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DAS GEHEIMNIS DES MILLIARDÄRS von ANNA DEPALO Um ein Verbrechen aufzuklären, arbeitet Jacinda als Haushälterin bei Gage Lattimer. Bloß eins war nicht geplant: dass sie sich in den Milliardär verliebt! Als sie sich seinen berauschenden Küssen hingibt, kann sie nur hoffen, dass er nicht hinter ihr Geheimnis kommt … STÜRMISCHE LIEBE IN IRLAND von MAUREEN CHILD Mauras einzige und sehr leidenschaftliche Nacht mit dem amerikanischen Milliardär Jefferson King ist nicht folgenlos geblieben. Doch mit einem Mal ist der Studioboss aus Hollywood unerreichbar! Davon lässt sich eine temperamentvolle Irin wie Maura jedoch nicht beeindrucken … WIE HEIRATET MAN EINEN MILLIARDÄR? von SARA ORWIG Milliardär Matt Rome weiß, was er will: die sexy Kellnerin Brianna. Sie ist ganz anders als alle High-Society-Ladys – und so verführerisch. Für eine Wette soll sie ihn heiraten, während er sie großzügig sponsert. Doch sein Plan geht nicht auf: Jeden Tag verfällt Matt ihrem Sex-Appeal mehr …
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Seitenzahl: 592
Anna DePalo, Maureen Child, Sara Orwig
BACCARA WEEKEND BAND 41
IMPRESSUM
BACCARA WEEKEND erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
Neuauflage 2024 in der Reihe BACCARA WEEKEND, Band 41
© 2008 by Harlequin Enterprises ULC Originaltitel: „The Billionaire in Penthouse B“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Ute Launert Deutsche Erstausgabe 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 1589
© 2009 by Maureen Childy Originaltitel: „Wedding at King’s Convenience“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Andrea Greul Deutsche Erstausgabe 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 1624
© 2009 by Sara Orwig Originaltitel: „Wyoming Wedding“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Valeska Schorling Deutsche Erstausgabe 2012 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg,in der Reihe COLLECTION BACCARA, Band 319
Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 08/2024 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751527507
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Jegliche nicht autorisierte Verwendung dieser Publikation zum Training generativer Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) ist ausdrücklich verboten. Die Rechte des Autors und des Verlags bleiben davon unberührt. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
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Fünf Monate zuvor
Er hatte den unnachgiebigen Gesichtsausdruck eines Geschäftsmannes, der gewohnt war, seinen Willen um jeden Preis durchzusetzen.
Aber war er auch ein Mörder?
Jacinda Endicott betrachtete ihn aufmerksam und prägte sich jede Einzelheit ein: das dichte dunkelbraune Haar, den wachsamen Blick, das ausgeprägte Kinn. Der Smoking, den er trug, betonte seine breiten Schultern sehr vorteilhaft, und beinah nachlässig hielt er das Champagnerglas in einer Hand. Er strahlte die Eleganz eines Cary Grants oder George Clooneys aus.
Doch lächelte er nicht, sondern wirkte im Gegenteil sehr ernst und nachdenklich. Er sah direkt in die Kamera, und zwischen ihm und den anderen schien eine gewisse Distanz zu herrschen. Mit seiner stattlichen Erscheinung überragte er sowohl das Paar zu seiner Rechten als auch die beiden Männer, die links von ihm standen.
Jacinda konnte den Blick nicht von ihrem Computerbildschirm abwenden.
Gage Lattimer ließ in der Tat Frauenherzen höher schlagen. Unwillig gestand sie sich ein, dass selbst sie sich seiner Ausstrahlung nicht zu entziehen vermochte.
Der unnahbare Gesellschafter und Geschäftsführer der Risikokapitalfirma Blue Magus Investments gab nur wenig von sich in der Öffentlichkeit preis, bestach aber durch sein selbstbewusstes Auftreten. Er gehörte zu jener Art von Männern, von denen sich Marie angezogen gefühlt haben musste … bevor diese Affäre sie das Leben gekostet hatte.
Der Gedanke an ihre jüngere Schwester versetzte Jacindas Herzen einen Stich.
Obwohl es nun schon zwei Wochen her war, fiel es ihr immer noch schwer zu glauben, dass Marie für immer von ihnen gegangen war. Jacinda hoffte, der Albtraum würde einfach enden, aber jeden Morgen wurde ihr die Realität schmerzhaft bewusst, noch bevor sie die Augen öffnete.
Sie fragte sich insgeheim, ob die Dinge jemals wieder ihren normalen Lauf nehmen würden. Schenkte man den Worten der Polizei Glauben, hatte sich Marie vom Dach ihres eleganten New Yorker Apartments in der Park Avenue in den Tod gestürzt. Selbstmord, davon gingen die ermittelnden Beamten aus.
Jacinda weigerte sich jedoch zu glauben, dass sich ihre hübsche und lebensfrohe Schwester das Leben genommen haben sollte. Es war beispielsweise kein Abschiedsbrief gefunden worden – und gab es denn nicht immer einen? Außerdem waren keine Spuren von Drogen in Maries Blut nachgewiesen worden.
Nachdenklich schüttelte Jacinda den Kopf. Das alles ergab einfach keinen Sinn.
Ihre abenteuerlustige Schwester hatte an der Universität von St. Andrews studiert und war unmittelbar nach ihrem Abschluss allein nach New York gezogen. Es war ihr nicht schwergefallen, ihre Familie in England zurückzulassen, da sie von der Sehnsucht nach einem glamourösen Leben im Stil von Sex and the City getrieben worden war. In New York hatte Marie dann zunächst als Angestellte bei einem Immobilienmakler gearbeitet, sich aber bald mit einer eigenen Firma selbstständig gemacht, und das sehr erfolgreich: Mit Disziplin und ihrer einnehmenden Persönlichkeit war es ihr rasch gelungen, einige überaus lukrative Aufträge an Land zu ziehen.
Und jetzt war Marie tot. Sie war nur fünfundzwanzig Jahre alt geworden.
Gleichgültig, was die Polizei ihr weismachen wollte, Jacinda glaubte nicht daran, dass ihre Schwester gesprungen war. Sie war in den Tod gestoßen worden.
Doch von wem? Und vor allem: warum?
Den ersten Hinweis dafür hatte Jacinda zufällig erhalten, in New York gefunden. Ihre Eltern, ihr Bruder und sie waren mit dem ersten Flug angereist, nachdem Detective Arnold McGray vom New Yorker Police Department sie von Maries tragischem Tod in Kenntnis gesetzt hatte.
Im Büro ihrer Schwester hatte Jacinda eine Maklerin getroffen, Maries ehemalige Geschäftspartnerin, die jetzt die Büroräume übernommen hatte. Die Frau erwähnte beiläufig, Marie habe eine Affäre mit einem zurückgezogen lebenden, allerdings sehr reichen und mächtigen Mann gehabt. Zwar hatte Marie sich offenbar nicht über die Identität ihres Geliebten geäußert, aber die Maklerin wusste, dass es sich um einen großen, dunkelhaarigen Mann mit Grübchen und faszinierenden Augen handelte.
Jacinda wurde sofort hellhörig und fühlte sich gleichzeitig übergangen, weil Marie ihr nichts über ihre Beziehung zu dem Mann erzählt hatte.
Sie war zu dem Schluss gekommen, dass ihre Schwester einen guten Grund dafür gehabt haben musste. Vermutlich hatte sie geglaubt, Jacinda würde das Verhältnis – warum auch immer – missbilligen.
Natürlich, dachte sie. Ich wäre eingeschritten, hätte ich auch nur den leisesten Verdacht gehegt, dass Maries Geliebter zu Gewalttätigkeiten neigte.
Marie war ein Freigeist gewesen und manchmal ungestüm. Ihr Highschool-Freund hatte einen Nasenring getragen, ein späterer Lover sogar einen Irokesenschnitt. Trotzdem hätte Jacinda ihrer jüngeren Schwester ein besseres Gespür zugetraut, was Männer betraf.
Selbstverständlich war Jacinda sofort zur Polizei gegangen, nachdem sie von der Affäre ihrer Schwester erfahren hatte. Doch hatte man ihr mitgeteilt, dass es schon ein wenig mehr als vage Vermutungen brauchte, um aus einem möglichen Lover einen potenziellen Mörder zu machen. Deshalb hatte Jacinda beschlossen, Maries Nachlass zu durchsuchen, allerdings ohne etwas Besonderes zu finden. Wie die Polizei bereits festgestellt hatte, gab es keine verdächtigen E-Mails oder Telefonverbindungen. Rein gar nichts. Die angebliche Affäre war also entweder nur ein Hirngespinst oder aber das große Geheimnis eines Liebhabers, der um jeden Preis unentdeckt bleiben wollte.
In dem verzweifelten Wunsch, doch noch etwas herauszufinden, hatte Jacinda weitergesucht und war im Büro ihrer Schwester auf einen Anhaltspunkt gestoßen: eine Akte über die Firma Blue Magus Investments. Offenbar war Marie damit beauftragt gewesen, neue Büroräume für die Risikokapitalgesellschaft zu finden.
Als Jacinda die Papiere durchgesehen hatte, war sie über den Namen Gage Lattimer gestolpert. Daneben hatte ihre Schwester in ihrer ordentlichen Handschrift an den Rand geschrieben: Milliardär, gute Beziehungen, öffentlichkeitsscheu. Und Jacinda waren sofort die Worte eingefallen, mit denen die Maklerin den geheimnisvollen Liebhaber beschrieben hatte: reich, mächtig, zurückgezogen.
Nachdem sie in ihr Hotelzimmer zurückgekehrt war, hatte sie im Internet recherchiert.
Jacinda betrachtete erneut das Foto von Gage Lattimer. Rein äußerlich traf die Beschreibung ihrer Schwester zu. Er schien die anderen Menschen nicht nur körperlich zu überragen. Obwohl er nicht direkt lächelte, glaubte Jacinda, die Andeutung eines Grübchens auf seinem Gesicht zu erkennen.
Er war fünfunddreißig, geschieden und finanziell eine gute Partie. Über ein Online-Personenverzeichnis fand Jacinda schnell heraus, dass Gage in der 721 Park Avenue lebte. Das war auch die letzte Adresse ihrer Schwester gewesen.
Volltreffer, dachte sie. Das konnte nun wirklich kein Zufall mehr sein.
Zumindest sie ging davon aus, die Polizei würde wahrscheinlich nicht so leicht zu überzeugen sein. Jacinda war klar, dass sie konkrete Beweise vorlegen musste, damit man den Todesfall ihrer Schwester näher untersuchte. Und wenn sie einen mächtigen und zurückgezogen lebenden Milliardär des Mordes bezichtigte, würde sie bei der New Yorker Polizei nicht gerade auf großes Verständnis stoßen.
Jacinda wandte den Blick vom Monitor ab und blickte aus dem Fenster. Doch sie sah die Dächer und Geschäftsgebäude des Londoner Finanzdistrikts Canary Wharf nicht, sondern starrte auf ihr Spiegelbild. Klassisch schön geschnittene Gesichtszüge spiegelten sich im Glas wider. Ihre grünen Katzenaugen, wie ihre Mutter sie nannte, waren von dunklen, dichten Wimpern umrahmt. Gerade Nase, volle Lippen. Das braun gelockte Haar hatte Jacinda mit einer kristallbesetzten Spange hochgesteckt.
Marie hatte ihr sehr geähnelt, war jedoch um einiges kleiner gewesen.
Da die Polizei offensichtlich kein Interesse daran hatte, den Mörder zu finden, und auch an keine geheime Affäre glaubte, musste Jacinda eben selbst die Wahrheit ans Tageslicht bringen. Das schuldete sie Marie. Denn Marie würde nicht mehr die Welt bereisen, konnte weder Brautjungfer bei Jacindas Hochzeit sein noch ihre zukünftigen Nichten und Neffen kennenlernen. Sie konnte nicht heiraten, keine Kinder bekommen.
Jacinda hatte das Gefühl, dass der Tod ihrer Schwester ihrem Leben eine vollkommen neue Bedeutung verliehen hatte. Plötzlich wollte sie alles auf einmal – einen Ehemann, Kinder, ein erfülltes Leben. Denn wer konnte schon sagen, wie viele Tage ihr noch vergönnt waren. Worauf wartete sie noch?
Sie dachte lange darüber nach, was es wohl für Konsequenzen hätte, wenn sie sich von ihrer Position als Anzeigenleiterin bei dem renommierten Unternehmen Baker & Winter beurlauben ließ. Aber letztendlich blieb ihr keine Wahl, wenn sie den Plan, der allmählich in ihr reifte, in die Tat umsetzen wollte. Jacinda musste ganz einfach Maries Mörder zur Strecke bringen. Sonst würde sie keinen Frieden finden. Sonst könnte sie nicht wieder in ihr Leben zurückfinden.
Ihre Eltern und Andrew waren natürlich genauso am Boden zerstört, seit die Nachricht von Maries Tod sie erreicht hatte. Sie hatten seit jeher ein enges Verhältnis gehabt. Und das Einkommen, das ihre Eltern mit ihrem kleinen Geschäft erwirtschafteten, hatte ausgereicht, um alle drei Kinder auf angesehene Internate zu schicken.
Aber jetzt war Marie von ihnen gegangen. Für immer.
Im Gegensatz zu Jacinda akzeptierten ihre Eltern und ihr Bruder die Annahme der Polizei, dass Marie sich das Leben genommen hatte. Immerhin schien es keine konkreten Anhaltspunkte für einen Mord zu geben.
Doch Jacinda hatte ihre Zweifel. Sie und ihre Schwester hatten sich so nahgestanden, wie es Geschwister nur konnten. Marie hatte sie in all ihre Träume und Geheimnisse eingeweiht. Sie konnte niemals … Nein, auf gar keinen Fall glaubte Jacinda daran, dass Marie Selbstmord begangen hatte.
Sie wandte sich um und sah wieder auf den Bildschirm.
Gage Lattimer. War er der Schlüssel zur Aufklärung des Verbrechens?
Kurz entschlossen griff sie zum Telefonhörer und wählte die Nummer des exklusiven Apartmenthauses, in dem ihre Schwester gewohnt hatte. Die Durchwahl zur Rezeption in der Empfangshalle hatte Jacinda aus dem Telefonbuch.
Nach dem dritten Klingeln meldete sich eine Männerstimme: „721 Park Avenue.“
Der Mann sprach mit ausgeprägter New Yorker Betonung, und Jacinda ermahnte sich im Stillen, ihren britischen Akzent zu unterdrücken. Sie räusperte sich. „Hallo. Ich rufe im Auftrag von Gage Lattimer an. Er ist einer Ihrer Wohnungseigentümer.“
„Ja?“ Er klang misstrauisch.
Sie ging davon aus, dass sie mit einem Pförtner sprach. Mit Sicherheit hatte er Marie gekannt, schließlich war sie im vergangenen Jahr in die Park Avenue gezogen. Jacinda war bisher nur einmal dort gewesen, und zwar kurz nach Maries Tod. Allein und in Verkleidung hatte sie sich in die Wohnung ihrer Schwester geschlichen, nachdem ihre Eltern und ihr Bruder dort gewesen waren. Jacinda hatte das Apartment nicht mit ihnen zusammen betreten wollen. In jener Nacht war bereits ihr Plan in ihr herangereift.
„Mr. Lattimer wird bald wieder nach New York zurückkehren und würde gern seine Haushälterin kontaktieren, damit das Penthouse bei seiner Anreise fertig ist“, sagte sie und hoffte, überzeugend zu wirken. „Er wird mit einigen Gästen eintreffen.“
„Sie sind …?“
Sie kreuzte zwei Finger. „Seine persönliche Assistentin.“
„Und dann haben Sie Theresas Telefonnummer nicht?“, erkundigte sich der Pförtner skeptisch.
„Nein“, erwiderte sie betont gelassen. „Ich bin neu.“
„Warten Sie mal“, murmelte er verstimmt.
Jacinda hielt den Atem an. Sie hatte richtig geraten, die Angestellten der Park Avenue 721 wussten, wie sie die Haushaltshilfen der Bewohner im Notfall erreichen konnten.
Plötzlich meldete sich der Mann am anderen Ende der Leitung wieder zu Wort und diktierte Theresas Nummer. Erleichtert bedankte Jacinda sich, bevor sie das Gespräch beendete.
Sie wählte die Telefonnummer, die sie sich notiert hatte, und hoffte, dass ihr Mut sie nicht im Stich ließ. Wieder kreuzte sie die Finger.
Von nun an würde sie nicht mehr vorgeben, Gage Lattimers persönliche Assistentin zu sein. Mit etwas Glück würde sie dafür bald eine andere Rolle spielen – die der amerikanischen Haushaltsfee Jane Elliott.
Vor zwei Monaten
Gage legte seinen Mantel und den Aktenkoffer auf einen Stuhl und betrat den großzügig geschnittenen Hauptwohnbereich seines modernen Doppel-Penthouses.
Er kam nur einige Schritte weit und blieb abrupt stehen – bedingt durch den überaus reizvollen Anblick, der sich ihm bot.
Ein wohlgeformter Po, über den sich eine enge Hüftjeans spannte. Gages Blick glitt über lange, schlanke Beine zu den Füßen, die in schwarzen Keilsandaletten steckten. Die Sandalen wirkten zwar im Oktober etwas fehl am Platz, aber vielleicht waren sie ja einfach nur praktisch.
Ansonsten machte ihr Handeln nur wenig Sinn, sofern er es beurteilen konnte. Sie war nach vorn gebeugt und staubte offenbar die Unterseite eines Beistelltisches in der Nähe des Kamins ab.
Gage lächelte unwillkürlich, unterdrückte es jedoch sofort wieder und räusperte sich. „Haben Sie da unten schon etwas Interessantes gefunden?“
Sie verharrte mitten in der Bewegung und drehte sich entsetzt zu ihm um, wobei sie sich um ein Haar an einer schweren Glaslampe gestoßen hätte. Erschrocken presste die Haushälterin sich eine Hand auf die Brust und sah ihn aus großen Augen an.
Großartig, dachte er. Eigentlich geschieht es ihr nur recht. Er verspürte dieses Pulsrasen nun immerhin schon seit Monaten, warum sollte es ihr anders ergehen!
„Ich hatte keine Ahnung, dass jemand hier ist!“, stieß sie hervor.
„Ich bin gerade erst nach Hause gekommen.“
Ihre Blicke begegneten sich, und Gage war sich der starken körperlichen Anziehungskraft, die zwischen ihnen herrschte, allzu bewusst. Nicht zum ersten Mal dachte er, dass sie hinreißend aussah. Sie wirkte wie ein Fotomodell. Ihre schönen ebenmäßigen Gesichtszüge wurden von den grünen Augen und dem langen kastanienfarbenen Haar unterstrichen. Unwillkürlich fragte Gage sich, wie es wohl aussähe, wenn sie ihr Haar auf seiner Bettdecke ausbreitete.
Sie war zwar nicht besonders groß – er schätzte sie etwa auf einen Meter siebzig –, dafür aber schlank und hatte seiner Meinung nach genau an den richtigen Stellen perfekte Rundungen.
Das seltsame Gefühl in seinem Magen war immer noch da. Gage versuchte sich mit der Frage abzulenken, warum sie ihren Lebensunterhalt mit Putzen bestritt. Aufstrebende Starlets zogen es in der Regel vor, in New York zu kellnern, statt Staubsauger durch die Gegend zu schieben. Es konnte nur daran liegen, dass diese Frau nicht die richtigen Beziehungen hatte und zu naiv war, den Wert ihrer offensichtlichen Vorzüge richtig einzuschätzen.
Sie kam ihm wie ein kleiner, köstlich aussehender Pfirsich vor, der ihm in den Schoß gefallen war. Doch Gage ließ sich auf keine Abenteuer mehr ein, nach dem hässlichen Scheidungsprozess hatte er vorerst genug von Frauen.
Seine ehemalige Haushälterin Theresa hatte vor vier Monaten kurzfristig ihre Kündigung eingereicht und Jane Elliott für den Job empfohlen. Weil Gage zu beschäftigt gewesen war, hatte er kurzerhand zugestimmt. Außerdem hatte er wenig Lust darauf verspürt, eine Reinigungsfirma einzuschalten oder banale Bewerbungsgespräche zu führen. Stattdessen hatte er auf Theresas Urteil vertraut.
„Sie kommen normalerweise nicht so früh nach Hause“, sagte Jane und brach damit das Schweigen.
Er nickte. „Ich habe gestern den Nachtflug von Los Angeles genommen und bin dann gleich ins Büro gefahren. Ich brauche jetzt unbedingt etwas Schlaf.“
Entgegen seiner Gewohnheit hatte er sein Büro bereits am frühen Nachmittag verlassen. Gage wusste, dass das nicht unbedingt mit dem Flug zu tun hatte. Denn obwohl sein Beruf ihn sehr in Anspruch nahm, war es in der letzten Zeit häufiger vorgekommen, dass er früher nach Hause kam. Und merkwürdigerweise immer an einem der drei Tage, die Jane bei ihm arbeitete.
Mit einer Kopfbewegung deutete er auf den Beistelltisch. „Muss die Unterseite denn abgestaubt werden?“, fragte er mit ausdrucksloser Stimme.
„Ähm …“
Er hatte bereits herausgefunden, dass sie keine sonderlich gute Haushälterin war. Entweder vergaß sie, in einem der Räume Staub zu wischen oder das Gästebad zu reinigen. Das war einer der Gründe dafür, dass Gage ihr anbieten wollte, mehr Stunden für ihn zu arbeiten.
Und ihm war noch etwas anderes aufgefallen. Obwohl sie anscheinend nicht den Unterschied zwischen einem Fenster- und einem Badreiniger kannte, hatte sie offenbar Erfahrung in der Welt der Gourmets. Während einer Cocktailparty, die er vor zwei Monaten für einige Geschäftsfreunde gegeben hatte, hatte Gage bemerkt, dass Jane sehr wohl wusste, welches Käsemesser zu welcher Käsesorte passte. Auch mit ausländischen Weinen kannte sie sich aus. Denn sie hatte um Kostproben gebeten und dem Caterer für den Abend sachkundige Vorschläge unterbreitet.
Gage mochte ihre melodiöse, leicht heisere Stimme, deren Klang er insgeheim mit dem Aroma eines ausgezeichneten Bourbon verglich. Daran hatte sich auch nichts geändert, als ihm bewusst geworden war, dass es etwas an ihr gab, das er sich nicht erklären konnte. Ihrem Akzent nach kam sie eindeutig nicht aus New York, allerdings konnte er die Art, wie sie die Wörter betonte, nicht zuordnen.
Sie war wie ein Rätsel, das zu lösen ihn außerordentlich reizte. Sogar mehr als das. Er begehrte sie.
Energisch presste Gage die Lippen aufeinander und ermahnte sich zur Vorsicht. Er hatte sich schließlich schon einmal die Finger verbrannt und einen hässlichen Scheidungskrieg geführt. Auf keinen Fall wollte Gage sich wieder wie ein Idiot benehmen und sich noch einmal wegen eines hübschen Gesichts in der Öffentlichkeit blamieren.
Allerdings war Jane nicht nur einfach hübsch, sondern atemberaubend schön. Sie bestach dermaßen durch ihre Reize, dass sicher kein Mann ein Wort darüber verlor, wenn sie vergaß, seine Baseballtrophäen aus dem College abzustauben.
„Was sagten Sie noch, woher Sie und Theresa sich kennen?“, fragte er unvermittelt.
Ihre Pupillen weiteten sich. „Theresa und meine Mutter waren auf derselben Highschool.“
„Ach ja, genau. Jetzt, wo Sie es sagen, erinnere ich mich.“ Er sah sie unverwandt an und konnte nicht wegschauen. Sie wirkte verteufelt verführerisch, wie sie in T-Shirt und Jeans vor ihm stand. Heute hatte sie ein Shirt gewählt, dessen grünes Muster die Farbe ihrer Augen betonte. Das Oberteil schmiegte sich sanft an ihre festen Brüste und zog seine Blicke an.
Er sah, dass sie sich nervös die Lippen befeuchtete.
„Ich … ich bin dann fertig hier.“ Sie nahm einen Staubhandschuh hoch, der auf dem Sofa lag. „Und mit dem Rest der Wohnung auch fast. Ich bin also bald verschwunden.“
Als sie an ihm vorbeihastete, blickte er ihr nach, bis sie in den hinteren Teil des Apartments gegangen war.
Verdammt. Er hatte eindeutige masochistische Neigungen. Warum sonst quälte er sich auf diese Weise? Sicher würde kein vernünftiger Mensch eine mittelmäßige Haushälterin behalten, nur weil sie den Körper einer Gisele Bündchen hatte. Die sorgfältig manikürten Damen, die in der Park Avenue wohnten, jedenfalls nicht.
Er fühlte sich stark zu ihr hingezogen. Deshalb wäre es sicher am besten, wenn er ihr einfach ein anständiges Arbeitszeugnis ausstellte und ihr kündigte, bevor sie ihm wirklich unter die Haut ging. Aber …
Als er zum Schlafzimmer ging, klingelte plötzlich sein Handy. Leicht genervt zog er es aus der Hosentasche und musste prompt daran denken, dass er lediglich drei Stunden geschlafen hatte und eigentlich nur nach Hause gegangen war, um sich auszuruhen. Alles, was er bisher jedoch erreicht hatte, war, seinen Mantel über einen Stuhl zu werfen und sich vorzustellen, wie seine Haushälterin auf seinem Bett aussah. Fantastisch!
Seufzend schaute Gage auf das Display und nahm den Anruf entgegen. „Reed, schön, von dir zu hören.“
„Du wirst dich wohl nicht mehr so darüber freuen, wenn du erfährst, warum ich anrufe“, erwiderte Reed.
Reed Wellington und seine Frau Elizabeth lebten in dem zweiten Penthouse der Apartmentanlage. Der Millionär hatte in eine Reihe von Risikokapitalgeschäften investiert, die Gage in die Wege geleitet hatte. Seit sie beide die Eigentümerversammlung in der Park Avenue 721 geleitet hatten, waren sie befreundet.
„Was gibt es?“, fragte Gage müde.
„Ich gehe mal davon aus, dass du deine Post heute noch nicht gelesen hast?“
„Ich bin gerade erst nach Hause gekommen.“ Suchend sah Gage sich um. Normalerweise nahm Jane seine Briefe entgegen und legte sie für ihn auf den Tisch.
„Die Börsenaufsicht ermittelt gegen uns.“
„Was?“, fragte er fassungslos und straffte die Schultern.
„Du hast leider richtig gehört.“
„Und weswegen?“ Gage ignorierte die Tatsache, dass ihm die Augen brannten, und konzentrierte sich.
„Wegen der Aktien von Ellias Technologies.“
Gage erinnerte sich daran, dass er Reed vor einigen Monaten empfohlen hatte, die Aktien zu kaufen. Nachdem er einen Artikel in einer Fachzeitschrift über das Kommunikationsunternehmen gelesen hatte, war er überzeugt gewesen, dass es eine gute Investition war. Gage hatte die Daten von seinem Börsenmakler überprüfen lassen, der keine Bedenken geäußert und grünes Licht gegeben hatte. Zu Recht, wie Gage geglaubt hatte. Einige Wochen nachdem er und Reed eine beträchtliche Anzahl Wertpapiere erworben hatten, war dem Technologieunternehmen ein überaus lukrativer Vertragsabschluss mit dem amerikanischen Verteidigungsministerium gelungen. Es war perfekt.
Nur dass jetzt die Börsenaufsicht aktiv wurde.
„Wir sollen freiwillig Auskunft über unsere Aktienkäufe geben“, fuhr Reed fort. „Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie deinen Broker schon kontaktiert haben.“
„Die Börsenaufsicht denkt, dass wir Wertpapierschwindel begehen?“, fragte Gage ungläubig.
„Ich glaube eher, dass sie Insiderhandel vermuten, mein Freund.“
„Du und ich, wir kennen uns nun schon seit einigen Jahren, Reed. Du glaubst doch nicht, dass ich dir die Aktien aufgrund eines Insidertipps empfohlen habe?“
„Keine Sorge, ich vertraue dir.“
Gage spürte, wie die Anspannung in seinen Schultern nachließ. „Verdammt. Wie viel haben wir an dem Geschäft verdient? Hunderttausend oder so? Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein für Leute in unserer Position. Das kann doch kaum der Grund sein, weshalb sich die Börsenaufsicht über uns den Kopf zerbricht!“
„Ich weiß“, erwiderte Reed. „Aber erzähl das mal den Typen dort.“
„Verdammt.“
Reed seufzte zustimmend.
„Wie auch immer, warum, zum Teufel, kommen die überhaupt erst auf die Idee, dass ich einen Insidertipp missbrauche?“ Gage strich sich durchs Haar.
„Gute Frage“, entgegnete Reed und lachte kurz auf. „Das wirst du mir nie glauben.“
„Raus damit!“
„Rate mal, wer im Senatskomitee sitzt, das den Vertrag zwischen Elliot Technologies und dem Verteidigungsministerium bewilligt hat?“
Gage überlegte. Er kannte einige Regierungsbeamte. Geld zog viele an, und bei seinem Reichtum wollten sich auch Politiker bei ihm beliebt machen.
„Kendrick“, erklärte Reed, ohne eine Antwort abzuwarten.
Gage fluchte.
„Ja, allerdings“, erwiderte Reed.
Senator Michael Kendrick und seine Frau hatten bis zum Sommer in der Park Avenue 721 gewohnt. Auch er war im Vorstand der Eigentümerversammlung tätig gewesen – und zwar zur gleichen Zeit wie Gage und Reed. Gage erinnerte sich daran, wie er und die anderen Wohnungsinhaber die Wiederwahlkampagne des Senators unterstützt hatten. Jetzt ging jemand von der Börsenaufsicht davon aus, dass Kendrick Informationen über den Auftrag an Elliot Technologies an ihn und Reed weitergegeben hatte, bevor die Sache offiziell gewesen war.
„Es kommt noch dicker“, fuhr Reed fort. „Dass Kendrick im gleichen Gebäude wie wir gewohnt hat, ist noch nicht einmal das Schlimmste. Ich habe mit ihm über eine junge Firma gesprochen, die eine Art Öko-Internetportal aufbauen will.“
„Verdammt“, stieß Gage zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Reeds Gespräche mit Kendrick hätten zu keinem schlechteren Zeitpunkt stattfinden können. Nach außen hin wirkte ihre Verbindung zu dem Senator jetzt umso verdächtiger.
„Mir kommt das Timing der Börsenaufsicht ziemlich seltsam vor“, meinte Reed.
„Weswegen denn?“
„Erinnerst du dich an den Erpresserbrief, den ich bekommen habe?“
Plötzlich wurde Gage bewusst, worauf Reed hinauswollte. „Du denkst, dass es da einen Zusammenhang gibt?“
„Allerdings.“
Reed war schriftlich aufgefordert worden, zehn Millionen Dollar auf ein Konto auf den Kaimaninseln zu überweisen. Ansonsten würden unschöne Dinge bekannt werden – darüber, dass die Wellingtons ihr Geld auf schmutzige Weise verdienten. So hatte die Drohung gelautet. Doch darauf war Reed selbstverständlich nicht eingegangen. Jemand wie Reed Wellington III., der immerhin altem Geldadel entstammte, ließ sich von niemandem so leicht unter Druck setzen.
Reed hatte ihn damals ins Vertrauen gezogen, aber Gage hätte nicht im Traum daran gedacht, dass der Brief so weitreichende Folgen haben würde. Es war doch vollkommen lächerlich. Nein, eigentlich sogar mehr als das. Weder er noch Reed hatten etwas zu verbergen. Daher hatten sie den Erpressungsversuch als die absurde Idee eines Spinners abgetan und sich nicht weiter darum gekümmert.
Wenn man zum Club der Milliardäre gehört, gewöhnt man sich daran, dass manche Leute versuchen, Geld aus einem herauszupressen, dachte Gage. Meine Exfrau ist ein gutes Beispiel dafür. Aber ich beschäftige eine Heerschar von Anwälten, um mich nach allen Seiten abzusichern.
Er unterdrückte ein Fluchen, als er merkte, wie die Kopfschmerzen einsetzten, die er immer bekam, wenn er erschöpft war und zu wenig geschlafen hatte.
„Gage? Bist du noch da?“ Reed riss ihn aus den Gedanken.
„Ja, natürlich“, antwortete Gage. „Ich muss unbedingt meinen Börsenmakler und die Anwälte anrufen. Wenn die Börsenaufsicht schon ermittelt, muss sie zumindest nach Abschluss der Untersuchungen einsehen, dass der Verdacht unbegründet ist.“
Nachdem er das Telefonat mit Reed beendet hatte, hielt Gage inne. Er hörte ein Geräusch, das aus dem Eingangsbereich des Apartments kam. Stirnrunzelnd überlegte er, ob er nachsehen sollte. Doch Jane kam bereits zu ihm geeilt.
„Entschuldigung“, sagte sie kleinlaut und außer Atem. „Ich habe eine Vase abgestaubt und dabei leider umgestoßen.“
Gage fragte sich flüchtig, ob sie ihn belauscht hatte, verwarf den Gedanken aber schnell. Warum sollte Jane sich für seine persönlichen finanziellen Angelegenheiten interessieren? Wenn sie kriminelle Absichten hätte, konnte sie schließlich etwas Wertvolles aus dem Penthouse stehlen.
Ihr unerwartetes Auftauchen erinnerte ihn jedoch an etwas. Ohne darüber nachzudenken, ob seine Idee wirklich so gut war, sagte er: „Wir müssen über Ihren Arbeitsplan reden.“
Sie sah ihn besorgt an. „Ja? Ist etwas nicht in Ordnung?“
Abgesehen davon, dass mir schon wieder heiß wird und ich dich zu gern in mein Bett trage möchte … Gage verschwieg den Gedanken tunlichst und sagte stattdessen: „Ich möchte Ihnen eine Vollzeitstelle als Haushälterin anbieten. Rund um die Uhr.“
Ihr Blick wirkte sekundenlang erschrocken, bevor sie die Fassung wiedererlangte. „Äh …“
„Hier gibt es Räume für eine Haushaltshilfe, auch wenn sie bisher selten genutzt worden sind. Theresa hat nur gelegentlich hier übernachtet, wenn sie nach einer Feier aufgeräumt hat.“
„Oh.“
„Im Dezember werde ich aber wegen der Festtage häufiger ein paar Leute hierher einladen.“ Eigentlich veranstaltete er die Partys nur, um Kontakte zu pflegen, und fühlte sich dazu verpflichtet, seine Geschäftspartner zu bewirten, zumal solche Weihnachtsfeiern nun einmal üblich waren.
Sie schluckte. „Das wäre dann also nur eine zeitlich befristete Anstellung, oder?“
Er musterte sie. Das hängt wohl davon ab, wie lange ich brauche, um über diese verflixte Sehnsucht hinwegzukommen, dachte er. „Warum warten wir nicht einfach ab, wie sich die Dinge entwickeln? Bei der Cocktailparty sind Sie in der Küche prima eingesprungen, als Not am Mann war. Und ich muss zugeben, dass sogar der Delikatessenlieferservice auf Dauer etwas langweilig ist.“
„Sie möchten, dass ich für Sie koche?“, fragte sie erstaunt.
Er zog die Augenbrauen hoch. „Ist das ein Problem für Sie? Sie haben mich auf Ihre kulinarischen Fertigkeiten neugierig gemacht.“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das ist kein Problem.“
Irgendwas muss sie doch können, sagte er sich, wenn schon nicht Staub wischen, dann vielleicht kochen. „Sie müssten es auch nur hin und wieder tun, meistens gehe ich mit meinen Geschäftspartnern essen.“
Sie runzelte die Stirn. „Ich habe ein kleines Apartment …“
„Das müssen Sie nicht aufgeben“, unterbrach er sie. „Sie haben ja immer noch freie Tage und Urlaub. Obwohl ich es vorziehen würde, wenn Sie am Wochenende hier sind. Wie wäre es, wenn Sie dienstags und mittwochs freihätten?“
Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wog sie Für und Wider seines Vorschlags sorgfältig gegeneinander ab.
„Natürlich würde ich Ihnen die Überstunden vergüten“, ergänzte er, in der Hoffnung, ihr das Angebot zu versüßen. Außerdem wollte er sehen, ob sie wirklich das Geld brauchte. „Sagen wir … das Anderthalbfache?“
„Ihre Bezahlung ist sowieso schon großzügig.“
„Ich bin bereit, für das Beste auch gut zu bezahlen“, entgegnete er, ohne zu zögern. In der Tat, dachte er dann ironisch, sie ist die beste Haushaltshilfe, die beste Köchin, die beste Mischung aus Model und Haushälterin, die man sich wünschen kann. Sie würde durch sein Penthouse schweben und ihn vor Verlangen wahnsinnig machen.
„Hm“, murmelte sie und versuchte offensichtlich Zeit zu gewinnen.
„Denken Sie drüber nach.“
Sie nickte. „Okay.“
„Was nun: Okay, Sie denken drüber nach, oder okay, Sie nehmen an?“ Ihre Blicke trafen sich.
„Okay, ich nehme an“, sagte sie.
„Großartig.“
Gegenwart
Sie konnte fast selbst nicht glauben, dass sie dieses Spiel immer noch durchhielt. Jacinda legte ihre Reisetasche und die große Tüte voll Weihnachtsdekoration auf das Bett.
Es war Anfang Dezember, und sie hielt ihre Täuschung bereits seit fünf Monaten erfolgreich aufrecht. Fünf ermüdende Monate, in denen Jacinda der Wahrheit über Maries Tod kein Stück näher gekommen war. Der einzige Fortschritt bestand darin, dass die Polizei mittlerweile ihren Verdacht teilte und an der Selbstmordtheorie zweifelte. Das hatte Jacinda von ihrem Bruder erfahren. Sie glaubte allerdings nicht, dass die Ermittler jetzt plötzlich nennenswerte Spuren entdeckten, weswegen sie mit ihrer Maskerade weitermachte.
Zum Glück war sie schauspielerisch nicht unbegabt, daher fiel es ihr nicht besonders schwer, in ihrem gekünstelten amerikanischen Akzent zu sprechen. Über einige Kontakte, die Jacinda nicht wieder nutzen wollte, war sie an einen gefälschten Personalausweis gekommen, mit dem sie die Rolle der Jane Elliot auf allen Ebenen überzeugend spielen konnte.
Jacinda sah sich um. Die Räume für die Haushälterin lagen neben der Küche in der unteren Etage des Penthouses. Sie waren zwar nicht luxuriös, aber gut ausgestattet. Es gab ein Doppelbett, einen Nachtschrank, eine Kommode sowie ein eigenes Bad.
Mittlerweile hatte sie sich daran gewöhnt, hier zu übernachten statt in dem kleinen Apartment, das sie für die Dauer ihres Aufenthalts in New York gemietet hatte. Wenn sie nach einem freien Tag in Gages Penthouse kam, brachte Jacinda regelmäßig einige Kleidungsstücke in einer Reisetasche mit.
Sie war nicht sicher, was größer war: die gemietete Wohnung an der Ecke York Avenue und 82. Straße oder ihre Unterkunft in Gages fast dreihundert Quadratmeter großem Penthouse.
Seufzend setzte sie sich aufs Bett, betrachtete die Kommode und überlegte, dass hier gründlich Staub gewischt werden müsste. Was ja eigentlich zu ihren Aufgaben zählte, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt war, Detektivin zu spielen.
Seit sie im Juli begonnen hatte, für Gage zu arbeiten, hatte sie erfolglos versucht, ihn mit dem Tod ihrer Schwester in Verbindung zu bringen. Weder in seinen gespeicherten Telefonnummern noch in den E-Mails hatte Jacinda Verdächtiges entdeckt. Dafür hätte er sie im Oktober beinah beim Herumschnüffeln erwischt, als er einmal früher als gewöhnlich nach Hause gekommen war. Um ihn abzulenken, hatte sie damals die Unterseite eines Beistelltisches entstaubt und gehofft, dass er keinen Verdacht geschöpfte.
Unmittelbar danach hatte er einen offensichtlich beunruhigenden Anruf erhalten. Obwohl sie gelauscht hatte, war sie nicht dahintergekommen, worum es ging. Es war überhaupt zum Verrücktwerden: Außer belanglosen Informationen hatte sie noch absolut nichts Aufschlussreiches herausgefunden. Stattdessen hatte sie sich trotz des supermodernen Staubsaugers zur schlechtesten Haushälterin der Welt entwickelt. Es war nicht einfach, Amateurdetektivin zu sein und sich nebenbei um den Haushalt zu kümmern.
Jacinda öffnete die Reisetasche und begann damit, ihre Sachen in der Kommode zu verstauen.
Es grenzte schon an ein Wunder, dass sie Gages frühere Haushälterin dazu hatte bewegen können zu kündigen. In dem Telefonat mit Theresa hatte Jacinda die Naive gespielt und erzählt, dass sie immer nur für wohlhabende und anspruchsvolle Menschen gearbeitet hätte, weswegen sie sich an keine herkömmliche Agentur wenden wollte. Damit ihre Geschichte glaubwürdiger klang, hatte Jacinda sich von ihrer Freundin Penelope ein gefälschtes Arbeitszeugnis mit einer ebenso falschen Referenz von einer echten Adeligen besorgt. Dass es sich bei dieser Adeligen um eine ehemalige Schulfreundin Penelopes handelte, die einen reichen Viscount geheiratet hatte, wusste natürlich niemand.
Überhaupt war das Glück auf ihrer Seite gewesen, denn Theresa hatte tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, den Job bei Gage aufzugeben. Sie war über sechzig und wollte sich ohnehin gern um ihre kranke Schwester kümmern, die weit entfernt lebte. Bis zu Jacindas Anruf war Theresa offenbar noch unschlüssig gewesen.
Jacinda gestand sich ein, dass sie ein wenig dick aufgetragen hatte. Sie hatte zwar nicht direkt gelogen, aber mit einigen Bemerkungen hatte sie Theresa in dem Glauben gelassen, dass Janes Mutter Barbara zur gleichen Zeit wie Theresa die Long Island Highschool besucht hatte. Für Gage hatte Jacinda die Geschichte noch ein wenig ausgeschmückt. Er glaubte jetzt, dass Theresa und Barbara nicht nur Klassenkameradinnen, sondern beste Freundinnen gewesen waren.
Das hat funktioniert, dachte Jacinda. Sie war nah genug an Gage herangekommen, um Nachforschungen anzustellen. Und sie hatte genügend Freiraum, weil sie nur dreimal wöchentlich in sein Penthouse kam – und das meist, wenn er noch im Büro war.
Bis zum Oktober war so weit alles gut gegangen – bis Gage sie mit der Frage überrumpelt hatte, ob sie in Vollzeit für ihn arbeiten wolle. Nachdem er Jacinda kurz zuvor um ein Haar erwischt hätte, war sie so nervös und überrascht gewesen, dass sie sein Angebot kurzerhand angenommen hatte.
Später hatte sie sich damit gerechtfertigt, dass sie so viel besser ein Auge auf ihn haben und gleichzeitig ihre Arbeit als Haushälterin ausnahmsweise gut machen konnte. Doch in den folgenden Wochen hatte Jacinda nachts wach gelegen und immer wieder an Gages muskulösen Körper denken müssen. Immer wieder hatte sie sich dabei ertappt, dass sie sich vorstellte, wie er sich unter den rotgelben Decken räkelte, die sie auf sein teures Doppelbett gelegt hatte.
Kein Wunder, dachte Jacinda, immerhin stehe ich unter Dauerstress, weil ich im Apartment eines mutmaßlichen Mörders übernachte. Im Falle des Falles wäre sie ihm hilflos ausgeliefert. Ihr war allerdings klar, dass nicht die vermeintliche Bedrohung sie wach hielt, sondern vielmehr die unwiderstehliche Anziehungskraft, die von Gage ausging und der sie sich kaum mehr entziehen konnte.
Er sah gut aus, war einflussreich, wohlhabend und hatte darüber hinaus eine sehr sexy Ausstrahlung. Würde er sich nicht immer so beherrscht und reserviert geben, würden die Frauen ihn umschwärmen wie Bienen den Honig, so viel stand für Jacinda fest. Allerdings war Gage eher der typische einsame Wolf.
Um seine kriminellen Machenschaften aufzudecken, war sie nach New York gekommen. Stattdessen las sie in seinem Blick jetzt jedoch öfter etwas, was sie zutiefst berührte. Sie ahnte, wie es in ihm aussah, und vermutete, dass ihn ähnliche Gefühle beherrschten wie sie, wenn sie an den Tod ihrer Schwester dachte. Auf irgendeine Weise fühlte sie sich mit Gage verbunden und hätte gern die Hand nach ihm ausgestreckt …
Sie schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können. Instinktiv glaubte sie nicht, dass Gage ein Mörder war. Was aber, wenn sie sich irrte und sich von dem brennenden Verlangen, das er in ihr weckte, blenden ließ?
Nachdem sie die Reisetasche ausgepackt hatte, nahm Jacinda die Einkaufstüte und ging in den Wohnbereich. Dort standen bereits ein künstlicher Tannenbaum, und Unmengen Weihnachtsschmuck lagen auf dem Tisch. Vor zwei Tagen hatte sie die Angestellten der Apartmentanlage gebeten, ein paar Sachen aus Gages Keller nach oben zu bringen.
Dass Gage eine so große Auswahl an Weihnachtsdekoration besaß, überraschte sie jetzt. Vom Mistel- bis zum Stechpalmenzweig war wirklich alles da. Sie hatte angenommen, dass er sich nicht sonderlich viel aus Weihnachten machte. Aber offenbar war selbst für einen Milliardär wie ihn ein kleines bisschen Festtagsstimmung nicht mit Geld aufzuwiegen und eine kostbare Erfahrung.
Sie seufzte schwer. Seit Monaten staubte sie nun schon Gages Baseballpokale ab – nun ja, zumindest wenn sie es nicht vergaß – und war keinen Schritt weitergekommen. Sie hätte sich ein gefährlicheres Hobby für ihren Mordverdächtigen gewünscht, etwa Jagen oder Stichwaffen. Stattdessen hatte Jacinda jedoch nur Details über Gage zusammengetragen, mit denen er sicher jede Frau beeindrucken konnte.
Obwohl er sich meistens von einem Chauffeur fahren ließ, standen in Gages Tiefgarage neben der Limousine Luxuswagen der Marken Mercedes, Lamborghini und Porsche. Außerdem besaß Gage ein Ferienhaus auf den Bermudas, das er in wenigen Stunden von New York City aus erreichen konnte, weil er einen Pilotenschein und einen Privatjet hatte. Neben dem Haus auf den Bermudas gehörten ihm ein Anwesen im angesehenen Londoner Stadtteil Knightsbridge und eine Skihütte im beliebten Ferienort Vail in Colorado.
Sein Penthouse in Manhattan glich einer modernen Designstudie aus Glas, Metall und scharfen Kanten. Die Räume waren hoch und weitläufig, der Küchenbereich war exklusiv und mit Arbeitsplatten aus Granit und Edelstahlverkleidungen versehen. Der Handscanner an der Eingangstür wirkte auf Jacinda fast futuristisch, genau wie die Tatsache, dass die Beleuchtung im gesamten Penthouse über Touchscreen gesteuert wurde.
Sein Kunstgeschmack war vom abstrakten Expressionismus geprägt. An den Wänden hingen Originale von Willem de Kooning und Jackson Pollock, wie Jacinda staunend zur Kenntnis genommen hatte. Seine Anzüge ließ Gage von namhaften Londoner Herrenausstattern anfertigen. Außerdem besaß er fünf Rolexuhren, die er in einer verglasten Holzvitrine aufbewahrte. Jacinda kannte die Marke seiner Lieblingszahnpasta, wusste, dass er einen altmodischen Rasierpinsel bevorzugte, und so ging ihre Liste weiter und weiter.
Sie hatte alle Einzelheiten über ihn zusammengetragen, nur waren es nicht die Informationen, die sie gesucht hatte. Sie hatte keinen Hinweis darauf gefunden, dass er Frauen schlug oder misshandelte. Im Gegenteil. Wenn Jacinda daran dachte, was für leidenschaftliche Blicke er ihr gelegentlich zuwarf, wenn er sich unbeobachtet fühlte, wurde ihr vor Aufregung heiß.
Um auf andere Gedanken zu kommen, konzentrierte sie sich auf das Naheliegende und begann, den gläsernen Weihnachtsschmuck auszupacken.
Gage hatte sie gebeten, ein wenig Abwechslung in die Dekoration der diesjährigen Weihnachtsfeier zu bringen, die er für seine Freunde und Mitarbeiter gab. Einen Teil des alten Schmucks hatte er an wohltätige Einrichtungen gespendet, deshalb hatte Jacinda neuen gekauft.
Jetzt, da die Feiertage näher rückten, wünschte Jacinda, sie könnte bei ihrer Familie in London sein. Ganz besonders in diesem Jahr, dem ersten Weihnachtsfest ohne Marie.
Aber Jacinda hatte sich eine Aufgabe gestellt. Und wenn Gage nicht der Mörder war, wer dann? Und wer würde ihr notfalls helfen, es herauszufinden?
Er hörte den berühmten Christmas Song von Nat King Cole, der aromatische Duft von frisch gebackenem Brot hing in der Luft. Gage ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen und begegnete stirnrunzelnd der vorweihnachtliche Stimmung, die in seinem Penthouse herrschte.
Sobald er den Flur zum Wohnbereich betreten hatte, blieb Gage stehen und blickte starr auf einen großen Weihnachtsbaum, der wie ein Wachposten neben dem Kamin aufgestellt worden war. Zweifellos war das sein Weihnachtsbaum, aber er hatte sich sehr verändert, denn jetzt war er mit rosa- und goldfarbenem Schmuck verziert. Nicht vollständig, doch das genügte. Gage konnte sich nicht daran erinnern, jemals einen rosafarbenen Weihnachtsbaum gehabt zu haben.
Er hörte Jane summen, spähte in den Küchenbereich und erhaschte einen Blick auf seine Haushälterin. Den Rücken ihm zugewandt, stand sie hinter der hüfthohen Arbeitsplatte. Jane beugte sich über den Herd und hatte offensichtlich noch nicht mitbekommen, dass Gage wieder zu Hause war.
Unwillkürlich erinnerte er sich an die Weihnachtsferien, die er als Kind erlebt hatte. An die Ferien von seiner Internatsschule in New England, an seine Eltern, höflich, aber förmlich, und an das Elternhaus in Connecticut, das zur Weihnachtszeit immer perfekt dekoriert gewesen war, allerdings nie Wärme ausgestrahlt hatte. Alles in allem: vollkommen anders als die behagliche Szene, die sich ihm jetzt bot.
Verdammt, dachte er. Gage stellte seine Aktentasche auf einen gläsernen Beistelltisch und legte den Mantel ab. „Ich bin wieder da!“
Sobald er die Worte ausgesprochen hatte, kam er sich jedoch lächerlich vor, fast so wie in einer Telenovela über Familienglück und Herzschmerz. Als er darüber nachdachte, wurde ihm klar, dass er gegen so etwas wie Sex and the City jedoch keine Einwände gehabt hätte. Prompt stellte er sich Jane vor, in hohen Schuhen und knapper Unterwäsche, wie sie einen Fuß auf sein Bett stellte, ihn verführerisch ansah und mit dem Zeigefinger zu sich dirigierte. Heiße Erregung stieg in ihm auf. Gage fluchte leise.
In diesem Moment drehte Jane sich zu ihm um, sah ihn aus großen Augen an und umklammerte ein Geschirrtuch. Jäh wurde Gage aus seinem Tagtraum gerissen. Irgendwie ärgerte es ihn, dass sie ihn immer erschreckt anstarrte, egal, was er machte.
„Sie sind fleißig gewesen“, sagte er und deutete auf den Baum.
„Ähm, ja …“ Sie kam auf ihn zu, trocknete sich die Hände ab und legte das Tuch auf die Arbeitsplatte. „Und …“, fügte sie zögernd hinzu. „Wie finden Sie es?“
„Es erfüllt seinen Zweck“, antwortete er und fluchte wieder im Stillen. Wegen ihres vorsichtigen Verhaltens und der verdammten Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübte, klang er abweisender, als er beabsichtigt hatte.
Sie senkte den Blick, sodass Gage ihr nicht ansehen konnte, ob sie gekränkt war. „Oh. Gut.“
Nachdenklich musterte er sie. Heute trug Jane eine zweckmäßige schwarze Hose und kurze Stiefeletten. Das jadegrüne Baumwolltop lag eng an und betonte ihre Brüste, ihr Haar war wie gewöhnlich mit einer Spange zurückgesteckt. Eigentlich hätte er Jane lieber in Seide, Kaschmir oder Satin gesehen … und mit offenem Haar … Sofort zügelte Gage seine Fantasie.
Jane biss sich auf die Lippe. Sie standen nur wenige Schritte voneinander entfernt und versuchten, wie so oft, einander einzuschätzen. Sie sah über ihre Schulter zu dem Herd. „Es gibt Kartoffelgratin, Filet Mignon und frisches Brot. Ich habe nur gewartet, bis Sie nach Hause kommen. Ich brate die Filets kurz in der gusseisernen Pfanne an.“
Meine Fantasie heizt du jedenfalls jetzt schon ordentlich an, dachte er impulsiv. Statt das auszusprechen, zog er nur fragend die Augenbrauen hoch. „Sie braten sie in einer gusseisernen Pfanne an?“ Er hatte nicht einmal gewusst, dass er so etwas überhaupt besaß.
Sie lächelte schwach. „Ein Kochtrick, den ich gelernt habe. Scharf anbraten und grillen.“
„Sie haben gesagt: die Filets?“, hakte Gage nach.
Sie blinzelte. „Ja. Sie sind sehr klein, und im Feinkostladen in der Lexington Avenue gab es Zweierpacks …“
„Dann müssen Sie wohl mit mir essen.“
„Oh, ich …“, murmelte sie und sah ihn so erstaunt an, als hätte er ihr sie darum gebeten, sich auszuziehen. Was eigentlich ein verlockender Gedanke war, fand Gage.
„Das haben sie im Mittelalter gemacht, wissen Sie.“
„Was?“
„Der Lehnsherr hatte einen Vorkoster.“ Er lächelte kurz. „Um sicherzugehen, dass das Essen nicht vergiftet war. Und da hier offensichtlich niemand außer Ihnen ist, sind Sie wohl oder übel nicht nur Köchin und Haushälterin, sondern auch Vorkosterin.“
Sie wirkte immer noch sehr nervös. „Glauben Sie etwa, ich will Sie vergiften?“
„Das, oder Sie lassen mich im Staub ersticken“, erwiderte er amüsiert. Er wollte nur die Stimmung lockern, doch als er jetzt sah, wie Jane errötete, wurde er wieder ernst. Er durfte nicht vergessen, wer er war und was sie war – seine Haushälterin und nichts anderes!
„Wir können bei der Gelegenheit doch über die Cocktailparty kommende Woche sprechen“, versuchte er, sie zu überzeugen. Tatsächlich aß er nicht gern allein. An den wenigen Abenden, die er zu Hause verbracht hatte, waren seine Gedanken immer wieder zu Jane abgeschweift. Jedes Mal malte er sich dann aus, was sie gerade tat, und hätte sie am liebsten um ihre Gesellschaft gebeten.
Mit ihr über die Cocktailparty sprechen zu wollen war natürlich ein Vorwand, aber unverfänglich, fand Gage. Solange es um Dinge ging, die ihren Job als Haushälterin betrafen, wurde ihre Beziehung nicht überstrapaziert. Er hatte sich sogar angewöhnt, ihr Notizzettel dazulassen.
Brauche Rasiercreme.
Wir haben keinen Kaffee mehr.
Zögere nicht, nackt zu mir ins Bett zu hüpfen. Er hielt inne, als ihn wieder einmal ein verbotener Gedanke überfiel. Sah man jedoch von seinen wilden Fantasien ab, hatte sich ihr Umgang normalisiert. Jane hinterließ ihm sogar im Gegenzug handgeschriebene Mitteilungen, in etwa wie: Das Essen steht im Kühlschrank. Ich habe Ihren Anzug aus der Reinigung geholt.
Fast wie kleine Liebesbriefe. Oder auch nicht.
Ungerührt standen sie da und sahen einander an.
Als er einen Schritt vortrat, machte sie fast gleichzeitig einen zurück. Aufmerksam beobachtete sie seine Bewegungen, als Gage nach seiner Krawatte griff, um den Knoten zu lockern.
Er ging an ihr vorbei und murmelte: „Duftet köstlich.“ Sieht auch köstlich aus, fügte er im Stillen hinzu. Und ich habe es wirklich satt, allein zu essen.
Ich muss den Verstand verloren haben, dachte Jacinda, als sie in das Steak schnitt.
Das leise Klappern des Bestecks auf dem Porzellan war das Einzige, was außer der Weihnachtsmusik zu hören war. Bing Crosbys Stimme ertönte sanft aus den Boxen der modernen Musikanlage, sodass man im ganzen Apartment mit ihm gemeinsam von einer weißen Weihnacht träumen konnte.
Verstohlen sah sie zu Gage. Er hatte geduscht und sich umgezogen, während sie das Abendessen zubereitet hatte. Statt des Anzugs trug er nun Jeans und ein eng anliegendes hellblaues Shirt. Wäre Gage Maries Liebhaber gewesen, hätte Jacinda ihre Schwester nur zu gut verstanden. Er war genau der Typ Mann, mit dem sie sich auch gern getroffen hätte – unter anderen Umständen natürlich.
Beim Kochen hatte sie voller Panik an das bevorstehende Dinner mit ihm gedacht. Erst hatte Jacinda überlegt, den Tisch so einzudecken, dass sie so weit wie möglich voneinander entfernt sitzen mussten, am jeweiligen Ende des langen Tisches. Das war ihr dann jedoch zu förmlich vorgekommen, besonders wegen seiner scherzhaften Bemerkung über den Vorkoster.
Sie hoffte inständig, dass er nicht misstrauisch geworden war, weil sie dermaßen erschreckt reagiert hatte. Doch sobald er das Wort „Gift“ ausgesprochen hatte, war ihr fast das Herz stehen geblieben. Wenn Gage für den Tod ihrer Schwester verantwortlich gewesen wäre – Jacinda hätte nicht gezögert, sich an ihm zu rächen oder zumindest dafür zu sorgen, dass er hinter Gitter kam. In den letzten Tagen waren ihr immer stärkere Zweifel an seiner Schuld gekommen.
Außerdem hatte Gage vollkommen recht: Sie mussten über die Vorbereitungen für die Cocktailparty sprechen. Darum hatte Jacinda sich dafür entschieden, das Dinner im Wohnbereich zu servieren. Von hier aus konnte man das behagliche Kaminfeuer, die Küche und den fast fertig geschmückten Weihnachtsbaum sehen.
Sie saßen sich schräg gegenüber, nicht zu weit auseinander, aber auch nicht zu dicht beieinander. Jacinda beobachtete, wie er einen Schluck Wein trank, einen kalifornischen 1990er Merlot, wenn sie sich richtig erinnerte. Von seiner Weinsammlung war sie von Anfang an beeindruckt gewesen und hatte überlegt, welcher Jahrgang mit welchem Gericht am besten harmonierte und wie gern sie das ausprobiert hätte.
Schweigend aß sie weiter und nahm sich vor, in Zukunft mehr darauf zu achten, was sie sich wünschte. Wenn nur dieses erotische Knistern nicht wäre!
Gage schien von ihrer Anspannung nichts zu merken. „Ich habe meine persönliche Assistentin gebeten, die Einladungen für die Party ein paar Wochen früher zu verschicken“, sagte er. „Bis jetzt haben wir dreißig feste Zusagen, fünf entscheiden sich noch.“
Sie nickte. „Ich habe mit dem Caterer gesprochen, dieses Mal ist es ein anderer.“ Als sie sah, wie er fragend die Augenbrauen hochzog, fügte sie schnell hinzu: „Sie werden ihn mögen. Sogar das New York Magazin hat über ihn geschrieben, und seine Lammkoteletts sind wirklich hervorragend.“
„Sie haben vorgekostet?“
„Ja, bei der Küchenbesichtigung“, gab sie zögernd zu und ärgerte sich darüber, als sie wieder einmal errötete. Aber sie konnte Gage schlecht sagen, dass sie manchmal nichts mit ihrer freien Zeit anzufangen wusste … wenn sie sich nicht gerade über den Erfolg ihres kleines Detektivspiel sorgte oder um ihre Schwester trauerte.
Gage lächelte. „Ich sehe, ich kann Ihnen als Vorkosterin voll und ganz vertrauen.“
Weil ihr keine geeignete Antwort einfiel, schwieg Jacinda.
Er schob sich den letzten Bissen in den Mund und kaute nachdenklich. „Warum ziehen Sie zu diesem Anlass nicht was Hübsches an?“
„Wie bitte?“, fragte sie vollkommen verblüfft und presste die Lippen aufeinander. Er hatte sie mit dieser Bemerkung so sehr überrascht, dass ihr britischer Akzent wieder durchkam. Hoffentlich war Gage das nicht aufgefallen!
Ruhig musterte er sie. „Für die Party.“
„Oh.“ Das klang schon besser. Sie hatte schon gedacht, er meinte das Outfit, das sie gerade trug und für eine Haushälterin durchaus für passend hielt. Trotzdem nagte seine Frage an ihrem Stolz. „Soll das ein Vorwurf sein?“
Er warf ihr einen hintergründigen Blick zu. „Nein, nur ein Vorschlag. Ich kann mir vorstellen, dass Sie bei einem festlichen Anlass in puncto Kleiderordnung nicht aus der Reihe fallen wollen.“
„Ich wüsste nicht, wie. Ich werde in der Küche sein und den Käse überbacken.“
Statt darauf einzugehen, deutete er auf den Weihnachtsbaum. „Sie waren fleißig.“
„Aber ich bin nicht ganz fertig geworden“, gestand sie zögernd.
„Ich helfe Ihnen.“
Helfen. Um Himmels willen! Das Letzte, was sie gebrauchen konnte, war ein rätselhafter und viel zu attraktiver reicher Mann, der ihr half, den Kaminsims weihnachtlich zu dekorieren – auch wenn es sein Kamin war.
Über die Lautsprecher erklang jetzt „I’ll be home for Christmas“ von Josh Groban. Und Jacinda fühlte sich schmerzlich daran erinnert, dass sie um diese Zeit immer bei ihren Eltern gewesen war. Gemeinsam mit Andrew und Marie hatte sie den Baum geschmückt. Und jetzt war sie hier mit Gage. Sie hatten zwar gerade erst das Besteck auf die Teller gelegt, aber Jacinda war zu nervös und unruhig. Hastig schob sie ihren Stuhl zurück. „Danke“, meinte sie kühl und stand auf. „Aber ich glaube, das ist meine Aufgabe.“
Als sie nach seinem Teller griff, wollte Gage ihn fortziehen. Dabei berührten sich ihre Hände, und sie verharrten beide mitten in der Bewegung. Jacinda sah ihm in die Augen. Sein Gesichtsausdruck blieb unverändert, sein Blick spiegelte jedoch pures Verlangen. Während sie wohlig erschauerte, erinnerte sie sich daran, dass er ein mächtiger Mann war – in mehr als einer Hinsicht spielte er in einer ganz anderen Liga als sie. Mit seinem Einfluss könnte er sicher jederzeit ihre Existenz zerstören – sollte er jemals herausbekommen, was sie im Schilde führte. Bei diesem Gedanken begann sie leicht zu zittern.
„Ich helfe Ihnen“, wiederholte er. „Ich möchte es.“
Sie atmete tief ein. „Okay.“
Gemeinsam erledigten sie den Abwasch, und Jacinda genoss den denkwürdigen Anblick: ein Milliardär, der den Geschirrspüler selbst einräumt und Pfannen abtrocknet. Amüsiert beobachtete sie ihn und folgte ihm kurz darauf, als er zum Weihnachtsbaum ging und mit ihr besprach, wie sie ihn am besten schmücken sollten.
Sie sah, wie sich Gage vorbeugte, um eine rosafarbene Weihnachtskugel aufzuhängen, und seufzte unwillkürlich auf.
Prompt hielt er inne und warf ihr einen fragenden Blick zu. „Stimmt was nicht?“
„Nein, nein, alles bestens“, beteuerte sie. Da er nicht überzeugt wirkte, fügte sie dann widerstrebend hinzu: „Ich denke nur, die Kugel würde da vorn besser hinpassen.“
Er machte eine einladende Handbewegung. „Tun Sie sich keinen Zwang an.“
„Sie geben schneller auf als meine Geschwister“, entgegnete sie spontan.
„Sie haben Geschwister?“
„Ja, einen Bruder und eine Schwester.“
„Und Sie haben sich beim Weihnachtsbaumschmücken gestritten?“
„Manchmal“, gab sie zu. „Ich vermute, Sie tragen keine Machtkämpfe aus?“
„Das stimmt. Zumindest nicht in der Familie.“
Wenn alles stimmte, was sie über ihn gelesen hatte, war Gage ein knallharter Geschäftsmann. Obwohl Jacinda die Antwort kannte, fragte sie interessiert: „Sind Sie ein Einzelkind?“
„Ja.“
Lächelnd deutete sie auf den Baum. „Tja, Dekorieren ist jedenfalls nicht gerade Ihr Ding.“
„Da haben Sie wohl recht.“ Er warf ihr einen aufmerksamen Blick zu. „Sagen Sie mir also durch die Blume, dass ich meine Sache hier schlecht mache?“
„Sie sind vielleicht einfach zu vorsichtig“, erwiderte sie ausweichend. „So als wüssten Sie nicht, wie Sie es machen sollen.“
Erfreut nahm sie wahr, dass er ein Lächeln andeutete. „Und ich habe gedacht, dass ich mich ganz gut schlage – wenn man bedenkt, wie viel Weihnachtsschmuck wir hier haben.“
Sie spürte, wie sie errötete, und überlegte, dass sie womöglich zu weit gegangen war, indem sie seine exquisite Sammlung nach ihren Vorstellungen ergänzt hatte. Doch er meinte seine leise Kritik offensichtlich nicht ernst. Wieder einmal wurde Jacinda bewusst, wie witzig und charmant er sein konnte.
„Ich hab nicht anders gekonnt“, sagte sie entschuldigend. „Ich musste unbedingt ein paar von den rosa Kugeln mitnehmen.“
„Ein paar?“
„Verglichen mit dem, was Sie verdienen, sind das nur Peanuts, oder?“
„Sie mögen Rosa?“, entgegnete er lächelnd.
Stolz hob sie das Kinn und sagte voller Überzeugung: „Pink ist das neue Marineblau.“
Er zog die Augenbrauen hoch. „Sie machen sich über mich lustig, oder? Ich lese wohl zu wenig Cosmopolitan, um das zu verstehen.“
„Frauen von heute fühlen sich eben wohl in Rosa. Sie wollen sich nicht mehr wie Männer kleiden. Pink steht für Frauenpower auf ganzer Linie.“ Jacinda verschränkte die Arme. Sie fühlte sich ganz in ihrem Element, denn als Marketingexpertin kannte sie die aktuellen Trends und Werbestrategien genau. Außerdem trug sie bei der Arbeit selbst häufig Rosa. Aber von dieser Seite ihres Lebens durfte Gage nichts erfahren.
„Ich habe gedacht, Rosa und Gold wären mal was anderes“, fügte sie hinzu, um sich nicht zu verraten. Und das wäre es allerdings, ergänzte sie im Stillen. Gages Apartmenteinrichtung verkörpert Männlichkeit in Reinkultur – schwarz, gläsern, kompromisslos männlich eben.
Er warf ihr einen amüsierten Blick zu. „Richtig.“
Im Grunde stand es ihr nicht zu, ihn zu kritisieren. Schließlich ist er der Boss, rief sie sich in Erinnerung. „Wenn es Ihnen nicht gefällt, kann ich es ändern …“
Ernst sah Gage zum Baum und dann wieder zu ihr. „Nein, das brauchen Sie nicht“, erklärte er in sanfterem Ton. „Es wird Zeit für was Neues.“
„Für etwas erfrischend Neues.“ Froh lächelte sie ihn an.
„Genau. Wie konnte ich das vergessen.“
„Und warum haben Sie so wenig Erfahrung mit dem Schmücken von Weihnachtsbäumen?“
„Bei meinen Eltern war das Personal dafür verantwortlich“, erwiderte er. „Es war immer alles fertig, wenn ich vom Internat nach Hause gekommen bin.“
Das klang nicht gerade nach schönen Kindheitserinnerungen, fand Jacinda. „Auf welchem Internat sind Sie denn gewesen?“, erkundigte sie sich, auch wenn sie es längst wusste.
„Auf der Choate School.“
„Ach, die kenne ich …“ Sie biss sich auf die Zunge. Ich hatte einen Kunden, der dort gewesen ist. Als Haushälterin sollte sie sich allerdings nicht so gut mit Privatschulen in New England auskennen.
„Die kennen Sie …?“, hakte er überrascht nach.
„In Massachusetts, richtig?“
Er nickte. „Ich bin dort im Aufsichtsrat.“
Was auch sonst, dachte sie. „Die müssen ja viel von Ihnen halten.“ Sie hatte bereits herausgefunden, dass er in vielen Aufsichtsräten saß. Das verwunderte sie auch nicht weiter, immerhin war er Geschäftsführer einer Risikokapitalfirma, die weltweit in viele Unternehmen investierte. Er war ständig auf Reisen, jettete von einem Ort zum anderen.
„Meine Schule ist mir manchmal mehr ein Zuhause gewesen als meine Familie“, sagte er leiser.
Nein, das klang wirklich nicht nach schönen Kindheitserinnerungen. „Das tut mir leid“, erwiderte sie betroffen.
„Das braucht es nicht. Denken Sie nicht, dass mein Vater und meine Mutter schlechte Eltern gewesen sind. Sie waren schon etwas älter und haben es nicht besser gewusst. Bei uns zu Hause wurde immer auf ein gewisses Maß an Förmlichkeit geachtet.“
Sie warf einen flüchtigen Blick auf den Baum. Vielleicht hätte sie schon vor Wochen mit Gage zusammen essen sollen, statt sich in ihren Räumen zu verstecken. Plötzlich kam es Jacinda so vor, als würde sie langsam den wirklichen Gage Lattimer kennenlernen … Sie räusperte sich, während sie die Christbaumkugel an der Stelle aufhängte, die sie vorgeschlagen hatte. „Leben Ihre Eltern noch?“
„Vor fünf Jahren sind sie in ein Chalet in die Schweiz gezogen“, antwortete er und suchte einen freien Platz am Baum für den Weihnachtsschmuck, den er in Händen hielt.
Jacinda war mehrmals mit Freunden in den Alpen zum Skifahren gewesen, daher kannte sie sich ein wenig aus. Zu gern hätte sie Gage jetzt gefragt, wo genau in der Schweiz seine Eltern lebten, doch sie unterdrückte die Neugierde.
Himmel auch, vielleicht lag es an der Weihnachtsmusik oder daran, dass sie so weit weg von zu Hause war – aber mit einem Mal sehnte sie sich danach, Gage zu berühren. Jacinda atmete tief ein und beschloss, mutiger zu sein. Sie musste Gage einfach wegen Maries Tod befragen, um endlich mit ihren Nachforschungen weiterzukommen.
„Gefällt es Ihnen eigentlich, hier zu arbeiten?“, fragte er unvermittelt.
Sie presste die Lippen aufeinander und sah ihn forschend an. Er wirkte beinah genauso überrascht wie sie. Und anscheinend fühlte er sich auch ebenso unbehaglich.
Während sie eine weitere Weihnachtskugel aus der Schachtel nahm, sagte Jacinda scheinbar beiläufig: „Mal ehrlich: Wem würde es nicht gefallen, in einem großen Penthouse im Herzen von Manhattan zu wohnen? Allerdings …“, fuhr sie in verschwörerischem Tonfall fort, „soll es hier auch einige seltsame Vorfälle gegeben haben.“
Er hielt inne. „Was denn?“
Sie zwang sich dazu, ihm in die Augen zu sehen, während ihr das Herz bis zum Hals schlug. „Ich habe gehört, es hat hier vor einigen Monaten einen Selbstmord gegeben.“ Nachdem sie tief eingeatmet hatte, setzte sie hinzu: „Eine Frau soll hier vom Dach gesprungen sein, stimmt das?“
Gage runzelte die Stirn. „Wo haben Sie das denn gehört?“
„Ach, wissen Sie“, erwiderte sie und machte eine vage Geste. „Ich glaube, ich habe es im Fahrstuhl gehört … von einem Ihrer Nachbarn.“
Jetzt entspannte er sich sichtlich. „Ja, das war tragisch“, bekräftigte er.
„Haben Sie die Frau gekannt?“, fragte sie bemüht gelassen. Und hast du mit ihr geschlafen? fügte sie im Stillen hinzu und fühlte Angst in sich aufsteigen. Lieber Gott, bitte lass es nicht ihn sein, dachte Jacinda. Auf einmal war es ihr sehr wichtig, dass Gage nicht der Mörder war.
„Sie war meine Immobilienmaklerin.“
Jacinda versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. „So?“, fragte sie nach und sah sich um. „Ich dachte, Sie leben hier schon seit ein paar Jahren.“
„Das stimmt. Sie sollte mir auch kein anderes Apartment suchen, sondern neue Büroräume für Blue Magus.“
„Und das ist Ihre einzige Verbindung zu Marie Endicott? So hieß sie doch, oder?“
„Sie haben ja eine ganze Menge Fragen“, meinte er amüsiert.
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin bloß neugierig.“
Gage trat auf den Baum zu, befestigte eine Kugel und kam wieder zu Jacinda zurück. „Marie Endicott war meine Maklerin, nichts weiter. Nach ihrem Tod habe ich aus mehreren Gründen beschlossen, zunächst keine neuen Büroräume für meine Firma zu suchen.“
„Oh.“ Erleichtert atmete sie auf.
„Warum interessiert Sie das überhaupt, Jane?“, fragte Gage leise. „Wollen Sie auf diese Weise herausbekommen, ob ich zurzeit mit jemandem zusammen bin?“
Sie gab es nur ungern zu, aber genau das wollte sie zu gern wissen. „Und? Sind Sie es?“
„Nein.“
Ich bin wie verzaubert von dir, dachte sie.
„Und Sie?“, entgegnete er.
Und ich bin verrückt nach dir, schoss es ihr durch den Kopf. „Nein.“
Sie hielt den Atem an, als er an sie herantrat, die Hand hob und zärtlich mit einer ihrer Haarsträhnen spielte. Unwillkürlich öffnete Jacinda den Mund und richtete den Blick auf seine feinen, festen Lippen, die so unendlich sanft aussahen und grenzenloses Vergnügen versprachen. Es kam ihr vor, als sei die Luft plötzlich elektrisiert.
„Jane“, flüsterte er.
Sie atmete tief ein, und dann, im Bruchteil einer Sekunde, traf die Erkenntnis sie wie ein Schlag. Jane. Nicht Jacinda. Jane. Was war bloß in sie gefahren? Sie führte ein Leben voller Lügen.
Unvermittelt trat sie einen Schritt zurück. „Ich … ich muss noch einen Anruf erledigen“, stammelte sie. Sie wusste, wie schwach die Ausrede war, und las in seinen Augen, dass er sie durchschaute.
Hastig drehte Jacinda sich um, legte die Kugel zurück in die Schachtel und floh, von widersprüchlichen Gefühlen gequält, aus dem Wohnzimmer.
Sie war nach New York gekommen, um Gage Lattimer zu hassen, doch mittlerweile zweifelte sie an seiner Schuld. Außerdem fühlte er sich offensichtlich zu ihr hingezogen, was die Sache nicht leichter machte. Falls er nicht für den Tod ihrer Schwester verantwortlich war, konnte Gage ihr vielleicht helfen – wenn sie diesen starken Gefühlen widerstand, die er in ihr weckte.
Zu dumm, dass es keinen Weg gab, ihm die Wahrheit zu sagen. Und zu hoffen, dass er sie dann immer noch wollte. Oder etwa doch?
„Hallo, Andrew!“, rief Jacinda und keuchte, als sie mit vielen Einkaufstüten beladen die 73. Straße in Manhattan entlangging. „Wie … wie geht es dir?“