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"Beschreibung eines Kampfes" ist eine etwa zwischen 1903 und 1907 entstandene dreigliedrige Erzählung Franz Kafkas, die sein erstes erhaltenes Werk darstellt und die postum veröffentlicht wurde. Der erste und der dritte Teil beschreiben das Gesellschafts- und Nachtleben Prags aus der Sicht des Erzählers und seines Bekannten. Den mittleren Teil kann man als fantastische, in sich mehrfach untergliederte Traumsequenz verstehen. Kafka hat zwei Fassungen dieser Geschichte geschrieben.
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Seitenzahl: 127
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Fassung A
Kapitel
Kapitel: Belustigungen oder Beweis dessen, daß es unmöglich ist zu leben
Ritt
Spaziergang
Der Dicke
Ansprache an die Landschaft
.
Begonnenes Gespräch mit dem Beter
.
Geschichte des Beters
Fortgesetztes Gespräch zwischen dem Dicken und dem Beter
Untergang des Dicken
Kapitel
Fassung B
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Und die Menschen gehn in Kleidern
schwankend auf dem Kies spazieren
unter diesem großen Himmel,
der von Hügeln in der Ferne
sich zu fernen Hügeln breitet.
Gegen zwölf Uhr standen schon einige Leute auf, verbeugten sich, reichten einander die Hände, sagten, es wäre sehr schön gewesen und giengen dann durch den großen Thürrahmen ins Vorzimmer, sich anzukleiden. Die Hausfrau stand mitten in dem Zimmer und machte bewegliche Verbeugungen, während ihr Kleid gezierte Falten warf.
Ich saß an einem kleinen Tischchen – es hatte drei gespannte dünne Beine – nippte gerade an dem dritten Gläschen Benediktiner und übersah im Trinken zugleich meinen kleinen Vorrath von Backwerk, das ich selbst ausgesucht und aufgeschichtet hatte, denn es hatte einen feinen Geschmack.
Da kam mein neuer Bekannter zu mir und ein wenig zerstreut über meine Beschäftigung lächelnd sagte er mit zitternder Stimme: „Verzeihen Sie, daß ich zu Ihnen komme. Aber ich saß bis jetzt mit meinem Mädchen allein in einem Nebenzimmer. Von halb elf an, das ist noch gar nicht lange her. Verzeihen Sie, daß ich es Ihnen sage. Wir kennen ja einander nicht. Nicht wahr, auf der Treppe trafen wir einander und erzählten einander ein paar höfliche Worte und jetzt rede ich zu Ihnen schon von meinem Mädchen, aber Sie müssen mir – ich bitte – verzeihen, das Glück hält es nicht in mir aus, ich konnte mir nicht helfen. Und da ich sonst keine Bekannten hier habe, denen ich vertraue –“
So redete er. Ich aber sah ihn traurig an, – denn das Stück Fruchtkuchen, das ich im Munde hatte, schmeckte nicht gut – und sagte in sein hübsch geröthetes Gesicht: „Ich bin froh darüber, daß ich Ihnen vertrauenswürdig scheine, aber traurig darüber, daß Sie es mir erzählten. Und Sie selbst – wären Sie nicht so verwirrt – würden es fühlen, wie unpassend es ist, einem der allein sitzt und Schnaps trinkt, von einem liebenden Mädchen zu erzählen.“
Als ich das gesagt hatte, setzte er sich mit einem Ruck nieder, legte sich zurück und ließ seine Arme hängen. Dann drückte er sie mit gespitztem Ellbogen zurück und begann mit ziemlich lauter Stimme vor sich hinzusprechen: „Wir sind dort ganz allein im Zimmer – gesessen – mit der Annerl und ich habe sie geküßt – geküßt – habe ich – sie – auf – ihren Mund, ihr Ohr, ihre Schultern –“
Einige Herren, die in der Nähe standen und ein lebhaftes Gespräch vermutheten, kamen gähnend zu uns. Daher stand ich auf und sagte laut: „Gut, wenn Sie wollen, so gehe ich, aber es ist thöricht, jetzt auf den Laurenziberg zu gehn, denn das Wetter ist noch kühl und da ein wenig Schnee gefallen ist, sind die Wege wie Schlittschuhbahnen. Aber wenn Sie wollen, gehe ich mit.“
Zuerst sah er mich staunend an und öffnete seinen Mund mit den breiten und rothen nassen Lippen. Dann aber, als er die Herren sah, die schon ganz in der Nähe waren, lachte er, stand auf und sagte: „O doch, die Kühle wird gut thun, unsere Kleider sind voll Hitze und Rauch, ich bin vielleicht auch ein wenig betrunken, ohne viel getrunken zu haben, ja, wir werden uns verabschieden und dann werden wir gehn.“
Also giengen wir zur Hausfrau und als er ihr die Hand küßte, sagte sie: „Wirklich, ich bin froh, daß Ihr Gesicht heute so glücklich ist, sonst ist es immer so ernst und gelangweilt.“ Die Güte dieser Worte rührte ihn und er küßte noch einmal ihre Hand; da lächelte sie.
Im Vorzimmer stand ein Stubenmädchen, wir sahen sie jetzt zum erstenmal. Sie half uns in die Überröcke und nahm dann eine kleine Handlampe, um uns über die Treppe zu leuchten. Ja, das Mädchen war schön. Ihr Hals war nackt und nur unter dem Kinn von einem schwarzen Sammtband umbunden und ihr lose bekleideter Körper war schön gebeugt, als sie vor uns die Treppe hinunterstieg die Lampe niederhaltend. Ihre Wangen waren geröthet, denn sie hatte Wein getrunken und ihre Lippen waren halbgeöffnet.
Unten an der Treppe stellte sie die Lampe auf eine Stufe nieder, gieng ein wenig taumelnd auf meinen Bekannten zu und umarmte ihn und küßte ihn und blieb in der Umarmung. Erst als ich ihr ein Geldstück in die Hand legte, löste sie schläfrig ihre Arme von ihm, öffnete langsam das kleine Hausthor und ließ uns in die Nacht.
Über der leeren, gleichmäßig erhellten Straße stand ein großer Mond in einem leicht bewölkten und dadurch weiter ausgebreiteten Himmel. Auf dem Boden lag ein zarter Schnee. Die Füße glitten aus beim Gehn, daher mußte man kleine Schritte thun.
Kaum waren wir ins Freie getreten, als ich offenbar in große Munterkeit gerieth. Ich hob die Beine übermüthig und ließ die Gelenke lustig knacken, ich rief über die Gasse einen Namen hin, als sei mir ein Freund um die Ecke entwischt, ich warf den Hut im Sprunge hoch und fieng ihn prahlerisch auf.
Mein Bekannter aber gieng unbekümmert neben mir her. Er hielt den Kopf geneigt. Er redete auch nicht.
Das wunderte mich, denn ich hatte erwartet, seine Freude würde ihn toll machen, wenn die Gesellschaft nicht mehr um ihn wäre; ich wurde stiller. Gerade hatte ich ihm einen aufmunternden Schlag über den Rücken gegeben, als mich Scham ergriff, so daß ich meine Hand ungeschickt zurückzog. Da sie mir unnöthig war, steckte ich sie in die Tasche meines Rockes.
Wir giengen also schweigend. Ich achtete darauf, wie unsere Schritte klangen und konnte nicht begreifen, daß es mir unmöglich war in gleichem Schritt mit meinem Bekannten zu bleiben. Es erregte mich ein wenig. Der Mond war klar, man konnte deutlich sehn. Hie und da lehnte jemand in einem Fenster und betrachtete uns.
Als wir in die Ferdinandsstraße kamen, bemerkte ich, daß mein Bekannter eine Melodie zu summen begann; es war ganz leise, aber ich hörte es. Ich fand, daß es für mich beleidigend sei. Warum sprach er nicht mit mir? Wenn er mich aber nicht nöthig hatte, warum hatte er mich nicht in meiner Ruhe gelassen. Ich erinnerte mich ärgerlich an das gute süße Zeug, das ich seinetwegen auf meinem Tischchen liegen gelassen hatte. Ich erinnerte mich auch an den Benediktiner und wurde ein wenig lustiger, fast hochmüthig kann man sagen. Ich stemmte die Hände in die Hüften und bildete mir ein, ich gienge selbstständig spazieren. Ich war in Gesellschaft gewesen, hatte einen undankbaren jungen Menschen vor Beschämung gerettet und gieng jetzt im Mondlicht spazieren. Eine in ihrer Natürlichkeit grenzenlose Lebensweise. Den Tag über im Amt, Abends in Gesellschaft, in der Nacht auf den Gassen und nichts übers Maß.
Doch, mein Bekannter gieng noch hinter mir, ja er beschleunigte sogar seinen Gang, als er merkte, daß er zurückgeblieben war und that, als wäre das etwas Natürliches. Ich aber überlegte, ob es nicht vielleicht passend wäre, in eine Seitengasse einzubiegen, da ich doch zu einem gemeinsamen Spaziergang nicht verpflichtet war. Ich konnte allein nachhause gehn und keiner durfte mich hindern. In meinem Zimmer würde ich die Stehlampe anzünden, welche in dem eisernen Gestelle auf dem Tische ist, ich würde mich in meinen Armstuhl setzen, der auf dem zerrissenen morgenländischen Teppich steht. – Als ich soweit war, überfiel mich die Schwäche, die immer über mich kommt, sobald ich daran denken muß, wieder in meine Wohnung zu gehn und wieder Stunden allein zwischen den bemalten Wänden zu verbringen und auf dem Fußboden, welcher in dem an der Rückwand aufgehängten Goldrahmenspiegel schräg abfallend erscheint. Meine Beine wurden müde und schon war ich entschlossen auf jeden Fall nachhause zu gehn und mich in mein Bett zu legen, als mir der Zweifel kam, ob ich jetzt beim Weggehn meinen Bekannten grüßen solle oder nicht. Aber ich war zu furchtsam, um ohne Gruß wegzugehn und zu schwach, um laut rufend zu grüßen, daher blieb ich wieder stehn, stützte mich an eine mondbeschienene Häusermauer und wartete.
Mein Bekannter kam in fröhlichem Schritt und wohl auch ein wenig besorgt. Er machte große Anstalten, zwinkerte jetzt mit seinen Augenlidern, streckte die Arme wagrecht in die Luft, reckte heftig seinen Kopf, auf dem ein harter schwarzer Hut war, zu mir empor und schien mit alledem zeigen zu wollen, er verstehe den Scherz sehr gut zu würdigen, den ich zu seiner Belustigung hier vorführte.
Ich war hilflos und sagte leise: „Heute ist ein lustiger Abend.“ Dabei gab ich ein mißlungenes Lachen von mir. Er antwortete: „Ja, und haben Sie gesehn, wie auch das Stubenmädchen mich küßte.“ Ich konnte nicht reden, denn mein Hals war voll Thränen, daher versuchte ich, wie ein Posthorn zu blasen, um nicht stumm zu bleiben. Er hielt sich zuerst die Ohren zu, dann schüttelte er freundlich dankend meine rechte Hand. Die muß sich kalt angefühlt haben, denn er ließ sie gleich los und sagte: „Ihre Hand ist sehr kalt, die Lippen des Stubenmädchens waren wärmer, o ja.“ Ich nickte verständig. Während ich aber den lieben Gott bat, mir Standhaftigkeit zu geben, sagte ich: „Ja, Sie haben recht, wir werden nachhause gehn, es ist spät und morgen früh habe ich Amt; bedenken Sie, man kann ja dort schlafen, aber es ist nicht das Rechte. Sie haben recht, wir werden nachhause gehn.“ Dabei reichte ich ihm die Hand, als sei die Sache endgiltig erledigt. Er aber gieng lächelnd auf meine Redeweise ein: „Ja, Sie haben Recht, eine solche Nacht will nicht im Bette verschlafen sein. Bedenken Sie doch, wieviele glückliche Gedanken man mit der Bettdecke erstickt, wenn man allein in seinem Bette schläft und wieviel unglückliche Träume man mit ihr wärmt.“ Und aus Freude über diesen Einfall, faßte er vorn an der Brust – höher reichte er nicht – kräftig meinen Rock, und schüttelte mich mit Laune; dann kniff er seine Augen zusammen und sagte vertraulich: „Wissen Sie, wie Sie sind, komisch sind Sie.“ Dabei begann er weiter zu gehn und ich folgte ihm, ohne es zu merken, denn mich beschäftigte sein Ausspruch.
Zuerst freute es mich, denn es schien zu zeigen, daß er etwas in mir vermuthete, was zwar nicht in mir war, aber mich bei ihm in Beachtung brachte dadurch, daß er es vermuthete. Ein solches Verhältnis macht mich glücklich. Ich war zufrieden, nicht nachhause gegangen zu sein und mein Bekannter wurde für mich sehr wertvoll als einer, der mir vor den Menschen Wert gibt, ohne daß ich ihn erst erwerben muß! Ich sah meinen Bekannten mit liebevollen Augen an. In Gedanken schützte ich ihn gegen Gefahren, besonders gegen Nebenbuhler und eifersüchtige Männer. Sein Leben wurde mir theuerer als meines. Ich fand sein Gesicht schön, ich war stolz auf sein Glück bei den Frauenzimmern und ich nahm an den Küssen theil, die er an diesem Abend von den zwei Mädchen bekommen hatte. Oh, dieser Abend war lustig! Morgen wird mein Bekannter mit Fräulein Anna reden; gewöhnliche Dinge zuerst, wie es natürlich ist, aber dann wird er plötzlich sagen: „Gestern in der Nacht war ich mit einem Menschen beisammen, wie Du ihn liebes Annerl, sicher noch nie gesehen hast. Er sieht aus, – wie soll ich es beschreiben – wie eine Stange in baumelnder Bewegung auf die ein gelbhäutiger und schwarzbehaarter Schädel ein wenig ungeschickt aufgespießt ist. Sein Körper ist mit vielen, ziemlich kleinen, grellen, gelblichen Stoffstücken behängt, die ihn gestern vollständig bedeckten, denn in der Windstille dieser Nacht lagen sie glatt an. Er gieng schüchtern neben mir. Du mein liebes Annerl, die Du so gut küssen kannst, ich weiß, Du hättest ein wenig gelacht und ein wenig Dich gefürchtet, ich aber, dessen Seele ganz zerflogen ist vor Liebe zu Dir, freute mich seiner Gegenwart. Er ist vielleicht unglücklich und darum schweigt er still und doch ist man neben ihm in einer glücklichen Unruhe, die nicht aufhört. Ich war ja gestern gebeugt von eigenem Glück, aber fast vergaß ich an Dich. Es war mir als höbe sich mit den Athemzügen seiner platten Brust die harte Wölbung des gestirnten Himmels. Der Horizont brach auf und unter entzündeten Wolken wurden Landschaften sichtbar endlos, so wie sie uns glücklich machen. – Mein Himmel, wie liebe ich Dich Annerl und Dein Kuß ist mir lieber als eine Landschaft. Reden wir nicht mehr von ihm und haben wir einander lieb.“
Als wir dann mit langsamen Schritten den Quai betraten, beneidete ich zwar meinen Bekannten um die Küsse, aber ich empfand auch mit Fröhlichkeit die innere Beschämung, die er mir gegenüber, so wie ich ihm erschien, wohl fühlen mußte.
So dachte ich. Aber meine Gedanken verwirrten sich damals, denn die Moldau und die Stadtviertel am andern Ufer lagen in einem Dunkel. Nur einige Lichter brannten und spielten mit den schauenden Augen.
Wir standen am Geländer. Ich zog meine Handschuhe an, denn vom Wasser wehte es kalt; dann seufzte ich ohne Grund auf, wie man es vor einem Fluß in der Nacht wohl thun mag, und wollte weiter gehn. Aber mein Bekannter schaute ins Wasser und rührte sich gar nicht. Dann trat er noch näher an das Geländer, stützte die Arme mit den Ellenbogen auf das Eisen nieder und legte die Stirne in seine Hände. Das schien mir thöricht. Ich fror und stülpte meinen Rockkragen in die Höhe. Mein Bekannter streckte sich und legte den Oberkörper, der jetzt auf seinen gespannten Armen ruhte, über das Geländer. Beschämt beeilte ich mich zu reden, um mein Gähnen zu unterdrücken: „Nicht wahr, es ist doch merkwürdig daß gerade die Nacht nur imstande ist, uns ganz in Erinnerungen zu tauchen. Jetzt zum Beispiel erinnere ich mich an dieses: Einmal saß ich auf einer Bank am Ufer eines Flusses am Abend in verrenkter Haltung. Ich sah, den Kopf auf den Arm gelegt, der auf der hölzernen Lehne der Bank auflag, die wolkenhaften Berge des andern Ufers und hörte eine zarte Geige, die jemand im Strandhotel spielte. Auf beiden Ufern fuhren hin und wieder schiebende Züge mit erglänzendem Rauch.“ – So redete ich und suchte krampfhaft hinter den Worten Liebesgeschichten mit merkwürdigen Lagen zu erfinden; auch ein wenig Roheit und feste Nothzucht brauchte nicht zu fehlen.
Aber ich brachte kaum die ersten Worte vor, als mein Bekannter gleichgültig und bloß überrascht darüber, mich noch hier zu sehn – so schien es mir – sich zu mir wandte und sagte: „Sehen Sie, so kommt es immer. Als ich heute die Treppe hinunterstieg, um noch einen Abendspaziergang zu machen, ehe ich in die Gesellschaft gehen mußte, wunderte ich mich, wie meine röthlichen Hände in den weißen Manschetten hin und herschlenkerten und wie sie es mit ungewohnter Munterkeit thaten. Da erwartete ich Abenteuer. So kommt es immer.“ Dieses sagte er schon im Gehn, nur beiläufig, als eine kleine Beobachtung.
Mich aber rührte es sehr und es wurde mir schmerzlich, daß ihm vielleicht meine lange Gestalt unangenehm sein könnte, neben der er vielleicht zu klein erschien. Und dieser