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Lust auf dunkle und anspruchsvolle Fantasy? Tauche ein in eine fantastische Welt! Begleite Smaragd und ihre Freunde auf ihrer gefährlichen Reise. ************************************************************************************* Dämonen sehen aus wie dunkle Engel. Sie reiten den Wind auf majestätischen, schwarzen Schwingen, jede einzelne Feder so spitz, als wäre diese als Waffe einsetzbar. Engel hingegen tragen schneeweiße Flügel mit runden, weichen Federn. Die Himmelsboten gelten als über alle Maßen gütig und rein. Dennoch sind es nun die Engel, die in die Dämonendimension eindringen und Dämonenkinder entführen. Doch bleibt es nicht nur bei dieser Bedrohung, denn einstige Verbündete werden plötzlich zur größten Gefahr. ************************************************************************************ Klappentext: Gejagt von den Schergen des Dämonenfürsten schlittert Smaragd von einer Gefahr in die nächste. Als wären blutrünstige Engel nicht bereits Bedrohung genug, werden auch noch Lügen über die Rebellen verbreitet. Dabei können Dämonen gar keine Lügen aussprechen. Doch der schlimmste Feind lauert in unmittelbarer Nähe! ************************************************************************************* "Eine Dark Fantasy Saga voller Spannung, bewegender Schicksale und unterschwelliger Botschaften." "Ein Meisterwerk seiner Zeit! Tiefgründig & mitreißend!"
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Seitenzahl: 841
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Band 2
Robin R. Lorien
Gejagt von den Schergen des Dämonenfürsten schlittert Smaragd von einer Gefahr in die nächste.
Als wären blutrünstige Engel nicht bereits Bedrohung genug, werden auch noch Lügen über die Rebellen verbreitet. Dabei können Dämonen gar keine Lügen aussprechen.
Doch der schlimmste Feind lauert in unmittelbarer Nähe!
Die Wahrheit
stirbt zuerst
Robin R. Lorien
Ich widme dieses Buch allen, die eine schwere Zeit durchmachen und innere Kämpfe austragen müssen. Bleibt mutig und stark!
Impressum:
Robin R. Lorien
c/o Autorenservice Gorischek
Am Rinnergrund 14/5
A - 8101 Gratkorn
©2022, 1.Auflage
Coverdesign: Dream Design – Cover and Art
Schriftzugdesign: design9creative (www.fiverr.com)
Korrektorat & Lektorat: Amalia Reich
www.beyondimmortal.com
Triggerwarnung:
Dieses High Fantasy Epos wird ab 16 Jahren empfohlen.
Mögliche Trigger sind: Darstellung und Erwähnung körperlicher und seelischer Gewalt, Krieg und Tod geliebter Personen.
Häufig verwendetes Vokabular:
adoleszent
heranwachsend
adult
erwachsen, ausgewachsen
Blessur, blessiert
Verletzung, verletzt
Fehde, sich befehden
Kampf, sich bekämpfen
frappiert
überrascht, erstaunt
inhalieren
einatmen, nach Luft schnappen
instruieren
anleiten, anweisen, in Kenntnis setzen
juvenil
jugendlich
konsterniert
verblüfft, fassungslos
lädiert/ versehrt
verletzt, beeinträchtigt
Opponent/ Kontrahent
Gegner, Widersacher
sonor
volltönend, wohltönend, tief
Sedition/ Revolte
Aufstand, Meuterei, Rebellion
süffisant/ mokant
(überheblich) spöttisch
Inhalt
1.Heimat ist kein Ort, sondern ein Gefühl
2.Erfolg misst man an der Anzahl der Neider
3.Nur weil du ihn nicht siehst, heißt das nicht, dass es keinen Krieg gibt
4.Near the Edge
5.Ein gespaltetes Volk lässt sich leichter lenken
6.Destroy the System from Within
7.The Dark Lord
8.Manchmal muss man den Vorhang heben, um zu wissen, was gespielt wird, doch die meisten genießen nur die Show
9.Worte lenken die Gesellschaft effektiver als Waffengewalt
10.When the Crowd swims in one Direction, stop, turn around and look what Lies behind
11.The Script Behind the Scene
12.Ein Haus hat Fenster und Türen, doch auch Mauern
Glossar
Prolog:
Lime fühlte, wie ihre Handflächen zu schwitzen begannen und wie in Trance tat sie unsichere Schritte rückwärts, Schulter an Schulter mit ihren Gefährten, die ebenso vor Angst bebten wie sie selbst. Das Mädchen blickte ängstlich zu ihren drei Freunden die hier in diesem dunklen Turmzimmer um das pompöse Himmelbett ihres Erzfeindes standen und genauso erschüttert schienen wie sie selbst.
Kurenai, die tapfere Kriegerin im Kimono, die sonst nichts aus der Ruhe bringen konnte, hatte ihre Augen weit aufgerissen. Ihr kunstvoll gearbeitetes Katana hielt sie griffbereit. Amarillo, den Lime wegen seiner sympathischen Art wirklich gerne mochte, sah, blass und bleich wie er war, aus, als wäre er dran und drauf panisch schreiend davonzurennen. Sogar der hünenhafte Crimson erschauderte und die Muskeln unter seiner dunklen, vor Schweiß glänzenden Haut zitterten und bäumten sich zum Kampfe auf.
Es war, als stünde die Zeit still. Das Röcheln des verhassten Diktators, dem Crimson kurz zuvor einen Dolch ins Herz gerammt hatte, rumorte unnatürlich laut durch den kleinen, runden Raum.
Lime schluckte. Der Dämonenfürst schien sich unheimlich langsam zu bewegen, als er sich nun nach Luft ringend gegen den Bettpfosten stützte. Sogar das auf den Boden tropfende Blut fiel wie in Zeitlupe hinab und verursachte ein klatschendes Geräusch, als es auf dem kalten Steinboden auftraf.
Tausend Gedanken stürzten auf Lime ein. Wie ist es möglich, dass er diese Verletzung überlebt!? Seine Schreckensherrschaft sollte mit ihm sterben. So mächtig kann nicht mal Saphir sein!
Limes Nackenhärchen hatten sich aufgestellt und ihre eigene Furcht ließ sie frösteln. Sie sah ihr Leben sich vor ihrem inneren Auge abspulen, als wollte ihr panischer Verstand ihr noch einmal alle ihr wertvollen Personen zeigen, bevor sie nun der sichere Tod ereilen würde. Die Dämonin sah die gütigen Gesichter ihrer fürsorglichen Eltern so deutlich, als ständen sie in Leib und Blut vor ihr. In Gedanken sah sie ihre tapferen Clankameraden, die im Heiligen Krieg ihr Leben gelassen hatten, und als sich das Bild eines Jungen mit bernsteinfarbenem Lockenhaar und großen, sanftorangenen Augen vor ihrem geistigen Auge manifestierte, verließ sie all ihr Mut und ihre Kraft mit einem Mal. Ihr geliebter Bernstein war ebenso in diesem unnützen Krieg gefallen und nun würde sie seinen Tod nicht rächen können.
Der Heilige Krieg währte nun seit Generationen zwischen Engeln und Dämonen, doch noch nie zuvor hatte sich ein Dämonenführer gegen sein eigenes Volk gestellt. Das aktuelle Dämonenoberhaupt, der als grausamer Herrscher bekannte Saphir, hatte nicht nur die Destruktion zahlreicher Dämoneneier befohlen, sondern auch noch das ewige Leben hunderter unschuldiger Seelen auf dem Gewissen.
Lime, die kleine pausbäckige Dämonin mit dem grellgrünen Kurzhaarschnitt, war Mitglied einer Rebellion gegen den gefürchteten Diktator. Sie hatte sich zusammen mit Crimson, Amarillo und Kurenai in Saphirs Festung geschlichen, um ein Attentat auf den skrupellosen Mörder zu verrichten. Ein geheiligter Dolch, den dieser achtlos unter einem Glassturz neben seinem majestätischen Bett aufbewahrt hatte, hätte sein ewiges Leben beenden sollen, doch kurz nachdem Crimson dem schlafenden Saphir die Klinge zwischen die Rippen gejagt hatte, hatte sich dieser die Heilige Waffe aus der Brust gezogen und war sichtlich geschwächt, doch zu aller Erstaunen trotz der heiligen und daher für einen Dämon im Normalfall tödlichen Stichwunde, aus dem prunkvollen Himmelbett gestiegen.
Der Dämonenführer taxierte mit maliziös verengten Augen die vier vermaledeiten Attentäter, deren Gesichter von Schatten verdeckt waren, er röchelte, musste husten, schmeckte Blut auf seiner Zunge und wog das Gewicht des geheiligten Dolches in seiner linken Hand. Es war ihm ein Rätsel, wie diese Jungdämonen es geschafft hatten, sich ihm unbemerkt zu nähern, schließlich hätte er ihre Präsenz erfühlen müssen, sogar im Tiefschlaf. Bemüht seine Versehrtheit und seine Agonie nicht zu zeigen, tat Saphir einen Schritt Richtung Bettende, tarnte die Notwendigkeit, sich an dem kunstvoll verschnörkelten Bettpfosten anhalten zu müssen, um nicht zu kollabieren, als ein lässiges Anlehnen. Schließlich wurde der hochgewachsene, blasshäutige Dämonenfürst von einem Hustenreiz gebeutelt und spuckte Blut. Da geschah es! Die Präsenz der minutiösen Möchtegernrebellin mit dem hellgrünen Schopf flackerte, wurde stärker und schwächer. Der Dämonenführer dachte: So, so. Kann das Energiefeld demnach beeinflusst werden. Erstaunlich. Man lernt nie aus. Saphir leckte sich das Blut von den Lippen, das aus seinem Mund gespritzt war und zwang sich dann zu einem mokanten Grinsen.
Kurenai glaubte, ihre weichen Knie müssten jeden Moment nachgeben. Saphirs süffisante Grimasse ließ jede Hoffnung ersticken, die angesichts des desolaten Zustandes des nach Luft ringenden Tyrannen in ihr gekeimt war. Wie ist das möglich!? Wie kann Saphir eine Heilige Stichwunde überleben!? Wie kann er so unbedarft hier am Holzpfeiler angelehnt stehen? Die Dämonin mit dem dunkelroten Pagenhaarschnitt beobachtete, wie der Erzfeind die rechte Hand von dem kunstvoll geschnitzten Holz nahm, für einen kurzen Augenblick sein Gleichgewicht austarieren musste, doch schließlich standfest und mit furchteinflößendem Gleißen in seinen zusammengekniffenen, blauen, stechenden Augen, die Hand zur Faust ballte, eine Energie herbeibeschwor.
„WEG HIER!“ Crimsons Warnruf brachte augenblicklich Bewegung in die vor Schrecken immobilisierte Truppe und alle vier Jungdämonen suchten sich Deckung, die jedoch kaum hier in diesem karg möblierten Raum zu finden war. Saphirs Energiegeschoss züngelte, statt in nur eine, in alle Richtungen, denn immerhin wäre er nicht der Ranghöchste aller Dämonen, wenn er nicht außergewöhnliche Fähigkeiten besäße und er überraschte die auseinanderstobenden Rebellen mit dieser flächendeckenden Attacke.
Lime wurde in den Rücken getroffen, stürzte mit einem schrillen Schrei zu Boden und schlitterte auf den Holzdielen entlang, bis sie gegen das schroffe Mauerwerk krachte und sich benommen hochzurappeln versuchte. Amarillo, ein athletischer Junge mit hell- und dunkelgelben Locken, der nur knapp mit einem gewagten Sprung einem Energieblitz ausgewichen war, hastete sofort zu der kleinen Dämonin, zog sie unter den Achseln gepackt hoch und wäre er daraufhin nicht sofort zusammen mit seinem Schützling zur Seite gesatzt, hätte Lime einen weiteren energetischen Vernichtungsschlag erlitten.
„Das Fenster!“, drang ein verzweifelter Schrei aus seiner zugeschnürten Kehle und sogleich bereute er seine voreilige Handlung, denn nun war auch ihr Opponent vor dem einzigen Fluchtweg gewarnt. Amarillo wich frappiert zurück, als ein Kugelblitz auf das Fenster zuraste, in den Nachthimmel schoss und die Düsternis erhellte.
„SUCHT EINEN ANDEREN WEG! ANDERE DÄMONEN WERDEN DIESEM HILFERUF BALD FOLGEN!“, instruierte Crimson seine Gefährten und seine Angriffsstellung ließ kaum einen Zweifel darüber offen, dass er gerade im Inbegriff war, den Dämonenführer direkt zu attackieren.
„CRIMSON NEIN!“ Doch Kurenais Flehen brachte den muskelbepackten Dämon nicht von seinem Vorhaben ab, für eine Ablenkung zu sorgen, um seinen Freunden die Flucht zu ermöglichen.
Saphir, der im höchsten Maße verärgert über die Unterstellung war, dass er Unterstützung angefordert hätte, ließ die Fingernägel seiner rechten Hand zu langen, hässlich gebogenen, schwarzen Krallen heranwachsen. „Ich werde euch allen höchstpersönlich die Kehle aufreißen“, drohte er mit belustigtem Unterton in seiner sonoren Stimme und mit einem hämischen Lachen hob er den geheiligten Dolch, den er sich wenige Atemzüge zuvor aus seinem eigenen Leib gezogen hatte. „Ihr hättet dies besser wieder an euch nehmen sollen.“
Saphir hatte so rasch einen Angriff unternommen, dass Crimson nur um Haaresbreite ausweichen hatte können und der leuchtende Schnitt prangerte noch immer in der Dunkelheit des Turmzimmers, nur eine Federspreite1vor Crimsons Brust. Der hünenhafte Dämon holte mit seiner Axt zum Gegenangriff aus, wurde jedoch von einem krallenbewährten Fausthieb zu Boden gebracht. Der kampferfahrene Jungdämon rollte sich ab, schleuderte seine zweischneidige Klinge dem weit überlegenen Kontrahenten entgegen, wagte sogleich einen Hechtsprung auf den soeben der geworfenen Waffe ausgewichenem Gegner und versuchte des Heiligen Dolches habhaft zu werden.
Amarillo und Kurenai hatten indes Lime Richtung Ausgangstür des Schlafgemaches getragen. Die kleine, invalide Dämonin flehte, dass sie ihren Freund nicht alleine lassen konnten, jedoch Kurenai schüttelte mit schmachvoller Mimik ihr Haupt und ihr kurzes, dunkelrotes, glattes Haar glänzte im Widerschein der golden leuchtenden Waffe, um die gerade gerangelt wurde. „Wir können nichts mehr für ihn tun“, murmelte die Dämonin im Kimono. „Sein Opfer soll nicht vergebens sein.“
Das grellgrünhaarige Mädchen wollte protestieren, doch Kurenais umflorter und dennoch strikter Blick ließ den Protest auf ihren bebenden Lippen ersterben.
Erleichtert sah Crimson in den Augenwinkeln, wie seine Clanmitglieder aus dem Zimmer flohen und an Saphirs zähnefletschender Visage stellte er fest, dass auch dem Dämonenführer das Entkommen der Rebellen nicht entgangen war. Saphirs Zorn war deutlich in dessen fahrigen und brutalen Bewegungen spürbar und Crimson hatte Mühe dessen Arme festzuhalten. Es war schlicht unmöglich, dass ein Dämon nach solch einer Blessur noch mit so einem Aufgebot an energetischer Power und physischer Kraft aufwarten konnte.
Obgleich der gefürchtete Dämonenlord sichtlich geschwächt war, hellrotes Blut seine gebleckten Zähne färbte, riss sich der enragierte Lord schließlich mit einem Ruck los und mit einer metaphysischen Geschwindigkeit schwang Saphir den Heiligen Dolch, sodass Crimson nicht mehr reagieren konnte, nur mehr paralysiert in diese kalten, diabolischen, blauen Augen starrte. Doch seine Sicht verschwamm und plötzlich verlor Crimsons Sichtfeld an Dreidimensionalität. Panisch stellte der dunkelhäutige Dämon fest, dass er plötzlich nicht mehr unterscheiden konnte, ob die tödliche Klinge auf Ebene der hässlich verzerrten Visage, davor oder dahinter war.
Ungeachtet der lähmenden Schmerzen in seiner gesamten linken Gesichtshälfte, vereitelte Crimson den Todesstoß, indem er seine ausfahrenden Krallen in den Leib seines Widersachers stieß mit der Intention, die Wunde, die Saphir durch den geheiligten Dolch zugefügt worden war, zu erweitern und zu vertiefen, und sein Plan ging auf, denn der verhasste Diktator krümmte sich und brüllte vor Pein. Der muskulöse Jungdämon versuchte Abstand zu gewinnen, realisierte allmählich, dass sein linkes Auge von der Heiligen Klinge durchschnitten worden war und er verlor den Mut. Wie solle er mit diesem Handicap jemals einen Sieg über diesen übermächtigen Gegner erringen? Zumal gewiss bereits dessen Gefolgsleute auf dem Weg zu dem kaiserlichen Gemach waren. Ich hoffe nur, wenigstens meine Freunde sind mit dem Leben davongekommen!
Heimat ist kein Ort,
sondern ein Gefühl
Smaragd stöhnte im Schlaf, doch ihr unbewusster Versuch sich auf die Seite zu wälzen, wurde von der Liane, die sie um Bauch und Stamm befestigt hatte, um nicht vom Baum zu fallen, behindert und diese Bewegungseinschränkung ließ die Dämonin aus ihrem Traum hochschrecken, denn sie assoziierte den abdominellen2 Druck mit einer physischen Attacke. Begleitet von einem durch Mark und Bein fahrenden, aber nur eingebildeten Schrei, riss die junge Frau die Augen auf, sah sich den Atem anhaltend nach Angreifern um, bis ihr schließlich gewahr wurde, wo sie sich befand.
Smaragd blickte sich im dichten Blätterwerk des Koa’koabaumes3, in den sie sich geflüchtet hatte, um und konnte kein verdächtiges Geräusch vernehmen. Nur die riesigen Blätter, die freizügig und freundlich ihre kraftvolle Energie spendeten, summten ein beruhigendes Lied, flüsterten in ihrem melodischen Rauschen, die Schutzsuchende sei hier in Sicherheit, hoch oben in den Wipfeln der majestätischen Koa’koabäume.
Diese beeindruckenden Wächter des Dämonenreiches waren oft tausende Jahre alt und ihre Stämme waren so breit, dass Frischlinge4 sich daraus ein Spiel machten, wie viele Personen es benötigte, einen geschlossenen Kreis um einzelne Bäume zu bilden. Und vermutlich rührte dies Gefühl der Sicherheit auch daher, dass die schutzspendenden Wurzeln solch eines Baumriesens ihr und ihrem Jugendfreund Bernstein eine Heimat geboten hatten.
Bernstein. Es war schmerzvoll an ihn zu denken. Diese sanftorangenen Augen, das kindliche und runde Gesicht mit der Stubsnase und diese orangegelben Locken – das Bild des immerzu fröhlichen, aber auch amüsant schreckhaften Kindes war für immer in ihre Seele eingebrannt. Und obwohl sie Bernstein, nach einer langen Trennung, als Teenager wiedergetroffen hatte, war es doch sein altes Ich, das sich in ihrer Erinnerung manifestiert hatte. Ihr Freund hatte sich so frappant gewandelt gehabt, denn aus der kleinen Schlotterschwinge war ein mutiger, selbstloser und heldenhafter Märtyrer geworden. Ich habe dich so schnell wieder verloren, ich wollte dir doch noch so viel erzählen. Du warst mein bester Freund. Ich werde dich immer lieben.
Das trauernde Mädchen legte ihre Hand auf das gefurchte Holz, spürte die Welle von Energie, die sie flutete, und dankte dem sanften Riesen für seinen Beistand, auch wenn es ungewöhnlich war mit einem Baum zu kommunizieren, so erschien es der Dämonin gerade in diesem Moment, in dem sie die raue Rinde auf ihrer Haut spürte, so natürlich wie das Fliegen. Vielleicht haben wir mit den Jahrhunderten einfach vergessen, auf sie zu hören. Der Baum war so voller Leben, voller Kraft. Und er hatte gewiss vieles erlebt und mitangesehen. Mitansehen müssen.
Lautlos seufzend lehnte sich die junge Frau wieder gegen den Stamm. Das leuchtende Smaragdgrün ihrer voluminösen Kurzhaarfrisur machte den satten Blättern rund um sie Konkurrenz. Ihr schwarzer, hautenger Ganzkörperanzug verschmolz wie ein Schatten mit dem Stamm des Baumes und ihre kurzärmelige, bauchfreie Jeansjacke darüber ähnelte auf einem flüchtigen Blick hin einem Loch im Blätterdach und einem Blick in den Himmel. Die junge Frau mit den breiten Wangenknochen und dem schmal zulaufenden Kinn dachte sehnsüchtig an die endlosen Weiten ihrer Dimension und wie gerne sie ihre Schwingen spannen und einfach davonfliegen würde.
Fliegen! Das war es, was einen Dämon sich lebendig fühlen ließ! Wie sehr vermisste sie dieses Gefühl der Freiheit. Wie sehr verzehrte sie sich danach, die endlos scheinenden Weiten ihrer Dimension zu erkunden, die dunklen Wälder, die sich mit ihrem beruhigenden Turmalingrün über weite Flächen der Dimension erstreckten und ihren herben, frischen Geruch verströmten! Die riesigen Koa’koabäume ragten majestätisch daraus hervor mit ihrer beinahe königlichen Erhabenheit und übten eine fast magische Anziehungskraft aus. Sanft geschwungene mintgrüne Wiesen bedeckten die Ebenen, Täler und Anhöhen und wirkten wie ein riesiges Meer, während der Wind verspielte Muster und Wellen über den grünen Teppich laufen ließ und ein idyllisches, sich ständig veränderndes und wogendes Gemälde zauberte.
Smaragd ließ sich von der sirrenden und summenden Melodie der Blätter wieder in eine Meditation wiegen, bemüht diesmal nicht ihrer Müdigkeit zu erliegen, denn sie musste wachsam sein! Saphirs Gefolgsleute waren auf der Suche nach ihr, denn sie waren mit Gewissheit sogleich ausgesandt worden, nachdem die Flucht von Smaragd und ihren Kumpaninnen Orchid und Moccasin aus dem Kerker seines Schlosses bekannt geworden war.
Die grünhaarige Dämonin fragte sich, ob ihr einstiger Jugendfreund Teal, der ihr in der letzten Schlacht plötzlich als Feind, auf Seiten des Dämonenführers, gegenübergestanden war, und den drei Dämoninnen zur Flucht verholfen hatte, für diesen Frevel bestraft oder gar getötet worden war. So sehr ich dich hassen müsste, Teal, ich kann es nicht. Ich verstehe dich und deine Beweggründe nicht. Warum hast du dich diesem narzisstischen Mörder angeschlossen, warum rechtfertigst du seine Schandtaten mit einem … einem höheren Wohl. Wie konnte er dich so manipulieren? Und wie war es möglich, solch ein kalter Hass in deinen reinblauen Augen? Was ist dir widerfahren?
Smaragd wickelte eine herabhängende Liane um ihren Finger, während sie in Erinnerungen schwelgte und sie fragte sich, ob auch Orchid und Moccasin sich in den Baumkronen versteckt hielten. Oder hatten sie bereits einen Weg zurück zu dem Rebellenlager gefunden, oder befanden sie sich schon längst in der Gefangenschaft von Saphirs Schergen? Smaragd wickelte die grünen Fasern auch um ihre Faust und legte ihre andere Hand um den pflanzlichen, energiespendenden Handschuh. Moccasin!Es bleibt mir nichts, als zu flehen und zu hoffen, dass sie dich nicht erwischt haben! Sei am Leben und in Freiheit! Wenn das Attentat auf Saphir gelungen ist, dann müssen wir uns nicht auf ewig verstecken, denn sein Reich wird zerfallen und seine Anhänger werden keinen Grund mehr haben, nach uns zu fahnden.
Ob die Dämonen, die als Geister5 in Saphirs Festung stationiert worden waren, erfolgreich gewesen waren? Hatten sie den Heiligen Dolch gefunden und die Herrschaft des kaltblütigen Tyrannen endgültig beendet oder waren sie zuvor entdeckt worden?
War Lime noch am Leben? Diese kleine, süße Dämonin mit ihrem markanten Gesicht mit den geröteten Bäckchen und dem spitzen Kinn. Smaragd schwelgte in Erinnerungen. Lime war Bernsteins erste Liebe gewesen. Wie sehr hätte Smy sich für ihren Jugendfreund gefreut, doch die sich heimlich Begehrenden hatten ihre Zuneigung zueinander viel zu spät zugegeben und bevor die junge Liebe überhaupt eine Chance bekommen hatte, war Bernstein schon dahingeschieden. Smaragd wusste, wie sich der Verlust des Seelenpartners anfühlte und um wie viel peinigender es war, die Romanze nie gelebt zu haben, seine Gefühle niemals oder viel zu spät offenbart zu haben.
Smaragd verspürte einen Stich im Herzen. Ach Neon! Ich hatte nie die Chance, dir zu sagen, wie sehr ich dich liebe!
Auch Smaragd hatte ihre heimliche Liebe im Krieg verloren und nicht nur ihn, sondern auch den Spross, der aus der Energie ihres Vertrauens entstanden war, denn als ihr Seelenverbündeter gefallen war, war auch ihr Ei verschwunden. Ihr Kind.
Die Dämonin schlug die Hände vors Gesicht. Ich habe damals ja noch nicht mal selbst gewusst, dass es Liebe ist! Warum habe ich nicht auf meine Gefühle gehört? Und warum durfte unser Spross nicht weiterleben? Meine Liebe und meine Energie hätten sicherlich gereicht!
Smaragd hasste diese stillen Momente, an denen sie solche zermürbenden Erinnerungen drangsalieren konnten. Diese Leere zehrte noch immer an ihr wie ein schwarzes Loch, das sie in einen unentrinnbaren Abgrund zerren wollte. Warum nur war es so schwer loszulassen? Die Revolte gegen den Dämonenführer, die Planung der strategischen Züge, die Ausbildung der Krieger, die Schlachten und die Versorgung der Verwundeten hatten sie bisher abgelenkt von ihrer Nemesis, doch sie wusste, sollte dieser Krieg jemals zu Ende sein, sie würde all ihren Kampfesmut, den sie am Schlachtfeld bewies, verlieren, denn den Sieg über ihren ganz persönlichen dunklen König, ihre Traumatisierung, konnte sie nicht erringen.
Dieser Krieg hatte Wunden hinterlassen, die niemals heilen würden und Seelen zerrissen, die auf ewig umherirren würden. Die Leere ließ sich niemals wieder füllen.
WAS WAR DAS?Ist da jemand?
Smaragd duckte sich, machte sich so klein wie möglich, um ja vom Blätterdach vollkommen verdeckt zu werden, denn ihr war, als hätte sie Geräusche vernommen. Oder hatte sie sich diese nur eingebildet? Spielte ihr verängstigter Verstand ihr einen Streich? Die zusammengekauerte Dämonin atmete geräuschlos und langsam durch die Nase ein, jedes Rascheln und sei es nur durch einen Windstoß verursacht worden, assoziierte sie mit heranschleichenden Feinden.
Mit zitternden Händen tastete Smaragd nach der Liane um ihren Bauch und löste den Knoten, um, wenn nötig, sofort die Flucht antreten zu können.
Schon wieder ein Rascheln! Erschrocken sah das Mädchen in die Richtung, aus der es gekommen war. Sie starrte angestrengt durch das dichte Blattwerk. Was ihr als Schutz gediente, schränkte nun auch ihre Sicht ein und nur ihr Gehör und ihre geschärften Sinne konnten sie auf eventuell nahende Feinde aufmerksam machen.
Doch es blieb still. So still, sodass die verkrampfte Dämonin nur ihren eigenen Herzschlag vernahm und mit den Atemzügen, die verstrichen, wiegte sich Smaragd zusehends in Sicherheit. Es war nur der Wind gewesen, dieser freche Pfeifer, der sie so oft in den letzten Tagen geneckt und erschreckt hatte. Plötzlich erklang ein lautes Geraschel. Kampfbereitschaft fuhr der Dämonin in alle Glieder und sie sah frappiert nach unten, doch konnte nur die Liane entdecken, die von ihrem Schoß geglitten war und nun im Herabfallen gegen die Blätter schnalzte.
Die erleichtert aufatmende Dämonin entspannte wieder ihre Muskulatur, grinste das Lächeln der erleichterten Verzweiflung. Dann geschah es viel zu schnell! Ein diabolisch verzerrtes Gesicht mit gefletschten Reißzähnen tauchte durch das grünleuchtende Blattwerk, schwarze Krallen hieben nach dem Mädchen, das gerade mit einem Sprung ausgewichen war und von überall her vernahm Smaragd mit schmerzvoller Panik in den Knochen das harsche Rascheln und Zerreißen von Blättern und das Knacken von Ästen. Sie war umzingelt!
Die flüchtende Dämonin war in Windeseile den Stamm noch höher hinaufgeklettert, ihr Verfolger ihr dicht auf den Fersen, und dessen lautstarkes, irres Geknurre machte es ihr schwer, die genaue Position der anderen Jäger auszumachen. Sie wusste nicht einmal, wie viele es waren! Warum gehen sie überhaupt sofort auf mich los!? Das können nur Lakaien des Dämonenführers sein!
Ihre wunden Finger griffen nach einem dünnen Ästchen, das jedoch zierlich, wie es war, der Belastung nicht standhielt und abknickte, sodass Smaragd fast abgerutscht wäre und sich gerade noch mit ausfahrenden Krallen an dem dickeren Ast festhielt. Sie war beinahe am oberen Wipfel angelangt, die Sonne lachte bereits Hoffnung spendend durch den Blätterwall, doch waren die Äste hier auch zu dünn, um ihr Gewicht zu tragen und gleichzeitig zu dicht, als dass sie ihre Schwingen spannen hätte können, jedoch es gab einen Vorteil: ihre Opponenten mussten sich mit denselben Erschwernissen abfretten. Plötzlich erfolgte ein Hieb aus dem Nichts!
Das zarte Holz gab unter ihren Füßen nach. Das überraschte Mädchen brach durch das Astwerk und sie spürte den Schmerz in ihren Händen, die sie weit und hilfesuchend von sich gestreckt hatte, als sie gegen die Äste schlug. Au! Eine grauenhafte Pein zuckte nun von ihrem Schenkel ausgehend das ganze Bein hinauf. Blätter und Stämme rasten an ihr vorbei und obwohl sie panisch um sich griff, fand sie keinen Halt. Einen Sturz aus dieser Höhe überlebe ich nicht.
Uff! Etwas hatte ihren Bauch gerammt. Smaragd schlug mit Händen, Füßen und Rumpf immer wieder schmerzhaft auf, kam dann jedoch mit, für einen Dämon typischem Geschick, auf einem Ast zu stehen und rettete sich noch mit einem gewagten Sprung auf den nächst näheren Baum, ergriff dort eine Liane, stieß sich kräftig ab und ließ sich von dieser an ein ihr noch unbekanntes Ziel tragen.
Während des waghalsigen Sprunges fasste sie eine zweite Pflanzenrebe, schwang bis zum nächsten größeren Ast. Sie hatte ihre Verfolger ein kleines Stück abgehängt, die Risswunde an ihrem rechten Bein brannte wie Feuer, doch sie hatte keine Zeit, ihre Selbstheilungskräfte einzusetzen, und mit panischem Gekeuche kletterte sie den Stamm hoch. Dieser Baum, auf dem sie sich nun befand, war kein Koa’koabaum, nicht so hoch und nicht so dicht. Sie musste einen stabilen Ast finden, von dem sie sich abstoßen und ihre Schwingen zum Einsatz bringen konnte. Wo ist genug Platz? Wenn ich nicht bald eine geeignete Stelle finde, haben sie mich!
Die Kampfrufe und Beschimpfungen ihrer Verfolger wühlten brutal in Smaragds Magen, doch die Furcht half ihr auch zu raschen und präzisen Reaktionen. Geschwind und elegant duckte sie sich im Rennen und Springen unter den zahlreichen Zweigen und Hindernissen hindurch, fand schließlich einen weit hinausragenden Ast, stürmte an dessen Spitze, obgleich sich diese bereits nach unten bog, und katapultierte sich in die Lüfte, spannte ihre Schwingen und segelte zum nächsten Baum, der sich ihr Hilfe anbietend entgegenstreckte. Smaragd musste ihre Flügel dematerialisieren, um nicht am Geäst hängen zu bleiben, fiel ein Stück herab und ergriff gerade noch einen Zweig, der sich krümmte und sie in einem rasanten Sturz Richtung Stamm führte.
Die Dämonin sah die raue Rinde auf sich zurasen und ihr Herz schlug heftig in ihrer Brust, wie als würde es um Hilfe brüllen. Um nicht gegen den Stamm zu krachen, ließ sich Smaragd zuvor weniger elegant auf eine Gabelung plumpsen, rappelte sich sofort hoch und erklomm den Baum. Ihre Verfolger mussten andere Wege finden, um zu ihr zu gelangen, da deren Schwingenspanne weit mehr Platz beanspruchte als die einer noch nicht ausgewachsenen Dämonin. Mit zerkratztem Gesicht und geschundenen Extremitäten arbeitete sich das Mädchen immer höher hinauf, hörte trotz ihres wild schlagenden Herzens und ihres Japsens, das sie nicht unterdrücken konnte, die Rufe und Flüche der Jäger, doch da erspähte sie endlich, wonach sie gesucht hatte! Die geeignete Stelle, um sich abstoßen zu können! Ein dicker Ast ragte weit über die angrenzende Lichtung hinaus!
Mit innerem Jauchzen schwang sich Smaragd in die Lüfte und der Auftrieb, der ihre schwarzen Federn liebkoste und sie sicher in schwindelnder Höhe hielt, erschien ihr wie ein lang vermisster Freund! Mit Zuversicht peitschte Smaragd mit ihren lackschwarzen Schwingen den Himmel, stellte beruhigt fest, dass sich Saphirs Vasallen noch immer durch das Gestrüpp der Baumkronen kämpften und sie an Vorsprung gewinnen konnte. Das helle Blau des Himmels leuchtete ihr wohlwollend entgegen und die Dämonin spürte die warmen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut, wie als würden diese sie in eine schützende Umarmung betten. Beinahe wagte Smaragd zu hoffen.
Das fliehende Mädchen hatte ein gutes Stück zurückgelegt, als sie niederschmetternde Zweifel erfassten, denn sie würde die adulten Dämonen niemals an Geschwindigkeit übertreffen, sie würden sie früher oder später einholen und so blieb nur die Option, sich im Wäldchen unter ihr zu verstecken, doch dann wüssten sie ihren Aufenthaltsort und ein ausgesandter Suchtrupp würde sie auf lange Sicht aufstöbern. Was soll ich nur tun!?
Da kam Smaragd eine Idee. Ein riskanter Plan, doch zumindest würde diese List ihre Aussichtschancen auf Flucht erhöhen. Ihre Feinde nahmen an, sie flöhe immer weiter, doch würden sie eher nicht vermuten, dass sie umkehren würde, denn es bestände die Gefahr, den Verfolgern direkt in die Arme zu laufen. Soll ich es wagen? Ich habe nur eine Chance. Aber was ist, wenn sie meine Energie wittern?
Smaragd stieß im Sturzflug vom Himmel, dematerialisierte ihre Schwingen, bremste ihren Fall, indem sie sich immer wieder an Zweigen festhielt, sodass sich tiefe Risse in ihre Handflächen schürften, und letztendlich krachte sie auf dem Waldboden auf, überschlug sich. Sogleich sprang die jugendliche Dämonin auf und setzte ihre Flucht in die verkehrte Richtung fort, zurück, woher sie gekommen war, und versuchte dabei nur geringfügig Geräusche zu verursachen, was durch herumliegendes Astwerk erschwert wurde. Ein verräterisches Knacken ließ die Flüchtende zusammenzucken. Zum Engel! Ob sie das gehört haben?
Smaragd versuchte leiser aufzutreten, doch jeder Schritt und jedes Rascheln erschien ihr unvorstellbar laut und sie rechnete jederzeit damit, dass ein Dämon durch das Astwerk brach und sich auf sie stürzte.
Die grölenden Rufe kamen zusehends näher und als sie direkt über ihr waren, hielt die Dämonin inne. Ihr Herz trommelte gnadenlos gegen ihre Rippen und Smy wagte nicht zu atmen. Die Zeit verstrich quälend langsam, der Lärm der vorbeiziehenden Jäger schien nicht abebben zu wollen. Hatten sie doch die Witterung aufgenommen und suchten das Dickicht nach ihr ab? Ein Schweißtropfen bahnte sich einen Weg über Smaragds Schläfe.
Wurden die Rufe nicht zusehends leiser? Die adoleszente Dämonin war sich nicht sicher. Mit angespannten Muskeln horchte sie auf das Rauschen der flatternden Schwingen. Es entfernte sich. Sie haben mich nicht bemerkt! Ich kann es kaum glauben!
Die Rebellinsetzte ihren Spurt erst fort, als sie die Angreifer außer Hörweite wusste. Ungeachtet der verräterischen Geräusche, die sie verursachte, sprintete die Jungdämonin nun durch den Wald, hüpfte immer wieder über Äste und umgekippte Bäumchen. Bisher hatten ihre Verfolger scheinbar noch keinen blassen Schimmer von ihrer Finte. Smaragd lachte in sich hinein, doch mahnte sich gleich darauf, sich besser nicht zu früh zu freuen. Sie flehte innerlich, dass der Trubel der Verfolgungsjagd ihre Angreifer nicht daran denken ließ, innezuhalten und die Energie ihres Opfers zu orten.
Schließlich lief sie am Koa’koabaum vorüber, der ihr als Schlafplatz gedient hatte und sie überlegte, ob sie hinaufklettern und die Flucht fliegend fortsetzen sollte, doch besann sich eines Besseren. Sie rannte weiter, bis sie letztendlich am Rand des Horstes angelangt war, wo das Gras anfangs noch kürzer, doch dann immer höher wurde, teils sogar Gräser wuchsen, die sie komplett verdeckten, wenn sie sich gebückt vorwärts bewegte. Smaragd machte eine scharfe Linkskurve und war bemüht, so wenig Grashalme wie möglich niederzutrampeln, damit Saphirs Schergen nicht ihrer Fährte folgen konnten, falls sie doch auf die Idee kämen umzukehren, und als ihr Weg einen Fluss kreuzte, watete sie eine Zeit lang flussaufwärts. Nach einiger Zeit blieb sie stehen, völlig aus der Puste und hielt angespannt Ausschau nach eventuellen Spähern. Der Himmel war trügerisch ruhig und nur das Sausen des Windes drang an ihr Gehör.
Sie stoppte noch drei Mal, um zu lauschen, ehe sie schließlich über eine Wiese zu einer Gesteinsformation eilte, wo sie sich unter einem Vorsprung verschanzte und erstmal eine Regenerationspause einlegen wollte. Die Panik tief in den Knochen kauerte sich Smaragd zusammen und umschlang ihre Beine. Ihre Glieder brannten unbarmherzig und ihre Angst wühlte so heftig in ihrer Brust, dass ihr schwindelig wurde. Das Einzige, das nicht von einem Tornado der Unrast erfasst schien, war ihr Gehör. Während ihr restlicher Körper wie ein Lauffeuer loderte und sie das Gefühl hatte, die Kontrolle über ihren zitternden Leib zu verlieren, war ihr Hörsinn geschärft, mit vollster Konzentration darauf ausgerichtet, jeden nahenden Feind auszumachen. Ist das ein Knacken? Faucht mir im nächsten Moment ein Angreifer ins Gesicht?
Nachdem sich die erschöpfte Dämonin einigermaßen erholt hatte, lugte sie unter dem Felsvorsprung hervor, wartete und horchte minutenlang mit einem mulmigen Wühlen im Magen. Jedoch, die Jäger schienen ihre Spur verloren zu haben, waren weit und breit nicht zu sehen. Triumphierend und mit einem breiten Grinsen streckte die Dämonin alle Viere von sich, inhalierte6 tief die frische Luft. Ausgelaugt von der nervenzehrenden Flucht schloss Smaragd die Augen, fiel bald in einen leichten Schlummer, gerade noch aufmerksam genug, um auf verdächtige Geräusche reagieren zu können.
Die erholsame Meditation wurde bald von den beunruhigenden Gedanken und Sorgen um ihre Freunde abgelöst und genau wie in den letzten Tagen, hielt es Smy nicht lange aus, an einem Ort zu verweilen, egal wie viel Schutz er ihr bot, denn sie sehnte nichts mehr, als das Rebellenlager wiederzufinden, das hoffentlich von Saphirs Gefolgsleuten unentdeckt geblieben war. Leider hatte Smaragd auf ihrer Flucht bisher noch keinen Anhaltspunkt gefunden, der ihr den Weg zu dem geheimen Standort des Lagers gewiesen hätte und allmählich hatte sie Sorge, sich hoffnungslos verirrt zu haben.
Smy erklomm die Felsformation, blickte sich um und tarierte die Vor- und Nachteile aus, wenn sie nun ihre Schwingen zum Einsatz brachte. Sie entschied, dass der Bonus des rascheren Vorankommens die erhebliche Gefahr gesehen zu werden, nicht übertrumpfte und so schlich sie, wie so oft in letzter Zeit, in gebückter Haltung durch die florierenden Wiesenlandschaften der Dämonendimension.
Sanft geschwungene Anhöhen wechselten sich mit Tälern ab. So weit das Auge reichte, erstreckte sich der grün leuchtende Teppich der wogenden Gräser. Dichte Wälder in der Ferne erweckten den Eindruck, als wären sie eine flauschige, grüne Decke. Sonne und Wolken zauberten Lichtspiele in die atemberaubend schöne Landschaft. Von Zeit zu Zeit türmten sich kobaltblaue, regenschwere Gebilde am Himmel und verdunkelten diesen in einem respekteinflößenden Naturschauspiel. Nach unten verwischte Wolken deuteten auf Regen in der Ferne hin und wenn die Sonne die dunkelblauen Himmelsgebilde beleuchtete, wurden eindrucksvolle Gemälde von tiefen Kontrasten zwischen Hell und Dunkel geschaffen. Die junge Frau wanderte so lange und so weit, bis die Müdigkeit sie übermannte und sie sich zum Regenerationsschlaf ein sicheres Plätzchen suchte.
So vergingen die Tage und Nächte. Bei Nacht spendeten die beiden Dimensionsmonde der einsamen Dämonin Trost und leisteten ihr Gesellschaft. Und die Monde kamen und gingen, der Dimensionshimmel wechselte im prächtigen Farbenspiel seine imposante Erscheinung.
Als der Abendhimmel in verwischten Violett- und Blautönen mit dem golden leuchtenden Streifen am Horizont erstrahlte, musste Smaragd wieder an Teal denken, der den Zauber dieser Mystik immer genossen und intensiv betrachtet hatte. Wie konnte ihr ehemaliger Freund, der Naturphänomene mit solch einer Passion erlebte, auch wenn er dies niemals zugegeben hätte, wie konnte solch ein Dämon auf Saphirs Seite wechseln?
Wie so oft kreisten Smaragds Gedanken um zahlreiche ihrer Gefährten. Vermutlich hatte die junge Frau bereits hunderte Gebete über das Wohlaufsein ihrer Kumpane gemurmelt. Moccasin. Orchid. Lime. Crimson. Werde ich euch jemals wiedersehen?
***
Einige Wochen erfolgloser Suche nach den Gefährten waren verstrichen. Die Jungdämonin mit dem fülligen, smaragdgrünen Haar hielt inne, lauschte und prüfte den Himmel, bevor sie sich schließlich von dem dicken Ast des Koa’koabaumes schwang, ihre Schwingen entfaltete und sich mit majestätischem Flügelschlag hoch hinaus in das trügerische Blau hob.
Obgleich es gefährlich war, sich derart zu exponieren, war es zur Orientierung nötig und Smaragd glaubte, einige Orte wiedererkannt zu haben. So weit konnte das Lager nicht entfernt sein. Wenn sie doch nur endlich einen Hotspot erspähen würde. Sie ließ ihren Blick über die Wälder und Hügel schweifen. An den Felshängen des nahen Gebirges malten Sonne und Wolken schöne Lichtspiele. Da erblickte sie etwas, das ihr Herz zum Springen brachte, als würde dieses tanzen.
In einiger Entfernung befand sich eine ganz eigen geformte Baumgruppe nahe an einem Gebirgskamm, die durch den Efeuwuchs wie lustige Figuren aussah. Smy erinnerte sich daran, wie sie und Moccasin die irrwitzigsten Ideen geboren hatten, was dieses Ensemble darstellen sollte: Von Dämonen mit ihren Frischlingen, die sich an der Hand nahmen, tanzende, sich umarmende oder bis hin zu zweiköpfigen Personen.
Ja! Endlich, nach wochenlanger Suche habe ich es geschafft! Smaragds Wangen glühten vor Aufregung, als sie hinunterschwebte und nahe am Boden flog, um nicht so leicht entdeckt zu werden, bis sie aufgrund der immer enger stehenden Bäume ihren Weg schließlich zu Fuß fortsetzen musste. Ihr Herz und ihr Hals brannten. In welchem Zustand würde sie den Stützpunkt vorfinden? Und wenn ihre Kumpane weitergezogen waren? Denn immerhin war aus Sicherheitsgründen ein oftmaliges Wechseln des Aufenthaltsortes nötig. Haben sie Hinweise hinterlassen, wo sich das neue Lager befand? Und wenn sie das Ressort verlassen haben? Kann ich sie je wiederfinden?
Stets vorsichtig und bedacht hastete die schlanke Dämonin durch den Hain, das Gehör und alle Sinne geschärft und schließlich war sie bei den efeuüberwucherten Bäumen angelangt. Einer der abstehenden Äste sah aus wie eine grüßende Hand. Gebückt schlich Smaragd näher, sah sich lange um und horchte auf verdächtige Geräusche, bevor sie den herabhängenden, dichten grünen Teppich gezackter Blätter zwischen zwei Stämmen zur Seite wühlte und darin verschwand. Nachdem sich Smaragd durch die hartnäckigen Ranken hindurchgekämpft und auch die anhänglichsten abgeschüttelt hatte, stand sie mit pochendem Herzen vor einem Höhleneingang, ihre Beine waren plötzlich so schwer, dass sie keinen Schritt wagte.
Wochenlang hatte sie nach ihrer Heimat und ihren Freunden gesucht und nun war sie endlich angekommen. Jedoch, etwas war nicht in Ordnung. Sie hatte nirgends Wachposten gesehen und hier auf dieser Lichtung war es gespenstig ruhig. Sie wagte es nicht, den Tunnel zu betreten, fürchtete die grausame Wahrheit, die sich eventuell dahinter verbarg.
Sie waren weitergezogen. Es gab keinen Zweifel.
Das Lager war verlassen. Smaragd würde das neue Versteck, denn diese waren stets gut verborgen, womöglich nie finden. Eine zehrende Wehmut erfasste die Dämonin und plötzlich schienen Arme und Beine schwer wie Steine zu werden. Eine unsichtbare Last drückte auf ihre Schultern und der nächste Schritt kostete die junge Frau eine immense Überwindung. Die erstarrte Dämonin inhalierte einmal kräftig, überwand sich dann, die Verlassenschaft auf Hinweise zu durchsuchen, doch nachdem sie den Tunnel durchquert und das von Felswänden, steilen Hängen und Bäumen umsäumte Tal erreicht hatte, stockte ihr der Atem.
Ihre weit aufgerissenen Augen hafteten auf dem eingetrockneten Blut, das am Gestein klebte. Hier hatte ein Kampf stattgefunden. Smaragd rannte ein Stück voran, wirbelte im Kreis und die katastrophalen Bilder stürzten auf sie hernieder wie ein in sich zusammenfallender Berg, denn überall erblickte sie stumme Zeugen eines brutalen Gemetzels und auch wenn die Leichname fehlten, da Dämonenkörper sich auflösten und zu Geistern wurden, zeugte die beängstigende Energie von einem grauenhaften Ereignis.
Ihre zittrigen Beine trugen sie von ganz alleine vom einen Ende des ehemaligen Stützpunktes zum anderen, immer schneller wurden die Schritte, bis sie rannte, von einer behelfsmäßig errichteten Unterkunft zur nächsten und schließlich stürmte sie zum Schießplatz, wo sie selbst Frischlingen das Bogenschießen gelehrt hatte, um gleich darauf zu den Werkstätten zu rennen. Das unheilvolle Gefühl legte sich wie ein Gewicht schwer und atemabschnürend auf ihre Schultern, nahm ihr die Sicht auf die Realität. Die Trauer um ihren Clan übermannte sie, sodass ihre Knie beinahe nachgaben.
Niedergeschlagen und geschüttelt vor Angst schleppte sich Smaragd zu den geheimen und gut getarnten Waffenlagern unweit der Fabrikationsstätten, putzte das Reißig und Laub weg und zog die schwere, schlampig aus Stämmen zusammengebundene Falltür mühselig auf. Das war endlich ihre Chance, sich zumindest zu bewaffnen, doch zu ihrem Erstaunen war die Senkgrube leer. Ein modriger Erdgeruch stieg zu ihr aus dem Loch empor und mit einem Sprung landete die Dämonin elegant auf der festgetretenen Erde. Mit aufgerissenen Augen sah sich Smaragd in dem leeren Bunker um, hustete aufgrund der stickigen Luft.
Das Arsenal war geleert worden. Und wenn dies Saphirs Anhänger gewesen wären, was wäre der Grund, den Eingang nach der Plünderung wieder ordnungsgemäß, sogar penibel abzudecken? Es lagen einzelne Waffen fein säuberlich aufgereiht auf Planen und es hatte keinesfalls den Anschein, als hätte auch hier die Meute gewütet. Ein Lächeln schlich sich auf Smaragds blasse Lippen. Das Waffenlager war zuvor geräumt worden! Ein paar Utensilien waren, wie in den Statuten festgehalten, für Nachzügler und Freigekommene hinterlassen worden, somit war es nicht ausgeschlossen, dass ihre Clankameraden noch am Leben waren! Smaragd jauchzte und sprang vor Glück, wirbelte vor Freude umher, bevor sie sich dem Ernst der Lage wieder beugte, ein paar der Kampfutensilien nahm, an dem vorsorglich befestigten Seil aus der Senke kletterte und das Geheimlager wieder, wie zuvor, abdeckte.
Als das Mädchen wieder im Licht des Tages stand, genoss sie den frischen Sauerstoff und die Gewissheit, dass zumindest eine Chance bestand, dass ein Teil der Rebellen vor dem Angriff geflohen war. Genüsslich sog sie die Luft ein, die kühl und energiespendend ihre Lungen flutete. Auf einmal fühlte sich Smaragd leichter und beschwingter als die Monate davor. Die junge Frau sah sich um, beschloss ein paar Tage im Lager zu verweilen, falls dieses von anderen Kumpanen aufgesucht würde und mit neuem Mut marschierte sie zu den Steilhängen, um dort emporzuklettern, die Aussichtsbäume zu erklimmen und auf den dort angebrachten Holzplattformen, geschützt von Gestrüpp und Laub, zu ruhen.
Drei Tage waren vergangen und Smaragd verspürte das drängende Bedürfnis, ihre Suche fortzusetzen, denn hier fühlte sie sich nicht sicher, zumal Saphirs Vasallen gewiss beizeiten Kontrolldurchgänge in den eroberten Rebellenstützpunkten unternehmen würden. Mit wehmütigen Erinnerungen strich Smaragds Hand an einem auf dem Boden liegenden Holzmast entlang, der ihr und anderen Befehlstragenden als Sitzgelegenheit während Kommissionen gedient hatte. Hier war sie mit Moccasin gesessen, einer adretten Dämonin mit beigem, welligem Haar und bräunlicher Haut. Und auch Crimson, der tatendurstige Muskelprotz, war hier gehockt beziehungsweise mehr gestanden und hatte mit seiner sonoren Stimme unentwegt Offensiven gegen den grausamen Dämonenführer gefordert. Crimson war ein wichtiges Mitglied der Sedition7, eine geachtete Führungskraft, ein unersetzbarer Krieger. Wenn ihm bloß nichts zugestoßen ist! Lass ihn unversehrt sein. Moccasin, Lime, Orchid und alle anderen, bitte seid am Leben und in Sicherheit. Ich werde euch finden. Früher oder später werde ich euch finden!
Und mit keimender Hoffnung im Herzen verließ die junge Dämonin ihr einstiges Zuhause.
*****
Wunderschön. Einfach nur unbeschreiblich schön war die Spiegelung der Sterne auf der dunklen Wasseroberfläche und wenn Smaragd einen Stein warf, wurde dieses Meer aus reflektierten und funkelnden Lichtern in Bewegung gesetzt, es sah aus, als würden die Sterne tanzen. Das einsame Mädchen hatte den Reflexionen des Nachthimmels schon so viele Male beim Tanzen zugesehen und noch immer war sie von dieser Anmut verzaubert.
Wie viele Monate nun war Smaragd alleine unterwegs gewesen? Die beiden Dimensionsmonde als einzige Begleiter und Trostspender bei Nacht. Bei Tag jedoch fühlte sich das umherstreifende Mädchen verlassen und die potentielle Gefahr, Anhängern von Saphir zu begegnen, hatte sie äußerst misstrauisch gegenüber anderen Dämonen werden lassen.
In den Monaten ihrer Suche war sie einmal Jugendlichen begegnet, die sie irrtümlich für Verbündete gehalten hatte und ihnen nur um Haaresbreite entkommen war, als diese ihre Auslieferung beschlossen hatten, nachdem sie sich als Rebell geoutet hatte. Smaragd hatte gedacht, die meisten Frischlinge und Jungdämonen hätten sich gegen den Dämonenführer gestellt, doch war dem scheinbar nicht so. Jeder könnte ihr Feind sein.
Diese trostlose Zeit hatte an dem Wohlgemut der Dämonin gezehrt und sie erkannte sich allmählich nicht mehr wieder, denn wenn sie an ihre Kindheit und Jugendzeit zurückdachte, hatte sie ein fröhliches, mutiges Mädchen in Erinnerung, das rasch das Positive an einer misslichen Situation gesehen und sich nicht so leicht unterkriegen hatte lassen. Und nun war sie hier. Mutlos. Ein Gefühl der Leere gähnte in ihr. An ihrer Seele klafften noch immer die Wunden des Heiligen Krieges, die Narben abscheulicher Tode von geliebten Kameraden. In mir gibt es keine Schönheit. In mir sitzt nur Gram und Angst. Was ist aus dem tapferen und kecken Mädchen geworden? Bin ich noch liebenswert?
Smaragd blickte in ihre Augen, die ihr müde von der Wasseroberfläche her entgegensahen. Ihre schlitzförmigen Pupillen verliehen ihr nach wie vor ein wildes Aussehen, ihre füllige Kurzhaarfrisur betonte die grüne Iris. Ihre Kleidung hatte sich seit Kindheitstagen nicht geändert, sie trug noch immer den schwarzen, hautengen Ganzkörperanzug und darüber ein smaragdgrünes Tuch um die Hüften, sowie eine halblange Jeansjacke, die sie stets offenließ. Das äußere Erscheinungsbild, sowie das Outfit waren die energetische Manifestation von Gesinnung und Lebenseinstellung eines Dämons. Wenn sich mein Äußeres nicht gewandelt hat, bedeutet das, dass ich noch immer die Alte bin?
Ein Funkeln im Wasser lenkte ihre Aufmerksamkeit zu der rechten, grünlichen Braue ihres Spiegelbildes und die Doppelgängerin im See führte ihre Hand zu dem Ringpiercing, das dort befestigt war. Dieses Accessoire hatte Smaragd erst nach dem Tod ihres Seelenpartners erhalten, es war einfach so erschienen, ohne dass sie es bemerkt hatte und blieb ihr nun als Erinnerung an Neon, dem einzigen Jungdämon, dem sie ihr Vertrauen geschenkt, ihm sogar so sehr vertraut hatte, dass ein Energiespross entstanden war. Neon hatte genauso einen Schmuck besessen und es hatte perfekt zu seinen grellgelben Haaren und seinen fesselnd gelben Augen gepasst. Ihre Erinnerung malte das Gesicht ihres Geliebten, den breiten Kiefer und die vollen Lippen, auf denen immerzu dieses schmunzelnde Lächeln gelegen hatte. Warum tut es so weh? Nach allem, was geschehen war, warum schmerzte sie der Verlust noch immer so sehr?
1
Hochjauchzte Zeit der Einsamkeit
Will mich dir nicht enthalten
Will jubeln will feiern
Die Stille Starrheit
Zusammengekrampft in dir entfalten
Ich genieße die lästigen Leiern
Die schlammige Pfütze der Zeit
Oh, hochgelobte Einsamkeit!
Hochjauchzte Zeit der Traurigkeit
Gib mir deinen nährenden Segen
Lass hören lass spüren
Die quetschende Qual
Mit Hohn mich vom Himmel zu fegen
Ich erschließ mich den ständigen Stößen
Der Sumpf scheint noch so weit
Oh, hochgelobte Traurigkeit.
Gemiedener Moment der Hoffnung
Lass mich von dir nicht verführen
Will schreien will weinen
Vor gütigem Glück
Lass mich nicht willig von dir berühren
Wende mich dem lieblichen Lüftchen
Die plötzliche Wendung der Zeit,
Oh, lang ersehnte Heiterkeit!
***
Monate vergingen. Smaragd wanderte umher, immer auf der Hut, stets bedacht, von niemandem gesehen zu werden und nicht nur einmal hätte sie eine Streife von Saphirs Streitmacht beinahe entdeckt. Wie kann es sein, dass der Dämonenführer noch immer solch eine Macht besitzt? War das Komplott etwa misslungen und Saphir noch immer am Leben? Was war mit ihren Freunden geschehen, mit Lime, Crimson, Amarillo und Kurenai, die sich in die Festung geschlichen hatten, um der Schreckensherrschaft ein Ende zu setzen?
Oder hatte der Sohn des Dämonenoberhaupts nun die Führung übernommen und dieselben Ambitionen wie sein sadistischer Vater? War Teal nun der Adjutant des neuen Diktators? Wie konnte Teal es nur billigen, dass andere Dämonen für ihre andersartigen politischen Ansichten unbarmherzig gejagt und geschlachtet wurden? Das ist nicht mein Freund, den ich gekannt und geschätzt habe. Das bist nicht du, Teal. Aber, was soll das alles!? Diese Grübelei bringt mich nicht weiter, wenn ich nicht bald Gesellschaft finde, werde ich noch verrückt, Smy, reiß dich zusammen!
Ein zischendes Geräusch schreckte die in Gedanken versunkene Dämonin auf, sofort in Deckung gehend, blickte sie sich um und hielt ihre Waffen griffbereit. Es geschah in einem Lidschlag8! Ein Schatten huschte aus dem Gebüsch, ein weiterer erschien über dem schutzlosen Mädchen und ein brutaler Hieb in die Seite vereitelte Smaragds Offensive auf die zuerst aufgetauchte dunkle Gestalt.
Die Jungdämonin rollte sich ab, packte den Griff ihres Schwertes fester, stemmte sich auf die Knie, und während sie die Lage überblickte, hüpfte sie simultan auf die Füße. Ein Schwerthieb hätte sie fast geköpft, wäre sie nicht blitzschnell zurückgewichen, doch eine Bewegung hinter ihr, verriet ihr, dass sie umzingelt war. Mist! Wie konnte mir das nur entgehen!!? Ich bin leichtsinnig geworden! Ihren aufgeregten und stoßweise kommenden Atem beruhigend, versuchte das Mädchen, sich ihrer Optionen bewusst zu werden, doch den einzigen Vorteil, den sie hatte, war, dass ihre Gegner sie eventuell unterschätzten.
Sie ließ die auf sie zuschleichenden, gehässig grinsenden Dämonen nähertreten. Eine blonde Frau rief: „Hey! Das ist die Kleine mit den schlitzförmigen Pupillen, die Saphirs dämlichem Schüler entkommen ist!“ Wollüstig leckte sich die hochgewachsene Dämonin über die roten Lippen und warnte: „Vorsicht. Sie ist eine trainierte Kriegerin.“
Smaragds Lider zuckten. Na toll, jetzt ist mein Überraschungsmanöver dahin. Und sie beobachtete, wie sich die adulten Opponenten auf einen harten Kampf vorbereiteten, ihre Muskeln sich anspannten. Mit einem initialen Kampfschrei führte Smaragd ihre Handflächen zusammen, beschwor ihre Energie herauf und noch bevor die auf sie zustürmenden Gegner sie erreichen konnten, feuerte sie den Energieball nach einer gelungenen Finte gegen die dumme Fresse eines stämmigen Dämons, den es rücklinks auf den Boden warf. Die so entstandene Lücke in der Reihe der Angreifer nutzte die junge Dämonin nun, um zu entkommen und einen Vorsprung zu gewinnen.
Mit weiten Sprüngen hastete Smy den konsterniert brüllenden Verfolgern davon, wagte keinen Blick zurück, sondern versuchte nur mittels Gehör die Position der Jäger zu orten. Es hörte sich an, als wären ihr diese dicht auf den Fersen. Ein Schauder schnalzte über ihren schutzlosen Rücken. Wie soll ich sie bloß abhängen?
Smaragd blickte sich um, wechselte hakenartig die Richtung, schlüpfte in ein dornenbesetztes Gestrüpp und hoffte, dass sie kleiner und wendiger als die muskulösen Dämonen und die monströse Dämonin war und außerdem, dass dieses Dornengebüsch weitläufig war und von ihren Henkern nicht einfach nur umrundet werden konnte. Jedenfalls hatte es nicht danach ausgesehen, als würde dieses Gestrüpp so bald enden und die Bestätigung kam prompt in den verärgerten Rufen ihrer Verfolger. Das Geräusch von schlagenden Flügeln verriet Smaragd, dass die Jäger sich in die Lüfte erhoben hatten und wahrscheinlich versuchten, ihre Beute vom Himmel her zu verfolgen.
Autsch. Ein gebogener, spitzer Stachel hatte sich in Smaragds Schulter verhakt, Kleidung und Haut durchstoßen. Wütend zog sich das am Boden robbende Mädchen den Widerhaken aus dem Fleisch, besah ihre Hände, die von Schunden gezeichnet waren. Wie oft kann ich ihnen noch entkommen?Wie oft werde ich noch Glück haben?
Die Flucht durch das Unterholz war ein riskanter Plan gewesen, denn die junge Frau kam nur schleppend voran und ständig blieb sie an Ästen und Zweigen hängen oder ihre Waffen verspießten sich. Ihre aufgerissene Haut brannte an allen möglichen Stellen. Wenn sie sich einfach hier verschanzte für ein paar Tage, würden sich neue Anhänger von Saphir um die begehrte Entflohene scharen, für die gewiss eine verlockende Tantieme ausgesprochen worden war.
Ich muss hier weg, so rasch wie möglich. Smaragd robbte ungeachtet der Verletzungen weiter, fluchte über diesen beschwerlichen Weg und die Ranken, die an Kleidung, Haaren und Haut rissen. Sie gelangte in einen Bereich mit weniger Gestrüpp und Staub wirbelte auf, als sie rasch weiter robbte.
Krampfhaft unterdrückte Smaragd ein Husten und sie überlegte, ob hier genug Platz vorhanden war, um einen Flugversuch zu starten, beziehungsweise, was katastrophal wäre, hier zu landen. Plötzlich griff Smaragd ins Leere, konnte ihr Gewicht nicht mehr rechtzeitig verlagern und stürzte kopfüber in die Grube, die hier offensichtlich war. Unsanft purzelte die Dämonin durch etwas, das sich wie ein steiler, unterirdischer Gang anfühlte, kam nach drei Überschlägen jedoch zu einem Stillstand, hustete den Staub aus den Lungen und versuchte in der Düsternis etwas zu erkennen. Vor Schreck hätte das Mädchen beinahe aufgeschrien, als sie zwei Augenpaare erkannte, stattdessen war nur ihr Mund aufgerissen und ihre Hand fest am Knauf ihrer Einhandwaffe, die sie in diesem beengenden Erdloch ohnehin nur eingeschränkt benutzen könnte.
Die Sichtbehinderung durch den aufgewirbelten Staub ließ die Situation noch unheimlicher erscheinen und unbewusst zog Smaragd ihre Schultern höher. Jede Muskelfaser ihres Körpers war zum Bersten gespannt und ihr Atem stockte. Der umherwirbelnde Feinstaub lichtete sich nur langsam und allmählich tauchten die Silhouetten zweier junger Männer aus dem Zwielicht. Einer davon war kleinwüchsig und blond, der andere hochgewachsen mit einem schmalen Gesicht und rundem Kiefer. Ihre Erscheinung hatte etwas Mystisches an sich. Diese Männer waren nicht nur gutaussehend, sie waren atemberaubend schön.
Und ihre Haut schien von innen her einen sanften Schein auszustrahlen, was nicht an einer sehr hellen Haut liegen konnte, denn der Kleinere hatte einen wunderschönen bronzefarbenen Teint. Beide trugen dunkelgrüne oder bräunliche Hosen und ärmellose Jacketts über ihren Hemden, was Smaragd sehr an die Kleidung der meisten Jäger erinnerte.
Gebannt und immobilisiert vor Schreck starrte die junge Frau die beiden Fremden an. Jene sahen ihr unschuldig, beinahe ängstlich entgegen. Eine zarte Energie ging von ihnen aus und auch ohne die folgenden Worte des großgewachsenen Adonis mit dem kastanienbraunen Haar, hätte die Dämonin ihre Ethnologie erahnt: „Gib uns von deinem Blut, Dämon, dann verraten wir dir, wie du deine Verfolger loswirst!“
Smaragd wich schockiert zurück. Das waren tatsächlich Engel! Und sie wussten genau, was hier vor sich ging. Hatten sie die Flucht beobachtet? Wie war es überhaupt möglich, dass Engel sich hier in der Dämonendimension versteckt hielten, wenn sie doch in Anwesenheit ihrer Erzfeinde in einen Schlummer fielen. Es sei denn, sie tranken das Blut eines Dämons, die einzige Arznei, einen Engel in Gegenwart von Dämonen im Wachzustand zu halten.
„Wir tun dir nichts!“, sprach der größere Engel eindringlich. „Gib uns einfach von deinem Blut und wir verraten dir einen Ausweg!“
Smaragds ganzer Körper erzitterte, so schauderte der, ihr Schwert ziehenden, jungen Frau. Ein Schweißtropfen rann von ihrer bebenden Oberlippe in den leicht geöffneten Mund. Zuerst Saphirs Schergen und dann auch noch Engel!
„Dämon.“ Die traumhaft schöne und grazile Erscheinung gestikulierte beschwichtigend mit beiden Händen, beschwor die Kampfbereite mit sanfter Stimme: „Wir scheuen Gewalt. Wenn mich nicht alles täuscht, bist du auf der Flucht wie wir. Wir können dir helfen. Wenn wir jedoch einschlafen, bist du genauso verloren wie wir.“
Smaragd glaubte ihnen kein Wort. Anders als Dämonen können Engel Lügen aussprechen. Welchen anderen Grund als einen militanten hätten die Weichfedern, sich hier in der Dämonendimension aufzuhalten!? Die grünen Augen mit den schlitzförmigen Pupillen blickten drohend und unerbittlich dem jungen Mann entgegen, der auf den Knien zu der verunsicherten Dämonin robbte und wiederholte: „Wir helfen dir!“
„HALT!“, ließ ihr harsches Fauchen ihn sofort innehalten. Engel hatten ihre damals beste Freundin Salmone getötet und viele andere ihr wertvoller Seelen für immer ausgelöscht. Niemals würde sie einem Feind vertrauen!
„Sie wird sich nicht bereitstellen!“ Der jüngere und kleinere, blonde Engel ergriff den Dolch an seiner Hüfte, doch der ältere hielt ihn zurück, redete weiterhin auf Smaragd ein, die jedoch mit halb gezogenem Schwert verdeutlichte, sie würde niemals ihr Blut für die Engel geben. „Holen wir sie uns, bevor sie unsere Energie aufsaugt!“, zischte das blondgelockte Mondgesicht so unpassend abstoßend zu seinem adretten Äußeren. „Sie ist uns viel zu nah! Das halten wir nicht länger aus. Unsere Mahlzeit liegt viel zu lang zurück!“
Smaragd hatte ihr Schwert vollends aus der Scheide gezogen, der Mann mit dem rotbraunen Seidenhaar schien noch zu überlegen. Sein fast unmerkliches Nicken, ließ seinen ungeduldigen Begleiter mit giftigem Kreischen nach vorne schnellen und auch der adulte Engel griff mit seinen blasshäutigen Händen nach der zurückweichenden Jungdämonin. Mit einem Verdrehen ihrer Handgelenke vollführte Smaragd einen Seitwärtshieb ihres Schwertes, vollbrachte es, eine Schnittwunde in diese beinahe alabasterfarbene Handfläche zu reißen. Ein gellender Schmerzschrei trieb einen Schauder ihren ungeschützten Rücken hoch. Hier in diesen beengenden Verhältnissen gegen zwei Opponenten anzutreten, war so unmöglich wie Dämon und Engel im selben Raum. Offensichtlich, welch Ironie, war dieses Sprichwort nicht ganz korrekt.
Keuchend wich Smaragd dem Hieb des älteren Engels aus, parierte den Dolchstoß des jüngeren, ließ sich auf das Gesäß fallen, trat mit voller Wucht gegen das rundliche Gesicht ihres Angreifers und versuchte sich, auf die Seite fallen lassend, die Stichwaffe mit der linken Hand zu schnappen. Während sie mit dem fluchenden Engel um den Dolch rangelte, stürzte sich der Braunhaarige auf die liegende Dämonin, drückte ihren schwerttragenden Arm nieder. Smaragd riss die Augen auf, wehrte sich mit aller Kraft, denn der Engel versuchte in ihren Unterarm zu beißen. Sie spürte seinen Körper gegen ihren drücken und sie roch den süßlichen Duft des Engels.
Sein Griff war unbarmherzig und sein Mund näherte sich ihrem Arm. Angewidert und wütend unternahm Smaragd immense Anstrengungen, um sich dem Blutrünstigen zu entreißen. Diese weißen, makellosen, geraden Zähne könnten doch niemals eine Blutwunde reißen! Jedoch, der Engel bewies das Gegenteil, biss so fest zu, dass Smaragd realisierte, eine Quetschwunde würde ihn auch irgendwann zum Erfolg führen. Nackte Panik schnalzte wie ein eisiger Blitz durch Smaragds Leib und aufbrüllend schlug sie die Reißzähne in die Schulter ihres Schänders.
Sie stieß den wehklagenden Engel mit Gewalt von sich und versetzte dann dem blondgelockten Kerl einen Hieb mit ihren ausfahrenden, schwarzen Krallen. Das Blut trat geschwind in die tiefen Kratzwunden im Gesicht des mondgesichtigen Schönlings, seine blauen Augen blitzten zornig und gefährlich, doch Smaragd musste sich bereits wieder dem größeren der beiden zuwenden, drängte diesen an den Handgelenken gepackt zurück. Die gefletschten Zähne und die vor Hass verengten Augen mit den schlitzförmigen Pupillen ließen die Dämonin beängstigend aussehen, was dem Engel merklich Unbehagen bereitete, denn solcherlei grauenhafte Fratzen, solch animalische Wut, brachten nur Dämonen zustande. Seine wohlklingende Stimme zitterte, als er sprach: „Du bist so töricht. Ergib dich und wir helfen uns gegenseitig. Wozu Blutvergießen, wenn es eine friedliche Lösung gibt!“
Smaragds in Falten gelegter Nasenrückenansatz glättete sich etwas und prüfend stierte sie den nun lächelnden Mann an. Das unwillkürliche Grollen in ihrer Kehle und das Gleißen ihrer grünen Augen machten ihr Misstrauen allzu deutlich. Ein einfahrender Schmerz in ihrem rechten Schulterblatt ließ Smaragd einen peinvollen Schrei ausstoßen. Sogleich riss sie herum, der Dolch noch immer verankert zwischen ihren Knochen, in Folge dessen der Verantwortliche für diesen Hinterhalt unbewaffnet war. Sie fetzte dem überraschten Mann mit krallenbewehrten Hieben das Fleisch von den Oberschenkeln, sodass dieser bewegungsunfähig auf die Knie stürzte. Die knurrende Dämonin führte ihren linken Arm über den Kopf, griff nach hinten, riss sich den Dolch aus der Knochenplatte und während sie dem zurückrobbenden Engel mit der Klinge drohte, strengte sie ihre Selbstheilungskräfte an, um die tiefe Stichverletzung zum Granulieren9 zu bringen, jedoch war ihre Beweglichkeit aufgrund einer Muskel- oder Sehnendurchtrennung eingeschränkt. Ein brennender Schmerz pochte in ihrem Rücken und die handliche Stichwaffe schien plötzlich schwer wie ein Fels.
Oh, nein! Smy konnte ihren rechten Arm nicht einsetzen, daher nahm sie den Dolch in die linke Hand, schlich in gegrätschter Stellung ein paar Schritte vorwärts dem furchtsam dreinblickenden Engel entgegen und streckte ihm die blanke Spitze unter die Nase. „Ich werde dafür sorgen, dass es nicht mein Blut ist, das vergossen wird“, hauchte sie durch zusammengebissene Zähne und der hübsche Mann hob abwehrend die Hände, die Wunde in dessen Handfläche klaffte noch immer, denn anders als Dämonen können Engel nur andere, jedoch nicht sich selbst heilen.
„Wenn wir von dir trinken, wird dein Blut nicht umsonst fließen. Wir werden dir den Weg aus diesem unterirdischen Labyrinth zeigen. Und wie du deinen Häschern entkommst.“ Der Engel schenkte dem Mädchen wieder dieses gewinnende, arglose Lächeln.
Smaragds Arm zitterte. Sollte sie sich ergeben? Würde sie ohne die Hilfe der Engel aus diesem unterirdischen Gangsystem, um das es sich hier nach Aussage ihres Gegenübers handelte, finden?
Dünne Arme schlangen sich unversehens um ihren Oberkörper und pressten ihre Ellbogen so fest an ihren Brustkorb, sodass sie keinen Gegenangriff starten konnte. Noch bevor sie sich losreißen konnte, entriss der Kastanienbraunhaarige ihr den Dolch, setzte diesen an ihre Kehle. „Dämon! Lass mich freiwillig von dir trinken oder ich schneide deine Halsschlagader auf! Quittiere deine Abwehrversuche. Du verlierst so und so.“
„NEIN!“
Mit hämischem Grinsen beugte sich der Engel näher zu der strampelnden jungen Frau, drückte die Klinge gegen die zarte Haut ihrer Halspartie.
In Smaragd drängte der Überlebensinstinkt danach, sich zu ergeben. Es war immerhin nicht tödlich, etwas von ihrem Blut zu opfern. Dennoch widerstrebte es ihr und mit jeder Pore ihrer Haut wusste sie, dass es nicht richtig war. Wie widernatürlicher war es, wenn Engel sich mit Dämonenblut wachhielten, wenn es ihnen doch von Natur aus bestimmt war einzuschlafen? Sie wusste nicht, was diese extreme Abscheu verursachte, es war wie eine angeborene Aversion. Ich werde mich nicht beugen.
Mit einem heftigen Ruck riss sich Smaragd los, wurde jedoch sofort wieder in die Mangel genommen und die Schneide der Miniaturwaffe trennte die dünne Haut über ihrem Schlüsselbein auf. Ihre lebendigen Fesseln zogen sich noch enger zusammen, auch der nun schwitzende Mann ihr gegenüber hielt sie fest am Schopf gepackt, zog ihren Kopf trotz heftiger Gegenwehr in den Nacken. Smy spürte warmen Liquor, ihr eigenes Blut, in ihren Ausschnitt tröpfeln, war der Verzweiflung nahe. Sie spürte das Beben der Klinge, die gegen ihre Schlüsselbeingrube presste und sie fühlte den inneren Kampf, den der Engel mit sich austrug. Sein keuchender Atem streifte ihr Ohr, sein Griff in ihrem Haar verfestigte sich, bis ein paar Haarsträhnen sich schmerzhaft lösten.
Engeln war es untersagt zu töten. Verstoßen sie gegen das Gesetz des Himmels werden sie fallen. Diese Exemplare hier waren jedoch schon längst verloren, wenn sie Dämonenblut getrunken hatten, doch das konnte Smaragd nicht wissen, denn der Kodex der Dämonen, der solcherlei Weisheiten lehrte, war ihr fremd, da ihr Mentor viel zu früh im Heiligen Krieg Opfer extremistischer Engel geworden war.
Smaragds Spucke traf den Mann genau ins Auge, irritiert wischte sich dieser die eklige Schliere aus dem Gesicht und das Mädchen nutzte die Unaufmerksamkeit, um sich auf die Seite zu werfen, doch ihr Vorhaben gelang nicht sofort, sie musste sich mit den Beinen gegen die Wand stemmen, bis sie den sie fest umklammert haltenden Gegner mit sich zu Fall brachte. Sich mit brutaler Heftigkeit windend, vollbrachte es Smaragd schließlich sich loszureißen, krabbelte rasch davon, bevor der junge Mann sie wieder in seine Gewalt bringen konnte.
Der hochgewachsene Engel hatte indes Smaragds Schwert aufgehoben und bedrohte sie nun mit beiden Waffen. Zunächst war Smys Blick nur auf die blutbefleckten Klingen gerichtet, doch dann schärfte sich ihr Fokus auf etwas, das sich hinter ihrem Angreifer befand.
„Dein Begleiter ist eingeschlafen“, konstatierte10 die Dämonin atemlos, der braunhaarige Engel biss die Zähne zusammen. Die junge Frau wich vor den näher kommenden Schwertspitzen zurück, überlegte, ob sie einen Rückzug raus aus dieser Höhle antreten sollte. Ob Saphirs Vasallen sich noch dort draußen befanden und nach ihr fahndeten? Ob sie wohl bereits Verstärkung hatten? Smaragd rang nach Luft, das Zittern ihres keuchenden Atems veranlasste den Engel zu einem hämischen Grinsen.
Smy rutschte am Hosenboden kehrtlinks, bis sie sich im Schein der einstrahlenden Sonne befand, hin und hergerissen und immobilisiert vor Unschlüssigkeit starrte sie in die Düsternis auf das silberne Metall, das das Licht reflektierte. Ist es mein einziger Ausweg, aus diesem Versteck zu fliehen und den Jägern direkt in die Arme zu laufen?
Plötzlich wurde die Lichtspiegelung von Dunkelheit verschlungen. Die Waffen klirrten zu Boden, ein dumpfer Aufschlag folgte. Perplex versuchte Smaragd den aufgewirbelten Staub mit fächernden Handbewegungen zu lichten. Der hagere Mann lag mit dem Gesicht voran im Schmutz, sein kastanienrotes Haar ergoss sich wie Blut rund um ihn. Doch er war unverletzt. Er war bloß in einen Schlummer gefallen, genauso wie sein Kumpan zuvor.