Aya taucht ab - Susanne Beyer - E-Book
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Aya taucht ab E-Book

Susanne Beyer

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Beschreibung

Aya ist klug, leidenschaftlich, zielstrebig, kunstsinnig und ein bisschen verrückt. Sie erfährt die große Liebe, die sie jedoch – getrieben von zerstörender Eifersucht – feige beendet. Zeitgleich macht ihre beste Freundin Schluss! Zerrissen und enttäuscht stürzt sie in einen Abgrund und flüchtet – in eine „andere Welt“. Dem mystischen Zauber der Insel Kreta verfallen, erlebt sie während eines Bootsausflugs diese unfassbare Verwandlung… Der Leser gerät in ein Verwirrspiel zwischen Fiktion und Realität. Die Spannung trägt bis zum Schluss und regt mit dem verblüffenden Ausgang der Story zum Nachdenken an.

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SUSANNE BEYER

Roman

I M P R E S S U M

© 2022 Susanne Beyer

18, Rue du Zechenetzel

57510 Puttelange aux lacs

zerberart-werbung.com

Cover | Umschlagdesign:

SUSANNEBEYER

ISBN: 9783754682289

DIE FLUCHT

„Passen Sie doch auf!“ Der grimmige Bootsverleiher riss drohend seinen rechten Arm hoch – er befürchtete, die neue Lackierung seines Lieblingsbootes könnte Schaden genommen haben. „Oh, Entschuldigung!“ Im Affekt nach Halt suchend, musste Aya mit ihrer Handtasche wohl die frisch gestrichene Seite eines seiner Boote berührt haben. Sie trug ihre neuen roten Schuhe – die zwar flach und bequem, jedoch mit einer glatten Kunststoffsohle versehen waren.

„Hier entlang“, knurrte der Mann und führte sie vorsichtig über den geriffelten Tritt, bis zum Bootsinnern der auf den zweiten Blick maroden, kleinen Nussschale. „So ist‘s fein, der Einfachheit halber alles blau überpinseln…“, grummelte Aya genervt, während sie duldete, dass der Alte sie zur Sicherheit am Arm festhielt.

Gedankenverloren sinnierte sie über die Ereignisse nach, die sie in der Vergangenheit so tief getroffen hatten. Verena, ihre beste Freundin, die ihr ganz plötzlich die Freundschaft kündigte – dieser Brief, indem sie ihr mitteilte, sie könne so nicht weitermachen. Der Schmerz fühlte sich entsetzlich an, wie das Ende einer langjährigen, innigen Liebesbeziehung – zumal alles ohne jegliche Vorankündigung geschah. Aya hatte nichts bemerkt – oder vielleicht doch – je mehr sie darüber nachsann, umso unsicherer wurde sie. Sie musste an Verenas gequälten Gesichtsausdruck bei den Begrüßungen im Café denken, wo sie sich zum Frühstück trafen – oder beim gemeinsamen Malen im Atelier. Ihr Verhalten wirkte gehetzt und genervt und ihre Umarmungen waren leicht und fahrig, nicht fest und herzlich wie früher. Aya konnte nicht glauben, dass dieser Vorfall am Heiligabend der alleinige Grund für den Bruch ihrer Freundschaft gewesen sein sollte.

„Oder wurde sie vielleicht doch wieder von den fünf Anderen beeinflusst, ich dachte das hätte sich damals geklärt...?“ Aya hielt inne, ihr wurde fast übel bei dem Gedanken. Bei dieser Frage eröffnete sich ihr eine neue Perspektive auf die Geschehnisse. Doch, die wahren Gründe – würde sie diese jemals erfahren?

Und wieder kam ihr Alexander in den Sinn – wieso musste sie ausgerechnet heute so oft an ihn denken? – die Ereignisse lagen doch so weit zurück. Traf sie damals die richtigen Entscheidungen? Gab es tatsächlich keinen anderen Weg als die Trennung? Ihr Herz fühlte sich schwer an, schwer und warm – war dies ein Zeichen, dass darin noch immer Alexander wohnte? Sie konnte diese Gefühle nicht richtig einordnen.

Nun bot sich ihr diese kleine Flucht für acht Tage – diese wundervolle, wildromantische Mittelmeerinsel, mystisch anmutend und immer wieder verzaubernd – als Ort des Rückzugs und der Erholung zu nutzen. Dieser Plan schien ideal – jedoch sollte er nicht recht aufgehen. Der dritte Tag näherte sich dem Ende, doch die wirre Flut ihrer Gedanken ließ Aya nicht zur Ruhe kommen. Die kleine Appartement-Anlage, der zauberhafte Blick über den bunten, duftenden Blumenteppich auf das türkisblaue Meer – ein Anblick zum Träumen – doch sie hatte das Gefühl, nicht ganz hier zu sein. „Kreta…“, mit geschlossenen Augen hielt sie einen Moment lang inne. „Mein geliebtes Kreta!“ Nervös nestelte sie an ihrem Kleid und versuchte, irgendeine Emotion zu spüren – nein, sie war noch nicht angekommen. Aya nahm all diese Schönheit mit ihren Augen wahr, doch sie drang nicht in ihr Inneres, erreichte nicht ihre Seele.

Sie setzte sich auf eine der zwei Sitzstreben, die mit blau-weiß-kariertem Filz überzogen waren, ließ die knappen Anweisungen des Besitzers über sich ergehen, wurde losgebunden und griff nach den Paddeln. Ihr Blick wanderte noch einmal über den bezaubernden, kleinen Fischerhafen, der still und märchenhaft in dieser versteckten Bucht lag. Sie betrachtete den zugehörigen Strandabschnitt, der von wenigen Besuchern, vielleicht nach einem romantischen Essen in einer der authentischen Tavernen, gerne zum Verweilen genutzt wurde.

Die einheimischen Gäste strömten um diese Jahreszeit überwiegend aus den umliegenden Dörfern oder der zwölf Kilometer entfernten, früheren Hauptstadt der Insel, herbei. Einige blickten beseelt zum Meer, andere waren bereits in ihr köstliches Mahl vertieft und unterhielten sich angeregt mit ihren Tischnachbarn.

Der Duft gebratener Meeresfrüchte und dampfendem Gemüse, in heißem Öl gebacken, erreichte Ayas Nase und beflügelte ihre kulinarische Fantasie. „Hmm, dazu werden ein knoblauchlastiges Tzatziki und ein Glas harziger Retsina gereicht“, sie rollte mit den Augen und leckte sich die Lippen. „Zum krönenden Abschluss wird Joghurt mit Nüssen und Honig serviert. Vielleicht bringt der Chef persönlich einen Teller Obst – dazu einen Ouzo zur Verdauung.“ Als Aya tief in Gedanken schwelgte, wurde sie von einer herannahenden, frechen Möwe aufgeschreckt, die sich auf dem Nachbarboot niederließ und sie laut auszulachen schien – so konnte man diese rhythmischen Schreie deuten. Aya erschauderte und klatschte in die Hände, um das ‚Biest‘ zu verscheuchen, was ihr schließlich gelang.

Sie blickte sich um und zählte elf alte Fischkutter. Auf einigen fand geschäftiges Treiben statt. Hier wurde geschrubbt, mit flinken Händen Netze geflickt und die letzten Vorbereitungen zur abendlichen Ausfahrt, in der Hoffnung auf einen guten Fang, getroffen. Direkt daneben verlieh Yannis, der grimmige Alte, insgesamt fünf kleine, frisch aufgehübschte Holzboote – jedes in einer anderen Farbe angestrichen – an Touristen. „Ob er mit seiner groben Art und dieser Mimik auf Dauer Geschäfte machen kann? Nun, ich bin ja soeben seine Kundin geworden – privat ist er sicher ein ganz netter Kerl, vielleicht mag er einfach die Touristen nicht leiden,“ statuierte sie.

„Es ist schon spät!“, brüllte Yannis. „Schauen Sie zu, dass Sie in zwei Stunden wieder hier sind. Der Wind dreht bald und es könnte gefährlich werden – wenn Sie zu lange draußen bleiben! Achten Sie auf...“ Den Rest verstand sie nicht mehr, sah nur noch den erhobenen Zeigefinger des Mannes, doch das war ihr gerade recht.

„Endlich weg hier, weg von allem – wenn auch nur für zwei Stunden!“ hörte sie sich laut, mit einem Seufzen der Erleichterung, protestieren. Und das mit drei akustischen Ausrufezeichen, so, als sei die Mole, an der das Seil festgemacht war, Symbol für all ihre Probleme, die sie nun dort zurücklassen konnte.

Fünfundfünfzig, sechsundfünfzig – sie zählte ihre Paddelschläge, die sie endlich ein Stück hinaustrieben. Und noch ein Stück und noch ein paar Züge… Hundertachtzehn – die Konturen des Hafens verschwammen allmählich in der Abenddämmerung und Aya beschloss, sich jetzt nicht mehr umzublicken. Für kurze Zeit schien sie alles vergessen zu haben und war in einen dösenden Halbschlaf gesunken, bis sie die erste kühle Brise leicht erzittern ließ. Schnell zog sie ihre rote Strickweste an, die sie bisher locker um die schlanke Taille gebunden über ihrem türkisfarbenen Kleid trug. Das Boot wurde jetzt heftig hin- und hergerissen, ein paar kräftige Spritzer trafen Aya am Rücken. Doch das Wippen beruhigte sich allmählich und sie positionierte sich wieder neu in der Mitte der Sitzbank.

Das wohlig entspannte Gefühl kam zurück und Aya genoss die größer werdende Entfernung. Doch plötzlich meldete sich ihr Gedächtnis: „Mama! – unsere Verabredung zum Telefonat, heute Abend um zehn“, sie fasste sich an die Stirn. Eigentlich hatte sie überhaupt keine Lust. „Ach, es ist ja doch immer das Gleiche, neugierige Fragen, Ermahnungen und Ratschläge, die ich unbedingt befolgen soll – das wird sich wohl nie ändern…“, sann sie kopfschüttelnd nach. Sie legte ihren Oberkörper auf den Schenkeln ab und ließ Kopf und Arme schlaff nach unten hängen. Zehn Mal atmete sie tief ein und wieder aus. Mit jedem Einatmen ließ sie positive Energien in ihren Körper fließen, und mit jedem Ausatmen spie sie die mit Groll angereicherte Luft aus sich heraus. Diese Entspannungsübung half immer, wenn sie sich im Alltag überfordert fühlte. „Oder – ich könnte das Handy ausschalten und morgen flunkern, ich hätte keinen Empfang gehabt – das wäre zu überlegen…“, so ließ sie die Entscheidung für diesen Moment stehen und übergab sich wieder dem sanften Wiegen des kleinen Bootes, das vom lauen Wind umweht wurde. Für eine ganze Weile gelang es ihr, verträumt auf das tiefe Blau des weiten Himmels blickend, die Sorgen loszulassen.

BARBIE

Ayas Mutter Petra würde man als ‚Hingucker’ bezeichnen. Barbie deshalb, da sich dem Betrachter, beim ersten Wahrnehmen dieser exotischen Erscheinung, unweigerlich der Vergleich mit einer Barbie-Puppe aus den Siebzigern aufdrängte.

Die überbetonten Akzente der attraktiven Petra veranlassten dazu, mindestens noch ein zweites Mal – und zwar sehr genau – hinzusehen. Ihre Lippen strahlten in grellem Rosa, der viel zu helle und ebenmäßige Teint schimmerte wie Porzellan, und die Wangen leuchteten in knalligem Pink. Die falschen Wimpern klebten schwarz und dicht über ihren eigenen und der blondierte Schopf umspielte, kunstvoll zur Löwenmähne toupiert, ihr geschminktes Gesicht. Dazu trug sie entweder einen körperbetonenden Rock oder Jeans mit einem breiten Taillengürtel. Hohe Absätze gehörten zur Standardausrüstung, wenn sie das Haus verließ. Ihr ansehnliches Dekolletee wurde durch hübsche Blusen betont, wobei die obersten Knöpfe großzügig geöffnet blieben.

Petra gab ihrer Tochter den Namen Aya-Viktoria. „Du bist ein so besonderes Kind. Du bist die Schönste, die Klügste und die Beste. Schau dir doch die anderen an – die Melanie, die Julie, die Lisa – sie sind alle entweder zu fett, zu dumm, oder zu hässlich!“ In solch üblem Ton pflegte Petra über Ayas Mitschülerinnen zu schimpfen und ihren Schatz in den höchsten Tönen zu loben. Ihre Charaktermerkmale könnte man als egozentrisch, narzisstisch und oberflächlich bezeichnen, die meisten jedenfalls. Ihr Lebensmotto lautete: Mit Schönheit erreicht man ALLES. „…und du, mein Kind, du bist auch noch klug!“

Eine ihrer positiven Eigenschaften stellte jedoch die bedingungslose Hilfsbereitschaft dar. Dies mochte, auf ihre Person bezogen, gegensätzlich wirken, doch sie besaß ein übergroßes Herz und wies niemanden ab, der sich in Not befand. Diese so wundervolle Art ließ sie jedoch Situationen erleben, die sie tief erschütterten und verletzten. Einige ihrer langjährigen Freunde wussten diese Großherzigkeit und Güte nicht genügend zu schätzen und waren bei der kleinsten Aussage, die nicht haargenau die eigene Vorstellung traf, beleidigt oder zogen sich zurück.

Vergessen waren plötzlich die täglichen, langen Gespräche, die vielen Stunden, die ihnen Petra liebevoll und aufopfernd schenkte – oder vergessen die Geldsummen, die sie ohne zu zögern ausgeliehen hatte. Sie empfand dann tiefe Traurigkeit und fühlte sich benutzt – ähnlich wie ein altgedienter Orchestermusiker sich fühlen musste, der ein Leben lang die Harmonie der Gruppe mitgetragen hatte. Sobald ein, zwei Töne daneben gingen, wurde die ganze Aufführung als miserabel abgetan und der Musiker, der über viele Jahre hinweg und aus vollem Herzen alles gab, nur allzu schnell durch einen neuen, jüngeren ersetzt. Wie gut, dass in solchen Situationen ihre Schwester Johanna, von ihren Lieben kurz Jo genannt, tröstende Worte für sie fand.

„Schau, es ist wundervoll und wichtig, dass du geholfen hast. Dein Inneres bewegt dich aus tiefster Überzeugung dazu, den Menschen dein Mitgefühl zu schenken und in der schlimmsten Not für sie da zu sein. Glaub mir, alles Positive, das du gibst, wird in deinem Leben – wenn auch in anderer Form – zu dir zurückkommen. Menschen, die deinen Wert nicht erkennen, dich schlecht behandeln oder sich von dir abwenden, kannst du beruhigt ziehen lassen. Für eine gewisse Zeit begleiteten sie als Gäste dein Leben, damit du diese Erfahrung machen durftest. Diejenigen, die zu dir gehören, werden bei dir bleiben, denn sie verbindet etwas Tiefes mit dir! All diese Erlebnisse gehören zu dir und dienen deiner Entwicklung, denn auf diesem Weg wirst du zu dem Menschen, der du wirklich bist.“ Petra war überaus dankbar für diese heilsamen Worte.

Joes Haltung war von ihrer langjährigen buddhistischen Lebensweise und dem Studieren vieler philosophischer Werke geprägt – für sie stellten Mitgefühl und helfende Unterstützung sehr hohe Werte dar. Liebevoll versuchte sie, Petra zu vermitteln, dass es äußerst unangenehm sein kann, einen Freund um Geld zu bitten.

„Manche Menschen empfinden dabei große Scham und es kostet sie Überwindung, diesen Schritt zu tun. Doch, wenn ihnen kein Cent übrigbleibt – sie nicht wissen, wie sie ihre Kinder satt bekommen oder ihr Auto mit abgefahrenen Sommerreifen durch den Winter bringen – sind sie überglücklich, wenn es jemanden gibt, der hilft, ohne ihnen das Gefühl zu vermitteln, ein Niemand zu sein. Bei Beziehungsproblemen empfehle ich dir, immer für die jeweilige Beziehung zu sprechen – egal wie schlimm dein Gegenüber die Situation darstellt – denn meistens handelt es sich um vorübergehende Probleme...“ Mit diesen Worten beruhigte Jo ihre verzweifelte Schwester und bestätigte sie in ihrem Handeln.

Aya-Viktoria-Kind, nannte Petra ihre Tochter, wenn sie Wichtiges – wie in diesem Fall den Plan über ihre berufliche Zukunft – mitzuteilen hatte. Ihre Stimme klang dann ernst und tief.

„Mein Schatz, du machst zunächst eine Ausbildung zur Friseurin und Maskenbildnerin, nebenbei kannst du ja modeln, so wie ich früher. Dann wirst du Visagistin am Theater, und wenn du die richtigen Leute kennenlernst, verschönst du nur noch die großen Stars! Durch diese Kontakte bekommst du einen Modelvertrag. Irgendwann entdeckt dich einer der großen Modezaren und du wirst ein Star-Model, so wie die Schiffer. Mit deiner Schönheit und Intelligenz kannst du viel erreichen – meine Aya-Viktoria.“

Verständnislos und genervt verdrehte Aya jedes Mal die Augen, wenn Mama diese detailliert geplante Zukunfts-Version, oder eher -vision? vortrug. Zumal sie selbst ihr Äußeres nicht als schön empfand, hier fand sie Einiges zu kritisieren. Sie betrachtete sich oft sehr genau und sie wusste, dass sie weder den perfekten Maßen noch den hohen Anforderungen, die ein Model in vielen Bereichen zu erfüllen hat, gerecht werden würde – dies auch keineswegs anstrebte.

Mit ihren fünfundsechzig Kilo, 1,73m Körpergröße und ihrer eher großen Oberweite hatte sie eine sehr feminine Ausstrahlung.

„Die paar fehlenden Zentimeter könnten vielleicht durchgehen, doch diese unperfekte Nase, dieser Höcker, und mein Brustumfang sicherlich nicht – aber das ist gut so!“, schloss sie, denn sie hatte etwas völlig anderes vor, und dafür würde sie ihre Hände brauchen – und auch ihren Kopf.

Ayas Kreativität und ihr ausgeprägter Schaffensdrang würden sie sicherlich einen Beruf ausüben lassen, in dem sie sich in allen Bereichen und Talenten ausleben konnte.

Doch die höchste Priorität legte sie zunächst in ihren Schulabschluss, um danach – ganz in Ruhe und gezielt – ihre Fühler auszustrecken. In Gedanken entwickelte sie bereits grobe Skizzen von diversen Ideen und möglichen Kombinationen. Von ihrer Tante Jo kam der beherzte Rat, sich unbedingt genügend Zeit zu lassen und mit Bedacht vorzugehen.

EIN TRAUM?

Ohne dass Aya es bemerkte, trug der Wind die kleine Nussschale immer weiter hinaus aufs offene Meer. Beseelt ruhte sie auf ihrem Boot und fühlte sich benommen, als sei sie in eine leichte Trance gefallen. Langsam hob sie den Kopf und sah sich um – lediglich das dunkle Orange der untergehenden Sonne am Horizont und das weite Meer waren zu sehen. Die Küste und den malerischen Fischerort konnte sie kaum noch wahrnehmen und sie schienen in unendlich weiter Ferne zu liegen. Sie fühlte sich sonderbar – die Umrisse ihrer Umgebung verschwammen mehr und mehr vor ihren Augen.

Innerlich war sie sehr ruhig und verspürte eine große Bereitschaft, alles, was nun passieren würde, anzunehmen – es fühlte sich gut an. Wie selbstverständlich überkam sie ein tiefes Bedürfnis nach Freiheit. Sie war sich nicht sicher, doch sie glaubte eine leise Stimme zu hören, die ihr zuflüsterte: „Lass los, lass los...!“ So, als sei sie entrückt, begann sie, sich ganz langsam zu entkleiden. Sie streifte ihre Schuhe ab – und Stück für Stück sanken ihre Kleider auf den mit Wasser bedeckten Boden des Holzbootes. Zuerst die rote Strickweste, dann das türkisfarbene Kleid – und schließlich fielen BH und Slip hinab und versanken in der Pfütze unter ihr. Für einen langen Moment betrachtete sie ihre Nacktheit – sie lächelte und ein angenehmes Gefühl der Leichtigkeit und Freiheit beflügelte ihre Seele.

In feenhaft anmutenden Bewegungen begab sie sich zum Bootsrand, setzte sich und ließ sich geschmeidig fließend hinabgleiten. Behutsam, jedoch wie selbstverständlich, schlüpfte sie in das tiefschwarze Nass, welches sie wie magisch zu sich hinzog und wie ein gieriger Schlund zu erwarten schien. Anfangs empfand sie eine erfrischende Kühle, die sich jedoch rasch zu einer samtig wohligen Wärme veränderte, die sie sanft umgab und liebevoll umfangen hielt. Sie sank hinab in die nicht enden wollende Dunkelheit, immer weiter, immer tiefer. Es fühlte sich wundervoll an – sie breitete ihre Arme aus und drehte sich, während sie hinabschwebte, immer wieder fließend um ihre eigene Achse.

Aya staunte wie von Glück berauscht, als sich ihre Wahrnehmung steigerte und immer klarer und intensiver wurde. Sehr genau betrachtete sie ihre Umgebung und was um sie herum geschah – und in diesem Moment durfte sie ein atemberaubendes Farbenspiel beobachten. Vor ihren Augen flimmerte, glitzerte und leuchtete es in allen erdenklichen Farbfacetten – es schien, als spielten die Farben miteinander. Sie konnte eine sonderbare, aber traumhaft schöne Musik wahrnehmen – dies war so wundervoll. Ja, nun wurden die Farben durch die Klänge der Musik zum Tanzen gebracht – es war ein wundervoller, fröhlicher und heiterer Tanz.

Sie nahm wahr, dass in ihr eine gewaltige Veränderung vorging, doch sie verspürte keinerlei Angst, es schien alles nur so unfassbar – so, als sei sie im Begriff, sich in jemand anderes – oder etwas anderes zu verwandeln.

„Oh, was passiert hier mit mir? Ich kann atmen…“ Sie konnte die Geschehnisse kaum begreifen, doch ihr wohliges Gefühl versprach, dass es etwas Großartiges sei.

Die Nuancen der Farben veränderten sich in der zauberhaften Harmonie der Musik – von Blau bis Dunkelviolett, und wieder von Gelb zu Orange und Rot, dazwischen blitzte es im Wechsel in Silber und Gold auf. Wurde die Musik klarer und höher, so flimmerte alles in hellem Blau bis zu grellem Weiß – so strahlend, dass sie geblendet wurde – geblendet von der Brillanz dieses faszinierenden Schauspiels. So etwas außergewöhnlich Schönes hatte sie nie zuvor gesehen. Doch diese Melodie – konnte das sein? – sie kam ihr irgendwie bekannt, sogar vertraut vor.

Ein warmer, fast heißer Schauer durchfloss plötzlich ihre Beine und ließ sie zusammenzucken. Der Schauer wurde heißer und fing an zu schmerzen – es war ein pochender Schmerz, der in kurzen Schüben kam und sehr lange anhielt – etwa eine halbe Minute – bis er sich steigerte und fast unerträglich wurde. Doch allmählich veränderte sich dieses schneidende Gefühl in eine erträgliche, angenehme Wärme, bis diese in ein leichtes Kribbeln überging.

Aya spürte nun einen starken Ruck, der sie schnell nach hinten hochriss, um sie dann wieder sanft niederschweben zu lassen. Sie traute ihren Augen kaum, als sie sich umblickte. Etwa bis zu ihrem oberen Rücken ragend, nahm sie etwas Flossenartiges wahr, das zu ihrem Körper zu gehören schien – unfassbar, jedoch wunderschön.

Ja, sie konnte dieses Etwas nun deutlich fühlen – und sie hatte aus der Hüfte heraus die Gewalt, es zu bewegen. Dies ging alles so schnell – Aya konnte die Geschehnisse kaum begreifen.

„Aah, aah“, hörte sie sich laut aufschreien. Nun zog sich der gleiche heiße Schmerz durch ihre Arme. „Wie soll ich das aushalten?“ Doch kaum hatte sie dies gedacht, so ließ der stärkste Schmerz nach und warme Wogen umfingen sie, woraufhin wohliges Prickeln folgte.

Die Veränderung sollte noch nicht zu Ende sein. Aya wurde bewusstlos und fiel in einen traumähnlichen Zustand. Ein faszinierend schöner, blau-silbrig glänzender Delfin schwamm auf sie zu. Er bewegte sich sehr elegant und anmutig. – und er begann zu ihr zu sprechen. Nein, er sprach nicht wirklich – er blickte Aya tief in die Augen und übertrug seine Gedanken an sie. Dabei bewegte er sein Haupt sanft hin und her, auf und ab, öffnete und schloss dabei sein Maul mit einer Reihe strahlender, perlengleicher Zähne, und es schien, als lächele er liebevoll dazu. Ja, dies war die Sprache, auf diese wundervolle Weise konnten sie miteinander kommunizieren.

„Mach dir keine Sorgen, liebe Aya. du wirst von nun an viele neue, dir unbekannte Dinge wahrnehmen, was dich zunächst befremden wird. Doch ich werde dir alle Erklärungen senden und von nun an immer an deiner Seite sein, wenn du mich brauchst. Auch in finsteren und kalten Nächten werde ich über dich wachen, du brauchst dich nicht zu fürchten. Du wirst niemals allein sein und sehr bald… “

Durch einen Ruck erwachte sie und schrie erneut vor reißenden Schmerzen auf. Der hübsche, freundliche Delfin war nicht mehr zu sehen. Doch die Schmerzen waren wieder da – dieses Mal zum Glück nur von kurzer Dauer – in der Körpermitte, dann wieder in der Höhe des Flossenansatzes, dann durch den ganzen Körper. Immer wieder wurde sie geschüttelt und fühlte sich, als sei sie von sehr hohem Fieber befallen.

Erneut wurde Aya bewusstlos. Diese schmerzhafte Tortur hätte sie bei vollem Bewusstsein nicht ertragen können. Als sie die Augen aufschlug und nun den Mut und die Kraft hatte, sich vollends zu betrachten – in ihrer neuen Erscheinung – hielt sie inne. Was sie sah, ließ sie zunächst erschaudern. „Bin ich dieses Wesen?“ Allmählich stieg eine enorme Freude in ihr auf, die sich zur Euphorie steigerte. Faszination und Staunen lösten in ihr ein Wechselspiel der Emotionen aus.

---ENDE DER LESEPROBE---