Berlin Blue - Zbigniew Zbikowski - E-Book

Berlin Blue E-Book

Zbigniew Zbikowski

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Beschreibung

West-Berlin, Agenten der Geheimpolizei, unsichere Freundschaft, schwierige Liebe. Und die bittere Rechnung zahlte für die Fehler der Jugend. Lohnt es sich, hinter den Vorhang der Vergangenheit zu schauen? Der Held des Romans, Verfolgender und Verfolgter zugleich, wird er schließlich zum Opfer jener Kräfte, die er selbst in Bewegung setzte.

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Zbigniew Zbikowski

Berlin Blue

 

 

 

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- gekürzte Vorschau -

Inhaltsverzeichnis

Titel

Es war ein normaler Werktag...

Ich schlenderte durch die Botschaft...

Also war ich wieder hier.

Die zur Feier eingeladene Gesellschaft...

Es war fast halb sechs, als der Sekretär...

Als ich die Treppe...

Von dem Mord im Hotel „Isadora”...

"Hast du erfahren, wie Kornel...

Obwohl ich ein paar Jahre mit Kornel...

Langsam dunkelte es.

Ich machte das Autoradio an.

Der Abend sollte ganz anders ablaufen.

Heinz verließ den Prenzlauer Berg...

Als Heinz sich entfernte, stellte...

Heinz klopfte an die Scheibe...

Wir fuhren zwischen den Autos...

Wir waren nicht auf der Autobahn...

Das Tor war zwei Meter hoch...

Der Raum, im Rahmen dessen...

Ich blieb wieder allein und zwar...

Sie war sechsundzwanzig...

Ich bemerkte...

Heinz war nicht allein.

Meine Bekanntschaft mit Heinz...

Er zielte weder auf mich...

Kommissar Schwalbe machte...

Wir erreichten die Pforte.

Wir saßen im Arbeitszimmer...

Meine Lage hat sich nicht...

Wie habe ich eigentlich Ryszard...

Durch das offene Fenster...

Ich wachte auf...

Er ließ mich in ein Zimmer...

Wenn man die kleinen...

Für die Angreifer begann...

Jaremski legte seine Hand...

Der schweigsame Mann...

Auf der U-Bahn-Station...

Draußen wurde es dunkel.

Bevor ich mich schlafen legte...

Ich übernachtete unter einer Decke...

Die Straße, in der Roman wohnte...

Er begann mit nervösen Bewegungen...

Ich sah in die Diele.

Ich sah zur Schlafzimmertür.

In dieser Sekunde...

Heinz ist nicht umgefallen.

Sie hatte weder...

"Stenstadt", hörte ich eine Stimme...

"Wir müssen Sie verhören",

Nun wurde auch Heinz verhört.

Ich saß wieder...

Nach meinem Verschwinden...

Die Abholung meiner Papiere...

Ich dachte darüber nach...

Im „Isadora” gab es weder festen...

Ich bin nicht im „Isadora” geblieben.

Ich fuhr mit der S-Bahn...

Kinga erwischte ein preiswertes...

Ich hatte nicht vor...

Die Jaremskis standen am Empfang...

Die Krankenschwester ließ...

Die Linden entlang...

Susanne und Ercan warteten...

Heinz rief um zehn Uhr...

Wir verabredeten uns...

Ich war mir nicht sicher...

Impressum tolino

Es war ein normaler Werktag...

...im Mai. Nichts ließ den Blitz vorausahnen, der nur darauf lauerte, wutentbrannt, direkt vom klaren Himmel hinunterzusausen.

Heinz versprach, pünktlich Viertel vor fünf vor der Botschaft zu sein. Wenn ich es nicht schaffte, sollte er warten. Zum Glück war es nicht der Fall. Da ich diese Gegend nicht allzu gut kannte, habe ich, um mich nicht zu verspäten, die S-Bahn genommen und kam eine Dreiviertelstunde vor dem Beginn der Feierlichkeiten. Ich promenierte einen Augenblick am geschlossenen Tor, aber eine halbe Stunde vor einer diplomatischen Vertretung zu verharren, und mich von dem immer aufmerksamer zuschauenden Polizisten beobachten zu lassen, erschien mir doch zu dumm. Um die Zeit totzuschlagen, machte ich einen kleinen Spaziergang durch die umliegenden Straßen.

Grunewald sah, um diese Zeit von der hinter die Hausdächer absinkenden Sonne angestrahlt, wie eine in einen Märchengarten versetzte Stadt aus. Normal, zwanglos gekleidete Passanten gab es hier kaum. Genauso war es mit den Autos, meistens waren es bekannte deutsche Marken, sie huschten recht selten vorbei. Ich konnte also in aller Ruhe von einer Villa zur anderen schlendern, ihre auserwählten Formen bewundern und in die gepflegten, mit frischem Grün gekleideten Vorgärten hineinschauen.

In meinem leichten, eleganten Anzug, dem cremefarbenen Hemd, der Seidenkrawatte mit dezentem Muster und nagelneuen Schuhen, muss ich, in den normalen Alltag der Berliner Vorstadt hineingeworfen, etwas abstrus ausgeschaut haben. Der harte Schuhrand rieb seit einer Stunde, seitdem ich das Hotel verließ, immer schmerzhafter an meinem Knöchel. Gezwungenermaßen musste ich vorsichtig laufen, ab und zu habe ich regelrecht gehumpelt.

In meiner gemächlichen Schlenderei wurde ich plötzlich durch brummende Saxophonklänge angehalten. Sie erschallten aus dem offenen Fenster eines niedrigen, an die Straße anliegenden Hauses. Irgendjemand spielte life. Ich blieb für einen Moment stehen. Den rieselnden rhythmischen Brumm- und Grunztönen zulauschend, habe ich problemlos ein populäres deutsches Lied darin erkannt. Verblüffend war, dass der Musiker beim wiederholen der Melodie mit besonderem Gefallen manche Töne tiefer spielte und die Betonung so verschob, dass die Musik immer mehr in Jazznähe rückte. Ich stand einen Augenblick bewegungslos da und horchte mit einem, wie angeklebtem Lächeln zu.

Es gefiel mir.

"Guten Tag!", klang es hinter meinem Rücken.

Den alten, knochigen Mann, der mich grüßte, indem er das Ende des verzierten Krückstocks anhob, sah ich zum ersten Mal. Er kam sicher aus der Jugendstilvilla, die ich vor einem Augenblick aufmerksam beäugte. Er blieb ebenfalls stehen und horchte. Ich erwiderte seinen Gruß und wies mit dem Finger auf das Fenster, was ihm erklären sollte, weshalb ich hier stehe.

"Ich hatt’ einen Kameraden", sagte er. "Erkennen Sie es?"

Er wollte mir keinesfalls von seinem Kriegskameraden aus vergangenen Zeiten erzählen. Er meinte das Lied. Ich nickte. Es war ein altes preußisches Soldatenlied, das die Deutschen noch heute bei Bestattungen ihrer Soldaten spielen.

Wir standen still nebeneinander.

"Haben Sie einen Freund?", fragte er plötzlich, ohne geringste Ungeniertheit, als wären wir alte Bekannte.

Sich beim Gespräch maximaler Abkürzungen zu bedienen, gehörte zu den Privilegien von Menschen in seinem Alter. Er muss bestimmt so um die Achtzig gewesen sein.

"Schon", antwortete ich. Geleitet von im erwachsenen Leben erworbener Erfahrung fügte ich jedoch schnell zu: "Zumindest glaube ich, einen zu haben".

"Ich hatte auch einen", sagte er voller Nostalgie, den Saxophonklängen zulauschend. "Waren Sie bei der Armee?"

Entzückt davon, wie der Musiker immer freier improvisierte, hörte ich nicht zu lächeln auf. Wir hörten beide dem gleichen Lied zu und jeder von uns hörte etwas anderes. Er schien aus dem Strom der Klänge die Sätze zu erhaschen, die Erinnerungen in ihm wachriefen, was die Blitze in seinen Augen zeigten. Und ich verfolgte die nacheinander folgenden Variationen, ohne mich auf irgendwelche Bilder zu beziehen. Ich empfand beim Hören dieser synkopierten Musik reinstes Vergnügen.

Seine Frage erschreckte mich. Mit den Augen meiner Phantasie sah ich ihn als Teenager mit einem großen Gewehr, berufen in den letzten Kriegstagen, um Berlin vor der Roten Armee zu verteidigen. Vielleicht hat er beim Kampf seinen besten Freund verloren. Wie alt mag er damals gewesen sein? Sechzehn? Siebzehn? Oder kam er vielleicht als minderjähriger Soldat an die Front und dann in Gefangenschaft? Sollte ich ihm antworten, dass ich glücklicherweise dem Armeedienst entgehen konnte und nicht einmal weiß, wie Pulver riecht? Ich verneinte mimisch. Er spürte den Fremden in mir.

Als der Saxophonist still wurde, nickten wir beide voller Anerkennung. Wir lobten den Musiker, jeder von uns aus einem anderen Grund.

"Ich wünsche Ihnen, dass dieser Freund Sie nie enttäuscht", sagte der Greis.

Ich erwiderte, dass ich der Hoffnung sei, dass es so sein würde.

"Einen guten Abend", sagte ich zum Abschied.

"Und dass Sie ihn auch nicht enttäuschen", fügte er hinzu, stützte sich auf die Krücke und machte kehrt. "Vergessen Sie das nie."

Er entfernte sich mitsamt seiner nicht erzählten Geschichte über die Jugendfreundschaft zur Zeit des Totalitarismus.

Ich ging in die Nähe der Botschaft zurück. Ich versteckte mich auf der anderen Straßenseite und beobachtete eine Zeitlang den Eingang. Innerhalb kurzer Zeit gingen ein paar Leute hinein, Heinz bemerkte ich jedoch nicht unter ihnen. Einige Minuten vor fünf trat auch ich an die Eisenpforte. Dahinter lag der leere Wachraum. Ein bisschen weiter führten mehrere Granittreppen zu einer erhobenen, erstklassig sanierten zweistöckigen Villa, die sich gewiss noch an Kanzler Bismarck erinnern konnte.

Auf der dritten Treppenstufe stand der dienstlich lächelnde außerordentliche und ermächtigte Botschafter der Republik Polen, Wiktor Stachowicz. Er hatte einen hervorragend geschnittenen dunkelblauen Anzug und ein schneeweißes Hemd an, das scharf mit seinem braungebrannten Gesicht kontrastierte. Seine schlanke Figur verriet Sorge für körperliche Verfassung und Liebe zum Sport. Aber nicht seine Figur war es, die Aufmerksamkeit erweckte, es war vielmehr seine vorzeitig ergraute Haarmähne. Eigentlich müssten graue Haare einen Menschen älter erscheinen lassen, Botschafter Stachowicz machten sie aber vor allem distinguierter.

Ich kannte ihn nicht persönlich, nur aus Zeitungen und von einem kurzen Fernsehauftritt, bei dem er über die Stärkung der polnisch-deutschen Beziehungen sprach. Er sah nicht älter als vierzig aus, obzwar er auch etwas älter sein konnte. Er stand mit einem Bein auf der niedrigeren und mit dem anderen auf der höheren Stufe, was ihm die Gelegenheit bot, seine eleganten Lackschuhe besser zu exponieren. Er begrüßte jeden ankommenden Gast mit einem Händedruck.

Ich hielt ihm die Einladung entgegen. Er hat sie kaum angeschaut und zeigte mit der offenen Hand nach oben. Dort sollte ich hin.

Ich bewältigte die Treppe und befand mich vor dem Gebäudeeingang. Die davor befindliche Steinterrasse beschattete der von vier Säulen getragene Erker im ersten Stockwerk. Durch eine Glastür kam ich in eine kleine Halle, wo ich wieder von jemandem begrüßt wurde.

"Jakub Kubacki", stellte ich mich vor.

"Aus Berlin?"

"Früher ja. Jetzt aus Warschau".

"Sie sind sicher ein Bekannter von Herrn Topolski?", versicherte sich der recht junge, gut genährte und kurz geschorene Mann.

"O, ja", erklärte ich willig. "Wir haben einige Jahre zusammengearbeitet. Das heißt, er war Herausgeber und ich Redakteur", präzisierte ich.

"Verzeihen Sie, ich bin noch nicht lange Konsul hier. Ich kenne noch nicht alle", entschuldigte sich der Mann am Eingang. Ich möchte die hiesigen Polen näher kennenlernen. Sie haben bestimmt viele Bekannte in Berlin?"

"Zumindest denke ich es so", erwiderte ich vorsichtig. "Ich bin mir nicht sicher, ob ich alle wiedererkenne. Ich war seit sechzehn Jahren nicht in Berlin.

Ich fragte ihn nach dem deutschen Journalisten, Heinz Kaltendorf.

"Nein, so jemand war noch nicht da", erwiderte der Konsul.

Ich begann, eine Gruppe lebhaft diskutierender Personen am anderen Hallenende, an der Treppe, die zu den oberen Stockwerken führte, zu beobachten. Ich erkannte niemanden.

Ich drehte mich zu der verglasten Wand hin, hinter der die Granittreppe zu sehen war. Ich schaute sie einen Augenblick lang geistesabwesend an. In meinen Ohren erklang immer noch die preußische, in Jazz verwandelte Melodie. Ich dachte darüber nach, wie wenig verändert werden muss, damit Pathos in Traurigkeit und Optimismus in Nostalgie umschlägt.

Ich ging nach draußen. Der Botschafter begrüßte weitere Nachzügler. Heinz war immer noch nicht da.

Der Blitz, der bald einschlagen sollte, schien die Kräfte zu sammeln.

Ich befand mich auf diplomatischem Territorium der Republik Polen, wo sogar eine fünfzehnminütige Verspätung kein Grund für Besorgnis war. Aber Heinz war ja kein Pole, sondern ein Deutscher. Auch eine dreiminütige Verspätung kam bei ihm einfach nicht infrage, insofern nichts Außerordentliches geschah. Irgendwo, in meinem bisher regungslosen Inneren, leuchtete eine Befürchtung auf, dass so etwas Außerordentliches soeben geschehen ist. Der Impuls erwies sich jedoch als zu schwach, um eine regere Reaktion auszulösen. Ich habe nicht nach meinem Handy gegriffen, um mich davon zu überzeugen. Ich dachte, in einer ungewöhnlichen Situation lag es doch eher bei Heinz, mich anzurufen. Außerdem, dachte ich, ist die Sache jetzt nicht am wichtigsten. Es war sinnlos, mich damit zu befassen. Für die deutsche Presse war doch ein Event in der polnischen Botschaft kaum von Bedeutung.

Mit wachsender Unruhe erfüllte mich etwas anderes. Ich begriff nicht, wieso weit und breit kein Kornel zu sehen war. Als wichtigste Person dieses Nachmittages hätte er seit mindestens einer haben Stunde neben dem Botschafter oder dem Konsul stehen und die Gäste begrüßen müssen. Ich hoffte, dass er vielleicht doch hier sei und oben im Zimmer des Botschafters auf ein wirkungsvolleres Entrée wartet, was mir sogar einen Augenblick lang absolut zu ihm zu passen schien. In der Halle hat jemand so etwas halblaut angedeutet und ich habe es auch in Erwägung gezogen. Dann hielt ich es aber doch für absurd.

Kornel liebte es zu sehr, die Welt in Schwung zu bringen, um sich irgendwo, um eines verblüffenden Eintrittseffekts willen, vor den Leuten zu verstecken. Es wäre natürlicher, wenn er zwischen den Gästen flanierte, als leuchtendes Beispiel eines polnischen Immigranten, der in Berlin erfolgreich wurde und gleichzeitig zeigte, wie sehr eingedeutscht er bereits sei. Er müsste wie üblich, kluge, patriotische Bemerkungen machen, treffende politische Urteile anführen, zum Nachdenken inspirieren, Komplimente verstreuen und Glückwünsche einheimsen. Wir haben uns vor einigen Stunden gesehen. Er erzählte mir nichts von einer Überraschung für die Gäste.

Ich ging wieder rein und sah mich um. Der Konsul und einige Personen, die nach Mitarbeitern der Botschaft aussahen, schienen beunruhigt zu sein.

Ich schlenderte durch die Botschaft...

...und hielt noch nach einer Person Ausschau. Ich hoffte, dass Danka bei der Feier erscheint. Eine Einladung hat sie bekommen, dessen war ich mir sicher. Sie hat mir vor zwei Tagen davon erzählt. In ihrem Falle wäre aber auch eine halbstündige Verspätung nichts Ungewöhnliches, so verlor ich keine Hoffnung darauf, dass sie noch kommt. Diese Zuversicht schwand jedoch von Minute zur Minute. Ich fühlte nämlich, dass Danka, obzwar sie auf den Abend in der Botschaft durchaus Lust hatte, gleichzeitig alles dafür täte, um ein Treffen mit Roman zu vermeiden. Ich befürchtete, dass sie, auch wenn sie kommt, beim Anblick ihres Mannes unter den Gästen, sofort kehrt macht und verschwindet.

Ihre Scheidung lag Jahre zurück. Der Scheidungsgrund blieb für Leute aus ihrem Bekanntenkreis unbekannt. Sie trennten sich ohne Schuldzuweisung und ohne mit jemandem von unseren gemeinsamen Bekannten darüber gesprochen zu haben. Angesichts der Zeit, die seit damals verging, könnte man meinen, dass der Konflikt, wegen dem sie sich getrennt haben, erloschen sein müsste. Derweil schien ihre gegenseitige Abneigung immer noch zu lodern. Innerhalb der vier Tage seit meiner Ankunft wurde ich mir dessen mindestens zweimal bewusst. Zunächst sagte Roman, dass sie eher nicht befreundet seien und dass es nicht so aussieht, als würden sie sich anfreunden wollen. Dann hörte ich von Danka, dass sie nicht über Roman sprechen wolle, weil es ihr die Laune verderbe und dann wird auch unser Treffen nicht allzu angenehm.

Vielleicht hat sie von jemandem der hier Anwesenden erfahren - denn mich hätte sie wegen solch einer Auskunft nicht angerufen - dass Roman in der Botschaft ist und beschloss darauf hin, nicht zu kommen. Aber auch ihn konnte ich nirgends erblicken.

Danka war, ähnlich wie Kornel, keine politische Verbannte. Sie war in Polen nicht in der „Solidarność” aktiv. In die Bundesrepublik zog sie mit ihrer Familie, bevor der Verband entstand. Ihre Angehörigen haben sich in den Siebzigerjahren Papiere für die deutsche Abstammung beschafft. Die Beziehungen zum Elternhaus lagen jedoch etwas schief. Nach dem deutschen Abi ließ sie ihre Eltern in Rheinland zurück und ging zum Studium nach Westberlin, wo sie ihren Lebensunterhalt selbst verdiente. Darüber, was in der Familie vorgefallen ist, wollte sie mit niemandem sprechen. In meiner Gegenwart äußerte sie ein einziges Mal etwas, was mir zum Nachdenken gab: "Meine Eltern wurden Deutsche und ich nicht, ich bin eine Polin mit deutschen Papieren". Und als ich fragte, warum sie gerade nach Berlin gezogen ist, antwortete sie knapp: "Weiter wegziehen ging nicht".

Das damalige Berlin, voller junger Männer, die dem Bundeswehrdienst entfliehen wollten, Zugvögel, Asylanten, Immigranten, Pechvögel, Lebensschiffbrüchige, Anarchisten, Künstler, Andersliebender und Andersdenkender war ein Ort, der sich wie kein anderer zum Davonlaufen eignete. Eine freie Stadt unter Alliiertenbesatzung, röter, grüner und liberaler als die gesamte Bundesrepublik und gleichzeitig so anders, als die sowjetische Besatzungszone. Den anderen Städten im Westen ähnelnd und anders als der ganze Rest der Welt. Geteilt und zusammengeschweißt mit der Stadt hinter der Mauer, wie zwei entgegengesetzte Magnetpole.

In den Jahren, die seit der Vereinigung beider Teile Berlins in ein gemeinsames Gefüge verflossen sind, konnte Danka so Manches mit ihrem Leben angestellt haben. Sie hätte in eines der westlichen Bundesländer umziehen können, das nicht unbedingt in der Nähe des Wohnortes ihrer Eltern lag. Oder nach Köln, Hamburg oder gar nach Österreich oder in die Schweiz umsiedeln, was sie schon früher ernsthaft überlegte. Trotz der Wunden, die ihr in Berlin zuteil wurden, blieb sie hoffnungslos in dieser Stadt stecken, die zwar jenes Reizes entbehrt, die Paris oder Lissabon ausstrahlen, dafür aber einen prägnanten Charakter hat, der wie Kerzenlicht auf einen Nachtfalter wirkt. Oder wie das schwarze Loch, in das man leicht reinfällt, aber mit eigenen Kräften kaum rauskommt.

Und wieder ein Blick auf die Uhr: sieben nach fünf. Die Mitarbeiter tuscheln untereinander. Der Botschafter steht einsam und verlassen da, dann kommt sein Sekretär hinunter und flüstert ihm irgendetwas ins Ohr, wonach beide die Eingangstreppe hinaufsteigen. Der Sekretär bleibt zurück und bezieht den Posten am Eingang, um in die Rolle des Hausherren zu schlüpfen. Stachowicz läuft an mir vorbei, macht eine entschuldigende Geste und verschwindet hinter der Korridortür.

In diesem Moment gibt das Handy in meiner Jackettinnentasche einen leisen Summlaut von sich. Es ist eine Kurznachricht von Heinz: „In einer halben Stunde, Ecke Lassenstraße und Koenigsallee”.

Ich blickte durch die sauberen Scheiben hinaus. Der Himmel verdunkelte sich.

Also war ich wieder hier.

In der auf Sümpfen an der Mündung der Havel in die Spree gebauten preußischen Metropole. In der Stadt mit zwei Gesichtern, die wie ein heidnischer Götze mal das eine, disziplinierte und strenge, mal das andere, libertinische und lustige der Welt entgegenhält und die, obwohl sie in ewiger Zwietracht leben, niemals einander etwas antun werden. Diejenige, die gerade triumphiert, bewahrt, dem Hegelschen Dasein entsprechend, immer ein Samenkörnchen ihres Widersachers, das irgendwo abseits keimt, zu einer neuen Qualität heranwächst, bis nach einem kurzen Kampf der Gegensätze der nächste Umsturz erfolgt.

Als ich zum ersten Mal in Berlin war, hatten die Politiker gerade den misslungenen Versuch hinter sich, diese beiden Gesichter mit einem dicken Strich der Betonmauer voneinander zu trennen. Verlassen habe ich die Stadt zwei Jahre nachdem die Mauer weg war und die beiden Gesichter wieder ins Gefecht einstiegen, welches nun das wichtigere sei. Ich beschloss zurückzukehren, als in meinem Land der ehemalige Brigadier aus der Werft in Danzig und Friedensnobelreisträger Präsident wurde und als ich mir vormachte, dass wir gemeinsam am Ziel des Freiheitsmarathons angekommen sind. Das war kurz danach, als meinen Vater eine Krankheit befiel, die es in der damaligen Zeit nur wenigen Männern in seinem Alter zu besiegen gegönnt war. Meine Mutter konnte ihm für die Zeit des Sterbens keine Betreuung gewährleisten, weil sie selber pflegebedürftig war. Und meine Schwester, die einen Niederländer heiratete, meinte, dass jetzt sie mit der Emigration dran sei. Wir machten aus, dass sie bei ihrem Mann in Utrecht bleibt und ich zu meinen Eltern in unser altes, frisch zurückgewonnenes Haus bei Warschau ziehe. Es war für eine kurze Zeit. Unser Vater starb ein Jahr später und unsere Mutter, deren Erinnerungsvermögen allmählich aussetzte, kam in ein von Nonnen betreutes Pflegeheim.

In den Jahren, die seit meiner Rückkehr aus Berlin vergangen sind, war ich ein ganz anderer geworden. Ich betrachtete die Stadt nicht aus der Sicht eines armen Einwanderers oder politischen Flüchtlings, der den Tag für zehn Mark überleben und auf Schritt und Tritt überlegen muss, wie man nicht in die Kreise hinabsinkt, wo man zwar von Würde spricht, sie aber nicht praktiziert und dabei das Gefühl der moralischen Überlegenheit über den Rest der Welt aufrechterhält, die weder einen Landsmann an der Spitze der römischen Kirche, noch einen berühmten Arbeiter und Nobelpreisträger an der Spitze der demokratischen Opposition hat. Wo die Solidarität als Aushängeschild oder im Falle eines Angriffs als Schutzvorhang dient, aber im Alltag kaum Gebrauch davon macht.

Es war nicht mehr eine Reise aus kommunistischer Hölle ins kapitalistische Paradies. Keine Warterei an der Grenze, keine polnischen und DDR-Zöllner, keine bösen Blicke, unfreundliche Gesten, Stempel im Pass, illegal gekauftes, in der Kleidung verstecktes, zwischen die Seiten einer lässig hingeworfenen Zeitschrift eingeklebtes oder zusammen mit dem Gummi in die Schlüpfer eingenähtes Westgeld. Kein Gefühl, eine Grenze zwischen zwei Welten über oder unter der Berliner Mauer überschritten zu haben.

Ich hatte die Kreditkarte einer angesehenen deutschen Bank und musste nichts Besonderes entbehren, um mir ein Zimmer in einem preiswerten Hotel nehmen, um den für einen Besucher aus Polen teuren öffentlichen Verkehr zu zahlen, ins Café Einstein reinzuschauen und mir ein Bier zu leisten, ohne sich auf die Biergärten zu beschränken und ohne darauf zu hoffen, dass jemand für mich zahlt. Ich konnte völlig locker bleiben, wie ein freier Mensch und nicht wie eine abgehetzte Ratte, die immer auf der Hut bleiben muss.

Eine Idee, wie ich mir dieses Rattendasein entschädigen könnte, keimte in mir seit Jahren: ich fahre für eine Woche nach Berlin, völlig unabhängig, ich treffe ehemalige Bekannte, die dort geblieben sind und ich sehe mich in einem Taschenspiegel an, der mir sagt, dass es richtig war, wieder nach Polen zu gehen. Bei dieser Gelegenheit sagt er mir auch, dass ich endlich frei von der Berliner Vergangenheit bin, das kein Schatten jener Ereignisse mehr über mir hängt, die nach der Rückkehr nach Warschau wie Gips in der Sonne verhärteten. Sie haben mich in der Erinnerung festgehalten, in eine zerfressende Melancholie hineingeworfen und von der Welt abgekehrt, der ich einst das ganze von Gott geschenkte Talent hinopfern wollte. Sie machten mich zum Sklaven der Vergangenheit und es gab niemanden, der mich aus dieser Versklavung freikaufen würde. Niemanden, der die erlösende Wahrheit unterbreiten würde.

Die aufmüpfige Frage: "Was hat denn das für eine Bedeutung?" kannte ich allzu gut. Die Redaktion wurde vor zwanzig Jahren geschlossen, der Verein aufgelöst, der eiserne Vorhang war zerbröckelt, die Akten teilweise verbrannt oder unkomplett. Wozu die alten Geschichte aufwärmen, die Verhaltensweise der einzelnen Personen erforschen, sie einordnen, überlegen, Freunde und Bekannte verdächtigen? Wozu überhaupt die Wahrheit kennenlernen wollen, die wie eine in der Seele steckende Nadel bis ans Lebensende schmerzt. Das ist gefährlich und nicht rückläufig zu machen. Das kann nicht versuchsweise getan werden. Wenn man einmal die Wahrheit kennt, kann man nicht wieder ins Unwissen hineinschlüpfen. Wobei an die Stelle der behaglichen Ignoranz keine Sicherheit rückt – gewisse Fragen bleiben soundso unbeantwortet.

Diese superklugen, an mich selbst gerichteten Weisheiten, brachten immer neue Fragen hervor. Sollte man die Vergangenheit als Theater betrachten? Daran glauben, dass der Schauspieler wirklich Prinz Hamlet ist, Julia tatsächlich vergiftet tot umfällt und der Vorhang im richtigen Augenblick von selbst fällt und nicht nachgrübeln, was hinter der Staffage der mit dem Bühnenrand eingegrenzten Welt passiert?

Die intellektuelle Bewältigung dieser Kompulsion war einfach. Geistig war ich imstande, der Versuchung zu widerstehen, hinter die Kulissen der Schattenseite des Lebens zu blicken, wo sich einer Otternbrut gleichende Stränge verketteten, an denen unsichtbare Animierer zogen, um Freundschaften, Liebessbeziehungen und Hassgefühle wiederzubeleben. Aber der Verstand ist nicht immer oder eher selten fähig, Emotionen, versteckte Wünsche und unbewusste Bedürfnisse zu beherrschen. Auch dann, wenn sie ein eisiger Sarkophag umhüllt.

Diese einfache Idee hatte ich also, aber irgendetwas in mir bewirkte, dass ich immer noch nicht für eine Konfrontation bereit war und im Zustand einer emotionalen Hibernation verharrte. Aus diesem Grunde verließen mich immer wieder Menschen, die mir nahestanden, denn weder ihre Ermunterungen noch Provokationen befähigten mich dazu, den ersten Dominostein umzustoßen. Berlin wirkte auf mich immer noch wie ein Magnet, aber mit dem Gegenpol. Ich war unfähig, mich ihm zu nähern.

Bis eines Tages das Hegelsche Umschlagen erfolgte. Es wurde mir klar, dass der Kampf gegen Verborgenes sinnlos ist. Ich wollte nun wissen, was es ist, was mich derart quält, dass ich in Bezug auf Berlin weder rational zu denken, noch zu handeln fähig bin.

Der Eisklumpen regte sich, als die Botschaft mir unverhofft die Einladung zur Ordensverleihung an Kornel schickte. Ich erneuerte die abgebrochenen Kontakte, buchte ein Hotelzimmer und kaufte ein Zugticket. Und so stand ich an einem Maisonntag auf dem imposanten, neu gebauten, mir bislang unbekannten Berliner Hauptbahnhof. Er erinnerte mit gar nichts an den kleinen, verwahrlosten Bahnhof ZOO, auf dem ich 1983 landete, auch nicht an den Bahnhof Friedrichstrasse, von dem ich zehn Jahre später für immer nach Polen abreiste.

Es war mein vierter Tag in Berlin.

Kornel sollte derjenige sein, der das Bedürfnis befriedigt, das mir soeben bewusst wurde.

Die zur Feier eingeladene Gesellschaft...

...hat sich in sämtlichen Ecken der Botschaft verstreut. Ein Teil der Gäste stand in Grüppchen im Repräsentationssaal, wo die Ordensverleihung stattfinden sollte, einige gingen in den Bankettsaal, wo für einen kleinen Empfang gedeckt wurde, die anderen verzogen sich auf die Gartenterrasse. Der Frühling war in diesem Jahr kühl, aber dieser Maiabend schien dem zu widersprechen, es war recht warm und das Grün der Bäume, der blühende, wohlriechende Flieder, der gelb anschwellende Goldregen, die in Knospen zum Aufspringen bereiten Rhododendronknospen und die mit Frühlingsblumen regelrecht überstreuten Rabatten stimmten zu nichtssagenden Gespräche, bei welchen viele inhaltslose Worte gewechselt werden.

Auf der Terrasse stand auch Roman. Offensichtlich kam er eher als ich und hielt sich die ganze Zeit dort auf. Er hatte ein Glas Wasser in der Hand, weil bisher nichts, bis auf kalte Getränke, serviert wurde. Er war sogar passend für diese Angelegenheit gekleidet, er hatte einen dunkelbraunen, etwas aus der Mode geratenen Anzug an, trug eine Krawatte und einen leichten, weinroten Schal. In den Achtzigern hatte er langes Haar und jetzt eine kurzgeschnittene, graumelierte Frisur, so dass die hohe Stirn zu sehen war. Aus dem aufgeknöpften Jackett schaute nicht ein einziger Zentimeter Bauch raus. Seine sportliche Figur passte nicht zu dem eher unfeinen, faltenzerfurchten Gesicht und den auffälligen Augenringen. Er stand in Gesellschaft zweier mir nicht bekannter Deutscher, vermutlich waren es Kornels Mitarbeiter von der Uni. Als er aufblickte und unsere Augen sich trafen, hob er sein Glas leicht an, wie zu einem Siegestoast und sagte: "Sie kommt nicht."

Ich wusste, er meint Danka. Es huschte mir durch den Kopf, dass er mich seit Längerem beobachten haben muss und gemerkt hat, dass ich mich unentwegt nach jemandem umschaue. Obzwar wir in den letzten Tagen viele Stunden mit Gesprächen unter vier Augen verbrachten und behutsam die einst nahe, dann für eine längere Zeit unterbrochene Bekanntschaft wiederaufbauten und viele gemeinsame Themen hatten, wollte ich jetzt nicht mit ihm reden, insbesondere über Danka. Ich machte eine Mine "da kann man halt nichts machen", tat so als ob ich einen anderen Gast ansteuere und ging an ihm vorbei.

Am Geländer, das die Terrasse vom Garten trennte, erblickte ich in der Tat einen Gast, den ich ohne Weiteres erkannte. Wir kannten uns seit den Achtzigerjahren und haben uns ein paar Mal in Warschau getroffen. Der in Gedanken vertiefte Mann war der aus politischer Sicht wichtigste Gast an diesem Abend – der Senator der Republik Polen, Ryszard Jaremski. Ich wusste von Kornel, dass er eingeladen wurde, so hat mich seine Anwesenheit nicht überrascht. Er trug ein weißes Hemd, eine dunkelrote Krawatte und einen eleganten, gut geschnittenen Anzug, der aber nicht maßgeschneidert war, das sah man an den Knöpfen, die waren fake, die untersten ließen sich nicht zuknöpfen. Die Schuhe waren nagelneu und glänzend, anscheinend war es für ihn Alltag in diplomatisch-politischen Kreisen zu verkehren.

"Ich grüße Sie, Herr Senator", sagte ich lächelnd und streckte ihm die Hand entgegen.

"Jakub, ich freue mich, dich hier zu sehen!", entgegnete er mit hörbarer, vielleicht auch angelernter Herzlichkeit und drückte mir die Hand. "Für Kornel ist es bestimmt teuflisch wichtig, das wir beide aus Warschau hergekommen sind. Meinst du nicht auch?"

"Halten wir uns doch an die Fakten", wandte ich ein und bemühte mich im Rahmen eines belanglosen, höflichen Gespräches zu bewegen. "Du bist der wirklich Wichtige hier. Wie ich hörte, sollst du die Laudatio vortragen."

"Stimmt, das war geplant, aber der Botschafter und ich haben gemeinsam beschlossen, davon Abstand zu nehmen", belehrte er mich.

"Und wem wird diese Ehre zuteil?"

"Das soll eine Überraschung bleiben", wich er aus.

"Á propos der Wichtigkeit. Stimmt das, was in Warschau erzählt wird, dass du Vizemeister für Gesundheitswesen wirst?"

"Ach, diese Politik…", sagte er und winkte scheinbar lässig ab. "Müssen denn die Journalisten fortwährend daran denken, sogar hier?"

Er hatte recht betagte Informationen über mich.

"Ich merke, du hast etwas verpasst, obwohl du bestimmt Zeitungen liest. Wenn vielleicht auch nicht selbst, dann tut es mit Sicherheit jemand für dich. Ich befasse mich seit geraumer Zeit nicht mehr mit politischen Themen", erklärte ich ruhig.

Er schluckte die Sticheleien glatt runter.

"Wirklich? Schade. Du warst richtig gut darin. Nicht nur im Exil, auch in Polen. Wann war das? Ich glaube noch in den Neunzigern?" Er wartete auf meine Zustimmung. "Aber ja doch, ich kann mich sehr gut an deine passenden Kommentare und korrekte Analysen entsinnen. Möchtest du das nicht wieder aufgreifen? Die Polen haben gute politische Publizistik sehr nötig.

Mein Puls steigt immer, wenn irgendwelche Politiker angeblich im Namen aller Polen sprechen und so tun, als ob sie genau wüssten, was sie brauchen. Und wenn es jemand in so runden Sätzen tut, wie Ryszard Jaremski, beginnt er regelrecht zu rasen.

"Sie brauchen vor allem gute Politiker", sagte ich, auf eine heftige Reaktion eingestellt.

"Oh, ich sehe den Herrn Redakteur in ausgezeichneter Form für Polemik", rächte er sich. "Das ist sehr gut. Denn ehrlich gesagt" – fuhr er mit leiserer Stimme fort und näherte sich meinem Ohr – "wird es vermutlich auf diesem Feld bald neue Möglichkeiten geben und ich denke, du wärst der richtige Mann dafür".

"Willst du etwa in den Medienmarkt investieren?", wunderte ich mich und trat einen halben Schritt zurück.

"Hör auf, ich bin doch Parlamentarier, hast du es vergessen? Ich muss an das Land und an die Menschen denken und nicht an Privatinvestitionen. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass es jemanden gibt, der das vorhat", meinte er rätselhaft, immer noch flüsternd. "Und das kann wirklich ein starker Schlag werden. Wir müssen unbedingt darüber reden. Vielleicht nach der Feier? Oder eventuell morgen, wenn es dir lieber ist. Hotel Radisson, das an der Spree?"

Der Vorschlag war verblüffend. Ich wusste nicht, was ich antworten soll. Auf alle Fälle wollte ich Vorsicht walten lassen.

"Es lohnt sich nicht, jetzt darüber zu reden", brach ich ab. "Politik ist als Thema der Publizistik Vergangenheit. Ich bleibe lieber bei der Kultur. Literatur, Theater, Film, Kunst, solche Sachen. Und vor allem Musik.

"Du machst doch Spaß, oder?!" Er sah mir in die Augen und muss darin gelesen haben, dass ich doch nicht spaße. "Glaube mir, du vergeudest dein Schreibtalent", sagte er und ich wusste nicht, ob ich es als Lob oder Tadel verstehen soll. "Ich würde mich nicht wundern, wenn es um Ermittlungsjournalismus ginge, denn da scheinst du gewisse Erfahrungen zu haben, aber Kultur… Ich habe aber etwas anderes bemerkt." Er wechselte das Thema, er fühlte, dass er sich verrennt. "Wenn ich mir unsere Bekannten von damals anschaue, die hier erschienen sind, wird mir erst jetzt bewusst, dass du der einzige unter ihnen bist, der nach Polen zurückgegangen ist. Karol, der sich mit Geschichte befasste, ist in den Staaten, er kam nicht. Witek, der über die Wirtschaft schrieb, ist in Rom. Barbara in Paris…

"Beata", berichtigte ich.

"Stimmt, Beata. Literatur. Wer hat da noch mit euch zusammengearbeitet?"

Ich bewunderte ihn dafür, dass er uns fast alle noch beim Namen kannte und sich an uns erinnerte.

"Roman", sagte ich.

"Fedryna? Stimmt, er ist hier. Und diese Frau, wegen der ihr aneinandergeraten seid, Danuta, soll auch hier wohnen, obwohl ich sie noch nicht gesehen habe. Aber sie hat, scheint es mir, wenig mit „Zdanie” kooperiert. Seht ihr euch noch manchmal?

"Roman und ich sind nicht wegen ihr aneinandergeraten. Das war eine ganz andere Geschichte", erklärte ich und ignorierte seine Frage nach den Kontakten.

Ich hatte keine Lust, ihm diese Geschichte zu erzählen und er hatte auch keine Lust, sie zu hören.

"Aber die aus Berlin", fuhr er fort und wurde wieder leiser "die hier in der Botschaft rumschwirren, die haben, ehrlich gesagt eher keine Karriere in Deutschland gemacht..."

"Um Karriere in Deutschland zu machen, muss man erst Deutscher werden", ich brach schnell eine Sentenz übers Knie, die halbwegs zum Thema passte. Er schaute mich bedächtig an. Bevor er etwas sagen konnte, fügte ich schnell hinzu: "Und wer muss man erst in Polen werden, um Karriere zu machen?"

Ihm blieb das Grübeln über eine giftige Antwort erspart, denn vom Getränketisch eilte energisch die Frau Senatorin her, mit einem für ein offizielles Ereignis viel zu grellen Make-up, zu üppigem Schmuck, einem viel zu glitzernden silbergrauen Kleid und schwarzer, enger Kostümjacke. Wir kannten uns nicht näher, aber sie, mich neben ihrem Mann sehend, streckte mir ihre Hand in einer Position entgegen, die einen Handkuss abverlangte. Ich vergebe keine Handküsse, so charmant bin ich nun wirklich nicht. Ich nahm ihre Finger, hielt sie in der Ausgangsposition und verbeugte mich vornehm. Ryszard murmelte etwas in der Art: "Meine Frau Teresa, Redakteur Kubacki." Scheinbar hat er das Kapitel bei Knigge übersehen, wo die Umgangsregeln samt Reihenfolge bei der Vorstellung Unbekannter beschrieben sind.

"Sie kommen aus Warschau, ja?", stellte sie fest und versah die Feststellung mit einem dahingeworfenen Fragezeichen, mein Verhalten hat sie offenbar leicht überrascht. Ich hatte keine Ahnung, woher sie das gewusst haben konnte. "Schade, dass wir es nicht wussten, wir hatten einen freien Platz im Auto. Stimmt's Rysiu?"

Es ist seine zweite Frau. Etliche Jahre jünger als er. Sie heirateten vor drei Jahren, ihre Liaison begann aber bereits während er noch mit seiner ersten Frau verheiratet war. Sie hörten auf, ihre Beziehung zu verbergen, als die erste Frau Jaremska bei einem Unfall verunglückte. Sie fuhr allein, angeblich zu schnell, riss in einer Rechtskurve unerwartet das Lenkrad nach links und konnte die Fahrbahn nicht beherrschen, das überschlug sich und landete an einem Baum.

Der Unfall passierte einige Monate bevor Ryszard mitten in der Wahlperiode Senator wurde. Senatsmitglied wurde er infolge einer Zusatzwahl. Sein Vorgänger, Zygmunt Konopka, war ein zweitrangiger Politiker, dessen wichtigste Aufgabe darin besteht, für die Mehrheit in der Kammer mitzusorgen. Seine Wahl verdankte er der Tatsache, dass seine Kandidatur von der bei der Wahl erfolgreichen Partei vorgeschlagen wurde. Von den Pflichten eines Staatsmannes befreit, testete er nun, wie weit ein Bürger mit Immunität gehen kann. Mitten in der Wahlperiode verwickelte er sich in eine von den Medien abscheulich laut aufgegriffene Sittenaffäre, wonach ihn seine politischen Vorgesetzten zur Mandatsniederlegung zwangen.

Ich wusste, dass Ryszards Gattin seriöse Geschäfte in der Pharmaziebranche macht. Allerdings nicht in der Produktion, sondern eher im Arzneimittelvertrieb. Ihre Pilfarma entwickelte sich auf dem Medikamentenmarkt zu einem Potentaten.

Mein Wissen darüber verdankte ich hauptsächlich dem „Kurier”, jener Zeitung, bei der ich einige Monate nach meiner Rückkehr aus Berlin Einstellung fand, bevor ich ein paar Jahre später zur der seriösen, nicht nach Sensationen haschenden Wochenschrift "Welt" überwechselte. Insbesondere verdankte ich es aber Kinga Berent.

Kinga stieg ein Jahr nach mir beim „Kurier” ein. Sie war jung, ehrgeizig und regelrecht beutegierig. Sie begriff sofort, dass Journalismus weder ein Hobby, noch eine normale Arbeit – von hier bis da und nach Hause – bedeutet und nichts für diejenigen ist, die auf ein harmonisches Familienleben aus sind. Und sie war bereit, diesen Preis für ihre Karriere zu zahlen. Sie schuf immer ungewöhnliche Neuigkeiten heran und schrieb wie eine Maschine. In einer ihrer Artikelreihen beschrieb sie, wie sich die Firma Pilfarma, die der künftigen Frau Jaremska, damals Pilaszek gehörte, an ausländischen Medikamenten bereicherte. Sie korrumpierte Beamte und Ärzte. Die Beamten setzten die Arzneien auf die entsprechende behördlich anerkannte Liste und die Ärzte verschrieben sie, obwohl es ein preiswertes, polnisches Pendant dafür gab.

In gewissen Kreisen wurde angenommen, dass ich auch in den Ermittlungen zu Pilfarma mitgemischt habe, es war aber nicht so. Ich befasste mich lediglich mit der Redaktion der noch unbedarften und zuweilen extrem überzogenen Texte der angehenden Journalistin. Die Wahrheit lag anders – wir wurden damals ein Paar.

Mit diesen Artikeln wurde Kinga als Ermittlungsjournalistin bekannt, ließ Frau Pilaszek nicht mehr los und beschrieb ständig ihren weiteren Werdegang. Und als die Powerfrau Teresa Ryszard Jaremski heiratete, wurde auch er Thema dieser Artikel. Ryszard hat bestimmt vermutet, dass Kinga so manche Information über ihn von mir hatte. Auch wenn er nicht wusste, dass wir liiert waren, so sah er meinen Namen in derselben Zeitschrift. Er teilte also kaum die Sorge seiner Frau, dass wir nicht zusammen nach Berlin gekommen sind und machte nur eine ratlose Armgeste. Ich wollte der ansteigenden Spannung entgegenwirken und erklärte eilig:

"Ich bin schon seit Sonntag hier". Und als ich in ihren Augen etwas in der Art Verwunderung erblickte, fügte ich hinzu: "Ich nächtige in einem kleinen Hotel in Schöneberg.

"Sehr schön", entgegnete sie charmant, wobei es mir nicht klar wurde, ob ihr der ihr Name des Ortsteils etwas sagt oder nicht.

"Stimmt", sagte ich. Ich war in Kampfesstimmung. "Wissen Sie, dass es in den Zwanzigerjahren der Lieblingsstadtteil der Schwulen war?

"Wessen, bitte?", spitzte sie ihr Öhrchen.

"Der Schwulen und der Lesben. Korrekt ausgedrückt der Homosexuellen beider Geschlechter."

Sie lachte kurz und laut auf.

"Das Hotel heißt „Isadora”, fuhr ich fort. "Ich vermute, sein Besitzer ist von Jessenin fasziniert.

"Ach so?" lispelte sie desorientiert, das angeschlagene Thema war ihr ein Fremdwort. Richard hüstelte plötzlich, als wolle er etwas sagen, sprach aber kein Wort.

"Es geht um Isadora Duncan, die amerikanische Tänzerin, die dann Staatsbürgerin Sowjetrusslands wurde, erklärte ich, die Pose eines belehrenden Professors annehmend. "Es wird ihr nachgesagt, dass sie bisexuell war, obzwar einige daran zweifeln. Sergei Jessenin war ihr dritter Mann." Ich sah ihr direkt in die Augen und ergötzte mich an ihrer Verlegenheit. "Sie trug zu lange Schals und liebte es, in offenen Automobilen zu fahren. Und wissen Sie... in den Zwanzigern hatten die Autoräder Speichen und solche langen Schals verfingen sich leicht... Es war eine tragische Geschichte…"

Und da dachte ich plötzlich an den Unfall der ersten Frau von Ryszard. Ich wollte in keine verhäkelte Situation reintapsen. So entschuldigte ich mich und griff theatralisch nach meinem Handy. Ich tat so, als ob ich dringend jemanden anrufen müsse.

"Überlege dir die Sache, von der ich sprach!", sagte Ryszard schell und laut, als ich ihnen den Rücken zuwandte. "Wir reden nach der Feier darüber."

Ich entfernte mich in eine Saalecke.

Ich las erneut die rätselhafte SMS von Heinz. Ich müsste ihm schnellstens antworten, damit er weiß, dass ich die Nachricht gelesen habe, dachte ich. Ihr Inhalt war merkwürdig. Heinz fragte nicht, ob ich die Gesellschaft verlassen kann, fügte kein "wenn" hinzu, er forderte nur, dass ich mich in einer halben Stunde an der 300 m von der Botschaft entfernten Kreuzung zu stellen habe. Er hätte doch herkommen können. Warum kam er also nicht, sondern schrieb mir die Nachricht in dem Augenblick, als Kornel – theoretisch – seine Rede halten sollte. Der kategorische Ton dieser Nachricht ließ mir keine Wahl. Ich antwortete ihm mit drei Fragezeichen und zwei Buchstaben: OK.

Es war fast halb sechs, als der Sekretär...

...auf der Terrasse erschien und erklärte, dass der Botschafter alle hineinbitten lässt. Wir folgten ihm erleichtert, denn die Verspätung überstieg nun auch die polnischen Normen erheblich.

Der Botschafter wartete im Festsaal. Er lächelte nicht mehr amerikanisch, wie bei der Begrüßung. Neben ihm stand anstatt seiner Frau ein mir unbekannter pausbackiger Vierzigjähriger, der eine ordinäre Krawatte, eine sich eher zum täglichen Arbeitsgang als für diplomatische Meetings eignende Jacke und eine dunkle Hose trug. Er hielt eine Hand in der Tasche.

Kornel war immer noch nicht da.

Stachowicz zeigte mit einer Geste, dass er etwas sagen will.

"Sehr geehrte Damen und Herren", sagte er mit heiserer Stimme und als alle aufblickten, hüstelte er und sagte es noch einmal, zunächst auf Polnisch, dann kürzer gefasst auf Deutsch. "Sehr geehrte Damen und Herren, wir sind hier alle aus einem Grund erschienen. Wir kennen ihn alle. Wir sollten an der feierlichen Übergabe des Verdienstordens der Republik Polen teilnehmen, der einem herausragenden Exil-Oppositionellen für die Unterstützung der demokratischen Opposition in der Zeit der VRP vom Präsidenten unseres Landes verliehen wurde. Unser Programm hat sich jedoch unverhofft verändert. Ich möchte Ihnen den Kommissar Schwalbe von der Berliner Kripo vorstellen. Er möchte uns etwas mitteilen.

Der Polizist zog die Hand aus der Tasche und erklärte kurz, bündig und sachlich:

"Ich weiß, dass Sie alle auf Herrn Kornel Topolski warten. Leider bin ich gezwungen, Sie darüber in Kenntnis zu setzten, dass Herr Topolski nicht kommen wird. Heute Mittag wurde er tot in seiner Wohnung aufgefunden.

Der Blitz, der sich seit frühem Nachmittag am heiteren Himmel abzeichnete, schlug doch noch ein.

Mein Handy summte wieder leise, unhörbar für die anderen. Ich griff in meine Tasche. Heinz fragte wieder, ob ich bestimmt pünktlich am verabredeten Ort bin. Der Augenblick war unpassend, ich konnte die Botschaft jetzt nicht verlassen. Ich antwortete ihm, dass ich in einer Viertelstunde da bin. Ich dachte plötzlich, dass Heinz es gewusst haben musste, das heißt das, was uns Schwalbe gerade eröffnete, und deswegen nicht erschienen ist. Bei seinen zahlreichen Kontakten in der Berliner und Brandenburger Polizei und sogar bei der Bundeszentrale in Wiesbaden, wäre es keine Überraschung für mich.

Bevor der Botschafter den Kommissar ins Polnische übersetzte, hat die versammelte Gesellschaft verblüfft und erschrocken reagiert, es verstanden ja fast alle Deutsch. Die meisten waren, wie ich, sprachlos. Es ist so ein Moment, wenn dich jemand in einer Fremdsprache anspricht und du weißt nicht, wie du dich verhalten sollst. Bitten, dass er es wiederholt? Ratlos mit den Händen flattern? Der neben mir stehende Engländer, mit einer Fliege und einem Jackett, das getreu britischer Eleganz leicht abgetragen wirkte, hat vermutlich noch nicht begriffen, worum es geht, denn er fragte seine polnische Frau: "What’s going on? What happened?" Und als er endlich erfuhr, was passiert ist, rief er entsetzt: "Oh, God! Incredible!"

"Ja, meine Damen und Herren", wiederholte Botschafter Stachowicz laut und die Leute beruhigten sich kurz. Herr Kornel Topolski ist tot. Diese traurige Nachricht erreichte mich vor zehn Minuten und ich kann selbst noch kaum daran glauben. nHerr Kommissar Schwalbe und ich möchten Sie herzlich bitten, dass Sie uns beim Verlassen der Botschaft Ihren Aufenthaltsort in Deutschland nennen. Das ermöglicht der Berliner Polizei, bei Bedarf Kontakt mit Ihnen aufzunehmen. Ich wiederhole, wird befinden uns auf polnischem Territorium und können Sie daher nur darum bitten. Wenn jemand es nicht will, weil er zum Beispiel die Bundesrepublik gleich verlassen wird, wird es ihm von niemandem übel genommen.

Selbstverständlich meldete jemand gleich seine Zweifel.

"Herr Botschafter, ich habe eine Frage", sagte der neben Ryszard stehende, füllige Mann in einem Kordjackett und offenem Hemdkragen. Mit seiner Kleidung demonstrierte er die Ablehnung der Bekleidungsnormen in der Diplomatie. Ich erkannte die Stimme. Es war Edek Skulski, genannt Edi, der vor Jahren gemeinsam mit Roman den Verein der Politischen Flüchtlinge aus Osteuropa in Westberlin gründete. "Unter uns befindet sich ein Senatsmitglied der RP. Er hat einen Diplomatenpass und genießt Immunität. Er muss sich doch nicht in die Liste eintragen?

Der Kommissar interessierte sich für die Frage. Der Botschafter übersetzte sie kurz. Schwalbe erwiderte etwas und Stachowicz nickte.

"Das versteht sich von selbst", sagte er auf Polnisch. "Herrn Senator muss es nicht tun. Es war nur eine Bitte des Kommissars."

"Edi als Sprecher des Senators?", ich war etwas überrascht. Ich erinnerte mich daran, dass Ryszard seinerzeit sein politischer Lehrmeister war. Edi bewunderte ihn dafür, dass er bereits als junger Oppositioneller, noch vor der Entstehung der „Solidarność” im Gefängnis saß und sich während des Krieges entschieden gegen das Regime stellte. Es war immer ein Fest für Edi, wenn Jaremski nach Berlin kam. Er begleitete ihn beinahe auf Schritt und Tritt, kutschierte ihn durch die Stadt, versorgte ihn und ließ ihn bei sich wohnen.

Trotz der Bewunderung, die er ihm entgegenbrachte, hat er sich, als ich ihn mal zu einem Bier einlud, über ihn beschwert.

"Ich war eine zeitlang so arm, dass ich mir keine Zigaretten leisten konnte", erzählte er. "Ehrlich, ich habe Zigarettenstummel von der Straße aufgelesen. Aber wenn Ryszard kam, sorgte ich dafür, dass der Kühlschrank voll ist. Er übernachtete, trank und aß bei mir, und hat nie gefragt, ob ich etwas brauche. Niemals. Und er bekam doch jedes Mal ein Honorar, das mehrfach höher als meine monatliche Beihilfe war..."

Ich dachte, dass Ryszard ihn jetzt vielleicht irgendwie unterstützt, wo er doch bedeutend vermögender ist. Edi sah nämlich nicht sehr wohlbetucht aus.

Von Heinz Kurznachrichten immer häufiger bedrängt, war ich so gescheit, dass ich als erster an dem kleinen Tisch erschien, wo man seine Angaben eintragen sollte. Ich schrieb den Namen und die Adresse meines Hotels auf meine Visitenkarte. Gleich darauf stand auch Roman neben mir.

"Gehst du schon?", fragte er, ohne sein Gesicht nur ein bisschen zu verziehen. Er sah genauso niedergeschmettert aus, wie alle anderen. "Soll ich dich irgendwohin fahren? Vielleicht ins Hotel? Ich fahre dran vorbei."

"Nein, nein!", widersprach ich heftig. "Ich muss erst zu mir kommen. Ich mache lieber einen Spaziergang, laufe zur U-Bahn und fahre so zurück, wie ich herkam", log ich.

"Wie du willst". Er protestierte nicht. "Ich bleibe hier. Vielleicht erfahre ich irgendwelche Einzelheiten, weil das, verdammt, irgendwie unbegreiflich ist. Andererseits ist es kaum zu glauben. Du bist erst seit vier Tagen in Berlin und es ist schon der zweite Mord, der in deinem Umfeld passiert", sagte er laut, als ich mich dem Ausgang zuwandte.

"Na eben", sagte ich. Seine Worte überraschten mich.

"Wenn irgendetwas ist, rufe mich an", rief er mir noch zu.

Als ich die Treppe...

...herunter lief, wusste ich nicht, was Roman sich eigentlich dabei dachte, als er diese beiden Morde mit mir in Zusammenhang brachte. Unter den in der Botschaft anwesenden Personen, war er der einzige, der auf eine solche Idee hätte kommen können. Nur er wusste von dem dramatischen Begebnis, das sich vor zweit Tagen im Hotel „Isadora” ereignete und dessen zufälliger Zeuge ich war. Und zwar von mir.

An diesem Tag war ich mit Roman zu einem Plauderstündchen verabredet. Wir hatten ausgemacht, uns um zwölf Uhr mittags beim Mexikaner zu treffen. Er hatte Zeit, weil er, wie er sagte, seinen Job beim Deutschen verloren hat und im Augenblick frei war. Als wir uns hinsetzten, erzählte ich ihm, dass in meinem Hotel, im Zimmer, das gegenüber meinem lag, irgendjemand einen Russen erschoss. Ein Tag früher hatte ich seinen Namen erfahren. Er wurde mit dem Namen Jurij angesprochen.

Meine Beziehungen zu Roman waren weder feindlich noch freundschaftlich, sie waren aber auch nicht belanglos. Sie waren schwer definierbar. Ich habe sogar überlegt, ob ich mich mit ihm treffen soll oder nicht. Ich konnte keinen triftigen und konkreten Grund für ein Treffen mit ihm finden. Ich nehme an, ich wollte ihm und auch mir selbst gegenüber demonstrieren, wie gleichgültig mir meine Berliner Vergangenheit nach all den Jahren ist, dass die Zeit Splitter entfernt und Wunden heilt, Schmerzliches vergessen lässt und wie großzügig ich doch sei, indem ich die lebende männliche Verbundenheit der verblassten Eifersüchtelei auf eine Frau bevorzuge. Es steckte eher intellektuelle Korrektheit als Ehrlichkeit dahinter. Wie es denn auch sei, habe ich drei Wochen vor meiner Berlinreise Kornel gebeten, mir seine E-Mail-Adresse zu schicken.

Als ich das Treffen plante, hoffte ich bestimmt auch auf etwas, was ich nie laut zugeben würde. Auch nach den vielen Jahren, ließ mich die Frage nicht los, warum mich Danka gerade für ihn verließ. Vielleicht wollte ich aber auch bei einem bei einem Tête-à-Tête die ungesunde Genugtuung genießen, dass sie auch ihn, noch bevor ich für immer nach Warschau zurückreiste, für einen anderen sitzen ließ?

Kornel antwortete, er kenne seine Adresse nicht. Anscheinend pflegten sie keinen Kontakt zueinander. Ich wunderte mich, denn Roman Fedryna gehörte zu dem redaktionellen Kreis, mit dem Kornel, als Chef von „Zdanie” am längsten zusammenarbeitete. Sie kannten sich, bevor ich dazu kam.

Einige Tage später wunderte ich mich noch mehr. Roman meldete sich von selbst bei mir. Er schrieb, dass er von meinem geplanten Berlinbesuch erfahren habe und dass er sich sehr darüber freue. Wir tauschten so an die zehn E-Mails, erst sehr reserviert und von kühler Freundlichkeit, dann wurden sie aber immer ehrlicher. Ich berichtete ihm über meine Pläne für den einwöchigen Aufenthalt, für den ich mich entschied, als die Einladung von der Botschaft kam. Ich äußerte den Wunsch, ihn zu treffen. Er schlug vor, dass wir gemeinsam ein Bierchen trinken und uns an die alten Zeiten erinnern.

Seine letzte Mail war bereits sehr freundschaftlich. Er begann sie mit "Grüß Dich, altes Eisenzyan" und verzichtete auf die distinguierte Anrede "Teurer Jakub”. Er erinnerte mich damit daran, dass er einst mein Pseudonym verdrehte, mit dem ich meine Kommentare im „Zdanie” unterzeichnete. Anfangs klang er recht prätentiös „Jan Cyprian Żelazo”*, dann kürzte ich es und unterschrieb mit „Jan C. Żelazo”. Fedryna, der chemische Begriffe kannte, da er vor der Flucht in den Westen an der Humboldt-Uni in Ostberlin Chemie studierte, las das Pseudonym rückwärts, was wie Eisen-Ce-Jan klang. Und seitdem nannte er mich so. Bis alles zwischen uns den Bach runter ging.

Jetzt erwies sich Roman jedoch als sehr hilfreich – er holte mich vom Bahnhof ab, fragte, ob ich etwas benötige, brachte mich ins Hotel und sorgte sogar dafür, dass ich kein unnötiges Geld für Ortsgespräche ausgebe, indem ich von meinem Handy über Polen anrufe. Er borgte mir eines mit der Karte eines deutschen Betreibers. Als ich protestierte, sagte er, er habe mehrere Handys und die Karte war billig und ist bald abgelaufen und ich müsse sowieso bald eine neue kaufen. Wenn ich wolle, könne ich ihm das Handy vor meiner Rückreise zurückgeben.

Diese Geste fand ich sogar echt rührend.

Jetzt aber, als ich zu dem von Heinz festgelegten Treffpunkt eilte, habe ich nicht die Beziehung zu Roman analysiert, ich war viel mehr mit dem Gedanken beschäftigt, was um mich herum geschah. Ich war noch nie in der Gegend der neuen polnischen Botschaft. Zu der ausgemachten Kreuzung führte zwar ein gerader Weg, aber ich wollte mich lieber an den Straßenschildern orientieren. Einige der hiesigen Straßen bogen nämlich plötzlich ab und gerade aus führte eine Straße mit einem völlig anderen Namen.

Die Koenigsallee sah wie eine der Hauptstraßen in diesem Ortsteil von Berlin aus. Wenn Heinz mit dem Auto herkam, muss er ein wenig abseits geparkt haben. Als ich mich der Kreuzung näherte, wählte ich seine Nummer. Als er sich meldete, und wie immer nur seinen Vornamen nannte, sagte ich ihm, dass ich da sei.

"Ich sehe dich im Spiegel", hörte ich. "Schau nach rechts, da siehst du meinen dunkelblauen Opel. Komm her und steige ein."

"Okay, Heinz. Aber verrate mir, machen wir bei irgendeinem Spionagefilm mit?" Zu dem Scherz hat er mich selbst provoziert, obwohl die Situation gar nicht spaßig war.

"Steig einfach ein", befahl er kurz, ohne auf meine Frage zu reagieren.

Ich ging auf die andere Straßenseite, wo sein Auto parkte. Andere dunkelblaue Opels standen hier nicht, so konnte ich ihn nicht verfehlen. Ich stieg ein. Heinz atmete erleichtert auf. Sein Gesicht war todernst.

"Saluto", sagte er farblos. "Du weißt es bereits?"

Ich nickte. Dann schwiegen wir. Drei Sekunden.

"Hast du keine Tasche mit?", fragte er.

"Nein, das was ich brauche, hab ich in meinen Jacketttaschen."

"Gut. Dann fahren wir los", sagte er, schaute immer noch nach Vorne und drehte den Zündschlüssel um.

"Gut, fahren wir los. Aber wohin?"

Erst dann drehte er sich zu mir. Die eine Hand auf dem Lenkrad, die andere an der Gangschaltung fragte er mich ernsthaft:

"Kuba, wir kennen uns seit Jahren. Vertraust du mir?"

"Glaube schon", antwortete ich unsicher.

"Grenzenlos?"

"Worum geht es aber?" Ich wurde unruhig.

"Ich sag es dir, bevor wir losfahren. Du wirst dich sicherlich wundern, aber du kannst nicht zurück ins Hotel."

"Warum?", fragte ich lauter.

"Das ist es eben. Das kann ich dir jetzt nicht erklären."

Mir wurde es irgendwie mulmig. Ich fühlte mich, als würde mir jemand meinen freien Willen rauben und das mag ich nicht. Grenzenloses Vertrauen, eine Eigenschaft, die eher zum Kind passt, war, als ich erwachsen wurde, nicht gerade mein Leibgericht.

"Willst du mir zeigen, worauf Vertrauen beruht, ja?", fragte ich vorwurfsvoll. "Du weißt doch aber, dass wenn du es mir nicht sagst, dann..."

Er unterbrach mich mit einer Handbewegung.

"Ich sage dir nur so viel: du kannst nicht dahin, wenn du nicht verhaftet werden willst. Den Rest musst du dir selbst zurechtbasteln."

Der Schlag saß. Ich war sprachlos.

Er fuhr los und bog gleich nach der Ampel nach rechts, in die Koenigsallee, ab.

"Außerdem muss ich zugeben, dass du heute sehr nobel aussiehst", fügte er höhnisch hinzu, wobei er sich an seiner langen Nase rieb.

Von dem Mord im Hotel „Isadora”...

...erzählte ich Heinz am Telefon kurz nachdem er passierte, noch bevor ich mich mit Roman traf. Die Hotelbedienung entdeckte die Leiche Jurijs am Dienstag früh, als ich noch die Strapazen des letzten Abends ausschlief. Als ich aufwachte, waren bereits die Polizei und der Gerichtsarzt da. Ich hörte zunächst für ein ruhiges Hotel ungewöhnliche Laute. Ich ging jedoch nicht raus, um sie zu lokalisieren. Erst als der Lärm und die Rufe nicht aufhörten, warf ich mir etwas über und öffnete die Tür einen Spalt weit. Das erste, was ich durch den Spalt zwischen Tür und Türrahmen sah, war die dunkelblaue Polizeiuniform. Ein junger Polizist drehte sich um und sagte, ich solle einen Moment warten. Er ließ mich zwar nicht raus, aber er verbot mir nicht, zuzuschauen. Ich steckte meinen Kopf raus. Ich sah, dass die Tür zum Zimmer gegenüber auf ist und dass die Sanitäter eine Trage rausschieben, worauf eine komplett zugedeckte Leiche lag. Als die Trage durch den Türrahmen in den Engen Korridor geschoben wurde, hat sich das Laken etwas verschoben und ich sah das Gesicht des Toten. Es war Jurij. Er sah so aus, als hätte die Kugel seinen Schädel ein Stückchen über der Nase durchbohrt. Seine Augen waren geöffnet.

Den vorangegangenen Abend verbrachte ich mit Heinz in einem kleinen Klub am Prenzlauer Berg. Es wurde Jazz gespielt und man konnte mehrere Biersorten probieren: helles, dunkles, grünes, das nur in Berlin serviert wird, Weizenbier, nicht pasteurisiertes Bier, aus der Flasche, vom Fass, jedem, wie er sich's wünschte. Mir gefiel beides. Dort, wo Jazz gespielt wird, trifft man Leute unterschiedlichen Alters, da fallen zwei noch ganz gut erhaltene Herren, aber doch schon im gereiften Alter nicht besonders auf. Außerdem ist Jazz in deutscher Fassung absolut genießbar.

Vier Musiker spielten Smooth Jazz, der sich angenehm anhörte, aber keine sonderlichen Gemütsbewegungen hervorrief. So konnten wir unser Bier trinken, Chips knabbern und konferieren.

Wir erinnerten uns, wie wir uns durch Zufall 1981 in Warschau kennenlernten. Heinz, damals ein zwanzigjähriger Student, kam mit einer Westberliner Theatergruppe, die sein Stück ausstellte, das mit einer Leidenschaft, die nur ein junger Autor an den Tag zu legen fähig ist, über das Böse dieser Welt berichtete. Die Schauspieler zeigten in der Manier von Zirkustricks wie das Böse nach entsprechender Transformation in den Medien und in der Politik wie höchstes Gut präsentiert wird.

Die Mitglieder der Truppe wollten nicht nur mit der Kritik der bürgerlichen Ordnung an der Warschauer Universität auftreten, sie wollten auch sehen, was in Polen los ist, wo es ja wegen „Solidarność” richtiggehend kochte. Sie begriffen nicht ganz, wie die Arbeiter sich gegen ihren eigenen Staat auflehnen können, der ihrer Ansicht nach die Grundsätze der sozialen Gerechtigkeit verwirklichte. Ich hatte als Student in der Schule erworbene Deutschkenntnisse und wurde sozusagen der Fremdenführer von Heinz. Ich versuchte ihm zu erklären, worum es in der polnischen Revolte geht und worauf die Unterdrückung in einem Staat beruht, der auf der Diktatur des Proletariats basiert. Er sog meine Erklärungen regelrecht auf, aber die Zeit, wo seine Utopie in die Brüche ging, muss für ihn sehr schwer gewesen sein. Er glaubte wirklich, dass in Kuba, China, Russland und auch hinter der Berliner Mauer Länder aufgebaut werden, in welchen soziale Gerechtigkeit herrscht. Aber auf meine Frage, warum sie also nicht mit ihrer ganzen Theatertruppe in die DDR umziehen, fand er keine plausible Antwort. Er stotterte, dass es nicht so einfach sei, dass der Kampf um die Bewusstseinsänderung dort geführt werden muss, wo man lebt, sonst könne man die bürgerliche Mentalität nie ändern. Er klang, wie ein Nachkomme von Mai achtundsechzig. Ich rechnete mir den Verdienst an, sein Bewusstsein umgebaut zu haben.

Ich bat ihn damals unverbindlich um seine Adresse, falls ich irgendwann in Berlin sein sollte... Ich ahnte nicht, dass ich drei Jahre später mit unabgeschlossenem Studium und einem One-Way-Ticket hinter der Berliner Mauer lande.

Eigentlich war es weder Flucht noch Verbannung. Ich bat Heinz um eine Einladung und ich reiste legal aus. Und ich kehrte nicht zurück. Die ersten drei Monate, bis ich keine Asylantenpapiere und kein Geld des deutschen Steuerzahlers bekam, wohnte ich bei ihm, in den nächsten drei Monaten bezahlten wir die Miete gemeinsam.

Erst herrschte zwischen uns volle Harmonie, dann kamen Spannungen auf. Die Teilung des gemeinsamen Lebensraums durch einen Polen und einen Deutschen, insbesondere wenn man jung und sich verschiedener Dinge nicht bewusst ist, ist die reinste Herausforderung an die Kultur. Zum Schluss ging's darum, dass ich nicht begreifen konnte, dass man die Flaschenverschlüsse aus Alu nicht in den normalen Müll wirft, sondern wochen- und monatelang in einem separaten Behälter sammelt, nur um sie dann doch wegzuschmeißen. Als er wieder einen Verschluss im Müllkorb fand, den ich nach meiner Warschauer Gewohnheit spontan hineingeworfen hatte, machte er mir eine Vorlesung zum Thema Müll, wobei er mich sanft auf die Kulturunterschiede in Mitteleuropa aufmerksam machte. Aber bevor die Bombe richtig zum Platzen kam, zog ich zu Danka. Heinz und ich konnten unsere Freundschaft fortsetzen und ich musste nicht mehr unter der Mülltrennung leiden, was für mich damals eine echte, zu große Herausforderung bedeutete.

Ich kam spät im Hotel an und schlief - bierbetäubt wie ich war - schnell ein. So hatte ich keine Ahnung, was in dem Zimmer gegenüber passierte. Das sagte ich auch den Polizisten, die alle im Hotel verhörten. Als sie erfuhren, dass ich ein Pole bin, wollten sie mir einen Dolmetscher stellen, ich sagte aber, ich bräuchte keinen. Ich erzählte ihnen, weshalb ich nach Berlin gekommen sei, unterschrieb das Protokoll und sie ließen mich in Ruhe. Sie informierten mich nur noch, dass ich zwecks weiterer Aussagen, vielleicht noch ins Polizeirevier müsste.

"Hast du erfahren, wie Kornel...

...umgebracht wurde?" fragte ich Heinz, als wir Richtung Stadtzentrum fuhren.

"Und, haben sie gesagt, dass er umgebracht wurde?", antwortete er mit einer Frage.

"Der Kommissar, ich glaube, er hieß Schwalbe, sagte, er wurde tot aufgefunden", präzisierte ich.

"Eben. Das heißt noch nicht, dass er ermordet wurde. Er hätte an einem Infarkt oder an einem Blutsturz gestorben sein können..."

"Ach ja, und deswegen hat sich die Kripo seiner angenommen?", entgegnete ich spöttisch.

"So so, sie sagten, sie seien von der Kripo?"

Ich antwortete nichts mehr.

"Er wurde erschossen", sagte Heinz nach einer Weile.

Ich schwieg weiter.

"So um eins in der Nacht", ergänzte er.

Ich hatte nichts hinzuzufügen.

"Kurz bevor die letzte U-Bahn fuhr."

In meinem Kopf explodierte eine kleine Bombe. Worauf wollte Heinz hinaus?

"Was hat das mit der Sache zu tun?", fragte ich.

"Keine Ahnung. Man weiß ja nie. Wenn der Mörder mit der U-Bahn gefahren ist, hat es schon damit zu tun. Sie werden die Fahrgäste suchen, die mit der letzten Bahn fuhren.

"Ziemlich gewagt", bemerkte ich.

"Nicht, wenn sie das im Fernsehen oder auf den Bildschirmen in der U-Bahn bekanntgeben."

Ich versuchte, den Gedankengang von Heinz zu nachvollziehen.

"Und deswegen denkst du, dass ich nicht ins Hotel kann?

"Ich weiß, dass du dich gestern mit Topolski treffen wolltest. Hast es mir selbst erzählt."

Ich konnte schlecht aus dem rasenden Auto aussteigen, aber ich fing zu kochen an.

"Und du denkst, ich könnte ihn erschossen haben?", lachte ich laut auf.

"Kuba, erzähl keinen Quatsch!", schalt er mich. "Das, was ich denke, ist jetzt Schnuppe. Wichtig ist, was die Polizei denken könnte. Wann bist du von Topolski weggegangen?"

Ich schüttelte erschrocken den Kopf. Es war unfassbar.

"Es sieht so aus, als sei ich der letzte, der Kornel lebendig sah..."

"Der vorletzte, Kuba, der vorletzte! Der letzte, der ihn sah, war der Mörder. Und daran hältst du dich. Für die Polizei wärst du aber der letzte. Was denkst du, wie lange brauchen Schwalbes Leute, um das zu erfahren?"

Er hatte recht.

"Es reicht, wenn sie mich noch einmal verhören", sagte ich resigniert.

Seit Anbeginn unserer Bekanntschaft hatte ich dasselbe Problem mit Heinz. Es resultierte aus seiner Vorliebe für Bühnenkunst. Nicht nur für Theater, auch für Illusion. Zaubertricks waren sein Hobby. Am Anfang dachte ich, es sei die Fortsetzung irgendeiner Faszination aus der Kindheit. Früher spielte er pausenlos mit Münzen, er ließ sie durch die Finger wandern, ließ sie verschwinden, er übte Spielkartentricks, vergeudete seine Zeit, um Nummern zu beherrschen, bei welchen kleine Gegenstände auftauchten und entschwanden. Solange er sich mit Amateurtheater befasste, mochte er es, Zirkuskunst in die Stücke einzubinden. Das merkte ich bereits damals, in Warschau. Nach Jahren gelangte ich zu der Schlussfolgerung, dass ein so unnützes Hobby mit seinem Charakter zu tun haben muss. Heinz liebte es, nein, er begehrte es, sein nächstes Umfeld zu überraschen, einen eindrucksvollen Effekt zu erzeugen, wobei er die Hintergründe geschickt zu verstecken wusste.

"Befasst du dich immer noch mit Zauberkunst?", fragte ich.

"Manchmal", entgegnete er teilnahmslos.