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Gute Freunde, ein neuer Job in einer Weddingagentur und eine unverbindliche Liaison haben Noelle geholfen, mit ihrer gescheiterten Beziehung abzuschließen. Doch gerade als ihr eigenes Liebesleben wieder Fahrt aufnimmt, taucht genau diese Affäre mit seiner Verlobten in der Agentur auf. Und plötzlich steht nicht nur Noelles neues Liebesglück auf dem Spiel.
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Seitenzahl: 282
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Bittersüßes Glockenspiel
Verworrene Bande
Roman
von
Jessica Reichel
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Inhalt
PROLOG
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
IMPRESSUM
Bittersüßes Glockenspiel© 2021 Jessica Reichel
Coverdesign und Buchsatz: Catrin Sommer/rausch-gold.com
Lektorat: Bettina DworatzekBildmaterial: LUMIKK555/Shutterstock.de Paladin12/Shutterstock.de Chinnapong/AdobeStock.de
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand, Norderstedt
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. Personen und Handlungen sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen sowie Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.
E-Book: 9-783-7534-4626-4
PROLOG
Nicole
Lautes Geschrei in der Fußgängerzone ließ Nikki aufschauen, als sie aus der klimatisierten Bankfiliale in die heiße Nachmittagssonne trat. Mit einem weitschweifenden Blick lokalisierte sie den Ursprung des lautstarken Streits vor einem Damenbekleidungsgeschäft nur zwei Gebäude weiter.
Als sie das Paar erkannte, zog sie die große Sonnenbrille aus ihrem Haar, setzte sie auf und stellte sich halb hinter eine der Säulen, die den Eingang der Bank säumten.
Während die junge Frau wild gestikulierend auf ihren Begleiter einredete, blieb dieser plötzlich stehen, ließ die gefüllten Einkaufstüten auf den Boden knallen, sodass einige davon umfielen und ein Teil des Einkaufs herausfiel, und lief mit zusammengekniffenen Lippen an ihr vorbei.
Verwirrt sah die Blondine die Tüten an. „Was soll das denn jetzt? COLIN! Hallo?!“, schrie sie dem Mann hinterher.
Nikki schmunzelte, als dieser sich genervt durch die ebenso blonde Surfermähne fuhr. Für einen Moment blieb er stehen und drehte sich um.
„Es ist immer dasselbe mit dir! Ich kann so einfach nicht mehr weitermachen!“
„Machst du gerade Schluss mit mir?“ Ihre Stimme überschlug sich hysterisch.
„Ja“, kam die prompte Antwort und nach kurzem Zögern wiederholte er überzeugt: „Ja, ich mache Schluss mit dir!“
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging weiter, ungeachtet der Fußgänger, die bei der Szene unverschämt schaulustig stehen geblieben waren und wie Aasgeier das auseinandergehende Pärchen beobachteten. Seine Lippen waren wütend zusammengepresst, als er am Bankgebäude vorbeikam.
Nikki trat einen Schritt zurück, doch mit einem Seitenblick hatte er sie schon erfasst. Durch die dunklen Gläser konnte er ihre Augen nicht sehen, aber sie wusste, dass er sie dennoch erkannt hatte. Die Veränderung in seinem Blick war ihr nicht entgangen.
Nachdem er hinter der nächsten Ecke verschwunden war, zog sie ihr Handy aus der Handtasche und machte sich auf den Weg zu ihrem Wagen.
Die frischgebackene Exfreundin war bei den Tüten weinend in die Knie gesunken und sammelte ihre Einkäufe auf. Langsam lösten sich die Zuschauertrauben und jeder ging wieder seines Weges.
Nikki grinste schadenfroh.
KAPITEL 1
Noelle
Das Rauschen der Dusche im Nebenraum verstummte. John kam nur mit einem Handtuch um die Hüften gewickelt aus dem Badezimmer und ich räkelte mich anzüglich unter dem dünnen Bettlaken.
„Gut siehst du aus.“
Er lächelte über dieses Kompliment und zwei kleine Grübchen erschienen um seine Mundwinkel. „Das kann ich nur zurückgeben.“
Einzelne Tropfen glitzerten auf seinem trainierten Oberkörper, als er ans Bett trat. Ihm entgegenkommend setzte ich mich auf, hielt mit einer Hand die Bettdecke vor meinem Dekolleté zusammen und strich mit der anderen sanft über seine muskulöse Brust.
Seine großen, gepflegten Hände packten meine Arme, zogen mich zu einem leidenschaftlichen Kuss an sich und wanderten über meinen Rücken hinab zu meinem Po. Sein genüssliches Lächeln wurde breiter.
„Am liebsten würde ich dich gleich nochmal vernaschen“, murmelte er aufreizend an meinen Lippen.
„Was hindert dich daran?“, forderte ich ihn heraus.
Mit starken Armen drückte er mich zurück auf die Matratze, schob die Decke beiseite und enthüllte meine zarte Haut.
„Noelle, du bist so wunderschön!“, raunte er und begann eine Spur aus heißen Küssen über meinen Körper zu ziehen, als sein Handy klingelte.
Mit einem Seufzen schloss er die Augen, beugte sich über mich auf die andere Seite des Bettes und griff nach dem Telefon auf dem Nachttisch. Mit einem Finger vor den Lippen bedeutete er mir, still zu sein und nahm das Gespräch an: „Hallo mein Liebling, ich hatte nicht mit deinem Anruf gerechnet.“
Er war immer noch über mich gebeugt und roch so unglaublich gut. Ich konnte den Drang, leichte Küsse auf seinen Bauch zu hauchen, nicht unterdrücken und musste bei seinem gespielt bösen Blick mit einem Zwinkern im Augenwinkel leise lachen.
Er setzte sich neben mich, das Handy weiterhin am Ohr. „Das ist aber eine Überraschung!“
Seine Finger zogen sanfte Kreise um meine Brustwarze, zwei Finger umschlossen die rosa Knospe, zwirbelten daran, bis ich mich ihm entgegen bog, dann wanderte seine Hand weiter hinab, erkundete sanft die feuchte Spalte. Ich unterdrückte ein erregtes Stöhnen. Er grinste über die Beherrschung, die er mir abverlangte, und verstärkte seine Bemühungen, meine Lust zu steigern nur soweit, dass ich nicht schreien oder gar einen Ton von mir geben würde.
„Heute Abend? Ja, ich freue mich!“
Es war ein aufregendes Gefühl, zu wissen, dass nur der kleinste Laut von mir ihn verraten konnte und er mir dennoch soweit vertraute, dass er mich liebevoll verwöhnte, während er gleichzeitig mit seiner Verlobten telefonierte.
„Natürlich hole ich dich vom Flughafen ab.“
Ich schlug die Augen auf, veränderte meine Position, löste das Handtuch von seiner Hüfte und schloss meinen Mund aufreizend um sein starkes Glied, das sofort wie gewünscht reagierte.
Er streckte sich auf dem Bett aus, legte seine freie Hand auf meinen Hinterkopf und drückte begierig meinen Mund weiter über seine Erektion.
„In Ordnung, ich werde da sein. Ich muss jetzt auflegen. Ich habe gleich noch ein Meeting.“
Durch dichte Wimpern blickte ich zu ihm auf und sah, dass es ihm immer schwerer fiel, souverän zu klingen. Das war Lob genug. Mit einem berechnenden Grinsen begann ich, seine Hoden zu massieren.
Er zuckte kurz, schob seinen Penis tief in meinen Mund und presste für einen Moment die Lippen zusammen, bevor er das Gespräch wie der perfekte Verlobte beendete: „Ich liebe dich auch, mein Liebling.“
Er drückte das rote Telefonzeichen, warf das Handy achtlos zu Boden und setzte sich in einer einzigen, schnellen Bewegung auf. Gierig zog er mich hoch, presste seine Lippen auf meine, drückte mich zurück in die Laken und während seine Zunge mit meiner spielte, drang er geschmeidig in mich ein, füllte mich aus, zog sich zurück und stieß im perfekten Rhythmus immer wieder zu.
* * *
„Meine Verlobte kommt heute Abend und bleibt bis zu meiner Rückreise. Wir können uns also diesmal nicht mehr sehen“, informierte John mich nach dem erneuten Liebesspiel und zog den Gürtel mit der edlen, handgemachten Schnalle durch die Schlaufen am Bund seiner Anzughose.
„Hat sie deshalb angerufen? Vertraut sie dir nicht mehr?“, neckte ich ihn.
„Mach dir da mal keine Sorgen. Irgendein besonderes Theaterstück wird hier aufgeführt, das sie schon sehr lange sehen möchte und jetzt hat sie für heute Abend noch zwei Karten bekommen.“
„Wow, ihr müsst echt Geld haben, wenn sie dafür einfach mal so von Hamburg hier runter in den Süden fliegt.“
„Du weißt doch, dass ich viel zu bieten habe.“ John lächelte zweideutig und sein Blick wanderte zu den teuren Spitzendessous, die verteilt auf dem Boden des Hotelzimmers lagen. „Und wenn ich mich nicht ganz täusche, hast du auch schon davon profitiert“, ergänzte er gönnerhaft.
Ich lächelte zurückhaltend. In den zwei Monaten, seit wir uns trafen, hatte sich meine persönliche Dessous-Kollektion vervierfacht und zwar nur mit der besten und teuersten Qualität der Designerläden. Anfangs hatte ich mich noch dagegen gesträubt, hatte es doch den faden Beigeschmack einer Bezahlung, doch inzwischen hatte ich mich damit abgefunden. John sah es nicht als Bezahlung – dafür trat er mir zu sehr auf Augenhöhe gegenüber – und er war dennoch kein Mann, der es sich nehmen ließ, jemandem aufmerksame Geschenke zukommen zu lassen, wenn ihm der Sinn danach stand.
„Nicht ganz uneigennützig“, erinnerte ich ihn zwinkernd.
Er lächelte wie ein Gentleman, der schweigt und genießt.
„Um 18 Uhr hole ich sie vom Flughafen ab, bis dahin kannst du hier bleiben, wenn du möchtest. Aber gib dem Zimmermädchen die Chance, noch sauber zu machen.“
Er legte sich eine kostspielige Armbanduhr ums Handgelenk und beugte sich für einen Kuss herab.
„Ich melde mich, wenn ich wieder in der Stadt bin.“ Seine Lippen berührten sanft meine Stirn.
„Viel Spaß beim Meeting“, rief ich ihm hinterher, als er sich das Sakko über die Schulter warf und das Hotelzimmer verließ. Dann ließ ich mich zurück in die zerwühlten Laken fallen und zog mein Handy aus der Handtasche.
Ein verpasster Anruf von Nicole und ein Bild von Mollys neuester Hochzeitstortenkreation.
Die beiden gehört zu meinem engsten Vertrautenkreis.
Ich antwortete Molly, dass die Torte mal wieder ein Wunderwerk ihrer Backkünste war und rief Nicole zurück.
„Na das hat aber gedauert, Ellie. Bist du wieder bei deinem Sugar-Daddy?“
„Er ist nicht mein Sugar-Daddy.“ Ich mochte es nicht, wenn Nikki John als solchen bezeichnete. „Und du hast erst vor zehn Minuten angerufen.“
„Er kauft dir schöne Sachen und du schläfst mit ihm – natürlich ist er dein Sugar-Daddy“, definierte sie.
„Nikki, ich hab dir schon zig Mal gesagt, dass ich nicht mit ihm schlafe, weil er mir teure Klamotten kauft. Es war seine Idee, sich auf diese Art bei mir zu revanchieren. Außerdem habe ich am Anfang gar nicht gewusst, dass er reich ist.“
„Jaja, ich weiß“, wiegelte sie ab. „Hast du Zeit? Ich habe gerade eine interessante Beobachtung gemacht.“
„Ich bin noch im Hotel. Wo treffen wir uns?“
„Bleib gleich dort. Die haben da einen echt süßen Barkeeper und der Kaffee ist auch sehr lecker. Du hast zehn Minuten, Süße.“
* * *
Kurze Zeit später kam ich frisch geduscht in die Hotelbar, wo meine beste Freundin bereits auf einem der Drehstühle saß und mit dem Barkeeper flirtete. Außer ihr war der Innenbereich leer, die meisten Besucher genossen ihr Getränk in der Sonne auf der Innenhof-Terrasse.
Als Nikki mich sah, bestellte sie zwei Cappuccinos, verabschiedete sich mit ihrem schönsten Lächeln, hakte sich bei mir unter, noch bevor ich die Theke erreicht hatte und zog mich zu einer kleinen Sitzgruppe in der hintersten Ecke.
„Was gibt es denn so Interessantes?“, wurde ich sofort meine Neugierde los.
„Nicht so schnell. Warte doch erstmal, bis wir unseren Cappuccino haben.“ Nicole lehnte sich entspannt zurück. „Gut siehst du aus. Du strahlst geradezu.“
Verunsichert sah ich sie an. „Danke“, sagte sie zögerlich.
„Geht's dir gut?“
„Ja.“ Worauf wollte sie hinaus?
„Gut.“
„Nikki, was ist los?“
Der Barkeeper servierte die bestellten Cappuccinos – Nikkis verziert mit einem Herzchen aus Kakaopulver auf dem Milchschaum – und verschwand wieder hinter seiner Theke.
„Rate mal, wen ich heute in der Stadt gesehen habe.“
„Ich weiß nicht. Ben?“, riet ich und löffelte etwas von dem Milchschaum herunter. Erst vor einer Woche hatte ich meinen Freundinnen nach einem zufälligen Aufeinandertreffen von dieser kurzweiligen Tändelei aus meiner Jugendzeit erzählt.
„Nein. Aber, wenn wir schon dabei sind – was läuft da?“
Ich schüttelte vage den Kopf. „Nichts. Man sieht sich ab und zu im Club.“ Und seit ich ihm dort einmal in die Arme gelaufen war, wanderten meine Gedanken seltsam oft in die Vergangenheit zurück.
„Aja.“
„Jetzt rück schon raus mit der Sprache!“, drängte ich.
„Colin.“
Finster sah ich sie an, bevor ich einen weiteren Löffel Milchschaum abschleckte.
„Ok, du bist doch noch nicht ganz über ihn hinweg“, entschuldigte Nikki sich.
Ich richtete den Blick auf meinen Cappuccino, während ich ein wenig Zucker darin verrührte. „Doch, bin ich. Aber sieben Jahre hinterlassen Spuren.“
Jahrelang hatten wir jedes Tief gemeinsam gemeistert und die Höhen zusammen gefeiert. Ich hatte gedacht, wir wären glücklich und führten eine stabile Beziehung. Bis ich ihn an den Lippen einer anderen gesehen hatte. Er hatte mir versichert, dass es das erste und einzige Mal gewesen war, er hätte nur seinen Marktwert testen wollen und wäre nicht mit ihr im Bett gelandet, selbst wenn ich nicht dazwischengekommen wäre – aber machte das einen Unterschied?
Er hatte mich verletzt. Nach sieben Jahren hatte er das Vertrauen in nur wenigen Sekunden zerstört.
Dieses Gefühl ließ sich nicht beschreiben. Wie ein heißes Messer, das einem erst ins Herz hinein gerammt wird, dann schmerzhaft darin bohrt und schlussendlich samt dem Organ herausgezogen wird. Nur tausend Mal schlimmer.
Ich konnte nicht weinen und nicht schreien. Im ersten Moment hatte ich einfach nur erstarrt dagestanden. Erst Minuten später war alles aus mir herausgebrochen und ich war unter Tränen zusammengebrochen.
Nicole war damals mein Fels in der Brandung gewesen. Sie hatte mich bei sich wohnen lassen, bis Colin aus unserer gemeinsamen Wohnung ausgezogen war, hatte den Zweitschlüssel von ihm eingesammelt und ihm gesagt, wenn er sich jemals wieder in meine Nähe wagen sollte, würde sie ihn eigenhändig kastrieren, damit er ansatzweise nachvollziehen könnte, welchen Schmerz er mir zugefügt hatte.
Damit hatte sie mir zumindest ein kleines Lächeln entlockt in den vielen Tagen des Weinens.
Es hatte Wochen gedauert, bis ich außer zur Arbeit wieder die Wohnung verlassen hatte. Krankgeschrieben hatte ich die erste Woche weinend vor dem Fernseher gesessen, mir Liebesfilme und Dramen angesehen und den Sinn des Lebens infrage gestellt. Mir war weder nach Essen noch Trinken zumute gewesen, gerade mal das Nötigste hatte ich hinuntergebracht. Nach einem Monat hatte Nikki meine Schulfreundin Sarah benachrichtigt, die extra ihre Weltreise unterbrach. Zu zweit schafften sie es, mich nach zwei Monaten in eine Bar mitzuschleifen. Die ersten beiden Besuche hatten einen schlimmen Kater samt mehrmaligem Erbrechen nach sich gezogen, bis ich nicht mehr nur trank, um das Bild zu vergessen, das sich in meinen Kopf gebrannt hatte. Aber Sarah und Nikki gaben mir keine Zeit mehr für Selbstmitleid.
Nach drei Monaten war ich schließlich bereit für einen Neuanfang – und zwar komplett. Ich kündigte meinen Job, stellte mich Nikkis Chefin vor und fing im Stylisten-Team von Belinda Sheffields Hochzeitsagentur an.
Die Millionärstochter war wegen der Liebe von Amerika nach Deutschland gekommen und hatte das Geschäft mit den Hochzeiten im süddeutschen Raum aufgemischt. Sie hatte sich ein Team aus Floristen, Konditoren, Friseuren, Visagisten, Fotografen und Goldschmieden um sich geschart und so eine der größten Weddingplanning-Agenturen in Bayern aufgebaut.
Und seltsamerweise – obwohl mein eigenes Glück so plötzlich zerbrochen war – hatte ich dort wieder den Glauben an die Liebe gefunden.
Fast ein halbes Jahr war das nun her.
Hatte ich wirklich mit Colin abgeschlossen?
„Hast du mit ihm gesprochen?“
Nikki lachte auf. „Nein! Ich hätte nicht gerade nette Worte für ihn übrig gehabt“, sagte sie loyal. „Er hat mit seiner Freundin Schluss gemacht.“
Das entlockte mir nun doch ein selbstgefälliges Lachen „Tatsächlich?“
„Ja, ich weiß den genauen Grund nicht, aber sie muss ihn wohl sehr genervt haben, denn er hat mitten in der Fußgängerzone sämtliche Einkaufstüten fallen lassen und sie stehen gelassen. Natürlich war das Geschrei groß. Du kannst dir die Szene ja vorstellen!“ Nikki klang, als würde sie aufgeregt von einem Artikel aus einem Klatschblatt erzählen.
„Das war die Vierte, oder?“, zählte ich in Gedanken nach. Nikki versorgte mich wirklich zuverlässig mit allen Neuigkeiten. Unsicher ob es mir guttat, ständig über Colins neuen Liebschaften informiert zu sein, war es doch eine gewisse Genugtuung zu sehen, dass er keine Bessere fand.
„Er hat dir ja nie geglaubt, als du gesagt hast, dass er nie mehr wieder eine wie dich findet. Du bist aber auch wirklich immer gesprungen, wenn er mit dem Finger geschnippt hat.“
„Nicht immer“, verteidigte ich mich. Ich hatte ihn geliebt und wäre nicht so lange mit ihm zusammen gewesen, wäre ich an seiner Seite nicht glücklich gewesen.
Nikki rollte mit den Augen.
Unsere Handys klingelten gleichzeitig und zeigten eine Nachricht von der Chefin an: Abschlussmeeting in einer halben Stunde.
„Fährst du selbst oder soll ich dich mitnehmen?“
„Ich fahr selbst. Mein Auto steht im Parkhaus des Hotels und Johns Verlobte kommt heute Abend, da möchte ich später nicht mehr in der Nähe auftauchen.“
Nikki löffelte die letzten Reste aus der Tasse.
„Weißt du, manchmal finde ich es seltsam, dass gerade du einer anderen Frau das antust, obwohl du genau weißt, wie sich das anfühlt.“ Es schwang nur ein kleiner Vorwurf in der Stimme meiner Freundin mit.
Ich stellte meine Tasse auf den Tisch zurück. „Vielleicht will ich einfach mal auf der anderen Seite stehen“, überlegte ich laut und verbot mir, weiter darüber nachzudenken, bevor sich mein Gewissen einschaltete.
KAPITEL 2
Noelle
„Guten Morgen, Ladies! Wie geht's unserer Braut?“ Belinda Sheffield kam mit Schwung in das Brautzimmer der Agentur und trat hinter die Glückliche, die in Jogginghose und lockerem Shirt auf dem lederbezogenen Stuhl saß und die Augen geschlossen hielt, während Sabrina die Haarsträhnen feststeckte und ich die letzten Akzente im Make-up setzte.
Auf dem Schminktisch lagen ausgebreitet diverse Kosmetik- und Frisier-Utensilien. Der große Spiegel darüber war mit stuckähnlichen Verzierungen umrahmt. In der Mitte des Raumes standen sich zwei helle Sofas im Chesterfield-Stil gegenüber, dazwischen ein dazu passender weißer Tisch, dekoriert mit einem üppigen Blumenstrauß in den Farben dieser Hochzeit. Goldfarbene Kissen auf den Sofas nahmen den Ton der bodentiefen Dekoschals auf, die die großen Fenster einrahmten. Durchscheinende, weiße Vorhänge ließen das helle Tageslicht herein und schirmten gleichzeitig die Hochzeitsvorbereitungen in den Räumlichkeiten von der geschäftigen Außenwelt ab. Das ganze Zimmer mit seinen hohen Decken und der edlen Einrichtung erinnerte an ein königliches Schloss und manchmal konnte ich es nicht fassen, dass ich das meinen Arbeitsplatz nennen durfte.
„Gut. Vielleicht ein wenig aufgeregt“, antwortete die Braut und öffnete ihre Augen. Ich trat einen Schritt zurück, damit sie über den Spiegel unsere Chefin ansehen konnte, die es mit ihrem Lächeln stets schaffte, die Nervosität am großen Tag zu verscheuchen.
„Sie sehen bezaubernd aus!“ Beruhigend legte sie die Hand auf die Schulter der Kundin. „Sie werden die schönste Braut, die die Welt je gesehen hat.“
Das sagte Belinda zu jeder Braut, die in ihrer Agentur heiratete.
* * *
Eine halbe Stunde später verließen Sabrina und ich die Braut und überließen sie und ihre Brautjungfer der hauseigenen Schneiderin Adriana, die jedes Brautpaar von Beginn an bei der Kleiderwahl bis zum Ankleiden am Hochzeitstag begleitete.
Belinda saß in ihrem Büro hinter dem großen, dunklen Schreibtisch, die Beine hochgelegt, das Telefon in einer Hand, vor ihr der Organisationsplan und kaute am Ende des Stiftes in ihrer anderen Hand. Als sie ihr Hair- & Make-up-Team an der offenen Tür vorbeilaufen sah, winkte sie uns herein.
„Ok, Molly. Ich schicke Ihnen Connor, er soll noch ein Bild von der Torte machen, bevor er zum Standesamt fährt.“ Sie beendete das Gespräch und setzte sich in ihrem ledernen Chefsessel auf. Belinda war die Einzige in der Agentur, die jeden im Team zwar beim Vornamen nannte, aber dennoch siezte, um eine gewisse Distanz und Professionalität zu wahren.
„Meine Damen, Sie haben wie immer gute Arbeit geleistet. Ich brauche Sie morgen früh um acht Uhr hier. Es steht ein Fotoshooting an für unseren Internetauftritt. Nicole wird als weibliches Model agieren, für den männlichen Part habe ich jemanden von der Modelagentur organisiert. Das Shooting startet um neun Uhr im Park an der Stadtmauer.“
Das Telefon klingelte und mit einem Nicken entließ sie uns aus ihrem Büro.
An ihrem Schreibtisch angekommen, zog Sabrina ein Magazin mit Hochsteckfrisuren aus einem Stapel und hielt mir eine markierte Seite unter die Nase. „Würdest du hierfür als Übungskopf herhalten? Oder hast du noch zu tun?“
Die Haare waren in kompakten Kringeln hochgesteckt, verziert mit einzelnen Perlen und hier und da waren einige Strähnen filigran herausgezogen und drapiert.
Ich legte den Kopf schief. „Sieht kompliziert aus.“
„Deshalb möchte ich es ausprobieren.“ Sie stand auf und lief voraus ins Stylingzimmer. „Komm schon!“
Ich warf einen Blick auf meinen Schreibtisch, auf dem sich ebenfalls ein paar Fachzeitschriften türmten, die ich aber genauso gut später durchsehen konnte. Also drehte ich mich einmal auf dem Bürostuhl und folgte ihr.
* * *
Eigentlich sollte es mir egal sein, in welchem Lokal ich abends der Einsamkeit meiner Wohnung entfloh, doch seit geraumer Zeit zog es mich immer öfter in diesen einen Club und auch, wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, hatte ich schon beim Eintreten nach jemand Bestimmtem Ausschau gehalten.
„Ich kann mich an eine Zeit erinnern, da warst du der Mittelpunkt jeder Tanzfläche. Was ist aus der kleinen, heißen Tänzerin geworden?“ Ben setzte sich auf den roten Barhocker neben mich und bestellte sich ein Bier.
Der beliebte Club mitten in der Stadt war nicht übermäßig voll an diesem Wochentag und während vom Kellergewölbe laute Musik heraufhallte, ließ man hier im Erdgeschoss gemütlich seinen Feierabend ausklingen.
„Klein bin ich immer noch, aber aus dem Alter, in dem man dicht an den Körper eines Fremden gedrängt jemanden kennenlernt, bin ich raus“, antwortete ich, ohne von meinem Glas aufzusehen und lächelte in Gedanken an eine zügellose Jugend.
Damals waren Ben und ich uns nach dem ersten Aufeinandertreffen schnell nähergekommen, aber irgendwie hatten wir unsere Liebschaft in eine Sackgasse gefahren, bevor es richtig angefangen hatte.
„Heiß bist du auch noch.“
Ich lächelte über das unverfrorene Kompliment.
„Du hast dich nicht verändert, Ben. Immer noch derselbe Charmeur wie früher.“ Nun hob ich doch den Blick und blieb für einen Moment an seinen grünen Augen hängen, bevor ich ihn unverhohlen musterte.
Optisch hatte er sich in den letzten Jahren durchaus verändert: Sein Körper war gestählt, denn bei jeder Bewegung spannten sich unaufdringlich ansehnliche Muskeln unter dem weißen Hemd, das weiche Gesicht war kantiger geworden, er sah reifer aus und der Anzug ließ ihn distinguiert wirken. Er sah wirklich verdammt gut aus. Unwillkürlich biss ich mir leicht auf die Unterlippe.
Neben Colin waren mir alle anderen langweilig erschienen und dieses Gefühl, das Bens Gegenwart in mir weckte, hatte ich seit Jahren nicht mehr gespürt.
Sein Mund verzog sich zu einem Siegeslächeln, als er meine Reaktion sah und ertappt wandte ich mich ab.
„Darf ich dich auf einen Drink einladen?“, fragte er höflich, um die gespannte Stille zu durchbrechen. „Der alten Zeiten zuliebe?“
Ich trank den letzten Schluck aus meinem Glas und stand auf. „Ein anderes Mal vielleicht“, lehnte ich mit einem entschuldigenden Lächeln ab.
Ben stand ebenfalls auf, nahm meine dünne Jacke von der Stuhllehne und legte sie mir zuvorkommend um die Schultern. Das war ein neuer Ben.
„Danke.“
„Noelle, immer wenn ich dich hier sehe, bist du allein, hast diesen versunkenen Blick und nach ein oder zwei Gläsern gehst du wieder.“ Er machte eine kurze Pause und schien sich seine nächsten Worte zu überlegen. „Ich will dieses Strahlen von früher wiedersehen.“
Ich blinzelte unsicher. Ursprünglich war ich hergekommen, weil ich hier nicht allein war. Alles – die Musik, das Gerede, die ganze Lautstärke – war besser als die Stille, die mich zuhause empfing.
„Lass mich dir ein Lächeln ins Gesicht zaubern!“ Er strich mir zärtlich eine Strähne hinters Ohr. „Auf die altmodische Art und Weise. Abendessen – Freitag 19 Uhr?“
Er gab sich zurückhaltend, wie er früher nie gewesen war, aber in seinen Augen sah ich das erobernde Blitzen. Diesen Ausdruck, mit dem er mich schon vor Jahren fasziniert hatte und eine alte Erinnerung erschien vor meinem inneren Auge, wie er aus dem Nichts aufgetaucht war, nachdem ich ihn hatte stehen lassen, mich herumgewirbelt, gegen die Wand gedrückt und geküsst hatte. Es war nur ein kurzer Augenblick, den ich nie vergessen hatte.
Wann hatte ich mich das letzte Mal so begehrt gefühlt?
„Ok.“ Es war nur ein Flüstern, doch das genügte ihm.
„Ok.“
Ich riss mich los, nickte ihm noch einmal schüchtern, wie ich früher nie gewesen war, zu und verließ die Bar.
Warum hatte er so eine Wirkung auf mich, wo wir uns doch vor vielen Jahren schon geküsst hatten?
Erneut kamen Bilder von damals hoch: Winterkalte Stufen drückten sich in meinen Rücken und standen im krassen Gegensatz zu seinen warmen Lippen.
Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben. Dann sog ich die angenehme Nachtluft tief in meine Lungen, stieg in den Wagen und fuhr nach Hause.
KAPITEL 3
Noelle
„Du brauchst dringend männliche Ablenkung!“, war Sarahs Empfehlung, als ich meiner Freundin aus Schulzeiten erzählte, dass Colin wieder single ist. „Es tut dir nicht gut, dass du dir immer noch Gedanken über ihn machst.“
„Mach ich mir ja gar nicht“, widersprach ich, obwohl wir beide wussten, dass das gelogen war. Zu oft dachte ich noch immer an die Geschehnisse vor einigen Monaten. Hatte ich überreagiert? Aber der Schmerz saß so tief, allein die Vorstellung … Es tat immer noch weh.
„Nikki hat es mir erzählt.“
Sarah schüttelte missbilligend den Kopf. „Warum erzählt sie dir das?“
„Weil sie meine Freundin ist?! Würdest du es mir nicht erzählen?“
Betreten blickte Sarah zur Seite. „Es reißt doch nur alte Wunden auf“, sagte sie statt einer Antwort und hatte zugegebenermaßen nicht ganz Unrecht.
Ich schwenkte den Weißwein in meinem Glas, beobachtete die kreisende, helle Flüssigkeit. „Ich habe ein Date mit Ben“, wechselte ich das Thema.
Überrascht sah Sarah auf. „Tatsächlich?“
Ich nickte. „Freitagabend.“
„Ich wusste gar nicht, dass ihr wieder Kontakt habt.“ Sie nahm den letzten Schluck aus ihrem Glas.
„Hat sich zufällig so ergeben.“
„Und du vergisst einfach, was damals passiert ist?“
Ich hielt inne und sinnierte einen Moment über eine längst vergangene Nacht, die wir beide nur aus Erzählungen einer früheren Freundin kannten.
„Wir wissen nicht, was damals passiert ist“, stellte ich schließlich fest und nahm einen großen Schluck des kühlen Weins. Weder Sarah noch ich waren dabei gewesen und hatten mitbekommen, was tatsächlich geschehen war. Und nur eine Seite der Geschichte zu hören, bedeutete nicht, die Tatsachen zu kennen.
Sarah kräuselte ihre Stirn. „Warum hätte sie damals lügen sollen?“
„Warum hat sie behauptet, Colin hätte sie angebaggert?“
„Bist du da ganz sicher, dass sie gelogen hat?“
„Colin hätte mich nie …“, automatisch wollte ich ihn verteidigen, aber er hatte mich betrogen. „… Er hätte mich niemals mit ihr betrogen“, spezifizierte ich meine Aussage.
Ohne sich weiter dazu zu äußern, stand Sarah auf und entschuldigte sich für einen Moment.
Ich stellte mein leeres Glas auf den Holztisch und starrte in die dunkle Nacht. Eine sanfte Brise bog die Blumen im Garten von Sarahs Elternhaus. Mit nackten Füßen lief ich ein paar Schritte über den Rasen, sah zu den wenigen Sternen am Himmel, schloss die Augen und roch die sommerliche Nachtluft, bis ein leises Klirren mich herumfahren ließ.
Auf einem der Gartenstühle hatte Sarahs Stiefbruder Felix Platz genommen.
„Was machst du denn hier?“
„Ich habe euch reden hören.“
„Und dann kommst du einfach so hereingeschneit?“
Felix lächelte entschuldigend. „Dort hinter den Büschen gibt es einen kleinen Durchgang von einem Garten in den anderen. Als wir noch Kinder waren, haben wir den sehr oft genutzt“, erzählte er.
Das Haus nebenan hatte Sarahs Großeltern gehört. Seit ihrem Tod wohnte Felix bei seinen Heimatbesuchen dort.
Felix las das Etikett der Flasche, füllte den Rest in die zwei Gläser und nahm sich wie selbstverständlich Sarahs Glas. „Wein?“
Ich kam zurück zu den Stühlen, setzte mich und nahm einen großen Schluck aus dem angebotenen Glas. Es fühlte sich an, als hole die Vergangenheit mich Stück für Stück wieder ein.
„Ich dachte, du studierst irgendwo weit weg?“
„Es sind Semesterferien.“
„Du hast uns reden gehört?“ Seit wann hatte er zugehört?
Statt einer Antwort sah Felix mich über den Rand seines Glases hinweg an.
„Brauchen wir noch Wein?“, hörte ich Sarah aus der Küche rufen.
Oh ja. Ich brauchte definitiv noch Wein. „Ja!“
Felix ließ mich nicht aus den Augen.
„Und ein weiteres Glas!“, rief ich meiner Freundin zu, die mit der neuen Flasche Wein in der Hand verwirrt in der Terrassentür auftauchte.
„Warum ein weiteres – oh.“ Sie blieb abrupt stehen, als sie den neuen Gast sah. „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich euch beide nicht allein gelassen“, murmelte Sarah und drehte sich um, um ein weiteres Glas zu holen.
Felix' Blick war immer noch auf mich gerichtet. All die Jahre hatte ich diesen Blick nicht vergessen. Diese zurückhaltende Herausforderung.
„Hör auf damit!“, wisperte ich, da Sarah jeden Augenblick zurückkommen konnte.
Er zog eine Augenbraue hoch. „Womit?“
„Du weißt genau, womit!“
„Wie schön, dass du hier bist, Felix!“, kündigte Sarah ihr erneutes Erscheinen mit lauter Stimme an.
Felix wandte den Blick von mir ab und stand mit einer überlassenden Geste von ihrem Stuhl auf.
„Bleib ruhig sitzen. Ich hol noch einen Stuhl aus dem Schuppen“, winkte sie ab, doch Felix hatte den Platz schon gewechselt und sich ans Fußende meines Liegestuhls gesetzt. Automatisch zog ich meine Beine an, um wieder einen gewissen Abstand herzustellen.
„Ich dachte der Durchgang wäre längst zugewachsen?“
„Nein, man kommt noch ganz gut durch.“
„Warum bist du hier?“, fragte Sarah direkt.
„Darf ich meine Stiefschwester nicht besuchen?“
Sarahs Blick verriet, dass sie genau wusste, dass das nur ein Vorwand war. Ihr Verhältnis war gut, aber einfach so ohne Grund kam Felix nicht zu ihr herüber.
„Normalerweise gern, aber du störst einen seltenen Mädelsabend“, versuchte sie ihn freundlich aber bestimmt rauszuschmeißen.
„Das tut mir leid.“
Ich glaubte ihm kein Wort.
Er trank sein Glas in einem Zug aus, stellte es zurück auf den Tisch und verabschiedete sich.
„War schön dich mal wieder zu sehen, Noelle.“ Automatisch kam ich seiner Umarmung entgegen, doch er drückte mich ein wenig fester als es für einen freundschaftlichen Abschied üblich war. „Man sieht sich.“ Und mit einem blitzenden Lächeln verschwand er wieder zwischen den Büschen.
„Er hatte nach dir nichts Festes mehr“, informierte Sarah mich leise und ertappte mich, wie ich ihm hinterher sah.
Schnell wandte ich den Kopf wieder meiner Freundin zu, trank mein Glas aus und öffnete die neue Flasche Wein.
„Felix und ich hatten nie etwas Festes“, korrigierte ich sie.
„Ich weiß. Aber er hat mit Alissa Schluss gemacht, weil seine Gefühle für dich stärker waren.“
Ich schüttelte bestimmt den Kopf. „So ein Unsinn! Er hat mit Alissa Schluss gemacht, weil die Beziehung keine Zukunft mehr hatte. Er hat sie betrogen!“
„Mit dir“, erinnerte Sarah mich.
„Das hatte nichts mit Gefühlen zu tun. Ich war nur gerade da, als er jemanden brauchte.“ Es war das reinste Chaos für ihn gewesen: Seine leibliche Mutter war aus der Versenkung aufgetaucht, seine damaligen Schwiegereltern in spe akzeptierten ihn nicht, mit seiner Freundin kam es gehäuft zu Konflikten.
Und dann war da ich. Ich wollte einfach nur Spaß haben. Ich stellte keine Forderungen. Ich hatte keine Erwartungen. Ich lenkte ihn ab. Für eine kleine Weile konnte er einfach alles vergessen.
„Das war keine Affäre über Monate, wo sich Gefühle entwickeln, Sarah. Wir haben uns zweimal getroffen, hatten Spaß miteinander und das war’s auch schon.“
„Und warum hat er dann all die Jahre kein Mädchen mehr zuhause vorgestellt? Warum hat er sich regelmäßig nach dir erkundigt? Warum taucht er plötzlich hier auf, ausgerechnet wenn du da bist?“
Darauf wusste ich keine Antwort.
* * *
Eine Stunde später verabschiedete ich mich von Sarah und lief die wenigen Stufen von der Haustür zum Gartentürchen hinunter. Kaum hörte ich die schwere Haustür hinter mir ins Schloss fallen, trat Felix aus dem Schatten.
„Du hättest mich beinah zu Tode erschreckt!“, schimpfte ich, als ich ihn erkannte.
Er hatte die Hände in den Hosentaschen versteckt und grinste spitzbübisch. „Hast du jemand anderen erwartet?“
„Ich hab niemanden erwartet. Es ist mitten in der Nacht! Was machst du hier?“
„Ich begleite dich nach Hause.“
„Das schaffe ich auch allein“, wehrte ich ab.
„Wie du gerade schon festgestellt hast: es ist mitten in der Nacht. Ich lass dich nicht alleine heimlaufen.“
„Ich bezweifle, dass ich in unserem idyllischen Vorort einen Beschützer brauche.“
„Wer weiß. Gerade eben bist du ja auch erschrocken.“
Ich warf ihm einen bösen Blick zu, ließ ihn aber schweigend neben mir herlaufen.
Die Luft war elektrisiert; es fühlte sich an wie vor acht Jahren.
„Wie geht’s dir?“, fragte er schließlich in die Stille.
„Gut“, antwortete ich kurz angebunden.
„Ich habe das mit Colin gehört.“
Meine Kiefer pressten aufeinander. Das ging ihn nichts an.
„Dass er dich betrogen hat.“ Woher wusste er das? „Sarah hat’s mir erzählt“, sagte er, als hätte ich die Frage laut gestellt.
Meine Hand verkrampfte sich zur Faust. „Das geht dich nichts an. Sie hätte es dir nicht erzählen dürfen.“
„So wie du ihr damals nicht von uns hättest erzählen sollen?“
Ich wandte den Blick ab. „Ich habe ihr nicht von uns erzählt. Sie hat uns gesehen.“ Als ich wie heute eines Nachts aus ihrem Haus getreten war und Felix mich im Licht der Straßenlaterne in seine Arme gezogen und geküsst hatte.
„Ich wollte nur, dass du weißt, wenn du darüber reden willst …“
Ich sah ihn an und versuchte, in seinen Augen zu lesen. Er war undurchschaubar. Ganz genau wie früher.
„Dafür habe ich Freundinnen“, lehnte ich ab. Wieso sollte ich damit zu ihm kommen?
Felix lief immer noch neben mir her, die Hände in die Hosentaschen gesteckt und sah nach vorne. Aus den Augenwinkeln musterte ich ihn. Seine Gesichtszüge waren markanter geworden, ein leichter Dreitagebart ließ ihn älter wirken und die dunklen Haare hatten einen neuen Schnitt.
Als er bemerkte, dass ich ihn beobachtete, lächelte er. „Wie damals, nicht wahr?“
Ich spürte die Spannung, das Knistern, das wir beide versuchten zu unterdrücken und wusste, was er meinte.
Die alte Ziegelei, die nach jahrzehntelangem Leerstand kernsaniert und in Wohnungen im Industriestil umgewandelt worden war, tauchte vor uns auf. Über eine Außentreppe erreichte man meine Wohnung in der ersten Etage. Vor der ersten Stufe blieb ich stehen.
„Danke fürs Heimbringen“, sagte ich anstandshalber.
Felix lächelte. „Gern.“
Ich griff nach dem Treppengeländer und wollte hinaufgehen, doch Felix legte seine Hand auf meine.
„Noelle …“
Ich wandte mich um.
„Du warst für mich da, als ich nicht mal mit meinen Freunden über die Dinge reden konnte, die mich bedrückten. Wenn du jemanden brauchst …“
Meine Augen wanderten ungewollt zu seinen Lippen, während er sprach und plötzlich geriet er ins Stocken. Dann sah ich wieder in seine Augen.
„Du kannst dich jederzeit melden“, bot er an.
Ich leckte mir über die trockenen Lippen. „Danke.“ Dann zog ich meine Hand unter seiner hervor und stieg die Stufen hinauf.
Als die Wohnungstür hinter mir ins Schloss fiel, blieb ich einen Augenblick lang stehen und ließ meinen Blick durch mein offen gestaltetes Heim schweifen.