BonnTastik IV - Tatjana Flade - E-Book

BonnTastik IV E-Book

Tatjana Flade

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Beschreibung

Texte treffen Bilder, Bilder treffen Texte: Unter diesem Motto steht das gemeinsame Projekt des Künstlers Martin Welzel und der Regionalgruppe Bonn des Bundesverbandes junger Autoren und Autorinnen e.V. (BVjA). Die Autorinnen und Autoren aus Bonn und Umgebung ließen sich von Martin Welzels phantastischer Malerei inspirieren und umgekehrt. Die Ergebnisse der Fortsetzung dieses erfolgreichen Projekts aus den Jahren 2018, 2019 und 2023 stellen der Künstler und die Autorinnen in dieser Anthologie vor.

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Seitenzahl: 155

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INHALTSVERZEICHNIS

BilderTexte

MC Schulz

1. Die Heisterbacher Ruine im Düsterwald

1. Die Heisterbacher Ruine im Düsterwald

Heike Klein

2. König Frosch II

2. König Frosch, der Zweite

Marita Bagdahn

3. Schattenreich (Text)

3. Schattenreich (Bild)

Dana Schuster

4. Blühende Phantasie (1)

4. Schwimmen lernen

Lea Waldsee

5. Blühende Phantasie (2)

5. Ida und die Flammensäule

Vera Menzel

6. Tree-Art 2

6. Café Deutsch als Fremdsprache

Tatjana Flade

7. Ahnen

7. Der Hunger des Krieges

Jutta Büsscher

8. Erde (1)

8. Das Tattoo

Michael Nitsche

9. Erde (2)

9. Mama

Marcel Schmutzler

10. Abwärts (Text)

10. Abwärts (Bild)

Kevin Scoppwer

11. Kristall-Loch

11. Neubeginn

Vera Menzel

12. Das Meer Chaos (1)

12. Die Weisheit der Schildkröte Maria

Marita Bagdahn

13. Das Meer Chaos (2)

13. Die Insel

Erika Altenburg

14. Das Hässliche Junge Entlein

14. Elisa oder der Wirbel des Lebens

Mina Mitsuoka

15. Zur anderen Seite der Insel

15. Strand der Träume

MC Schulz

16. Sommer 2009

16. Rote Welt

Diandra Linnemann

17. Farbe der Unterwelt

17. Die unterirdischen Gärten

Heike Klein

18. Apokalyptic

18. Roter Staub

Michael Nitsche

19. Uncool Billi

19. Erbärmlich

Erika Altenburg

20. Grünfuß 07

20. Das Loch im Himmel

Tatjana Flade

21. Der Kölner Ring von Isengart

21. Die letzten Tage von Lützerath

Vorwort I

ES WIRD WIEDER BONNTASTISCH!

Kaum zu glauben, aber vor uns liegen die Ergebnisse der BonnTastik IV. Zum vierten Mal seit 2018 haben die phantastischen Bilder von Martin Welzel die Autorinnen und Autoren der Bonner Regionalgruppe des Bundesverbandes junger Autoren und Autorinnen e.V. zu phantasievollen, spannenden und manchmal unheimlichen Texten inspiriert. Und ebenso hat sich „unser Künstler“ Martin von den Geschichten zu Illustrationen anregen lassen oder passende Bilder ausgewählt. Gemeinsam haben wir das Motto der BonnTastik „Texte zu Bildern – Bilder zu Texten“ wieder mit Leben erfüllt. Und es macht uns nach wie vor viel Spaß!

Den „altgedienten“ BonnTastikerinnen und BonnTastikern haben sich neue angeschlossen, so dass wir diesmal die Rekordzahl von vierzehn Teilnehmerinnen und Teilnehmern erreichen. Erstmals hat mit Kevin Scoppwer ein Autor nicht nur eine Geschichte, sondern auch ein Bild beigesteuert, zu dem er sich wiederum von Martin Welzels Werken hat anregen lassen.

Heike Klein, Marcel Schmutzler und ich sind von Anfang an ohne Unterbrechung bei der BonnTastik dabei. Erika Altenburg, Marita Bagdahn, Dana Schuster, MC Schulz und Lea Waldsee beteiligen sich zum wiederholten Male und wir freuen uns über unsere Neuzugänge Jutta Büsscher, Diandra Linnemann, Vera Menzel, Mina Mitsuoka, Michael Nitsche und Kevin Scoppwer. Wir danken Martin Welzel für die Inspiration, die er uns stets mit seinen wunderbaren Bildern schenkt, und Katja Schmidt, die uns beim Lektorat unterstützt.

Aber nun tauchen wir ein in die einmalige Welt der BonnTastik IV und lassen uns vom Zusammenspiel von Bildern und Texten überraschen.

Für die Autorinnen und Autoren Tatjana Flade Regionalgruppenleitung & BVjA Geschäftsführung

Vorwort II

Liebe Leserinnen und Leser,

ich freue mich, dass ich auch in diesem Jahr wieder ein Vorwort zur BonnTastik-Buchausgabe schreiben darf.

Beim Lesen eines Interviews, auf das ich kürzlich zufällig stieß, wurde ich im Geiste zurückversetzt in meine persönliche tiefste Vergangenheit: die Siebzigerjahre. Eine Zeit, in der bei mir die Wurzeln zu meiner Beschäftigung mit dem Phantastischen liegen: Mit zwölf Jahren gab es für mich nichts Spannenderes zu lesen, als die wöchentlich erscheinenden Gruselromane aus der Serie „Geisterjäger John Sinclair“ von Jason Dark. Ich gebe zu, dies ist keine Hoch-Literatur, ganz im Gegenteil, es hat einen eher hohen Trash-Faktor. Inzwischen hat sich dafür aber der Kult-Faktor deutlich gesteigert, selbst bekannte Autoren wie Wolfgang Hohlbein und Mark Benecke haben sich mit John Sinclair auseinandergesetzt.

Wie auch immer, im Rückblick erkenne ich: Es waren diese Heftromane, welche mich später zu Autoren wie Stephen King und Tolkien geführt haben. Und, was für mich noch interessanter war, zu Illustratoren wie Frazetta, Valejo, Doré und Moebius. Denn die Cover der Geisterjäger-Romane machten damals für mich mindestens 50 % des Nervenkitzels aus.

Zurück zu dem eingangs erwähnten Interview: Der Autor Jason Dark, der inzwischen mehrere tausend seiner Geisterjäger-Romane verfasst hat, erklärte darin seine Arbeitsmethode. Erstaunt las ich, dass er sich beim Schreiben der Geschichten in den Siebzigerjahren von den Entwürfen seines Illustrators Vicente Ballestar inspirieren ließ. Ich spürte plötzlich wieder das Gefühl von Seelenverwandtschaft, welches mich damals als Zwölfjährigen lange Zeit im Bann hatte. Und ich freue mich, diese enge Verbindung zwischen Wort und Bild, die Grundlage für unsere BonnTastik, unvermutet neu zu entdecken; ich habe das Gefühl, hier schließt sich wieder einmal ein Kreis. Also, viel Spaß beim Lesen und Schauen in den neuen phantastischen Geschichten.

Martin Welzel, Juli 2023

Bevor es losgeht, noch ein kleiner Hinweis:

Manche Bilder haben mehrere Autoren zu Geschichten inspiriert, sodass diese Illustrationen mehrfach erscheinen.

MC Schulz Heisterbacher Ruine im Düsterwald

Erschöpfung macht sich in mir breit. Das sonnige, aber kalte Winterwetter fordert seinen Tribut. Ich benötige dringend eine Pause. Wir radeln schon eine gefühlte Ewigkeit durch den Düsterwald, immer auf der Suche nach der Heisterbacher Ruine.

Durch die Baumwipfel schimmert endlich ein helles Gebäude. Wir sind der Ruine mit unseren Mountainbikes in der letzten Stunde tatsächlich nähergekommen. Nach knappen zehn Minuten und einem steilen Anstieg stehen wir endlich vor den Überresten des Gebäudes. Wie eine geschnitzte Perle leuchtet es uns, umrahmt von dunklen Baumkronen, entgegen.

Früher muss es ein prachtvolles Gebäude gewesen sein. In der Mitte ein großes offenes Portal und seitlich daneben zwei kleinere Eingangstüren.

Die Türen sind zwar verschwunden, aber ich stelle mir vor, wie sie passend zum Haus beeindruckend reich verziert waren. Durch den offenen Türbogen können wir einen Blick auf die gotischen Fenster im Inneren werfen. Decke und Dach über dem Eingangsbereich sind eingestürzt und lassen das spärliche Sonnenlicht hineinscheinen.

Ich sehne mich nach einem richtigen Stuhl für meinen müden Körper und wende mich nach links. Vielleicht ist das Gebäude dort besser in Schuss. Aber mein Freund ist ein Angsthase. Er weist auf das kaum vorhandene Dach hin. „Schau nur, hier ist alles marode.“

Nachdem ich nicht auf seine Worte reagiere, warnt er mich: „Die Decken und Mauern halten nichts mehr aus. Die Ruine kann nach all den Jahren nur baufällig sein. Wenn sie einstürzt, wird sie uns unter sich begraben.

Lass uns verschwinden.“

Immer macht sich dieser Mann Sorgen. Aber diesmal lasse ich mich nicht von ihm abhalten. Ich ignoriere sein Gerede und spüre, wie ich magisch in das Haus hineingezogen werde. Ich betrete den morschen, löchrigen Steinboden. Dem Gestank nach zu urteilen müssen die Wände feucht und schimmlig sein. Stühle werde ich hier in diesem Raum nicht finden und falls doch, würden sie unter meinem Gewicht sofort zerbrechen.

An der rechten Wand des Raumes befindet sich ein offener Kamin. Etwas erregt meine Aufmerksamkeit und ich steuere direkt darauf zu. Eine halbverdeckte, sehr kleine Nische. Welchen Zweck sie wohl hatte? Ich mache einen Schritt hinein, dabei spüre ich eine Berührung an meinem Knie. Im selben Augenblick wird es hell. Musik erklingt, um mich herum ertönen Stimmen.

Die Nische ist plötzlich mit edler Stofftapete ausgekleidet, die Öffnung mit einem Vorhang versehen. Dadurch bin ich für die Menschen, die ich im großen Raum höre, unsichtbar. Vorsichtig schiebe ich den Samtstoff millimeterweise zur Seite und wage einen Blick in den Raum, wie er wohl vor geschätzten zweihundert Jahren ausgesehen haben mag. Die Bewohner von Heisterbach haben zum Fest geladen. Die Gäste tragen prachtvolle Kleider und turmhohe weiße Perücken. Emsige Diener schwirren mit Tabletts voll Gläsern und kleinen Speisen umher. Ich bin vollkommen fasziniert. Befinde ich mich tatsächlich in einem Zeitloch? Meine Gedanken rasen und mein Herz pocht. In diesem Augenblick wird mir klar: Wenn die Menschen von Damals mich mit meiner löchrigen Jeans und meinen Dreadlocks erblicken, sperren sie mich womöglich ein. Was soll ich machen? Ich habe mir mein Knie gestoßen, hier an dieser Stelle. Ich begutachte den kleinen, unscheinbaren Messingstift und berühre ihn vorsichtig mit meiner Hand. In diesem Moment erlischt das Licht, die Musik verstummt, Vorhang und Stofftapeten sind verschwunden. Ich stehe wieder in der kargen Ruine.

Obwohl ich gefühlt keine fünf Minuten in der anderen Zeit verbracht habe, ist mein Freund stocksauer. Er redet davon, dass er mich lange suchen musste, bevor er mich endlich bewusstlos gefunden hatte. Er musste mich wachrütteln und kneifen, bis ich wieder zur Besinnung kam.

Immer noch von meinem Erlebnis gefangen, berichte ich ihm von meinem Zeitsprung. Er glaubt mir nicht. Natürlich nicht. Dass ich durchgeknallt bin, wusste er, aber jetzt hätte ich wohl komplett den Verstand verloren.

Er kann so stur und von oben herab sein. Nach einer langen Diskussion ist er bereit, mir zu folgen. Ich nehme ihn an die Hand und wie beim ersten Mal streift mein Knie beim Betreten der Nische den kleinen Metallstift und wir begeben uns gemeinsam auf Zeitreise.

Er ist genauso beeindruckt wie ich von der Szenerie. Ich hatte von ihm eine Entschuldigung erwartet. Schließlich hat er mich als durchgeknallte Verrückte beschimpft. Er ignoriert, dass ich die Wahrheit erzählt habe und er mir nicht glaubte. Kein Dankeschön für dieses tolle Erlebnis.

Stattdessen ist er unvorsichtig und schiebt den Vorhang beiseite. „Wie kann ich mich ihnen am besten zeigen?“, murmelt er ungeduldig vor sich hin, als wäre ich gar nicht da. „Als Zeitreisender wäre ich doch der Mittelpunkt ihrer Gesellschaft. Ich hätte ihnen so viel zu berichten…“ Er flüstert nur Worte, die mir klar machen, dass seine Gedanken sich allein darum drehen, wie er ohne mich mit den Menschen von Damals in Kontakt treten kann.

Ich bin geschockt und angewidert. Unbewusst trete ich einen Schritt von ihm weg und mein Knie streift unbeabsichtigt wieder den kleinen Metallstift. Plötzlich stehe ich wieder in der alten Ruine. Ich bin ohne ihn zurückgekommen. Es muss sehr viel Zeit vergangen sein. Ein Blick durch die scheibenlosen Fenster zeigt mir, dass die Abenddämmerung bereits eingesetzt hat.

Was soll ich jetzt machen? Nach einer kurzen Überlegung schwinge ich mich auf mein Mountainbike. Hoffentlich habe ich rechtzeitig vor Eintritt der Dunkelheit den Düsterwald verlassen.

Heute ist mein Fahrradausflug zur Ruine Heisterbach fünf Jahre her.

Glücklich betrachte ich den Mann, der mir ein Glas Rotwein eingießt.

Mein Exfreund ist nie wieder aufgetaucht. Was für ein Glück, dass ich ihm von dem kleinen Messingstift nichts erzählt habe und er ihn wohl nie gefunden hat. Damals hätte ich niemals den Mut zur Trennung aufgebracht.

Während ich meinem wunderbaren Ehemann beim Anstoßen tief in die Augen schaue, danke ich im Stillen der Heisterbacher Ruine für mein Glück.

Heike KleinKönig Frosch, der Zweite

Es war einmal mitten im Sommer in einer Höhle tief im Wald, nah eines lauschigen Tümpels, da sprang ein Zeremonienmeister zur Abendstunde an die Seite seines verehrten Herrschers. „Hä … ähm“, räusperte er sich würdevoll und beugte sich zum Ohr seines Gebieters. „Eure Majestät, die Prinzessin steht draußen an Eurem Pfuhle und möcht Euch sprechen.“

„Um diese Zeit?“, äußerte sich seine Majestät indigniert. „Sieht sie nicht, dass ich mich schon zurückgezogen habe und nicht mehr empfange?“

Demonstrativ planschte er mit seinen langen Schenkeln durch das kristallene Wasser des seichten Pools, in dem er weilte.

„Ich weiß, das habe ich ihr auch gesagt, sie solle doch morgen wiederkommen, aber die Prinzessin …“ der Zeremonienmeister zerrte an seinen wabbeligen Krötenbacken, als würde es ihm körperliche Schmerzen abverlangen, seinem geliebten Regenten derart Ungemach zu bereiten, „… sie insistiert.“

„Impertinent wie gewöhnlich.“ Der König stöhnte hochherrschaftlich und sprang aus dem Wasser. In wenigen Sätzen war er die Felssprünge hochgehüpft, bis er ein schmales Plateau erreicht hatte, auf dem ein fein gearbeiteter Thron stand. Er schnallte sich seine stolze Halskrause um, setzte sich die prächtige Krone auf und nahm auf seinem Throne Platz.

Als Letztes griff er nach der goldenen Kugel, die zwischen den Beinen des Königsstuhls ruhte, und legte diese repräsentativ in seinen Schoß. „Nun, so bringt sie doch herein!“, rief er schließlich hoheitsvoll und verlieh seinen Glubschaugen noch einen feudalen, distinguierten Blick, als posierte er gerade für die Ahnengalerie.

Der Zeremonienmeister nickte und hüpfte gediegenen Sprunges dem Ausgang entgegen. Nur wenig später vernahm der König ein bekanntes munteres Stimmchen, das diesmal jedoch nicht nur schnatterte, sondern auch ächzte und schnaufte, wie es sich durch die nicht für Menschen gedachte Spalte schob und quetschte. Fast wäre die Tortur überstanden gewesen, als der letzte Felsen der Prinzessin partout nicht nachgeben wollte. Mit einem kräftigen Ruck befreite sie sich aus ihrer misslichen Lage. Zu kräftig. Denn statt eines elfenhaften Hineinschwebens stolperte und plumpste sie in die Höhle, dass sie beinahe auf die Wachposten trat, die sich mit quakendem Entsetzen und gewagten Sprüngen vor ihren wenig kleinen Füßen in letzter Sekunde retteten. Doch die Prinzessin stand wieder auf, richtete sich ihr schiefes Krönchen und fand zurück zu Würde und Anmut.

„Eure Majestät, mein lieber Froschkönig“, begann sie mit einem huldvollen Lächeln, „verzeihet mir mein spätes Erscheinen, aber ich möchte Euch doch sehr bitten, geradezu flehen, mir mein goldenes Kügelein wiederzugeben. Ich weiß, Ihr habt mir heute Mittag gesagt, dass Ihr es einbehalten möget, aber mein Vater, der König, wird doch gleich am Abendtische sehr mit mir schimpfen, wenn ich ohne mein glänzendes Bällchen heimkomme.“ Die Prinzessin schlug in tiefster Not die Wimpern auf.

„Werte Prinzessin Primella …“, nonchalant schlug der König die Beine übereinander und ließ seine flutschigen Finger über die schimmernde Kugel in seinem Schoß gleiten, „… ich lege doch gar keinen Wert auf Euer Bällchen. Gerne nehmt es zurück, aber wenn ich es Euch gebe, so bin ich doch sicher, dass Ihr es mir morgen in meinem Tümpel wieder vor die Arme werft, so wie Ihr dieses schon unzählige Male getan habt.

Ist es nicht so?“

Schuldbewusst senkte sie den Kopf, sodass ihr Krönchen erneut zu rutschen drohte.

„Seht Ihr! Und deshalb – nur deshalb, um dieses unsinnige Spielchen zu unterbrechen, habe ich den Ball einbehalten.“

„Aber …“ Sie hob den Kopf in einem Anflug von Trotz, der aber schnell in schiere Verzweiflung umschlug. „Es ist doch Euer Verschulden, dass ich immer wiederkommen muss. Ihr verhaltet Euch nicht standesgemäß.

Seid Ihr nicht ein verwunschener Prinz?“

„Das bin ich wohl.“

„Dann wisst Ihr doch, wie es das Schicksal vorherbestimmt. Die Prinzessin kommt ans Wasser und spielt mit ihrem Bällchen. Dann fällt es hinein und der Frosch möge es ihr wiedergeben, aber nur wenn sie verspricht, mit ihm Tisch und Bett zu teilen. Sie stimmt zu und er gibt das Bällchen zurück, aber kaum hat sie es wieder, will sie von ihrem Versprechen nichts mehr wissen und eilt nach Hause. Doch der Froschkönig, er folgt ihr, und der Vater im Schlosse zwingt sie, sich an ihr Versprechen zu halten. Aber die Prinzessin ist derart wütend und nimmt den Frosch und wirft ihn gegen die Wand und schwuppdiwupps, der Zauber bricht, der Frosch ist ein Prinz und beide leben vergnügt bis an ihr Ende.“

Die Prinzessin strahlte ihn an, doch König Frosch blieb kritisch. „Das habt Ihr doch alles schon mit Beharrlichkeit versucht. Ihr habt mich – und ich muss es so offen sagen – gegen meinen Willen geschnappt und mehrfach gegen die Wand geknallt, und als das alles nichts brachte, habt Ihr angefangen mich abzuküssen.“

„Ich verstehe es nicht. Vielleicht hätte es doch ein Spiegel sein müssen, gegen den Ihr geworfen werden müsstet. Wir werden das alles noch ausprobieren müssen“, erklärte sie eifrig.

Er rieb sich den Kopf in Erinnerung der Beulen, die sie ihm mit ihrem Enthusiasmus schon beschert hatte. „Aber wir können es gerne auch sein lassen“, quakte er missmutig.

„Wir dürfen nur nicht den Mut verlieren. Beim ersten Froschkönig hat es doch auch mit der Verwandlung geklappt. Warum ist es nur bei Euch so schwer?“

„Möglich, dass die alte Hexe sich diesmal einen besseren Zauber hat einfallen lassen, den es nicht so leicht zu brechen gilt. Doch warum ist es Euch überhaupt so ein Anliegen, mich zu erlösen?“

„Aber jede Prinzessin braucht doch einen Prinzen.“

„Wahrlich, sicher, ich verstehe. Aber ich bin doch nicht der einzige Prinz auf Gottes Erden.“

„Nun …“, druckste die Prinzessin herum. „Möglich, dass das Reich meines Vaters etwas bescheiden ist. Ich habe ein ganzes Dutzend Brüder und Schwestern. Da ist wohl nicht viel zu holen. Und ich“, sie friemelte verlegen an der Spitze ihres Kleides herum, „bin vielleicht nicht ganz so schön wie Schneewittchen mit ihrer Alabasterhaut oder habe den verschlafenen Blick von Dornröschen oder die Grazie der Prinzessin Tausendschön.“

„Na, na“, widersprach er direkt, „Ihr braucht Euch sicher nicht mit diesen Hühnern zu vergleichen. Eine gewisse Robustheit hat doch auch ihren ganz eigenen Reiz. Vielleicht stellt Ihr Euch mich auch völlig falsch vor, wenn Ihr denkt, ich sei ein großer, blonder, stattlicher Prinz. Ich bin zwar in der Tat ein prächtiger und vornehmer Frosch geworden, aber wär ich noch Mensch, ich fürcht, ich würde Euch nur bis zur Nasenspitze reichen.“

„Aber das ist doch nicht schlimm. Es ist doch das Herz, das zählt! Ich bin für eine Prinzessin auch recht groß und kräftig gewachsen.“

Der Frosch nickte gedankenverloren und betrachtete die goldene Kugel in seinem Schoß. Er seufzte. „Ach, es werden ja immer so große Erwartungen an den Prinzen gestellt. Er muss stets zu neuen Abenteuern aufbrechen, sich durch Dornenhecken kämpfen, Riesen bezwingen, Drachen töten und irgendwelche hochnäsigen Prinzessinnen aus der Not retten.

Sollen die sich doch einfach von allen Hexen, Ungeheuern und bösen Stiefmüttern fernhalten! Aber hier habe ich mein eigenes Reich geschaffen, bin gerechter Herrscher treuer Untertanen. Vielleicht wäre das auch etwas für Euch, sein Schicksal selbst zu bestimmen, sein Glück fern eines Hofes zu finden.“

Er hob die Kugel hoch und streckte sie der Prinzessin entgegen. Sie nahm das Bällchen, das, wie es schien, einen ganz eigenen Glanz, ein Licht in sich selbst trug. Sie behielt die Kugel in der Handfläche und sah hinein.

„Wenn man Euch so reden hört“, sagte sie, „könnte man fast meinen, Ihr möchtet gar nicht erlöst werden.“

„Nun …“ Er hob die Schultern hoch und rieb sich sein spitzes Mäulchen. Sie nickte im stillen Einverständnis. Er sprang von seinem Stuhl und hüpfte auf einen tieferen Vorsprung, auf dem ein Einmachglas voller Fliegen stand. Er lüftete den Deckel einen winzigen Spalt und naschte mit seiner Zunge einen dicken Brummer. Plötzlich schloss die Prinzessin ihre Finger um die Kugel und hielt sich die Hand mit der Kugel an die Brust. „Ich fürchte“, flüsterte sie, „ich habe etwas ganz schrecklich Dummes getan.“

Er naschte eine weitere Fliege. „Ich bitte Euch, Prinzessin. Was wollt Ihr schon Schlimmes getan haben?“