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Weil in der Liebe und im Bandenkrieg alles erlaubt ist...
Als Grim Emma Jean nach all den Jahren bei den Los Muertos, seinem schlimmsten Feind, aufspürt, ahnt er nicht, dass sie zusammen durch die Höllen gehen werden. Er ahnte nicht, dass ihre Liebe einen Krieg auslösen würde, der die ganze Stadt im Blut versinken lässt. Emma Jean in Sicherheit zu bringen, ist Grims oberste Priorität. Auch wenn er dafür über Leichen gehen muss. Auch wenn er dafür seine Brüder verraten muss. Auch wenn es ihn das Leben kosten kann ...
"Das perfekte Ende für eine epischen Liebesroman-Trilogie!" LEAVE ME ALONE I'M READING
Das große Finale der Dark-Romance-Trilogie BEDLAM BROTHERHOOD von USA-TODAY-Bestseller-Autorin T. M. Frazier
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Seitenzahl: 229
Titel
Zu diesem Buch
Widmung
Motto
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Epilog
Leseprobe
Eine Botschaft der Autorin
Danksagungen
Die Autorin
Die Romane von T. M. Frazier bei LYX
Impressum
T. M. Frazier
Bedlam Brotherhood
Er wird dich begehren
Ins Deutsche übertragen von Stephanie Pannen
Als Grim Emma Jean nach all den Jahren bei den Los Muertos, seinem schlimmsten Feind, aufspürt, ahnt er nicht, dass sie zusammen durch die Höllen gehen werden. Er ahnte nicht, dass ihre Liebe einen Krieg auslösen würde, der die ganze Stadt im Blut versinken lässt. Emma Jean in Sicherheit zu bringen, ist Grims oberste Priorität. Auch wenn er dafür über Leichen gehen muss. Auch wenn er dafür seine Brüder verraten muss. Auch wenn es ihn das Leben kosten kann …
Immer für L & C
Für immer & immer
(von Evers und Evers Immobilien)
Für BB Easton
#NOTMWAGTD
Erlaubnis|/|
Substantiv, feminin
PERMISSION
per·mis·sion//
1 Genehmigung
2 Einverständnis
»Niemand kann mich ohne meine Erlaubnis verletzen.«
– Mahatma Gandhi
Es liegt eine gewisse Schönheit im Tod, darin mitzuerleben, wie das Leben einen Körper verlässt. Ein Zyklus endet, während ein anderer beginnt. Wie eine verwelkende Blume, die ihr letztes Blütenblatt abwirft, oder ein totes, verwesendes Tier, das die Bäume nährt, die in seinen Knochen Wurzeln schlagen. Ich behaupte nicht, zu wissen, was nach dem Tod passiert, oder ob es nach dem letzten Atemzug so ist, als hätte es nie einen gegeben.
Jemanden zu töten ist mir immer leichtgefallen. Es hat mir sogar Spaß gemacht. Noch nie habe ich jemanden (der nicht zu meiner Familie oder Bedlam gehört) sterben sehen und gedacht: Nein, diese Person sollte leben.
Bei dem blutenden Mädchen, das ich trage, ist es anders. Dieses Gefühl in mir ist anders. Ich will, dass sie lebt. Ich verlange es. Will es unbedingt. Ich will, dass sie ihre Augen öffnet, will sie atmen, ein verdammtes Wort sprechen hören. Nicht weil sie mir etwas bedeutet, sondern weil sie für Tricks’ Glück unentbehrlich ist. Das ist es, was dieses Mädchen auch für mich wichtig macht.
Es ist ein verdammt seltsames Gefühl. Mitgefühl durch Nähe. Ich kenne dieses verdammte Mädchen nicht mal. Hab noch nie ein Wort mit ihr geredet. Und doch hoffe ich von ganzem Herzen, dass Gabby überleben wird.
Es gibt so viele Dinge über eine lebende, atmende beste Freundin hinaus, die ich Emma Jean Parish geben will. Zum Beispiel ein Leben. Ein richtiges Leben. Unser eigenes Haus mit einer großen Küche, einer Garage, in der ich an meinem Motorrad schrauben kann, und einem Schreibzimmer für Tricks.
Seit sie mir zum ersten Mal von den Geschichten erzählt hat, die sie sich ausdenkt, um den schrecklichen Dingen in ihrem Leben zu entkommen, stelle ich mir vor, wie sie spätabends an einem Computer sitzt, wild auf der Tastatur herumtippt und sich blonde Strähnen aus dem Gesicht pustet. Sie könnte Kindermärchen schreiben oder sogar eine Geschichte, die auf ihrem Leben basiert. Tricks’ Fantasie ist einfach nicht von dieser Welt. Sie sollte mehr damit machen als Leute hereinlegen. Auch wenn Tricks’ Gaunereien sowohl ihre brillante Vorstellungskraft als auch eine lächerliche Menge an natürlichem sowie erlerntem Talent erfordern. Ihre Bücher könnten die Menschen unterhalten. Ihnen sogar helfen. Was immer sie tun will, ich bin davon überzeugt, dass sie für etwas Größeres in dieser Welt geschaffen wurde. Ich will, dass sie sich entfalten kann, Erfolg hat und mehr ist als … ich.
Mir kommt ein weiterer Gedanke in den Sinn. Ich will auf die Vorstellung zulaufen, sie aber gleichzeitig auch abschütteln. Tricks hochschwanger mit unserem Teufelsbraten von einem Kind. Aber könnten wir unser Baby in Lacking aufziehen? Einem Ort, an dem die Kinder nur in der Schule draußen spielen können, versteckt hinter hohen Mauern, weit genug entfernt von der Sorge, sie könnten von einem Querschuss getroffen werden.
Ich könnte mit Tricks aus Lacking verschwinden. Und genau das würde ich auch tun, selbst wenn es bedeutet, meine Brüder verlassen zu müssen. Unterm Strich scheint es die beste Option zu sein, doch Bedlam aufzugeben und Lacking zu verlassen, bedeutet nicht automatisch, dass alle Vendettas gegen mich mit uns verschwinden. Man könnte immer noch aus dem einen oder anderen Grund nach mir suchen, und wieder wäre Tricks’ Leben in Gefahr, zusammen mit dem unseres imaginären Kinds. Das ich mir gerade vorstelle, während Blut mein Bein herunterläuft und meine weißen Turnschuhe rot färbt.
Ich will Tricks dieses Kind und dieses Leben geben. Ich will dafür sorgen, dass alle ihre Träume in Erfüllung gehen. Bis jetzt habe ich ihr nur Herzschmerz und Angst gegeben, zusammen mit der Unfähigkeit, sie vor den Leuten zu beschützen, die ihr das Leben zur Hölle machen wollen, auch wenn ich niemanden kenne, der den Himmel mehr verdient hätte als sie.
Selbst wenn Marco nicht da wäre, um jeden unserer Schritte zu bedrohen, was für eine Art Leben könnte ich ihr denn überhaupt bieten? Ich bin Bedlam und werde es immer sein. Natürlich habe ich Geld, eine Menge, versteckt an mehreren Orten, doch mit Geld kann man weder Sicherheit noch Freiheit oder Seelenfrieden kaufen.
Die Vorstellung, Tricks nicht für den Rest meines Lebens an meiner Seite zu haben, fühlt sich an wie eine Axt an meiner Kehle und tut mehr weh als die Kugel in meinem Bein.
Jedes Mal, wenn ich einen Schritt gehe, fühlt es sich an, als ob jemand mit einem Meißel meinen Oberschenkel bearbeitet.
Aber mein Schmerz, ob körperlich oder mental, darf mich nicht davon abhalten, das Reservatskrankenhaus zu erreichen. Ich habe Tricks schon oft genug hängen lassen.
Ich darf Gabby nicht sterben lassen.
Und das werde ich auch nicht.
Ohne eine freie Hand trete ich die Doppeltür des Krankenhauses auf. Mit einem lauten Knall schlagen die Türflügel gegen die Wände. Ich trage Gabby in den kleinen Wartebereich, während Sandy und Haze aufsehen.
Ich übergebe Gabbys schlaffen zierlichen Körper dem wartenden Arzt und seinem Team. Sie wird auf eine Trage gelegt und man ruft einander Anweisungen zu, während sie durch eine Tür mit der Aufschrift »Zutritt nur für Personal« gebracht wird.
Ich ziehe meine Kapuze ab und werde von Sandys und Hazes Missbilligung begrüßt.
»Was hast du da für eine verdammte Scheiße abgezogen?«, fragt Haze mit vor der Brust verschränkten Armen. »Marco herauszufordern, ohne uns in deinen Plan einzuweihen?«
»Es war die einzige Möglichkeit«, erwidere ich, erschöpft von der langen Strecke über Seitenstraßen und durch dichtes Gebüsch.
»Du hättest uns Bescheid sagen können. Wir hätten geholfen«, sagt Sandy. Mir wird klar, dass sie eher besorgt als wütend sind. Das Wissen schmerzt mehr als mein Bein. Ich habe nie vorgehabt, meine Brüder zu verletzen. Eher würde ich sterben.
»Oder ihr hättet beide sterben können, und dabei müsst ihr doch für Marci da sein.« Ich sehe mich um. »Wie geht es ihr?«
Als ich Marci erwähne, wird Sandys Gesichtsausdruck milder. »Sie ist immer noch bewusstlos, aber stabil. Hat einen schweren Schlag auf den Kopf bekommen. Die Ärzte behalten sie im künstlichen Koma, bis die Hirnschwellung zurückgegangen ist. Aber sie haben ein paar Tests gemacht und denken, dass sie es schaffen wird.«
»Gott sei Dank«, sage ich und seufze erleichtert.
»Wo zum Teufel ist EJ?«, fragt Haze und sieht hinter mich, als würde sie gleich durch die Tür spazieren.
Ich schüttle den Kopf. »Lemming. Er hat den Kampf beendet und sie verhaftet, dann ging die Schießerei los. Leider ist Gabby zwischen die Fronten geraten und hat einen Schuss in die Brust abbekommen. Außerdem ist Marco noch am Leben. Leider.«
»Du siehst auch ziemlich mitgenommen aus«, kommentiert Haze. Sein Blick wandert von der Schnittwunde über meinem Auge zu dem Loch in meiner Jeans und schließlich zu der Blutlache, in der ich stehe.
»Hab ’ne Kugel ins Bein abbekommen«, sage ich und winke ab. Es gibt gerade wichtigere Dinge. Ich muss zu Lemming und herausfinden, warum er Tricks mitgenommen hat.
Sandy sieht sich um und ich weiß, dass er nach medizinischem Personal sucht, damit meine Wunde behandelt wird.
»Dafür ist es jetzt keine Zeit«, knurre ich.
»Du kannst niemandem mehr helfen, wenn du verblutest. Setz dich.« Sandy drückt mich in auf einen Plastikstuhl.
Eine Schwester sieht sich mein blutendes Bein an. »Ich bereite ein Behandlungszimmer vor«, sagt sie, und ihre Schuhe quietschen über das Laminat, bevor sie hinter einer Tür verschwindet.
»Wie willst du sie denn rausholen?« Haze kratzt sich den Bart. »Wenn du nur einen Schritt in die Wache tust, sperren die dich ein, wahrscheinlich für den Rest deines Lebens. Falls du es vergessen haben solltest, du bist auf der Flucht und wir sind auf Kaution draußen.«
Ich verziehe mein Gesicht, als der Schmerz in meinem Bein mein Rückgrat hochschießt. »Denkst du, das spielt eine Rolle?«, knurre ich. »Ich muss sie da rausholen.«
»Was ist mit Mona?«, fragt Sandy. »Hast du sie gesehen?«
Ich schüttele den Kopf. »Keine Spur von dem Miststück. Allerdings ging auch genug anderes vor.«
»Was denn?«, fragt Haze und nimmt neben mir Platz.
»Zum Beispiel die Hochzeit, in die ich hineingeplatzt bin.«
»Nein …« Sandy sieht mich überrascht an.
Ich nicke. »Ja, dieses Arschloch Marco war dabei, mein Mädchen vor all seinen Leuten zu heiraten.« Ich erzähle meinen Brüdern alles, was auf dem Gelände von Los Muertos passiert ist. Ich bin gerade fertig, als die Eingangstür des Krankenhauses geöffnet wird. Wir drehen uns um und sehen die zitternde Brünette in der Lobby stehen. Ihr laufen Tränen über die Wangen.
Ich stehe auf und balle die Fäuste. Dieses Miststück hat vielleicht Nerven.
»Kommt … kommt Gabby wieder in Ordnung?«, wimmert Mona.
»Lass uns hier etwas Zeit sparen«, beginne ich, während Haze sie auf einen Stuhl drückt. Dann wirft er mir ihr Handy zu und ich schaue nach der GPS-Funktion. Sie ist ausgeschaltet. Trotzdem nehme ich die Sim-Karte raus und lasse sie zu Boden fallen. Sandy zertritt sie mit dem Absatz seines Stiefels.
»Du kannst jetzt mit dem falschen Geflenne aufhören«, sage ich ihr. »Spar dir die Krokodilstränen für jemanden, der dich nicht töten will. Was hast du vor, Mona? Warum zum Teufel bist du hier?«
Sie schüttelt den Kopf und schluckt. »Ich habe schreckliche, unverzeihliche Dinge getan. Das weiß ich. Ich kann gar nicht ausdrücken, wie sehr mir das leidtut. Auch wenn ihr mir nicht glaubt, es tut mir wirklich leid. Es gibt keine Entschuldigung für das, was ich getan habe.«
Ich verdrehe die Augen über ihre Theatralik. »Richtig, die gibt es nicht. Sag mir, warum ich dich nicht einfach hier auf der Stelle töten sollte?«
»Du … du würdest eine Frau töten?«, stottert sie.
Ich würde laut auflachen, wenn ich in der Gegenwart dieser manipulativen, bösen Psychopathin lächeln könnte, die ausgerechnet mich im Vergleich wie eine vollkommen normale Person aussehen lässt. Ich bewege den Kopf von einer Seite zur anderen und korrigiere sie. »Ich töte keine unschuldigen Frauen.«
Mona schnappt zitternd nach Luft und beginnt zu plappern. »Ich wollte mich doch nur geliebt fühlen. Akzeptiert. Als Marco Gabby und EJ aus dem Waisenhaus mitgenommen hat, wurde ich weggeschickt, als sei ich nichts. Ich war allen egal. Nach ein paar Jahren dachte ich, man hätte mich vollkommen vergessen. Als ich Gabby kontaktiert habe, hat sie mir gesagt, dass ich nicht vorbeikommen soll. Ich dachte nicht, dass ich noch eine Familie hätte, bis mich Marco eines Tages in der Schule angerufen hat. Er hat mir gesagt, dass Gabby in Schwierigkeiten steckt und dass alles EJs Schuld ist.«
Schniefend blickt sie auf ihre Schuhe.
»Marco sagte, dass er mich braucht. Dass ich die Einzige bin, die Gabby vor all dem Schmerz retten könnte, den EJ ihr durch ihren Verrat zufügt. Er hatte vor, sie auf eine Weise loszuwerden, die Los Muertos hilft. Ich dachte, ich würde das Richtige für Gabby tun. Für meine Familie.« Sie legt ihre Hände auf die Oberschenkel und stellt sich meinem wütenden Blick. »Ich wusste, dass es falsch war. Gabby hatte ein Jahr lang nicht mal eine Ahnung, dass ich bei Los Muertos war. Ich habe mir eingeredet, dass ich es ihr nicht gesagt habe, weil ich erst den Plan ausführen müsse, ohne die Ablenkung durch meine Schwester, aber der eigentliche Grund war, dass ich mich ihr nicht stellen wollte.« Sie schließt die Augen. »Ich verspreche, dass ihr mit mir machen könnt, was ihr wollt … ich werde mich nicht wehren, aber erst wenn ich weiß, dass Gabriella in Ordnung ist.«
»Moment mal«, mischt sich Sandy ein. »Warum zum Teufel hilft es Los Muertos, wenn Marco Emma heiratet?«
Mein Blick landet auf dem Foto von Chief David über der Anmeldung. Ich denke an die Geschichte von Camilla und seinem ungeborenen Kind. Plötzlich wird mir alles klar. »Wegen der Stammesbezüge, wegen der damit verbundenen Anteile und Vorteile und Verbindungen«, antworte ich für sie. »Weil Marco glaubt, dass Emma Jean Chief Davids Tochter ist.«
Mona nickt.
»Quatsch keinen Scheiß«, sagt Sandy, gefolgt von einem langen Pfiff. »Ich dachte, seine schwangere Frau wäre umgebracht worden?«
»Das dachte ich auch«, sage ich. »Aber vielleicht hatte sie das Kind und vielleicht ist es EJ. Oder vielleicht ist das alles auch nur noch mehr Schwachsinn.«
»Den uns eine Psychopathin weismachen will«, fügt Haze hinzu. »Ich tippe ja auf Lügen, aber das können wir mit einem ganz einfachen Test herausfinden.«
Mona nickt. »Darum hat er auch den Ärger mit den Iren losgetreten. Er dachte, dass sie für ihn Bedlam ausschalten könnten und er dann gleichzeitig euer Waffengeschäft und auch das Reservat bekommt.« Sie fummelt nervös mit ihren Fingern herum und zupft sich ein Stück Nagelhaut ab. »Aber es ist nicht nur das. Er bildet sich ein, EJ zu lieben. Er ist vollkommen vernarrt in sie. Sie ist alles, woran er denkt. Worüber er redet. Herumschreit.« Sie massiert sich die Schläfen. Da bemerke ich die frischen Narben an ihren Handgelenken. Als sie bemerkt, dass ich sie anstarre, zieht sie sich schnell die Ärmel herunter und steckt die Hände zwischen ihre Beine.
»Er ist so sehr in sie verliebt, dass er sie zum Sterben auf der Straße aussetzt, sie vergewaltigt und ihre Kindheitsfreunde gegen sie aufhetzt?«, fragt Sandy und spricht damit meine eigenen Gedanken aus.
Monas Augen sind gerötet und darunter sind dunkle Ringe. »Verletzen wir nicht immer diejenigen, die wir am meisten lieben?« Sie hält mir Emma Jeans Medaillon entgegen.
Ich nehme es ihr ab und widerstehe dem Drang, sie damit zu erwürgen. »Wo ist Marco jetzt?«
»Ich weiß es nicht. Nachdem auf dem Gelände das Chaos ausgebrochen ist, habe ich gehört, wie er mit Mal darüber geredet hat, dass ich versagt habe. Dass er mich vollkommen umsonst zu Los Muertos geholt hat. Da wurde mir klar, dass er nur an sich und seine Agenda denkt.«
»Läuterung vollzieht sich halt nicht von einem Tag auf den anderen«, entgegne ich.
»Doch, wenn man zuhört, wie der eigene Bruder jemandem sagt, dass man keine Rolle spielt. Dass man es nie getan hat. Dass man tot sein könnte, und er würde es nicht mal bemerken.«
»Schluchz schluchz«, sagt Sandy und verdreht die Augen. »Wegen dir ist Tricks fast gestorben. Gabby stirbt vielleicht wegen dir. Meine Ma liegt wegen dir im Koma!«
Haze kniet sich neben sie. »Ich verstehe, dass du dich gerade echt mies fühlst.« Er legt einen Finger unter ihr Kinn und zwingt sie aufzusehen. »Aber eins muss dir klar sein. Nach allem, was du getan hast … ist uns das scheißegal.« Er lässt sie los und steht auf.
Die Schwester kehrt ins Wartezimmer zurück und bedeutet mir, ihr zu folgen.
Ich sehe Mona direkt in die großen, lügenden Augen, während ich meinen Brüdern Anweisungen gebe. »Bringt sie in den War Room. Fesselt sie an einen verdammten Stuhl und lasst sie nicht aus den Augen. Wenn sie auch nur einen Schritt in irgendeine Richtung macht, in die ihr sie nicht führt, tötet sie.«
Im Untersuchungsbereich hinter einem ausgeblichenen blauen Vorhang schneidet die Schwester meine Jeans auf, um die Schusswunde in meinem Oberschenkel zu untersuchen. »Ich hole den Chirurgen. Diese Kugel muss raus.« Sie will den Raum verlassen, doch ich halte sie am Arm fest.
»Machen Sie das«, stoße ich durch zusammengebissene Zähne hervor.
Sie schüttelt den Kopf. »Sie müssen für die Prozedur unter Narkose.«
»Muss ich nicht.«
»Ich darf keine Operationen durchführen«, argumentiert die Schwester und stemmt ihre freie Hand in die Hüfte.
»Meine Mutter war Krankenschwester, bevor das Krankenhaus dichtgemacht hat und sie im Casino anfangen musste«, sage ich ihr. »Ich weiß, dass Krankenschwestern die Anweisungen der Ärzte befolgen müssen, doch ich weiß auch, dass die Schwestern meistens besser wissen, was getan werden muss. Wollen Sie mir etwa sagen, dass Sie nicht in der Lage sind, die Kugel zu entfernen?«
Ohne zu zögern, erwidert sie: »Nein, ich sage Ihnen, dass ich dazu nicht befugt bin.«
»Dies ist das Reservat. Niemand wird Sie dafür belangen. Hören Sie, wenn Sie es nicht tun, werde ich einfach gehen und es selbst machen. Bewahren Sie mich vor einer Infektion, holen Sie das Mistding einfach raus und nähen Sie mich wieder zusammen.«
Ihr Blick wird weicher. Sie verdreht die Augen, dann nimmt sie zwei Gummihandschuhe aus einer Schachtel und zieht sie an. »Ich warne Sie. Das wird verdammt wehtun.«
Ich lege mich zurück, während sie die Instrumente auf einem Tablett zusammenstellt. »Da bin ich mir sicher.« In Wahrheit spielt es keine Rolle.
Kein körperlicher Schmerz kann schlimmer sein als das, was ich bereits fühle.
Sie gräbt das Skalpell tief in mein Bein, und ich nutze den Schmerz, um mich auf meinen Plan zu konzentrieren. Doch stattdessen kommen mir immer wieder die gleichen drei Worte in den Sinn. Immer und immer wieder, während sie mir in mein Fleisch schneidet.
Wut.
Rache.
Erlösung.
»Da bist du ja«, sagt Chief David, als er durch den Vorhang tritt. »Was zum Teufel bringt Marci, dich und Marcos Schwester dazu, kostbaren Bettenplatz in meinem Krankenhaus zu belegen?«
»Du weißt, dass ich so was lieber zu Hause machen lasse, aber Gabby und Marci brauchten mehr. Und wenn ich schon mal da bin … Ich dachte mir, dass du bestimmt nicht noch mehr von meinem Blut auf deinen Böden haben willst.«
Der Chief stellt sich ans Fußende der Untersuchungsliege. »Wie rücksichtsvoll von dir, Grim. Ich weiß zu schätzen, dass du dich um den Stamm sorgst.«
Die Schwester steht auf, betrachtet ihre Arbeit und überprüft, ob der Verband richtig sitzt. Dann zieht sie die Handschuhe ab und wirft sie in eine rote Mülltonne mit dem Symbol für infektiöses Material. Sie grüßt den Chief, indem sie eine Hand auf ihr Herz legt, bevor sie sich wieder an mich wendet. »Wir sind hier fertig. Ich würde Ihnen ja ein Schmerzmittel anbieten, aber …«
»Nein, danke«, sage ich und winke ab. »Wirklich nicht.« Ich nehme meine Geldbörse und drücke ihr ein paar Hundertdollarscheine in die Hand.
»Nein, das brauchen Sie nicht«, sagt sie und will es mir zurückgeben.«
»Nehmen Sie es«, sagt Chief David zu ihr. »Und danke.«
Sie faltet die Scheine zusammen und schiebt sie in die Tasche ihres Schwesternkittels. »Halten Sie die Wunde sauber. Wechseln Sie den Verband alle sechs Stunden. Ihnen könnte vom Blutverlust ein bisschen schwindlig sein. Trinken Sie so bald wie möglich etwas Zuckriges.« Dann nickt sie mir kurz zu, legt mit Blick zum Chief erneut die Hand aufs Herz und verschwindet.
Ich setze mich auf und verziehe das Gesicht. Die Wunde brennt, aber er ist zu ertragen. Der Chief reicht mir meine Schuhe. Während ich mir die Schnürsenkel zubinde, informiere ich ihn über alles, was passiert ist, bis ich in seinem Krankenhaus gelandet bin.
»Ich schätze, dann ist jetzt wohl ein schlechter Zeitpunkt, um dir zu sagen, dass Alby in der Stadt gesehen wurde. Oder vielleicht doch nicht. Wie lief denn dein Treffen mit ihm? Hast du deinen Scheiß mit den Iren geregelt bekommen?«
Ich schüttele den Kopf. »Die sind gar nicht aufgetaucht.«
»Nichterscheinen ist bei den Iren so gut wie eine Kugel mit deinem Namen darauf«, sagt der Chief.
Ich werfe ihm einen harten Blick zu. »Das weiß ich. Wenn sie nicht zu dem Treffen erscheinen und mich die Sache erklären lassen, haben sie bereits ihre eigenen Schlüsse gezogen.« Ich greife nach meiner Jacke auf dem Beistelltisch. »Da ist noch was, das ich dir sagen muss. Marco. Ich bin mir sicher, er hält Emma Jean für ein Mitglied des Stamms. Genauer gesagt, für deine Tochter.«
»Was zum Teufel?« Der Chief tritt einen Schritt zurück, als hätte ich ihn geschubst.
»Denk doch nur mal kurz nach. Könnte Camilla das Baby vielleicht doch bekommen haben? Selbst wenn es weit hergeholt wirkt, wäre es irgendwie möglich?«
Der Chief denkt kurz nach und schließt die Augen. »Sie ist spurlos verschwunden. Ich nehme an, sie hätte das Kind bekommen und eine Zeitlang überleben können, doch ich kann mir nicht vorstellen, dass Fernando sie nicht irgendwann erwischt hat. Sie hätte mich irgendwie wissen lassen, dass sie noch lebt. Dessen bin ich mir so sicher, wie ich weiß, dass du hier vor mir stehst und mit mir sprichst.«
»Dann könnte Emma Jean tatsächlich deine Tochter sein. Wenn Camilla das Kind bekommen und sie irgendwo versteckt hat, bevor Fernando sie findet.«
»Es … wäre wohl nicht unmöglich«, sagt der Chief. »Willst du mir sagen, dass Marco sie wegen ihrer Stammesbezüge wollte?«
»Und um einen Fuß in der Tür zu haben, damit er das Geschäft von Bedlam hier übernehmen kann. Es würde erklären, warum er neben seiner Besessenheit von Tricks so auf seine Vendetta gegen uns beharrt.«
»Dafür müssten sie schon verheiratet sein«, lacht er, hört jedoch auf, als er meinen wütenden Gesichtsausdruck und meinen Kiefer bemerkt, der derart verkrampft ist, dass ich kurz davorstehe, mir meine eigenen Zähne zu brechen. Er wird wieder ernst. »Sie hat ihn doch nicht …«
Ich falle ihm ins Wort. »Nicht freiwillig, aber Marco hat Zeugen. Die Zeremonie wurde durchgeführt. Aber ich glaube nicht, dass es ihre Unterschrift auf die Lizenz geschafft hat, zumindest nicht ganz. Ich würde es Marco aber zutrauen, dass er sie fälscht, um sich die Stammesbezüge zu sichern.«
»Verdammt. Er muss ziemlich verzweifelt sein. Aber sie kann es doch bestimmt anfechten und sagen, dass sie die Ehe nicht aus freien Stücken eingegangen ist. Der Stamm mag Ehen als bindend ansehen, aber nur solche, die auch echt sind. Sein Plan würde nicht funktionieren.« Seine Stimme senkt sich zu einem Grummeln.
»Doch. Wenn sie nicht mehr lebt, um die Ehe anzufechten.« Die Worte verursachen mir Übelkeit.
»Nein, es gibt noch einen anderen Grund, warum es nicht funktionieren würde, aber das ist jetzt gerade nicht wichtig. Nehmen wir einfach mal an, es funktioniert. Wenn Marco Emma Jeans Anteile will, müsste er die Heiratsurkunde mit ihrem Bluttest einschicken. Wenn nicht und er legt sie einzeln vor oder später, wäre er nicht berechtigt, ihre Anteile zum Zeitpunkt ihres Todes zu erhalten.« Der Chief kratzt sich am Kinn. »Ich rufe im Büro an und bitte sie, alle neuen Beantragungen im Auge zu behalten. Wenn er was geschickt hat oder noch schickt, wissen wir, dass du mit deiner Theorie recht hast. Und vor allem hätten wir dann ihr Blut, um es mit meinem zu vergleichen. Aber gib mir vielleicht trotzdem was von ihr, nur für den Fall, damit wir keine Zeit verschwenden und ich mit Sicherheit herausfinden kann, ob dein Mädchen mein Fleisch und Blut ist.«
»Was brauchst du?«
»Haare. Eine Nagelfeile. Sogar ihre Zahnbürste würde funktionieren. Unser Labor hier im Reservat ist auf dem neuesten Stand der Technik. Der Stamm hat viel Geld dafür ausgegeben, um sicherzustellen, dass nicht noch viel mehr in den gierigen Händen von Außenstehenden landet. Wir sorgen dafür, dass diese Herkunftsbehauptungen auf Herz und Nieren geprüft werden.«
»Außenstehende wie ich?«, frage ich mit erhobener Augenbraue.
»Nein. Dich habe ich vor langer Zeit testen lassen. Ich hatte irgendwie gehofft, dass du Stammesblut in dir hast. Du bist für mich so was wie der Bastardsohn, den ich nie wollte.«
Ich lache. »Soll das ein Kompliment sein?«
Er zuckt mit den Schultern. »Wenn du willst.«
»Nur aus Neugier, wie oft sind die Testergebnisse von Antragstellern denn positiv?«, frage ich und richte meine Jeans. Da die Schwester sie aufgeschnitten hat, reibt der Stoff nicht mehr über meine Wunde.
»Viel seltener, als man denken würde. Rollo war der Letzte, und das ist schon ein paar Monate her.«
»Rollo?«, frage ich. »Einer von meinen Männern?«, frage ich und überlege, warum ich nichts davon weiß.
»Genau der«, sagt der Chief. »Er hat den Test gemacht, aber nie den Antrag eingereicht. Ich hab ihn mal gefragt, warum, aber er hat nur mit den Schultern gezuckt und ist weggegangen.«
Die Situation mit Rollo ist seltsam. Ich frage mich, warum er mir nie erzählt hat, dass er ein Stammesmitglied ist. Ich nehme mir vor, ihn später danach zu fragen, aber jetzt muss ich mich erst um anderen Bullshit kümmern.
»Komm mit mir zum Bordell. Dort kann ich dir was von ihr geben, das du testen kannst«, sage ich.
»Und dann?«, fragt der Chief, während wir uns in Bewegung setzen.
»Dann muss ich zu Lemming und versuchen, Emma Jean freizubekommen.«
»Wie lautet denn die Anklage?«
»Keine Ahnung, in dem Moment begannen Kugeln zu fliegen, also konnte ich ihn nicht verstehen. Aber egal, was es ist, es spielt keine Rolle. Ich muss sie da rausbekommen. Wenn sie im County landet, kann Marco sie kaltstellen lassen. Sie ist dort nicht sicher.«
Der Chief runzelte die Stirn. »Nicht so schnell, Sohn. Du jonglierst gerade ziemlich viele Kugeln in deinen tätowierten Händen. Sobald du das Reservat verlässt, wird dich das Sonderkommando einkassieren, wenn dich Marco oder Callum nicht zuerst erwischen. Ich weiß nicht, ob du es gehört hast, aber in den vergangenen vierundzwanzig Stunden wurde überall in Lacking Blut vergossen. Margaret weicht Kugeln, die von allen Seiten kommen, aus. Der Krieg hat begonnen, und du, mein Freund, steckst genau mittendrin. Du brauchst einen Plan, und zwar einen guten, bevor du dich in den Wilden Westen wagst, zu dem unsere Straßen geworden sind.«
Ich überlege und massiere meine Schläfen. »Was ich brauche, ist ein guter Grund, warum niemand nach mir suchen wird, zumindest nicht für eine Weile.«
Der Chief grinst und klopft mir auf die Schulter. Seine Augen leuchten auf.
»Was?«, frage ich.
»Es gibt in unserem Stamm eine Redewendung.« Er führt mich zum Hinterausgang des Krankenhauses und begleitet mich, während ich über das Feld auf die Sicherheitsgebäude zu humpele, in denen sich der War Room von Bedlam befindet. Er stoppt, als wir das Gebäude erreichen, dreht sich zu mir um und entfacht den Funken einer Idee in meinem Kopf, der zu einem Großbrand wird.
»Die Lebenden suchen nicht nach den Toten.«
TROPF. TROPF. TROPF. TROPF. TROPF.
Der tropfende Wasserhahn im Badezimmer ist das einzige Geräusch in dem sonst stillen Raum. Ich dachte, Lemming würde mich zur Polizeistation bringen, doch zu meiner Überraschung befinde ich mich jetzt im Schlafzimmer eines Privathauses. Das Sonderkommando steht an der Tür und vor dem Fenster Wache.
Ich laufe im Zimmer auf und ab und mache mir Sorgen um Grim und Gabby. Als das Herumlaufen nicht hilft, beschäftige ich mich damit, meine Umgebung zu erforschen.