AusgeKocht - Klaus Brabänder - E-Book

AusgeKocht E-Book

Klaus Brabänder

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Beschreibung

Als Alfred Koch im beschaulichen Örtchen Spiesen-Elversberg in einem Kühlraum gefunden wird, kommt für ihn jede Hilfe zu spät. Der Hobbykoch ist vergiftet worden, und es gibt auch schon gleich zahlreiche Verdächtige. Womöglich war es eins der anderen Mitglieder seines Männer-Kochklubs. Oder aber die Sekretärin des Ortsbürgermeisters, mit der Koch in erbittertem Streit lag. Vielleicht wurde Koch aber auch das Opfer eines Racheakts zwischen den Fans des FC Saarbrücken und der SV Elversberg. Die Staatsanwältin Daniela Sommer und das Saarbrückener Team um die LKA-Ermittlerin Katja Reinert treten allerdings bei ihren Ermittlungen schon bald auf der Stelle. Zur Überraschung aller stellt sich jedoch heraus, dass ausgerechnet der pensionierte Hauptkommissar Joachim "Josch" Schaum Mitglied im Kochclub ist. Der stellt nun auf eigene Faust seine Nachforschungen an - und Josch wäre nicht Josch, wenn er mit seinen unkonventionellen Methoden der Sache nicht auf die Spur kommen würde.

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Seitenzahl: 413

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Klaus Brabänder

AusgeKocht

Klaus Brabänder wurde 1955 im saarländischen Neunkirchen geboren und wohnt heute in Bexbach und Spiesen-Elversberg. Im Hauptberuf war er als Bauingenieur tätig. Neben der Liebe zur Literatur und seiner Tätigkeit als Autor ist er häufig auf Reisen, wo ihm viele seiner Ideen für besondere Geschichten in den Sinn kommen. AusgeKocht ist der elfte Band seiner erfolgreichen Krimireihe aus dem Saarland.

www.klaus-brabaender.de

Klaus Brabänder

AusgeKocht

Kriminalroman

Originalausgabe

© 2024 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim

www.kbv-verlag.de

E-Mail: [email protected]

Telefon: 0 65 93 - 998 96-0

Umschlaggestaltung: Ralf Kramp unter Verwendung von

© Photo&Graphic Stock - stock.adobe.com

Lektorat: Hans-Udo Meyer, Birgel

Druck: CPI books, Ebner & Spiegel GmbH, Ulm

Printed in Germany

ISBN 978-3-95441-718-6 (Taschenbuch)

ISBN 978-3-95441-719-3 (e-Book)

Gewidmet den Köchen des ACE (Artistes Culinaires Elversberg)

Inhalt

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Danksagung

Nachwort

1

Montag, 5. Juni 2023

Einen passenderen Familiennamen hätte man Alfred Koch nicht in die Wiege legen können!

Er hieß nicht nur so, er war auch einer! Jedenfalls nach eigener Überzeugung, denn nach seiner Einschätzung waren seine Kochkünste überdurchschnittlich bis genial. Das galt auch für alle anderen seiner vermeintlichen Talente, daran hegte Alfred nicht den geringsten Zweifel.

Was das Kochen betrifft, hatte Alfred seinen Namen stets als besondere Verpflichtung gesehen, was dazu führte, dass er das Kulinarische zu seinem Hobby auserkoren hatte; und das sah man ihm auch an.

Man stelle sich vor, sein Vater hätte den Namen Pfeifer mit in die Ehe gebracht! Womöglich hätte er Schiedsrichter werden müssen. Oder Richter; ein abscheulicher Gedanke! Oder Bauer, Gärtner oder Weber. Diese Gedankenspiele hatte er immer wieder zum Besten gegeben und sich darüber selbst am meisten amüsiert.

Nein, Koch war genau richtig, der Name passte vorzüglich! Anfangs hatte er sogar überlegt, ob dieser Name womöglich eine schicksalhafte Aufforderung war, das Kochen zu seinem Hauptberuf zu machen, aber bei näherer Betrachtung hatte Alfred davon Abstand genommen, weil weder die Bezahlung noch die Arbeitszeiten dazu geeignet waren, den Namen als von Gott gewollte Berufung zu betrachten.

Da war es sinnvoller, sich über Beziehungen in den öffentlichen Dienst zu schmuggeln und in der Landesverwaltung ein sicheres Nest zu finden.

Das Kochen betrieb Alfred fortan sehr intensiv als Hobby und war seit vielen Jahren Mitglied im Klub der kochenden Männer, wo es ihm stets eine Freude war, sein Können und seine Erfahrung unter Beweis zu stellen und an andere weiterzugeben. Dass das bei manchen Kochfreunden nicht immer gut ankam, störte Alfred kaum. Genies wurden immer verkannt, das lehrte die Geschichte.

So weit, so gut!

Nun gab es allerdings an diesem Vormittag im Juni gegen 10 Uhr 30 eine nicht unerhebliche Entdeckung, welche zwangsläufig zu der Erkenntnis führte, dass der 58-jährige Alfred Koch sein letztes Entree bereits angerichtet, den letzten Hauptgang serviert und die letzte Nachspeise kreiert hatte; weitere kulinarische Genüsse würden ihm für immer verwehrt bleiben!

Ausgekocht!

Werner Ziegler, seinerseits zweiter Vorsitzender, Wanderwart und Amtsträger weiterer Funktionen, die im Wanderverein Gut-zu-Fuß sonst keiner haben wollte, hatte seine Aufgaben nämlich wie immer mehr als ernst genommen und beim Aufräumen nicht umhinkönnen, auch den Kühlraum, der an den Kochclub untervermietet war, und der ihn eigentlich gar nichts anging, zu inspizieren.

Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass die Kochheinis das Licht hatten brennen lassen oder der fast leere Kühlschrank auf volle Pulle lief. Wie oft hatte er diese maskulinen Herdvergewaltiger und Gemüseschnippler schon darauf hingewiesen, dass das eine riesige Geld- und Energieverschwendung war, aber nein, die Herrschaften hatten sich das Schweineschmalz anscheinend in die Ohren gestopft, anstatt es in die Pfanne zu geben.

Dass im Kühlraum, für den Ziegler, zum Unmut der Köche, in seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender einen Zweitschlüssel hatte, mal wieder Licht brannte, überraschte Werner Ziegler daher nicht sonderlich; das hätte er sich ja denken können!

Unerwartet war hingegen, dass Alfred Koch auf einem Stapel leerer Gemüsekisten saß! Und schockierend war vor allem, dass Alfred wirklich nicht gesund aussah! Ganz im Gegenteil! Zudem verströmte der Raum nach dem Öffnen einen fürchterlichen Gestank, der Ziegler an das Plumpsklo im Hinterhof seiner Großeltern erinnerte.

Kochs Kopf lehnte seitlich am Regal; seine Gesichtsfarbe unterschied sich kaum vom schmutzigen Weiß des Kühlschranks und die Augen glotzten Ziegler hypnotisierend an. Selbst der naivste unter den Zeitgenossen hätte ahnen können, dass mit Alfred, den Werner seit vielen Jahren kannte und genauso lang nicht mochte, etwas nicht in Ordnung war.

Diese Vermutung wurde zur Gewissheit, als die Tür, durch einen Windstoß bewegt, gegen die Wand schlug, und die Erschütterung dazu führte, dass Alfred Koch ohne Vorwarnung nach vorne kippte, Werner Ziegler entgegenkam und auf dem Boden zwischen der Türöffnung aufschlug.

Ziegler erschrak sich fast zu Tode, war aber immerhin geistesgegenwärtig genug, ins Vereinshaus zu eilen, um den Notarzt und die Polizei zu alarmieren. Dann rannte er zurück, versuchte, dem armen Kerl zu helfen, stellte allerdings gleich fest, dass da nichts mehr zu machen war. Kein Puls, keine Atmung, die Pupillen reagierten nicht! Alfred Koch war tot, soviel war klar! Danach brauchte Ziegler einen Schnaps; nach dem zweiten wurde ihm schummrig vor Augen.

2

Am gleichen Tag

»Mein Name ist Katja Reinert«, stellte sich die Hauptkommissarin dem Einsatzleiter der Tatortsicherung vor. »LKA Saarbrücken! Danke Kollegen für die Arbeit.«

»Weyrich, angenehm. Alles klar«, entgegnete der Beamte.

»Ich weiß, wer Sie sind …«

»Nicht so förmlich, bitte!«, lächelte Katja Reinert.

»Nett gemeint, aber in meinem Alter ist man das Förmliche eben gewohnt. Kein Problem! Ähm … wir sind schon eine Weile hier, der Anruf kam um 10 Uhr 47. Die Kollegen vom Kriminaldauerdienst sind auch gerade erst angekommen.«

»Die sind genauso unterbesetzt wie wir alle. Okay! Mit wie vielen Leuten seid ihr vor Ort? Gibt es was Besonderes, das ich wissen müsste?«

»Ich habe nur drei Streifen mit einer Gesamtstärke von acht Kolleginnen und Kollegen. Zwei Kollegen muss ich umgehend abziehen, aber wir kommen klar. Liegt ziemlich abseits hier und ich muss lediglich zwei Seiten absichern, der Rest ist umzäunt. Hauptsächlich geht es um Schaulustige aus der Nachbarschaft; Spiesen-Elversberg ist ein Dorf, da spricht sich alles in Windeseile rum. Als wir kamen, war es ruhig, keine Auffälligkeiten. Bericht folgt, aber da wird nichts Besonderes drinstehen. Routine.«

»Wer hat euch alarmiert?«

»Der Mann heißt Werner Ziegler. Der Notarzt war vor uns da. Er hat den Mann mit ins St. Ingberter Krankenhaus genommen, weil Ziegler kollabiert ist. Ist wohl schon ein etwas älteres Semester.«

»Hast du den Toten gesehen?«

»Nur von Weitem. Nachdem der Arzt erklärt hatte, dass er tot ist, sind wir nicht näher ran.«

»Super! Wo liegt er?«

»Hinter dem Hauptgebäude. Da ist ein Anbau mit mehreren Räumen.«

»Dem Transparent nach zu urteilen, gehört das Gelände zu einem Wanderverein. Ist von denen schon jemand aufgetaucht?«

»Nicht, dass ich wüsste. Ich weiß auch nicht, ob die überhaupt informiert worden sind.«

»Gut, ich kümmere mich drum. Hast du Informationen über die Identität des Toten?«

»Nein, negativ.«

»Danke, Kollege! Ich geh dann mal zum Team rüber. Bis später vielleicht.«

Die Hauptkommissarin schlüpfte unter dem Absperrband hindurch, ging zum Fahrzeug des Kriminaldauerdienstes und ließ sich von einer jungen Beamtin Schutzkleidung und Überschuhe aushändigen.

»Geht’s, oder willst du dich im Fahrzeug umziehen?«, fragte die Kollegin.

»Nee, geht schon! Wer hat die Einsatzleitung?«

»Die Kollegin Wertmüller. Korrekterweise, Frau Dr. Wertmüller, aber da legt sie keinen Wert drauf.«

»Den Namen habe ich zwar bereits gehört, aber persönlich kennengelernt habe ich sie noch nicht«, erklärte die Hauptkommissarin.

»Sie ist erst seit wenigen Wochen bei uns; ist aber eine ganz Nette.«

»Habt ihr schon was?«, wollte die Hauptkommissarin wissen.

»Nee, wir sind noch nicht lange hier. War mal wieder nicht einfach, das Personal zusammenzukratzen. Du kennst das wahrscheinlich; das wird bei euch auch nicht anders ein.«

»Da sagst du was! Meine Truppe geht auf dem Zahnfleisch. Was heißt Truppe: Wir sind noch drei, einer ist auf Weiterbildung! Die Überstunden bekommen wir im Leben nicht mehr weg. So, fertig! Wo muss ich hin?«

»Um das Hauptgebäude rum, hinten links.«

Katja Reinert nahm den beschriebenen Weg und lugte um die Ecke. Je näher sie kam, desto stärker wurde der bestialische Gestank. Das war nach einem Leichenfund nicht ungewöhnlich, aber daran gewöhnen würde sich Katja Reinert nie.

Drei Gestalten in den üblichen Ganzkörperkondomen waren mit dem Auffinden und der Sicherung von Spuren, deren Dokumentation und Einmessung beschäftigt. Katja war es aus der Entfernung nicht möglich, zu erkennen, ob sich unter dem Schutzanzug eine Frau oder ein Mann verbarg. Ohne Genehmigung der Teamleiterin bis zur Leiche hin zu gehen, würde Frau Wertmüller der Hauptkommissarin wahrscheinlich übelnehmen, weswegen Katja Reinert es für angebracht hielt, sich bemerkbar zu machen.

»Hallo Kolleginnen und Kollegen. Mein Name ist Reinert, Dezernat drei; nur damit ihr wisst, dass ich auch schon da bin!«

Eine der Gestalten drehte sich um und winkte ihr zu.

»Ah, die Frau Hauptkommissarin! Schön, dass wir uns auch mal kennenlernen. Die persönliche Vorstellung ist bisher aus Zeitmangel ausgefallen, aber ich habe schon einiges über dich gehört.«

»Ich hoffe, nur Gutes!«

»Absolut! Warte eine Minute, ich komme gleich!«

Frau Wertmüller sprach mit einer der weißen Gestalten und stand kurze Zeit später vor der Hauptkommissarin.

»So«, sagte die Frau und streifte die Kapuze vom Kopf. »Ich bin Ramona.«

»Hallo, angenehm. Katja.«

Die beiden Frauen unterließen es wegen der Handschuhe, die Hände zu schütteln.

»Wie ist die Lage?«, fragte Katja Reinert.

»Viel kann ich nicht sagen. Männlich, 55 bis 60 Jahre alt, kräftige, gedrungene Statur, keine sichtbaren äußeren Verletzungen. Die Todesursache muss die Obduktion ergeben; sofern sie genehmigt wird. Keine Kampfspuren. Keine Blutspuren. Einkotungen, galliges Erbrechen.«

»Man riecht es! Fremdeinwirkungen?«

»Bisher nicht ersichtlich.«

»Todeszeitpunkt?«

»Kann ich dir noch nicht sagen. Der Auffindeort ist ein Kühlraum, deshalb sind aufwendige Untersuchungen und Modellrechnungen notwendig. Aber ich schätze mal, dass er ein, zwei Tage hier liegt.«

»Gibt es Hinweise auf seine Identität?«

»Nein. Wir haben die Leiche noch nicht bewegt; er liegt auf dem Bauch. In den Taschen der Hose ist nichts, was einer Identifizierung dienlich wäre. Wenn wir ihn später umdrehen, sehen wir weiter.«

»Könnte er erfroren sein?«, spekulierte die Hauptkommissarin.

»Naja, so kalt ist es im Kühlraum nun auch wieder nicht; Kühlraum ist vielleicht der falsche Ausdruck, wenngleich das Türschild ihn so ausweist. Eher ein Lagerraum ohne Kühlaggregat und Heizung … der Tote trug allerdings keine Jacke, insofern könnte Unterkühlung je nach Dauer und Gesundheitszustand mit todesursächlich sein. Aber das ist jetzt Spekulation, die Obduktion wird zeigen, woran er gestorben ist.«

»Gut, danke. Ich werde zunächst mit diesem Herrn Ziegler sprechen müssen, sobald der wieder auf dem Damm ist. Möglicherweise kennt er den Toten.«

»Kann ich nichts zu sagen, der Mann war schon weg, als wir kamen. Katja, es gibt da etwas, worauf du dein Augenmerk richten solltest.«

»Ach ja?«

»Der Schlüssel zu dem Raum steckt von außen.«

»Und was schließt du daraus?«

»Das ist dein Job«, lachte Ramona Wertmüller. »Ich glaube nicht, dass du meinen Rat brauchst.«

»Trotzdem würde ich gerne deine Meinung hören.«

»Ich frage mich, ob der Mann freiwillig in diesem Raum war.«

»Es könnte auch sein eigener Schlüssel sein«, entgegnete die Hauptkommissarin.

»Könnte, muss aber nicht. Er könnte auch dem gehören, der ihn gefunden hat. In dem Fall hätte dieser Ziegler die Tür aufgesperrt … den Rest kannst du dir denken.«

»Brannte Licht in dem Raum?«

»Es brennt immer noch. Wir nehmen logischerweise Fingerabdrücke vom Schalter und Türgriff. Wir brauchen Vergleichsabdrücke von diesem Ziegler, denk dran!«

»Logisch! Ich muss schleunigst mit dem Zeugen Ziegler reden! Wann kann ich zur Leiche?«

»Gib uns eine halbe bis dreiviertel Stunde, dann sind wir hier soweit.«

»Gut, ich warte. Vielleicht kann sich mein Kollege um Herrn Ziegler kümmern, mal schauen. Wir müssen auch Kontakt zu diesen Wandervögeln aufnehmen. Sag Bescheid, wenn du soweit bist.«

»Mache ich«, bestätigte Ramona Wertmüller. »Übrigens: Wir müssen unbedingt mal zusammen einen Kaffee trinken. Es kann nicht sein, dass man die Kollegen so überhaupt nicht kennt!«

»Klar, gerne! Nach Feierabend am Sankt Johanner Markt vielleicht. Das ist eine offizielle Einladung! Ruf mich einfach an, dann machen wir was aus.«

»Okay, ich mach dann mal weiter.«

Während Ramona Wertmüller sich weiter mit der Leiche von Alfred Koch beschäftigte, versuchte Katja Reinert ihren Kollegen Sam Wolff zu erreichen.

»So ein Zufall«, meldete sich der junge Hauptkommissar. »Ich wollte dich gerade anrufen und fragen, ob ich dich unterstützen soll.«

»Super!«

In einer kurzen Zusammenfassung informierte die Hauptkommissarin den Kollegen über den Stand der Dinge.

»Pass auf, Sam! Nimm bitte Kontakt mit dem Krankenhaus in St. Ingbert auf. Dort wurde heute Morgen ein Mann namens Werner Ziegler eingeliefert. Ein älterer Herr, der die Leiche hier in Spiesen-Elversberg gefunden hat. Er ist kollabiert und der Notarzt hat ihn eingeliefert. Frag nach, ob er stationär aufgenommen wurde, und ob er ansprechbar und vernehmungsfähig ist. Frag auch nach seiner Adresse, wir brauchen seine Aussage dringend! Wenn möglich, stell ihm folgende Fragen:

Kennt er das Opfer? Falls ja, alle Daten.

War die Tür abgesperrt? Falls ja, mit welchem Schlüssel hat er geöffnet?

Hat das Licht gebrannt?

Waren noch andere Personen auf dem Gelände?

Weitere Befragungen werden wir später mit ihm durchführen, das ist das Wichtigste, was ich wissen muss. Informier mich umgehend über das Ergebnis. Ich werde noch mindestens eine Stunde hier sein, eher länger. Ach ja: Wir brauchen Zieglers Fingerabdrücke zum Abgleich!«

»Gut, ich sag Bescheid«, bestätigte Sam Wolff. »Ich mache mich sofort auf den Weg und melde mich von unterwegs telefonisch im Krankenhaus an.«

»Gut, bis später!«

Nach dem Telefonat ging Katja Reinert zum Eingang des Hauptgebäudes und betrat das Clubheim durch einen Vorraum, in dem es rechts zu den Toiletten und durch die linke Tür zum Versammlungsraum ging. Geradeaus gab es noch eine Tür, die allerdings verschlossen war. Die Tür zum großen Saal stand offen, drinnen standen in Reihen Stühle und Tische, rechts um die Ecke befand sich eine Theke mit Ausschank, dahinter eine große offene Küche, zu der auch die abgesperrte Tür aus dem Vorraum führte. Im Schankraum führte eine weitere abgeschlossene Tür anscheinend nach draußen, denn von dort waren Stimmen zu vernehmen; das waren wohl die der Spurenermittler um Ramona Wertmüller.

Auf dem Tresen lag ein in Folie eingeschweißtes A4-Blatt, auf dem zahlreiche Namen und Telefonnummern aufgeführt waren, anscheinend die Kontaktdaten der Funktionsträger des Wandervereins.

Katja wählte die erste Telefonnummer und wartete. Nach einigen Sekunden ertönte der Anrufbeantworter, der erklärte, dass die gewünschte Person im Augenblick nicht erreichbar sei. Als Katja die zweite Nummer wählte, ertönte das Steigerlied, danach die Ansage, dass Werner Ziegler zurzeit nicht zu Hause sei.

Bei keiner der aufgeführten Nummern ging jemand ans Telefon.

3

Kurze Zeit später

Hauptkommissar Sam Wolff hatte seine ganze Überzeugungskraft und Autorität aufbringen müssen, um die Telefonzentrale des Krankenhauses zu einer Auskunft zu bewegen. Am Ende hatte er wenigstens die Bestätigung, dass Werner Ziegler eingeliefert und stationär aufgenommen worden war.

Wolff hatte daraufhin unmissverständlich klargemacht, dass er in spätestens fünfzehn Minuten vor Ort den behandelnden Arzt zu sprechen wünsche und mit erheblichen Problemen gedroht, falls seinem Anliegen nicht stattgegeben werde.

Die Drohung zeigte Wirkung, denn der Arzt erwartete ihn bereits auf der Station und zeigte sich kooperativ, obwohl ihm anzumerken war, dass er unter Stress stand und ihm die zusätzliche Arbeit gegen den Strich ging.

»Herr Ziegler ist nach meiner Einschätzung stabil und ansprechbar, aber nur bedingt belastbar«, erklärte der Arzt. »Für ein paar Minuten gestatte ich eine Befragung, aber bitte vermeiden Sie jegliche Aufregung des Patienten. So ein traumatisches Erlebnis … naja, Sie können sich sicher vorstellen, dass das für einen älteren Menschen belastend und gefährlich ist. Wir haben ihm ein Beruhigungsmittel verabreicht. Er ist wach und bereit, Ihre Fragen zu beantworten, aber wie gesagt: Fünf bis zehn Minuten, dann ist Schluss. Mir wäre daran gelegen, wenn ich dabei sein könnte; für alle Fälle.«

»Meinetwegen«, nickte der Hauptkommissar. »Aber Sie warten vor der Tür! Für alle Fälle! Das ist eine polizeiliche Ermittlung und … ich muss das nicht weiter ausführen, gehen wir!«

Werner Ziegler machte nicht den Eindruck, als ob er schwer angeschlagen sei. Im Gegenteil! Es war ihm ziemlich zuwider, dass er die Fragen des Hauptkommissars im Bett liegend beantworten sollte, aber der Arzt bestimmte, dass der Patient nicht aufstehen durfte. Ziegler wirkte zwar etwas schläfrig, wohl wegen des Beruhigungsmittels, trotzdem schien er für sein Alter ziemlich aufgeweckt und agil zu sein.

»Wie geht es Ihnen im Augenblick, Herr Ziegler?«, fragte der Hauptkommissar der Höflichkeit wegen, nachdem er den Arzt aus dem Zimmer geschickt hatte.

»Ach, soweit ganz gut, aber mit diesem komischen Krankenkittel komme ich mir vor wie auf dem Weg zum Krematorium. Die behandeln mich hier, als wäre ich ein sabbernder Tattergreis!«

»Ach was, die Ärzte wollen nur Ihr Bestes. Das war für Sie eine schlimme Erfahrung, da ist es gut, wenn man auf Sie aufpasst. Sie dürfen bestimmt bald wieder nach Hause.«

»Mein Bestes?«, lachte der Patient. »Die behalten mich hier, damit sie mit der Krankenkasse abrechnen können. Ich bin zwar alt, aber nicht blöd! Da hat man mal einen kleinen Schwächeanfall, schon wird man behandelt, als würde man gleich abkratzen.«

»Herr Ziegler, ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen, geht das bei Ihnen?«

»Ja klar, was wollen Sie denn wissen?«

»Ich nehme das Gespräch mit dem Mikrofon in meinem Handy auf; einverstanden?«

»Von mir aus.«

»Der Mann, den Sie heute Morgen gefunden haben, kennen Sie den?«

»Ja klar! Das ist Alfred Koch!«

»Aha! Woher kennen Sie ihn?«

»Der ist Mitglied im Klub kochender Männer; die sind bei uns im Verein zur Untermiete. Ich kenne den Alfred schon seit vielen Jahren. Leider!«

»Warum leider?«

»Ist er tot?«

»Ja, Herr Ziegler!«

»Man soll über Tote ja nicht schlecht reden, aber der Alfred Koch war ein ziemliches Arschloch!«

»Upps! Wieso?«

»Ach, seine ganze Art. Hochnäsig, arrogant, von oben herab. Hat sich ziemlich was eingebildet und …«

»Dazu kommen wir ein anderes Mal, Herr Ziegler. Wann haben Sie ihn gefunden, und weshalb sind Sie überhaupt in diesen Raum gegangen?«

»Ich bin der zweite Vorsitzende vom Wanderverein und schaue immer mal wieder nach dem Rechten! Man hat ja eine Verpflichtung! Wissen Sie, das können Sie sich gar nicht vorstellen! Die Leute haben heute kein Verantwortungsgefühl mehr. Früher war es selbstverständlich, dass man alles so hinterlässt, wie man es vorgefunden hat. Sauber, alles weggeräumt, und so weiter. Heutzutage können Sie das vergessen! Zum Beispiel …«

»Verstehe! Kommen wir zum Kern der Sache! Sie haben also alles inspiziert, so weit, so gut! Warum gerade diesen Raum?«

»Der gehört eigentlich zum Kochclub! Die Jungs kochen einmal im Monat bei uns; letzte Woche auch …«

»Wann?«, unterbrach Sam Wolff.

»Weiß ich nicht, müsste ich im Plan nachschauen.«

»Na gut, weiter!«

»Die lassen oft das Licht brennen, oder der Kühlschrank läuft auf Hochtouren, obwohl da kaum was drin ist. Muss doch nicht sein! Wie oft habe ich denen das erklärt, aber nein … ich wollte das überprüfen.«

»Waren Sie alleine auf dem Gelände? Um welche Uhrzeit?«

»So ab zehn ungefähr. Klar war ich alleine! Denken Sie etwa, um diese Zeit kümmert sich jemand? Die kommen zu Arbeitseinsätzen nur, wenn es Freibier gibt …«

»Verstehe«, stoppte der Hauptkommissar Zieglers Redefluss erneut. »War die Tür abgesperrt?«

»Logisch, sonst hätte ich ja nicht aufsperren müssen.«

»Mit Ihrem Schlüssel?«

»Ja mit welchem denn sonst?«

»Wer hat noch einen Schlüssel?«

»Die Köche natürlich! Sie stellen vielleicht Fragen.«

»Sonst noch jemand?«

»Ich glaube nicht.«

»Der erste Vorsitzende vom Wanderclub vielleicht?«

»Ach der! Wozu braucht der einen Schlüssel? Der macht doch nur den Frühstücksdirektor!«

»Hat das Licht gebrannt, als Sie die Tür geöffnet haben?«

»Na klar; das hatte ich mir doch gleich gedacht. Es ist immer dasselbe! Das kann man denen tausendmal sagen, aber da kannst du auch mit deinem Tannenbaum reden. Die kapieren das einfach nicht …«

»Langsam! Wie war das, als Sie die Tür geöffnet und in den Raum geschaut haben? Was war Ihr erster Eindruck?«

»Ich habe mich zunächst gewundert, wieso der Koch da so komisch auf den Kisten hockt. Nanu, dachte ich, was macht der denn da? Der hing so da, als wäre er eingenickt. Dann kam mir der Kerl plötzlich entgegen und fiel mir vor die Füße. Ich bin vor Schreck fast in Ohnmacht gefallen. Naja, später bin ich das dann ja auch, aber …«

»Ich weiß, Herr Ziegler. Was haben Sie danach gemacht?«

»Ich bin außen rum ins Vereinsheim und habe die Polizei und den Notarzt gerufen. Ich musste außen rum, weil die Tür zum Schankraum zu war und ich vor Schreck den Schlüssel nicht aus dem Schloss bekommen habe. Ich weiß auch nicht, es ging alles so schnell und …«

»Haben Sie irgendwas bemerkt, was anders war als sonst? Personen, Geräusche, irgendwas?«

»Nein, ich war ja auch viel zu durcheinander.«

»Wo haben Sie auf die Einsatzkräfte gewartet, Herr Ziegler?«

»Drinnen im Vereinshaus. Ich habe mich nicht mehr rausgetraut und hatte weiche Knie. Zur Beruhigung habe ich einen Mirabellenschnaps getrunken, der war noch übrig vom letzten Fest. Eigentlich wollte ich nur einen, aber als der nicht gewirkt hat, habe ich einen nachgelegt. Dann kam aber auch schon der Notarzt und da hat es mir die Beine weggehauen. Das ist mir noch nie passiert, das können Sie mir glauben. Normalerweise machen mir zwei Schnaps nix aus, aber da …«

»Ich vermute mal, dass Sie nicht wegen dem Schnaps umgefallen sind, Herr Ziegler. Das war wohl eher der Schock.«

»Das hat der Doktor auch gesagt.«

Als habe der Arzt an der Tür auf sein Stichwort gewartet, kam er ohne anzuklopfen ins Krankenzimmer und zeigte demonstrativ auf die Uhr.

»Ich denke, es reicht jetzt!«, mahnte er. »Der Patient braucht Ruhe. Wenn es über Nacht keine Komplikationen gibt, wird er vielleicht schon morgen nach Hause entlassen. Das entscheiden die Kollegen morgen früh.«

»Letzte Frage: Was ist mit den Angehörigen von Herrn Ziegler? Wissen sie Bescheid? Oder sollen wir das übernehmen?«

»Wir haben seinen Sohn telefonisch informiert. Er wohnt in München und ist bereits auf dem Weg hierher. Ich gehe davon aus, dass er in Kürze eintreffen wird. Ohne Obhut würden wir Herrn Ziegler nicht gehen lassen.«

»Ich bin nämlich Witwer und wohne allein«, ergänzte Werner Ziegler.

»Ich lasse Ihnen meine Visitenkarte hier«, erklärte der Hauptkommissar. »Melden Sie sich bitte, wenn Sie wieder zu Hause sind und es Ihnen besser geht. Wir werden sicherlich noch ein paar Fragen haben. Bis dahin gute Besserung und vielen Dank. Sie sind hier in guten Händen und werden bestimmt bald wieder topfit sein. Ich nehme noch schnell Ihre Fingerabdrücke; die benötigen wir zum Vergleich, geht ganz schnell.«

Sam Wolff nahm Werner Zieglers Fingerabdrücke, verabschiedete sich, erkundigte sich bei der Stationsleitung nach den Kontaktdaten des Patienten, unterschrieb dem Arzt ein Besucherprotokoll, hinterließ seine Visitenkarte und machte sich schließlich auf den Weg zu Katja Reinert, die sicherlich gespannt auf neue Informationen wartete.

4

Etwa eine Stunde nach dem Telefonat mit Katja Reinert traf Sam Wolff auf dem Gelände des Wandervereins Gut-zu-Fuß ein und begrüßte seine Chefin.

Sie saß auf einer Steinbank vor dem Vereinsgebäude, um einen Tisch saßen einige Personen, die Sam nicht zuordnen konnte. Die Hauptkommissarin unterbrach ihr Gespräch, bedeutete den Leuten, kurz zu warten, nahm Sam zur Seite und ließ sich berichten, was die Befragung von Werner Ziegler ergeben hatte.

Als Sam geendet hatte, informierte sie ihrerseits den Kollegen über den Stand der Ermittlungen und dem Ergebnis der ersten Leichenschau.

Ramona Wertmüller hatte die Leiche im Beisein der Hauptkommissarin umgedreht, zahlreiche Proben entnommen und die Kleidung untersucht. Weder in den Taschen noch im Umfeld waren Hinweise auf die Identität des Toten gefunden worden. Papiere, Schlüssel, Portemonnaie … Fehlanzeige. Ohne Werner Ziegler würde man bis zum jetzigen Zeitpunkt immer noch nicht wissen, um wen es sich bei der aufgefundenen Person handelte.

»Wenn Koch keinen Schlüssel bei sich hatte, Ziegler die Tür erst aufsperren musste …«

»Schon klar, Katja!«, unterbrach Sam. »Ich weiß, was du meinst. Zudem wissen wir nicht, wie Koch hierhergekommen ist, und wie er wieder nach Hause kommen wollte. Der wohnt am anderen Ende des Dorfes; zu Fuß ist das ein ziemliches Stück. Geld für ein Taxi hatte er anscheinend nicht dabei. Hatte er einen Wagen? Wo ist der abgeblieben, und wo sind seine Haustürschlüssel?«

»Genau! Es gibt einige Ungereimtheiten. Wir werden unser Team verstärken müssen, alleine schaffen wir das nicht. Aber jetzt kümmern wir uns zunächst um die Leute hier; wir teilen uns das auf!«

»Wer sind die Herrschaften?«, fragte Sam Wolff. »Wo kommen die her?«

»Einige sind vom Wanderverein, andere vom Kochclub. Ein Anwohner der Straße oberhalb namens Arthur Schmitt hat mitbekommen, dass hier was los ist und hat alle zusammengetrommelt. Schmitt selbst ist ein Kochbruder des Opfers.«

»Die berühmte Buschtrommel ist manchmal ganz hilfreich«, grinste der Hauptkommissar.

Die beiden Ermittler gingen zurück zum Tisch, wo die Hauptkommissarin einigen Mitgliedern des Wandervereins und des Kochclubs den Kollegen Wolff vorstellte.

»Das ist Hauptkommissar Wolff, mein Kollege, der bereits an anderer Stelle in dieser Sache ermittelt hat. Nur so viel: Ihrem Wanderkollegen geht es soweit gut, es besteht die Hoffnung, dass er bald nach Hause entlassen wird. Es ergeben sich allerdings einige Fragen, die zu beantworten, wir um Ihre Mithilfe bitten. Damit es schneller geht und wir Sie nicht unnötig aufhalten müssen, teilen mein Kollege und ich uns die Befragungen auf. Sofern wir darüber hinaus zu einem späteren Zeitpunkt weitere Fragen haben, werden wir uns mit Ihnen in Verbindung setzen.«

»Wie lange wird das denn noch dauern?«, fragte einer der Wandervögel missmutig. »Ich muss um vier zu meiner Skatrunde, jetzt ist es schon fast drei!«

»Tut mir leid, aber ich fürchte, dass Ihre Skatbrüder heute ohne Sie auskommen müssen«, entgegnete die Hauptkommissarin.

»Das gilt übrigens auch für eventuelle Skatschwestern«, ergänzte Sam Wolff mit todernster Miene.

»Genau!«, lächelte Katja Reinert. »Wir wollen Ihren Tagesplänen gerne Rechnung tragen, aber das hier hat Vorrang. Wenn wir Sie einzeln ins Präsidium einbestellen würden, wäre der Zeitaufwand für Sie wesentlich größer; und unserer übrigens auch. Ich gehe davon aus, dass Sie alle zur Aufklärung der Todesumstände von Alfred Koch beitragen wollen.«

»Ich weiß nicht, warum ihr darum so ein Gedöns macht«, meldete sich ein älterer Herr, dem die Verbissenheit ins Gesicht geschrieben stand. »Der Koch hatte einen in der Krone, ist im Kühlraum eingepennt oder hatte einen Herzkasper, so dick wie der war. Dumm gelaufen und fertig! Wo ist da das Problem?«

»Ich fürchte, als Kriminalbeamter wären Sie nicht weit gekommen«, erwiderte Sam Wolff ebenso unfreundlich. »Die Ermittlungen überlassen Sie besser uns; wir sind nicht zu unserem Vergnügen hier!«

»So ist es!«, bestätigte die Hauptkommissarin. »Die Herrschaften vom Kochclub gehen mit Herrn Wolff dort drüben zum Zelt. Der Rest nimmt bitte auf der Bank vorne links Platz und wartet, bis ich Sie einzeln zu mir bitte. Das ist eine Erstbefragung, wir wollen uns lediglich einen Eindruck verschaffen. Also los, bitte!«

Vom Kochclub waren drei Männer anwesend, die Gruppe der Wanderfreunde umfasste vier Personen, ausschließlich ältere Herren, die in unmittelbarer Nähe wohnten und mit dem Wandern selbst weniger am Hut hatten als mit den Vereinsfesten.

Die Vertreter des Kochclubs waren kooperativ, was Sam nicht überraschte, denn schließlich kam der Tote aus ihren eigenen Reihen. Im Laufe der Gespräche stellte sich jedoch heraus, dass Alfred Koch in der Beliebtheitsskala seiner Kochbrüder ziemlich weit hinten rangierte.

Anwesend waren der erste Vorsitzende, ein Apotheker, sein Vize, ein Zahnarzt, Arthur Schmitt und ein langgedientes Mitglied, der ein Optikergeschäft betrieb. Als ihnen der Tod des Kochbruders Alfred Koch mitgeteilt worden war, waren die drei Männer bestürzt gewesen, und auch jetzt hatte Sam Wolff den Eindruck, dass ihre Bestürzung nicht gespielt war. Der Hauptkommissar hatte keine Mühe, die geforderten Informationen zu bekommen. Die Kontaktliste der restlichen Kochbrüder war schnell übermittelt, alle Fragen wurden bereitwillig beantwortet. Als es jedoch um die persönliche Einschätzung von Alfred Koch ging, waren die Männer etwas zurückhaltender.

»Sie werden hoffentlich nicht erwarten, dass wir hier dreckige Wäsche waschen oder uns herablassend über Alfred äußern«, meinte der Apotheker. »Er war ein guter Koch und sein Ende ist absolut tragisch. Wir stehen alle unter Schock!«

»Genau!«, bestätigten die anderen wie aus einem Munde.

»Alfred hatte gewiss seine Macken«, ergänzte der Optiker, »aber wer von uns hat die nicht?«

»Herr Ziegler hat kein gutes Bild von ihm in Erinnerung«, entgegnete der Hauptkommissar.

»Ach Gott«, stöhnte der Zahnarzt. »Der alte Ziegler hat mit jedem Stress, der ihm über den Weg läuft. Für den ist jeder ein Arschloch, der nicht nach seiner Pfeife tanzt. Der Mann ist ein ibw.«

»Ein was?«, stutzte der Hauptkommissar.

»Ibw. Ich bin wichtig! Falls Sie verstehen, was ich meine.«

»Ah ja, verstehe!«, lächelte Sam Wolff. »Sie erwähnten, dass der Kochclub vorigen Donnerstag hier zum Kochen versammelt war. Alfred Koch auch?«

»Logisch!«, nickte der Apotheker.

»Hatte er einen Schlüssel zum Kühlraum?«

»Offiziell hat unser Club nur einen Schlüssel! Jeweils zum Vereinshaus und zum Kühllager«, erklärte der Vorsitzende. »Und die habe ich!«

»Gut möglich, dass sich Alfred im Laufe der Jahre einen hat nachmachen lassen«, ergänzte der Zahnarzt. »Du weißt ja, wie er ist … äh, war.«

»Wie war er denn?«, bohrte Sam Wolff nach.

»Alfred hatte seinen eigenen Kopf; an Regeln hielt er sich nur bedingt. Aber das nur am Rande!«

Sam Wolffs Handy meldete den Eingang einer Meldung.

»Die Kollegen melden, dass unter Kochs Adresse niemand erreichbar ist«, sagte er in die Runde. »Hat er keine …«

»Kein Wunder«, ging der Optiker dazwischen. »Meines Wissens hatte er keine Verwandten mehr, seit ihm seine Frau vor Jahren davongelaufen ist.«

»Keine Kinder? Geschwister?«

»Soviel ich weiß: nein! Aber er war da nicht sehr mitteilsam.«

»Hat er ein Fahrzeug?«

»Ja!«

»Geht es etwas genauer?«

»Einen Volvo Kombi. Der ist bestimmt 20 Jahre alt.«

»Wir haben kein Fahrzeug dieser Art gefunden. In seiner Garage steht er auch nicht.«

»Das Schiff von Volvo passt da auch gar nicht rein; er musste immer in der Einfahrt parken.«

»Da steht er auch nicht!«

»Merkwürdig!«

»Eben! Herr Koch hatte weder Papiere, noch Autoschlüssel noch eine Geldbörse bei sich!«

»Entschuldigung!«, intervenierte der Apotheker. »Aber Alfred ohne Bargeld … kann ich mir nicht vorstellen!«

»Weshalb nicht?«

»Naja … der Alfred … wie soll ich das erklären? Er haute bisweilen halt gerne mal auf den Putz!«

»Christoph, sag wie es ist!«, forderte der Optiker. »Er hat oft damit geprahlt, dass er nach dem Kochen noch in den Puff geht. Mehr wissen wir aber auch nicht, also ich jedenfalls nicht!«

»In welchem Etablissement hat er … naja sprichwörtlich verkehrt?«

»Keine Ahnung, nicht mein Ding! Will es auch gar nicht wissen! Nach entsprechendem Alkoholkonsum hat er jedenfalls eindeutige Bemerkungen fallen lassen.«

»Okay, danke für den Hinweis! Wann haben Sie Alfred Koch zum letzten Mal gesehen?«

Die Kochbrüder berieten sich, überlegten und kamen zu der übereinstimmenden Meinung, dass das am Donnerstag gegen Ende des Kochabends gewesen sein musste. Uhrzeit und Details waren ihnen nicht mehr in Erinnerung, nur so viel, dass Alfred Koch wahrscheinlich einer der letzten gewesen sein könnte. Umso mehr stellte sich die Frage, wie Koch nach Hause kommen wollte.

»Es war spät«, wusste der Zahnarzt. »Bestimmt nach 23 Uhr. Üblicherweise werden einige Kochbrüder von ihren Frauen abgeholt, andere fahren mit dem Taxi oder haben eine Mitfahrgelegenheit. Das organisiert jeder für sich selbst.«

»Gut, wir werden das bei den Taxiunternehmen nachfragen und bei den anderen Mitgliedern Ihres Klubs«, erklärte der Hauptkommissar. »Er war also noch da, als Sie gegangen sind.«

»Ja«, kam die einhellige Antwort.

»Waren noch andere Personen auf dem Gelände? Menschen, die mit dem Kochabend nichts zu tun hatten?«

»Nö«, meinte der Zahnarzt lapidar.

»Doch!«, widersprach der Apotheker. »Der Bürgermeister war eingeladen; als Gast! Er ist kein Mitglied, versucht aber so oft zu kommen, wie es ihm möglich ist. Herr Huf ist allerdings gleich nach dem Essen gegangen.«

»Und der Rest der Truppe?«, fragte der Hauptkommissar. »Wie lange sind die Teilnehmer geblieben?«

»Unterschiedlich«, meinte der Optiker. »Aufräumen, Spülen … das machen die, die nicht als Beiköche eingeteilt waren. Meistens sitzen die noch auf einen Absacker zusammen, da kann es schnell mal Mitternacht werden.«

»Und Alfred Koch?«

»Der ist oft der Letzte und …«

»… fährt anschließend ins Bordell«, vollendete Sam Wolff den Satz.

»Gut möglich, keine Ahnung!«

»Wer schließt ab?«

»Der Letzte!«, erklärte der Apotheker lapidar.

»Sie sagten gerade, dass Sie die Schlüssel haben!«, hakte der Hauptkommissar nach. »Erklären Sie mir das!«

»Ganz einfach: Wer abschließt, bringt mir den Schlüssel am nächsten Tag in die Apotheke!«

»Wie war das in der vorigen Woche?«

»Roland hatte die Schlüssel die ganze Woche über, weil er im Schuppen den alten Bräter restauriert hat. Freitagmorgen hat er die Schlüssel in der Apotheke abgegeben. Ich gehe also davon aus, dass er abgesperrt hat. Fragen Sie ihn!«

Der Hauptkommissar ging auf der Suche nach einem Roland die Liste der etwa zwanzig Mitglieder durch, wurde fündig und blieb an einem anderen Namen hängen.

»Joachim Schaum?«, stutzte er. »Der ist auch bei euch im Klub?«

»Ja«, antwortete der Zahnarzt. »Aber noch nicht sehr lange. Ach ja, ich glaube, der war früher mal ein Kollege von Ihnen.«

»Stimmt, aber das war vor meiner Zeit. Als ich zum LKA kam, war er bereits im Ruhestand.«

»Damit haben Sie einen Zeugen mit Kompetenzen in alle Richtungen«, lachte der Optiker.

»War Herr Schaum beim letzten Kochabend auch dabei?«

»Ja klar! Ich erinnere mich, dass er von irgendjemand abgeholt oder mitgenommen wurde.«

»Soviel ich weiß, ist er mit dem Bürgermeister mitgefahren; der wohnt nämlich in seiner Nachbarschaft«, wusste der Optiker.

»Gut, meine Herren! Fürs Erste wäre es das, aber wir werden mit Sicherheit noch weitere Fragen haben. Wir werden auch die anderen Kochbrüder befragen. Wenn Ihnen im Nachgang noch etwas einfällt, melden Sie sich bitte bei mir, ich lasse Ihnen meine Karte da.«

»Können wir jetzt gehen?«, fragte der Optiker. »Ich muss ins Geschäft!«

»Augenblick noch, bitte. Ich frage meine Chefin, ob sie noch Fragen hat. Ich bin gleich zurück.«

Hauptkommissar Wolff ging zum Vorplatz des Vereinshauses, wo Katja Reinert die Befragung der vier Wandervögel ebenfalls abgeschlossen hatte; die Herrschaften machten allerdings keinerlei Anstalten, nach Hause zu gehen. Als einer der Männer ins Vereinsheim wollte, um dort den Obstler aus dem Kühlschrank zu holen, wurde die Hauptkommissarin sauer.

»Jetzt reichts aber! Das ist weder der Ort noch die Zeit, um einen Stammtisch abzuhalten! Ich fordere Sie auf, das Gelände jetzt zu verlassen. Falls nötig, werden wir in den nächsten Tagen weitere Gespräche mit Ihnen führen. Bis dahin: auf Wiedersehen, meine Herren, und danke erstmal!«

»Können die Köche auch nach Hause?«, fragte Sam Wolff.

»Ja! Das reicht fürs Erste! Wir müssen das auswerten; wenn es weitere Fragen gibt, haben wir die Kontaktdaten. Die Leiche wurde bereits abtransportiert, ich habe um Freigabe zur Obduktion gebeten. Daniela klärt das ab.«

»Moment, ich sage den Köchen Bescheid; bin gleich wieder da!«

Minuten später kam Sam zurück.

»Sitzt du fest?«, fragte er die Hauptkommissarin.

»Wieso? Was ist?«

»Rate mal, wer ebenfalls Mitglied in diesem Kochclub ist!«

»Keine Ahnung!«

»Ein gewisser Joachim Schaum, Hauptkommissar a. D.«

»Nein!«

»Doch!«

»Oh Gott!«

»Du wolltest Verstärkung, jetzt hast du sie!«

»Wenn das die Staatsanwältin erfährt, bekommt sie Schnappatmung!«

»Den Schaum knöpfen wir uns am besten als Erstes vor!«, schlug Sam vor. »Wahrscheinlich hat er eh schon Wind von der Sache bekommen. Ach ja, der Bürgermeister war am Kochabend ebenfalls mit von der Partie.«

»Wieso das denn?«

»Als Gastkoch! Ich fasse mal kurz zusammen …«

Sam Wolff gab einen kurzen Abriss über das Ergebnis seiner Befragung der Köche, worauf Katja Reinert ihrerseits das Resultat aus den Aussagen der Wandervögel zusammenfasste.

Alfred Koch war auch im Wanderverein nicht sonderlich beliebt. Mit den Köchen kam man im Allgemeinen ganz gut zurecht, aber Alfred wurde als großmäulig und unsympathisch beschrieben.

»Sie sagen, dass er ein Mensch war, der sich mit jedem anlegte, der ihm widersprach, weil er wohl Angst hatte, dass ihm jemand den Rang ablaufen könnte«, erklärte die Hauptkommissarin. »Einer meinte, dass es einfacher sei, eine Liste seiner Freunde aufzustellen, als die seiner Feinde.«

»Oh je«, stöhnte Wolff. »Hoffentlich ergibt die Obduktion, dass Koch eines natürlichen Todes gestorben ist, sonst ersticken wir in Arbeit.«

»Hallo!«, entrüstete sich seine Chefin. »Und wenn nicht, dann machen wir unseren Job! Seit wann kneifst du?«

»Ja, ja! War nur so dahingesagt! Manchmal gehen mir die Leute einfach auf den Wecker! Anscheinend gibt es immer mehr von diesen Psychoheinis!«

»Ziegler und Koch konnten sich anscheinend nicht riechen, da sind wohl zwei Alphatiere zusammengerasselt.«

»Nix Neues unter Vereinsmeiern«, kommentierte Wolff. »Außerdem soll Koch sich vor kurzem auf dem Parkplatz vor dem Vereinsheim lautstark mit einer Frau gezofft haben. Um was es ging, ist nicht bekannt, aber da muss es ziemlich heftig abgegangen sein. Wer die Frau war, weiß niemand. Koch soll regelmäßig ins Bordell gegangen sein; vielleicht gibt es da einen Zusammenhang.«

»Kann sein, muss aber nicht!«, entgegnete die Hauptkommissarin.

»Weißt du, wie viele Bordelle es in der Umgebung gibt?«, maulte ihr Kollege.

»Nee!«, lachte Katja. »Du?«

»Woher soll ich das wissen? Wie machen wir jetzt weiter? Wir haben keinen offiziellen Ermittlungsauftrag.«

»Richtig, aber wir haben die Todesumstände zu klären, auch ohne Obduktion. Es gibt viele offene Fragen: Wo ist Kochs Wagen, wo sind die Schlüssel? Wie ist er zum Kochabend gekommen, wie wollte er wieder heim? Wann wurde er zum letzten Mal lebend gesehen? Und, und, und … die übliche Routinearbeit.«

»Das Obduktionsergebnis wird frühestens morgen Mittag vorliegen, falls es überhaupt zu einer Obduktion kommt und denen ganz oben das Ganze nicht zu teuer ist. Wir sollten im Vorfeld nicht zu viel Energie aufwenden, um …«

»Mach es dir nicht zu einfach, Sam«, intervenierte die Hauptkommissarin. »Die Tür war abgesperrt und Koch hatte keinen Schlüssel bei sich. Koch hatte Feinde. Sein Todeszeitpunkt ist unbekannt, die Todesursache auch. Das muss reichen, um einer Obduktion zuzustimmen und zumindest Vorermittlungen zu veranlassen. Wir sind im Boot, ob dir das nun passt oder nicht!«

»Ich fürchte, du hast Recht«, gab Sam Wolff klein bei.

»Wir werden als Nächstes die Liste der Kochbrüder abarbeiten; wir teilen uns das nach Wohnadressen auf.«

»Deinen ehemaligen Kollegen Schaum solltest du übernehmen«, schlug Sam vor. »Du bist näher an ihm dran!«

»Das spielt zwar keine Rolle, aber egal. Josch ist ein Zeuge wie jeder andere. Von mir aus; fange ich eben mit ihm an und werde danach die anderen in seiner Umgebung abklappern. Nimm du bitte die von außerhalb. Wir treffen uns später im Büro.«

5

Am Nachmittag des gleichen Tages

Um rauszufinden, ob der ehemalige Hauptkommissar und aktuelle Kochbruder zu Hause anzutreffen war, rief Katja Reinert dessen Mobilfunknummer an, die sie vor Jahren in ihr Handy gespeichert hatte und hoffte, dass die Nummer noch stimmte. Beim Blick auf die Uhr stellte sie fest, dass es bereits kurz nach 16 Uhr war; das würde mal wieder ein langer Arbeitstag werden.

»Schaum! Wer stört?«, meldete sich die bekannte Stimme, und sie klang nicht sonderlich erfreut.

»Hallo Josch! Katja hier!«

»Welche Katja? Ich kenne mindestens drei!«

»Hauptkommissarin Katja Reinert! Falls du dich erinnerst.«

»Das ist jetzt nicht wahr! Falls du mir nach so langer Zeit einen Antrag machen willst, möchte ich darauf hinweisen, dass ich glücklich verheiratet bin.«

»Schade! Bist du zu Hause?«

»Sag bloß, du willst mich besuchen?«

»So ist es!«

»Wann?«

»Gleich, bin gerade in der Nähe.«

»Das ist jetzt aber blöd! Ich sitze mit einem Freund im Biergarten.«

»Wo denn?«

»Am Hoferkopf, falls du weißt, wo das ist.«

»Nee, erklär’s mir!«

»Von Elversberg am Stadion vorbei Richtung Bildstock. Ortseingang rechts ab, ist ausgeschildert. Wo bist du gerade?«

»Vereinshaus Gut-zu-Fuß.«

»Was machst du denn dort? Dienstlich oder privat?«

»Das erklär ich dir später. Ich mache mich sofort auf den Weg.«

»Gut dann, bis gleich. Bist du alleine?«

»Ja, warum?«

»Hätte ja sein können, dass du die Staatsanwältin im Schlepptau hast.«

»Nein, aber wäre das so schlimm?«

»Erklär ich dir auch später«, beendete Josch das Gespräch.

Zehn Minuten danach betrat die Hauptkommissarin die gut besuchte Gartenwirtschaft am Hoferkopf und entdeckte ihren ehemaligen Kollegen zusammen mit einem weiteren Mann an einem Tisch am Rande des Biergartens. Als sie näherkam, erkannte sie, wer der Begleiter von Joachim Schaum war: Toni Lukas, der Lebensgefährte von Staatsanwältin Daniela Sommer!

»Guten Tag, die Herren«, grüßte die Hauptkommissarin und zeigte auf die Bierkrüge. »Wie ich sehe, lasst ihr es euch gut gehen.«

»Das haben wir uns nach zehn Kilometern auch verdient«, antwortete Josch, während er Katja umarmte. »Meinen Wanderfreund Toni kennst du ja.«

»Hallo«, grüßte Toni. »Bitte, setzen Sie sich doch zu uns.«

»Waren wir nicht schon beim DU?«, fragte Katja.

»Stimmt, Entschuldigung! Wir haben uns lange nicht gesehen, deshalb wohl. Also bitte, setz dich!«

»Was treibt dich nach Spiesen-Elversberg?«, wunderte sich Josch. »Warst du auf der Geschäftsstelle der SV Elversberg und hast dir eine Saisonkarte besorgt?«

»Ach Gott, ich und Fußball«, lachte Katja Reinert.

»Was dann?«

»Lass Katja erst mal etwas bestellen!«, unterbrach Toni. »Willst du auch was essen? Du bist natürlich eingeladen.«

»Nee, danke. Eine Apfelschorle wäre gut.«

Toni winkte nach der Bedienung und gab die Bestellung auf.

»Und für uns noch zwei Bier, bitte!«, ergänzte er.

»Mach zart, Junge! Wir haben noch einen langen Heimweg vor uns«, warnte Josch.

»Notfalls fahre ich euch nach Hause«, bot Katja an.

»Jetzt sag schon, was dich in diese Gemeinde treibt!«, forderte Josch ungeduldig.

In den nächsten Minuten schilderte die Hauptkommissarin die Gründe ihres Besuches und unterbrach ihren Vortrag nur, als die Getränke serviert wurden. Josch und Toni hörten erstaunt zu, wobei der ehemalige Hauptkommissar immer wieder ungläubig den Kopf schüttelte.

»Meine Güte!«, stöhnte Josch am Ende. »Der Alfred! Das darf ja wohl nicht wahr sein!«

»Geht ihr von Fremdverschulden aus?«, fragte Toni.

»Wir gehen im Augenblick von gar nichts aus«, erklärte Katja Reinert. »Ich habe mit Daniela übrigens noch nicht sprechen können, wir haben noch keinen Ermittlungsauftrag. Wir befinden uns im Stadium der Vorermittlungen zur Abklärung des Sachverhaltes.«

»Du willst mich demnach sprechen, weil ich Mitglied im Kochclub bin«, spekulierte Josch.

»Korrekt! Du warst vorigen Donnerstag bei eurem Kochtreffen, das hat mir der Vorstand erzählt. Versuch dich zu erinnern, wer, wann und mit wem gekommen ist. Gleiches gilt für die Heimfahrt. Zweitens: Wie gut kanntest du Alfred Koch? Was für einen Eindruck hattest du von ihm? Und drittens: Ist an diesem Abend etwas Besonderes, etwas Auffälliges vorgefallen?«

»Also: Wer mit wem und wann gekommen und gefahren ist, kann ich dir im Detail nicht sagen. Marion hat mich kurz vor 18 Uhr zum Vereinsheim gebracht, da waren Roland und Alfred schon da.«

»Roland Scherf und Alfred Koch?«, hinterfragte Katja und machte sich Notizen.

»Genau!«

»Weißt du, ob Koch mit dem Auto gekommen war?«

»Wenn ich mich richtig erinnere, hat Roland den Alfred mitgebracht, weil Alfreds Auto in der Werkstatt war.«

»Sicher?«

»Ich meine, die hätten darüber geredet.«

»Auch wo das Auto steht?«

»Nein, aber Roland wird das wissen.«

»Gut, weiter!«

»Ich war als Beikoch in der Küche beschäftigt, deshalb weiß ich nicht, in welcher Reihenfolge die anderen gekommen sind.«

»Gab es Streit an diesem Abend, irgendwelche Vorfälle?«

»Nicht, dass ich wüsste! Die üblichen Frotzeleien zum Thema Fußball. FCS kontra SVE und umgekehrt, aber als Streitigkeiten kann man das nicht bezeichnen.«

»Was war Koch für ein Typ? Wie bist du mit ihm ausgekommen? Wie war sein Verhältnis zu den übrigen Kochbrüdern?«

»Buh!«, stöhnte Josch und überlegte. »Ich bin erst seit einem Jahr bei den Köchen, daher kannte ich Alfred nicht sonderlich gut. Vom Kochen verstand er anscheinend etwas, aber das können die Altgedienten besser beurteilen. Mir gegenüber war Koch erstaunlich zurückhaltend, aber im Allgemeinen empfand ich ihn als unangenehmen Zeitgenossen. Soziale Kompetenz schwach ausgebildet, aufschneiderisch, laut, provozierend … kein Mensch, den man auf Anhieb mag. Für mich war er ein Kochbruder, mehr nicht. Im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern habe ich seine Nähe nicht gerade gesucht; ich meine damit, dass ich mich mit anderen manchmal auch außerhalb des Kochens treffe, das habe ich mit Alfred nie getan.«

»Kennst du sein persönliches Umfeld?«

»Nein, keine Ahnung! Andeutungen von anderen Kochbrüdern ließen mich vermuten, dass er ein geiler Bock war, der sich für unwiderstehlich hielt und hinter jedem Rock her war, der nicht schnell genug auf die Bäume kam. Aber das musst du die anderen fragen, die ihn schon länger kennen.«

»Freunde wart ihr also nicht?«

»Nein, mit Sicherheit nicht!«

»Weißt du, was er beruflich gemacht hat?«

»Nein, keine Ahnung!«

»Wie alt ist Koch geworden?«, mischte sich Toni Lukas ein.

»Zwischen Mitte und Ende fünfzig, so die erste Analyse der Forensik; die genauen persönlichen Daten habe ich noch nicht. Warum?«

»Ich hatte vor Jahren mal mit einem Alfred Koch beruflich zu tun, der war damals bei der Landesverwaltung tätig und kam, soweit ich mich erinnere, hier aus der Gegend; kann aber auch ein Namensvetter sein. Das Alter könnte allerdings passen.«

»Einen Augenblick bitte«, bat Josch. »Ich habe im Handy ein Foto vom letzten Weihnachtsessen, da ist er drauf. Dauert einen Augenblick.«

Josch kramte aus seiner Jackentasche das Handy heraus und suchte in der Fotogalerie.

»Hier ist es«, sagte er schließlich. »Vorne links, das ist Alfred Koch.«

»Kann hinkommen«, urteilte Toni. »Ist zwar schon eine Weile her, seit ich ihn zum letzten Mal getroffen habe, aber das könnte er sein.«

»Josch, schick mir das Bild bitte auf mein Handy!«, forderte die Hauptkommissarin. »Erzähl bitte weiter, Toni!«

»Es ging damals um eine Immobilie des Landes, die zum Verkauf anstand. Details würden jetzt zu weit führen. Koch war der Ansprechpartner, aber ich habe bereits nach dem ersten Treffen mein Desinteresse bekundet. Geballte Inkompetenz, gepaart mit der hochnäsigen Bürokratie einer Landesverwaltung; in ein solches Umfeld investiere ich nicht.«

»Und Koch selbst, wie hast du den erlebt?«, hinterfragte Josch, in dem nun der ehemalige Hauptkommissar wach wurde.

»Ähm, da muss ich nun aufpassen, was ich sage!«

»Bleibt unter uns«, versicherte Katja Reinert.

»Das will ich hoffen! Viele Worte, wenig Inhalt! Vom Unternehmertum keine Ahnung! Und nicht sehr vertrauenswürdig.«

»Inwiefern?«, wollte Josch wissen.

»Er hat den Eindruck hinterlassen, für Dinge empfänglich zu sein, die … zu seinem Vorteil gereichen könnten; um es diplomatisch auszudrücken.«

»Du meinst, er war korrupt?«, staunte Josch.

»Ein wirklich böses Wort, Josch«, lachte Toni verhalten. »Aber womöglich kommt es der Wahrheit recht nahe.«

»Gut möglich, dass wir darauf nochmal zurückkommen werden«, kündigte die Hauptkommissarin an.

»Stopp!«, forderte Toni. »Lass mich da raus! Ein Eindruck, mehr nicht. Ich habe keine Beweise und hatte mit Herrn Koch keine weiteren Kontakte mehr.«

»Okay, vielleicht wird dich Daniela darauf später ansprechen … Zurück zum Kochabend! Josch, wie und wann seid ihr wieder auseinandergegangen?«

»Ich bin ziemlich früh gegangen und war vor elf schon zu Hause. Der Bürgermeister hat mich mitgenommen, das war mir ganz recht. Wir waren mit dem Aufräumen fast fertig, einige sind mit Sicherheit noch eine Weile geblieben.«

»Wie läuft das normalerweise ab, oder bist du immer der Erste?«

»Nein, das nicht!«, lachte Josch. »Einige Jungs haben Sitzleder, vor allem die Ruheständler. Bei denen, die anderntags arbeiten müssen, wird es nicht so spät. Manche werden von ihren Frauen abgeholt, die bleiben auch schon mal länger.«

Katja Reinert überflog die Liste der Mitglieder vom Kochclub.

»Was ist mit Ralf, Karl-Heinz, Artur, Frank, Kurt und so weiter? Über die hast du noch gar nichts gesagt.«

»Das ist jedes Mal anders; außerdem sind nicht immer alle da. Das kommt drauf an, wer die Beiköche sind und wie der Abend verläuft.«

»Wer schließt ab?«

»Der, der den Schlüssel hat!«

»Witzbold! Hat schon mal jemand so formuliert. Nein, im Ernst!«

»Wer bis zum Schluss bleibt, sperrt zu und bringt Christoph den Schlüssel am nächsten Tag in die Apotheke. Weiß ich nur vom Erzählen, ich selbst war noch nie der Letzte.«

»Hatte Alfred Koch einen Schlüssel?«

»Woher soll ich das wissen? Keine Ahnung!«

»Kannst du dir vorstellen, was Koch in dem Kühlraum wollte?«

»Was wird er dort wohl gemacht haben? Aufräumen wahrscheinlich; Gewürze sortieren, Kühlschrank bestücken, was weiß denn ich? Im Übrigen fährst du uns nach Hause! Du hast uns so lange aufgehalten, dass wir es ohne Stress nicht mehr schaffen, zu Fuß zeitig nach Hause zu kommen.«

»Einverstanden! Ich spendiere auch noch eine Runde als Wiedergutmachung!«

»Rechtlich ist das bedenklich!«, lachte Toni. »Aber mit dieser Form von Rechtsbeugung kann ich leben.«

»Wenn wir nach Hause kommen und einen in der Krone haben, werden wir unseren Frauen erzählen, dass du daran schuld bist«, stellte Josch fest.

»Ich denke, dass ich das Marion und Daniela plausibel erklären kann«, lachte die Hauptkommissarin und bestellte für die beiden Männer noch zwei Bier. »Ich bin aber noch nicht fertig mit euch beiden!«

»Dann sollten wir etwas zu essen bestellen! Zu Hause bekomme ich jetzt nix mehr und ich hatte noch kein Mittagessen«, schlug Josch vor. »Kannst du als Spesen absetzen.«

»Gute Idee«, bestätigte Toni, »aber das Essen geht auf mich!«

»Oh, Männer«, seufzte Katja. »Ihr macht mich wahnsinnig. Ich habe noch einiges auf dem Zettel heute.«

»Dein Problem«, entgegnete Josch. »Du wolltest uns doch unbedingt interviewen. Das hast du nun davon!«

»Okay, ich habe anscheinend keine Chance«, resignierte Katja Reinert.

»Ich empfehle das Hüttensteak«, ergriff Toni die Initiative. »Oder bist du vegetarisch oder vegan unterwegs?«

»Nee, ich gebe zu, dass ich auch mächtigen Kohldampf habe.«

Toni eilte ins Gasthaus, gab die Bestellung auf und kam wenige Minuten wieder zurück.

»Wir könnten unsere Frauen anrufen und fragen, ob sie Lust haben, dazuzukommen«, schlug er vor.

»Um Himmelswillen, nein!«, wehrte Josch ab. »Das wird ein endloser Sermon und ich kann alles nochmal erzählen. Lass mal gut sein!«

»Na gut, dann eben nicht! Du sagtest, dass du noch nicht fertig bist, Katja; was steht noch an?«

»Uns wurde mitgeteilt, dass Alfred Koch vor nicht allzu langer Zeit auf dem Parkplatz des Wandervereins eine heftige verbale Auseinandersetzung mit einer unbekannten Frau hatte. Hast du eine Idee, Josch, wer das gewesen sein könnte?«

»Wann soll das gewesen sein?«, fragte Josch.

»Das Datum ist nicht bekannt, aber es soll noch nicht lange her sein.«

»Hm«, überlegte Josch und blätterte erfolglos in seinem Terminkalender. »Genaues Datum habe ich auch nicht, aber vor ein paar Wochen bekochten wir ein Fest der Wanderfreunde. Spießbraten, Schales und so. Da gab es einen Disput zwischen Alfred und Sabrina; es ging ziemlich laut zu.«