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Sigmund Freud gesammelte Werke Band 18: Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose. Der österreichische Arzt, Neurophysiologe, Tiefenpsychologe, Kulturtheoretiker und Religionskritiker war Begründer der Psychoanalyse und gilt als einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts. Seine Theorien und Methoden werden bis heute diskutiert und angewendet, aber auch kritisiert. Die Krankengeschichten Sigmund Freuds wie die eines Falls von Zwangsneurose sind historisch bedeutsame Dokumente für die Entwicklung der Psychoanalyse.
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Seitenzahl: 125
LUNATA
Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose
© 1909 by Sigmund Freud
Erstveröffentlichung: Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen, 1909, S. 357-421
Gesammelte Werke, Bd. 7, S. 379-463
ISBN 9783753491844
Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand, Norderstedt
© Lunata Berlin 2021
Vorbemerkung
Aus der Krankengeschichte
Zur Theorie
Anmerkungen
Die nachstehenden Blätter werden zweierlei enthalten: erstens fragmentarische Mitteilungen aus der Krankheitsgeschichte eines Falles von Zwangsneurose, welcher nach seiner Dauer, seinen Schädigungsfolgen und nach subjektiver Wertung zu den ziemlich schweren gezählt werden konnte und dessen Behandlung durch etwa ein Jahr zunächst die völlige Herstellung der Persönlichkeit und die Aufhebung ihrer Hemmungen erzielte. Zweitens aber in Anknüpfung an diesen und in Anlehnung an andere, früher analysierte Fälle einzelne aphoristische Angaben über die Genese und den feineren Mechanismus der seelischen Zwangsvorgänge, durch welche meine im Jahre 1896 veröffentlichten ersten Darstellungen weitergeführt werden sollen.1
Eine derartige Inhaltsangabe scheint mir selbst einer Rechtfertigung bedürftig, damit man nicht etwa glaube, ich hielte diese Art und Weise der Mitteilung für untadelhaft und nachahmenswert, während ich in Wirklichkeit nur Hemmungen äußerlicher und inhaltlicher Natur Rechnung trage und gerne mehr gegeben hätte, wenn ich nur dürfte und könnte. Die vollständige Behandlungsgeschichte kann ich nämlich nicht mitteilen, weil sie ein Eingehen auf die Lebensverhältnisse meines Patienten im einzelnen erfordern würde. Die belästigende Aufmerksamkeit einer Großstadt, die sich auf meine ärztliche Tätigkeit ganz besonders richtet, verbietet mir eine wahrheitsgetreue Darstellung; Entstellungen aber, mit denen man sich sonst zu behelfen pflegt, finde ich immer mehr unzweckmäßig und verwerflich. Sind sie geringfügig, so erfüllen sie den Zweck nicht, den Patienten vor indiskreter Neugierde zu schützen, und gehen sie weiter, so kosten sie zu große Opfer, indem sie das Verständnis der gerade an die kleinen Realien des Lebens geknüpften Zusammenhänge zerstören. Aus diesem letzteren Umstand ergibt sich dann der paradoxe Sachverhalt, daß man weit eher die intimsten Geheimnisse eines Patienten der Öffentlichkeit preisgeben darf, bei denen er doch unerkannt bleibt, als die harmlosesten und banalsten Bestimmungen seiner Person, mit denen er allen bekannt ist und die ihn für alle kenntlich machen würden.
Entschuldige ich so die arge Verkürzung der Kranken- und Behandlungsgeschichte, so steht mir für die Beschränkung auf einzelne Ergebnisse aus der psychoanalytischen Untersuchung der Zwangsneurose eine noch triftigere Aufklärung zu Gebote. Ich bekenne, daß es mir bisher noch nicht gelungen ist, das komplizierte Gefüge eines schweren Falles von Zwangsneurose restlos zu durchschauen, und daß ich es nicht zustande brächte, diese analytisch erkannte oder geahnte Struktur durch die Auflagerungen der Behandlung hindurch anderen in der Wiedergabe der Analyse sichtbar zu machen. Es sind die Widerstände der Kranken und die Formen von deren Äußerung, welche letztere Aufgabe so sehr erschweren; aber man muß sagen, daß das Verständnis einer Zwangsneurose an und für sich nichts Leichtes ist, viel schwerer als das eines Falles von Hysterie. Eigentlich sollte man das Gegenteil erwarten. Die Mittel, durch welche die Zwangsneurose ihre geheimen Gedanken zum Ausdruck bringt, die Sprache der Zwangsneurose ist gleichsam nur ein Dialekt der hysterischen Sprache, aber ein Dialekt, in welchen uns die Einfühlung leichter gelingen müßte, weil er dem Ausdrucke unseres bewußten Denkens verwandter ist als der hysterische. Er enthält vor allem nicht jenen Sprung aus dem Seelischen in die somatische Innervation — die hysterische Konversion —, den wir mit unserem Begreifen doch niemals mitmachen können.
Vielleicht trägt auch nur unsere geringere Vertrautheit mit der Zwangsneurose die Schuld daran, daß die Wirklichkeit jene Erwartung nicht bestätigt. Die Zwangsneurotiker schweren Kalibers stellen sich der analytischen Behandlung weit seltener als die Hysteriker. Sie dissimulieren auch im Leben ihre Zustände, solange es angeht, und kommen zum Arzt häufig erst in so vorgeschrittenen Stadien des Leidens, wie sie bei der Lungentuberkulose z. B. die Aufnahme in eine Heilstätte ausschließen würden. Ich ziehe aber diesen Vergleich heran, weil wir bei den leichten und den schweren, aber frühzeitig bekämpften Fällen der Zwangsneurose, ganz ähnlich wie bei jener chronischen Infektionskrankheit, auf eine Reihe glänzender Heilerfolge hinweisen können.
Unter solchen Umständen bleibt nichts anderes möglich, als die Dinge so unvollkommen und so unvollständig mitzuteilen, wie man sie weiß und weitersagen darf. Die hier gebotenen, mühselig genug zutage geförderten Brocken von Erkenntnis mögen an sich wenig befriedigend wirken, aber die Arbeit anderer Untersucher mag an sie anschließen, und der gemeinsamen Bemühung kann die Leistung gelingen, die für den einzelnen vielleicht zu schwer ist.
Ein jüngerer Mann von akademischer Bildung führt sich mit der Angabe ein, er leide an Zwangsvorstellungen schon seit seiner Kindheit, besonders stark aber seit vier Jahren. Hauptinhalt seines Leidens seien Befürchtungen, daß zwei Personen, die er sehr liebe, etwas geschehen werde, dem Vater und einer Dame, die er verehre. Außerdem verspüre er Zwangsimpulse, wie z. B. sich mit einem Rasiermesser den Hals abzuschneiden, und produziere Verbote, die sich auch auf gleichgültige Dinge beziehen. Er habe durch den Kampf gegen seine Ideen Jahre verloren und sei darum im Leben zurückgeblieben. Von den versuchten Kuren habe ihm nichts genützt als eine Wasserbehandlung in einer Anstalt bei **; diese aber wohl nur darum, weil er dort eine Bekanntschaft machte, die zu regelmäßigem Sexualverkehr führte. Hier habe er keine solche Gelegenheit, verkehre selten und in unregelmäßigen Intervallen. Vor Prostituierten empfinde er Ekel. Sein Sexualleben sei überhaupt kümmerlich gewesen, Onanie habe nur eine geringe Rolle gespielt, im 16. oder 17. Jahre. Seine Potenz sei normal; erster Koitus mit 26 Jahren.
Er macht den Eindruck eines klaren, scharfsinnigen Kopfes. Von mir befragt, was ihn veranlasse, die Auskünfte über sein Sexualleben in den Vordergrund zu rücken, antwortet er, das sei dasjenige, was er von meinen Lehren wisse. Er habe sonst nichts von meinen Schriften gelesen, aber vor kurzem beim Blättern in einem Buche von mir die Aufklärung sonderbarer Wortverknüpfungen gefunden, die ihn so sehr an seine eigenen »Denkarbeiten« mit seinen Ideen gemahnt hätten, daß er beschlossen habe, sich mir anzuvertrauen.
Nachdem ich ihn am nächsten Tage auf die einzige Bedingung der Kur verpflichtet, alles zu sagen, was ihm durch den Kopf gehe, auch wenn es ihm unangenehm sei, auch wenn es ihm unwichtig, nicht dazugehörig oder unsinnig erscheine, und ihm freigestellt, mit welchem Thema er seine Mitteilungen eröffnen wolle, beginnt er wie folgt:1
Er habe einen Freund, den er außerordentlich hochstelle. Zu dem gehe er immer, wenn ihn ein verbrecherischer Impuls plage, und frage ihn, ob er ihn als Verbrecher verachte. Der Freund halte ihn aufrecht, indem er ihm versichere, daß er ein tadelloser Mensch sei, der sich wahrscheinlich von Jugend auf gewöhnt habe, sein Leben unter solchen Gesichtspunkten zu betrachten. Einen ähnlichen Einfluß habe früher einmal ein anderer auf ihn geübt, ein Student, der 19 Jahre alt war, während er 14 oder 15 Jahre war, der Gefallen an ihm fand und sein Selbstgefühl außerordentlich hob, so daß er sich als Genie vorkommen durfte. Dieser Student wurde später sein Hauslehrer und änderte dann plötzlich sein Benehmen, indem er ihn zum Trottel herabsetzte. Er merkte endlich, daß jener sich für eine seiner Schwestern interessierte und sich mit ihm nur eingelassen habe, um Zutritt ins Haus zu gewinnen. Es war dies die erste große Erschütterung seines Lebens. Er fährt dann wie unvermittelt fort:
»Mein Sexualleben hat sehr früh begonnen. Ich erinnere mich einer Szene aus meinem 4. bis 5. Jahre (vom 6. Jahre an ist meine Erinnerung überhaupt vollständig), die mir Jahre später klar aufgetaucht ist. Wir hatten eine sehr schöne, junge Gouvernante, Fräulein Peter.2 Die lag eines Abends leicht bekleidet auf dem Sofa und las; ich lag neben ihr und bat sie um die Erlaubnis, unter ihre Röcke zu kriechen. Sie erlaubte es, wenn ich niemand etwas davon sagen würde. Sie hatte wenig an, und ich betastete sie an den Genitalien und am Leibe, der mir kurios vorkam. Seitdem blieb mir eine brennende, peinigende Neugierde, den weiblichen Körper zu sehen. Ich weiß noch, mit welcher Spannung ich im Bade, wohin ich noch mit dem Fräulein und den Schwestern gehen durfte, darauf wartete, bis das Fräulein ausgekleidet ins Wasser stieg. An mehr erinnere ich mich vom 6. Jahre an. Wir hatten dann ein anderes Fräulein, auch jung und schön, die Abszesse am Gesäß hatte, welche sie abends auszudrücken pflegte. Ich lauerte auf diesen Moment, um meine Neugierde zu stillen. Ebenso im Bade, obwohl Fräulein Lina zurückhaltender war als die erste.« (Auf eine Zwischenfrage: »Ich schlief nicht regelmäßig in ihrem Zimmer, meist bei den Eltern.) Ich erinnere eine Szene, bei der ich 7 Jahre gewesen sein muß.3Wir saßen am Abend, das Fräulein, die Köchin, ein anderes Mädchen, ich und mein um 1½ Jahre jüngerer Bruder, beisammen. Ich vernahm plötzlich aus dem Gespräch der Mädchen, wie Fräulein Lina sagte: Mit dem Kleinen könne man das schon machen, aber der Paul (ich) sei zu ungeschickt, er werde gewiß danebenfahren. Ich verstand nicht klar, was gemeint war, verstand aber die Zurücksetzung und begann zu weinen. Lina tröstete mich und erzählte mir, daß ein Mädchen, welches etwas Derartiges mit einem ihr anvertrauten Buben gemacht hatte, für mehrere Monate eingesperrt worden sei. Ich glaube nicht, daß sie etwas Unrechtes mit mir angestellt hat, aber ich nahm mir viel Freiheiten gegen sie heraus. Wenn ich zu ihr ins Bett kam, deckte ich sie auf und rührte sie an, was sie sich ruhig gefallen ließ. Sie war nicht sehr intelligent und offenbar geschlechtlich sehr bedürftig. 23 Jahre alt, hatte sie schon ein Kind gehabt, dessen Vater sie später heiratete, so daß sie heute Frau Hofrat heißt. Ich sehe sie noch oft auf der Straße.«
»Ich habe schon mit 6 Jahren an Erektionen gelitten und weiß, daß ich einmal zur Mutter ging, um mich darüber zu beklagen. Ich weiß auch, daß ich dabei Bedenken zu überwinden hatte, denn ich ahnte den Zusammenhang mit meinen Vorstellungen und meiner Neugierde und hatte damals eine Zeitlang die krankhafte Idee, die Eltern wüßten meine Gedanken, was ich mir so erklärte, daß ich sie ausgesprochen, ohne es aber selbst zu hören. Ich sehe hierin den Beginn meiner Krankheit. Es gab Personen, Mädchen, die mir sehr gefielen und die ich mir dringendst nackt zu sehen wünschte. Ich hatte aber bei diesen Wünschen ein unheimliches Gefühl, als müßte etwas geschehen, wenn ich das dächte, und ich müßte allerlei tun, um es zu verhindern.«
(Als Probe dieser Befürchtungen gibt er auf Befragen an: »Z.B. mein Vater würde sterben.«) »Gedanken an den Tod des Vaters haben mich frühzeitig und durch lange Zeit beschäftigt und sehr traurig gestimmt.«
Ich vernehme bei dieser Gelegenheit mit Erstaunen, daß sein Vater, um den sich doch seine heutigen Zwangsbefürchtungen kümmern, schon vor mehreren Jahren gestorben ist.
Was unser Patient in der ersten Stunde der Behandlung aus seinem 6. oder 7. Jahre schildert, ist nicht nur, wie er meint, der Beginn der Krankheit, sondern bereits die Krankheit selbst. Eine vollständige Zwangsneurose, der kein wesentliches Element mehr abgeht, zugleich der Kern und das Vorbild des späteren Leidens, der Elementarorganismus gleichsam, dessen Studium allein uns das Verhältnis der komplizierten Organisation der heutigen Erkrankung vermitteln kann. Wir sehen das Kind unter der Herrschaft einer sexuellen Triebkomponente, der Schaulust, deren Ergebnis der mit großer Intensität immer wieder von neuem auftretende Wunsch ist, weibliche Personen, die ihm gefallen, nackt zu sehen. Dieser Wunsch entspricht der späteren Zwangsidee; wenn er den Zwangscharakter noch nicht hat, so kommt dies daher, daß das Ich sich noch nicht in vollen Widerspruch zu ihm gesetzt hat, ihn nicht als fremd verspürt, doch regt sich bereits von irgendwoher ein Widerspruch gegen diesen Wunsch, denn ein peinlicher Affekt begleitet regelmäßig das Auftauchen desselben.4 Ein Konflikt ist offenbar in dem Seelenleben des kleinen Lüsternen vorhanden; neben dem Zwangswunsch steht eine Zwangsbefürchtung innig an den Wunsch geknüpft: sooft er so etwas denkt, muß er fürchten, es werde etwas Schreckliches geschehen. Dies Schreckliche kleidet sich bereits in eine charakteristische Unbestimmtheit, die fortan in den Äußerungen der Neurose niemals fehlen wird. Doch ist es beim Kinde nicht schwer, das durch solche Unbestimmtheit Verhüllte aufzufinden. Kann man für irgend eine der verschwommenen Allgemeinheiten der Zwangsneurose ein Beispiel erfahren, so sei man sicher, dies Beispiel ist das Ursprüngliche und Eigentliche selbst, das durch die Verallgemeinerung versteckt werden sollte. Die Zwangsbefürchtung lautete also, ihrem Sinne nach wiederhergestellt: »Wenn ich den Wunsch habe, eine Frau nackt zu sehen, muß mein Vater sterben.« Der peinliche Affekt nimmt deutlich die Färbung des Unheimlichen, Abergläubischen an und gibt bereits Impulsen den Ursprung, etwas zur Abwendung des Unheiles zu tun, wie sie sich in den späteren Schutzmaßregeln durchsetzen werden.
Also: ein erotischer Trieb und eine Auflehnung gegen ihn, ein (noch nicht zwanghafter) Wunsch und eine (bereits zwanghafte) ihr widerstrebende Befürchtung, ein peinlicher Affekt und ein Drang zu Abwehrhandlungen; das Inventar der Neurose ist vollzählig. Ja, es ist noch etwas anderes vorhanden, eine Art von Delir- oder Wahnbildung sonderbaren Inhalts: die Eltern wüßten seine Gedanken, weil er sie ausspreche, ohne sie selbst zu hören. Wir werden kaum irregehen, wenn wir in diesem kindlichen Erklärungsversuch eine Ahnung jener merkwürdigen seelischen Vorgänge vernehmen, die wir unbewußte heißen und deren wir zur wissenschaftlichen Aufhellung des dunklen Sachverhaltes nicht entraten können. »Ich spreche meine Gedanken aus, ohne sie zu hören«, klingt wie eine Projektion nach außen unserer eigenen Annahme, daß er Gedanken hat, ohne etwas von ihnen zu wissen, wie eine endopsychische Wahrnehmung des Verdrängten.
Wir erkennen es nämlich klar: Diese infantile Elementarneurose hat bereits ihr Problem und ihre scheinbare Absurdität wie jede komplizierte Neurose eines Erwachsenen. Was soll es heißen, daß der Vater sterben muß, wenn im Kinde jener lüsterne Wunsch rege wird? Ist das barer Unsinn, oder gibt es Wege, diesen Satz zu verstehen, ihn als notwendiges Ergebnis früherer Vorgänge und Voraussetzungen zu erfassen?
Wenn wir anderswo gewonnene Einsichten auf diesen Fall von Kinderneurose anwenden, so müssen wir vermuten, daß auch hier, also vor dem 6. Jahre, traumatische Erlebnisse, Konflikte und Verdrängungen vorgefallen sind, die selbst der Amnesie verfielen, aber als Residuum diesen Inhalt der Zwangsbefürchtung zurückgelassen haben. Wir werden späterhin erfahren, wieweit es uns möglich ist, diese vergessenen Erlebnisse wiederaufzufinden oder mit einiger Sicherheit zu konstruieren. Unterdes wollen wir noch als ein wahrscheinlich nicht gleichgültiges Zusammentreffen betonen, daß die Kindheitsamnesie unseres Patienten gerade mit dem 6. Jahre ihr Ende erreicht.
Einen derartigen Beginn einer chronischen Zwangsneurose in der frühen Kindheit mit solch lüsternen Wünschen, an die unheimliche Erwartungen und Neigung zu Abwehrhandlungen geknüpft sind, kenne ich von mehreren anderen Fällen. Er ist absolut typisch, wenn auch wahrscheinlich nicht der einzig mögliche Typus. Noch ein Wort über die sexuellen Früherlebnisse des Patienten, ehe wir zum Inhalte der zweiten Sitzung übergehen. Man wird sich kaum sträuben, sie als besonders reichhaltig und wirkungsvoll zu bezeichnen. So ist es aber auch in den andern Fällen von Zwangsneurose, die ich analysieren konnte. Der Charakter der vorzeitigen sexuellen Aktivität wird im Gegensatze zur Hysterie hier niemals vermißt. Die Zwangsneurose läßt viel deutlicher als die Hysterie erkennen, daß die Momente, welche die Psychoneurose formen, nicht im aktuellen, sondern im infantilen Sexualleben zu suchen sind. Das gegenwärtige Sexualleben der Zwangsneurotiker kann dem oberflächlichen Erforscher oft völlig normal erscheinen; es bietet häufig weit weniger pathogene Momente und Abnormitäten als gerade bei unserem Patienten.