Bernd Lafrenz - Mit Shakespeare unterwegs - Yvonne Jäckel - E-Book

Bernd Lafrenz - Mit Shakespeare unterwegs E-Book

Yvonne Jäckel

0,0

Beschreibung

Seit über 30 Jahren ist der Schauspieler Bernd Lafrenz mit seinen einzigartigen, mehrfach preisgekrönten Shakespeare-Solo-Komödien erfolgreich. Die Anglistin Yvonne Jäckel durfte ihn auf einigen seiner Theater-Tourneen quer durch Deutschland begleiten und einen Blick hinter die Kulissen werfen. In Zusammenarbeit ist ein Buch entstanden, das Einblicke sowohl in die Entwicklung von Lafrenz’ Shakespeare-Adaptionen, als auch in die Welt des freien Theaters gewährt. Lafrenz schildert die wichtigsten Stationen seiner beruflichen Laufbahn von den ersten Bühnenerfahrungen in seiner Geburtsstadt Kiel, bis hin zu den noch heute gespielten neun Solo-Programmen frei nach Shakespeare: Hamlet, Macbeth, Othello, Romeo und Julia, König Lear, Der Sturm, Ein Sommernachtstraum, Der Widerspenstigen Zähmung und Die Lustigen Weiber von Windsor. Neben Anekdoten am Rande der Auftritte und Interviews mit Theaterleitern sowie mit Lafrenz’ langjährigem Regisseur Abel Aboualiten findet man hier Interessantes zu diversen Aspekten rund um Shakespeare und das Theater seiner Zeit, aber auch zu anderen Theaterformen, die Lafrenz’ Spiel beeinflusst haben.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 543

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über das Buch

Seit über dreißig Jahren ist der Schauspieler Bernd Lafrenz mit seinen einzigartigen, mehrfach preisgekrönten Shakespeare-Solo-Komödien erfolgreich.

Die Anglistin Yvonne Jäckel durfte ihn auf einigen seiner Theater-Tourneen quer durch Deutschland begleiten und einen Blick hinter die Kulissen werfen. In Zusammenarbeit ist ein Buch entstanden, das Einblicke sowohl in die Entwicklung von Lafrenz’ Shakespeare-Adaptionen als auch in die Welt des freien Theaters gewährt.

Lafrenz schildert die wichtigsten Stationen seiner beruflichen Laufbahn von den ersten Bühnenerfahrungen in seiner Geburtsstadt Kiel und den ersten Projekten mit seinen Theater-Lehrern Peter Nickel, Johannes Galli, Philippe Gaulier und Benito Gutmacher bis hin zu den noch heute gespielten neun Solo-Programmen frei nach Shakespeare: Hamlet, Macbeth, Othello, Romeo und Julia, König Lear, Der Sturm, Ein Sommernachtstraum, Der Widerspenstigen Zähmung und Die Lustigen Weiber von Windsor, das im Shakespeare-Jahr 2014 im Theater Wolfsburg uraufgeführt wurde.

Neben Anekdoten am Rande der Auftritte und zahlreichen Interviews mit Theaterleitern sowie mit Lafrenz’ langjährigem Regisseur Abel Aboualiten findet man hier Interessantes zu diversen Aspekten rund um Shakespeare und das Theater seiner Zeit, aber auch zu anderen Theaterformen, die Lafrenz’ Spiel beeinflusst haben.

Mehr auf www.lafrenz.de; Kurzfilme bei YouTube

Über die Autorin

Yvonne Jäckel studierte Anglistik und Italienisch an der Freien Universität Berlin. Ihre Magisterarbeit in englischer Sprache widmete sich Shakespeare. Seit 2011 arbeitet sie als freie Übersetzerin für die Sprachen Englisch und Italienisch und übersetzt vor allem Literatur und Künstlerwebsites.

Mehr auf www.Jaeckel-uebersetzungen-translations-traduzioni.de.

INHALT

Vorwort

von Klaus Buchmann, Kulturamtsleiter Biberach

Kapitel I: „Wir sind aus solchem Stoff wie Träume sind“

Tour 1: Von

König Lear

in Hamm zum

Sommernachtstraum

in Reinbek

Vorgeschichte: wie es zu diesem Buch kam (inkl. Kurzbeschreibung der Stücke Othello, Macbeth, Romeo und Julia, Der Sturm, Hamlet und Liebe, Lust und Leidenschaft)

Rückblende/Biografie: 1955-1983: Kindheit und Jugend in Kiel – Studium – erste Theatererfahrungen – Gründung Theater König Alfons – Zusammenarbeit mit Johannes Galli: Schneewittchen, Die Prüfung, Kain und Abel – Premiere des ersten Shakespeare-Solos Hamlet

Festival von Avignon

Commedia dell’arte

Rekonstruktion des Globe-Theaters

Johannes Galli

Die Royal Shakespeare Company

Cardenio

Interviews: 1. Bernd M. Kraske (Kulturzentrum Reinbek)

2. Andreas Etienne (Haus der Springmaus, Bonn)

Kapitel II: William Shakespeare – Wahrheit und Legende

Interviews: 3. Margret Geelen (Agentur Kontrapunkt, Köln)

4. Claus Lehmann (Leiter Jugendkulturring Bielefeld)

FOTOS

Kapitel III: „Was Ihr nicht tut mit Lust, gedeiht Euch nicht“

Tour 2: Premiere von

Der Widerspenstigen Zähmung

in Minden

Rückblende/Biografie: 1980/81: Kennenlernen von Bernd Lafrenz und Abel Aboualiten – 1989: erste Zusammenarbeit bei Macbeth

Stierkämpfe in England im 16. Jahrhundert

Die Geschichte der Pantomime

Marcel Marceau

Die Universität von Padua

Interviews: 5. Abel Aboualiten (Regie)

6. Bertram Schulte (Intendant a. D., Stadttheater Minden)

Kapitel IV: Bernd Lafrenz erzählt:

Meine Pilgerfahrt nach Stratford-upon-Avon

Interviews: 7. Siegfried Keuper (Theaterdirektor a. D., Theater Itzehoe)

8. Nick Haberstich (Leiter Theater am Martinstor, Freiburg)

Kapitel V: „Weißt du, warum einem die Nasemitten im Gesicht steht?“

Tour 3:

König Lear

und

Ein Sommernachtstraum

in Bernburg; inkl. Interview mit Achim Thom (1)

Rückblende/Biografie: 1984-1990: Vorbilder – Lehrer: Philippe Gaulier und Benito Gutmacher – Stücke: Brot, Faust ver-rückt, Molière und ich, Caligula, Bleib im Pyjama

Das Vagabundengesetz von 1572

Benito Gutmacher

Philippe Gaulier

Entwicklung des Berufsschauspielertums in England

Zuschauerbericht: Waldemar Häußer zu Molière und ich

Interviews: 9. Martin Setz (Intendant a. D., Theater Bernburg)

10. Gundula Ott (Kulturreferentin der Arbeitnehmerkammer Bremerhaven)

FOTOS

Kapitel VI: „Dies über alles: Sei dir selber treu!“

Tour 4:

Macbeth

in Reinbek;

Der Widerspenstigen Zähmung

in Itzehoe;

Romeo und Julia

in Bad Oeynhausen;

Liebe, Lust und Leidenschaft

in Höxter; inkl. Interview mit Achim Thom (2)

Rückblende/Biografie: 1989- Gegenwart: Macbeth; Othello; Entstehung der Erzählfiguren – Veränderungen von Der Widerspenstigen Zähmung gegenüber der Premiere – Romeo und Julia – Minne, Mord und Memmen/Liebe, Lust und Leidenschaft – Der Sturm – allgemeine Themen zur Arbeit mit Shakespeare

The Scottish Play

Zuschauerbericht: Bärbel und Waldemar Häußer zu Minne, Mord und Memmen

Interviews: 11. Dagmar Korth (künstlerische Leiterin Freie Kulturinitiative Höxter)

12. Michael Oberhaus (Lüdinghausen)

13. Klaus Buchmann (Kulturamtsleiter Biberach)

Kapitel VII: Bernd Lafrenz erzählt:

Nach 33 Jahren wieder in der Kieler PUMPE

Schlusswort

von Bernd Lafrenz

Danksagung

Anhang a) Stimmen aus dem Publikum:

Minden: Angelika Hornig

Saulheim: Bärbel und Waldemar Häußer

Bremerhaven: Frau Meyer zu Schweicheln

Reinbek: Frau Grundmann

Bad Oeynhausen: Raymond Culp und Elizabeth Fauver aus den USA

Bernburg: Frau Pikarski

Mayen: Frau Katharina Klaes

Bonn: Pedro und seine Mutter

Freiburg: Anthony Marshall

Anhang b) Zeittafel Bernd-Lafrenz-Biografie

Anhang c) Chronologie Shakespeares Dramen

Anhang d) Bildnachweis

Anhang e) Auswahlbibliografie/Quellenangaben

Vorwort

Ver-rückt nach Shakespeare

Was bringt einen Schauspieler dazu, mehr als dreißig Jahre die Stücke eines einzigen Autors zu inszenieren, zu spielen, aber auch mitunter zu interpretieren?

Und wieso spielt Bernd Lafrenz seither seine Shakespeare-Stücke vor vollen Häusern und einem begeisterten wie treuen Publikum?

Vor über dreißig Jahren wurde Bernd Lafrenz mit dem Shakespeare-Virus infiziert. Gott sei Dank!

Denn seither sorgt er dafür, dass Hamlet, Othello & Co. auch auf den Kleinkunstbühnen dieser Welt regelmäßig zu erleben sind. Dabei wurden Shakespeares Werke aber nie effekthascherisch umgesetzt oder zum Klamauk oder zur Klamotte reduziert. Bernd Lafrenz schlüpft dabei selbst in alle Rollen und verleiht den Requisiten und Kostümen vielerlei überraschende Funktionen.

Dies ist so überzeugend, dass er sich nicht nur in Deutschland einen Namen als Ein-Mann-Theater erspielt hat. Einladungen zu Theaterfestivals in Südfrankreich nach Avignon, Monaco, Cannes etc. in französischer Sprache zeugen davon.

Überhaupt ist es faszinierend, wie Lafrenz Tag für Tag von einem Stück zum anderen zu wechseln vermag, ohne dabei Texte, Rollen und Requisiten zu verwechseln.

Shakespeare war kein Intellektueller oder Gelehrter. Er war ein erfolgreicher Theatermacher und Volksschauspieler in seiner Zeit. Und Bernd Lafrenz ist es heute.

Lafrenz schafft durch die Reduktion der Texte auf das Wesentliche, die sprachliche Adaption in die Jetztzeit – immer wieder mit Textsprenkeln aus Originalübersetzungen –, die exakte Charakterisierung der Figuren und die neugeschaffene Rahmenhandlung, aus der die Stücke entspringen, eine Stimmung, die Shakespeare munter, locker und begreifbar macht. Und dies hätte Sir William sicher gefallen.

Im Jahr 1990 lernte ich Bernd Lafrenz und „seinen“ Shakespeare bei einer Aufführung von Hamlet kennen und lieben. Zum ersten Mal genoss ich die Aufführung eines Theaterklassikers so richtig, und in der Folge zog es mich regelmäßig zu den Aufführungen von Bernd Lafrenz.

Mittlerweile ist Bernd Lafrenz seit zwanzig Jahren mit seinen Stücken auch in meinen Spielstätten zu Gast. Waren bei der ersten Aufführung „nur“ 100 Theaterbesucher zugegen, steigerte sich dies in kurzer Zeit auf bis zu 500. Seit 2002 spielt Bernd Lafrenz regelmäßig im Komödienhaus, unserer Kleinkunstbühne. Hier war im September 1761 erstmals ein Werk William Shakespeares in deutscher Sprache aufgeführt worden: Der Sturm, in der Übersetzung von Christoph Martin Wieland und gespielt von der Bürgerlichen Komödiantengesellschaft, dem heutigen Dramatischen Verein.

Bernd Lafrenz ist in diesen Jahren zur „Marke“ geworden. Alle seine Inszenierungen waren mittlerweile zu sehen, viele bereits ein zweites Mal, und jedes Jahr kommen neue Gäste und viele Wiederholungstäter zu seinen Aufführungen. – So hält er Sir William Shakespeare und seine Werke lebendig.

Klaus Buchmann, Kulturamtsleiter Biberach,

23. Januar 2016

Kapitel I: „Wir sind aus solchem Stoff wie Träume sind“

Tour 1: Von König Lear in Hamm zum Sommernachtstraum in Reinbek

Mittwoch, 28. Oktober 2009.

Schauplatz: das Kurhaus Theater in Hamm. Hier gibt Bernd Lafrenz heute Abend König Lear.

Schon erklingt die Shakespeare-Musik, die ich so liebe.

Beim Kartenkauf wurde mir verraten, dass es in Hamm viele eingefleischte Bernd-Lafrenz-Fans gibt. Offenbar sitze ich jetzt mitten unter ihnen, denn um mich herum wird spekuliert, wer wohl diesmal ins Stück mit einbezogen wird. „Wenn er auf uns zukommt, zeigen wir alle auf Dieter!“, wird beschlossen. Die Zuschauer sind schon jetzt bestens gelaunt.

Wenn man die Shakespeare-Adaptionen von Bernd Lafrenz kennt, ist das ja auch kein Wunder!

Auch mich hat die Vorfreude gepackt, denn ich habe schon einige seiner Stücke gesehen. Zum ersten Mal habe ich ihn vor fünfzehn Jahren auf der Bühne erlebt, damals, während meines Anglistik-Studiums ...

1994. Shakespeare-Tage in Weimar.

Das war immer wie auf Klassenfahrt! Mit den besten Freundinnen unterwegs in Sachen Shakespeare! Vormittags Vorträge, zwischendurch Pizza, gigantische Eisbecher und Spaziergänge im Park an der Ilm zum Shakespeare-Denkmal (Foto S. →) oder zu Goethes Gartenhaus, abends Theater, anschließend: Zimmerfete mit Cider und englischen Chips.

Kein Wunder, dass uns während der einen oder anderen Veranstaltung und leider auch während so mancher Theatervorführung die Augen zufielen ...

Aber am Abend des 3. November bin ich hellwach!

Auf dem Programm steht Othello – frei nach Shakespeare, von und mit Bernd Lafrenz.

Als echte Shakespeare-Enthusiasten sind wir es ja bereits gewohnt, wenn die Stücke gekürzt dargeboten oder, wie z. B. bei der bremer shakespeare company, die Rollen von nur wenigen Darstellern verkörpert werden; aber Shakespeare als komödiantische One-Man-Show – so etwas habe ich zuvor noch nie gesehen!

Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht einer Nebenfigur, die im Original nur ganze sechs Zeilen Text hat. Der Herold Ferdinand von Seite 36 eines gewissen gelben Büchleins hat sofort mein Herz erobert! Seit mehreren Jahrhunderten – „genauer gesagt seit meiner Geburt als Rolle 1604“ – steckt er schon mit all den anderen Rollen in dem Buch und hat sich von denen so viel abgeguckt, dass er die ganze Story mittlerweile im Alleingang darstellen kann.

Das Beste dabei: Das Publikum darf mitmachen!

So sind die Zuschauer einmal die aufgewühlte See, ein andermal „fechten“ einige Leute als Türken die Seeschlacht gegen Othello; dann wiederum sind Nachtgeräusche gefragt, wobei ich meinen erprobten Käuzchenruf zum Besten geben kann. Irgendwann muss meine Freundin Sabine niesen. Sogleich ruft Bernd Lafrenz: „Gesundheit, Jago!“

Herrlich, wie spontan er auf das Publikum reagiert!

Die lustigste Stelle ist natürlich der langersehnte „große“ Auftritt des Herolds! Dabei kommen alle von der ersten bis zur letzten Reihe zum Einsatz. Zwar weigert sich Sabine strikt, wegen Ferdinand in Ohnmacht zu fallen, und auch unter den hehren Shakespeare-Forschern ist die Bereitschaft dazu nicht allzu groß, aber mir macht das Ganze Riesenspaß.

Flugs wird die Szene wegen der mangelhaften Beteiligung gleich noch einmal wiederholt. Na, also! Geht doch. Später erfahren wir: Bernd Lafrenz findet offenbar jedes Mal einen Grund, diese Szene zu wiederholen.

Aha! Es ranken sich also bereits Legenden um diesen Mann!

Von mir aus hätte das Stück ewig weitergehen können. Was für ein Abend! Diese Darbietung ist mit einem Wort: genial!

Doch keine Sorge: Fortsetzung folgt. Am nächsten Abend wird Macbeth geboten – dabei tritt sogar Shakespeares Mutter in Erscheinung!

An einer Stelle verteilt Bernd Lafrenz drei Zettel mit Regieanweisungen im Publikum. Was da wohl draufstehen mag? Leicht mulmig wird mir, als er anfängt, sich der Haarpracht der weiblichen Zuschauer für seine „Hexensuppe“ zu bemächtigen – schluck! Was mein Haar angeht, da bin ich eigen. Zum Glück bleibe ich von diesem doch etwas gewagten Experiment verschont. Und die Keckheit verzeihe ich meinem neuen Helden schnell.

Das Hexengekicher kann er jedenfalls fast so gut wie ich!

Selbstverständlich ist das Publikum auch hier gehalten, Geräusche nachzuahmen, vor allem das Türenknarren im alten Gemäuer des Hauses Macbeth: „Niiijeeehhh!“

Wie auch schon am Vorabend gebührt der Schlussapplaus dem Meister persönlich: Bernd Lafrenz hängt ein Shakespeare-Portrait auf, dem allen voran er selber Beifall spendet. Na, wenn das keine eindeutige Hommage an die Quelle der Inspiration ist!

An diesem Abend gibt es auch Programmhefte. Auf der ersten Seite, unter dem Titelbild, steht ganz klein, sodass man es glatt übersehen könnte, „Theater König Alfons, Freiburg“. Das klingt ganz so, als sei es eine größere Truppe ... Und ich dachte immer, Bernd Lafrenz mache alles allein.

Klappt man das Heftchen auf, findet man eine kurze Inhaltsangabe des Stückes nebst Akteinteilung, die faszinierenderweise bei Bernd Lafrenz anders ist als bei Shakespeare. Über beider Leben kann man das Wichtigste in Kürze nachlesen. Das Schmankerl sind die Fotos: Für jede der Haupt- und Nebenfiguren hat Bernd Lafrenz eine andere charakteristische Mimik parat.

Da sind auch die drei Hexen abgebildet, die bei ihm Olga, Elvira und Hermine heißen.

Hab ich schon erwähnt, dass ich von den dreien die Hermine bin?

Hermine – wie in den weltweit berühmten Geschichten um einen gewissen Zauberschüler. Aber die gab’s damals noch nicht. Die Hermine von Bernd Lafrenz war zuerst da. Jawohl! Ich kann’s beweisen. Ich hab das schwarz auf weiß.

Darüber hinaus sind im Programmheft eine Reihe von Zeitungskritiken abgedruckt – den Kommentaren dort kann ich nur uneingeschränkt zustimmen! Ich schwärme allen vor, die in Weimar nicht dabei waren:

Wenn bei euch einmal Bernd Lafrenz gastieren sollte: unbedingt hingehen!

Für mich waren seine beiden Inszenierungen ganz einzigartig und ein großer Lichtblick in der ansonsten oft sehr angestrengten und schwermütigen deutschen Theaterlandschaft.

Hamlet soll er auch machen ... Wie gern würde ich den mal sehen!

2005. Berlin.

Inzwischen habe ich mein Studium längst abgeschlossen – bei meiner Magisterarbeit ging es natürlich um Shakespeare!

Es ist Sommer, und mein Shakespeare-Held kommt nach Berlin in die ufa-Fabrik! Mit Romeo und Julia (Foto S. →). Oh, wie wunderbar! Und es gibt Freikarten zu gewinnen!

Ich rufe zum angegebenen Zeitpunkt dort an – und gewinne tatsächlich zwei Freikarten!

Wen kann ich zu diesem denkwürdigen Wiedersehen mitnehmen?

Meine Shakespeare-Mädels sind mittlerweile in der ganzen Welt verstreut: Sabine Thürwächter, die früher jahrelang das Studentenkolloquium bei den Shakespeare-Tagen geleitet hat, macht ihren Doktor in Südkalifornien; Miriam Loeben hat es nach London verschlagen, wo sie als Tours Manager beim London Symphony Orchestra arbeitet – sie ist somit Shakespeare am nächsten, die Beneidenswerte! –, und auch Bettina Hoven ist aus Berlin fortgezogen.

Aber sie hat gerade Ferien und kommt mich besuchen. Das trifft sich gut! Sie wird gnadenlos mitgeschleift! Zumal sie die geschichtsträchtigen Auftritte in Weimar verpasst hat und Bernd Lafrenz bisher nur aus unseren Erzählungen kennt.

Wie viele Jahre ist das jetzt her?

Das Stück beginnt. Ich stelle fest: Er hat sich kaum verändert. Ein bisschen wohlgenährter sieht er vielleicht aus. Aber sonst genau wie damals. Es dauert keine fünf Minuten, und ich bin dem Charme seines Spiels genauso erlegen wie eh und je!

Die Fechtszenen sind großartig, und Bettina und ich bewundern einmütig, wie Bernd Lafrenz mit nur wenigen Requisiten eine perfekte Illusion erschafft! Da gibt es zwei vielseitig einsetzbare Gitter, die abwechselnd als Requisitenablage, als liebeskranker Romeo, als erschlagener Mercutio und als Friedhofsgatter zu Juliens Gruft dienen.

Ich schaue mich im Publikum um und bemerke mit Freude, dass auch die anderen Zuschauer von seiner Spielfreude angesteckt sind. Sicher hat Bernd Lafrenz heute viele Fans in Berlin gewonnen.

Nach der Vorstellung sitzt er am Bühnenrand.

Bettina sagt zu mir: „Geh doch zu ihm. Guck mal, er sitzt da ganz alleine. Hol dir doch ein Autogramm.“

Aber nein, da trau ich mich nicht. Schauspieler ... das sind doch Wesen aus einer anderen Welt ...

Und überhaupt finde ich, Autogramme sind doch nur dazu da, um mit den Autogrammgebern ins Gespräch zu kommen. Und worüber sollte ich mit Bernd Lafrenz denn reden?

Stattdessen entdecke ich seinen Tourplan, der am Eingang zum Mitnehmen ausliegt! Den überfliege ich schnell: Keine weiteren Termine in Berlin, schade. Für April und Mai 2006 sind „Ferien“ eingetragen – daneben steht in großen Lettern „VIVE LA FRANCE“! Aha: ein Frankreich-Fan.

Im Internet ist Bernd Lafrenz inzwischen auch vertreten! Auf seiner Website, www.lafrenz.de, finde ich nicht nur Fotos aus Othello, Macbeth und Romeo und Julia, sondern darüber hinaus aus Hamlet, König Lear, Der Sturm und Ein Sommernachtstraum.

Eins ist klar: Irgendwann möchte ich die übrigen Stücke auch noch sehen!

2007. Berlin.

Ich bin restlos überwältigt vom Sturm. Diese Inszenierung, bei der Abel Aboualiten aus Paris (Foto S. →) Regie geführt hat, ist nicht nur urkomisch, sondern darüber hinaus wunderbar poetisch!

Lang genug hat es gedauert, bis mich die Nachricht erreicht hat, dass Bernd Lafrenz erneut in Berlin zu Gast ist! Es ist November, und das Wetter verhält sich frei nach Shakespeare. Diesmal bin ich ganz allein in die ufa-Fabrik gekommen.

Mich erwarten märchenhaft schöne, farbenprächtige Bilder mit exotischer Musikuntermalung und die verträumte Atmosphäre unterstreichenden Lichteffekten. Zeitweise komme ich mir vor wie bei „Tausendundeiner Nacht“.

Seine Ariel-Darstellung ist so einfach wie genial.

Am meisten lachen muss ich beim Schiffbruch, der natürlich unter Zuhilfenahme der Zuschauer in Szene gesetzt wird. Ich sage nur: „Susch“ und „Wusch“! Ich habe das Gefühl, irgendwo im Bernd Lafrenz drin ist ein Seemann verborgen. Mit welcher Inbrunst er den Schiffskapitän gibt und dazu auch noch das Schlusslied aus Was ihr wollt, „Hey ho the wind and the rain“, zum Shanty umfunktioniert!

Vielleicht hat er das aus einem früheren Leben ... oder das bringt es eben so mit sich, wenn man im hohen Norden, in Kiel, geboren ist.

Erfrischend finde ich auch immer wieder die Mischung aus Shakespeare-Text und moderner Alltagssprache sowie die Schnipsel Italienisch und Französisch, die er hin und wieder einstreut.

Und wieder gibt es ein besonderes, wandelbares Requisit: eine magische Schale, aus der Bernd Lafrenz so einige Überraschungen hervorzaubert, bis ihr zum Schluss ein Miniaturschiff entsteigt (Foto S. →), dem er vor nachtschwarzem Hintergrund eigenbäckig Wind in die Segel bläst. Was für ein phantasievolles Bild!

Ich lausche auf Kommentare aus dem Publikum. „So etwas müsste es öfter geben!“, seufzt jemand. „Das ist Humor mit Niveau, nicht bloßer Klamauk.“ Und ich nicke zufrieden vor mich hin.

Nach der Vorstellung kündigt Bernd Lafrenz an, dass er im nächsten Sommer, im Juli, wiederkommen wird – mit Hamlet! Jippieh! Endlich Hamlet!

Beschwingt mache ich mich auf den Heimweg.

2008. Berlin.

Es ist soweit: Hamlet – frei komisch nach Shakespeare! Seit 1994 möchte ich das schon sehen! Ein Traum wird wahr.

In diesem Jahr werde ich wieder von zwei Shakespeare-Mädels begleitet. Bettina arbeitet inzwischen am Theater und hat mir versichert, dass Schauspieler auch nur ganz normale Menschen sind. So langsam beginne ich ihr zu glauben, denn unsere Freundin Alexandra Julius Frölich besucht jetzt eine Schauspielschule, und schließlich ist die „Kleene“ ja auch ein ganz normaler Mensch.

Auch Sabine ist auf Europaurlaub und mit von der Partie.

Es ist entsetzlich heiß, selbst abends sind es noch über dreißig Grad. Das T-Shirt vom Redlands-Shakespeare-Festival, das mir Sabine aus den USA mitgebracht hat, wird jetzt eingeweiht!

Bernd Lafrenz schwitzt auch und hat sich einen „Baum mit einem Handtuch“ eingerichtet, auf den er des Öfteren zurückgreift.

Meine Erwartungen an den Hamlet sind hoch – aber so sehr habe ich bestimmt noch nie gelacht!

Es beginnt recht ungewöhnlich. Von hinten kommt ein Mann mit einer Maske durch die Zuschauerreihen, der sich ein paar Reihen vor mir auf einen freien Platz setzt und anfängt, Französisch zu reden.

Das muss Bernd Lafrenz sein; ein anderer Schauspieler tritt ja bei ihm nicht auf ... oder doch? Hm ... die Tarnung ist perfekt; als Franzose ist er gar nicht wiederzuerkennen. Die Stimme ist irgendwie anders. Aber natürlich ist er es, wie sich herausstellt, als er die Bühne betritt.

Auffällig sind die Masken, die im Hintergrund an der Wand hängen. Gut, bei Romeo und Julia gibt es den Maskenball, und im Sturm das von Ariel inszenierte Maskenspiel, aber Masken im Hamlet? Das ist ungewöhnlich.

Sie symbolisieren jeweils eine der sieben Personen, die Bernd Lafrenz verkörpert: Hamlet, den Geist seines Vaters, Claudius, Gertrude, Ophelia, Laertes und den Hofnarren Yorrick, der dank Shakespeare als Totenschädel in die Geschichte eingegangen ist, bei Bernd Lafrenz aber quicklebendig durch die Handlung führt.

Die Zuschauergeräuschkulisse ist in diesem Stück wesentlich vielfältiger als bei den anderen, was zwischenzeitlich schon einmal Verwirrungen verursacht. Kommentar Bernd Lafrenz alias Gertrude: „Also, Claudius, ich weiß ja nicht, was mit dem Volk los ist, die eine Hälfte tuschelt immer hinter meinem Rücken, und die andere verwechselt mich mit Ophelia!“

Wie er auf die Zuschauer eingeht, ist einfach unvergleichlich!

Irgendwann fängt das Publikum von sich aus an, bei jeder sich bietenden Gelegenheit Geräusche zu machen, was von Bernd Lafrenz auch gebührend honoriert wird: „Mann, seid ihr aber gut drauf!“ Der Schauspieler applaudiert dem Publikum! Das gibt es sonst auch nirgends!

Ganz in seinem Element ist er, als die Theatertruppe bei Hofe erscheint; die stammt – wie könnte es anders sein? – bei Bernd Lafrenz aus dem Schwarzwald: „la troupe de la forêt noire“. Wieder wird etwas Französisch angebracht.

Sehr französisch geht es auch im zweiten Teil weiter, als Laertes auf seinem Heimweg durch Frankreichs Wälder reitet. Das Publikum mimt des Waldes Äste und schwingt die Arme im Winde hin und her.

Da geschieht es!

Auf einmal fühle ich mich am Arm – pardon: Ast – gepackt (mein Ast schlug offenbar gegen Laertes’ Auge) und schwupps – mit elegantem Schwung landet Bernd Lafrenz direkt auf meinem Schoß!

Ach du meine Güte! Das ist eine Überraschung!

Er hat mir die „berühmte“ Rolle der französischen Krankenschwester zugedacht, die sich liebevoll des verletzten Laertes annimmt!

Von der sommerlichen Atmosphäre und der heiteren Stimmung mitgerissen, tue ich, was die Rolle erfordert – und bekomme sogar einen Schlussapplaus im Scheinwerferlicht!

Da hat mir das Shakespeare-T-Shirt wohl Glück gebracht!

Das Publikum tobt.

Vom Rest des Stückes hab ich allerdings nicht mehr viel mitbekommen ... Seit meinem „Gastauftritt“ bin ich nur noch in völliger Euphorie gefangen. Nun gibt es für mich kein Halten mehr. Nach dem Auftritt spreche ich Bernd Lafrenz endlich an!

Ich nehme meine Mädels ins Schlepptau und wundere mich über mich selbst: Auf einmal rede ich mit Bernd Lafrenz! Ich erzähle von Weimar, von Othello und Macbeth, von Romeo und Julia mit Bettina und dem Sturm in Berlin, und er staunt, seit wie vielen Jahren ich ihm schon zuschaue.

Der ist ja unglaublich nett!

Rundherum zufrieden verabschiede ich mich. Als ich mich umdrehe, stelle ich fest, dass Sabine und Bettina schon längst nicht mehr neben mir vorne an der Bühne stehen. Huch?! Hatte ich gar nicht gemerkt.

Erst im Nachhinein fällt mir auf, dass er mich die ganze Zeit geduzt hat.

Ich habe ihn gesiezt.

Ich Esel.

Wieder vergeht etwas Zeit. Ich fasse einen Entschluss: Ich schreibe eine E-Mail an Bernd Lafrenz. Erinnere ihn an unser Gespräch über Weimar, Othello und Macbeth. Und diesmal duze ich ihn auch.

Er antwortet umgehend!

So eine prompte Reaktion habe ich nicht erwartet!

Unser E-Mail-Kontakt bleibt bestehen. Und auf einmal fallen mir 1000 Dinge ein, über die ich mit Bernd reden könnte! Ich habe sooo viele Fragen!

Da könnte man glatt ein Buch drüber schreiben!

Hm. Eigentlich gar keine schlechte Idee. Das, was ich wissen möchte, interessiert bestimmt auch andere.

Sofort befrage ich die magische Kugel, jenes Zauberutensil, dessen Weissagungen stets zutreffen, zu diesem Projekt! Die Antwort, die ich erhalte, ist positiv: „Wer, wenn nicht du, Hermine? Wann, wenn nicht jetzt?“

Das beflügelt mich!

Als ich dann noch Anfang April 2009 auf seiner Internetseite entdecke, dass er ein neues Stück in Arbeit hat, bin ich vollends aus dem Häuschen!

2009.

Endlich kommt der große Tag: Nach fast einem Jahr sehen wir uns im Juni in Goslar wieder. Dort tritt Bernd mit seinem Jubiläumsprogramm Liebe, Lust und Leidenschaft auf.

An diesem Tag ist er in Höchstform!

Ich war ja zunächst etwas skeptisch: Highlights aus sieben Stücken – da kommt doch zwangsläufig jedes zu kurz! Aber ich irre mich gern: Die Szenenauswahl, die Übergänge, die Figuren, alles fügt sich perfekt ineinander; das Ganze ist so rasant, dass man kaum zu Atem kommt.

Es gibt ein Wiedersehen mit Shakespeares Mutter, dem Herold aus Othello, dem Kapitän aus Der Sturm und, und, und ... En passant lobt Bernd noch die Herausgeber der ersten Shakespeare-Gesamtausgabe, der „First Folio“ von 1623: John Heminge und Henry Condell. So lernt man auch noch etwas dabei!

Ich bekomme diesmal sage und schreibe gleich drei Rollen: Ich bin die Annabelle (und hier enthüllt sich mir, was während des Macbeth auf einem der im Publikum verteilten Zettel steht!), werde in der Seeschlacht von Othello mit einem Schwerthieb getötet, und darf – ich kann mein Glück kaum fassen – auch noch die Julia sein!

Am Ende dieses temperamentvollen Streifzugs durch siebenmal Shakespeare und fünfundzwanzig Jahre Bernd Lafrenz steht, wie ich es schon fast erwartet hatte, der Epilog aus Macbeth: „Tu was du willst, und sei du selbst!“ – Ich vermute, das ist angelehnt an das Hamlet-Zitat „Dies über alles: Sei dir selber treu“.

Ja, nach diesem Motto lebt Bernd Lafrenz; das ist unverkennbar!

Aber denkt man, dass das Stück nun vorbei sei, hat man weit gefehlt!

Den in meinen Augen absoluten Höhepunkt bildet eine Pantomime, die schon zum Auftakt zu sehen war und nun noch einmal ganz am Schluss die Darbietung abrundet: Hierbei werden von Bernd gleichermaßen im Schnelldurchlauf alle Figuren in Gestik und Mimik kurz angedeutet!

Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde ... Wie kommt er nur immer auf diese sagenhaften Ideen?!?

Nach der Vorstellung bin ich vollkommen high. Ich schwebe mindestens zehn Zentimeter über dem Boden. Als hätte ich was genommen. Dabei war es bloß Shakespeare. Ich glaube, ich kann jetzt nachvollziehen, was einen Menschen dazu treibt, Schauspieler zu werden. Da steht man ja total unter Strom. Bernd hat mich richtig angesteckt.

Ich gehe zu ihm an die Bühne und stelle mich vor. Er sagt mir, dass er schon zwischendrin überlegt hat: „Das könnte Yvonne sein.“

Sabine hatte recht: Er kann sich an mich aus Berlin nicht mehr wirklich erinnern. Sie hat es so gesehen: „Du hast die einmalige Chance, einen zweiten ersten Eindruck zu machen!“

Der scheint geglückt zu sein!

Eins ist mir gleich bei den ersten Worten, die wir wechseln, klar: Das ist der positivste Mensch, der mir je begegnet ist! Soviel geballter Optimismus ist mir noch nie entgegengeschwappt! Bernd wirkt vollkommen glücklich und eins mit sich.

Er spricht mir ganz viel Mut zu für meinen Weg als Schriftstellerin und sagt viele weise Dinge zu mir. Zu dem Einwand meiner Eltern, dass das Schreiben „brotlose Kunst“ sei: „Das sind doch nur die Gedanken!“

Die Schranken würden nur im Kopf existieren.

„Eltern machen sich doch immer Sorgen.“

Da spricht offenbar der Vater in ihm.

Dann sagt er noch: „Es kommt nicht so sehr darauf an, wie toll die Ideen sind, die man hat, sondern auf die ENERGIE, mit der man hinter dem steht, was man macht.“

Also nehme ich mir vor, mit so viel positiver Energie wie möglich meine Pläne zu offenbaren.

Gerade spricht er die wohl ermutigendsten Worte, die ich je im Leben gehört habe: „Du kannst alles sein, was du willst!“

Ja! Ich wäre gern eine Schriftstellerin, die ein Buch über ihn schreibt!

Der Moment der Wahrheit ist gekommen. Wagemutig packe ich alles in einen Satz: „Wie wär’s, wenn ich als nächstes deine Biografie schreibe?“

Er zögert etwas vor Überraschung, und ich gebe zu bedenken: „Es kommt natürlich darauf an, wie gerne du von dir erzählst.“

Da schaut er mich an, als wolle er sagen: Och, das wird sicher kein Problem werden ...

Zwar macht er mir nicht sofort eine Zusage; er ist jedoch aufgeschlossen und sagt nicht gleich nein. Zuerst möchte er etwas von mir lesen. Er fragt mich, ob ich Anglistin sei und ob ich seine Biografie auf Englisch oder Deutsch schreiben will.

Zum Abschied drückt er mich noch einmal genauso fest wie im Stück als Richie die Annabelle!

„Wir bleiben in Kontakt!“

Ich glaube, er ist mir gewogen.

Gleich am folgenden Wochenende stelle ich ihm eine Mappe zusammen mit Sachen, die ich geschrieben habe.

Bernd mailt zurück, dass er sich eine „berufliche Biografie“ durchaus vorstellen könnte, doch bittet er mich um Geduld: „Gut Ding will Weile haben.“

Und nun sitze ich hier in Hamm und bin sehr gespannt, wie Bernd sich letztendlich entscheidet. Für diese Reise hat mir die Zauberkugel die Vertiefung neuer Freundschaften vorausgesagt.

Doch zunächst einmal freue ich mich auf die Vorstellung von König Lear!

Die Spannung steigt; die höfische Musik verklingt; der langerwartete Auftritt beginnt.

Bernd trägt das Kostüm eines Narren mit Eselsohren und bringt mich damit gleich zum Schmunzeln!

Ähnlich wie im Hamlet ist der Narr die Figur, die durch das Stück führt.

Aber eigentlich handelt es sich um einen fahrenden Schauspieler, der sich in den Narren hineinversetzt hat. Damit erhält die Handlung eine metadramatische Ebene: Im Grunde ist König Lear ein Spiel im Spiel.

Bernd bringt somit seine große Leidenschaft für das Theater sehr anschaulich zum Ausdruck.

Von dem Schauspieler im Narrenkostüm bekommen die Zuschauer auch ihre Regieanweisungen.

So wird zu Anfang im Thronsaal eine Fanfare eingeübt – schließlich kann der König nicht ohne Fanfare auftreten! Die Melodie ist nicht ganz einfach, aber das Publikum ist gelehrig: König Lear erscheint, und die Handlung nimmt ihren Gang (Foto S. →).

Bestechend sind im ersten Akt die Farben: königsblau und leuchtend rot. Dazu stilechte goldene Bourbonenlilien. Die königlichen Farben werden den königlichen Töchtern zugeordnet: rot für Goneril, blau für Regan. So bekommt der Zuschauer bei der Frauendarstellung eine visuelle Orientierungshilfe.

Der besseren Orientierung dient auch die Eselsbrücke für die Namen der beiden Söhne Gloucesters, „Edgar, der Gute – und Edmund, der Missgünstige“. Das ging mir beim ersten Lesen auch so, dass ich diese beiden ständig verwechselt habe ... Was sich der Shakespeare bloß dabei gedacht hat, denen so ähnliche Namen zu geben, tststs! Und mit Bernd Lafrenz gibt es endlich einmal jemanden, der das offen ausspricht!

Bravo!

Als die Handlung an die Klippen von Dover verlegt wird, wird erneut das Publikum gefordert: Die rauschenden Wellen, die sich an den Felsen brechen, eignen sich ideal als Zuschauergeräuschkulisse. Übrigens werden die Klippen von Dover von einem etwa handtaschengroßen, unförmigen, dunkelrot-bräunlichen Sandstein verkörpert – die Zuschauer werden angewiesen, sich die charakteristische weiße Farbe des Gesteins vorzustellen.

Die metadramatische Dimension der Inszenierung wird weiter entfaltet, als besagter fahrender Schauspieler ein Miniatur-Marionettentheater aus einem Koffer hervorzaubert. Jetzt hat Bernd sogar im wahrsten Sinne des Wortes alle Fäden in der Hand (Foto S. →)!

Mitten im Spiel wird er jedoch von Ordnungshütern vertrieben und muss sein Mini-Theater einpacken, weil das Theaterspielen auf dem Marktplatz verboten ist.

Einen weiteren Höhepunkt bildet die von passender Musik begleitete Schlacht mit den Franzosen! Ja, so kann man Massenszenen auch darstellen ...

Das Reihensterben am Ende ist ebenfalls äußerst erfindungsreich umgesetzt. Kaum zu glauben, aber er stirbt wirklich in jedem Stück in jeder Rolle anders. Und in König Lear holt Bernd sogar die Sterbeszenen auf die Bühne, die sich bei Shakespeare nur hinter der Bühne abspielen.

Nach dem Auftritt bin ich erstaunlicherweise die einzige, die auf Bernd zugeht. Der um mich herum sitzende „Fanclub“ verlässt, inklusive Dieter, sang- und klanglos den Saal. Und ich hatte geglaubt, die wären alle mit Bernd bekannt.

„Das war König Lear“, ist das Erste, was Bernd zu mir sagt.

Er lädt mich ein, noch mit ihm, seinem Techniker Achim Thom und dem Veranstalter in der dem Kurhaus angeschlossenen Gaststube etwas trinken zu gehen.

Achim Thom hatte ich in Goslar nur ganz kurz kennengelernt; ich durfte mit ihm den Othello-Ozean zusammenfalten.

Bernd verschwindet hinter der Bühne, um sich umzuziehen.

Bereits nach wenigen Minuten kommt ein Mann auf die Bühne und spricht mich sehr nett an. Nein, das ist nicht Bernd ohne Maske, obwohl die Frisur der beiden nicht ganz unähnlich ist. Es ist Wolfgang Barth vom Kulturbüro der Stadt Hamm, der Veranstalter. Er führt mich zur Gaststube.

Im Foyer schließt sich uns ein junger Mann an, der in Wolfgang Barths Musical-Amateurtheater mitwirkt. Es ist etwa Viertel nach zehn, und ich erlebe eine Art Kulturschock: Wir sind dort in der Gaststube die einzigen Gäste – für mich als Berlinerin ist das vollkommen ungewohnt!

Bis Bernd und Achim mit dem Abbau fertig sind, unterhalten wir uns über Theaterinszenierungen im Allgemeinen und über illustre, zuweilen nicht realisierbare Sonderwünsche diverser Bühnenbildner und Regisseure. Ich finde das bereits ausgesprochen fesselnd und lehrreich, und die Zeit, bis Bernd und Achim zu uns stoßen, vergeht im Nu.

Bernd bestellt eine Apfelsaftschorle, und unser Gespräch konzentriert sich nun auf Shakespeare.

Wir alle kennen Shakespeares sämtliche Werke – leicht gekürzt.

Bernd weiß zu berichten: „Ich habe damals noch die Urfassung gesehen.

Besonders witzig fand ich, wie sich die Schauspieler bei den Königsdramen die Krone zuwerfen ‘Ich bin Richard III’, ‘Ich bin Heinrich IV’ und so weiter.“

Was witzige Shakespeare-Darbietungen angeht, da kann ich nur Heinrich VIII von Shakespeare und Partner wärmstens empfehlen.

„Wer spielt da außer Norbert Kentrup noch mit?“, möchte Bernd wissen.

Ich sage, dass ich mir nur den Namen Andreas Erfurth gemerkt habe, weil mir der am besten gefallen hat. „Die Mimik – du liegst unterm Tisch!“

Genau wie bei Bernd.

Ich spreche ihn auf die Eselsbrücke für Edgar und Edmund in König Lear an.

„Im Sommernachtstraum habe ich auch so eine Eselsbrücke“, erläutert Bernd. „Die Namen Hermia und Helena kann man ja auch leicht verwechseln. Einmal habe ich einen Sommernachtstraum gesehen, der sogar absichtlich so inszeniert war, dass man die Namen der Liebenden durcheinanderbringt – das war von der Regie so gewollt. Hermia, Helena, Demetrius, Lysander, da wusste man gar nicht mehr, wer mit wem.“

Ich muss lachen. Bernd erzählt das auch so lebendig!

Als nächstes berichte ich von einem eigenwilligen Regie-Ansatz der Royal Shakespeare Company aus Stratford-upon-Avon zu Shakespeares letztem komplett von ihm selbst verfassten Werk, Der Sturm, mit Patrick Stewart in der Hauptrolle des Prospero. Dieser Sturm spielte in der Arktis; bei der Szene, in der Ariel für Alonso, Sebastian, Antonio und Co. ein Bankett aus der Luft zaubert (Akt III, Szene 3), wurde auf der Bühne ein Walross verspeist.

Mir fällt auf, dass Bernd und Achim mir ganz gebannt und mit leuchtenden Augen zuhören. Schon bin ich fast gar nicht mehr nervös.

Anschließend schildert Bernd, wie er zu seinem Sturm inspiriert wurde.

„1991 habe ich Peter Brooks Inszenierung von La Tempête auf dem Festival von Avignon im Steinbruch gesehen, mit Sotigui Kouyaté – der zu Frankreichs berühmtesten Darstellern zählt – als Prospero und David Bennent als Caliban.“

Sieh an! Der Name Sotigui Kouyaté ist mir in diesem Jahr schon einmal begegnet: Er wurde im Februar auf der Berlinale für seine Rolle in London River mit dem Silbernen Bären als bester Schauspieler ausgezeichnet. Zuvor hatte ich noch nie von ihm gehört – und jetzt gleich zweimal! Wie sich das manchmal so fügt ...

„Die Vorstellung war komplett ausverkauft!“, fährt Bernd fort.

„Trotzdem bin ich hingefahren. Vor der Kasse war eine irre lange Schlange von Leuten, die wegen zurückgegebener Karten anstanden. Auf einmal hörte ich eine deutsche Stimme: ‘Na, das ist aber schade, dass der Rudolf nicht mitkommen konnte. Jetzt müssen wir die Karte verkaufen.’

– ‘Da kann ich Ihnen helfen!’, habe ich mich eingeschaltet – und so bin ich in den Sturm gekommen!“

Ich glaube, Bernd ist ein echtes Glückskind!

„Am Anfang traten sieben Leute mit sieben Bambusstäben auf die Bühne, die ein Schiff darstellten, nichts weiter – nur diese sieben –, und sofort hatte man das Bild vor Augen! Es war sehr poetisch. Das hat mich so tief beeindruckt, dass ich daraufhin unbedingt selber den Sturm machen wollte. Und so gab es eigentlich jedes Mal, bevor ich ein Stück inszeniert habe, zuvor mindestens eine Inszenierung, die mich dazu inspiriert hat.“

Faszinierend!

„Auch bei meinem neuen Stück ist das der Fall: Ich habe es – ich glaube, das war im Februar 1993 –“, erinnert sich Bernd, „auf meiner Pilgertour zu Shakespeares Geburtsstadt Stratford-upon-Avon gesehen, im Swan Theatre, inszeniert von der Royal Shakespeare Company.“

****************************************************************

* * Hermines Zauberkugel * * sagt:
Festival von Avignon

Das Festival von Avignon (Festival d’Avignon) ist das berühmteste Theaterfestival Frankreichs und findet seit 1947 jedes Jahr während der drei letzten Juli-Wochen statt. Neben dem offiziellen Programm (auch genannt „Festival In“) mit Theater-, Tanz- und Gesangsvorführungen, die von öffentlichen Einrichtungen gefördert werden, kann man auch zahlreiche Aufführungen freier Theatergruppen in den Straßen, auf Plätzen und Innenhöfen und an anderen ungewöhnlichen Spielstätten bewundern. Das „Festival Off“ ist mit ca. 1200 Vorstellungen größer als das „In“ mit ca. 100 Darbietungen.

Der Steinbruch von Boulbon („Carrière de Boulbon“) liegt etwa fünfzehn Kilometer südwestlich von Avignon und wurde zum ersten Mal 1985 für das Festival genutzt, anlässlich der Inszenierung von Mahabharata durch Peter Brook.

Heutzutage ist der Steinbruch komplett stillgelegt; der Ort ist gänzlich zum Zweck von Theateraufführungen umgebaut worden.

Die erste Vorstellung von Peter Brooks La Tempête vor der gewaltigen Kalksteinkulisse fand am 12. Juli 1991 statt, jedoch wurde dieses Stück bereits am 27. September 1990 in Paris, im Théâtre des Bouffes du Nord uraufgeführt.

Die Übersetzung der shakespeareschen Vorlage stammte von dem bedeutenden französischen Drehbuchautor und Schriftsteller Jean-Claude Carrière.

****************************************************************

„Doch im Unterschied zu meinen bisherigen Shakespeare-Interpretationen“, räumt Bernd ein, „ist das meine erste Auftragsarbeit.“

Wir alle am Tisch schauen uns fragend an.

Bernds neues Stück! Das bestgehütete Geheimnis des Theater König Alfons!

„Wissen alle hier, welches es ist?“, fragt Wolfgang Barth.

Ich nicke. Es handelt sich um eine Koproduktion mit dem Stadttheater Minden, und die Mindener nehmen es mit der Geheimhaltung nicht so genau: Auf der Webseite des Theaters kann man seit geraumer Zeit den Titel lesen und auch schon Karten vorbestellen.

Da wir also alle eingeweiht sind, kann Bernd ungehindert fortfahren: „Der Intendant vom Stadttheater Minden, Bertram Schulte (Foto S. →), geht nächstes Jahr in den Ruhestand. Er hat sich zum Abschied von mir Der Widerspenstigen Zähmung gewünscht. Premiere ist am 14. April 2010 in Minden. Das ist das erste Mal, dass ein Stück von mir nicht in Freiburg Premiere hat.“

„Vom Saal des Mindener Theaters habe ich schon mal ein Foto gesehen“, werfe ich ein. „Dort kannst du doch gar nicht wie üblich eine Treppe vorn an die Bühne stellen, um ins Publikum zu gehen!“

„Da komme ich über die Seite!“, beruhigt mich Bernd.

Von den architektonischen Gegebenheiten eines Theaters lässt er sich doch nicht abhalten! Das wäre ja auch etwas: ein Bernd-Lafrenz-Stück ohne Zuschauerbeteiligung! Unvorstellbar!

Bernd kommt auf die Personenkonstellation in Der Widerspenstigen Zähmung zu sprechen.

„Bei der Widerspenstigen ist das Namenschaos noch größer als im Sommernachtstraum: Da gibt es Grumio und Gremio, Licio und Lucentio, wobei Licio eigentlich Hortensio heißt, Lucentio sich als Cambio verkleidet, während sein Diener Tranio sich wiederum als Lucentio ausgibt. Und dann natürlich Petruchio, und noch einen Diener: Biondello.“

Du liebes Bisschen! Na, da bin ich ja neugierig, was Bernd daraus macht!

Jetzt muss ich aber die alles entscheidende Frage stellen, die mich bereits bewegt, seit ich von der Neuinszenierung weiß: „Darf ich dir einmal bei den Proben zuschauen?“

Zu gern würde ich einen Probenbericht schreiben ... Das wäre einfach DER Knüller ... und bis April 2010 ist noch so schön Zeit ... Zukünftige Generationen von Shakespeare-Forschern würden es uns danken … Im Angesicht der hohen Geheimhaltungsstufe ist Bernds Antwort jedoch vorhersehbar: „Bei den Proben darf niemand dabei sein, dazu brauche ich volle Konzentration. Noch nicht einmal meine Frau darf dabei zusehen – die bekommt die Premiere! Die Arbeit mit meinem Regisseur Abel Aboualiten ist sehr intim: Das ist wie schwanger sein, das braucht die Höhle! Selbst Achim kommt erst eine Woche vor der Premiere dazu.“

Das ist ja ziemlich knapp. Da hat der Achim als Licht- und Tontechniker ja sicher ganz schön zu tun.

„Und wie lange brauchst du insgesamt, um ein neues Stück zu erarbeiten?“

„Ungefähr neun Monate.“ – Aha, wirklich eine Schwangerschaft! – „Drei Monate, um das Stück immer wieder zu lesen, denn beim Lesen kommen die Ideen; drei Monate für die Vorgespräche mit Abel – und drei Monate für die Proben. Das ist ein ‘work in progress’, bei dem auch die Requisiten und die Kostüme entstehen – ein ganzes Team arbeitet daran mit.“

Also, wir haben Oktober ... das heißt, er ist noch in der Lese-Phase.

Das mit der Höhle kann ich gut verstehen. Es wäre ja auch zu schön gewesen, um wahr zu sein, live vom „Making-of“ berichten zu dürfen!

Es ist jetzt bald 23.00 Uhr, und wir werden allmählich aus der Gaststube hinauskomplimentiert.

Auch wenn es kurz war: Das war ein schöner Abend! Ich habe schon viele spannende Dinge erfahren!

Zufrieden packe ich meine Sachen zusammen. Wir stehen allesamt noch eine Weile vor dem Kurhaus. Achim verabschiedet sich als Erster.

Ich strahle: „Wir sehen uns wieder bei eurer Premiere!“

Als ich mich von Bernd verabschieden will, überrascht er mich. „Wir müssen mal reden.“

Ja, aber gerne doch! Ich nicke heftig.

Er möchte von mir persönlich hören, wie ich mir das Buch über ihn vorstelle, „… nicht immer nur per E-Mail.“

Oh, wunderbar! Ich hatte mich bereits innerlich darauf eingestellt, dass wir das Thema heute gar nicht mehr ansprechen.

Bernd schlägt vor, mich noch im Auto zu meinem Hotel zu bringen.

Wie zuvorkommend! Damit habe ich gar nicht gerechnet – es sind ja nur zehn Minuten Fußweg. Aber im Tourwagen des Theater König Alfons gefahren zu werden – da sag ich nicht nein.

Den Wagen habe ich bereits von fern bewundert: Der hat ein sprechendes Nummernschild! FR-O 1564. Da ist Shakespeare immer mit unterwegs! Denn 1564 ist natürlich sein Geburtsjahr, und das „O“ steht, wie mir Bernd erklärt, für das „Wooden O“, wie Shakespeare selbst im Prolog von Heinrich V sein Globe-Theater nennt.

Während der Autofahrt verabreden wir, dass wir uns am nächsten Morgen noch einmal sehen könnten, um in Ruhe über das Buchvorhaben zu sprechen.

Auf einmal fragt Bernd: „Hast du denn jetzt alle meine Stücke gesehen?“

Ich antworte nichtsahnend: „Alle bis auf den Sommernachtstraum.“

„Hm“, macht Bernd. „Wir fahren morgen nach Reinbek bei Hamburg – da spielen wir den Sommernachtstraum! Komm doch mit, du kannst hinten im Auto mitfahren, dann siehst du morgen den Sommernachtstraum!“

Das kann jetzt nicht wahr sein – hat er das jetzt wirklich gesagt?!? Oh, wenn das wirklich ginge ... das wäre der absolute Waaaaaaaaaahnsinn!

Bestimmt merkt er an meinem Gesicht, dass ich am liebsten sofort ja sagen würde! Im Grunde brauche ich da nicht zweimal zu überlegen – ich darf mit Bernd auf Tour! Juchuu! – aber besser, ich zügle meinen Übermut, denn Bernd ist ja immer so vernünftig. Ich denke an: „Gut Ding will Weile haben“ und bemühe mich, besonnen zu wirken.

So diskutieren wir noch ein wenig hin und her, zum einen, weil ich mein Rückfahrticket nach Berlin verfallen lassen müsste, zum anderen, weil ich erst noch eine Übernachtungsmöglichkeit in Reinbek bräuchte.

Zum Schluss sagt Bernd: „Schlaf ruhig noch die Nacht drüber.“

– Schlaf?! Von wegen! – Hoffentlich überlegt er es sich über Nacht nicht noch anders ... Bloß nicht zu früh zu sehr freuen ...

In dieser Nacht tue ich kein Auge zu.

Am nächsten Morgen fährt Bernd wie verabredet um Viertel nach zehn vor meinem Hotel vor. Ich stehe bereits mit Sack und Pack vor der Tür.

„Na? Haben sie dich schon rausgeschmissen?“

„Ich wollte doch fertig sein, wenn du kommst. – Hast du gut geschlafen?“

„Ja. Nach so einem Auftritt ...“

Das glaub ich gerne.

„Na, wenigstens einer von uns!“

Wir beschließen, uns in das nächstbeste Café zu setzen.

Im Auto stelle ich die dringlichste Frage: „Gilt das Angebot von gestern Abend noch?“

„Jaja“, sagt er unbekümmert.

Wie schön, Bernd ist nicht wankelmütig. Das tut gut zu wissen.

„Dann komme ich sehr gern mit nach Reinbek.“

Wir finden kein Café; nur eine kleine Bäckerei, wo mich Bernd auf ein warmes Getränk einlädt.

Als Erstes organisieren wir per Mobiltelefon ein Zimmer in Reinbek für mich, was überraschend schnell klappt. Und für die Rückfahrt über Hamburg nach Berlin werde ich einfach den Linienbus nehmen, der günstig ist und glücklicherweise mehrmals am Tage fährt.

Jetzt steht meinem Abenteuer „auf Tour mit Bernd Lafrenz“ nichts mehr im Wege!

Alsdann kommt der entscheidende Augenblick – die Bäckerei wird zum Schauplatz dramatischer Ereignisse: Endlich reden wir über meine Buchidee!

Bernd sagt mir noch einmal, dass ihm meine Texte gut gefallen haben.

Auch etwas anderes hat ihn beeindruckt. „Du hast ja auch schon eine lange Geschichte mit mir, die ich noch nicht kenne.“

Ich nicke. Ein bisschen kennt er die Geschichte inzwischen.

Er freut sich, dass ich erst den richtigen Zeitpunkt abgewartet habe, ihn anzusprechen – und gibt mir für das Buch grünes Licht!

Mir fallen die gesamten Klippen von Dover vom Herzen!

Bernd sagt, es sei wichtig gewesen, mich erst zu prüfen. Ob ich auch die erforderliche Ausdauer für ein solches Projekt mitbringe. So wie Prospero im Sturm die Liebe von Ferdinand und Miranda prüft.

Ach so.

Das verstehe ich natürlich.

Ich kann es kaum erwarten, all meinen Freundinnen davon zu erzählen!

Und obendrein noch von der Tour!

So langsam müssen wir aufbrechen, um Achim abzuholen.

Als wir wieder ins Auto steigen, sagt Bernd: „Schau mal.“

Am Straßenrand stehen drei einzelne Bäume. Sie sind nahezu gleich gewachsen, als handle es sich um ein und denselben Baum in unterschiedlichen Stadien herbstlicher Verfärbung: einmal noch grün, dann gelb, als Letztes feuerrot.

So, als hätte ein Maler sie mit schwungvollem Pinsel dort hingesetzt, um zu veranschaulichen, dass alles Lebendige in ständigem Wandel begriffen und letztlich vergänglich ist.

Bernd bewundert die Farbenpracht, und ich frage mich, wie viele Menschen wohl diese Bäume bemerkt hätten. In unserer hektischen Zeit hat man doch im Alltag kaum die Muße, innezuhalten und die Schönheit der Natur zu betrachten.

Aber Bernd scheint jemand zu sein, der alles um sich herum intensiv wahrnimmt.

Ich bekomme von ihm den Auftrag, auf der bevorstehenden Tour gleich alles mitzuschreiben. Gut, dass ich für plötzliche schriftstellerische Eingebungen stets mit einem Notizbuch ausgerüstet bin.

„Dein Büchlein kriegen wir voll“, meint Bernd im Brustton der Überzeugung.

Im Auto holt er sein mobiles Navigationsgerät hervor.

Und ich hatte gedacht, nach fünfundzwanzig Jahren Tourerfahrung kennt sich Bernd in allen Städten Deutschlands so gut aus, dass er so etwas gar nicht braucht.

„In einigen größeren schon, aber nicht überall“, bekennt er.

Bevor wir abfahren, bittet er mich, mein Mobiltelefon abzustellen, weil die erhöhte Strahlenentwicklung im Auto als Faradayschem Käfig schädlich ist. Dann fahren wir los – die Tour beginnt!

Mit dem funkelnagelneuen Navigationsgerät finden wir den Weg zu Achim im Handumdrehen.

„Achim“, erläutert Bernd, „ist richtig festangestellt, mit Sozialabgaben und Lohnnebenkosten. Über die vielen Jahre unserer Zusammenarbeit ist zwischen uns eine sehr schöne Freundschaft entstanden. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er mich seit 2001 unterstützt.“

Über eine Sache haben wir noch gar nicht gesprochen. „Ob die Vorstellung in Reinbek heute Abend wohl schon ausverkauft ist? Meinst du, es gibt überhaupt noch Karten?“

„Heute Abend lad ich dich ein!“, ruft Bernd spontan aus.

Noch eine Einladung! Mir scheint, ich habe heute das „Rundum-Glücklich-Paket“ erwischt!

Dann beginnt Bernd zu erzählen: „In meinem Leben gibt es ganz oft Situationen, in denen ich denke: Da ist William persönlich mit dabei!

Zum Beispiel gab es so eine Geschichte, als ich mit Hamlet in London aufgetreten bin. Mitten im Londoner Stadtverkehr, auf dem Weg zu den Docklands, fuhr neben uns ein himmelblauer Handwerker-Pritschenwagen, so ein Pick-Up-Truck, mit weißer Aufschrift: Shakespeare – All Aspects of Roofing and Building. Ja, wirklich! Da dachte ich: Das ist ja genau das, was ich mache: erst den Keller bauen, dann ein Stockwerk nach dem nächsten, und irgendwann kommt das goldene Dach.“

„Ja, und wie fing alles an? Was ist das Fundament deines Shakespeare-Gebäudes?“

„Mein ganzer Weg mit Shakespeare beruht auf einem Traum“, offenbart Bernd. „Ich habe geträumt, ich würde auf den Plätzen von Florenz mit Masken auftreten. Und später habe ich mir diesen Traum erfüllt. Das ist auch die Botschaft, die ich an mein Publikum weitergeben möchte: Träume nicht dein Leben – Lebe deinen Traum! Oder wie es in der Rocky Horror Picture Show heißt: ‘Don’t dream it, be it!’ Man kann im Leben alles erreichen, wenn man es wirklich will.“

Genau wie Bernd es zu mir in Goslar gesagt hat. Und jetzt sind wir wirklich dabei: Unser Buch nimmt Gestalt an!

Über Bernds Traum möchte ich gern noch mehr wissen.

„Wann hattest du deinen Traum? Wie lange ist das her?“

„Das muss 1982 gewesen sein; es war noch während meines Studiums, allerdings schon in Freiburg. Ich hatte zunächst sechs Semester Romanistik und Klassische Philologie an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel studiert“, holt Bernd aus. „Im Rahmen dieser Studienzeit war ich ein Jahr lang, 1979/80, in Paris und habe an einem Gymnasium, dem Lycée Marcel Roby in Saint-Germain-en-Laye als Fremdsprachenassistent Deutschunterricht gegeben. ‘Assistant de la langue allemande’ hieß das. Während dieser Zeit bin ich mit meiner ersten Frau, Hélène Caboor, zusammengekommen, die später für mich die Masken gebaut hat. Sie lebte damals in Nordfrankreich. Wir hatten uns schon ein paar Jahre zuvor durch Ruth Ellendorff, eine Freundin, die mit mir zusammen in Kiel studiert hat, kennengelernt und die Telefonnummern ausgetauscht. Aber erst als ich in Paris lebte, habe ich den Kontakt zu Hélène wieder aufgenommen und sie besucht. Danach ging es sehr schnell, dass wir uns verliebt haben und auch zusammenziehen wollten. Das konnten wir aber nicht so bald, weil ich erst noch in Kiel meine Zwischenprüfung in Latein ablegen musste.“

„Du warst also bis zur Zwischenprüfung noch in Kiel?“

„Ja. Aber ich hatte mich bereits für mein Hauptstudium nach Freiburg an die Albert-Ludwigs-Universität beworben. Ich hatte damals zwei Städte zur Auswahl: Saarbrücken oder Freiburg. Die Wahl fiel mir leicht, denn ich hatte in Paris einen Studenten aus Freiburg kennengelernt, Anselm Hirt, auch einen ‘Assistant’, der heute immer noch einer meiner besten Freunde ist und als Lehrer für Deutsch, Französisch und Geschichte an einem Gymnasium arbeitet. Und der sagte: ‘Bernd, komm nach Freiburg; Freiburg ist ‘ne tolle Stadt!’ Und ich dachte mir: Wenn Anselm schon da ist ... Und weil es damals gar nicht so einfach war, in Freiburg ein Zimmer zu finden, hat mich Anselms spätere Frau Marlene, die auch mit uns als ‘Assistante’ in Paris war, direkt von Paris aus in ihrer Ente, ihrer Citroën ‘Deux Chevaux – 2CV’, nach Freiburg mitgenommen, und ich konnte eine Nacht in ihrer WG in der Wentzinger Straße übernachten und mich am nächsten Morgen nach dem Frühstück gleich auf die Suche nach einem Zimmer machen. Ich weiß noch, Marlene sagte zu mir: ‘Bernd, das wird bestimmt nicht einfach. Geh über die Blaue Brücke (das ist die Stühlinger Brücke, die wegen ihrer Farbe so genannt wird) und rechts den Weg hoch, da kommt die Universität. Vielleicht kannst du ein paar Zettel aufhängen.’ – Das habe ich auch gemacht: mich an die Schwarzen Bretter der Uni begeben und gesehen: O Mann, hier sind ja unglaublich viele Anschläge ‘Suche Zimmer in einer WG’, ‘Suche Ein-Zimmer-Wohnung’, ‘Suche ...’, ‘Suche ...’, ‘Suche ...’, und ich dachte: ‘Na, das kann ja heiter werden!’ Plötzlich aber kam ein junger Mann und hängte einen Zettel nach dem anderen auf. Ich dachte: ‘Was macht der denn da?’ Und dann las ich: ‘Suche Nachmieter für ein Zimmer in einem Studentenwohnheim’. Also bin ich hinter ihm hergelaufen, habe ihm auf die Schulter geklopft und gesagt: ‘Die andern Zettel kannst du jetzt einstecken; wir können ins Gespräch kommen. Ich würde mir dein Zimmer gerne einmal angucken.’ Das befand sich in der Studentensiedlung in der Sundgauallee. Und schließlich habe ich es tatsächlich bekommen, damals, im Jahre 1980, für 145,00 DM. – Tja, und so kam ich drei Stunden später zum Mittagessen über die blaue Brücke zurück, und sagte: ‘Schau mal, Marlene, was ich hier habe!’

Marlene: ‘Was, Bernd? Du hast ...?’ – ‘… ein Zimmer in Freiburg! Ab dem Ersten des nächsten Monats!’ – ‘Wie geht das denn, Bernd?’ – Ich habe es ihr erzählt, und sie: ‘Na, du bist ein Glückspilz!’“

Bernd lacht aus vollem Herzen.

„Danach fuhr ich nach Kiel zurück, machte meine Zwischenprüfung in Latein, und anschließend habe ich den Schritt von Kiel nach Freiburg gemacht. Dort begann ich im Herbst 1980 im siebten Semester mit meinem Hauptstudium. Hélène wiederum hat sich an die Grenze zu Deutschland, nach Colmar beworben, wo sie eine Stelle als Apothekenhelferin bekam. Ich habe also anfangs mit Hélène in Colmar in einer Zwei-Zimmer-Wohnung zusammengelebt, während ich parallel in Freiburg ein Studentenzimmer hatte.“

„Ach, du hattest zwei Wohnsitze!“, werfe ich ein.

„Ja, ich bin immer hin- und hergependelt. Aber im Sommer 1982, als Hélène die Masken für mich gebaut hat, wohnten wir schon in der Kaiser-Joseph-Straße. Das war alles noch vor der Geburt unserer Tochter Lena.“

„Und wie hat Hélène diese Masken gebaut?“

„Aus Gips. Wir haben dafür Perückenköpfe benutzt, diese mit Vaseline eingeschmiert und im Anschluss die Gipsstreifen darübergelegt. Mit den selbstgemachten Masken sind wir dann für zehn Tage nach Florenz gegangen, und ich habe auf der Piazza della Signoria jeden Abend ab 21.30 Uhr ‘Teatro con Maschere’ gespielt.“

„Und wie sahen die Masken aus?“

„Es waren Commedia dell’arte-Masken und Eigenkreationen. Die Maske des alten Mannes in Hamlet zum Beispiel ist immer noch von damals, die hat Hélène gebaut. In Florenz hat sie nämlich richtig gelernt, wie man Masken baut. Ein florentinischer Maskenbauer kam auf die Piazza della Signoria, sah, wie bei unseren Masken der Gips bröselte, und meinte: ‘Komm, ich zeig dir wie das richtig geht.’ Er hatte einen Abdruck von einem Gesicht eines alten Mannes als Modell, quasi wie ein Negativ, und hat in diesen Abdruck hinein gearbeitet. Nach der alten Tradition der venezianischen Masken hat er dazu italienische Zeitungen und Hasenknochenleim verwendet. So hat er die Maske angefangen, und Hélène stellte sie fertig. Anschließend lobte er sie: ‘Ja, bravo! So baut man Masken!’ Und daraufhin hat sie alle Masken noch einmal neu und haltbarer aus Pappmaché nachgebaut und anschließend bemalt.“

„Hasenknochenleim?! Das klingt ja eklig! Wo bekommt man denn Hasenknochenleim?“

„In einer drogheria. Der stank entsetzlich! Später haben wir Holzleim verwendet.“

„Heißt das, du hast in Florenz Commedia dell’arte gespielt?“

„Ich habe eigene Geschichten gespielt; die waren ca. zwanzig Minuten lang. In den zehn Tagen habe ich mir jeden Tag eine neue Geschichte mit immer neuen Figuren ausgedacht (Foto S. →). Die Hauptfigur war eine Hexe, die die Geschichte erzählte und immer ‘Ouuaddada – Dong Dong’ machte – so sammelte ich die ganze Energie des Publikums – und damit jeweils eine neue Figur ins Leben rief.“

****************************************************************

* * Hermines Zauberkugel * * sagt:
Commedia dell’arte

Die Commedia dell’arte entstand etwa in der Mitte des 16. Jahrhunderts in Italien und verbreitete sich von dort aus über Wandertruppen in ganz Europa.

Sie verknüpft Elemente der antiken Komödie, der italienischen an den Höfen des Adels aufgeführten Renaissancekomödie („commedia erudita“) und Elemente volkstümlicher, dialektal gefärbter Farcen mit den Masken des venezianischen Karnevals.

Während die „commedia erudita“ von Laiendarstellern („dilettanti“) aufgeführt wurde, handelte es sich bei den Darstellern der Commedia dell’arte um Berufsschauspieler, woher auch die Bezeichnung „arte“ (= Gewerbe) rührt, die allerdings erst im 18. Jahrhundert von Carlo Goldoni eingeführt wurde. Anders als in England standen die Schauspielgruppen der Commedia dell’arte nicht unter der Patronage von Adligen.

Die Schauspieler selbst hatten unterschiedliche Bezeichnungen für ihr Spiel: „commedia mercenaria“ (Söldnerkomödie) betonte den materiellen Aspekt, „commedia degli Zanni“ die charakteristischen Hauptfiguren und „commedia a soggetto“ (thematische Komödie) die grob vorgegebenen Handlungsstränge (auch „scenari“ genannt), entlang derer ohne schriftlich festgelegtes Textbuch improvisiert wurde, weshalb auch der Begriff „commedia all’improvviso“ gebräuchlich war.

Die festen Handlungsvorgaben wurden ergänzt durch ein breites Repertoire an einstudierten Ansprachen („tirate“), Beschreibungen von Heldentaten („bravure“), die oft in Form von Monologen wiedergegeben wurden, sowie scharfsinnigen und schlagfertigen Bemerkungen („concetti“ und „battute“) und Slaptstick-Einlagen („lazzi“), die mit akrobatischen Kunststücken, Gesten, Körperhaltungen und Bewegungen kombiniert wurden, wobei die Körpersprache im Vergleich zum Text stets im Vordergrund stand.

Häufig kam es zur Interaktion mit dem Publikum.

Das hervorstechendste Merkmal der Commedia dell’arte jedoch, welches diese bis in die heutige Zeit lebendig hält, sind ihre Masken, die zusammen mit den passenden Kostümen die einzelnen Figurentypen charakterisieren. Dabei handelt es sich um Halbmasken, die lediglich Stirn, Augen, Nase und Wangen bedecken und somit Spielraum für unterschiedliche Gesichtsausdrücke lassen. Allerdings wird der Begriff „Masken“ oft weiter gefasst: Man bezeichnet so die Figuren in ihrem gesamten Erscheinungsbild.

Es gibt zwei grundlegende Gruppen von Masken im letzteren Sinne: die schon erwähnten „Zanni“ und die „Vecchi“ (die Alten).

Die „Zanni“ kommen aus den unteren Bevölkerungsschichten: Sie sind meist Diener, Mägde oder andere Gehilfen. Es gibt zwei gegensätzliche Typen: den schlauen, schlagfertigen, durchtriebenen, hinterhältig auf seinen Vorteil bedachten Brighella und den dummen, aber gutmütigen, neugierigen und schwatzhaften Spaßvogel Arlecchino (später: Harlekin), der die „lazzi“ meisterhaft beherrscht und oft durch seine Bauernschläue die Situation für sich entscheiden kann.

Brighella trägt eine olivgrüne Halbmaske mit großer, krummer Nase und einem dicken Schnurrbart. Sein Kostüm besteht aus Jacke, Hose, Umhang und Mütze und ist weiß mit grünen Querstreifen.

Arlecchino trägt eine schwarz-rote Maske mit Stirnwölbungen und eingekerbten Wangen, dazu einen bunten Flickenanzug mit Rautenmuster, das zunächst seine ärmliche Herkunft wiederspiegeln sollte, aber im Laufe der Jahre immer gleichmäßiger und dekorativer wurde, dazu einen Mantel und einen breiten Filzhut mit Hasenschwanz.

Das weibliche Pendant zu Arlecchino ist die lebenslustige, schelmische, aufreizende und überlegene Magd oder Köchin Colombina. Sie trägt meist keine Gesichtsmaske, und ihr Kostüm ist nicht festgelegt.

In der Commedia dell’arte durften im Gegensatz zu den meisten Theaterformen der damaligen Zeit bereits Frauen auf der Bühne stehen, daher wurden die weiblichen Rollen tatsächlich von Frauen gespielt.

Der zweite Grundtypus der Masken, die „Vecchi“, kommen aus der gehobenen Bevölkerungsschicht. Sie sind gebildet, aber auch eingebildet und wirken daher oft unsympathisch und lächerlich.

Die beiden wichtigsten Vertreter dieser Gruppe sind der reiche Kaufmann und geizige oder nörglerische Vater Pantalone, der oft jüngeren Frauen nachsteigt, während er seiner Tochter keinerlei Freiheit zugesteht, und sein Gegenspieler, der pedantische, geschwollen daher redende Gelehrte Dottore.

Pantalone trägt eine braune Maske mit höckeriger Nase und grauem Ziegenbart in einem hageren Gesicht und über seinen eng anliegenden charakteristischen roten Strumpfhosen einen roten oder schwarzen Umhang.

Dottore trägt eine schwarze Maske mit dicker Knollennase, kugelförmiger Stirn und roten Wangen, die die Augen frei lässt. Er ist komplett in Schwarz gekleidet, nur sticht unter seiner Jacke eine weiße Halskrause hervor.

Hinzu kommen die Liebenden („innamorati“), die als Kinder der Alten mit ihnen in Konflikt geraten und erst nach etlichen Verwicklungen zueinander finden. Sie tragen als Einzige keine Masken.

Die Schauspieler stellten zeitlebens nur eine Maske dar und perfektionierten die jeweilige Figur, wobei sie oftmals ihre eigenen Namen oder Theaternamen verwendeten, die dann zu den Namen der Figuren wurden. So prägten sie die Geschichte der Commedia dell’arte entscheidend mit.

****************************************************************

„Hast du alle Figuren selbst dargestellt, so wie heute auch?“

„Nein. Ich habe das Publikum mit einbezogen, zunächst, um die Geräusche zu machen, zum Beispiel das Schnalzen beim Reiten. Danach habe ich fünf Leute ausgesucht, die mitspielten, jeder mit einer Maske. Einer war zum Beispiel ein Ritter, dem ich erst einmal gezeigt habe, wie das mit dem Reiten geht; außerdem gab es einen Kameramann, der die verschiedenen Sequenzen pantomimisch filmte. Ihn hatte ich als Grundfigur eingeführt, damit ich die Geschichte jederzeit mit einem Schlag und einem ‘Cut!’ unterbrechen konnte. So gab es zwischendurch immer wieder Beifall für die handelnde Person aus dem Publikum, die den Ritter oder die schöne Frau gespielt hat – und dann konnte ich wieder eine nächste Person nehmen, der alles erklären, und mit Hilfe der Hexe, die ja schon im Spiel war, wieder das ‘Ouuaddada – Dong Dong’ auf die Figur lenken. Und die nächste Sequenz wurde mit einem ‘Klapp!’ und ‘Kamera, Action!’ eingeleitet, und am Ende habe ich die Klappe ‘Klapp!’ wieder zugemacht. So habe ich wie ein Mosaik meine verschiedenen Rollen zusammengeführt, und mit Hilfe des Kameramanns, mit ‘Action!’ oder ‘Stopp!’, gab es immer eine gute Trennung zwischen der aktiven Geschichte des Straßentheaters und meinen Erläuterungen für das Publikum sowie für denjenigen, den ich ausgesucht hatte. Es wechselte immer eine Spielszene mit einer Kameramann- und Erklärungsszene.“

Also so weit geht die Idee, die Zuschauer mitspielen zu lassen schon zurück!

„Und erklärt hast du immer auf Italienisch?“

„Italienisch, Englisch, Französisch, Deutsch; es waren ja viele Touristen in Florenz. Und am Schluss der Vorstellung nach dem Applaus habe ich meine Mitspieler gebeten: ‘So, jetzt dreht bitte die Masken um und sammelt damit Geld ein.’ Ich habe sie in alle Himmelsrichtungen geschickt – alleine hätte ich gar nicht so viele Menschen erreichen können!“

„War das das erste Mal, dass du Theater gespielt hast? Oder wann hast du zum ersten Mal auf der Bühne gestanden?“

„Ich habe bereits 1979 in Kiel, während des Romanistik-Studiums, in einer Schüler- und Studentengruppe namens ‘Himmel und Erde’ gespielt. Sie bestand aus etwa vierzehn Leuten; die Leitung hatte Peter Nickel. Das war ein Lehrer an einer Ganztagsschule in Kiel. Wir haben frei erfundene Stücke gespielt. Das allererste Mal, dass ich auf einer Bühne war, das war in Kiel im Kulturzentrum PUMPE (Foto S. →).

Das Stück, das wir spielten, hieß Kinderspiele