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Belinda E-Book

Maria Edgeworth

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Beschreibung

Das mitreißende Psychogramm einer jungen Frau Die junge Landadlige Belinda Portman soll im Jahre 1800 in die feine Gesellschaft Londons eingeführt werden, um eine gute Partie zu machen. Doch bald merkt sie, dass ihre Gastgeberin Lady Delacour, eine vergnügungssüchtige und kapriziöse Dame, keine geeignete Mentorin ist. Sie muss also lernen, sich im turbulenten Gesellschaftsleben selbst zurechtzufinden. Dabei verliebt sie sich in Clarence Hervey, einen Freund Lady Delacours, der jedoch anderweitig versprochen ist ... Mit Belinda, dem mitreißenden Psychogramm einer jungen Frau, sorgte Maria Edgeworth für einen Skandal, denn sie war ihrer Zeit voraus und brach mit so mancher Konvention: Eine Weiße heiratet einen Schwarzen und zwei Frauen duellieren sich in Männerkleidung … In Gerlinde Völkers virtuoser Neuübersetzung lässt sich der literarisch-satirische Gesellschaftsroman ganz unzensiert entdecken. – Mit einer kompakten Biographie der Autorin. »Ich weiß nun mit Sicherheit, dass mir keine Romane gefallen außer Miss Edgeworths und meinen eigenen.« Jane Austen

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Seitenzahl: 998

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Maria Edgeworth

Belinda

Aus dem Englischen übersetzt von Gerlinde VölkerMit einem Nachwort von Katrin Berndt

Reclam

Englischer Originaltitel: Belinda

 

RECLAM TASCHENBUCH Nr. 961997

2022, 2024 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH

Coverabbildungen: London, England. St James’s Palace, Westminster Hall and Pall Mall in 1660. From Memoirs of the Martyr King by Allan Fea, published 1905. – Classic Image / Alamy Stock Photo. Fashion Plate, »Abendkleider und Wanderkleider im August 1807« für »La Belle Assemblée«. John Bell (England, 1745–1831). England, London, 1. September 1807. Drucke; Gravuren. Handkolorierte Gravur auf Papier. – LMA / AW / Alamy Stock Foto.

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2022

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962283-5

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-011375-2

www.reclam.de

Inhalt

Belinda

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Band I

Kapitel I: Charaktere

Kapitel II: Masken

Kapitel III: Lady Delacours Geschichte

Kapitel IV: Lady Delacours Geschichte – Fortsetzung

Kapitel V: Geburtstagskleider

Kapitel VI: Mittel und Wege

Kapitel VII: Die Serpentine im Hyde Park

Kapitel VIII: Eine Familie

Kapitel IX: Ratschläge

Kapitel X: Das mysteriöse Boudoir

Kapitel XI: Schwierigkeiten

Kapitel XII: Der Ara

Band II

Kapitel XIII: Sortes Virgilianae

Kapitel XIV: Die Ausstellung

Kapitel XV: Eifersucht

Kapitel XVI: Häusliches Glück

Kapitel XVII: Die Rechte der Frau

Kapitel XVIII: Eine Erklärung

Kapitel XIX: Eine Hochzeit

Kapitel XX: Versöhnung

Kapitel XXI: Helena

Kapitel XXII: Ein Gespenst

Kapitel XXIII: Der Kaplan

Band III

Kapitel XXIV: Peu à peu

Kapitel XXV: Liebe mich, liebe meinen Hund

Kapitel XXVI: Virginia

Kapitel XXVII: Eine Entdeckung

Kapitel XXVIII: Roulette

Kapitel XXIX: Ein Jude

Kapitel XXX: Neuigkeiten

Kapitel XXXI: Das Finale

Zu dieser Ausgabe

Nachwort

Zeittafel

Belinda

Eine Klugheit, nie betrügend, nie betrogen,

Die nicht zu wenig, nicht zu viel erwogen,

Verschmäht den Argwohn, feig und ungerecht,

Und ohne Schwäche bleibt sie wahr und echt.

 

LORD LYTTELTON, »Monody on his Wife«1

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Jeder Autor hat das Recht, sein Werk so zu bezeichnen, wie er es für passend hält. Die Öffentlichkeit hat ebenso das Recht, die Klassifikation, die man ihr an die Hand gibt, zu akzeptieren oder abzulehnen.

Das folgende Werk wird der Öffentlichkeit als eine moralische Erzählung2 präsentiert – die Autorin möchte nämlich nicht, dass man sie als Roman ansieht. Wären nun alle Romane wie die von Madame de Crousaz, Mrs Inchbald, Miss Burney oder Dr. Moore,3 so würde sie die Bezeichnung mit größtem Vergnügen übernehmen. Aber so viel Dummheit, so viele Irrtümer und so viel Lasterhaftes werden mit Büchern dieses Namens unter die Menschen gebracht, dass man nur hoffen kann, der Wunsch, einen anderen Titel zu finden, möge Gefühlen zugeschrieben werden, die löblich und nicht kleingeistig sind.

 

20. April 1801.

Band I

Kapitel I Charaktere

Mrs Stanhope, einer Frau von Stand und mit besonders guten Kenntnissen in dem Wissensbereich, den man die Kunst des Aufstiegs in der Welt nennen könnte, war es gelungen, sich mit einem recht kleinen Vermögen in den ersten Kreisen der Gesellschaft zu etablieren. Sie war überaus stolz darauf, ein halbes Dutzend Nichten in besonders glückliche Positionen gebracht zu haben, das heißt, sie mit Männern verheiratet zu haben, deren Vermögen weit über dem lag, was den jungen Damen zur Verfügung stand. Eine ihrer Nichten war allerdings noch unverheiratet – Belinda Portman –, und Mrs Stanhope war fest entschlossen, auch diese so schnell wie nur möglich an den Mann zu bringen. Belinda war gutaussehend, elegant, munter und überaus wohlerzogen, und ihre Tante hatte sich immer bemüht, ihr beizubringen, dass es der Hauptehrgeiz einer jungen Dame sein sollte, in der Gesellschaft zu gefallen, und dass sie alle ihre Reize und Fähigkeiten einem großen Ziel allein unterzuordnen habe, nämlich dem, eine Position in der ersten Gesellschaft zu erlangen.

»Dazu geschult ward Hand und Aug’ und Mund

So wird Erziehung wirklich rund.«4

Mrs Stanhope fand in Belinda keine so brave Schülerin wie in ihren anderen Nichten, denn diese war hauptsächlich auf dem Lande erzogen worden; sie hatte schon früh im Leben Geschmack an häuslichen Freuden gefunden; sie las sehr gerne und ließ sich eher von Prinzipien wie Klugheit und Integrität leiten. Immerhin bestand durchaus die Möglichkeit, ihren Charakter durch äußere Umstände noch weiterzuentwickeln.

Mrs Stanhope lebte in Bath, wo sich genügend Gelegenheiten ergaben, ihre Nichte vorzuführen, und zwar, wie sie fand, durchaus zu deren Vorteil, aber als ihre Gesundheit nachzulassen begann, konnte sie nicht mehr so oft mit ihr ausgehen, wie sie es gewünscht hätte. Nach einigen Manövern, die ihre sonstige Kunst noch übertrafen, gelang es ihr, Belinda für die laufende Saison in die Obhut der in der gehobenen Gesellschaft so berühmten Lady Delacour zu geben. Ihre Ladyschaft war so angetan von Miss Portmans Talent und ihrer natürlichen Lebhaftigkeit, dass sie sie einlud, den Winter mit ihr in London zu verbringen. Kurz nach ihrer Ankunft in der Hauptstadt erhielt Belinda folgenden Brief von ihrer Tante Mrs Stanhope.

Crescent, Bath

Nachdem sie jeden Ort durchsucht hatte, der mir einfiel, hat Anne dein Armband in deinem Frisiertisch gefunden, zwischen einem Berg merkwürdiger Dinge, die du zum Wegwerfen dagelassen hattest: Ich habe es dir über einen jungen Gentleman zugesandt, der (unglücklicherweise) genau an dem Tag in Bath ankam, als du weggefahren bist, Mr Clarence Hervey, ein Bekannter und großer Bewunderer von Lady Delacour. Er ist wirklich ein ungewöhnlich angenehmer junger Mann, hat gute Verbindungen und ein beträchtliches eigenes Vermögen. Darüber hinaus ist er sehr geistreich und galant, ein wahrer Kenner weiblicher Eleganz und Schönheit – genau der Mann, der ein neues Gesicht in Mode bringen könnte: Also, meine liebe Belinda, ich betone es – sorge dafür, dass du dich vorteilhaft präsentierst, wenn er dir vorgestellt wird, und denke daran, dass niemand – wie ich es dir so oft gesagt habe – einen guten Eindruck machen kann, wenn er sich nicht bemüht zu gefallen.

 Ich sehe – oder habe zumindest, als meine Gesundheit es mir noch erlaubte, öfter auszugehen, gesehen, wie eine Unmenge dummer Mädchen, die doch anscheinend alle ganz ähnliche Startchancen hatten, Tag für Tag und Jahr für Jahr öffentliche Orte besuchten und dabei an nichts weiter dachten, als sich zu amüsieren und flüchtige Bewunderung einzuheimsen. Wie habe ich diese frivolen Geschöpfe bemitleidet und verachtet, während ich beobachtete, wie sie ihr lächerliches Theater aufführten, miteinander in der offensichtlichsten und damit lächerlichsten Weise wetteiferten und sich so genau vor den Männern zum Narren gemacht haben, die sie doch umgarnen wollten: schwatzend, kichernd und flirtend; nur an den Moment denkend und nie an die Zukunft; gänzlich damit zufrieden, einen Partner für den Ball gefunden zu haben, ohne an einen Partner fürs Leben zu denken! Ich habe mich oft gefragt, was aus solchen Mädchen werden soll, wenn sie einmal alt werden oder hässlich oder wenn das Auge der Öffentlichkeit sich an ihnen sattgesehen hat? Wenn sie ein großes Vermögen haben, ist ja alles schön und gut. Dann können sie sich natürlich eine Saison oder zwei unbesorgt dem Vergnügen hingeben. Denn sicherlich werden dann nicht nur unseriöse Galane ihre Bekanntschaft suchen und ihnen nachlaufen, sondern auch Männer mit angemessener Einstellung und den richtigen Absichten. Nichts jedoch kann meiner Meinung nach erbärmlicher sein, als wenn ein armes Mädchen, das nicht nur die Zinsen, sondern auch das Grundkapital seines kleinen Vermögens in Kleidung und frivole Extravaganz investiert hat, dann in seinen Heiratserwartungen enttäuscht wird (was bei vielen geschieht, weil sie einfach nicht rechtzeitig mit ihren Spekulationen beginnen). Am Ende steht sie mit fünf- oder sechsunddreißig Jahren da und fällt ihren Freunden zur Last, mittellos, ohne jede Möglichkeit, sich unabhängig zu machen (denn die Mädchen, von denen ich rede, denken nie daran, Kartenspiele zu erlernen), de trop5 in den ersten Kreisen und doch darauf angewiesen, sich an ihre Bekannten zu halten, die das Mädchen ins Jenseits wünschen, weil es nicht in der Lage ist, gesellschaftliche Höflichkeiten so zu erwidern, wie es sich gehört, da es kein Zuhause hat, ich meine: kein Etablissement, kein Haus und nichts dergleichen, was für den Empfang einer Gesellschaft von Rang geeignet wäre. – Meine liebe Belinda, möge das niemals für dich zutreffen! – Du hast jeden nur denkbaren Vorteil, mein liebes Kind: An deiner Erziehung wurde in nichts gespart und (hier kommen wir zu dem wesentlichen Punkt) ich habe Sorge dafür getragen, dass dies bekannt wurde – so dass dir auch der Ruf vorauseilt, vortrefflich erzogen worden zu sein. Du wirst auch den Ruf genießen, der neuesten Mode zu entsprechen, wenn du dich oft in der Öffentlichkeit sehen lässt, was du ja mit Lady Delacour wohl tun wirst. Dein eigener gesunder Menschenverstand muss dir vor Augen führen, meine Liebe, dass es angesichts der Position ihrer Ladyschaft und ihrer Kenntnis der Welt immer richtig sein wird, wenn sie, ganz gleich zu welchem Gesprächsthema, eine Richtung vorgibt und du ihr folgst. Es wäre sehr unpassend, wenn ein junges Mädchen wie du sich erlaubte, in irgendeine Art von Wettbewerb mit Lady Delacour zu treten, deren hoher Anspruch an Geist und Schönheit unbestreitbar ist. Ich brauche dir zu diesem Thema nichts weiter zu sagen, meine Liebe. Sogar mit deiner kärglichen Erfahrung musst du beobachtet haben, wie dumme junge Leute gerade diejenigen verletzen, die für ihr Weiterkommen besonders wichtig sind, indem sie sich unvorsichtigerweise von der eigenen Eitelkeit leiten lassen.

 Lady Delacour hat einen unvergleichlichen Geschmack, was Kleidung angeht: Frage sie um Rat, meine Liebe, und lass dich nicht durch unkluge Sparsamkeit dazu verleiten, meinen Rat zu missachten – apropos, ich habe nichts dagegen, dass du bei Hofe vorgestellt wirst. Du bekommst natürlich Kredit bei allen Geschäftsleuten, bei denen Ihre Ladyschaft kauft, wenn du es richtig anstellst. Zu wissen, wie und wann man sein Geld einsetzt, ist überaus löblich, denn in einigen Situationen schließen die Menschen auf das, was man sich leisten kann, von dem, was man tatsächlich ausgibt. – Ich wüsste nicht, dass irgendein Gesetz eine junge Dame dazu verpflichtet, zu verraten, wie alt sie ist oder wie groß ihr Vermögen ist. Aber du hast ja in beiden Punkten noch keinen Grund zur Sorge.

 Ich habe meinen alten Teppich mit einem hübschen grünen Friesstoff abgedeckt und stelle fest, dass jeder Fremde, der mich besucht, selbstverständlich glaubt, dass ich einen kostbaren Teppich darunter habe. Sage von meiner Seite Lady Delacour alles, was sich schickt, und bitte in liebenswürdigster Manier.

 

Adieu, meine liebe Belinda,

Deine sehr ergebene

SELINA STANHOPE

Es ist manchmal ein Glücksfall, dass die Mittel, die man einsetzt, um bestimmte Verändungen im Denken anderer Menschen zu erreichen, genau den gegenteiligen Effekt haben. Mrs Stanhopes ständige Sorge wegen des Aussehens ihrer Nichte, wegen ihres Verhaltens und ihrer Stellung in der Gesellschaft hatten Belindas Geduld vollkommen erschöpft. Sie war unempfänglicher für ein Lob ihrer persönlichen Reize und Fähigkeiten geworden, als es junge Frauen ihres Alters normalerweise sind, gerade weil ihr von ihrer Tante, die so gerne junge Leute verkuppelte, so oft geschmeichelt worden war und sie so oft von ihr präsentiert worden war, wie man das nennt. Und doch liebte Belinda gesellschaftliche Vergnügungen und hatte einige Vorurteile von Mrs Stanhope in Bezug auf Rang und Mode übernommen. Ihre Freude an der Literatur nahm ab, je mehr sie sich in der eleganten Gesellschaft bewegte, da sie in diesen Kreisen überhaupt keine Verwendung für das Wissen fand, das sie sich angeeignet hatte. Man hatte sie nie dazu angeleitet, ihren Geist im Denken zu üben; sie war alles in allem eher eine Marionette in den Händen anderer gewesen. Ihrer Tante hatte sie bisher aus reiner Gewohnheit uneingeschränkten und blinden Gehorsam entgegengebracht. Aber sie war weniger intrigant und zeigte weniger affektiertes und kokettes Verhalten, als man nach der Ausbildung hätte erwarten können, die ihre Tante ihr hatte angedeihen lassen. Sie war begeistert von der Idee, Lady Delacour besuchen zu dürfen, die sie sehr angenehm fand – nein, das war ein zu schwacher Ausdruck –, die sie für die faszinierendste Person hielt, die ihr je begegnet war. Das war die Ansicht, die nicht nur Belinda, sondern die ganze Welt von Lady Delacour hatte – das heißt, die Welt der feinen Gesellschaft, und eine andere kannte sie nicht. – Die Zeitungen waren voll von Lady Delacours Partys und Lady Delacours Kleidern und Lady Delacours Bonmots. Was auch immer ihre Ladyschaft sagte, wurde als sehr geistreich wiederholt, was auch immer sie trug, wurde als Gipfel des Modischen imitiert. Der Geist einer Frau hängt ja manchmal von der Schönheit seiner Besitzerin ab, und die Herrschaft der Schönheit ist von sprichwörtlich kurzer Dauer; auch die Mode lässt ihre Lieblinge manchmal ganz kapriziös im Stich, noch bevor die Natur die Reize ihrer Schönheit verblühen lässt. Lady Delacour schien die glückliche Ausnahme von diesen allgemeinen Regeln zu sein: Obwohl sie längst die Blüte ihrer Jugend überschritten hatte, wurde sie noch als bel esprit6 bewundert, und obwohl sie längst keine Neuigkeit für die feine Gesellschaft mehr darstellte, machten ihr noch alle, die als lebensfroh, geistreich und galant galten, ihre Aufwartung. In der Öffentlichkeit mit Lady Delacour gesehen zu werden, ein Gast in ihrem Hause zu sein, waren Privilegien, nach denen viele mit großem Ehrgeiz strebten, und Belinda Portman wurde beglückwünscht und beneidet von all ihren Bekannten, weil sie in ihr Haus eingeladen worden war. Wie sollte sie sich also nicht für überaus glücklich halten?

Kurze Zeit nach ihrer Ankunft bei Lady Delacour begann Belinda jedoch durch den dünnen Schleier zu blicken, mit dem gute Manieren häusliches Elend bedecken. – In Gesellschaft und daheim war Lady Delacour zwei ganz verschiedene Personen. In Gesellschaft schien sie ganz Leben, Geist und gute Laune zu sein – daheim war sie lustlos, verdrießlich und melancholisch. Sie war wie eine verwöhnte Schauspielerin, die die Bühne verlassen hatte, überreizt vom Applaus und erschöpft von den Mühen, eine fiktive Figur darzustellen. – Wenn ihr Haus mit gutgekleideten Menschen gefüllt war, mit dem Glanz der vielen Lichter und dem Klang von Musik und Tanz, wandelte sich auch Lady Delacours Charakter, und sie spielte die Rolle der Gastgeberin, war die Seele und der Mittelpunkt von Vergnügen und Frohsinn. Aber in dem Moment, in dem die Gesellschaft nach Hause ging, die Musik verstummte und die Lichter gelöscht wurden, verflog der Zauber.

Sie ging manchmal in dem leeren, prachtvollen Salon auf und ab, in Gedanken versunken, die anscheinend überaus schmerzlicher Natur waren.

In den ersten Tagen nach ihrer Ankunft in der Hauptstadt hörte Belinda nichts von Lord Delacour, seine Frau sprach nie von ihm außer einmal, rein zufällig, als sie Miss Portman das Haus zeigte und sagte: »Öffnen Sie die Tür nicht – das sind nur Lord Delacours Räumlichkeiten.« – Das erste Mal, als Belinda Seine Lordschaft sah, lag er sturzbetrunken in den Armen zweier Lakaien, die ihn die Treppe hinauf in sein Schlafzimmer trugen. Seine Gattin, die soeben aus den Ranelagh Gardens zurückgekehrt war, ging auf dem Treppenabsatz mit dem Ausdruck herrschaftlicher Verachtung an ihm vorbei.

»Was ist denn das? – Wer ist das?«, sagte Belinda.

»Nur der Körper von Lord Delacour«, sagte ihre Ladyschaft, »man hat ihn im falschen Treppenhaus hochgetragen. Nehmen Sie ihn wieder mit nach unten, meine guten Freunde, lassen Sie seine Lordschaft seinen eigenen Weg gehen. Schauen Sie nicht so entsetzt und erstaunt drein, Belinda – das wirkt so kindlich, so unbedarft, Mädchen. Dass der Intellekt meines Gatten so zu Grabe getragen wird, ist für mich eine nächtliche, oder«, fügte ihre Ladyschaft hinzu, schaute auf ihre Uhr und gähnte, »ich fürchte, ich sollte sagen, tägliche Zeremonie – sechs Uhr, also wirklich!«

Am nächsten Morgen, als ihre Ladyschaft und Miss Portman nach einem sehr späten Frühstück noch am Tisch saßen, betrat Lord Delacour den Raum.

»Lord Delacour im nüchternen Zustand, meine Liebe«, sagte ihre Ladyschaft an Miss Portman gewandt, um ihn ihr vorzustellen. Da sie das Vorurteil ihrer Ladyschaft übernommen hatte, dachte Belinda, Lord Delacour wäre wohl auch nüchtern nicht angenehmer oder vernünftiger als Lord Delacour im betrunkenen Zustand. Seine verhärmten und doch aufgedunsenen Gesichtszüge drückten mürrische Unzufriedenheit und tief verwurzelte Verbohrtheit aus. »Für wie alt halten Sie den Lord?«, flüsterte ihre Ladyschaft, als sie sah, wie Belindas Augen die zitternde Hand verfolgten, mit der er seine Teetasse zu den Lippen führte. »Ich biete Ihnen eine Wette an«, fuhr sie laut fort, »ich wette um ein Kleid für den Geburtstagsball des Königs, samt Goldfransen und Lorbeerkränzen, dass Sie nicht richtig raten.«

»Ich hoffe, Sie glauben nicht, dass Sie zu diesem Ball gehen können, Lady Delacour?«, sagte seine Lordschaft.

»Sie dürfen sechsmal raten und ich wette, Sie schaffen es nicht, auf sechzehn Jahre an das richtige Datum heranzukommen«, fuhr ihre Ladyschaft fort und sah dabei immer noch Belinda an.

»Sie können den neuen Wagen, den Sie bestellt haben, nicht bekommen«, sagte seine Lordschaft. »Wollen Sie mir wohl die Ehre erweisen, mir zuzuhören, Lady Delacour?«

»Dann wollen Sie also nicht versuchen zu raten, Belinda«, sagte ihre Ladyschaft (ohne auch nur im mindesten auf ihren Gatten einzugehen). – »Nun, wahrscheinlich haben Sie recht – denn mit Sicherheit hätten Sie gedacht, er sei sechsundsechzig, statt sechsunddreißig, aber er kann mehr trinken als jedes zweibeinige Tier im Reich seiner Majestät, und Sie wissen, dass das einen Vorteil von zwanzig oder dreißig Jahren im Leben eines Mannes ausmacht – besonders für Leute, die sonst keine Möglichkeit haben, sich in irgendetwas hervorzutun.«

»Wenn manche Leute sich ein klein bisschen weniger in der Welt hervorgetan hätten«, erwiderte seine Lordschaft, »wäre das auch ganz gut gewesen!«

»Ganz gut! – Wie platt!«

»Platterweise muss ich Sie also darüber informieren, Lady Delacour, dass ich es weder dulde, dass man mir widerspricht noch dass ich verlacht werde – Sie verstehen mich hoffentlich, es wäre ganz gut, wenn Sie, Lady Delacour, platt oder nicht platt, sich mehr um Ihr eigenes Verhalten kümmern würden als um andere!«

»Als das von anderen – meint seine Lordschaft, wenn er überhaupt irgendetwas meint. Apropos, Belinda, sagten Sie nicht, dass Clarence Hervey in die Stadt kommt? – Sie haben ihn noch nie gesehen? – Nun, dann werde ich ihn Ihnen einmal mit lauter Negativa beschreiben. Er ist nicht der Mann, der jemals irgendetwas Plattes von sich gibt – Er ist kein Mann, der mit einem halben Dutzend Flaschen Champagner geölt werden muss, bevor er sich in Gang setzt. Er ist kein Mann, der, wenn er einmal geht, falsch geht und sich nicht korrigieren lassen will – er ist kein Mann, dessen gesamte Bedeutung im Leben, wenn er verheiratet wäre, von seiner Frau abhinge. Er ist kein Mann, der, wenn er verheiratet wäre, solche Angst hätte, von seiner Frau beherrscht zu werden, dass er zum Spieler, Jockey oder Trinker würde, einzig und allein um zu beweisen, dass er sich selbst beherrscht.«

»Nur weiter so, Lady Delacour«, sagte seine Lordschaft, der während der ganzen Dauer dieser Rede, einer Rede, die mit dem lebhaftesten Bedürfnis zu provozieren vorgetragen wurde, ohne Erfolg versucht hatte, einen Löffel auf dem Rand seiner Teetasse zu balancieren – »Nur weiter so, Lady Delacour – alles, was ich will, ist, dass Sie weitermachen – Clarence Hervey wird es Ihnen danken und ich natürlich auch – weiter so, Lady Delacour, weiter so, Sie tun mir den größten Gefallen.«

»Ich werde Ihnen niemals einen Gefallen tun, mein Herr, darauf können Sie sich verlassen«, rief ihre Ladyschaft voller Verachtung.

Seine Lordschaft pfiff, klingelte, damit man seine Pferde anschirren ließ, und betrachtete seine Fingernägel mit einem Lächeln. Belinda erhob sich und wollte schockiert und verwirrt den Raum verlassen, da sie fürchtete, dass sich dieser grobe Dialog zwischen den Eheleuten noch weiterentwickeln könnte.

»Mr Hervey, Milady«, sagte ein Lakai und öffnete die Tür, und kaum war der Gast angekündigt, da kam ihm ihre Ladyschaft auch schon mit einem Ausdruck ungezwungener Vertrautheit entgegen – »Wo haben Sie sich nur all die Zeit vergraben, Hervey?«, rief sie und begrüßte ihn mit Handschlag. »Es ist ganz und gar unmöglich, in dieser dümmsten aller Welten ohne Sie zu leben, Mr Hervey – Miss Portman – aber schauen Sie nicht drein, als seien Sie noch halb im Schlaf, mein Guter – Was war Ihr Traum, Clarence? – Warum sieht Euer Gnaden heute so sorgenschwer aus?«

»Oh, ich habe eine erbärmliche Nacht hinter mir«, erwiderte Clarence, indem er sich in Schauspielerpose warf und wie auf einer großen Bühne mit erhobener Stimme deklamierte.

»Was war das für ein Traum, Milord? Ich bitte Euch, sagt es mir«,

sagte ihre Ladyschaft in ähnlichem Ton. Clarence fuhr fort:

»Gott! Gott! Wie schmerzvolll es mir schien zu tanzen;

was für ein schrecklicher Lärm der Geigen in den Ohren!

Wie scheußlich doch die belles vor meinen Augen!

 Dann kam ein Schatten

wie ein Engel vorbeigewandert, mit rotem Haar,

besetzt mit Blumen, und sie kreischte laut:

›Clarence ist gekommen, der falsche, wankelmütige, meineidige Clarence‹!«7

»Oh, Mrs Luttridge, wie sie leibt und lebt!«, rief Lady Delacour. »Ich weiß jetzt, wo Sie waren, und Sie haben mein vollstes Mitgefühl. – Aber setzen Sie sich doch«, sagte sie und machte für ihn auf dem Sofa Platz zwischen sich und Belinda – »Setzen Sie sich und erzählen Sie mir, was Sie zu dieser grässlichen Mrs Luttridge gebracht haben kann.«

Mr Hervey warf sich auf das Sofa, Lord Delacour pfiff weiter vor sich hin und verließ den Raum, ohne eine Silbe gesagt zu haben.

»Aber mein Traum hat mich dazu verleitet, mich ganz merkwürdig selbst zu vergessen«, sagte Mr Hervey, wandte sich an Belinda und zog ihr Armband hervor. »Mrs Stanhope versprach mir, dass man mich, wenn ich es sicher ablieferte, mit der Ehre belohnen würde, es dem zarten Arm seiner Besitzerin anlegen zu dürfen.« Die Konversation wandte sich nun den Versprechen von Damen zu – modischen Armbändern – dem Armumfang der Venus der Medici – dem von Lady Delacour und Miss Portman – den dicken Beinen antiker Statuen – und den verschiedenen Schwächen und Absurditäten von Mrs Luttridge samt ihrer Perücke. – Zu allen diesen Themen konnte sich Mr Hervey mit viel Witz, Galanterie oder beißender Ironie äußern, so dass Belinda, als er sich verabschiedete, absolut der Meinung ihrer Tante zustimmte, dass er ein ungewöhnlich angenehmer junger Mann sei.

Clarence Hervey hätte sogar mehr als ein angenehmer junger Mann sein können, wenn ihn nicht ständig das Bedürfnis getrieben hätte, in jeder Hinsicht allen überlegen und die am meisten bewunderte Person in jeder Gesellschaft zu sein. Ihm war schon in jungen Jahren mit der Idee geschmeichelt worden, dass er ein Mann von Genie sei, und er bildete sich ein, dass er als solcher das Recht hätte, unvorsichtig, wild und exzentrisch zu sein. Er trug eine gewisse Eigentümlichkeit zur Schau, um seinen Anspruch auf Genialität zu behaupten. Er hatte beträchtliche literarische Talente, mit denen er sich in Oxford hervortat, aber er befürchtete so sehr, als Pedant angesehen zu werden, dass er, wenn er in Gesellschaft fauler und unwissender Menschen war, vorgab, jede Art von Wissen zu verachten. Sein chamäleonartiger Charakter schien je nach Art des Lichts zu schillern und passte sich den unterschiedlichen Situationen an, in denen er sich befand. Er konnte jedem Mann alles sein – und jeder Frau. – Er galt als Liebling des schönen Geschlechts, und von all seinen Vorzügen und Mängeln legte er auf keinen so viel Wert wie auf seine Galanterie. Er war nicht lasterhaft, er hatte einen starken Sinn für Ehre und lebhaftes Mitgefühl mit anderen, aber er war ungeheuer leicht zu beeinflussen oder besser ungeheuer leicht von seinen Freunden auf dumme Ideen zu bringen, und seine Freunde waren momentan leider von der Art, dass er wahrscheinlich bald boshaft werden würde. Was seine Verbindung mit Lady Delacour anging, so hätte ihn der Gedanke, den Frieden einer Familie zu stören, mit Entsetzen erfüllt, aber in ihrer Familie, sagte er sich, gab es nun einmal keinen Frieden, der hätte gestört werden können. Er war eitel genug, um die Welt gerne sehen zu lassen, dass er von einer Dame ihres Geistes und ihrer Eleganz bevorzugt wurde, und er hielt es nicht für seine Aufgabe, genauer hinzusehen und wachsamer im Hinblick auf den äußeren Anschein zu sein als ihre Ladyschaft. Lord Delacours Eifersucht irritierte ihn manchmal, manchmal fand er sie amüsant und manchmal war er sogar geschmeichelt. Er war ständig in Gesellschaft der Lady, seien die Anlässe öffentlich oder privat, daher sah er Belinda beinahe jeden Tag; und jeden Tag wuchs dabei seine Bewunderung ihrer Schönheit, aber auch seine Sorge, er möchte darauf hereinfallen, die Nichte der »alten Kupplerin« zu heiraten – unter diesem Namen war Mrs Stanhope bei den Männern in seinem Freundeskreis bekannt. Junge Damen, die das Pech haben, von diesen gewieften Matronen »angeleitet« zu werden, stehen immer in dem Ruf, Teilhaberin des Geschäfts zu sein, auch wenn ihr Name in der Firma gar nicht auftaucht. Wenn er sich durch das Vorurteil, das der Charakter der Tante in ihm weckte, nicht hätte leiten lassen, hätte Mr Hervey Belinda für ein Mädchen gehalten, das weder berechnend noch affektiert war. Aber so wie die Dinge lagen, glaubte er in jedem Wort, jedem Blick und jeder Bewegung eine List zu erkennen; und gerade, wenn er absolut entzückt war von ihrer bezaubernden Art, war er gleichzeitig geneigt, sie für das zu verachten, was er für verfrühtes Geschick in der Wissenschaft der Koketterie hielt. Sein Wille war nicht stark genug, sich von der Sphäre ihrer Anziehungskraft fernzuhalten, aber häufig, wenn er sich in dieser Sphäre wiederfand, verfluchte er seine Dummheit und zog sich mit plötzlichem Schrecken zurück. Sein Verhalten ihr gegenüber war so wechselhaft und widersprüchlich, dass sie nicht wusste, wie sie seine Sprache interpretieren sollte. Manchmal kam es ihr so vor, dass er mit all der Beredsamkeit seiner Augen sagen wollte, »Ich bete Sie an, Belinda«, dann wieder deutete sie sein reserviertes Schweigen als Warnung, er sei so in seiner Beziehung zu Lady Delacour verstrickt, dass er sich aus diesen Fallstricken einfach nicht befreien könne. Immer wenn dieser Gedanke ihr kam, rief er in ihr eine – höchst erbauliche – Entrüstung gegen Koketterie im Allgemeinen und gegen ihre Ladyschaft im Besonderen hervor; und Belinda sah nun überaus klar, wie viel Unschicklichkeit im Verhalten der Lady zu beklagen war. Belinda war in ihrem neu erworbenen moralischen Bewusstsein so erschüttert, dass sie tatsächlich eine vollständige Beschreibung ihrer Beobachtungen und ihrer Skrupel an ihre Tante Mrs Stanhope sandte, die mit der Bitte endete, dass sie nicht weiter unter dem Schutz einer Dame stehen mochte, deren Charakter sie nicht billigen konnte und deren Nähe vielleicht ihrem Ruf schaden könnte, wenn nicht gar ihren Prinzipien.

Mrs Stanhope antwortete auf Belindas Brief in einem sehr vorsichtigen Ton; sie tadelte ihre Nichte streng dafür, dass sie so unvorsichtig gewesen war, auf eine solche Art Namen zu nennen, zumal in einem Brief, der mit der allgemeinen Post versandt worden war; sie versicherte ihr, dass Belindas Reputation keinesfalls in Gefahr sei; dass sie hoffe, keine ihrer Nichten möchte für prüde gelten, was Männern von Welt ja sogar noch verdächtiger sein müsse als kokettes Verhalten; dass die Person, auf die sie sich bezogen habe, absolut geeignet sei, als Anstandsdame zu fungieren, und dass man sich mit ihr problemlos in Gesellschaft zeigen könne, solange sie von den ersten Kreisen der Stadt besucht würde; dass Belinda absolutes Schweigen bewahren solle in Bezug auf so gefährliche Themen wie das private Verhalten dieser Person und die privaten brouilleries8 zwischen ihr und ihrem Gatten, sowohl in ihren Briefen als auch in ihrer Konversation, denn solange die Dame unter dem Schutz ihres Gatten stand, mochte die Welt ruhig tuscheln, aber würde sich nicht laut äußern, und was Belindas eigene Prinzipien angehe, sei es ja wohl absolut unentschuldbar, wenn nach der Erziehung, die sie genossen habe, diese durch irgendein schlechtes Vorbild verletzt werden könnten; dass sie im Umgang mit einem Mann von —s Charakter gar nicht vorsichtig genug sein könne; dass keine ernsthaften Gründe für ihre Eifersucht gegenüber der Person, die sie angeführt habe, vorliegen dürften, da eine Heirat hier nicht in Betracht komme, und es gebe einen solchen Altersunterschied zwischen ihr und der Dame, dass ein Einfluss, der von Dauer wäre, ja gar nicht zu erwarten sei; dass Miss Portman sich ganz sicher dem Spott einer der Parteien und der völligen Missachtung der anderen aussetzen würde, wenn sie Besorgnis oder Eifersucht zeige; um es kurz zu machen, wenn sie närrisch genug sei, ihr eigenes Herz zu verlieren, habe sie wohl kaum eine Chance, das von — zu gewinnen, der offensichtlich eher ein Mann von Galanterie als von Gefühl und bekannt dafür sei, dass er seine Karten geschickt auszuspielen wisse, und der besonderes Glück habe, wenn Herz Trumpf sei.

Belindas Befürchtungen, Lady Delacour könnte eine gefährliche Rivalin werden, wurden durch die geschickten Andeutungen von Mrs Stanhope sehr gemildert, die auf deren Alter und dergleichen verwiesen hatte, und je weniger sie zu fürchten hatte, desto mehr genierte sie sich, so harsch über das Verhalten ihrer Ladyschaft geurteilt zu haben. Der Gedanke, dass sie ja, solange sie als deren Freundin in Gesellschaft auftrat, keine Geschichten zu deren Nachteil in Umlauf bringen dürfe, lag schwer auf ihrem Gewissen, und sie machte sich Vorwürfe, dass sie auch nur ihrer Tante erzählt hatte, was sie im privaten Haushalt der Dame erlebt hatte. Sie fand, sie habe sich eines Verrates schuldig gemacht, und sie schrieb sogleich noch einmal an Mrs Stanhope, um sie zu beschwören, ihren letzten Brief zu verbrennen sowie seinen Inhalt, wenn möglich, zu vergessen, und versicherte ihr, dass keine Silbe ähnlicher Natur jemals wieder von ihr gehört werden würde. Sie schloss gerade mit den Worten – »Ich hoffe, Sie, meine liebe Tante, werden all dies nur für einen Fehlgriff meiner Urteilsfähigkeit halten und nicht für einen meines Herzens« –, als Lady Delacour in den Raum hineinplatzte und mit fröhlicher Stimme ausrief – »Tragödie oder Komödie, Belinda? Die Kleider für den Maskenball sind gekommen. Aber was ist das denn?«, fügte sie hinzu und sah Belinda direkt ins Gesicht, »Tränen in den Augen! Hochrote Wangen! Zitternde Glieder! Und Briefe, die versteckt werden! Ach, Sie kleine Novizin unter all den Novizinnen hier, wie ungeschickt versteckt! – Eine Nichte von Mrs Stanhope und dann so ungeschickt im Verstecken! – Kaum zu glauben, dass sie so lächerlich zittert wegen ein oder zwei Liebesbriefen!«

»Oh nein, keine Liebesbriefe, Lady Delacour«, sagte Belinda, wobei sie das Papier festhielt, das ihre Ladyschaft halb im Spiel, halb im Ernst versuchte, an sich zu reißen.

»Keine Liebesbriefe! Dann muss es sich um Verrat handeln und ich muss, bei allem, was gut oder böse ist – aber ich sehe den Namen Delacour!«, – und damit riss ihre Ladyschaft die Briefe mit Gewalt an sich trotz Belindas Mühen und Bitten.

»Ich bitte Sie, ich flehe Sie an, ich beschwöre Sie, lesen Sie das nicht!«, rief Miss Portman händeringend. »Lesen Sie meinen, lesen Sie meinen, wenn es unbedingt sein muss, aber lesen Sie nicht den Brief meiner Tante. – Oh, ich bitte Sie, ich flehe Sie an, ich beschwöre Sie!«, und sie warf sich auf die Knie.

»Sie bitten! Sie flehen! Sie beschwören mich! Nun, das klingt ja wie bei der Herzogin von Brinvilliers, die auf ihrem giftigen Papier geschrieben hat, wer immer dies findet, ich flehe, ich beschwöre ihn, im Namen von mehr Heiligen, als ich zu nennen weiß, dieses Papier nicht weiter zu öffnen. – Kleines Dummerchen, Sie scheinen nichts über die Natur der Neugier zu wissen.«

Während sie noch sprach, öffnete Lady Delacour Mrs Stanhopes Brief, las ihn von Anfang bis Ende, faltete ihn mit kühler Miene zusammen, als sie damit fertig war, und sagte nur: »Die Person, auf die Sie sich bezogen haben, ist genauso schlimm wie deren Name in voller Länge. Meint Mrs Stanhope denn wirklich, niemand kann eine versteckte Andeutung oder eine Verleumdung ergänzen, wenn er nicht Staatsanwalt ist?«, wobei sie auf die Auslassungszeichen in Mrs Stanhopes Brief zeigte, die den Namen Clarence Hervey ersetzen sollten.

Belinda war zu verwirrt, als dass sie hätte sprechen oder auch nur denken können.

»Sie hatten recht, Liebesbriefe sind das wahrlich nicht«, fuhr ihre Ladyschaft fort und legte die Papiere auf den Tisch. »Ich möchte betonen, dass ich sie nur aus Spaß an mich genommen habe – entschuldigen Sie. Alles, was ich jetzt tun kann, ist, nicht den Rest zu lesen.«

»Nein, nein – ich bitte Sie – ich wünschte – ich bestehe darauf, dass Sie meinen Brief lesen«, sagte Belinda.

Als Lady Delacour diesen gelesen hatte, änderte sich ihr Gesichtsausdruck plötzlich. – »Hundertmal so viel wert wie der Ihrer Tante, würde ich sagen«, meinte sie und tätschelte Belindas Wange. »Wie kostbar es doch ist, tatsächlich einem unverbrauchten Herzen zu begegnen – alle Herzen heutzutage sind doch, wenn überhaupt, eher aus zweiter Hand.«

Lady Delacour sprach mit einem Ausdruck von Gefühl, den Belinda noch nie von ihr vernommen hatte und der sie in diesem Moment so sehr berührte, dass sie die Hand der Lady nahm und diese küsste.

Kapitel II Masken

»Wo waren wir doch gleich, als das alles begann?«, rief Lady Delacour und zwang sich, wieder fröhlich zu erscheinen. »Ach ja, Maskerade war das Motto des Tages – Tragödie oder Komödie? Was entspricht Ihrer Begabung am ehesten, meine Liebe?«

»Was Ihrem Geschmack am wenigsten entspricht, Milady.«

»Nun, meine Zofe Marriott sagt, ich sollte Tragödie sein, und lässt sich dabei wohl von dem Gedanken leiten, dass Menschen immer am meisten Erfolg haben, wenn sie den Charakter annehmen, der dem ihren am wenigsten entspricht – Clarence Herveys Leitprinzip – vielleicht meinen Sie, er hätte überhaupt keine Prinzipien, aber da liegen Sie falsch, ich versichere Ihnen, er hat sehr gesunde Prinzipen – was Geschmack angeht.«

»Das beweist er überaus überzeugend«, sagte Belinda mit einem gezwungenen Lächeln, »da er doch Ihre Ladyschaft so sehr bewundert.«

»Und da er Miss Portman noch mehr bewundert. Aber während wir hier einander Reden halten, steht die arme Marriott da in großer Qual wie der Schauspieler Garrick zwischen Tragödie und Komödie.«

Lady Delacour öffnete die Tür zu ihrem Ankleidezimmer und zeigte auf Marriott, die dastand und auf dem einen Arm das Kleid für die komische Muse und auf dem anderen das für die tragische Muse hielt.

»Ich fürchte, ich habe nicht die rechte Begeisterung und den rechten Elan, um die komische Muse zu geben«, sagte Miss Portman.

Marriott, die eine Persönlichkeit von ungewöhnlicher Wichtigkeit darstellte und letztendlich als oberste Instanz über die Toilette ihrer Herrin entschied, wirkte äußerst verärgert darüber, dass man sie so lange hatte warten lassen, und noch mehr missbilligte sie wohl, dass ihre höchstrichterliche Entscheidung in Frage gestellt werden könnte.

»Ihre Ladyschaft ist einen halben Kopf größer als Miss Portman«, sagte Marriott, »und sollte mit dieser langen Schleppe wirklich Tragödie sein; außerdem habe ich schon alles Weitere für das Kostüm Ihrer Ladyschaft geregelt. Tragödie ist immer groß und, ohne jemanden kränken zu wollen, ist Ihre Ladyschaft größer als Miss Portman, einen halben Kopf größer.«

»Statt Kopf sagen wir besser Zoll«, sagte Lady Delacour, »wenn ich bitten dürfte.«

»Wenn erst einmal alles zurechtgelegt ist, kann man es wirklich nicht ertragen, wieder alles durcheinanderzubringen – aber Ihre Ladyschaft muss natürlich ihren eigenen Willen durchsetzen, das versteht sich, wie immer – ich sage dazu jetzt nichts mehr«, rief sie und warf die Kleider hin.

»Nun bleiben Sie doch, Marriott«, sagte Lady Delacour und stellte sich zwischen die verärgerte Kammerzofe und die Tür.

»Warum müssen Sie sich, die Sie doch der beste Mensch der Welt sind, in diese Wutanfälle hineinsteigern wegen nichts und wieder nichts – haben Sie Geduld mit uns und wir werden Sie schon zufriedenstellen.«

»Das klingt schon besser«, sagte Marriott.

»Miss Portman«, fuhr ihre Ladyschaft fort, »behaupten Sie bitte nicht, Sie hätten nicht genug Elan – Sie sind doch voller Leben und Elan! – Nun, was sagen Sie, Belinda – Oh, ja, Sie müssen die komische Muse sein und ich, scheint es, muss die tragische verkörpern, weil Marriott es sich nun einmal in den Kopf gesetzt hat, dass ich ›majestätisch vorbeirauschen‹ soll. Und da Marriott in allem und jedem ihren Kopf durchsetzen muss – sie herrscht über mich mit eiserner Hand, meine Liebe – so muss ich denn Tragödie sein – Marriott kennt ihre Macht.«

Es lag ein Ausdruck extremen Verdrusses in Lady Delacours Miene, als sie die letzten Worte sprach, die wohl mehr zu bedeuten hatten, als zunächst erkennbar war. Schon bei vielen Gelegenheiten hatte Miss Portman bemerkt, dass Marriott eine despotische Macht über ihre Herrin ausübte; und sie hatte gesehen, dass eine Dame, die nicht ein Jota ihrer Macht an ihren Gatten abtreten wollte, sich jeder kapriziösen Forderung dieser ganz unverschämten Bediensteten unterwarf. Belinda hatte geglaubt, dass diese Unterwerfung nichts weiter war als Gehabe, da sie schon andere feine Damen gesehen hatte, die scheinbar von ihrer Lieblingszofe herumkommandiert wurden, aber schon bald gelangte sie zu der Überzeugung, dass Marriott gar kein Günstling von Lady Delacour war, dass das vorherrschende Gefühl ihrer Ladyschaft nicht stolze Ehrerbietung war, sondern Furcht. Es war offensichtlich, dass eine Frau, die so extrem viel Wert auf ihren eigenen Willen legte, sich niemals hätte einschränken lassen, wenn es da nicht einen sehr gewichtigen Grund gegeben hätte. Es schien, als ob Marriott im Besitz eines Geheimnisses sei, das für alle Zeiten verborgen bleiben musste. Dieser Gedanke war Miss Portman schon mehr als einmal gekommen, aber nie so nachdrücklich wie bei dem gegenwärtigen Anlass. Die Toilette der Lady war immer ein wenig geheimnisumwoben gewesen. Zu bestimmten Stunden wurden Türen verriegelt, und niemand außer Marriott durfte sich Zugang zu ihr verschaffen. Miss Portman hatte zunächst gedacht, dass Lady Delacour die Aufdeckung kosmetischer Geheimnisse fürchtete, aber das Rouge ihrer Ladyschaft war so leuchtend aufgetragen und ihr Puder so offensichtlich, dass Belinda überzeugt war, dass ein anderer Grund für die Geheimnisse ihrer Toilette vorlag. Es gab ein kleines Kabinett jenseits des Schlafzimmers, das Lady Delacour ihr Boudoir nannte und zu dem ein Eingang über eine Hintertreppe existierte, doch niemand durfte dieses Zimmerchen betreten als Marriott. In einer Nacht, nachdem die Lady mit großem Elan auf einem Ball getanzt hatte, fiel sie in ihrem eigenen Haus plötzlich in Ohnmacht, und Miss Portman half ihr in ihr Schlafzimmer, aber Miss Marriott bat sie, die Lady allein mit ihr zu lassen, und wollte es ganz und gar nicht erlauben, dass Belinda ihr in das Boudoir folgte. – An all diese Dinge erinnerte sich Belinda in Sekundenschnelle, als sie dastand und über Marriott und die Kleider nachdachte. Die Eile, sich für den Maskenball fertigzumachen, vertrieb jedoch diese Gedanken, und als sie endlich angezogen war, dachte sie vor allem darüber nach, was Clarence Hervey von ihrer Erscheinung halten würde. Sie fragte sich unruhig, ob er sie als komische Muse wohl erkennen würde. Lady Delacour war unzufrieden mit ihrem tragischen Gewand und ihre Laune wurde noch schlechter, als sie Belinda sah.

»Ich finde wirklich, dass Marriott eine regelrechte Vogelscheuche aus mir gemacht hat«, sagte ihre Ladyschaft, als sie in die Kutsche stieg, »und ich weiß genau, dass mein Kleid Ihnen eine Million Mal besser stehen würde als das Ihre.«

Miss Portman äußerte ihr Bedauern darüber, dass es jetzt zu spät wäre, das zu ändern.

»Ganz und gar nicht zu spät, meine Liebe«, sagte Lady Delacour. »Es ist nie zu spät für Frauen, ihre Meinung, ihre Kleidung oder ihre Liebhaber zu ändern. Nein, ernsthaft, Sie wissen, dass wir meine Freundin Lady Singleton besuchen werden – sie richtet heute Abend einen Vorempfang für die Masken aus – ich kenne sie sehr gut, ich werde dafür sorgen, dass wir in ihr Zimmer gehen können, wo uns niemand stört, und da tauschen wir dann unsere Kleider und Marriott erfährt nichts von der ganzen Sache. Marriott ist eine treue Seele und hängt sehr an mir, hängt aber auch an ihrer Macht – aber wer täte das nicht? – Wir haben alle unsere Fehler – man sollte sich wegen einer solchen Kleinigkeit nicht mit einer guten Seele wie Marriott anlegen.« Plötzlich meinte sie in einem ganz anderen Ton: »Kein Mensch wird bei dem Maskenball herausfinden, wer wir sind, denn niemand außer Mrs Freke weiß, dass wir zwei Musen darstellen werden. Clarence Hervey hat geschworen, er würde mich in jeder Verkleidung erkennen – was ich sehr bezweifle –, es wird mir einen besonderen Spaß bereiten, ihm ein Rätsel aufzugeben. Harriet Freke hat ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit gesagt, ich wolle als Witwe Brady aus dem Theaterstück The Irish Widow in Männerkleidung gehen, was in Wahrheit Harriets eigener Charakter ist. Da werden wir den lieben Hervey schön an der Nase herumführen.«

Sobald sie bei dem Haus von Lady Singleton angelangt waren, gingen Lady Delacour und Miss Portman nach oben, um ihre Kleider zu tauschen. Die arme Belinda war recht enttäuscht, dass sie jetzt, da sie sich in der richtigen Stimmung für die komische Muse fühlte, den Charakter, der ihr doch entsprach, wieder aufgeben musste, aber der höflichen Bestimmtheit von Lady Delacours Eitelkeit hatte sie nichts entgegenzusetzen. Ihre Ladyschaft lief schnell wie der Blitz in eine kleine Kammer, die zum Schlafgemach gehörte, und sagte zu Lady Singletons Zofe, die mit der Frage »Kann ich irgendetwas für Sie tun, Ihre Ladyschaft?« versuchte, ihr zu folgen. »Nein, nein, nein – nichts, nichts – danke, danke, ich brauche keine Hilfe – ich lasse mich nie von jemandem unterstützen außer von Marriott.« Und damit schloss sie sich in der Kammer ein. Ein paar Minuten später öffnete sie die Tür zur Hälfte, warf die Robe der tragischen Muse heraus und rief: »Hier, Miss Portman, geben Sie mir Ihre – schnell – und dann wollen wir doch sehen, ob die Komödie oder die Tragödie eher fertig ist.«

»Himmel, Herrgott und Sakrament«, sagte Lady Singletons Zofe, als Lady Delacour vollständig angezogen endlich die Tür öffnete – »nun hat Ihre Ladyschaft sich doch tatsächlich in dieser Höhle ganz allein angezogen, nich’ mal ’nen Spiegel hatte sie – und ich durfte gar nich’ helfen – dabei wär’ ich doch so stolz gewesen.«

Lady Delacour legte eine halbe Guinee in die Hand der Kammerzofe, lachte affektiert über ihre eigenen Absonderlichkeiten und erklärte, dass sie sich immer ohne einen Spiegel besser ankleiden könne als mit einem. All dies schien jedermann zufriedenzustellen, nur Miss Portman nicht. Sie konnte nicht anders, sie fand es sehr sonderbar, dass eine Person, die doch so gerne bedient wurde, niemandem erlaubte, ihr bei ihrer Toilette zu helfen als Marriott, einer Frau, vor der sie sich doch offensichtlich fürchtete. Lady Delacour mit ihrer schnellen Auffassungsgabe sah Neugier in Belindas Miene und schien für einen Augenblick peinlich berührt, aber sie nahm sich schnell zusammen und versuchte Miss Portman auf andere Gedanken zu bringen, indem sie ihr irgendeinen Unsinn über Clarence Hervey zuflüsterte – sie wusste, dass dieser kabbalistische Name, wenn sie ihn in einem gewissen Ton aussprach, die Macht hatte, Belinda in Verwirrung zu stürzen.

Die erste Person, die sie sahen, als sie Lady Singletons Salon betraten, war just Clarence Hervey, der ohne Maske erschienen war. Er hatte mit einem Bekannten eine Wette abgeschlossen, dass er den Part der Schlange geben könne, die in Füsslis bekanntem Bild9 zu sehen ist. Zu diesem Zweck hatte er viel Erfindungskraft in eine Konstruktion gesteckt, die eine zusammengeringelte Haut darstellen sollte, was ihm mit seiner großen Geschicklichkeit und der Hilfe innen gelegener Drähte auch gelungen war. Seine größte Schwierigkeit lag darin, die Blitze herzustellen, die aus den Augen der Schlange kommen sollten. Er hatte sich Phosphorblitze ausgedacht, die, da war er sich sicher, alle Evastöchter bezaubern würden. Dabei hatte er wohl vergessen, dass man Phosphor bei Kerzenlicht nicht sehr gut sehen kann. Als er schließlich mit seinem fertigen Schlangenkostüm ausgestattet war, setzten seine Blitze Teile seiner Wickelstaffage in Flammen, und er konnte nur mit großer Mühe daraus befreit werden. Er entkam unverletzt, aber seine Schlangenhaut war ganz und gar dahin, nichts blieb als der traurige Anblick des Drahtskeletts. So musste er jede Hoffnung aufgeben, bei der Maskerade zu glänzen, aber er beschloss, wenigstens zu Lady Singletons Empfang zu gehen, um Lady Delacour und Miss Portman zu treffen. In dem Moment, als die tragische und die komische Muse erschienen, beschwor er sie mit viel Witz und gespieltem Pathos, wobei er erklärte, er wisse nicht, welche von ihnen sein Abenteuer besser besingen könne. Nachdem er mit einem Bericht über sein Unglück die Gesellschaft bestens unterhalten hatte und die Musen ihre Rolle zur Zufriedenheit des Publikums und ihrer eigenen gespielt hatten, wurde die Konversation nicht mehr in den Rollen der Masken weitergeführt. Musen und Harlekine, Zigeuner und Cleopatras fingen an, sich über Privates zu unterhalten, über die Neuigkeiten und den Skandal des Tages.

Eine Gruppe von Gentlemen, unter denen auch Clarence Hervey war, versammelte sich um die tragische Muse, denn Mr Hervey hatte verlauten lassen, sie sei eine besonders distinguierte Person, deren Namen er jedoch nicht nannte. Er glaubte, er könne ihrer Ladyschaft am geschicktesten dadurch schmeicheln, dass er Miss Portman schlechtmachte. Nachdem er sich eine Weile um geistreiche Bemerkungen bemüht hatte, ohne auch nur eine Silbe als Antwort der tragischen Muse zu hören zu bekommen, flüsterte er: »Lady Delacour, warum diese unnatürliche Reserviertheit? Glauben Sie denn, dass ich Sie in Ihrer tragischen Verkleidung nicht erkannt hätte?«

Die tragische Muse, anscheinend ganz in Gedanken versunken, würdigte ihn keiner Antwort.

»Du kannst dir noch so viel Mühe machen, Hervey, es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn du auch nur ein Wort aus ihr herausbekämst«, sagte ein Herr aus seiner Bekanntschaft, der sich der Gruppe gerade zugesellt hatte. »Warum bist du nicht bei der andren Muse geblieben, die, das muss man wirklich sagen, so wahllos herumflirtet, dass sie ein Mädchen ganz nach deinem Herzen sein muss.«

»Es kann recht gefährlich werden«, sage Clarence, »mit einer so wahllos koketten Dame aus Mrs Stanhopes Schule zu flirten. Das Mädchen hat eine geradezu elektrische Anziehungskraft. Ich habe bei ihr immer so ein Spinnwebengefühl, als würde ein Netz über mich gelegt.«

»Gefahr erkannt, Gefahr gebannt«, erwiderte sein Freund, »der Mann müsste wirklich ein Neuling im Geschäft sein, der jetzt noch auf eine Nichte von Mrs Stanhope hereinfiele.«

»Diese Mrs Stanhope muss wirklich eine ganz besonders schlaue Dame sein, meiner Treu«, sagte ein dritter Gentleman. »Nicht weniger als sechs Nichten hat sie in den letzten vier Wintern ›unter die Haube gebracht‹. Und nicht eine von denen hat sich bei der Heirat verschlechtert. Da ist die älteste aus dem Kreis, Mrs Tollemache, was hatte die schon in drei Teufels Namen, um ihren Platz in der Welt zu finden, als ein Paar schöner Augen – ihre Tante wird ihr schon früh genug beigebracht haben, wie sie die einsetzt – die Nichte hätte aber bis zum Ende aller Tage damit rollen können, mich hätte sie damit nicht um den Verstand gebracht, aber sehen Sie, bei Tollemache haben sie gewirkt. Allerdings wollen die beiden jetzt auseinandergehen, habe ich gehört. Tollemache war ihrer überdrüssig, noch bevor die Flitterwochen vorüber waren, wie ich es vorausgesagt habe. Dann war da noch dieses musikalische Mädchen – Joddrell, der nicht mehr von Musik versteht als ein Laternenpfosten, ist doch tatsächlich hingegangen und hat die geheiratet, weil er sich in den Kopf gesetzt hatte, er müsse zeigen, dass er ein Connaisseur ist, was Musik angeht, und Mrs Stanhope ihm geschmeichelt hatte, das sei er in der Tat.«

Die Herren fielen in das allgemeine Gelächter ein. Die tragische Muse seufzte –

»Sogar wenn sie bei Die Schule des Skandals10 mitspielte, würde die tragische Muse nicht zu lachen wagen, außer hinter ihrer Maske«, sagte Clarence Hervey.

»Es liegt ihr wahrlich fern, über derartige Albernheiten zu lachen, nein, sie muss sie allzeit beklagen!«, sagte Belinda mit verstellter Stimme. »Welches Elend entspringt doch solch unpassenden Eheschließungen! – Die Opfer werden zum Altar geführt, noch bevor sie Vernunft genug entwickelt haben, ihrem Schicksal zu entrinnen.«

Clarence Hervey meinte, dass diese Worte auf Lady Delacours eigene Ehe abzielten.

»Ich will aber verdammt sein, wenn ich auch nur eine Frau kenne, jung oder alt, die es vermeiden würde, sich zu verheiraten, wenn sich ihr dazu die Gelegenheit bietet, verdammt«, rief Sir Philip Baddely aus, ein Gentleman, der jede »Leere der Vernunft«11 mit einem Fluchwort füllte. »Aber, ich will verdammt sein, Rochfort, hat nicht Valleton eine dieser Nichten geheiratet?«

»Ja, sie war eine enorm gute Tänzerin und hatte ganz hübsche Beine; Mrs Stanhope hat Valleton dazu gekriegt, sich zu duellieren wegen des Platzes, den sie bei einem ländlichen Tanz bekommen sollte, und dann war er so zufrieden mit sich und seiner Männlichkeit, dass er das Mädchen gleich geheiratet hat.«

Belinda machte einen Versuch, ihren Platz zu wechseln, aber sie war so von Menschen umringt, dass sie sich nicht zurückziehen konnte.

»Was Jenny Mason angeht, die fünfte der Nichten«, fuhr der geistreiche junge Herr fort, »sie war braun wie Mahagoni und hatte weder Augen noch Nase, Mund oder Beine, und was Mrs Stanhope mit ihr anfangen würde, habe ich mich oft gefragt, aber sie nahm ihren ganzen Mut zusammen, schmierte ihr etwas Rouge auf die Wangen und präsentierte sie als verwegene Kokette. Und sie war verwegen genug, in Tom Levits Zweispänner zu landen, und Tom konnte sie da nicht wieder herausbekommen, bis sie die ehrenwerte Mrs Levit war. Sie hat dann die Zügel selbst in die Hand genommen, und wie ich höre, fährt sie ihn und sich selbst in den Ruin, so schnell sie nur galoppieren können. Was diese Belinda Portman angeht, so war es ein cleverer Schachzug, sie bei Lady Delacour unterzubringen, aber ich denke, sie ist gewissermaßen ein Ladenhüter, denn letzten Winter, als ich in Bath war, wurde sie überall hingeschleppt, und die Tante machte nach Leibeskräften Werbung für sie. Wo immer man hinging, hörte man nichts als Belinda Portman und Belinda Portmans Reize – ich schwöre Ihnen, für Belinda Portman und ihre Reize wurde so viel Reklame gemacht wie für Packwoods Streichriemen.«

»Mrs Stanhope hat es wohl ein wenig übertrieben, finde ich«, stimmte der Gentleman zu, der die Unterhaltung begonnen hatte. »Mädchen, die auf diese Weise unter den Hammer gebracht werden, finden nicht besonders viel Anklang. Es ist wirklich so, dass nicht einmal Christie’s Auktionshaus mit Mrs Stanhope mithalten kann – viele meiner Bekannten waren versucht, einmal einen Blick auf die Liegenschaften zu werfen, aber keiner von ihnen hat auch nur einen Gedanken daran verschwendet, Mieter auf Lebenszeit zu werden.«

»Das ist eine Ehre, die wir für dich reserviert haben, Clarence Hervey«, sagte ein anderer und schlug ihm auf die Schulter. »Freudige Aussichten, Hervey – freudige Aussichten!«

»Für mich?«, sagte Clarence und zuckte zusammen.

»Ich will gehängt werden, wenn er nicht die Farbe gewechselt hat«, sagte sein witzelnder Bekannter, und alle jungen Männer fielen in das Lachen ein.

»Ja, lacht nur, ihr lustigen Gesellen«, rief Clarence, »aber der Teufel soll mich holen, wenn ich nicht besser weiß, was ich will, als jeder von euch – ihr glaubt doch wohl nicht, dass ich zu Lady Delacour gehe, um eine Ehefrau zu suchen? – Belinda Portman ist ein nettes, hübsches Mädchen, aber sonst? Haltet ihr mich für einen Idioten – meint ihr, ich lasse mich von einer aus der Stanhope-Schule becircen? Meint ihr, ich sehe nicht so klar wie jeder von euch, dass Belinda Portman eine Mischung aus Geziertheit und gekünsteltem Gehabe ist?«

»Psst – nicht so laut, Clarence, da kommt sie«, sagte einer seiner Freunde. »Sie ist doch die komische Muse, nicht wahr?«

Lady Delacour kam in diesem Moment leichtfüßig angetrippelt, wandte sich als komische Muse an Hervey und deklamierte:

»Hervey, mein Hervey! Du meistbegünstigter all meiner Anhänger, warum hast du mich verlassen?

Was trauert nur mein Freund, was weint sein Aug?

Dasselbe Auge, das sonst voller Frohsinn und Vergnügen glänzte?12

Wenn du auch die Schlangengestalt verloren hast, so kann die deine doch jeder schönen Tochter Evas gefallen.«

Mr Hervey verbeugte sich; alle Gentlemen, die bei ihm standen, lächelten; die tragische Muse ließ einen unwillkürlichen Seufzer vernehmen.

»Könnte ich nur einen Seufzer oder eine Träne von meiner tragischen Schwester borgen«, fuhr Lady Delacour fort, »wie wenig passend das auch für meinen Charakter wäre, ich würde es tun, wenn allein Seufzer und Tränen das Herz von Clarence Hervey gewinnen könnten – Lassen Sie es mich versuchen« – und ihre Ladyschaft übte das Seufzen mit sehr komischem Effekt.

»Überzeugende Worte und noch überzeugendere Seufzer13«, konterte Clarence Hervey.

»Na, das war doch wahrhaftig ein kühner Wurf mit dem Stanhope-Netz«, flüsterte einer seiner Bekannten. »Melpomene14, ›hast du zu einem Marmor dich vergessen?‹«15, fuhr Lady Delacour fort. »Mir ist nicht ganz wohl«, flüsterte Miss Portman in Lady Delacours Ohr, »könnten wir fortgehen?«

»Fortgehen – von Clarence Hervey, meinen Sie?«, antwortete die Lady im Flüsterton. »Nun, es ist nicht ganz einfach, aber wir wollen es versuchen, wenn es vonnöten ist.«

Belinda hatte keine Kraft mehr, auf diese Spöttelei zu antworten, sie hörte die Worte, die man zu ihr sagte, kaum, aber sie legte ihren Arm in den Lady Delacours, die zu ihrer großen Erleichterung die Güte hatte, den Raum sofort mit ihr zu verlassen. Obwohl ihre Ladyschaft die Gefühle anderer ohne Bedenken auf dem Altar ihrer Eitelkeit opferte, wann immer man ihren Geist in Frage stellte, zeigte sie denen gegenüber doch Gnade, die ihn anerkannten.

»Was ist denn nur mit dem Kind?«, sagte sie, als sie die Treppe hinunterging.

»Nichts, wenn ich nur ein wenig Luft bekommen kann«, sagte Belinda. Die Eingangshalle war voller Diener.

»Warum weicht mir Lady Delacour so hartnäckig aus? Welches Verbrechen habe ich begangen, dass ich mit keinem einzigen Wort bedacht werde?«, sagte Clarence Hervey, der ihnen nach unten gefolgt war und sie in der Eingangshalle einholte.

»Schauen Sie doch, ob Sie jemanden von meinen Leuten finden können«, rief Lady Delacour.

»Lady Delacour, die komische Muse!«, rief Mr Hervey aus, »ich dachte –«

»Es ist jetzt ganz belanglos, was Sie dachten«, unterbrach ihn ihre Ladyschaft. »Lassen Sie die Kutsche vorfahren, denn hier ist eine junge Freundin von Ihnen, die wegen ›Nichts‹ so sehr zittert, dass ich schon beinahe fürchte, sie wird in Ohnmacht fallen, und Sie können sich ja denken, dass es nicht so angenehm ist, hier vor der Dienerschaft in Ohnmacht zu fallen – Nein, halt! Dieses Speisezimmer ist leer – Oh nein, ich meinte nicht, dass Sie hierbleiben sollten«, sagte sie zu Hervey, der ihr unwillkürlich und völlig fassungslos gefolgt war.

»Es geht mir jetzt wieder vollkommen gut – vollkommen gut«, sagte Belinda.

»Vollkommenes Närrchen, denke ich«, sagte Lady Delacour. »Nein, meine Liebe, jetzt müssen Sie gehorchen, Ihre Maske muss jetzt herunter, sagten Sie nicht, Sie bräuchten Luft – Was denn? Das ist doch nun nicht das erste Mal, dass Clarence Hervey Ihr Gesicht ohne Maske sieht, nicht wahr? Aber es ist wohl das erste Mal, dass er – oder sonst jemand – es mit dieser Farbe sieht, denke ich.«

Als Lady Delacour Belindas Maske abnahm, war ihr Gesicht im ersten Augenblick bleich, im nächsten Augenblick war es von einer brennenden Röte überzogen.

»Was ist denn nur mit Ihnen beiden? – Wie er dasteht!«, sagte die Lady an Mr Hervey gewandt. »Haben Sie noch nie eine Frau erröten sehen? – Oder haben Sie noch nie zuvor etwas gesagt, das eine Frau erröten ließ? – Geben Sie Miss Portman doch ein Glas Wasser! – Meine Güte, es steht hinter Ihnen auf der Anrichte! – Aber er hat natürlich keine Augen im Kopf, hat er überhaupt einen Kopf? – Jetzt kümmern Sie sich einmal um Ihre eigenen Angelegenheiten«, sagte ihre Ladyschaft und schob ihn zur Tür. »Jetzt kümmern Sie sich einmal um Ihre eigenen Angelegenheiten, ich habe einfach keine Geduld mehr mit Ihnen – Herrje, ich glaube gar, der Mann ist verliebt – Und nicht in mich! – Da ist Riechsalz für Sie, mein Kind«, fuhr sie an Belinda gewandt fort. »Oh, Sie können wieder gehen – aber denken Sie daran, Sie befinden sich auf glattem Parkett – vergessen Sie nicht, Clarence Hervey ist kein Mann, der heiratet, und Sie sind keine verheiratete Frau.«

»Das ist mir jetzt vollkommen gleich, Madame«, sagte Belinda mit einer Stimme und einem Gesichtsausdruck stolzer Empörung.

»Lady Delacour, Ihre Kutsche ist vorgefahren«, sagte Clarence Hervey, der wieder an der Tür stand, aber nicht eintrat.

»Dann setzen Sie diese Dame hinein, der es ›vollkommen gut‹ geht und der das alles ›vollkommen gleich‹ ist«, sagte Lady Delacour.

Er gehorchte, ohne auch nur eine Silbe zu sagen.

»Dumm! Absolut dumm, sage ich«, sagte ihre Ladyschaft, als er ihr ein wenig später in die Kutsche half. »Wirklich, Clarence, mit dem Abwerfen Ihrer Schlangenhaut haben Sie wohl auch Ihre ganze Natur verändert – es ist jetzt nur noch die Naivität einer Taube übrig und ich warte nur darauf, dass Sie demnächst anfangen zu gurren – geht es Ihnen nicht auch so, Miss Portman?« Sie befahl dem Kutscher, zum Pantheon16 zu fahren.

»Zum Pantheon! Ich hatte gehofft, Ihre Ladyschaft hätten die Güte, mich zuhause abzusetzen, denn ich wäre für Sie und jedermann bei der Maskerade doch nur eine Last.«

»Falls Sie eine Verabredung am Berkeley Square am späteren Abend einhalten müssen, setze ich Sie dort natürlich ab, wenn Sie darauf bestehen, meine Liebe, denn Pünktlichkeit ist eine Tugend – aber Vorsicht ist auch eine Tugend für eine junge Dame, die, wie Ihre Tante Stanhope sagen würde, ihren Platz in der Welt noch finden muss. – Warum weinen Sie, Belinda? – Oder sind das überhaupt Tränen? Bei dem Licht der Lampen kann ich es gar nicht genau sagen, doch ich schwöre, ich habe ein Taschentuch an Ihren Augen gesehen. – Was hat das nur alles zu bedeuten? Sie sollten mir vertrauen, denn ich weiß über Männer und Manieren mindestens genauso viel wie Ihre Tante Stanhope. Kurz und gut, Sie haben von mir nichts zu befürchten und alles zu erhoffen, wenn Sie nur Ihre Tränen trocknen wollen. Behalten Sie Ihre Maske auf und hören Sie auf meinen Rat, Sie werden merken, er ist ebenso gut wie der Ihrer Tante.«

»Wie der meiner Tante! Oh«, rief Belinda, »niemals, niemals mehr werde ich solche Ratschläge annehmen – niemals mehr werde ich mich so bloßstellen und mich als kleine Abenteurerin beleidigen lassen – wie wenig wusste ich doch darüber, in welchem Licht ich erscheine – wie wenig wusste ich doch davon, was Gentlemen von meiner Tante halten – von meinen Cousinen – von mir.«

»Gentlemen! Ich nehme einmal an, dass Sie sich nun Clarence Hervey als Repräsentanten aller Gentlemen auf Erden vorstellen und dass er jetzt tatsächlich statt Anacharsis Cloots der orateur du genre humain17 sein soll. – Bitte geben Sie mir doch ein Beispiel von jener Eloquenz, die, wenn man sie nach ihrer Wirkung beurteilt, von gewaltiger Macht sein muss.«

Miss Portman wiederholte, nicht ohne Widerstreben, die Unterhaltung, die sie gehört hatte. »Und das ist alles?«, rief Lady Delacour. »Herr im Himmel, meine Liebe, Sie müssen entweder ganz der Welt entsagen oder sich daran gewöhnen, dass Sie selbst und Ihre Tanten und Ihre Cousinen und Ihre Freunde über Generationen hinweg geschmäht und verleumdet werden, und zwar jede Stunde jedes Tages, von deren Freunden und von Ihren Freunden, denn das ist nun einmal der Lauf der Welt. Sie wissen doch, was für eine Unmenge von gehorsamen und ehrerbietigen Dienern, liebevollen Geschöpfen und echten, anhänglichen Freunden ich habe, auf meinem Schreibtisch und auf meinem Kaminsims, ganz zu schweigen von der Unmenge an Visitenkarten intimer Bekanntschaften, die sich auf der Ablage sammeln. Sie alle können nicht leben ohne die Ehre, Lady Delacour zweimal wöchentlich zu sehen – doch meinen Sie wirklich, ich wäre närrisch genug zu glauben, dass es sie auch nur das Hundertstel eines Deuts kümmern würde, wenn man mich in dieser Minute in das Rote oder das Schwarze Meer werfen würde! – Nein, ich habe keinen einzigen echten Freund in dieser Welt außer Harriet Freke – aber Sie wissen ja, ich bin die komische Muse und ich habe vor, das Spiel weiterzuspielen – weiterzuspielen bis zum Letzten – genau deswegen, weil ich diejenigen ärgern will, die ihren Augapfel opfern würden, um mich bemitleiden zu können – nein, ergebensten Dank, aber niemand bemitleidet Lady Delacour. Folgen Sie meinem Beispiel, Belinda, verwenden Sie Ihre Ellbogen, wenn Sie sich durch die Menge schieben; wenn Sie anhalten, um sich höflich zu entschuldigen – ›hoffentlich habe ich Sie nicht verletzt‹ –, werden Sie nur zertrampelt. Nun werden Sie die jungen Männer ständig wiedertreffen, die sich die Freiheit genommen haben, sich über Ihre Tante und Ihre Cousinen und über Sie lustig zu machen. Sie sind Männer der ersten Gesellschaft. Zeigen Sie ihnen, dass Sie keine Gefühle haben, und sie werden Sie als Dame der Gesellschaft anerkennen – und Sie werden sich besser verheiraten als jede Ihrer Cousinen, vielleicht sogar mit Clarence Hervey, und dann wird es an Ihnen sein, über Netze und Käfige zu lachen. Was die Liebe und all das angeht –«

Die Kutsche hielt beim Pantheon, gerade als ihre Ladyschaft bei den Worten »Liebe und all das« angelangt war, ihre Gedanken wandten sich etwas anderem zu, und während der restlichen Nacht zeigte sie, in einer Weise, die bei allen Anwesenden Bewunderung auslöste, all die Leichtigkeit, Grazie und den Frohsinn der Muse Euphrosyne.18

Belinda erschien die Nacht hingegen lang und öde, der platte Witz von Kaminkehrern und Zigeunern, die Kapriolen von Harlekinen, die Anmut von Blumenmädchen und Cleopatras, all das konnte sie nicht amüsieren, denn ihre Gedanken kehrten immer wieder zu der Unterhaltung zurück, die ihr so viel Schmerz bereitet hatte – Schmerz, den Lady Delacours Spöttelei nicht hatte auslöschen können.

»Was für ein Glück Sie doch haben, Lady Delacour«, sagte sie, als sie in die Kutsche stiegen, um heimzufahren. »Was für ein Glück Sie doch haben, dass Ihnen ein so erstaunlicher Überfluss an Elan und Geist zu Gebote steht.«