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WEIHNACHTSBALL MIT DEM DUKE von BRONWYN SCOTT Woher kommt bloß der unerhörte Gedanke, Lady Viola zu verführen? Vale Penrith, der mit der begehrten Schönheit auf dem Dezemberball tanzt, brennt vor Verlangen, sie zur Seinen zu machen! Vielleicht nur eine heiße Winternacht lang – vielleicht aber auch für immer … WIE VERFÜHRT MAN EINEN DUKE? von ANN LETHBRIDGE Der Duke of Dunstan verflucht den Tag, an dem er Julia zu der Seinen gemacht hat! Denn eine Familienfehde verbietet ihm, mit ihr das Ehebett zu teilen. Er darf keine Nachkommen zeugen! Und doch brennt in Alistair ein unbezähmbares Verlangen – vor allem, wenn er die lodernde Leidenschaft in Julias Augen sieht … NUR EINE NACHT MIT DR. SANTINI von CAROL MARINELLI Dr. Elias Santini traut seinen Augen nicht: Vor ihm liegt die bezaubernde Beth, mit der er vor Monaten eine unvergessliche Nacht verbracht hat – und bringt sein Kind zur Welt! Wie wird sie erst reagieren, wenn sie erfährt, dass er nicht nur Arzt, sondern auch noch Thronfolger eines kleinen Landes ist? WO DAS GLÜCK GEBOREN WIRD von ROBIN GIANNA Die junge Hebamme Gabriella ist fassungslos: Bei Dr. Rafael Moreno ist selbst die launischste Diva in der Hollywood Hillc Clinic sanftmütig! Gabriella braucht diesen neuen, umwerfend attraktiven Chefarzt nicht auf ihrer Station – oder doch?
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Seitenzahl: 893
Cover
Titel
Inhalt
Weihnachtsball mit dem Duke
Cover
Titel
Impressum
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
10. KAPITEL
11. KAPITEL
12. KAPITEL
13. KAPITEL
14. KAPITEL
15. KAPITEL
16. KAPITEL
EPILOG
Wie verführt man einen Duke?
Cover
Titel
Impressum
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
10. KAPITEL
11. KAPITEL
12. KAPITEL
13. KAPITEL
14. KAPITEL
15. KAPITEL
EPILOG
Nur eine Nacht mit Dr. Santini
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Titel
Impressum
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
10. KAPITEL
11. KAPITEL
12. KAPITEL
13. KAPITEL
14. KAPITEL
15. KAPITEL
16. KAPITEL
Wo das Glück geboren wird
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1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
10. KAPITEL
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Contents
IMPRESSUM
Weihnachtsball mit dem Duke erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2017 by Nikki Poppen Originaltitel: „Dancing With The Duke’s Heir“ erschienen bei: Mills & Boon, London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe Historical Saison , Band 59 Übersetzung: Barbara Kesper
Umschlagsmotive: Sysqfilms, LiuSol, ppart/GettyImages
Veröffentlicht im ePub Format in 09/2021
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck
ISBN 9783751508520
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Donnerstag, 24. Dezember 1818, Heiligabend
W eihnachten. Wieder einmal. Das vierte Fest ohne seinen Vater, ohne seinen Bruder. Tief die frische, kalte Winterluft einatmend stieg Vale Penrith aus dem warmen Reisewagen. Seine Stiefel knirschten auf der dünnen Schicht frisch gefallenen Schnees. Lumi würden die Samen dazu sagen, das Volk in Lappland, das sein letztes anthropologisches Studienobjekt war. Später würde der Schnee vielleicht viti werden, das war Pulverschnee, oder mit weniger Glück zu iljanne , eine Eisschicht mit einer trügerischen Lage Schnee darüber. Vale schaute kurz zu den grauen Wolken auf und schickte ein Gebet himmelwärts. Er musste einfach nur die nächsten zwölf Tage hinter sich bringen. Wenigstens war er dabei nicht allein.
Vale beugte sich ins Wageninnere und bot seiner Mutter die rechte Hand. Margot Penrith kletterte heraus – eine zerbrechliche, wunderschöne Schneekönigin, zierlich und elegant, in teure Pelze gehüllt. Der Ausdruck ihrer hellblauen Augen spiegelte seine eigenen Gedanken: sie beide sollten gar nicht hier sein. Nicht als eine zerstörte Familie, zwei Trauernde, Witwe und unvorhergesehener Erbe, die den Verlust des geliebten Gemahls und den des bewunderten Bruders beklagten. Nie hätte er gedacht, dass er einmal Erbe und Nachfolger seines Onkels des Duke of Brockmore sein würde, ein Nachfolger, der sich für wenig geeignet hielt, das Vermächtnis anzutreten. Aus Gewissensgründen war er, wenn die Umstände es forderten, Politiker; Anthropologe war er aus freier Wahl. Ein Duke war er nicht.
Er reichte seiner Mutter den Arm, und sie erklommen gemeinsam die Freitreppe zu dem imposanten zweiflügeligen Portal, das schon mit Immergrün bekränzt war. Die einen mochten das einladend finden, vermutete Vale, andere, wie er etwa, betrachteten es als Mahnung zur Vorsicht. In beiden Fällen war die Botschaft dieses Grünschmucks die gleiche: In dem Moment, da man durch diese Türen trat, begann die Weihnachtszeit. Die Gäste durften erwarten, dass der Duke und die Duchess of Brockmore die Feiertage voll ausschöpften. Sein Onkel und seine Tante machten keine halben Sachen.
In der Halle war es warm. Aus dem Salon drang heiteres Stimmengewirr zusammen mit dem Duft von gewürztem Tee und frisch gebackenem Kuchen. Kaum hatte der Butler ihnen die Mäntel und Pelze abgenommen, als auch schon Onkel Marcus erschien; mit seinem dichten silbergrauen Haar, untadelig gekleidet, sichtlich gesund und rüstig, eilte er ihnen mit ausgebreiteten Armen entgegen und begrüßte sie herzlich mit dröhnender Stimme. Zuerst umfing er Vales Mutter. „Margot, meine liebe Schwägerin! Du bist hier, und gerade rechtzeitig! In ungefähr einer Stunde fangen wir an, die Räume mit Immergrün zu schmücken. Alicia wird so froh sein, dass ihr es geschafft habt. Zu dieser Jahreszeit weiß man ja nie, wie die Straßen sind.“ Er wandte sich Vale zu und musterte ihn aus scharfen blauen Augen einen Moment anerkennend von Kopf bis Fuß. „Mein Junge, wie schön, dich zu sehen“, sagte er schlicht und umarmte auch ihn herzlich. Vale drückte ihn ebenfalls. Eine kurze Minute war er nicht der Erbe, sondern einfach ein geliebter Neffe, und dieser Mann war nicht der einflussreiche, mächtige Brockmore, sondern sein Onkel, der Bruder seines Vaters, das lebende Glied zu dem Vater, den er verloren hatte. Und Vale kostete das Gefühl aus.
Wie aus dem Nichts erschien Tante Alicia, in ein modisches türkisblaues Ensemble gehüllt, hochgewachsen und königlich, ganz wie Vale sie in Erinnerung hatte. Sie hakte sich bei seiner Mutter unter, nahm die zarte Margot unter ihre gastlichen Fittiche und führte sie in den berühmten Blauen Salon von Brockmore Manor, zog sie mitten hinein in das gesellige Beisammensein mit seinem Geplauder und den neuesten Gerüchten. Onkel Marcus legte ihm eine Hand fest auf die Schulter. „Komm, da sind ein paar Leute, mit denen ich dich bekannt machen möchte.“
Brockmore führte ihn durch den Raum, stellte ihm einige der Gäste vor: den goldblonden Aubrey Kenelm mit den blauen Augen, Erbe des Marquess of Durham, die gemessene Brünette Lady Anne Lowell, Tochter des Earl of Blackton, die der Duke ihm mit einem gewissen Funkeln im Blick präsentierte. Bei diesem Funkeln empfand Vale ein kleines warnendes Erschauern. Sein Onkel war berüchtigt für seine Ehen stiftenden Partys. Vale hegte nicht den Wunsch, seinem Onkel als nächstes derartiges Projekt zu dienen. Er grüßte jede Dame mit höflichem Nicken, sorgsam bemüht, zu Lady Anne nicht zu höflich zu sein, während er deren Gesellschafterin Marianne Pletcher ein herzliches Lächeln schenkte, da diese für ihn aufgrund ihrer Stellung nicht als potenzielle Braut infrage kam.
Genau die Art Leute hatte er hier zu treffen erwartet. Leute, die zum Kreis seines Onkels gehörten. Gebildet, wohlerzogen, begütert, mit Hoffnungen auf einen vorteilhaften ehelichen Bund. Doch bevölkerte, wie er bemerkte, auch eine andere Art Gäste den Salon – war sogar in der Überzahl. Da war Miss Rose Burnham, eine entschieden hübsche junge Dame aus guter Familie, deren Vater ins Unglück geraten war und ihr als Mitgift nichts als ihr gutes Aussehen hinterlassen hatte; Matthew Eaton, der Sohn des in der Nachbarschaft ansässigen Barons, der bisher nie Eingang in die Londoner Gesellschaft gefunden hatte, jedoch charmant und gut aussehend war, trotz fehlender echter Aussichten. Das waren nicht die typischen Gäste, die man sonst auf Brockmore Manor fand. Zuletzt führte sein Onkel ihn zu einem Gentleman über die mittleren Jahre hinaus, der allein in einer Ecke saß.
Der Mann erhob sich zur Begrüßung, und Onkel Marcus legte ihm voller Zuneigung eine Hand auf die Schulter. „Silas Arthur, Lord Truesdale, dies ist mein Neffe Vale Penrith.“
Vale sah, wie in den müden Augen des Mannes Erkennen aufflammte. „Ah, Penrith. Der Erbe.“ Langsam hasste Vale diesen Titel, das permanente Symbol für all die Ereignisse, durch die dieses Etikett ihm zugefallen war.
Sie machten ein wenig Konversation, ehe sein Onkel sie beide entschuldigte. Während sie sich entfernten, murmelte er ihm ins Ohr: „Silas verlor vor zwei Jahren seine Frau.“ Mit rauer Herzlichkeit drückte er ihm die Schulter und zwang ihn, ihn anzuschauen. „Du bist nicht der Einzige hier, der trauert, mein Junge.“ Dabei huschte ein Ausdruck tiefer Traurigkeit über sein Gesicht, und Vale erinnerte sich daran, dass Onkel Marcus einen Bruder verloren hatte, nicht anders als auch er selbst. Und doch merkte man es nur in solchen knappen unbedachten Momenten. Er neidete seinem Onkel diese Fähigkeit, sein Leben weiterzuleben. Er selbst war dazu bisher nicht imstande. Vielleicht wollte er es auch gar nicht. Vielleicht wollte er einfach, dass die Zeit am einundzwanzigsten April 1814 stehengeblieben wäre, denn dann würden sein Vater und R. J. noch leben.
Sein Onkel, aus dessen Blick die flüchtige Trauer gewichen war, führte ihn zu der Gruppe beim Kamin. „Du wirst die anderen jungen Männer kennenlernen wollen“, meinte er. „Sie sind alle sehr nett. Ich denke, Kenelm und Eaton werden dir besonders gefallen. In Kürze treffen noch ein paar andere ein.“ Er blinzelte ihm zu und gab ihm einen letzten Klaps auf die Schulter. „Amüsiere dich, Vale.“ Seine Augen blitzten schelmisch. „Glaube mir, ich weiß sehr wohl, dass du dich lieber in London mit deinen Studien in deiner Bibliothek verkriechen und versuchen möchtest, die Welt einfach zu ignorieren. Das Leben geht weiter, ob du willst oder nicht. Also kannst du es auch genauso gut genießen. Betrachte das als mein Weihnachtsgeschenk für dich.“
Nicht nur für mich, dachte Vale, während Kenelm zur Seite rückte, um ihm in dem Kreis beim Kamin Platz zu machen. Es erklärte diese bunte Mischung der Gäste: der einsame Witwer in seiner Ecke, die hübsche verzweifelte Debütantin, der Sohn des hinterwäldlerischen Barons, der trotz seiner Fähigkeiten ohne Anschub eines mächtigen Mentors nie dem ländlichen Umfeld entkommen würde. Die Liste war noch länger. Ihnen allen schenkte sein Onkel eine Chance – Rose Burnham die Chance, sich gut zu verheiraten, Lord Truesdale die Chance, ein neues Leben zu beginnen, Matthew Eaton die Chance, dank der eigenen Fähigkeiten über das beschränkende Landleben hinauszuwachsen. Und die Chance, froh und lebensvoll zu sein, wenn du Vale Penrith warst und seit fast vier Jahren innerlich wie tot.
Am Eingang zum Salon klatschte sein Onkel Aufmerksamkeit heischend in die Hände. „Liebe Gäste, einen Moment bitte!“ Er wartete, bis Stille eintrat. Tante Alicia begab sich mit grüßendem Lächeln an die Seite ihres Gemahls. „Wir möchten Sie über die Feiertage auf Brockmore Manor willkommen heißen. Wir haben diverse Vergnügungen geplant, von Schlittschuhlaufen bis zu einem Winterjahrmarkt und einem Maskenball am Dreikönigstag. Es soll für Sie alle eine Weihnachtszeit werden, die Ihnen unvergessen bleibt.“ Aufgeregtes Raunen ging durch den Raum. Brockmore bat erneut um Schweigen. „Die immergrünen Zweige liegen bereit. Auf zum Kränzewinden und Schmücken! Lasst die Weihnachtszeit beginnen.“
Applaus und Hochrufe hallten durch den Salon. Kenelm, der neben Vale stand, legte schon gutmütig seinen Gehrock ab, bereit, sich an die Arbeit zu machen. „Die Damen werden uns brauchen, wenn es schwere Dinge zu tragen gibt.“ Er grinste und knuffte Matthew Eaton mit dem Ellenbogen in die Seite, als wären sie die besten Freunde, obwohl sie sich doch erst vor einer Stunde kennengelernt hatten. Mit der anderen Hand fasste er Vales Arm. „Kommen Sie, ich übernehme den Korridor, Sie und Matthew das Treppenhaus.“ Und so fand Vale sich plötzlich dabei, das Geländer mit immergrünen Girlanden zu dekorieren, ohne eine Möglichkeit, sich in sein Zimmer zu stehlen, um seine Bücher auszupacken. Er musste für den Vorstand des Britischen Museums einen Bericht schreiben, über Lappland und die Geheimnisse des Nordens. Sein Onkel hatte recht. Lieber säße er nun heimelig in seiner Bibliothek, wo niemand ihn behelligte, anstatt mitten im Festtagstrubel zu stecken. Aber es war zu spät, einen Rückzieher zu machen. Der Bericht würde warten müssen.
Nur noch eine halbe Spanne und ich hab’s. Sie konnte jetzt nicht aufgeben, nicht, wenn sie es beinahe geschafft hatte. Lady Viola Hawthorne stand, ein Büschel Mistelzweige an seinem Band haltend, in der Halle auf der obersten Leiterstufe und reckte sich hoch auf die Zehenspitzen, um den glitzernden Kristalltropfen in der Mitte des vielarmigen Kronleuchters zu erreichen. Fast … hab ich’s.
Sie versuchte sich auszubalancieren, und die Standleiter schwankte gefährlich. Von ihrem Gezappel angelockt, sammelten sich gute drei Meter unter ihr am Fuß der Leiter die anderen jungen Leute, die gemeinsam mit ihr die Halle schmückten. Aus dem Augenwinkel entdeckte sie eine hohe Gestalt, die rasch die breite Treppe hinuntereilte. Gleich darauf wurde die Leiter von kräftigen Händen gepackt, gefolgt von nicht weniger kräftigen tadelnden Worten: „Kommen Sie sofort herunter! Wollen Sie sich den Hals brechen?“ Sie wagte nicht nachzusehen, wer da unten stand, sonst würde sie die Courage verlieren. Glaubte dieser Nörgler etwa, sie wäre nicht schon zu dem gleichen Schluss gekommen? Nur hatte sie schlicht entschieden, die Gefahr zu ignorieren. Vorsicht walten zu lassen passte nicht in ihre Pläne. Vorsichtige Mädchen verbannte man nicht von Hauspartys.
Laut und kühn lachte sie. „Niemals!“ Die Mahnung des Spaßverderbers spornte sie weiter an, sodass sie sich, einer Ballerina gleich, noch höher auf die Zehen reckte, bis der Saum ihres Kleids so hoch rutschte, dass man ihre Knöchel sah … und einiges mehr. Hoch auf einer Leiter konnte man sich tatsächlich außerordentlich anstößig aufführen, und genau das war ihre Absicht. Genau deshalb trug sie seidene Strümpfe mit roten Strumpfbändern und sonst nichts unter ihrem Kleid. Im Augenblick jedoch interessierte sie sich weniger für das, was die jungen Männer da unten erspähen könnten, sondern mehr für ihre knifflige Aufgabe. Höher konnte sie sich nicht recken. Nicht den Bruchteil einer Spanne mehr. Außer …
Näher an den Lüster kam sie nicht heran, aber der Lüster könnte näher zu ihr kommen. Mit den Fingerspitzen erreichte sie knapp den ihr nächsten Arm des Kronleuchters, sodass sie ihn antippen konnte. Also versetzte sie den großen Lüster in Schwingungen, ganz leicht zuerst, dann noch ein Schubs, doch nicht zu heftig, denn sie wollte nicht, dass das schwere Ding sie traf und von der Leiter warf. Nun musste sie nur den rechten Moment abpassen und …
„Geschafft!“, rief sie, während sie, als der Leuchter beim dritten Mal auf sie zu schwang, das Band, das die Mistelzweige zusammenhielt, über den baumelnden Kristalltropfen hakte.
Die Gäste unten klatschten wild Beifall, alle, außer dem missbilligenden Leiterhalter. Doch der war ihr egal. Sie hatte keine Zeit für Spaßverderber. Halbwegs die Leiter hinunter verharrte sie kurz und vollführte vor ihrem bewundernden Publikum eine verschnörkelte Verneigung und rief: „Fangt mich!“
Sie ließ die Leiter los. Alle keuchten unisono auf, als sie fiel, kurzes Wirrwarr, einige stürzten vor, um die Leiter festzuhalten, und dann lag sie in seinen Armen – in den Armen eines starken, aber auch zornigen Mannes. Er war keineswegs so amüsiert über dieses Finale wie die anderen. Als er sie auf dem Boden absetzte, blickten seine blauen Augen gewittergleich. „Sie kleine Närrin! Kennen Sie keine Vorsicht? Ist Ihnen Ihr Leben so wenig wert, dass Sie es wegwerfen wegen eines billigen Kunststücks? Oder das Leben der anderen Gäste? Die haben Sie auch in Gefahr gebracht! Was wäre denen wohl passiert, wenn die Leiter umgefallen oder der Kronleuchter plötzlich hinabgestürzt wäre?“ Er gab sich keine Mühe, die Stimme zu senken, und sein eisiger Ton ließ die Leichtigkeit erstarren, die sie sich als Haltung verordnet hatte.
„Wer zur Hölle sind Sie, dass Sie mir vorschreiben, was ich zu tun oder zu lassen habe?“ Die Hände wütend in die Hüften gestützt, musterte sie ihn provozierend von seinen stahlharten blauen Augen bis zu seinen langen Beinen. Wie konnte er wagen, sie öffentlich zu rügen, als wäre sie ein unartiges Kind? Und schlimmer noch, wie konnte er wagen, ihr die Aufmerksamkeit zu stehlen?
„Ich bin Vale Penrith, Brockmores Neffe. Dies ist ebenso mein Heim wie das meines Onkels. Ich werde nicht zusehen, wie es als Bühne für unüberlegte Streiche benutzt wird.“
Der Erbe. Na, gut gemacht! Das war selbst für sie eine Glanzleistung. Sie war noch nicht ganz zwei Stunden hier, und schon war es ihr gelungen, Brockmores Nachfolger einen Blick unter ihre Röcke zu verschaffen. Das war nicht gut. Einen Augenblick wurde sie von uncharakteristischer Panik übermannt. Ihre noch auf der Anreise befindlichen Eltern würden toben, falls sie es erfuhren. Sicher, sie wollte sie wütend genug machen, um von ihnen heimgeschickt zu werden, fort aus der Gefahrenzone des Ehestiftens. Doch mit ihrer Eskapade auf der Leiter hatte sie sich selbst einen Fallstrick gelegt. Auf keinen Fall wollte sie, dass ihre Eltern einen kompromittierenden Skandal nutzten, um sie mit einer so verlockenden Beute wie Brockmores Erben vor den Altar zu zerren. Dann könnte mein Plan ziemlich ins Auge gehen, überlegte Viola. Eben dem Altar wollte sie ja unbedingt ausweichen.
Ablenkung! Sie musste etwas anstellen, das diese Eskapade auf der Leiter noch übertraf, etwas, das stattdessen zum Gesprächsthema werden würde. Herausfordernd funkelte sie den imponierenden, hochgewachsenen Penrith mit dem zornigen Blick und den starken Armen an, ehe sie sich den anderen zuwandte. „Wir stehen unterm Mistelzweig, und ihr wisst alle, was das bedeutet!“ Und schon zog sie den jungen Mann, der am nächsten stand, zu sich heran – es war Matthew Eaton – und küsste ihn voll auf den Mund, ein prächtiger Kuss mit geöffneten Lippen, den sie lange genug ausdehnte, dass jeder es mitbekam. Es war kein züchtiger Kuss auf die Wange oder ein höfliches Küsschen mit trockenen, kühlen Lippen.
Viola trat zurück und breitete weit die Arme aus. „Der erste Weihnachtskuss!“ Die Gäste jubelten begeistert Und schon hatte sie wieder die Aufmerksamkeit für sich. Über die Schulter warf sie Penrith ein siegreiches Grinsen zu, doch er war schon wieder die Treppe hinaufgegangen, um dort die letzten großen Schleifen an den Girlanden anzubringen – in sie zum Wahnsinn treibenden akkuraten Abständen, zweifellos dank des Maßbandes, das er vermutlich … im Kopf hatte.
P unkt sieben Uhr stand Vale Penrith in seiner ganzen Perfektion im Salon vor ihr, verneigte sich und bot ihr den Arm, um sie zum Dinner zu geleiten. Er war makellos in dunklen Abendanzug und gestärktes weißes Hemd gekleidet, das Krawattentuch tadellos geknotet und ganz genau in der Mitte der akkurat gelegten Falten steckte eine Rubinnadel. Vermutlich hatte er auch dafür ein Messgerät im Kopf. Selbst sein Haar, dunkelblond und wohl sein einziger Bruch mit der Konvention, da es erstaunlich viel länger war als das der meisten Männer, wurde im Nacken von einem vorbildlich gebundenen schwarzen Band gehalten. Jedes einzelne Härchen war an seinem Platz.
Viola wollte etwas an ihm in Unordnung bringen. Vielleicht eine Strähne aus seinem Zopf zupfen oder diese Krawattennadel ein wenig anstupsen, damit sie schief saß. Oder vielleicht größere Verheerung anrichten, wie etwa beim Dinner Rotwein über sein weißes Hemd gießen. Was jedoch wegen des ‚Zwischenfalls‘ in der Halle nicht ging. Er würde glauben, es sei ihre Rache dafür und nicht eine heftige Rebellion gegen seine Vollkommenheit. Nein, Rotwein … da würde sie kleinlich wirken. Sie würde sich etwas anderes überlegen müssen.
Also konnte sie im Moment nichts tun, als seinen Arm zu nehmen und ebenso höflich-kühl aufzutreten wie er, so, als wären sie nicht kurz zuvor in der Halle aneinandergeraten, als hätte nicht einer von ihnen – und nicht etwa sie selbst! – versucht, den anderen öffentlich zu demütigen. Wenn er tun konnte, als wäre dieser Zwischenfall nicht geschehen, würde ihr das doch gewiss auch gelingen. Zumindest nach außen. Sie war willens, den Schein zu wahren. Aber nicht willens zu vergessen.
Sie reihten sich in die Schlange zum Speisesalon ein, das dritte Paar nach dem Duke und ihrer Mutter und der Duchess und ihrem Vater; hinter ihnen kamen Anne Lowell und Aubrey Kenelm. Wenigstens dafür konnte sie dankbar sein. Kenelm würde an ihrer anderen Seite sitzen, um so der öden Konversation mit Penrith entgegenzuwirken. Guter Gott, worüber nur würden sie zwei Stunden lang reden? Wenn in der Halle der sichere Umgang mit Leitern von höchster Wichtigkeit war, konnte sie sich schon seine Besorgnis bezüglich des Essensvorgangs ausmalen: die sichere Handhabung von Messern, die Gefahren offener Flammen und heißen Wachses? Sie betraten den Speisesalon und jeder Gedanke an Konversation war vergessen. Die Dekoration der Dinnertafel war von erlesener Eleganz, alles verströmte atemberaubend raffinierten Luxus.
Viola war an Opulenz gewöhnt. Ihr Vater, der Duke of Calton, war steinreich, doch selbst wenn man mit Luxus vertraut war, trübte das nicht die Eleganz des offiziellen Anlässen vorbehaltenen Speisesalons von Brockmore Manor, der mit all dem Pomp eines herzoglichen Weihnachtsbanketts ausgestattet war. Auf der langen, glänzend polierten Tafel prangten in regelmäßigen Abständen drei achtarmige Kandelaber aus schwerem Silber, deren dicke weiße Kerzen ihr schimmerndes Licht über die geschliffenen Kristallkelche und das wunderschöne goldgeränderte Porzellan mit dem Muster aus roten Beeren warfen.
Der Raum duftete sogar lieblich, wie Winter und Weihnachten vereint, dank der geschmackvoll ringsum verteilten Arrangements aus Tannengrün sowie Rosmarin- und Lorbeerzweigen. Während sie in der Halle in sichtlichem Überschwang von Festfreude auf der Leiter herumgeklettert war und für ein Büschel Mistelzweige Leib und Leben riskiert hatte, hatte jemand anders für den dezenten Schmuck des Speisesalons gesorgt. Vermutlich eine der älteren Damen.
Dezentes Auftreten allerdings strebte Viola nicht an, wenn sie es auch in diesem Fall billigte. Ihre Robe ergänzte in Stil und Farben nämlich die Ausstattung perfekt. Nun war sie sogar froh, dass ihre Mutter ihr dieses Kleid so hartnäckig anbefohlen hatte – eine exquisite, hochmodische Robe, wie sie sich nur die Tochter eines Dukes leisten konnte.
Sich derart ausgestellt zu sehen, weckte allerdings stets ihren Argwohn. Ihre Mutter empfahl ihr solche Gewänder nicht ohne Grund. Während Penrith ihr den Stuhl zurechtrückte, musterte Viola ihn aus dem Augenwinkel, betrachtete ihn mit den ihrer Eltern, die sie so unbedingt unter die Haube bringen wollten: hochgewachsen, in ihren Augen vielleicht gut aussehend; das Kerzenlicht schmeichelte ihm, betonte seine aristokratischen Züge, die hohen Wangenknochen und die edel geformte Nase. Doch das änderte nichts daran, dass er die Persönlichkeit eines Langweilers hatte und dass eine Ehe für immer war.
Allein der Gedanke ‚für immer‘ ließ sie schaudern. Für immer mit einem Langweiler? Das war absolut undenkbar, gleich wie viel Geld er hatte. Es bestätigte all die Gründe, aus denen sie der Ehe so von Herzen auswich. Sie würde ihr Leben nicht den Launen eines Mannes anvertrauen. Es wäre das Ende ihrer Träume: den Kontinent bereisen, Musik studieren, in Wien, wo sich eine Frau, wie sie gehört hatte, größerer Freiheiten erfreuen konnte. Für sie war die Ehe nichts anders als die Versklavung der Frau. Versklavung durch einen Langweiler.
Sorgfältig ihre Röcke raffend, ließ sie sich nieder und schenkte Penrith für seine Mühe ein höfliches Lächeln. Mehr wagte sie nicht, um nicht die Hoffnungen ihrer Eltern zu wecken. Mädchen, die das Interesse eines herzoglichen Erben gewannen, wurden nicht von Partys verbannt. Sie konnte sich vorstellen, was in den Köpfen ihrer Eltern vorging. Zweifellos beobachteten sie sie heimlich und jubilierten. Ihre Tochter wurde von Brockmores Nachfolger zum Dinner geführt, eine höchst glückliche Fügung. Die nicht in ihrer Hand gelegen hatte, auf die sie aber bestimmt gehofft hatten.
Viola wusste sehr gut, warum sie eingeladen worden waren: Ihre Eltern hatten Brockmore darum gebeten. Sie war einundzwanzig, und nach Ansicht ihrer Eltern blieb ihr bald keine Wahl mehr, da sie während der letzten drei Jahre fast alle geeigneten Männer des ton verscheucht hatte. Töchtern von Herzögen mangelte es nie an Bewerbern um ihre Hand. Viola ließ ihren Blick die Tafel entlangwandern und begutachtete die versammelten Gäste. Es gab da eine Menge sehr verzweifelte Leute. Sich selbst zählte sie nicht dazu. Sie war nicht verzweifelt auf Heirat aus. Sie suchte verzweifelt nach Freiheit.
Alles entwickelte sich ganz genau so, wie sie es vor drei Jahren geplant hatte, als sie debütierte. Wenn sie sich noch ein weiteres Jahr so empörend aufführte, würde sie als ausgemustert gelten, unmöglich zu verheiraten. Dann konnte sie das Leben führen, das ihr vorschwebte, ohne von einem Ehemann gehindert zu werden oder den Schein wahren zu müssen. Wenn es ihr gelang, bis spätestens Neujahr von der Anwesenheit hier ‚höflich entbunden‘ zu werden, konnte sie am Dreikönigstag schon wieder daheim sein und mit ihren Freunden feiern, indem sie ihre neueste Komposition zu Gehör brachte.
„Lady Viola“, hörte sie Penriths dunkle Stimme, als ihnen die Rebhuhnsuppe serviert wurde. Auf dem herzoglichen Landsitz wurde jedes Gericht einzeln serviert, nicht, wie es oft noch üblich war, alle Gerichte eines Ganges auf der Tafel angerichtet. „Sie sind also das Mädchen, das sich von Kornleuchtern schwingt.“ Selbst in der Übertreibung klang noch frostige Missbilligung mit.
„Ja.“ Sie gönnte ihm ein breites neckendes Lächeln und einen flirtenden Blick, denn das würde ihn unendlich ärgern. „Und Sie sind der Mann, der es zu Tisch führt. Wie fühlen Sie sich dabei?“ Wahrscheinlich störte es ihn ziemlich, dass er in all seiner Vollkommenheit mit einem so verrückten Ding wie ihr, wenn auch nur ein Dinner lang, verbunden sein sollte. Ärger oder nicht, er ließ es sich nicht anmerken.
Gleichmütig zuckte er die Achseln. Vermutlich machte er das öfter – sich neutral geben. Es ersparte ihm eigene Meinungen und Gefühle. „Es liegt nicht in meiner Hand. Die Götter der gesellschaftlichen Gepflogenheiten bestimmen vorher, wer wessen Tischpartner ist.“
Die Reaktion enttäuschte sie. Er war aufreizend korrekt, aufreizend unerschütterlich. Aufreizend leer . Dumme Männer hatten wenigstens irgendetwas in ihrem Kopf, selbst wenn es geistlos war. Das gab den Ausschlag. Irgendwie würde sie ihn auf die Palme bringen, noch ehe das Dinner vorbei war. Damit würde sie ihm die Sache in der Halle heimzahlen. „Wirklich? Heißt es nicht ‚jemandes‘ Tischpartner?“
Sie sah ein Flackern in seinen blauen Augen; er versuchte, geduldig zu klingen, ohne herablassend zu sein. „Nein, sicher nicht.“ Er langweilte sie mit einer ausführlichen grammatikalischen Erklärung. Ah, er mochte sie wirklich nicht. Seine Verachtung war nicht zu überhören.
Sie lächelte verschmitzt und klimperte mit den Wimpern wie eine alberne kleine Debütantin. „Wie brillant Sie sind! Vielleicht bin ja ich die ‚Niemandin‘, die neben einem Genie sitzt. Ich hatte keine Ahnung, dass es tatsächlich Leute gibt, die im Grammatikunterricht zuhören.“
„ Sie spotten über mich, Lady Viola. Bitte, lassen Sie das.“ Er tupfte sich sehr entschieden mit seiner Serviette den Mund ab, zum Zeichen, dass er mit der Suppe fertig war und die Schale entfernt werden konnte, vielleicht auch eine Metapher dafür, wie er gern auf die gleiche Art mit ihr verfahren würde. Oder vielleicht gab sie sich ja da zu viel der Ehre. Sie entfernt sehen zu wollen ließ vermuten, sie hätte ihn getroffen.
Er tat etwas Überraschendes: Er beugte sich zu ihr und sagte ihr etwas ins Ohr. Er sprach sehr leise, als flüsterte er ihr Vertraulichkeiten zu – so würde es für die Tischrunde aussehen. Doch die irrte sich. Seine Worte waren weder vertraulich noch gar freundlich. „Ich weiß über Sie Bescheid. Ich weiß, wie Sie in London genannt werden. Die ‚Skandalöse Schönheit‘. Natürlich streben Sie danach, dem Begriff gerecht zu werden, dennoch werden Sie, wenn Sie mich aufbringen wollen, weitergehen müssen, als meinen Gebrauch der Sprache infrage zu stellen. Ich nutze meine Zeit für Wichtigeres als für dreiste junge Damen, die auf hohen Leitern unnötig ihren Hals riskieren, nur um anwesenden jungen Männern einen Blick unter ihre Röcke gestatten zu können.“
„Ich habe die Mistelzweige aufgehängt“, zischte Viola abwehrend, wütend, dass er sie so leicht durchschaut hatte. „Wie können Sie wagen, es so schmutzig wirken zu lassen!“
„Nicht ich tat das“, antwortete er kühl und lehnte sich zurück, damit der Lakai den zweiten Gang vor ihm absetzen konnte, eine Pastete aus Wildfleisch, die himmlisch duftete. „Dafür sorgten ganz allein Sie selbst, als Sie beschlossen, auf die Leiter zu steigen, oder vielleicht sogar schon heute in der Frühe, als Sie beschlossen, auf bestimmte Teile Ihrer Unterkleidung zu verzichten.“ Er schenkte ihr einen durchdringenden Blick, unter dem eine weniger kühne Person dahingewelkt wäre. Fast hätte das auch bei ihr gewirkt
„Also haben Sie hingeschaut!“ Sie legte Triumph in die geflüsterte Antwort, doch viel gab es da nicht zu triumphieren. Sosehr sie auch protestieren mochte, irgendwie wusste er, dass ihr durchaus klar gewesen war, was sie dort oben auf der Leiter zeigte – und dass sie es raffiniert arrangiert hatte.
„Wie hätte ich denn nicht schauen können? Ich musste die Leiter im Gleichgewicht halten, und dazu musste ich eine bestimmte Haltung einnehmen. Sie können mir glauben, hätte es eine andere Möglichkeit gegeben, hätte ich mich dafür entschieden. Ihre roten Strumpfbänder reizen mich nicht.“
Viola spürte, wie ihr Glut in die Wangen stieg. Er nannte sie freizügig, und er war noch nicht fertig mit ihr. „Es war ein billiger Kunstgriff. Ich war nicht beeindruckt. Tollkühnheit beeindruckt mich nie.“
„Und steife Schicklichkeit beeindruckt mich nicht!“, schoss sie hitzig zurück. Ihr Temperament gewann die Oberhand über ihre Vorsicht. Sie wollte ihn schockieren, wollte etwas Empörendes sagen. „Sie wagen, hier zu sitzen und mich zu rügen, weil ich mich ein wenig vergnüge? Wir feiern die Festtage und sind ausgelassen, und falls Sie es nicht wissen – die Puritaner sind schon seit Jahrhunderten aus der Mode. Kein Wunder, dass Sie eingeladen wurden, kein Wunder, dass Sie Ihren Onkel brauchen, um eine Frau zu finden! Niemand will einen Tugendbold wie Sie in seinem Bett haben – wären da nicht der Titel und das Geld!“
Ganz kurz blitzten seine Augen – ein strahlendes saphirblaues Feuer, das so schnell erlosch, wie es aufgeflammt war, so schnell, dass es genauso gut nur durch ein Flackern der Kerzenflammen bewirkt sein mochte. Sein Mund verzog sich zu einem kühlen, triumphierenden Lächeln, und einen Moment lang kam ihr der Gedanke, wie wahrhaft gut er aussehen konnte, wenn er es darauf anlegen würde. Abermals beugte er sich dicht zu ihr. Sie roch das Aroma seiner Seife – Vanille und Lorbeer, ein frostig-kühler Duft für einen frostig-kühlen Mann. „Ich glaube, die Frage ist, wer hat nun wen in Wut gebracht? Wenn Sie mich nun entschuldigen wollen?“ Er wandte sich, da die Duchess of Brockmore den Wechsel des Gesprächspartners signalisiert hatte, Anne Lowell zu seiner Linken zu, und Viola hatte das Gefühl, in ihrem eigenen Spiel geschlagen worden zu sein. Sie hatte ihn ärgern wollen, aber es war genau umgekehrt gekommen.
Die Pastete duftete köstlich. Leider hatte Penriths Bemerkung sie ihr vergällt. Zur Hölle mit ihm! Wildpastete gehörte zu ihren Lieblingsgerichten. Mürrisch stieß Viola ihre Gabel hinein. Schön! Sie wollte seine spießige Gesellschaft sowieso nicht. Sollte er mit Anne Lowell doch die ganze Nacht über Grammatik reden, wenn er wollte. Und wer weiß, vielleicht war Anne Lowell wohlerzogen genug, um pflichtbewusst zu lauschen.
Viola schnaubte unmerklich und stürzte sich in einen schamlosen Flirt mit Kenelm zu ihrer Rechten, verwickelte ihn in eine vertrauliche Unterhaltung und ließ keine Zweifel daran, dass sie seine Gesellschaft der Penriths vorzog. Sie war Lady Viola Hawthorne, Londons ‚Skandalöse Schönheit‘, die Königin jeder Party, kein billiges Ding! Dennoch war ihre Pastete unberührt, als der Gang abgeräumt wurde.
Das gab den Ausschlag! Es genügte ihr nicht mehr, ihn hier beim Dinner bis zur Weißglut zu reizen. Nun hatte er sie schon zweimal gerügt und ihr noch dazu den Appetit an ihrem Lieblingsgericht verdorben. Das hier war noch nicht vorbei, noch lange nicht! Ob Penrith es nun wusste oder nicht, er hatte ihr gerade den Krieg erklärt.
L ady Viola, ich brauche Ihre Hilfe“, flüsterte Lady Anne Lowell hastig, während sie zur Mitternachtsmesse ihren Platz in der Kapelle von Brockmore Manor einnahmen. „Sie müssen mir einen Gefallen tun.“ Annes gedämpfte Aufregung passte gar nicht zu der stimmungsvollen Umgebung mit den vielen Kerzen, die die prächtigen Buntglasfenster in den Seitenwänden der kleinen Kirche erstrahlen ließen.
Neugierig beugte Viola sich zu Anne. „Worum geht es?“, fragte sie, wobei sie darauf achtete, dass ihre Mutter sie nicht hören konnte. Alles war ihr recht, wenn es nur ein wenig Unruhe verursachte.
„Sie müssen Penrith ablenken.“ Überredend rückte Anne noch näher heran, bemüht, nicht die kritischen Blicke ihrer Cousine Marianne auf sich zu ziehen, die direkt auf der anderen Seite des Gangs saß. „Das dürfte nicht schwer sein. Ich frage nur, weil Sie wohl die beste Wahl sind. Beim Dinner wirkte er interessiert. Sie beide steckten die Köpfe ziemlich dicht zusammen.“
Viola unterdrückte ein Schnauben. Wenn Anne bloß wüsste, was wir gesprochen haben, dann wäre sie vermutlich weniger überzeugt davon, ich wäre in der Lage, Penrith ‚abzulenken‘, dachte Viola. „Ihn ablenken? Wovon denn? Ich wüsste nicht, dass er mich so unwiderstehlich findet.“
„Nicht wovon, sondern von wem“, korrigierte Anne. „Von mir.“
Fragend hob Viola eine Braue, unsicher, worum es Anne eigentlich ging. „Sie haben erst ein einziges Mal beim Dinner neben ihm gesessen. Das ist nun kaum ein Heiratsantrag.“
„Verstehen Sie nicht?“, sprudelte Anne hervor. „Generell ist man der naheliegenden Ansicht, dass Brockmore eine Frau für ihn sucht. Er ist dreißig, und es wird Zeit für ihn, ernstlich an Kinder zu denken, besonders nach dem Unglück, das die Familie vor vier Jahren traf. Er darf wirklich nicht länger warten.“ Sie errötete und schaute bescheiden auf ihre Hände nieder. „Ich vermute, dass ich deswegen eingeladen wurde. Tatsächlich weiß ich es sogar. Mein Vater und Brockmore haben schon alles ausgemacht.“
„Sie sollen die Jungfrau sein, die geopfert werden soll?“, fragte Viola offen, wobei sie an Annes Schulter vorbei Penrith abschätzend musterte, inwieweit er wohl passend für die junge Frau wäre. „Stattlich genug ist er ja wohl.“ Viele würden ihn als echten Fang betrachten. Ich jedoch nicht, dachte sie.
„Reich genug ist er gewiss“, meinte Anne pragmatisch. „Aber ich bin nicht interessiert.“ Wieder betrachtete sie angelegentlich ihre Hände. „Mein Interesse gilt bereits jemand anderem, schon seit einiger Zeit“, gestand sie schüchtern, ehe sie hinzufügte: „Es ist Aubrey Kenelm. Also bitte, bitte!“
Verstohlen sah Viola zu Anne, betrachtete sie nun mit größerem Respekt. Vielleicht war die junge Frau doch kein Opfer, war nicht, wie so viele andere Frauen, zu ängstlich, für das einzutreten, was sie wollte. „Sie und Kenelm? Sie kennen sich schon länger?“ Wenn sie Annes Worte recht deutete, vielleicht sogar mehr als nur kennen. Anne errötete abermals, und Viola wartete. Gleich würde das Geheimnis ans Licht kommen! Der Geistliche erklomm gerade die Stufen zur Kanzel. Wenn Anne sich nicht beeilte, würde sie bis nach dem Gottesdienst warten müssen.
„Sie dürfen es niemandem sagen, noch ist nichts offiziell. Sein Vater …“ Anstandshalber dämpfte Anne ihre Stimme noch mehr, ein sicheres Zeichen, dass hier pikante Geheimnisse warteten. „Werden Sie mir den Gefallen tun?“
„Wenn ich es tue“, sagte Viola bedächtig, „müssen Sie auch etwas für mich tun.“ Noch einmal ließ sie den Blick zu der Bankreihe auf der anderen Seite des Gangs huschen. Ihr kam eine Idee.
„Ja, alles, was Sie wollen!“, hauchte Anne erleichtert, während der Pfarrer auf der Kanzel schon die Bibel aufschlug und raschelnd die Seiten seiner Predigt zurechtlegte. „Was denn?“
Viola grinste verschwörerisch. „Irgendetwas. Alles, so wie Sie sagten. Ohne zu fragen. Was immer ich vielleicht einmal brauche. Abgemacht?“ Aber natürlich war es abgemacht. Sonst hätte Anne nicht gefragt, was sie tun solle. Es stand fest, sie würde Penrith von Anne ablenken. Die Frage war nur, wie sie es anstellen sollte.
Der Pfarrer nahm das Wort, begrüßte die Gäste, die auf Brockmore Manor weilten. Er hatte eine tiefe sonore Stimme, sehr angenehm anzuhören, und Viola lauschte. Eine Weile. Sie tastete nach dem Perlenanhänger an ihrer Halskette, ließ die Finger über die glatte runde Oberfläche gleiten, während sie nachdachte – dafür eigneten sich Predigten gut; man hatte viel Zeit, sich mit seinen Gedanken zu beschäftigen. Einige ihrer besten Ideen hatte sie in der Kirche gehabt, wie zum Beispiel, als ihr der Plan eingefallen war, als der ‚Geist von Cawdor‘ ganz in blauen Samt gewandet hoch zu Ross in einen Gasthof zu reiten, um beim Wirt die miserable Qualität des Bratens zu beklagen. Das war in Nairn gewesen, bei einem Verwandtenbesuch. Sie war nie wieder eingeladen worden, doch sie hatte gehört, danach seien die Speisen der bewussten Gaststätte besser geworden.
Geister würden bei Penrith nichts bewirken. Er wird für mich eine Herausforderung darstellen, vielleicht die größte bis heute, dachte sie.
Irgendwo in der Mitte der Weihnachtsgeschichte, nach dem Erlass des Kaisers Augustus und bevor den Hirten der Engel des Herrn erschien, entwickelte sie ihren Plan. Zuerst würde sie Penriths Aufmerksamkeit erlangen; hatte sie die erst, würde sie ihn dazu bringen, seinen Prinzipien untreu zu werden: Sie würde ihn verrückt nach ihr machen. Es würde ihm gefallen, aber anschließend würde er sich dafür hassen.
Ihr Blick huschte zu Penrith. Er saß gerade und aufrecht, und das Kerzenlicht schmeichelte seinen ebenmäßigen Zügen ungemein. Es war wirklich ein Jammer, dass ein Mann, für den so viel sprach, so leer war. Da fragte man sich: wie kam es bei einem Mann mit so vielversprechenden Aussichten dazu? Wurden manche Menschen einfach so völlig uninteressiert an der Welt ringsum geboren? Ohne Leidenschaft? Hatte er niemals auch nur das Geringste für etwas empfunden – ausgenommen für korrektes Englisch?
Ihre Mutter stupste sie mit dem Ellbogen und sah sie vorwurfsvoll an. Alle ringsum hatten sich erhoben, um zu singen. ‚Kommet ihr Hirten‘, entschieden nicht ihr bevorzugtes Weihnachtslied. Heute Nacht störte sie sich nicht daran. Sie war zu sehr mit ihrem Vorhaben beschäftigt. Ihre Abmachung mit Anne konnte dazu dienen, Penriths Weg zu kreuzen, während sie ihren eigenen Plan förderte, der zweierlei beinhaltete: Penrith seine Selbstbeherrschung nehmen und dafür sorgen, dass sie von der Party ausgeschlossen wurde. Alles fädelte sich wie von selbst ein! Wenn es auch noch nicht ganz sicher war, war sie doch zuversichtlich, dass sie diese Hausparty als Erfolg würde bezeichnen können. Wieder einmal würde sie ohne Ehemann am Hals davonkommen. Nicht lange nach der Hymne endete der Gottesdienst. Das Jesuskind lag fein gewickelt in der Krippe, die Engel waren wieder in den Himmel aufgestiegen, und die kleine Gemeinde von Brockmore erhob sich abermals und sang ‚Adeste fidelis‘, ein Lied, das mit seinem kraftvollen Refrain Viola viel mehr zusagte, und dessen letzte Töne genau mit dem ersten Glockenschlag zusammentrafen. Die Weihnacht wurde eingeläutet.
Die Glocken. Für Viola das Schönste am Heiligen Abend.
Die kleine Schar der Gäste verließ still und ehrerbietig die Kapelle, um dem Glockengeläut zu lauschen, das durch die Dunkelheit hallte. Viola schloss die Augen und sog tief die kühle Nachtluft ein. Dies war einer ihrer liebsten Momente des ganzen Jahres, vielleicht sogar der liebste Augenblick. Sie gab sich ihm ganz hin – der tiefe, volle Klang der Glocken, die kalten Schneeflocken auf ihrem Gesicht, ihr von dem pelzgefütterten Umhang warm eingehüllter Körper. Sie wusste, was Frieden auf Erden war. Dieses hier. Jetzt. Während des ganzen Jahres versuchte sie immer wieder, diesen Augenblick heraufzubeschwören, diesen tiefen Frieden, wenn sie ihr wildes, schnelllebiges, frivoles Dasein von sich schob, und nie gelang es ihr. Nur diese kleine Zeitspanne war einzigartig unter all den vielen bunten Augenblicken, die ihr Jahr belebten.
Wenn sie sich konzentrierte, konnte sie hören, wie auch die Glocken aus dem Dorf ihre Klänge der Nacht anvertrauten. Empfand das jemand außer ihr? Die Schönheit dieses Augenblicks? Es spielte keine Rolle. Sie empfand es und klammerte sich daran, hielt die Augen geschlossen, bis der letzte Ton verklungen war, denn sie wusste genau, wenn sie die Lider wieder aufschlug, würde der Augenblick dahin sein. Sie würde wieder Lady Viola Hawthorne, Londons ‚Skandalöse Schönheit‘, sein. Doch nur noch für ein Jahr.
Denn nur dieses eine Jahr würde sie noch an ihren Ruf denken müssen. Nach dieser Saison würde sie als sitzengeblieben gelten – drei Saisons mitgemacht und immer noch kein Gemahl in Sicht. Sie konnte sich endlich ihre Träume erfüllen. Nächstes Jahr um diese Zeit würde sich alles ändern. Ihre Eltern hätten die Hoffnung aufgegeben und würden nur allzu froh sein, ihre unbequeme Tochter nach Wien zu schicken – aus den Augen, aus dem Sinn. Und sie würde froh sein, dort zu leben.
Bevor sie die Augen wieder öffnete, schlang sie sich die Arme um die Taille und flüsterte: „Fröhliche Weihnachten, Viola.“
Rings um sie fanden sich die Gäste zu Grüppchen zusammen und schlenderten Richtung Brockmore Manor davon, wo zweifellos heiße Getränke warten würden, um den Leuten die nötige Bettschwere zu verschaffen. Der Schnee lag dick genug, dass man den großen Schlitten aus der Remise geholt hatte, ein rot und golden bemaltes Gefährt mit vier Sitzen. Brockmore persönlich führte die Zügel der beiden edlen Rappen mit dem Zaumzeug, an dem Glöckchen hingen. Viola beobachtete Penrith, wie er seiner schönen, zarten Mutter und seiner Tante in den Schlitten half, denen der traurig wirkende Lord Truesdale folgte. Penrith setzte sich nach vorn zu seinem Onkel, doch zuvor hatte er den Damen noch sorgsam warme Decken umgelegt und sich aufmerksam zu seiner Mutter gebeugt. Sie äußerte ein paar Worte, dann drückte er ihr lächelnd die Hand. Die Geste war überraschend liebevoll. Fast wünschte Viola, sie hätte Penrith nicht so gesehen, so aufmerksam, so fürsorglich. Es verstieß gegen ihre Vorstellung, dass er eine leere Hülle war. Er hatte tatsächlich Gefühle, konnte etwas empfinden, wenn auch nur in kleinem Umfang. Wie viel mehr könnte er empfinden, wenn er es sich gestattete? Welche Gefühle konnte sie in ihm entfachen?
Er wünschte, er hätte sie vorhin nicht so gesehen – Viola Hawthorne draußen vor der Kapelle, wie sie den Kopf leicht zum Nachthimmel hob, die Augen geschlossen, ihr Gesicht, ihre Lider von tanzenden Schneeflocken bestäubt, die auf der warmen Haut dahinschmolzen. Vale schlüpfte aus seinem Rock. Er war allein, hatte seinem Kammerdiener erlaubt, im Souterrain mit den anderen Dienstboten zu feiern.
Vale öffnete seine Manschetten, legte die Knöpfe in eine kleine Schale auf der Spiegelkommode und zog das Hemd aus. Er hätte den Blick abwenden sollen, doch Viola hatte eine solch heitere Ruhe ausgestrahlt, so ganz anders als die Beißzange, die beim Dinner neben ihm gesessen hatte.
Nun wurde er aber wunderlich! Schluss damit, bevor er sie noch mit einem Engel verglich, der sie ganz gewiss nicht war. Ihre wahre Natur hatte er ja heute gesehen, sogar zweimal: auf der Leiter, ihre Knöchel entblößt – und mehr – und dann beim Dinner, wo sie ihren bissigen Witz demonstrierte. Sie hatte kein Blatt vor den Mund genommen, als es darum ging, was sie von ihm hielt: ein nicht zur Ehe tauglicher pedantischer Tugendbold. Das tat weh.
Sein Blick verharrte auf dem Abbild des Mannes im Spiegel. Er musterte sein Gesicht, suchte nach Zeichen seiner vermuteten Tugendhaftigkeit. War er so geworden? Vermutlich war er ruhiger geworden. Während der letzten Jahre hatte es nicht viel zu feiern gegeben. Aber ruhig zu sein, hieß nicht, tugendsam und pedantisch zu sein. Es war … Zurückhaltung, Rücksichtnahme, Disziplin. Nur dass er beim Dinner gar nicht so zurückhaltend gewesen war. Er hatte mit gleicher Münze heimgezahlt. Er stemmte die Hände auf die Kommode und rief sich beschämt seine zornigen Worte ins Gedächtnis. Er hatte Lady Viola vorgeworfen, sich billig zu geben, eine Bemerkung, die nicht gerade eines Gentlemans würdig war. Nun, vielleicht hatte er sie damit in ihrer Meinung zu seiner Ehetauglichkeit bestärkt. Großartig! Jetzt war er ein Tugendbold und ungehobelt noch dazu.
Er wandte sich von seinem Spiegelbild ab und machte sich endgültig zum Schlafen bereit. Er war von sich angewidert. Nicht in erster Linie wegen seines Betragens – Lady Viola hatte wirklich einen Tadel verdient –, sondern eher angewidert von seine Reaktion, die ihm nun doch recht kleinlich vorkam. Warum legte er so viel Wert auf die Meinung eines Mädchens, das keinen Sinn für Anstand hatte? Wenn irgendeine Meinung unwichtig war, dann Lady Violas.
Samstag, 26. Dezember 1818, 2. Weihnachtstag
E r war ihnen in die Bibliothek entwischt! Wenn es um die traditionellen weihnachtlichen Spiele ging, waren die Gäste seines Onkels unersättlich. Er selbst war es nicht. Er hatte lange genug eine fröhliche Miene aufgesetzt. Erleichtert atmete er auf und sank vor dem Kaminfeuer in die herrlich weiche Polsterung eines Ohrensessels. Allerdings ließ er den Blick immer noch unruhig umherhuschen, musterte die dämmrigen Ecken und die Falten der dicken Fenstervorhänge, hinter denen sich jemand verborgen halten könnte. Möglicherweise war er nicht der Einzige, der hier Zuflucht suchte. Obwohl das unwahrscheinlich war. Die anderen amüsierten sich alle ganz wunderbar.
So sah er nämlich nach zwei Weihnachtstagen die Gäste: die anderen und er . Zwei Gruppen. Ah, er mochte die Gäste seines Onkels durchaus gern. Man konnte mit Kenelm und Eaton und den anderen jungen Männer Spaß haben. Sie hatten gemeinsam Billard gespielt, nachdem die Damen sich für die Nacht zurückgezogen hatten. Aber bei Gott, er brauchte einfach eine Pause. Der Mitternachtsmesse war ein mit Gesellschaftsspielen und sonstigen Vergnügungen vollgestopfter erster Weihnachtstag gefolgt, dazu ein weiterer Kirchgang und dann das Austeilen der Geschenke an die Dorfkinder. Heute Vormittag dann wurden für die Pächter seines Onkels in fröhlichster Stimmung Geschenkkörbe gepackt, und am Nachmittag wanderte die Gästeschar durch den Schnee, um die Gaben zu den Familien zu bringen. Vale fühlte sich von der ständigen Geselligkeit erschöpft. Seit Jahren hatte er nicht so viele Leute um sich gehabt. All die Höflichkeit, das geheuchelte Vergnügen zermürbten ihn.
Es war auch nicht sehr hilfreich, dass sie überall war. Sie , das war Viola Hawthorne. In welchem Raum er sich auch befand, er hörte ihr Lachen, nahm aus unerfindlichen Gründen von ihren Kleidern Notiz; ihre Stimme drang an sein Ohr, seine Augen fingen ihre Bewegungen auf – und sie schien immer in Bewegung zu sein, immer im Mittelpunkt der Party. Gewiss trug die ausgezeichnete Planung seiner Tante dazu bei, die Ausgelassenheit zu schüren, doch hatte er das Gefühl, Violas sprühende Energie tue ihr Übriges dazu. Wenn es durch ihre Anwesenheit im Raum schon nicht heller war, war es zumindest lauter.
Die Uhr an der Wand, eine entzückende Kuckucksuhr aus dem Schwarzwald, seinem Onkel einmal von einem deutschen Diplomaten verehrt, zeigte drei Uhr an. Der Tag war beinahe vorbei. Noch vier Stunden bis zum Dinner, danach würde die übermütige Stimmung wohl ein wenig nachlassen. Hoffte er. Die Uhr tickte laut in der herrlichen Stille. Auf dem Lesetisch, der sich fast über die Länge der Bibliothek erstreckte, warteten seine Unterlagen und Notizen auf ihn. Seit seiner Ankunft hier hatte er sie nicht angerührt. Es war einfach keine Zeit dafür gewesen. Seine Tante und sein Onkel hatten ihn und alle anderen Gäste ständig gut beschäftigt und ihnen einen amüsanten Zeitvertreib nach dem anderen angeboten.
Vale schloss die Augen. Nur einen Augenblick, dann würde er aufstehen und sich an die Arbeit machen. Kurz vor seiner Abreise war die neue Übersetzung über die Geschichte Lapplands eingetroffen. Er konnte kaum erwarten, sie zu lesen, denn die würde ihm hoffentlich bei seinen jüngsten Untersuchungen weiterhelfen, und wenn er Sponsoren für seine Expedition im nächsten Jahr finden wollte, musste er sich unbedingt an seine Abhandlung machen. Aber nicht sofort. Es war so schön, hier in der Stille zu sitzen, ganz für sich allein. Nur einen Moment noch.
Er musste eingeschlummert sein. Plötzlich schlug es fünf Uhr, und eine Person saß an dem Tisch und blätterte in seinen Papieren. Eine weibliche Person. Vale richtete sich auf. Nicht irgendeine weibliche Person, sondern die eine, der er unbedingt aus dem Weg gehen wollte. „Fassen Sie das nicht an! Es ist in einer bestimmten Reihenfolge sortiert.“ Was nicht ganz stimmte, doch er wollte nicht, dass die Aufzeichnungen durcheinandergebracht wurden, und wer weiß, was sie damit anstellen würde.
„Sind das die ‚wichtigeren Dinge‘, auf die Sie sich letztens bezogen?“ Sie schaute auf, las aber weiter darin, ohne seine Worte zu beachten. „Eine Geschichte der Samen? Wer immer die sind.“
„Sie leben in Lappland. Ich verfasse eine Abhandlung über sie und hoffe, im nächsten Jahr eine Expedition dorthin zusammenstellen zu können, wenn ich die Unterstützung dafür finde. Europas Norden ist heutzutage das Neuland, das allgemein interessiert“, erklärte er wie zu seiner Verteidigung.
Sie gähnte gespielt. „Langweilig.“ Sie stand vom Tisch auf und schlenderte mit wiegenden Hüften an den Regalen entlang, wobei sie eine Hand träge über die Buchrücken gleiten ließ. Über die Schulter warf sie ihm lässig zu: „Besonders, wenn interessantere Ablenkungen zu Gebote stehen.“
Dass sie sticheln wollte, zeigten klar ihr Tonfall und das Funkeln ihrer Augen – die immer funkelten. Er hatte sie in den letzten beiden Tagen nie ohne dieses Funkeln gesehen. „Und vermutlich sind Sie diese Ablenkung?“, erwiderte er scharf, während er sich aus dem bequemen Sessel erhob und begann, am Tisch seine Papiere zu ordnen.
„Mag sein.“ Sie lachte, dann verhielt sie ihren Schritt vor der Anrichte, auf der diverse Getränke ihren Platz hatten. Sie zog den Stöpsel aus der Kristallkaraffe mit Weinbrand und schnüffelte daran. „Ah, der ist gut. Möchten Sie einen Schluck?“ Ehe er antworten konnte, schenkte sie ein Glas ein und hob abwartend eine Braue. Worauf wartete sie? Sicher nicht auf seine Antwort, da sie ja schon eingeschenkt hatte.
„Eigentlich wollte ich nicht, aber ich nehme das Glas, damit nichts verschwendet wird.“
Lady Viola lächelte verrucht. „Ich gieße nie voreilig ein, wenn es um guten Weinbrand geht.“
Er brauchte einen Moment, um zu verstehen. Sie hob das Glas und schwenkte den Inhalt leicht. „Es ist für mich. Votre santé. “ Sie nahm einen großen Schluck, die Augen schließend, genoss sie den Weinbrand; den Kopf leicht zurückgebeugt, bot sie ihren langen schlanken Hals dar, zeigte sich ihm beinahe, wie er sie am Heiligen Abend draußen vor der Kapelle gesehen hatte. „Lieber Himmel, der schmeckt noch besser, als er riecht.“ Einladend lächelnd schaute sie ihn an. „Wollen Sie nicht doch etwas?“
Er ignorierte die Frage, versuchte immer noch zu verarbeiten, was sie da gerade getan hatte. Sie trank den Weinbrand seines Onkels! „Was machen Sie überhaupt hier? Die Party ist …“ Wo genau war die Party denn wohl im Augenblick? Unbestimmt wies er mit der Hand zur Tür. „Woanders.“
„Eigentlich war ich auf der Suche nach Ihnen.“ Sie nippte erneut an ihrem Getränk, wobei sie das Glas mit der nachlässigen Eleganz eines Experten in einer Hand hielt. Sie streckte ihm ein gefaltetes Stück Papier entgegen. „Im Geiste der Weihnacht wurde für jeden von uns ein sogenannter ‚heimlicher Bewunderer‘ ausgelost. Man soll nicht sagen, wer auf dem Zettel steht, sondern sich unauffällig mit der Person vertraut machen und dann ein passendes Geschenk für sie auswählen. Das wird dann am Neujahrstag übergeben, wenn die Namen enthüllt werden. Ich finde, das klingt lustig.“ Das letzte schleuderte sie heraus wie eine Kampfansage, da sie wohl voraussetzte, dass er es grässlich finden würde.
Was er grässlich fand, war, dass sie damit recht hatte.
Es klang fürchterlich gesellig. Er ließ den Zettel auf dem Tisch liegen. Er würde später einen Blick darauf werfen. „Danke.“ Es sollte endgültig klingen – sie hatte ihre Aufgabe erfüllt, sie konnte gehen. Sich an den Tisch setzend deutete er unmissverständlich an, dass er nun an die Arbeit gehen wollte. Bestimmt war sie nicht so beschränkt, das nicht zu merken. Bestimmt würde sie den Wink verstehen und sich entfernen.
Was sie nicht tat. Sie begann wieder, an den Regalen entlangzustreifen, und aus irgendeinem Grund konnte er den Blick nicht von ihren wiegenden Hüften in der Hülle aus rotem, mit goldfarbenen Punkten gemusterten Stoff abwenden. Der Schnitt des Kleides war nicht ungewöhnlich – lange Ärmel, an den Schultern zu kleinen Puffärmeln angekraust, ein dezenter runder Ausschnitt –, doch durch ihre geschmeidigen Bewegungen erwachte dieses alltägliche Gewand zum Leben. Kein Wunder! Immerhin war das die Frau, die auf eine Leiter gestiegen war und jedermann ihre Knöchel und mehr gezeigt hatte. Ihr Körper war ein Werkzeug, ein Instrument, um zu reizen.
Ehe er den sündigen Gedanken noch abwehren konnte, dachte er, was noch kann sie damit tun? Das würde ihm keine Antwort wert sein. Zweifellos wollte sie ihn zu genau solchen Gedanken bringen – vielleicht nicht einmal ihn im Besonderen, sondern praktisch jeden Mann.
„Ich möchte Sie nicht von der Gesellschaft fernhalten“, äußerte er höflich.
„Das tun Sie auch nicht.“ Sie lächelte ebenso höflich. „Alle sind in ihren Zimmern, ruhen sich aus und kleiden sich zum Dinner um.“ Ja, verdammt, sie hatte recht. Alle würden für sich bleiben, bis sie sich um sieben Uhr langsam unten zum Dinner einfanden. Ihm kam ein grässlicher Gedanke. Bestimmt wollte sie doch nicht die nächsten beiden Stunden mit ihm in der Bibliothek zubringen?
„Vielleicht möchten Sie lieber anderswo sein? Sie brauchen mir nicht Gesellschaft zu leisten.“ Vage zeigte er auf die Papiere vor sich. „Ich muss arbeiten, ich wäre sowieso ein schlechter Gesellschafter.“
„Können Sie sich vielleicht vorstellen, dass ich genau da bin, wo ich sein will?“
„Nein. Offen gesagt, Lady Viola, wirken Sie auf mich nicht, als wären Sie in Bibliotheken zu Hause.“
„Tststs. Ich dachte, Sie wären klüger. Natürlich mag ich Bibliotheken.“ Sie hob die Brauen und biss sich spielerisch auf die Unterlippe. „Das sollen Sie doch wissen, Penrith. Schließlich gibt es hier Leitern.“ Und damit hüpfte sie auf eine der langen Bibliotheksleitern, die in Schienen an den deckenhohen Borden hingen, stieß sich mit einem Fuß ab und glitt die gesamte Breite entlang. Dann lachte sie, laut und aus voller Kehle. So klang eine Frau, die sich amüsierte.
„Lady Viola, bitte!“, mahnte Vale scharf, bestürzt ob des ungehemmten Lärms, den sie veranstaltete. „Jemand könnte Sie hören.“ Ein wenig zu spät fiel ihm ein, welchen Eindruck es erwecken könnte – sie beide hier, Frauenlachen, und alles während der ruhigen Zeit, in der sich angeblich alle umkleideten. Wenn sie entdeckt würden, wäre das absolut kompromittierend.
Lady Viola sprang von der Leiter und sagte, spöttisches Lachen in ihrem Ton: „Das wäre skandalös! Zwei Menschen allein in der Bibliothek und nur die Bücher als Anstandswauwaus. Wirklich schockierend!“ Sie schlenderte an ihm vorbei und ließ ihre Finger über seine Schultern gleiten. Unter der Berührung rann ihm ein Schauer durch alle Glieder. „Ich frage mich, Penrith … haben Sie Angst, erwischt zu werden, oder …“ Dicht beute sie sich zu seinem Ohr, und ihr verführerischer Duft traf ihn wie ein scharfer Stich, der ihm ihre Gegenwart ausdrücklich bewusst machte. „Oder ist es, mit mir allein zu sein, das Ihnen Angst macht?“
Es war ihre Verwegenheit, die ihn, seinen Vorlieben zum Trotz, erregte. Nie zuvor war er außerhalb des Schlafzimmers von einer Frau so kühn berührt worden. Sicher, er hatte Geliebte gehabt, doch die hatten ihre Frivolitäten auf den passenden Ort und die passende Zeit beschränkt, und das war nicht eine Bibliothek am hellen Nachmittag, wo man jederzeit erwischt werden konnte.
„Schließlich ist da immer die Frage, was ich wohl tun könnte?“ Und schon saß sie seitwärts auf seinem Schoß. Die Arme um seinen Nacken geschlungen, die roten Lippen zu einem wissenden Lächeln verzogen, rückte sie sich behaglich zurecht, bis sie intim unmittelbar auf den Punkt seines Unbehagens stieß. „Ich merke, Sie haben durchaus schon an das gedacht, was ich tun könnte. Vielleicht sind Sie ja doch eher ein Mann als eine Marmorstatue.“ Sie lehnte ihre Stirn gegen die seine und flüsterte leise, verlockend vertraulich: „Was, denken Sie, könnte ich tun? Was möchten Sie, dass ich tue? Ich weiß, was Männern gefällt.“
Beim Schwanz des Teufels! Londons ‚Skandalöse Schönheit‘ war eine unvergleichliche Verführerin! Woher wusste die unvermählte Tochter eines Dukes, was Männern gefiel? Einerlei. Das war im Moment nicht der springende Punkt. Er konnte sich auf diese spezielle Verführung nicht einlassen, egal, wie heftig sein Körper sich regte. Sie war nichts für ihn, und sie war definitiv nichts für die Zukunft von Brockmore. Doch sie könnte es werden, ob er wollte oder nicht, wenn er sich nicht bald von ihr befreite, ehe jemand eintrat. So betrachtet, war es sogar sehr dringlich. Entdeckt zu werden war eine reale Gefahr. „Lady Viola, ich zähle bis fünf; falls Sie sich bis dahin nicht von meinem Schoß erheben, stehe ich auf und lasse Sie einfach fallen“, warnte er grob.
Langsam fuhr sie mit einem Finger an seinem Kiefer entlang. „Sie können jederzeit aufstehen. Sie müssen nur Lösegeld zahlen.“
„Wie soll das aussehen?“ Er hatte keine Ahnung, warum er so geduldig mit ihr war. Sie würde darin nur eine Möglichkeit sehen, dieses gefährliche Spiel zu verlängern.
„Ein Weihnachtskuss natürlich“, flüsterte sie.
Er sollte es tatsächlich tun. Er sollte sie hier auf diesem Stuhl hart und wild küssen, sollte es darauf ankommen lassen. Vielleicht konnte er sie genügend erschrecken und ihr ein wenig Vernunft beibringen, damit sie mit einem Mann wie ihm keine Spielchen mehr trieb. Er war kein grüner Dorfbursche oder der tugendhafte Prinzipienreiter, für den sie ihn hielt. Nur weil er seine Affären diskret handhabte, wie es einem Gentleman anstehen sollte, hieß das nicht, dass er mit Liebeskünsten nicht vertraut war.
„Eins“, begann er. Sie hier und jetzt zu küssen ist doch zu riskant, erklärte ihm seine eher vernünftige Seite. Hier hing nicht einmal ein Mistelzweig, der solches Betragen entschuldigt hätte. „Zwei.“ Sie gab nicht nach. Stattdessen rückte sie dichter an ihn heran. „Drei“, fuhr er gelassen fort. Er würde ihr nicht die Befriedigung geben, schneller zu zählen, sonst würde sie wissen, dass er, ihr zu entkommen, die Flucht zu ergreifen versuchte. Es würde nur vermuten lassen, dass er wirklich ‚Angst‘ vor ihr hatte. „Vier.“ Sie schenkte ihm ein berückendes Lächeln, und das war die einzige kurze Warnung, dann presste sie ihren Mund auf den seinen, küsste ihn mit geöffneten Lippen, und während sie gierig seine Zunge suchte und sich dicht an ihn schmiegte, entschlüpfte ihrer Kehle ein genüsslicher Seufzer, fast wie ein Schnurren, als sie sich ganz dem Kuss hingab.
Einen endlosen Moment lang war er sich ihrer ganz und gar bewusst – ihr süß-herber Duft, ihre weichen Brüste an seiner Brust, ihre Zunge in seinem Mund, ihre Hände in seinem Haar.
Seiner selbst war er ebenso bewusst – die Anspannung, die in seinem Körper wuchs, seine wachsende Erregung, die weit über eine schlichte Erektion hinausging, sein Verlangen, die Vernunft auszuschalten, die Risiken zu vergessen. Wie lange schon hatte er sich nicht mehr gestattet, sich hinreißen zu lassen, einfach nur um des Loslassens willen? Er merkte, dass er ihren Kuss erwiderte. Seine Hände umfingen ihr Gesicht, er wollte jedes bisschen Genuss von ihren Lippen trinken, ehe es zu spät war. Dennoch war es zu rasch vorbei.
Sie glitt von seinem Schoß und glättete ihre Röcke. Plötzlich wirkte sie sehr spröde und korrekt, als hätte nicht sie versucht, ihn zu verführen. „Wenn Sie mich entschuldigen? Ich muss mich fürs Dinner umkleiden.“ Abermals schenkte sie ihm ein betörendes Lächeln. „Ich wusste, es steckt in Ihnen. Sie sind ja doch ein Mensch, Vale Penrith.“
Doch da irrte sie. Er war ein Fels. Hart wie ein Fels.
Auf einmal erinnerte er sich an den Zettel und nahm ihn aufseufzend auf, nachdem sie gegangen war und sein Körper sich wieder in geordnetem Zustand befand. Er wollte niemanden besser kennenlernen, und wie er seine Tante und seinen Onkel einschätzte, würde er darauf wetten, dass auf dem Zettel der Name einer respektablen jungen Dame stand, die sie ihm als Heiratskandidatin vor die Nase setzen wollten.
Vale faltete das Papier auseinander und riss die Augen auf. Fein säuberlich in der eleganten Schrift seiner Tante stand da ‚Viola Hawthorne‘. Der Geist der Weihnacht, wenn es ihn denn gab, war eindeutig ein widersprüchlicher. Hier war die einzige Person, die er auf keinen Fall hätte ziehen wollen, und außerdem der Beweis, dass Onkel und Tante nicht ihre Finger im Spiel gehabt hatten. Die beiden würden jemanden wie Viola Hawthorne nicht für eine passende zukünftige Duchess halten. Nun, wenn irgendetwas Gutes an all dem war, dann das, dass er nicht lange über ein Geschenk würde grübeln müssen. Er würde ihr eine Flasche von den Weinbrandvorräten seines Onkels geben, dann waren sie quitt. Vermutlich hätte es schlimmer kommen können. Sie hätte seinen Namen ziehen können, und wer weiß, wozu das geführt hätte? Nun, eigentlich wusste er es. Umso besser, dass es sich so ergeben hatte.
Sonntag, 27. Dezember 1818 – Schlittschuhparty auf dem See
A m nächsten Tag dachte er immer noch an jene Küsse. Also hatte der Ausflug durch den Schnee zum zugefrorenen See, wo die Gesellschaft Schlittschuh laufen wollte, nichts gebracht. Er hatte gehofft, mit Hilfe der kalten Winterluft seine Gedanken an heiße Küsse abzukühlen. Nun hoffte Vale, ein oder zwei Runden rund um den See würden da Erfolg zeitigen, wo die kalte Luft allein versagt hatte. Leider erwies sich auch diese Übung als vergebens.