Bezaubert von Mallorca - Michael Johannes - E-Book

Bezaubert von Mallorca E-Book

Michael Johannes

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Beschreibung

Ganz im Gegensatz zu dem Ruf, den manch einer noch mit Mallorca verbindet, verfügt diese Insel über eine Magie, die man zunächst nur unterbewusst ahnt. Nach ein paar Tagen der Inselerkundung stellt sich jedoch Gewissheit ein, hier herrscht ein besonderer Zauber, eine Anmut, die in den Bann zieht, eine Schönheit, die beeindruckt. Mallorca hat eine Ausstrahlung, die es vermag, die Seele und Sehnsüchte vieler Besucher zu erreichen. Ob in den malerischen Gassen der Altstadt von Palma, in den Bergen des Tramuntana Gebirges, an den Stränden der 555 km langen Küstenlinie, in der Weite der Inselmitte. Kurze Geschichten mit viel Gefühl zeigen die Anmut, die kulturelle Vielfalt Mallorcas, den geschichtlichen Reichtum, die Schönheit der Landschaft und die kulinarischen Freuden lokaler Spezialitäten. Auf den Wegen durch die Strassen der idyllischen Städte und Orte, auf den Wegen durch das Tramuntana Gebirge und über die Inselmitte, an den weiten Stränden und in den Häfen der Insel warten wunderbare Erfahrungen auf den Besucher, der mit Herz, Seele und Verstand reist. Eine ganz besondere Magie

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Michael Johannes

Bezaubert von Mallorca

Ein Reisehandbuch voller Gefühle

© 2020 Michael Johannes

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

Umschlaggestaltung: David Weider, www.wemsagency.com

ISBN

 

Paperback:

978-3-7497-7936-9

Hardcover:

978-3-7497-7937-6

e-Book:

978-3-7497-7938-3

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

„Ich denke dein,

wenn mir der Sonne Schimmer

vom Meere strahlt;

Ich denke dein,

wenn sich des Mondes Flimmer

in Quellen malt“

Johann Wolfgang von Goethe

Dieses Buch ist für dich,

mein Ein und Alles

Vorwort

Ganz im Gegensatz zu dem Ruf, den manch einer noch mit Mallorca verbindet, verfügt diese Insel über eine Magie, die man zunächst nur unterbewusst ahnt. Nach ein paar Tagen der Inselerkundung stellt sich jedoch die Gewissheit ein, hier herrscht ein besonderer Zauber, eine Anmut, die in den Bann zieht, eine Schönheit, die beeindruckt.

Mallorca hat eine Ausstrahlung, die es vermag, die Seele und die Sehnsüchte vieler Besucher zu erreichen. Ob in den malerischen Gassen der Altstadt von Palma, in den Bergen des Tramuntana-Gebirges, an den Stränden der 555 Kilometer langen Küstenlinie oder in der Weite der Inselmitte, hier findet jeder sein persönliches Lieblingsfleckchen.

Die Geschichten dieses Buches mögen für den Besucher eine Anleitung sein, die Stadt Palma und die Insel Mallorca intensiv kennenzulernen. Sie sollen aber vor allem den besonderen Zauber dieser wunderbaren Insel beschreiben.

Diese Insel hat mich vor vielen Jahren herzlich in Empfang genommen, sie ist mir eine wunderbare neue Heimat geworden und sie ist der Ort, wo ich jeden Moment mit allen Sinnen genieße. Dafür bin ich sehr dankbar.

Palma, März 2020

Der Rote Blitz

Patrick war stinksauer. Nachdem er zehn Minuten angestanden hatte, eröffnete ihm die Dame am Schalter, dass nur Barzahlung möglich sei. Gut, er hätte dies auch den zahlreichen Aushängen im Bahnhofsgebäude entnehmen können, aber er war wie immer mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt gewesen.

Missmutig machte er sich auf den Weg zum Geldautomaten, der sich in einer Bank auf dem gegenüberliegenden Placa Espana befand.

Eigentlich sollte ich abbrechen, dachte er, während er quer über den Platz lief. Wieder hierherzukommen war ohnehin eine blödsinnige Idee. Er fragte sich, warum er von der ganzen Geschichte, die er vor einer Woche geträumt hatte, nur die Bilder von der Fahrt mit der historischen Eisenbahn auf Mallorca in Erinnerung behalten hatte. Er hatte ihnen eine gewisse Bedeutung beigemessen, obwohl er wusste, dass die Eisenbahn nur deshalb in seinem Traum aufgetaucht war, weil er am Nachmittag zuvor eine Reportage über Mallorca gesehen hatte, in der von der Fahrt mit dem Roten Blitz berichtet worden war.

Roter Blitz, lachte Patrick in sich hinein. Er hatte die in die Jahre gekommene elektrische Schmalspurbahn schon am Bahnhof gesehen. Dieses Schätzchen ist definitiv nicht rot, sondern hellbraun und sicher auch nicht besonders schnell. Braune Schnecke wäre wohl die bessere Bezeichnung, dachte er sich.

Mit der Bankkarte in der Hand blieb er vor dem Geldautomaten stehen. Er hielt kurz inne und überlegte, aber da ihm nichts anderes einfallen wollte, was er an diesem Tag machen könnte, steckte er sie in den Automaten, gab die PIN ein und nahm das Bargeld entgegen.

Auf dem Weg zurück zum Bahnhof des Tren de Sóller, wie der Rote Blitz offiziell heißt, kam Patrick wieder ins Grübeln. Warum bin ich überhaupt nach Mallorca geflogen? Er hatte sich geschworen, die Insel niemals mehr zu betreten, nachdem Inka, seine langjährige Freundin, sich ausgerechnet bei einem gemeinsamen Mallorcaurlaub von ihm getrennt hatte. Und obwohl dies am heutigen Tage genau ein Jahr her war, wurde ihm bewusst, dass er diesen Einschnitt in seinem Leben noch nicht überwunden hatte. Wahrscheinlich brauche ich eine Schocktherapie und bin deshalb hier, ging es ihm durch den Kopf, als er sich ein weiteres Mal in die Schlange vor dem Ticketschalter einreihte. Ich könnte immer noch umdrehen, überlegte er sich, aber ein undefinierter innerer Antrieb sorgte dafür, dass er in der Schlange blieb.

„Zu welcher Uhrzeit wollen Sie denn fahren? Und nur Hinfahrt oder auch Rückfahrt, zusammen mit dem Ticket für die Straßenbahn nach Port de Sóller?“, fragte ihn die Mitarbeiterin hinter der Scheibe in gebrochenem Englisch. Patrick brauchte einen Moment, um die Frage zu erfassen und sich Gedanken darüber zu machen. Die Touristen hinter ihm zeigten schon erste Unruheerscheinungen, weil er nicht gleich antwortete.

„Wenn Sie auch die Rückfahrt mit dem Tren de Sóller machen wollen, müssen Sie jetzt schon die genaue Uhrzeit wählen“, ergänzte die Dame hinter der Scheibe.

Unfähig, in diesem Moment und so rasch eine Entscheidung zu treffen, und um die Unruhe der Wartenden hinter ihm nicht zu verstärken, sagte er: „Ich nehme nur die einfache Fahrt.“ Den Fahrpreis von 18 Euro bezahlte er mit einem der gerade gezogenen 20-Euro-Scheine, steckte Ticket und Wechselgeld ein und verließ die Schalterhalle in Richtung Bahnsteig.

Bis zur Abfahrt des Zuges waren es noch zwanzig Minuten, aber alle Passagiere strömten bereits Richtung der Waggons. Dabei mussten sie an einer Schranke vorbei, an der ein Mitarbeiter der Eisenbahngesellschaft die Tickets kontrollierte. Patrick entschied sich, bereits jetzt den Zug zu besteigen. Zielstrebig folgte er einer kleinen Gruppe, die offenbar hinter ihrer Reiseleiterin her lief.

Er hörte, wie die Reiseleiterin ihren Kunden riet, einen der vorderen Waggons zu besteigen und beschloss, sich der Gruppe anzuschließen, in der Hoffnung, noch ein paar mehr Informationen über die Region abzugreifen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass die schlanke Reiseleiterin ein Kleid in leuchtender roter Farbe trug. Das sah nicht nur atemberaubend aus, sondern war auch aus einiger Entfernung gut zu erkennen und daher äußerst passend für ihre Tätigkeit.

Tatsächlich führte sie ihre Kunden sogar zum ersten Waggon, in dem sich neben einigen Sitzplätzen auch der Triebwagen befand. Schilder machten darauf aufmerksam, dass dies der Erste-Klasse-Bereich war. Mist, dachte Patrick, ich habe nur ein normales Ticket gekauft. In diesem Moment hob die Dame im leuchtend roten Kleid ihre wohlklingende Stimme: „Bitte setzen Sie sich ruhig hier hin. Es gibt keine Erste-Klasse-Tickets mehr, Ihre Fahrkarte ist hier also genauso gültig wie im Rest des Zuges. Die Sitze sind etwas bequemer, haben aber den Nachteil, dass nicht alle in Fahrtrichtung positioniert sind. Wer jedoch in Fahrtrichtung sitzen mag, kann in den vorderen Teil des Waggons wechseln, da hat es die klassische Bestuhlung.“

Patrick war ein wenig unsicher, wo er sich hinsetzen sollte. Zum einen wollte er die Gruppe nicht stören, zum anderen wäre er aber gerne in der Nähe der Reiseleiterin geblieben. Aus einem noch nicht näher ersichtlichen Grund faszinierte sie ihn. Und tatsächlich erfüllte sich sein geheimer Wunsch. Die Teilnehmer der Gruppe platzierten sich so, dass eine Zweierreihe frei blieb. Patrick setzte sich und nahm den Fensterplatz ein.

Während die Reiseleiterin ihren Kunden den weiteren Tagesablauf erklärte, wurde Patrick bewusst, was ihn an der Frau so faszinierte. Es waren nicht nur das leuchtend rote Kleid und ihr hübsches Gesicht mit den ausdrucksvollen Augen und den sanft geschwungenen Lippen, ganz besonders apart fand er den leichten französischen Akzent, mit dem sie die deutschen Worte aussprach. Patrick mochte diesen Akzent schon immer, dazu kam, dass die junge Frau sehr selbstbewusst auftrat und sich auf erfrischende Weise gewählt ausdrückte.

Eine überaus attraktive Frau mit einer tollen Persönlichkeit, dachte sich Patrick. Er war so angetan von der Reiseleiterin, dass er ihren Ausführungen kaum folgen konnte. Erst nach einer Weile fügten sich ihre Worte in seinem Gehirn zu einer Botschaft zusammen. Wie es aussah, würde sich der Tagesablauf für die Gruppe so gestalten, dass nach der Ankunft in Sóller eine Stadtführung stattfand. Die Reiseleiterin hob hervor, dass es dort einige wunderschöne Modernisme-Bauten zu sehen geben würde. Patrick horchte auf. Er war erst vor kurzem in Barcelona gewesen und hatte dort überaus prächtige Gebäude dieses Baustils gesehen, von denen sehr viele von dem berühmten Architekten Gaudí errichtet worden waren.

Die Reiseleiterin präzisierte für ihre Kunden gerade, dass der Modernisme-Stil eine Weiterentwicklung des Jugendstils war, im Mittelmeerraum aber eine eigene Stilrichtung darstellte. Und dass viele Menschen meinten, Gaudí wäre der Erfinder und einzige Anwender dieses Baustils gewesen, was aber nicht stimme. Einige Fassaden und Gebäude in Sóller gingen jedoch auf einen Schüler des grandiosen Antonio Gaudí zurück, einen Mann namens Joan Rubió i Bellver.

Patrick war wie elektrisiert, nicht nur, weil er als Architekt natürlich den Modernisme-Stil und einen der wichtigsten Protagonisten dieses Stils, den Architekten Gaudí, kannte. Einmal hatte er sich in der Kathedrale in Palma sogar dessen Werke im Altarraum und in der Dreifaltigkeitskapelle angesehen. Schon damals war er von der großen Kunstfertigkeit, der Spiritualität und dem Genie dieses Baumeisters beeindruckt gewesen. Unauffällig beobachtete Patrick die Frau in dem roten Kleid. Ihm imponierte die Art und Weise, wie sie in so treffender und gleichzeitig angenehmer Weise den geschichtlichen Hintergrund Sóllers und seiner architektonischen Sehenswürdigkeiten darstellte. Ihr umfangreiches Wissen und ihre natürliche Ausstrahlung schienen nicht nur ihn, sondern auch alle anderen ihrer Kunden zu beeindrucken. Sie hingen an ihren Lippen und zeigten durch gelegentliches Kopfnicken und Zustimmungslaute, dass sie den Ausführungen aufmerksam folgten.

„Von Sóller fahren wir mit der historischen Straßenbahn nach Port de Sóller. Dort machen wir einen kleinen Spaziergang an der Hafenpromenade entlang und kehren danach in das Restaurant Agapanto ein, welches als einziges direkt am Strand liegt. Wer mag, kann sogar die Füße ins Wasser stecken“, hörte Patrick die Reiseleiterin sagen.

Eine schmerzliche Erinnerung durchzuckte ihn. Heute, vor genau einem Jahr, hatte ihm seine Inka in eben diesem Lokal eröffnet, dass ihrer beider Beziehung zu Ende sei und sie sich in einen anderen Mann verliebt hätte. Die Erinnerungen daran trübten seine Laune und plagten ihn noch immer. Niemals wieder werde ich in dieses Lokal gehen, sinnierte Patrick. Ärgerlich daran war, dass die Gastlichkeit der Inhaberin Maria, die wunderbare Lage des Restaurants und das vorzügliche Essen ihm immer sehr viel Freude bereitet hatten. Wie schade, dass der Gedanke daran nun für immer mit Trauer und Schmerz verbunden sein würde.

„Nach den Genüssen der Mittelmeerküche, das Drei-Gänge-Menü und ein Getränk sind übrigens im Preis enthalten, fahren wir mit dem Minibus nach Deía. Den Kaffee nehmen wir dort im Garten des Fünf-Sterne-Hotels La Residencia ein. Anschließend gehen wir gemeinsam durch den schönen Bergort hoch zur Kirche des Heiligen Johannes“, führte die Dame in dem roten Kleid weiter aus.

Im Kopf von Patrick überschlugen sich die Bilder. Wie oft hatten Inka und er die außergewöhnliche Atmosphäre auf der Terrasse und im Garten dieses Fünf-Sterne-Hotels genossen. Deía war auf Mallorca ihr absoluter Lieblingsort gewesen. An wenigstens einem Tag während ihrer Mallorca-Aufenthalte waren sie zum Mittagessen in die Bucht von Deía, Cala Deía genannt, gefahren, um das Fischrestaurant Ca’s Patró March zu besuchen. Inka hatte immer wieder betont, die Lage des Restaurants an einem Felsen direkt über dem Mittelmeer erinnerte sie an die Karibik. Inka und er hatten sich in das Lokal wegen der Lage, aber auch wegen der vorzüglichen Küche, dem frischen Fisch und der Freundlichkeit des Servicepersonals richtiggehend verliebt. Nach dem Essen hatten sie ihren Kaffee dann im La-Residencia-Hotel genossen. Der herrliche Park, die Terrasse mit dem atemberaubenden Blick über die Hügel des Tramuntana-Gebirges und auf den malerischen Ort als auch der perfekte Service waren stets ein Highlight ihrer Urlaube auf Mallorca gewesen.

Patrick fühlte sich zunehmend trauriger. Erinnerungen können etwas sehr Schönes sein, dachte er. Sie können aber auch kräftig schmerzen, wie gerade im Moment.

Er überlegte sich, ob er nicht besser aussteigen sollte, um den Tag doch in Palma zu verbringen, aber in diesem Moment ging ein Rucken durch den Waggon und der Zug fuhr an.

Die Reiseleiterin sprach nun ein wenig schneller. „Von Deía führt der Weg dann weiter nach Valldemossa, wo wir gemeinsam durch den Ort gehen und ich Sie zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten führen werde. Dort haben Sie dann auch Gelegenheit zum Shoppen und können auf eigene Faust Ihre Eindrücke vertiefen. Dann wünsche ich uns allen jetzt eine gute Fahrt!“

Patrick war gerade dabei, schmerzliche Erinnerungen an Valdemossa wachzurufen, als er aus seiner Lethargie gerissen wurde. Ihm wurde rot vor Augen und als er nach oben blickte, entdeckte er, dass es sich um das Kleid der Reiseleiterin handelte, das nunmehr einen Teil seines Blickfeldes einnahm. Einen Moment lang war er verwirrt, dann begriff er, dass die Dame in Rot ihn angesprochen hatte. Ihre Worte bewegten sich nur zäh durch seine Gehirnwindungen und kamen erst mit Verzögerung bei ihm an. Offenbar wollte sie sich vergewissern, dass neben ihm noch frei war. Er nickte ein wenig verlegen und zeigte auf den leeren Platz.

„Sind Sie das erste Mal mit dem Roten Blitz unterwegs?“, hörte er sie neben sich sagen. Erst mit leichter Verzögerung erfasste er, dass die Frage ihm galt.

„Ja“, antwortete er und nach kurzer Pause ergänzte er: „Aber ich kenne das Tramuntana-Gebirge und die Orte Deía und Valdemossa recht gut.“

„Das sind Orte voller Magie, wenn man sich ein wenig außerhalb der Touristenströme bewegt“, kommentierte die Reiseleiterin. „Schön, dass wir heute auch so tolles Wetter haben, viel Sonne, aber nicht zu heiß, weil eine angenehme Brise weht. Mallorca zeigt sich von seiner besten Seite, finden Sie nicht?“

Patrick war eigentlich gar nicht nach Kommunikation zumute, aber die gewinnende Art seiner Sitznachbarin und vor allem der leichte französische Akzent lösten positive Schwingungen in ihm aus. Er merkte, wie sehr er es genoss, aus seinen düsteren Gedanken herausgerissen zu werden. Als er sich ihr zuwandte, sah er, dass auf ihrem Kleid ein Schriftzug in goldener Farbe aufgenäht war. Es reizte ihn, zu erfahren, was da stand, weil er aber nicht unhöflich erscheinen wollte, sah er der Frau ins Gesicht, nickte und sagte: „Mallorca ist ein Paradies, wenn man es aushalten kann.“

„Gertrude Stein“, bemerkte die Reiseleiterin. Patrick war ein wenig verwirrt über ihre, für seinen Geschmack zu direkte, Vorstellung, außerdem hatte sie ihm noch nicht einmal die Hand gereicht. Betont höflich erwiderte er: „Sehr erfreut, Patrick Schefflenz.“ Die Reiseleiterin brach in ein helles Lachen aus. „Mein Name ist Cati. Schön, Sie kennenzulernen.“ Sie schmunzelte. „Gertrude Stein war eine US-amerikanische Schriftstellerin, die angeblich Robert von Ranke-Graves, dem Autoren von „Ich, Claudius, Kaiser und Gott“, diese Warnung von Mallorca als Paradies, das man aushalten können muss, mit auf den Weg gegeben hat. Er überlegte damals nämlich, nach Mallorca zu ziehen und er hat es trotz ihrer Mahnung getan.

An seinem Haus in Deía fahren wir übrigens heute noch vorbei“, ergänzte sie lächelnd.

Patrick merkte, wie sein Gesicht heiß wurde. „Wie dumm von mir. Bitte entschuldigen Sie. Natürlich kenne ich Gertrude Stein und war auch schon auf dem Anwesen von Robert von Ranke-Graves, aber gerade habe ich überhaupt nicht geschaltet und deswegen keinen Bezug hergestellt.“

Um vom Thema abzulenken setzte er hinzu: „Sie sind Französin?“

„Ich weiß, mein Akzent verrät mich. Ja, ich bin im Nordwesten Frankreichs, in der Nähe von Nantes, aufgewachsen. Dort habe ich noch die Grundschule abgeschlossen. Dann wurde mein Vater nach Palma versetzt und die ganze Familie ist nach Mallorca gezogen. Und obwohl das schon 25 Jahre her ist, hört man immer noch meinen Akzent. Ist das nicht schlimm?“

Patrick hatte rasch hochgerechnet. In Frankreich war man auch um die zehn Jahre alt, wenn der Wechsel von der Grundschule zu einer weiterführenden Schule anstand, also müsste die nette Dame neben ihm 35 Jahre alt sein und damit zwei Jahre jünger als er, und genauso alt wie Inka. Mist, dass ich schon wieder an Inka erinnert werde, dachte er, laut bemerkte er jedoch: „Dann müssten Sie jetzt in ihren Dreißigern sein. Sie sehen aber deutlich jünger aus, scheinbar hält die Insel ihre Bewohner jung.“

Wieder lachte Cati hell auf. „Sie sind ein Charmeur, Patrick. Ich werde in diesem Jahr 36. Das heißt, dass ich beim Einkauf von Alkohol meinen Ausweis schon sehr lange nicht mehr vorzeigen muss. Aber vielleicht haben Sie doch auch ein wenig recht, denn in der Tat genieße ich das wunderbare Klima auf Mallorca. Außerdem liebe ich meine Arbeit und bin stets von netten Menschen umgeben. Das hält in der Tat jung.“

In diesem Moment stoppte der Zug. Cati stand auf und wandte sich an ihre Reisegruppe. „Der erste Halt der Bahn nach der Abfahrt in Palma ist hier in Son Sardina. Bislang führte der Weg durch ein paar nicht so schöne Stadtviertel von Palma und durch das Gewerbegebiet, aber von nun an empfehle ich Ihnen, immer einmal nach links und rechts aus dem Fenster zu sehen. Nun kommen schöne Wiesen und Felder mit herrlichen Oliven- und Mandelbäumen, gelegentlich auch mal ein mächtiger Johannisbrotbaum. Ich hoffe, Sie genießen die Fahrt.“ Gefälliges Kopfnicken von allen Seiten zeigte, dass Catis Kunden sich wohl fühlten.

Ein älterer Herr merkte an: „Cati, eine bessere Reiseführerin als Sie gibt es in ganz Palma nicht.“ Cati erwiderte: „Besten Dank für das schöne Kompliment, aber nun ist auch gut. Ich werde sonst noch ganz verlegen.“ Patrick konnte sich nicht vorstellen, dass irgendetwas diese selbstbewusste Persönlichkeit in Verlegenheit bringen konnte. Ihm gefiel ihre Reaktion jedoch ausnehmend gut, zeigte sie doch, wie bodenständig Cati trotz ihrer offenkundigen Beliebtheit war.

Als sie sich wieder neben Patrick setzte, sah sie ihn ins Gesicht und lächelte. „Ich gehe sicher nicht falsch in der Annahme, dass wir ungefähr gleich alt sind.“ „Zwei Jahre können Sie bei mir getrost dazurechnen, aber in der Tat sind wir vom Alter her nicht allzu weit entfernt“, ergänzte Patrick.

„Und scheinbar gibt es noch andere Themen, bei denen wir Schnittstellen haben. Nicht sehr viele Menschen, die ich bislang kennengelernt habe, kennen Gertrude Stein und Robert von Ranke-Graves“, merkte Cati an.

„Ich war früher sehr oft auf Mallorca. Meine Eltern haben eine Wohnung in Bendinat und die habe ich dann gelegentlich für Aufenthalte mit meinen Kumpels oder meiner früheren Freundin genutzt. Da gab es viele Gelegenheiten, die Schönheit, die Vielfalt und den kulturellen Reichtum der Insel kennenzulernen. Und natürlich die wunderbaren Restaurants, Bars und Chiringuitos. Ich kenne übrigens auch das Restaurant Agapanto sehr gut. Da war ich früher häufig. Aber nun war ich ein Jahr nicht auf der Insel und hätte mir auch gar nicht vorstellen wollen, wieder hierherzukommen, aber man sieht, unverhofft kommt oft …“

Cati schmunzelte. „Mallorca hat Magie. Hier wird man verzaubert und kennt die Logik dahinter nicht.“

Patrick schüttelte leicht den Kopf. „Man kennt die verborgene Logik vielleicht deshalb nicht, weil es keine gibt. Manchmal erscheint mir sogar das Leben an sich sinnlos.“

Cati lächelte milde. „Vielleicht ist der Sinn des Lebens das Leben selbst?“ „Wieder Gertrude Stein?“, fragte Patrick. „Nein, das geht wohl eher in die Richtung Søren Kierkegaard. Das ist ein dänischer Philosoph, den ich auf der Universität gelesen habe.“

Der Zug hielt ein weiteres Mal und Cati stand auf, um der Gruppe zu verkünden, dass der Bahnhof Bunyola erreicht worden war. Patrick fiel einmal mehr Catis Professionalität auf. Sie lieferte nicht nur alle wichtigen touristischen Informationen zur Umgebung, sondern wies auch auf alle organisatorischen Belange hin, indem sie unter anderem davor warnte, schon zu diesem Zeitpunkt auszusteigen. „Auch wenn ich vermute, dass die Raucher unter Ihnen schon einen gesteigerten Bedarf an Nikotin haben, bitte haben Sie noch ein klein wenig Geduld. Der Rote Blitz hält in nur 15 Minuten erneut, da darf ausgestiegen werden.“ Patrick empfand es außerdem als hilfreich, dass sie einen sehr langen Tunnel im Voraus ankündigte. Er mochte Tunnelfahrten nicht und hatte so ausreichend Gelegenheit, sich darauf einzustimmen.

Cati nahm ihren Platz neben Patrick wieder ein. „Was bedrückt Sie?“, fragte sie unvermittelt. „Woher wollen Sie wissen, dass mich etwas bedrückt?“

„Ich kann in Gesichtern lesen – das ist zwar nicht immer leicht und hin und wieder irre ich mich auch, aber bei Ihnen bin ich mir sicher. Tief in Ihrem Inneren sind Sie wahnsinnig traurig. Das widerspricht so sehr dem tollen Wetter da draußen, der malerischen Landschaft und der schönen Umgebung, dass es um so offensichtlicher ist. Ich rede zwar viel, ich kann aber auch gut zuhören. Wenn Sie mögen, erzählen Sie mir doch ein wenig über Ihren Kummer. Manchmal fühlt man sich allein dadurch besser, dass die Dinge endlich ausgesprochen sind. Jetzt kommt ohnehin gleich der Tunnel, da werden die mechanischen Geräusche des Zuges so verstärkt, dass niemand sonst hören kann, worüber wir sprechen.“

Patrick war überrascht und fühlte sich ein wenig überfahren. Das letzte, was er im Moment wollte, war es, einer Fremden seinen Weltschmerz zu erklären und sich außerdem über die Trennung von Inka auszulassen. Aber Cati hatte so ein einnehmendes Wesen und mit einem Mal überkam ihn auch das Bedürfnis zu reden. Er erzählte ihr in groben Zügen die Geschichte seiner Beziehung mit Inka, vom ersten Treffen an der Universität, über das gemeinsame Studium, die Mallorca-Urlaube und bis zur Trennung. Es fügte sich, dass genau nach der Ausfahrt aus dem Tunnel der Moment gekommen war, in dem er Cati erzählte, wie Inka ihm heute vor einem Jahr im Restaurant Agapanto in Port de Sóller den Laufpass gegeben hatte – nach 12 Jahren gemeinsamer Beziehung.

Cati hatte die ganze Zeit nur zugehört. Als er nun am Ende seiner Erzählung angekommen war, sah sie ihn mitfühlend an. Sie legte ihm die Hand auf den Arm und sagte: „Das tut mir sehr leid. Es ist zwar nicht so, dass mit einer Trennung die Welt untergeht, aber meistens fühlt es sich exakt so an.“ Patrick nickte heftig. Genauso hatte er es empfunden. Vieles, was ihm bis dato wichtig gewesen war, hatte sich mit Inkas Weggang aus seinem Leben verabschiedet.

„Eine Frage habe ich noch“, ergänzte Cati. „Hatten Sie den Eindruck, dass sich Ihre Freundin in den Monaten vor der Trennung verändert hat?“

Wieder war Patrick über die Direktheit und den Inhalt der Frage überrascht und sogar ein wenig betroffen, denn in der Tat hatte sich Inka schleichend verändert. Sie war launischer, ungeduldiger und fahriger geworden. Ihm fielen plötzlich viele Momente ein, in denen Inka plötzlich eine ganz andere Attitüde an den Tag gelegt hatte, als in den Jahren zuvor. Sie hatte ihr Aussehen verändert, die Haare kurz geschnitten, von eleganter auf lässige Kleidung umgestellt und begann an allem herum zu nörgeln. Aber noch immer wusste er nicht, warum er mit einer Fremden diese intimen Erkenntnisse aus seiner früheren Partnerschaft teilen sollte.

Er wollte gerade antworten, als der Zug wieder zum Stehen kam. Cati war bereits aufgestanden. „Wir machen hier einen Stopp, um einen entgegenkommenden Zug passieren zu lassen. Da dies ein paar Minuten dauern wird, besteht die Möglichkeit, auszusteigen, um sich die Beine zu vertreten, Fotos zu machen und natürlich, um zu rauchen.“

Patrick hatte während ihrer Ansprache nach draußen gesehen und beobachtet, wie sich die Plattform mit den Reisenden füllte, die dem Roten Blitz einer nach dem anderen entstiegen. Als er sich wieder dem Innenraum zuwandte, stellte er fest, dass die gesamte Reisegruppe ausgestiegen war. Nur er und Cati befanden sich noch im Waggon. Mit einem Mal fühlte er sich seltsam beklommen.

„Müssen Sie nicht draußen bei ihren Kunden sein?“, merkte er an. Noch immer verspürte er wenig Lust, über die Details seiner verflossenen Partnerschaft zu sprechen.

Cati ging nicht auf die Frage ein. „Hier auf Mallorca, aber auch an vielen anderen Orten auf der Welt gab es eine Tradition, dass wenn der Partner starb, eine einjährige Trauerzeit abgehalten wurde. Witwen und Witwer trugen ein Jahr lang schwarze Kleidung. Erst nachdem das Jahr herum war, hat man wieder helle Kleidung getragen und am Leben heiter und freudig teilgenommen. Unabhängig davon, ob es Sinn macht, ein Jahr zu trauern und schwarze Kleidung zu tragen, Ihr Trauerjahr ist dann ja genau heute herum. Vielleicht gibt es einen Grund, warum Sie diese Reise unternommen haben und mit den Orten Ihren Frieden machen sollen, die unschuldig an Ihrem Schicksal sind.“

Draußen ertönte ein Pfiff, das Zeichen, dass der Stopp zu Ende ging und der Zug wieder bestiegen werden sollte. Cati nahm die Mitglieder der Reisegruppe in Empfang, die begeistert von der schönen Aussicht berichteten, von der faszinierenden Landschaft und dem markanten Duft der Pinien.

Der intime Moment zwischen ihnen war verflogen. Patrick war sich plötzlich gar nicht mehr sicher, ob Cati all das, was er meinte vernommen zu haben, auch wirklich gesagt hatte. Die Situation erschien ihm extrem unwirklich.

Der Zug fuhr an und wieder saß Cati auf dem Platz neben ihm. Sie sah ihn direkt an, ihr Blick war ohne jedes Arg und ihr Lächeln ansteckend. Langsam zeichnete sich auch auf Patricks Gesicht ein Lächeln ab. Noch aufmerksamer als zuvor betrachtete er ihr Gesicht. Die Schönheit und Anmut, die es ausstrahlte, berührten ihn zutiefst.

„Manchmal gibt es Dinge zwischen Himmel und Erde, die man nicht erklären kann. Ich glaube, dass es Zeichen gibt, dass es eine Bestimmung gibt, wo wir wann sein werden und wen wir da treffen sollen. Und dennoch, ich glaube auch an die Freiheit unserer Entscheidungen. Wenn die Vorhersehung meint, dass Sie heute noch an einem bestimmten Ort erscheinen sollen, dann wird das Universum alles dafür tun, dass Sie an diesem Ort auch ankommen. Wenn Sie spüren, dass Sie irgendwo hinsollen, sich aber nicht auf den Weg machen, dann werden Sie nicht ankommen. Ich weiß zwar nicht, wohin Ihre Reise gehen soll, aber ich weiß, dass Sie sich schon auf den Weg gemacht haben. Sie haben sich ein Flugticket nach Mallorca und ein Bahnticket nach Sóller gekauft. Und wir kommen jetzt gerade in Sóller an. Bleiben Sie aufmerksam und bleiben Sie dran. Und glauben Sie mir, so etwas wie Zufälle gibt es nicht.“

Cati stand auf und blickte Patrick aufmunternd an. Jetzt endlich konnte er den Namen der Firma erkennen, der in Gold auf dem roten Kleid eingestickt war. Genau darunter stand ein Slogan, der Patricks Aufmerksamkeit erregte: „Elige bien quien te guia“ – „Wähle weise aus, wer Dich führt.“ Schon wieder so ein Zeichen? Patrick war gerade nicht in der Stimmung, darüber nachzudenken. „Mein Name ist Cati Foudre“, sagte sie und zwinkerte ihm zu. „Vielleicht sehen wir uns ja einmal wieder.“

Der Zug war zum Stehen gekommen. Patrick sah auf den Bahnhof von Sóller hinaus. Er war noch immer nicht fähig, klar zu denken. Ihm war, als hätte ihn der Blitz getroffen. Er kramte in seinen lange verschütteten Französischkenntnissen. Foudre, foudre, foudre – was heißt das gleich noch mal? Aus dem Augenwinkel heraus sah er gerade noch ein Stück des leuchtend roten Kleides, bevor Cati vollständig aus seinem Blickfeld verschwand. Vielleicht habe ich das mit dem Roten Blitz falsch verstanden, dachte er, denn in diesem Augenblick erinnerte er sich an den Französischunterricht an der Universität und dass Blitz auf Französisch „Foudre“ heißt.

„Ich glaube, ich habe mich soeben in Frau Blitz mit dem roten Kleid verliebt.“ Patrick schüttelte ungläubig den Kopf. Wie es aussieht, ist meine Trauerzeit vorbei.