dunklen Federn 2

Horror-Stories von Markus Heitz, Kai Meyer, Thomas Finn und vielen anderen

herausgegeben von Sonja Rüther

dotbooks.

Inhalt

Vorwort

Hanka Jobke Maschas Schuhe

Christian von Aster Der Groll

Nicole Zöllner Photosynthese

Thomas Finn Meister Calamitas’ erstaunliche Kuriositäten

Vincent Voss Der flüssige Bob

Markus Heitz Gesprächsfetzen

Boris Koch Im Haus des toten Clowns

Stefan Cernohuby Mein anderes Ich

Sonja Rüther Elefantenfriedhof

Thomas Lisowsky Chupa

Kai Meyer Schau hin!

Hanka Jobke Die Welt am Abend

BONUS

Thomas Finn Der Schrei

Boris Koch Die Hexe und der Folterknecht

Vincent Voss Frühlingserwachen

Sonja Rüther Peter

Die Gesichter hinter den Geschichten

Nicole Zöllner

Vincent Voss

Sonja Rüther

Kai Meyer

Vorwort

Als ich 2014 Aus dunklen Federn herausgab, wurde ich oft gefragt, warum ich das überhaupt mache. Es hieß, das sei eine zeitaufwendige und nervenaufreibende Aufgabe. Es hieß, kein Mensch wolle Anthologien lesen geschweige denn kaufen, weshalb die Publikumsverlage die Finger davon ließen. Es hieß, was Hänschen nicht mag, mag Hans nimmermehr …

Nun, ich machte es trotzdem und wurde von der Leserschaft schlichtweg beeindruckt, die mit Begeisterung beides tat: kaufen und lesen.

Meine Liebe zu dieser ganz besonderen Kunstform der Literatur wurde geteilt und mit Aufmerksamkeit bedacht. Ein größeres Lob gibt es nicht! Deshalb möchte ich mich als Erstes bei euch bedanken, liebe Leserinnen und Leser: Vielen Dank für den Kauf eines Buches oder eBooks, für das Feedback in Form von Zuschriften, Rezensionen, Blogeinträgen und Weiterempfehlungen und natürlich für eure Begeisterung für Literatur! Ich hoffe, euch wird auch der zweite Teil gefallen.

Ziel der ersten Anthologie war es, mit geschätzten Kolleginnen und Kollegen zusammenzuarbeiten und dem Buch als Print- sowie als eBook-Ausgabe eine ganz persönliche Note zu geben. Beides hat sich so gut bewährt, dass ich auch diesmal meinen Autoren und Autorinnen so manches Augenrollen abgerungen habe. »Könntest du noch dies … und jenes …? Ich brauchte noch …« Für die tapfere Erfüllung meiner Wünsche möchte ich mich herzlich bei allen Beteiligten bedanken! Ich weiß, wie wenig Zeit viele von ihnen hatten, und trotzdem konnte ich mich auf sie verlassen.

Auch bei dieser Ausgabe habe ich nur ein Thema vorgegeben: Horror.

Ich mag die vielfältige Interpretation, weswegen ich den Autoren und Autorinnen gern freie Hand lasse. Für die einen ist Horror Splatter, für andere reicht das Kratzen mit Fingernägeln auf einer Tafel, um eine eisige Gänsehaut zu bekommen. Wieder anderen genügen die Titelbilder, die auch dieses Mal von den Autoren und Autorinnen selbst gestaltet wurden – auch dafür ein doppelt und dreifaches Danke!

Die eBook-Ausgabe von Aus dunklen Federn 2 hat wie sein Vorgänger bei dotbooks ein liebevolles Zuhause gefunden. Hand in Hand mit einem der aktuell erfolgreichsten eBook-Verlage Deutschlands zusammenzuarbeiten, ist außerordentlich bereichernd. Das gilt auch für die Zusammenarbeit mit Hanka Jobke (Lektorat) und Veronika Preisler (Satz). Ich muss es an dieser Stelle mal sagen: Arbeiten an Profis abzugeben und zu sehen, wie alles reibungslos funktioniert, ist ein absolutes Vergnügen.

Noch eine Besonderheit ist, dass in jeder Ausgabe eine Geschichte von einer Debütantin (ja, bislang sind es nur Frauen, aber das kann sich ja noch ändern) veröffentlicht wird. Diesmal ist dies Nicole Zöllner, die mir schon seit Jahren mit ihrem bildgewaltigen Horror eine Gänsehaut verschafft. Ich wünsche ihr, dass dies der Auftakt zu vielen weiteren Veröffentlichungen sein wird.

Sonja Rüther

Und nun wünsche ich angenehmes Gruseln und reiche die Feder weiter an …

Hanka Jobke Maschas Schuhe

Mascha hatte einst für ihren Traum, Prinzessin zu werden, einiges aufgegeben. Den großen Zeh ihres linken Fußes, um genau zu sein. Und weil das ja nicht aussah, schnitt sie sich den rechten Zeh auch gleich mit ab. Nun hatte das mit dem vermaledeiten Schuh aber irgendwie trotzdem nicht hingehauen, und statt Prinzessin zu werden, musste Mascha sich einen anderen Beruf suchen. Sandalenmodell kam nicht mehr in Frage, auch Kellnerin und Stewardess waren eher schwierig. Lackschuhe schmerzten, Sneakers drückten, Flipflops saßen nie.

Doch schließlich fand Mascha ein Paar Schuhe, das ihr hervorragend passte; Schuhe, die von vornherein zehenfeindlich konzipiert worden waren. So ging Mascha also ans Bolschoi-Ballett und tanzte dort George Balanchines Rubine

Christian von Aster Der Groll

Tief im Moor, da haust der Groll,

den kann ein jeder wecken,

er ist von Blut- und Mordlust toll,

von Tod und Furcht und Schrecken …

Als die Hartmanns nach Hornmoor zogen, war es vor allem der Kinder wegen.

Robert Hartmann, der junge Familienvater, war Architekt, befasste sich vorrangig mit dem Abreißen alter Häuser und verdiente sein Geld mit dem Rückbau großer Gebäude, deren Wände voll von Asbest und anderem giftigen Zeug waren. All das musste ordentlich entsorgt und der Rest so weit wie möglich verwertet werden. Dafür brauchte es jemanden, der sich mit Baustoffen auskannte. Jemanden wie Robert Hartmann. Da ein solcher Rückbau aber nicht selten einiges an Zeit in Anspruch nahm, sah der Vater seine Kinder mitunter für ein halbes Jahr lediglich am Wochenende.

Seine Frau Ruth hatte ihre kleine Naturheilpraxis verkauft und beschlossen, nur noch für ihre Familie da zu sein und sich dabei noch ein wenig selbst zu verwirklichen. Und darum hatten die Hartmanns nun, kaum dass die Zwillinge Tim und Marvin drei waren, beschlossen, aufs Land und nach Hornmoor zu ziehen. Damit die Kinder es gut hatten, draußen spielen konnten und nicht jede Woche auf dem Schulhof abgezogen wurden.

Auf dem Land waren die Dinge anders. Dort gab es kaum Asbest und viel Ruhe. Und seltsame Fabelwesen wie den Groll. Das wusste Ruth Hartmann genau, weil sie doch selbst in der Gegend von Hornmoor aufgewachsen war. Damals hatte ihre Großmutter ihr abends Geschichten erzählt, während ihr kleiner roter Kater Mikesch neben ihr auf dem Kissen schnurrte. Und obwohl der Kater und ihre Großmutter längst tot waren, dachte Ruth Hartmann immer noch gern an ihre Kindheit in Hornmoor zurück.

Tatsächlich hatte sie dort unten sogar noch Freunde: Maik und Karen Gerber wohnten auf einem alten Bauernhof am Ende des Ortes, wo sie Wurst und Käse von glücklichen Tieren verkauften. Mit solchen Freunden in einer Gegend, die man noch von früher kannte, so dachten die Hartmanns, würde es schon nicht so schwer werden, auf dem Lande Fuß zu fassen.

Schließlich steckten sie ihre gesamten Ersparnisse in ein altes Häuschen im Schatten einiger Birken am Rand des Moores. Und obwohl es schon einige Jahre leer stand, musste Robert Hartmann an dem Haus selbst nicht viel machen. Sogar das dazugehörige Gartenhaus, in dem er seiner Frau eine kleine Töpferei einrichtete, war beinahe völlig intakt. Während sie in dem Haus lebten, konnte sie in der Töpferei ungestört ihren Esotick ausleben. Jeder würde seines und gemeinsam würden sie ihres haben. Alles in allem schien es der perfekte Ort, um zusammen alt zu werden und Kinder großzuziehen. Wäre nicht Herr Gärich gewesen.

Kaum, dass die Hartmanns ihr Häuschen fertig ausgebaut hatten, gaben sie ein Einstandsfest, zu dem sie das ganze Dorf einluden. Alle kamen, und jeder brachte etwas mit. Bis auf Herrn Gärich. Und schon da hätte die kleine Familie ahnen können, dass sie mit diesem Mann, der – wie sich bald schon herausstellte – zu allem Überfluss ihr Nachbar war, noch einige Probleme haben würden.

Abends dann, als die Hartmanns die Zwillinge ins Bett gebracht und die Stereoanlage im Garten aufgestellt hatten, tanzten sie mit den Gästen und feierten ihren Einstand im beschaulichen Hornmoor. Die Stimmung in ihrem kleinen Gärtchen war ausgelassen. Die Alten tanzten mit den Jungen, die wiederum mit den Jüngeren scherzten, und es war ein Fest der Generationen, das dort am Rand des Moores stattfand.

Irgendwann kam die kleine Frau Kubizcka, die für das üppige Büfett eine Schale hochprozentiger Waldmeisterbowle beigesteuert hatte, leicht angeschickert auf Ruth Hartmann zu, legte ihr den Arm um die Schulter und säuselte, wie zauberhaft sie es doch fände, dass die Feier so friedlich verlief.

Die Angesprochene horchte verwundert auf und schaute die angetrunkene Frau fragend an. »Aber warum sollte sie denn nicht?«

Diese Frage war der Angesprochenen augenscheinlich etwas unangenehm. Sie druckste ein wenig herum, bis sie schließlich mit der Sprache herausrückte: »Na, wegen dem alten Gärich.«

Bevor sie aber weitersprechen konnte, reichte Bauer Wencke ihr zwinkernd ein neues Glas. »Lass gut sein, Rike, der Alte scheint in letzten Jahren wirklich friedlicher geworden zu sein. Da sollten wir keine ollen Kamellen aufwärmen, hm?«

Frau Kubizcka schaute ihn nachdenklich an. »Hast ja recht, Wencke.« Sie griff nach dem Glas und schüttete den Inhalt in einem Schluck herunter.

Und wenig später lachte und feierte fast ganz Hornmoor weiter mit den Hartmanns, die ihren Weg aus der Stadt aufs Land gefunden hatten und die jeder hier vom ersten Moment an gut leiden konnte. Beinahe jeder.

Es war schließlich kurz nach neun Uhr abends, Ruth hatte gerade noch einmal nach den friedlich schlummernden Zwillingen geschaut, als plötzlich die Musik mit einem lauten Knall endete. Im ersten Moment glaubte Robert Hartmann, dass es einen Kurzschluss gegeben habe – bis kurz darauf deutlich das klackende Durchladen eines Gewehres zu hören war, bevor ein weiterer Schuss ertönte, der die Lichterkette über den Köpfen der eben noch Tanzenden zerriss. Einige der bunten Glaslampen splitterten. Scherben schwirrten durch die Luft. Ein Ende der Kette knallte gegen einen Baum, während das andere in den Rest der selbstgemachten Waldmeisterbowle klatschte. Dann ertönte aus dem Erdgeschoss des Nachbarhauses ein brüchiges Stimmchen: »Ruhe da draußen, verwanztes Pack! Es gibt anständige Leute, die in Ruhe schlafen wollen!«

Robert Hartmann, der noch gar nicht recht begriff, dass sein Nachbar gerade seine Musikanlage zu Klump geschossen hatte, schaute verwundert auf seine Uhr und rief dann in versöhnlichem Ton Richtung Nachbarhaus, dass es doch noch nicht einmal halb zehn sei und sie doch sicher noch ein Stündchen feiern könnten.

Herr Gärich aber sah das anders. »Schnauze! Auf meiner Uhr ist es zehn. Und wenn dir das nicht passt …« Wieder ertönte laut vernehmlich das Durchladegeräusch des Gewehrs. »… kann ich dir und deinen neuen Freunden gern noch eine Ladung spendieren!«

Und mit diesen Worten kam Gärich auf seine Veranda. Erst war nur ein leises Quietschen zu hören. Dann kamen zwei Räder mit angerosteten Speichen zum Vorschein, als sich ein verzogener alter Rollstuhl aus der Tür schob. Zwei sehnig faltige Hände griffen in die Räder, trieben sie voran, bis die verkrüppelten Beine gegen das Geländer der Veranda stießen. Und da hockte er, der kleine, böse, alte Mann, die Flinte auf dem Schoß, und funkelte böse zu den Hartmanns rüber.

Robert sah in das faltige, zahnlose Gesicht eines Menschen, der zeitlebens nur wenig Freude gehabt haben musste. Inmitten zahlloser Falten wiesen Gärichs Mundwinkel beinahe senkrecht nach unten, als hätte einzig die Schwerkraft sie geprägt, und als hätte der Alte in seinem Leben noch niemals gelächelt.

Gärich griff nach einer kleinen Flasche, nahm einen Schluck und hob dann grinsend sein Gewehr. Robert musste schlucken. Aus dem Haus der Hartmanns drangen die Schreie von Tim und Marvin, die durch die Schüsse aufgewacht waren. Die Lichterkette löste nun doch einen Kurzschluss aus, das Licht verlosch, und die Gäste verabschiedeten sich eilig, um nicht den Zorn des schießwütigen Nachbarn auf sich zu ziehen.

Damit war die Party zu Ende.

Und so lernten die Hartmanns Herrn Gärich kennen, der während der letzten Jahre nicht wirklich friedlicher geworden war.

Am folgenden Tag fuhr Robert Hartmann zur nächstgelegenen Polizeidienststelle nach Kerbheim, um den abendlichen Vorfall zu melden. Dort aber machte man ihm wenig Hoffnung. Als Erstes sprach Polizeioberwachtmeister Wolter – ein kräftiger Mittvierziger mit ergrauten Schläfen und einer zu kleinen Uniform – Robert sein Beileid aus, dass dieser das Haus neben dem alten Gärich gekauft hatte. Einen schlechteren Platz hätte er mit seiner Familie in ganz Hornmoor nicht finden können, außer vielleicht im Moor selbst, wo der Groll sein Unwesen trieb.

Robert verstand ihn zunächst nicht. Er war nicht hier, um seine Grundstückswahl zu diskutieren, sondern um diesen gemeingefährlichen Menschen anzuzeigen. Wolter entgegnete ihm daraufhin, dass der Alte zwar dafür bekannt sei, etwas sonderbar zu sein und ein kleines Alkoholproblem zu haben, aber gemeingefährlich wäre sicher etwas viel gesagt. Hartmann jedoch beharrte darauf, dass Gärich mit seiner Ballerei neben den Partygästen auch seine Kinder gefährdet habe. Sein Gegenüber lehnte sich auf den fleckigen, grünen Tresen und nickte träge. Das wäre ja alles sicher nicht falsch, aber der alte Gärich besäße einen Waffenschein. Außerdem hätten den schon ganz andere angezeigt. Aber letzten Endes würde das alles nichts bringen, denn wenn der Alte seine Anwälte vorschickte, die Gerichtstermine verpasste oder sich wieder etwas anderes einfallen ließ, dann zogen solche Prozesse sich manchmal über Jahre hin. Das wäre den ganzen Ärger schlussendlich doch nicht wert. Sein persönlicher Rat, verriet Wolter, beugte sich dabei über den fleckigen Tresen und schlug einen vertraulicheren Ton an, sei, den Alten einfach in Ruhe zu lassen. Lange würde der es eh nicht mehr machen. Und wenn er dann in ein oder zwei Jahren ins Gras biss, wäre Ruhe. Der Beamte zwinkerte verschwörerisch, was Robert Hartmann völlig kaltließ.

Als er das Polizeirevier in Kerbheim verließ, fluchte er nicht nur auf Herrn Gärich, sondern auch auf die örtliche Polizei und begann ganz langsam zu bereuen, hier raus aufs Land gezogen zu sein.

Da Wolter und seine beiden Kerbheimer Kollegen sich nicht darum kümmerten, geriet der Vorfall mit Gärich nach und nach in Vergessenheit. Nur die Hartmanns zeigten sich weniger unbefangen als zuvor. Sie bemühten sich, abends vor neun im Bett zu sein und keinen Lärm zu machen, der ihren verdrießlichen Nachbarn hätte stören können. Unter der Woche war Robert Hartmann meist auf der Arbeit, und während dieser Tage blickte Ruth manchmal ängstlich zu dem Gebäude mit der rostigen Satellitenschüssel, dem löchrigen Zaun und der verrotteten Veranda hinüber und fürchtete, dass jeden Moment die Tür aufschwang und Gärich sich mit der Flinte auf dem Schoß aus dem Haus schob. Von Zeit zu Zeit sah sie auch, wie der Alte mit seinem Rollstuhl zum Einkaufen Richtung Dorf verschwand. Meist blieb er für ein oder zwei Stunden fort, in denen Tim und Marvin draußen spielen konnten. Bis Gärich zurückkam. Dann holte Ruth die Zwillinge wieder rein, während der Alte verbissen die drei verschlissenen Stufen zu seiner Veranda hochrumpelte, wobei sein Rollstuhl mit Plastiktüten behängt war, aus denen das leise Aneinanderschlagen der Schnapsflaschen klang.

Wenn es Ruth mit Gärich zu mulmig wurde, schickte sie Tim und Marvin zu den Gerbers. Maik und Karen waren älter als die Hartmanns und hatten Hornmoor nie verlassen. Auch sie kannten den alten Gärich und meinten, genau wie Wachtmeister Wolter, dass es wahrscheinlich das Beste sei, den alten Grantler einfach zu ignorieren, bis sich das Ganze von selbst erledigte. Die Zwillinge jedenfalls mochten die Gerbers, und wenn Robert Hartmann seine Frau etwas mehr als seine Kinder vermisste, dann blieben die beiden auch schon mal am Wochenende über Nacht auf dem Gerberhof. Maik und Karen machten den Hartmanns daraus keinen Vorwurf, war ihr Häuschen doch so klein, hellhörig und voll knarrender Dielen, dass zärtliche Zweisamkeit sich gegen zwei manische Vierjährige beinahe ebenso schwer wie ein Stündchen Ruhe erstreiten ließ.

Diese Momente waren dem jungen Ehepaar sehr kostbar, und Robert gab sich jede erdenkliche Mühe, sie nicht zu verderben. Er zündete abends Kerzen an, ließ seiner Frau ein Bad einlaufen und spielte auf seiner neuen Anlage die Lieder aus der Zeit, als sie sich kennengelernt hatten. Und während seine Frau zu den Klängen Charles Aznavours, der Stones oder der Kinks aus der Wanne stieg und Robert ihr dabei half, sich abzutrocknen, dann war es für einen Moment beinahe wie früher. Und dies war die Zeit, die Ruth und Robert Hartmann hier in Hornmoor am meisten genossen.

Bis zu jenem Abend, als Robert seine lediglich mit einem Handtuch bekleidete Frau hinüber zum Sofa trug, sie sanft dort ablegte und mit zärtlichen Küssen bedeckte. Er schälte sich aus seiner Pyjamahose und wollte sich gerade zu seiner Frau legen, da sah er ihn.

Gegenüber auf der Veranda saß der übellaunige Griesgram und stierte mit bösen Augen durch das Fenster. Dieser widerliche alte Lustmolch sah ihnen zu, und Hartmann glaubte sogar, die alte faltige Hand in seinem Schoß zucken zu sehen. Das war zu viel. Im nächsten Moment war Robert wieder in seine Hose geschlüpft und aus der Tür.

Ruth richtete sich verwundert auf, schaute sich um. Und dann sah sie die verkniffenen kleinen Augen, die gierig auf ihre bleiche Brust starrten. Erschrocken bedeckte sie ihren Oberkörper mit dem Handtuch und sah, wie ihr wütender Mann Gärichs Veranda betrat. Die beiden Männer schrien sich an, und selbst durch das geschlossene Fenster verstand Ruth, was der Alte krakeelte. Doch konnte sie es nicht glauben. Gärich, der alte schmutzige Spanner, wagte es tatsächlich, ihren Mann zu beschimpfen!

»Mach doch deinen Vorhang zu, du Drecksau! Denkst du, ich schau dir und deiner Alten gern zu?« Dann sah sie, wie der alte Gärich abwinkte, in sein Haus rollte und den tobenden Robert allein auf der Veranda stehenließ.

Da wurde Ruth Hartmann klar, dass mit dem Alten etwas passieren musste. Und zum ersten Mal, seit sie in jungen Jahren aus Hornmoor fortgegangen war, kam ihr der Groll wieder in den Sinn. Von diesem Gedanken aber, beschloss sie, Robert noch nichts zu erzählen, denn sie wusste, dass er sie nicht ernst nehmen und ihren Esotick belächeln würde. Als Robert kurz darauf zu ihr zurückkehrte, hatte Ruth sich wieder angezogen und hockte grübelnd auf dem Sofa. Beide wussten, dass dieser Abend gelaufen war. Und vermutlich würde es, da die Blicke des Alten sich in ihren Köpfen festgebohrt hatten, ein wenig dauern, bis sie wieder zueinanderfanden.

Später in dieser Nacht, als sie die Vorhänge zugezogen und die Tür zweimal abgeschlossen hatten, erzählte Ruth ihrem Mann zum ersten Mal vom Groll, und Robert war einmal mehr klar, dass die spirituelle Seite seiner Frau sich ihm wohl nie recht erschließen würde. In Ruths Welt der Globuli, Liebeszauber und Schwitzhüttenzeremonien gab es Dinge, die ihm fremd blieben. Manchmal liebte er sie für diese Dinge, wie wenn sie ihre kleinen Vollmondrituale vollführte und sich in ihren alten Hippiefetzen räkelte. Auch die Märchen, die sie den Kindern erzählte, liebte er. Sie kannte so viele wundervolle Geschichten. Von Moosbolden, Farnfeen, Alraunen und Sumpfkobolden, die im Moor ihr Unwesen trieben und die sie noch von früher, aus Kindertagen kannte, als ihre Großmutter zum Schnurren des Katers Mikesch von alldem erzählt hatte. Ja, dafür liebte Robert Ruth. Er war froh, dass er nicht mit einer Frau verheiratet war, die von einer Schönheitsoperation auf die nächste sparte, sondern mit einer, die Phantasie hatte. In seiner Wirklichkeit aber, zwischen Asbest und Baustellendixiklos, hatten diese Dinge keinen Platz. Und darum lächelte er bitter, als Ruth ihm nun vom Groll erzählte. Aus dieser Geschichte, das wusste Robert genau, sprach lediglich ihr verzweifelter Wunsch, den Frieden ihrer kleinen Familie wiederherzustellen und den grässlichen Nachbarn loszuwerden. Auf welche Weise auch immer. Und dafür schienen Ruth Hartmann sogar die Fabelwesen ihrer Kindheit recht zu sein.

»Weißt du«, sagte sie und schaute ihn dabei nachdenklich an, »das alles ist vielleicht einfacher, als wir glauben. Womöglich kann der Groll uns helfen.«

Robert hob abschätzig eine Braue.

»Er wohnt im Moor, und er ist ein dunkler Mordbold, der aus Freude tötet, wenn man ihm einen Grund gibt.«

»Der Groll also, der mit den Feen und Kobolden im Moor lebt … ganz zu schweigen von den Mücken.«

»Nein, Robert, wirklich. Früher haben die Menschen aus der Gegend ihn oft geweckt. Wenn sie Rache nehmen wollten, Feinde nahten oder manchmal auch aus Habgier. Den Legenden nach hat der Groll, wenn man ihm den Befehl erteilte, im Rahmen alter Blutfehden ganze Dörfer niedergemacht. Verstehst du? Das könnte unsere Chance sein! Alles, was man tun muss, ist, das Herz eines schwarzen Bullen mit einer Dornenranke zu umwinden, und …«

»Ruth!« Ihr Mann war aufgesprungen und funkelte sie an. »Sicher, dieser alte Mann ist ein Psychopath. Und wir werden sicher bald einen Weg finden, ihn loszuwerden, um hier in Frieden zu leben. Aber dafür brauchen wir nicht die Hilfe von irgendeinem moderigen Sumpfschrat, der Rinderherzen sammelt!«

Ruth schluchzte auf. Robert war lauter geworden, als er es gewollt hatte. Er nahm sie in den Arm, drückte sie an sich und suchte nach Worten, um sie zu trösten.

»Weißt du, Ruth, ich liebe dich, und will hier mit dir zusammen alt werden. Aber ich habe Angst, dass du dich in solchen Geschichten verlierst. Du wirst doch nicht wirklich an so einen Unsinn glauben?« Er schaute sie an. Mit einem tiefen offenen Blick, in der Hoffnung, sie zu erreichen.

Sie lächelte unsicher und sagte dann leise: »Glaub mir, wenn du am Rand des Moores aufgewachsen wärest, dann würdest du noch ganz andere Dinge glauben.«

Dann vergrub sie ihren Kopf in seiner Schulter, er umschlang sie fester, küsste ihren Kopf und flüsterte: »Zusammen werden wir das schon schaffen. Irgendwie. Das verspreche ich dir. Ich lass dich hier nicht allein.«

Doch während er das sagte, hatte Robert Hartmann einen dicken Kloß im Hals.

Als Robert sich in der folgenden Woche wieder in Richtung Köln aufmachte, wo er schon länger mit dem Abriss eines Kongresszentrums aus den Siebzigern beschäftigt war, da wollte Ruth ihn nicht gehen lassen. Die Gewissheit, hier, in unmittelbarer Nähe dieses alten Widerlings mit den Kindern allein zu sein, erschien ihr unerträglich.

Es war nicht so, dass sie Angst vor ihm hatte – dafür hatte ihre Eingangstür zu viele Stufen –, aber das Unwohlsein, neben einem solchen Menschen zu leben, verursachte ihr immer häufiger Kopfschmerzen, und sie konnte inzwischen nur noch schlecht einschlafen. Sie nahm einige homöopathische Mittel, die aber nicht gegen die dunklen Gedanken halfen. Viel zu oft stellte Ruth sich vor, was wäre, wenn Gärich eines der Kinder in sein dunkles Haus lockte, und sie fürchtete um ihr karmisches Gleichgewicht, wenn sie dem Alten die Pest an den Hals wünschte. In diesen Momenten war es nicht gut, wenn ihr Mann nicht da war. Denn wenn Ruth sich ihren sorgenvollen Gedanken hingab, begann sie wieder, an den Groll zu denken, der vielleicht doch der einfachste Weg war, dieses Problem zu lösen.

Auch wenn sie nur ab und zu abends miteinander telefonierten, entging dies ihrem Mann freilich nicht. Und obwohl er ihr verboten hatte, vom Groll zu sprechen, wusste er, dass sie doch noch immer an ihn dachte. Aus Köln aber konnte er unter der Woche nicht weg. Zumindest nicht, solange die Innenwände nicht raus waren. Um Ruth auf andere Gedanken zu bringen und sein Versprechen einzuhalten, brachte er ihr einen kleinen roten Kater mit.

Mikesch war noch keine drei Monate alt. Er wusste noch nicht, wie man seine Krallen ausfuhr, hatte Angst vor Mäusen, liebte es, mit Tim und Marvin herumzutollen, und fiel manchmal um, weil er seine Pfoten von unten bestaunte. Wenn er abends neben den Kindern auf dem Kopfkissen schnurrte und Ruth ihnen Geschichten erzählte, dann war es beinahe wie früher. Und dann waren die Sorgen, die Kopfschmerzen und der grässliche Gärich einen Moment lang vergessen.

Zufrieden sah Robert, wie der kleine Kater das Gemüt seiner Frau wieder aufhellte. Und als er am Montagmorgen wieder nach Köln musste, da hatte er das Gefühl, dass womöglich doch bald alles gut werden würde. Sie mussten nur durchhalten. Gärich war alt. Bald schon würden die Probleme sich von selbst lösen.

Es war am Dienstagmittag. Die Zwillinge spielten im Haus, und Ruth las auf der Veranda, als Mikesch den Schmetterling entdeckte. Ein kleiner gelber Zitronenfalter, der lustig durch die Luft huschte und wie geschaffen dafür war, die Neugier einer nicht allzu mutigen Katze zu wecken. Das Tier flatterte eine Zeitlang um Mikesch herum, der hektisch seinen Kopf hin und her warf, um ihn bloß nicht aus den Augen zu verlieren. Dann, als der Kater schließlich zaghaft nach ihm schnappte, flog der Schmetterling davon, und Mikesch sprang ihm hinterher. Ruth blickte von ihrem Buch auf und musste lächeln, als sie sah, wie der tolpatschige Kater dem Falter nachjagte.

Als kurz darauf ein Schuss die friedliche Stille zerriss, zog sich in Ruth etwas zusammen. Und noch bevor er verhallte, wusste sie, was geschehen war. Sehen aber taten Tim und Marvin es vor ihr. Aus dem Wohnzimmerfenster. Zerrissen lag Mikeschs kleiner Körper im Garten des Nachbarn, keine zwei Meter von der Grundstücksgrenze entfernt. Die Kinder fingen an zu schreien. Erschrocken flatterte der Falter davon, und aus Gärichs Haus schimpfte die dünne Stimme des Alten.

Ruth Hartmann hörte nicht, was er sagte. Sie ließ ihr Buch fallen und ging wie apathisch zurück ins Haus, um die Kinder zu trösten und ihren Mann anzurufen. Das ganze Gespräch über weinte sie wie ein Schlosshund, und in diesem Moment hatte Robert tatsächlich Angst, dass dieser Verrückte ihr und den Kindern etwas antun würde. Er versprach, sich zu kümmern, bat sie, sich zu beruhigen, riet ihr, sich erst einmal ins Bett zu legen und ein paar ihrer Kügelchen zu nehmen. Mehr konnte er in diesem Moment nicht tun, sosehr es ihn schmerzte. Anschließend machte er sich sofort auf den Heimweg, rief wenige Minuten später aus dem Wagen in Kerbheim an und scheuchte Wachtmeister Wolter auf.

Als Robert Hartmann zwei Stunden später zu Hause ankam, stand der Polizist mit seinem Wagen dort, hockte in der offenen Fahrertür und rauchte kopfschüttelnd eine Zigarette. Noch bevor er zu seiner Frau ins Haus ging, wandte Robert sich an Wolter und machte dabei nicht einmal den Versuch, seinen Zorn zu verhehlen.

»Etwas sonderbar, ja? Der Alte ist also etwassonderbar. Und hier in der Gegend ist es wahrscheinlich üblich, dass sonderbare Leute kleine Katzen abknallen, hm? Und wenn sie irgendwann auf kleine Kinder schießen, dann nennt man sie womöglich merkwürdig, oder was? Hören Sie gut zu, Sie Dorfbulle, Sie werden …«

Wolter zeigte sich unbeeindruckt. Er nahm seine Zigarette aus dem Mund, spuckte auf die Straße und fiel Robert ruhig ins Wort. »Hören Sie mir gut zu, Hartmann. Ich weiß, wie das ist, wenn man eine Familie hat. Ich hatte auch mal so was. Kinder gehen einem manchmal gehörig auf die Nerven, Frauen haben manchmal diese Tage, und trotzdem liebt man sie. Zumindest bis sie mit irgendeinem Typen aus der Stadt durchbrennen, den sie noch aus der Schule kennen. Aber was ich damit eigentlich sagen will, ist, dass ich zwar Verständnis für Sie habe, aber nicht bereit bin, mich von Ihnen beleidigen zu lassen.«

Robert war fassungslos. »Verstehen Sie denn nicht, Wolter? Dieser Irre hat unsere Katze …«

Wolter verließ den Wagen, atmete tief durch und baute sich vor ihm auf. »Ich war drüben. Hier gibt es keine Katze. Ich habe sogar mit dem alten Sack gesprochen. Der weiß auch nichts von einer Katze. Ich verstehe ja, dass Sie ihn loswerden wollen. Aber so nicht. Wenn Ihnen Ihre Haustiere weglaufen, ist das Ihr Problem. Und wenn Sie mich noch einmal von meinem Kaffee wegholen und versuchen, mich zu verarschen, dann werden Sie schmerzlich erfahren, was so ein Polizeieinsatz kosten kann.«

Perplex wendete Robert den Blick von dem Polizisten ab und schaute hinüber in den Garten des alten Gärich. An der Stelle, die seine Frau ihm beschrieben hatte, lag nichts. Keine Spur von Mikesch. Kein Blut. Nichts. Irgendwo weiter hinten flatterten ein paar Zitronenfalter auf und ab, und für einen kurzen schrecklichen Moment fragte sich Robert, ob seine Frau ihm die Wahrheit erzählt hatte und der Kater in Wirklichkeit vielleicht doch nur fortgelaufen war.

Wolter trat noch einen Schritt näher, so dass Robert seinen Atem spürte. »Haben wir uns verstanden, Hartmann?«

Er nickte.

Der Polizist wandte sich ab, spie noch einmal aus und stieg in seinen Wagen. Während er davonbrauste, spürte Robert Hartmann Tränen in sich aufsteigen. Der Platz, an dem sie gemeinsam hatten alt werden wollen, war plötzlich von Misstrauen und Angst erfüllt. Das war nicht das Leben, das sie sich hier erhofft hatten.

Während der nächsten Stunden brachte Robert die Kinder zu den Gerbers und bemühte sich dann, Ruth zu beruhigen. Er erkannte die Frau, die er einmal geheiratet hatte, beinahe nicht wieder. Ruth bekam keinen klaren Satz mehr heraus. Immer wieder brach sie schluchzend zusammen, und selbst ihre Feen und Kobolde schienen ihr nicht mehr helfen zu können. Dabei spürte er ihre Verzweiflung so deutlich, dass es für ihn schlussendlich keine Rolle spielte, ob Mikesch fortgelaufen oder erschossen worden war. Wenn er seine Familie retten wollte, musste der alte Gärich weg. Egal wie.

Als seine Frau mit roten, geschwollenen Augen eingeschlafen war, Robert drei Anrufe seines Kölner Auftraggebers weggedrückt und eine Flasche Gin beinahe ganz geleert hatte, saß er noch lange in der Küche und dachte nach. Er wusste, dass er selbst keinen Menschen würde umbringen können. Vermutlich nicht einmal den alten Gärich. Er hatte gehört, dass die Russenmafia so etwas für 5000 Euro erledigte. Doch auch wenn er das Geld irgendwie zusammenbekommen hätte, sträubte etwas in ihm sich dagegen, sich mit solchen Leuten einzulassen. Da war ihm selbst der Groll noch lieber. Ob er nun existierte oder nicht.

Ruth Hartmann erwachte erst gegen Mittag des nächsten Tages. Da hatte ihr Mann gegenüber seinem Auftraggeber bereits durchblicken lassen, dass er während der nächsten Tage nicht auf die Baustelle zurückkehren würde. Außerdem war Robert schon draußen gewesen, hatte bei den Gerbers nach den Kindern geschaut und sich ein wenig umgehört. Maik hatte ihm in der Gegend drei Bauern nennen können, die noch selbst schlachteten. Zwei von ihnen hatten einen schwarzen Bullen. Der von Bauer Harmsen war für die Zucht vorgesehen und wäre Robert schlussendlich nicht billiger als die Russen gekommen. Bauer Wencke aber hatte einen alten Bullen im Stall, der gewiss schwarz genug war, um dem Groll zu genügen. Robert gelang es, nicht zuletzt weil es ihm lediglich um das Herz ging, Wencke auf 1500 Euro runterzuhandeln, wofür der das Tier dann aber auch gleich auf seinem Hof töten musste. Robert konnte dabei nicht einmal hinsehen. Als Wencke dem Bullen schließlich das Herz aus dem Leib geschnitten hatte, reichte er es ihm schweigend. Robert nahm es, und der Bauer schaute ihn nachdenklich an.

»Sollten sich gut überlegen, ob Sie das wirklich tun wollen«, murmelte er, und Robert Hartmann überlief ein eisiger Schauer. Er fühlte sich ertappt. Aber wofür sonst hätte er das Herz eines schwarzen Bullen auch brauchen sollen? Er biss sich auf die Lippen und versuchte, dem Blick des Bauern standzuhalten.

»Das habe ich getan. Es geht nicht anders.« Er gab Wencke das Geld. Der steckte es ein, ohne nachzuzählen, und nickte nachdenklich.

»Denken Sie dran: Den Groll zu wecken ist kein Kinderspiel. Nehmen Sie sich in Acht. Er ist gefährlich.«

»Inwiefern? Wird mich der Spaß am Ende vielleicht meine Seele kosten?« Robert grinste unsicher, was Wencke jedoch nicht beeindruckte.

»Nein. Nur dieses Herz und den Namen. Mehr nicht. Der Groll scheißt auf Ihre Seele, Hartmann.«

Einen Moment lang hing ein unangenehmes Schweigen in der Luft. Robert wusste nicht, was er dem Bauern entgegnen sollte. Dann zeigte Wencke hinüber zur Scheune.

»Da drüben wachsen Brombeeren. Die Ranken werden für Ihre Zwecke taugen. Und dann sehen Sie zu, dass Sie verschwinden. Und sagen Sie am Ende nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.«

Robert Hartmann hatte sich knapp bedankt und war dann, das Herz in der Hand, zur Scheune hinübergegangen.

Als seine Frau nun gegen Mittag zu ihm in die Küche kam, saß er dort. Und vor ihm, auf einem beinahe durchgeweichten Stück Packpapier lag das mit Dornenranken umwundene Rinderherz. Ruth schlug die Hände vors Gesicht. Dann fiel sie ihrem Mann um den Hals. In diesem Moment wusste sie mehr als jemals zuvor, dass sie zueinandergehörten, denn damit hatte Robert sich auf sie eingelassen. Ganz und gar. Er verstand sie. Und gemeinsam, da war sie sich sicher, würden sie das Problem mit dem alten Gärich aus der Welt schaffen. Wenn auch auf eine eher ungewöhnliche Weise. Robert streichelte ruhig über ihr Haar. Dann blickte er sie fragend an.

»Und was jetzt?«

Ruth schluckte. »Wir müssen seinen Namen auf einen Zettel schreiben, den mit einem rostigen Nagel in das Herz und dann das Herz ins Moor bringen. Dorthin, wo der Groll es finden kann. Wo er die Herzen seit Ewigkeiten findet.«

»Gut.« Ihr Mann nickte. Dann ließ er Ruth den Namen aufschreiben. Sie musste auf Gärichs Briefkasten nachschauen, um seinen Vornamen herauszufinden, den sie auf das Papier übertrug, während Robert einen rostigen Nagel suchte, der noch vom alten Gewächshaus übrig war. Dann schlugen sie diesen zusammen mit dem Zettel in das Herz.

Nie zuvor waren sie einander so nahe gewesen.

Dieses Gefühl hielt selbst noch an, als sie wenig später zusammen ins Moor hinausgingen und sich auf die Suche nach dem Platz machten, wo man dem Groll von alters her die dornenumwundenen Herzen schwarzer Bullen darbrachte. Sie mussten ein wenig suchen, zunächst nach den sicheren Pfaden und dann nach dem Ort selbst, denn Ruth erinnerte sich nur dunkel an die Schilderungen ihrer Großmutter und hätte niemals gedacht, dass sie selbst einmal dort hinausgehen würde, um den Groll zu wecken. Nun aber war es so weit. Und als sie schließlich die kleine Lichtung im Herzen des Sumpfes entdeckten, da wussten sie, dass sie den Ort gefunden hatten.

In der Mitte erhob sich der Stumpf einer alten Esche, der vom Blut im Laufe der Jahre ganz dunkel geworden war. Kein Zweifel, hier brachte man dem Groll sein Opfer dar. Es schauderte die beiden, als sie das Herz auf dem Baumstumpf ablegten. Und dort lag es dann. Der Name prangte wie eine mahnende Drohung auf dem blutbefleckten Zettel, aus dem anklagend der rostige Kopf des Nagels ragte. Johann Gärich.

Als sie durch das Moor zurück zu ihrem Haus gingen, fühlten Ruth und Robert Hartmann sich besser. Und dabei spielte es keine Rolle, ob es den Groll überhaupt gab. Sie hatten endlich etwas unternommen. Vielleicht würde der Groll den Alten holen. Vielleicht auch nicht. Aber sie hatten gemeinsam etwas gewagt, waren noch fester aneinandergewachsen. Kein böser Kobold und kein Grantelgreis dieser Welt würden ihnen das nehmen können.

Kaum dass sie ihre schlammverkrusteten Schuhe im Flur abgestreift hatten, fielen die beiden übereinanderher und liebten sich auf dem Wohnzimmerfußboden so heftig und innig, wie sie es seit Monaten nicht getan hatten. Es war wie eine Befreiung, eine mächtige Woge, die über ihnen zusammenschlug. Die unbestimmte Gewissheit, dass all das bald vorüber war und sie zusammen sein würden. Für immer. Egal was auch passierte.

Schließlich sanken sie erschöpft zu Boden, begannen, leise zu lachen, und dann liebten sie sich wieder. Ihre Zärtlichkeit und ihre Lust wollten schier kein Ende nehmen. Als hätten diese Gefühle nur auf diesen Moment gewartet, da sie den Groll weckten, um sich zu befreien. Wieder und wieder fanden sie zueinander, bis plötzlich gegen Mitternacht ein ohrenbetäubendes, wahnsinniges Lachen aus dem Moor klang, schrill und unmenschlich. Eine Mischung aus Kriegsgeheul und archaischer, unmenschlicher Wut, die den beiden das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Obwohl sie erschöpft waren wie schon lange nicht mehr, konnten Ruth und Robert in dieser Nacht nicht schlafen. Sie lauschten hinaus ins Dunkel, versuchten, irgendetwas wahrzunehmen, und glaubten gar, leise die Tür ihres Nachbarn auf- und wieder zugehen zu hören. Sicher aber waren sie sich nicht. Und im Dunkeln wäre keiner von ihnen rausgegangen, um es zu überprüfen. Nicht jetzt, wo der Groll dort draußen sein Unwesen trieb.

Am folgenden Morgen verspürten die beiden weder Hunger noch Durst. Einzig die Neugier war es, die sie noch vor sieben Uhr aus den Federn trieb. Vorsichtig spähten sie durch die Vorhänge hinüber zu Gärichs Haus. Seine Fensterläden waren geschlossen, aber wenn nicht alles täuschte, dann stand seine Haustür ein wenig offen. Beinahe, als ob jemand, der nachts überhastet geflohen war, versäumt hatte, sie hinter sich ins Schloss zu ziehen.

Ruth und Robert Hartmann beobachteten Gärichs Haus gut zwei Stunden lang. Als sich dann immer noch nichts rührte, beschlossen sie, die Musik laut aufzudrehen und in den Garten hinauszugehen. Und dort lachten sie und tanzten zu den Stones, den Kinks und Charles Aznavour, den Liedern aus der Zeit, als sie sich kennengelernt hatten, und die so laut aus ihrem Haus drangen, dass halb Hornmoor es hören musste. Das aber kümmerte sie nicht. Sie waren frei, waren den grässlichen Unhold losgeworden, und nun würden sie endlich hier, in diesem Haus zusammen alt werden können.

Nachdem sie sich noch ein weiteres Mal geliebt hatten, beschlossen sie gegen Mittag, ihre Kinder von den Gerbers zu holen. Den ganzen Nachmittag spielten Tim und Marvin draußen im Garten und mussten sich nicht darum scheren, ob sie zu laut waren oder versehentlich fremde Grundstücke betraten. Am Ende war dieser Tag einer der glücklichsten, den die kleine Familie seit Jahren erlebt hatte.

Tim und Marvin schliefen bereits, Ruth und Robert saßen in der Küche und tranken noch ein Glas Wein und schauten sich in die Augen. Sie mussten nicht reden. Beide wussten genau, was der andere dachte. Und dieses Mal ging es nicht um Sex. Es war etwas vollkommen anderes. Neugier. Als sie einander ansahen, wussten sie, dass sie nicht würden schlafen können, bis sie nachgesehen hatten, was mit dem alten Gärich geschehen war. Später würden sie einfach erzählen, sie wären misstrauisch geworden, weil sich drüben nichts geregt hätte und den ganzen Tag lang die Tür offen stand. Darum wären sie schließlich rübergegangen. Und dann hätten sie ihn gefunden …

Hastig streiften Ruth und Robert sich noch einmal ihre Schuhe über und machten sich, von einer seltsamen Heiterkeit erfüllt, auf den Weg nach nebenan. Während sie gingen, legte Robert den Arm um seine Frau, schlug ihr vor, dass sie das Grundstück vom alten Gärich kaufen und ihr Haus noch etwas ausbauen könnten. Vielleicht sogar mit weiteren Kinderzimmern. Ruth kuschelte sich an ihn. Ein drittes Kind mit Robert. Der Gedanke gefiel ihr.

Sie betraten Gärichs morsche Veranda. Und schon hier schlug ihnen aus dem Inneren des Hauses ein widerlicher Geruch entgegen. Der metallische Duft von Blut, von Tod und Verwesung. Weder Robert noch Ruth war wohl zumute, als sie vorsichtig die Tür aufstießen, aber ihre Neugier war stärker als ihre Furcht. Sie wollten wissen, was der Groll mit dem Alten angestellt hatte, wollten ihn in seinem Blut liegen sehen, wissen, dass es wirklich vorbei war. Als Erstes aber sahen sie einen Berg leerer Flaschen, der sich im matten Licht einer alten Glühbirne auftürmte. Dazu Plastiktüten voller Müll und in der Ecke einen alten Röhrenfernseher, der ohne Ton vor sich hin flimmerte. Es stank erbärmlich. Und dann entdeckten sie ihn.

Gärich lag bäuchlings neben seinem Rollstuhl in einer blutigen Lache zwischen verdreckten Plastiktüten und leeren Flaschen am Boden. Unter ihm quoll rohes, blutiges Fleisch hervor. Der Groll musste ihn förmlich aufgerissen haben.

Ruth hielt sich ihre Jacke vor die Nase. Der Geruch war unerträglich.

Und Robert ging auf, dass der Ursprung des Geruchs nicht der reglose Körper vor ihnen sein konnte. Denn in dem Zimmer roch es nach Verwesung, und Gärich war erst seit einem Tag tot. Robert sog scharf die Luft ein und folgte seiner Nase. Er durchquerte den Raum, schob mit den Füßen einige Flaschen beiseite und bemerkte, wie der Geruch stärker wurde. Schließlich stand er vor einem verzogenen alten Schrank, der der tatsächliche Ursprung des Gestankes zu sein schien. Mit zitternder Hand griff Robert nach dem Türknauf, um daran zu ziehen. Und in diesem Moment erinnerte er sich. Er kannte diesen Geruch. Eine Ahnung davon war ihm damals schon aus dem Inneren des Hauses entgegengeschlagen, als er Gärich auf seiner Veranda zur Rede gestellt hatte. Und eine andere Ahnung davon …

Ruth schrie auf.

Robert fuhr herum und sah, wie seine Frau mit vor Schrecken geweiteten Augen auf Gärichs alten Körper starrte, der sich in zeitlupenhafter Langsamkeit vom Boden emporstemmte. Und auch wenn die Kleidung des Alten über und über mit Blut beschmiert war, so schien es doch nicht das seine zu sein. Gärich stand auf. Mittelgroße Stücke rohen Fleisches lösten sich von seinem Unterhemd und klatschten zu Boden. Robert kam ein fürchterlicher Gedanke. Was, wenn Gärich den Groll besiegt hatte?

Ruth schrie noch immer. Sie presste die Hände vor das Gesicht, in dem pures Entsetzen geschrieben stand.

Im gleichen Augenblick spürte ihr Mann, wie die Tür des Schrankes hinter ihm aufschwang, ihn an der Ferse streifte. Reflexartig fuhr er herum. Dann sah er sie. Und er begriff. Im Inneren des Schrankes lagen sie auf dünnen Regalbrettern, eins neben dem anderen: die dunklen, verschrumpelten und mit Dornenranken umwundenen Herzen toter Bullen. Die meisten waren uralt und vertrocknet, eines aber, das ganz vorn auf dem obersten Regal, schien noch ganz frisch zu sein.

Da hörte er in seinem Rücken wieder das irre Lachen. Schrill und unmenschlich. Eine Mischung aus Kriegsgeheul und archaischer, unmenschlicher Wut. Robert fuhr herum, sah, wie Gärich innerhalb eines Lidschlags seine Frau zu Boden riss, seine fauligen Zähne in ihren Hals schlug und ihr mit einem furchtbaren Geräusch die Kehle herausriss. Und als Robert ihr Blut hervorschießen, die alten Kiefer kauen sah und dabei selbst wie gelähmt zusehen musste, da begriff er, dass es ein Fehler gewesen war, den Groll zu wecken.

Kurz darauf begann Gärich, während seine Finger die Wunde weiter aufrissen und Ruths Körper die letzten Male zuckte, leise zu sprechen.

»Hat mich schwach gemacht, eure Dreckswelt. War das Dümmste, was ich je getan hab, aus dem Sumpf zu kommen.« Er riss ein Stück Fleisch aus Ruths Hals und schlang es gierig hinunter. »Ihr Schwachköpfe verlasst euch heute auf andere Sachen. Habt mich seit über fünfzig Jahren nicht gerufen. Wenn man sich dann von schäbigem Schnaps und Schlachtabfällen und rohem Fleisch ernährt …« Er blickte abfällig auf die am Boden liegenden Brocken. »Da schwindet einem die Kraft.«

Mit diesen Worten riss er ein größeres Stück aus Ruths Hals und schnappte danach. »Aber es gibt ja Regeln«, spie er verächtlich aus. »Da muss man warten, bis irgendein jämmerliches Stück Mensch kommt und einem einen Grund gibt, und dann schiebt man sich jeden Abend aus diesem vermaledeiten Rollstuhl und schleppt sich in den Sumpf, nur um festzustellen, dass keiner von euch verwanzten Hohlschädeln seinen Nachbarn heut noch tot sehen will!«

Er beugte sich zu dem toten Körper herab, nahm den Kopf zwischen die Hände und leckte über das Gesicht. Bis er zu den schreckgeweiteten Augen kam. Genüsslich sog er eines aus seiner Höhle und kaute es vom Nerv ab. »Und dann hat man sich beinahe schon damit abgefunden, zugrunde zu gehen, als nebenan ein paar ganz besondere Schwachköpfe einziehen.«

Er ließ Ruths leblosen Körper achtlos fallen, stieß ihn mit einem Fußtritt beiseite und kam lächelnd auf Robert zu. In Gärichs Gesicht, dem Gesicht des Grolls, glänzte das Blut seiner Frau. »Die einem mal einen Grund geben, wie man ihn bis jetzt noch nicht gehabt hat …«

Er lachte irre auf. »Oh ja, ihr zwei Schelme habt sie tatsächlich seit langem mal wieder geweckt. Meine Mordlust. Du wirst sicher verstehen, dass ich die Regeln an dieser Stelle etwas beuge und das Ganze nicht allein mit mir ausmache, hm?«

Dann hatte Gärich sein Gegenüber erreicht, stieß ihm seine dunkle Klaue in die Brust und riss das Herz heraus. Und das Letzte, was Robert Hartmann mit fassungslosem Blick mit ansehen musste, war, wie der Groll mit einem bösen Grinsen hineinbiss.

Die Aufregung über das Verschwinden der Hartmanns hielt sich in Grenzen. Ebenso wie der Aufwand vonseiten der Polizei. Offenbar war die Familie Hals über Kopf wieder ausgezogen, was angesichts der Tatsache, wie wenig es ihnen dort schlussendlich gefallen hatte, kaum verwunderlich war.

Herr Gärich jedenfalls ist noch immer nicht gestorben.

Nicole Zöllner Photosynthese

Jeder von uns hat in seiner Schullaufbahn wohl mindestens einen Lehrer kennengelernt, den er abgrundtief hasste. Einen, von dem man ganz genau wusste, dass er einen auf dem Kieker hatte. Der unangemessen streng agierte und für den Strafarbeiten gewissermaßen ein fester Bestandteil des Lehrplans waren.

Bei mir war es Herr Werner. Er war mein Sport- und Biologielehrer in der siebten Klasse der Realschule.