Bosses, Fakes and Secret Affairs - Nancy Salchow - E-Book
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Bosses, Fakes and Secret Affairs E-Book

Nancy Salchow

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Beschreibung

Erstmals zusammen in einem Sammelband: Die Romane "Mein Chef, der Milliardär", "Der Fake Bad Boy" und "Reicher Mann, armes Herz". Klappentext von "Mein Chef, der Milliardär": Single, arbeitslos und pleite. Keine besonders rosigen Aussichten, denkt sich Leonie, als ihr Chef sie kurzerhand vor die Tür setzt. Umso glücklicher erscheint ihr die Fügung, als sie durch einen verrückten Zufall ausgerechnet einen Job bei Milliardär und Bestsellerautor Victor Stamos ergattert. Als seine Assistentin ist es ihre Aufgabe, sich sein neuestes Manuskript diktieren zu lassen. Doch die Freude über den aufregenden Job bekommt erste Risse, als sie es wagt, Kritik an einigen Passagen des Buchs zu üben. Victor, der derartige Eingriffe in seine Arbeit nicht gewohnt ist, ermahnt sie mehr als einmal, lässt sich dann aber doch immer wieder von Leonies Ehrgeiz und Zuverlässigkeit überzeugen. Heimlich beginnt sie sogar, sich Hoffnungen auf mehr als eine rein geschäftliche Beziehung mit dem charmanten Autor zu machen. Bis zu dem Tag, als die Frau vor Victors Tür steht, die die Vorlage für die Titelheldin seines Romans war.

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Inhaltsverzeichnis

Buch 1: Mein Chef, der Milliardär

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Buch 2: Der Fake Bad Boy

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Epilog

Buch 3: Reicher Mann, armes Herz

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Epilog

Impressum

Nancy Salchow

Bosses, Fakes and Secret Affairs

Sammelband mit drei Liebesromanen

Buch 1: Mein Chef, der Milliardär

Single, arbeitslos und pleite. Keine besonders rosigen Aussichten, denkt sich Leonie, als ihr Chef sie kurzerhand vor die Tür setzt. Umso glücklicher erscheint ihr die Fügung, als sie durch einen verrückten Zufall ausgerechnet einen Job bei Milliardär und Bestsellerautor Victor Stamos ergattert. Als seine Assistentin ist es ihre Aufgabe, sich sein neuestes Manuskript diktieren zu lassen. Doch die Freude über den aufregenden Job bekommt erste Risse, als sie es wagt, Kritik an einigen Passagen des Buchs zu üben. Victor, der derartige Eingriffe in seine Arbeit nicht gewohnt ist, ermahnt sie mehr als einmal, lässt sich dann aber doch immer wieder von Leonies Ehrgeiz und Zuverlässigkeit überzeugen. Heimlich beginnt sie sogar, sich Hoffnungen auf mehr als eine rein geschäftliche Beziehung mit dem charmanten Autor zu machen. Bis zu dem Tag, als die Frau vor Victors Tür steht, die die Vorlage für die Titelheldin seines Romans war.

Prolog

„Ich verstehe dich nicht. Wovor hast du nur solche Angst? Vom ersten Moment an habe ich in dir einen so furchtlosen Mann gesehen. So selbstsicher. So“, sie schluckte die Tränen herunter. „So besonders.“

Er hob den Arm, unterdrückte jedoch im letzten Moment den Impuls, seine Hand an ihr Kinn zu legen. Stattdessen wandte er sich instinktiv von ihr ab.

„Du verstehst das nicht, Leonie“, sagte er so leise, dass sie ihn kaum hören konnte.

„Dann erkläre es mir doch. Oder traust du es mir nicht zu, dass ich es verstehen würde?“

Sie stand hinter ihm wie jemand, der sich zu entschuldigen versuchte, doch es gab nichts, wofür sie ihn um Verzeihung bitten musste.

Sein Schweigen hielt an.

Sie legte ihre Hand von hinten auf seine Schulter. „Ich verstehe einfach nicht, wo das Problem liegt. Wenn es dir so schwerfällt, Berufliches von Privatem zu trennen, dann ist das die eine Sache, aber es ist ja nicht so, dass das eine ausweglose Situation wäre.“

„Darum geht es doch gar nicht.“

„Worum denn dann, verdammt?“

Sie spürte, wie ihr Herz bis zum Hals schlug. Unverständnis mischte sich mit Wut, wich einer übermächtigen Sehnsucht, nur um sie mit noch schnellerem Herzschlag zurückzulassen, als er sich mit fast schmerzhaft intensivem Blick zu ihr umdrehte.

„Leonie“, sagte er. Einfach nur Leonie.

Nicht mehr und nicht weniger.

Doch in seinen Augen sah sie, dass seine Antwort aus weit mehr Worten bestand. Worte, die er selbst nicht so recht fassen, geschweige denn aussprechen konnte. Worte, von denen er nicht ahnte, wie wichtig sie für sie waren.

Und doch, irgendetwas in seinem Blick verriet ihr zumindest einen Teil der Antwort.

Sie griff nach seiner Hand, ohne ihre Augen von seinen abzuwenden. „Wer hat dir nur so wehgetan?“

Kapitel 1

„Sie dürfen es nicht als Kritik an Ihrer Person verstehen.“

Nein, keine Sorge, ich verstehe es als Kritik an den hohen Benzinpreisen, der Geschmackssorte Ihrer Morgenkonfitüre und dem schlechten Sex mit Ihrer Frau.

„Aber wie Sie ja wissen, war Ihr Arbeitsverhältnis nur ein befristetes. Und jetzt, da das Jahr um ist …“

… haben Sie beschlossen, den Job lieber Ihrer verzogenen Rotzgöre von Tochter zu geben, die nach Ihrem Europa-Trip plötzlich der verrückten Meinung ist, es mal mit arbeiten zu versuchen. Oder haben Sie womöglich gedroht, ihr sonst den Geldhahn zuzudrehen?

Leonie schluckte die Worte herunter, die ihr auf der spitzen Zunge lagen und rang sich stattdessen zu einem höflichen „Sie müssen nicht weiterreden, Herr Fentens“ durch. „Ich weiß schon, was Sie sagen wollen.“

Der Schreibtisch zwischen seinem Ledersessel und dem Platz, auf dem sie wie ein Schulmädchen kauerte, das zum Direktor zitiert wurde, kam ihr viel größer vor, als er war.

„Aber sehen Sie es doch mal positiv“, ein zuversichtliches Lächeln breitete sich auf seinem schwammigen Gesicht aus, „jetzt haben Sie die Chance, einen richtigen Neuanfang zu wagen. Und für eine Frau wie Sie, gerade mal 28, bildhübsch und klug, dürfte es doch ein Leichtes sein, etwas Neues zu finden.“

„Ein Leichtes“, wiederholte Leonie unsicher, während sie den Blick auf die Hände in ihrem Schoß senkte.

Bildhübsch und klug. Ja, für einen übergewichtigen Sechzigjährigen mit Halbglatze und schlecht sitzendem Jackett war vermutlich jede Frau bildhübsch, die eine Taille hatte und keinen Damenbart auf der Oberlippe. Aber ihre Selbstwahrnehmung passte rein gar nicht zu seiner Einschätzung. Ihr langes blondes Haar erforderte jeden Morgen mindestens zwanzig Minuten Föhnen und Stylen, um nicht wie ein Ballen Stroh auszusehen und ihre viel zu kurzen Beine streckte sie regelmäßig mit mörderisch hohen High Heels, die sie nach jedem 10-Stunden-Tag verfluchte.

Wenigstens diese Tortur war erst mal vorbei!

„Nehmen Sie es nicht so schwer“, sagte er in väterlichem Tonfall. „Das Leben geht weiter, meine Liebe.“

„Ja“, antwortete sie zögernd, während sie den Blick langsam wieder hob. „Ja, natürlich.“

*

„Rausgeworfen? Einfach so?“ Anton blickte ungläubig von seinem Laptop auf, während sie sich auf die Kante seines Schreibtischs setzte.

„Na ja, einfach so ist vermutlich ein bisschen übertrieben. Mein Vertrag ist ausgelaufen.“

„Aber sie waren doch immer so zufrieden mit dir.“

„Das dachte ich auch. Aber Qualitäten geraten eben schnell in Vergessenheit, wenn es darum geht, die eigene Familie unterzubringen.“

„Vitamin B, überall das Gleiche“, brummte er. „Ohne Beziehungen läuft heutzutage eben nichts.“

Sein Bauchansatz spannte ein wenig unter dem Hemd. Trotzdem war er mit seinem vollen, dunklen Haar das, was man allgemein als attraktiv bezeichnen würde.

„Gegen Vitamin B habe ich ja nichts einzuwenden“, antwortete Leonie, „solange ich selbst diejenige bin, die einen Vorteil davon hat. Aber so …“

„Und dein letzter Arbeitstag war praktisch schon gestern?“

„Sozusagen. Nur dass ich es gestern noch nicht wusste. Ich habe darum gebeten, meinen Resturlaub zu nehmen. Ich hätte es keine Minute länger dort ausgehalten.“

„Verstehe.“

Sie griff nach dem Rahmen auf seinem Tisch, ein Bild von seiner Frau Dany und ihrem kleinen Sohn Steven, warf einen flüchtigen Blick drüber und stellte es seufzend wieder an seinen Platz. Nicht nur, dass ihr bisher keine eigene Familie, geschweige denn der richtige Mann vergönnt waren, zu allem Überfluss stand sie nun auch noch als Versagerin ohne Job da.

Anton lehnte sich mit aufmunterndem Lächeln in seinem Sessel zurück. „Du darfst das nicht persönlich nehmen, Schwesterchen!“

„Fang du nicht auch noch damit an. Mein Boss, sorry, Ex-Boss, hat auch versucht, mir einzureden, dass es nichts Persönliches ist.“

„Na ja, irgendwie hat er ja auch recht, oder? Ich meine, ich sage ja nicht, dass es okay ist, aber letztendlich hätte er vermutlich auch jede andere gehen lassen, wenn es um seine Tochter geht.“

„Ich wüsste nicht, wie mich diese Erkenntnis trösten sollte“, brummte sie mürrisch, während sie aufstand und durch das Fenster hinter seinem Tisch auf die Dächer der Stadt blickte.

Wie unberührt dieser Junimorgen schien, beinahe magisch. Der funkelnde Schleier aus Sonnenstrahlen, der sich durch die Blätter der Trauerweiden im gegenüberliegenden Park schlängelte. Hier und da ein neugierig schnüffelnder Vierbeiner an der Leine eines weniger neugierigen Zweibeiners. Der ganze Tag lag noch vor ihr und doch hatte sie bereits jetzt ein derart einschneidendes Ereignis hinter sich.

„Und was willst du jetzt tun?“ Anton musterte das Display seines Handys, eine unhöfliche, aber für ihn typische Eigenschaft. Immer beschäftigt, immer gefordert. Andererseits: er hatte im Gegensatz zu ihr noch einen Job, der ihn forderte. Und der verlangte nun mal Dauereinsatz, selbst bei einem Spontanbesuch wie ihrem.

„Die Stellenanzeigen durchforsten, was sonst?“ Sie wandte sich vom Fenster ab und bemühte sich um ein tapferes Lächeln. „Deshalb bin ich gewissermaßen auch hier. Ich wollte dich fragen, ob du mir die Anzeigen, die morgen in der Wochenendausgabe erscheinen, nicht schon früher … ich meine … vielleicht heute schon zeigen könntest. Du weißt ja, Vitamin B und so, das hast du selbst gesagt. Timing ist alles. Und wenn ich die Anzeigen sehe, bevor sie überhaupt erscheinen, könnte ich schon vor allen anderen …“

„Das kannst du dir gleich wieder abschminken“, fiel er ihr ins Wort. „Wo kämen wir denn da hin, wenn ich jedem Dahergelaufenen schon die Zeitung vom nächsten Tag zeigen würde?“

„Da ist es doch ein umso glücklicherer Umstand, dass ich nicht jeder Dahergelaufene, sondern deine herzallerliebste Schwester bin.“ Sie zwinkerte ihm zu, während sie einen Schritt näher kam und sich erneut auf die Kante seines Schreibtischs fallen ließ.

„Wie stellst du dir das vor, Leonie? Das hier ist eine Lokalredaktion und kein Selbstbedienungsladen.“

„Was ist schon groß dabei, wenn du mir eine klitzekleine Kopie ziehst? Niemand wird es erfahren.“

„Du hast recht, niemand wird es erfahren, weil ich dir keine klitzekleine Kopie ziehen werde.“

Anton nahm seine Brille ab und legte sie seufzend neben die Tastatur. „Du darfst das nicht so schwer nehmen. Du bist gerade mal 28, hast noch dein ganzes Leben vor dir. Du bist qualifiziert, attraktiv und, wenn du willst, sogar sehr charmant. Wir wissen doch beide, dass du früher oder später etwas Neues finden wirst.“

„Dafür, dass du nur drei Jahre älter bist, siehst du dich aber ziemlich gern in der Rolle des großen weisen Bruders, was?“

„Das hat nichts mit weise zu tun. Du weißt all diese Dinge selbst. Im Moment scheinst du sie nur vergessen zu haben. Und als dein großer Bruder ist es meine Pflicht …“

„Ja ja ja.“ Sie rollte mit den Augen. „Also, was ist nun?“

„Was soll sein?“

„Kopierst du mir nun den Anzeigenteil oder nicht?“

„Du weißt, dass das nicht geht, Leonie!“

„Du bist der Chefredakteur, Anton. Wenn du es willst, geht alles.“

Er verschränkte die Hände unter dem Kinn und musterte sie eindringlich. Nach einem kurzen Zögern stand er schließlich auf und ging zur Tür hinter seinem Schreibtisch.

Mit der Hand auf dem Griff drehte er sich noch einmal zu ihr um.

„Du weißt, dass ich dir nicht einfach eine Kopie mitgeben kann. Allerdings muss ich kurz runter in die Grafikabteilung, was bedeutet, dass ich meinen gut gefüllten Schreibtisch ein paar Minuten nicht im Blick haben werde.“ Er öffnete die Tür. „Und wenn die Papiere wieder mal nicht genau so auf dem Tisch liegen, wie ich sie zurückgelassen habe, werde ich mich wohl wie so oft bei dem Gedanken ertappen, dass die Putzfrau wieder neugieriger war, als ihrem Job in der Redaktion gut tut.“

Leonie lächelte wissend. „Hat die Putzfrau denn jetzt schon Dienstbeginn?“

„Eigentlich erst nach Redaktionsschluss“, antwortete er. „Aber wer weiß, vielleicht kommt sie ja heute früher als sonst.“

„Ja.“ Leonie zwinkerte ihm zu. „Wer weiß das schon?“

*

„Wie, sagten Sie, war Ihr Name?“

„Walters. Leonie Walters.“

Die Frau schloss die schwere Tür hinter Leonie, ohne ihren prüfenden Blick von ihr zu lassen.

„Und wir beide haben miteinander telefoniert?“, fragte die Fremde, während die Falte zwischen ihren Augenbrauen tiefer wurde.

Sie sah aus wie eine etwas jüngere Version von J. K. Rowlings Minerva McGonagall, wenn auch nicht weniger biestig.

„Ich denke schon“, stammelte Leonie, ihre Handtasche fester umklammernd, „wenn Sie Frau Drombach sind.“

Frau Drombach nickte stumm und wandte ihr den Rücken zu.

„Folgen Sie mir“, brummte sie eintönig, während sie das schier endlose Foyer hinter sich ließ und an deckenhohen Fenstern vorbeigehend schließlich die Tür zu einem beeindruckenden Arbeitszimmer öffnete.

Leonie, die ihr in der Schweigsamkeit eines ängstlichen Schoßhündchens gefolgt war, blieb mit offenem Mund im Türrahmen stehen und ließ ihren Blick über Bücherregalwände und glänzende Mahagonimöbel schweifen.

„Und das ist das Arbeitszimmer von …“, begann sie mit ehrfürchtigem Tonfall.

„Das hat Sie jetzt noch nicht zu interessieren“, fiel ihr Frau Drombach ins Wort. „Herr Stamos wird Sie jeden Augenblick empfangen. Er wird letztendlich entscheiden, ob Sie befugt sein werden, mehr zu erfahren.“

„Na ja, wenn ich mit ihm zusammenarbeiten soll, wird es sicher unausweichlich sein, dass ich auch das Arbeitszimmer kennenlerne“, entgegnete Leonie mit vorsichtigem Lächeln.

„Wie Sie schon sagen: wenn Sie zusammenarbeiten. Und das muss letztendlich Herr Stamos persönlich entscheiden.“

„Ja, ich meinte ja nur …“ Leonie verstummte.

„Warten Sie hier“, sagte Frau Drombach einem Befehl ähnlich, verließ das Zimmer durch eine andere Tür als die, durch die sie es betreten hatten und ließ Leonie für eine Weile allein zurück.

Sie wagte es nicht, sich zu rühren, geschweige denn einen Rundgang durch das seltsam einschüchternde Zimmer zu machen, das schon fast einem Saal ähnelte. Stattdessen blieb sie regungslos an der Stelle stehen, an der Frau Drombach sie zurückgelassen hatte und versuchte, die letzten Stunden Revue passieren zu lassen.

Assistentin für renommierten Autor gesucht, Voraussetzungen: zügiges Schreiben nach Diktat mit mindestens 400 Anschlägen pro Minute. Diskretion oberste Priorität.

Wie ein Magnet hatte sie die Annonce angezogen.

Nur einen Tag nach ihrem Anruf stand sie nun hier, in einem Haus, von dem sie noch immer nicht wusste, wem es gehörte.

Was hatte dieser Hausdrachen gesagt? Herr Stamos? Doch nicht etwa Victor Stamos?

Nein, das war unmöglich. Victor Stamos war viel zu berühmt und erfolgreich, um auf diese unspektakuläre Art und Weise nach einer Assistentin zu suchen, noch dazu in einer Zeitung und nicht im Web?

Andererseits, welchen Bestseller-Autor gab es sonst in Deutschland, der den Namen Stamos trug?

Sie ließ ihren ehrfürchtigen Blick erneut die holzgetäfelte Decke entlanggleiten, die Buchrücken im Regal abtasten und jedes noch so kleine Detail der extravaganten Einrichtung aufsaugen. Die hölzernen Elefanten im afrikanischen Stil im Regal, der Drehsessel mit der überdimensionalen Lehne aus schwarzem Leder, die Akt-Skulpturen unter dem Fenster.

„Beeindruckend, oder?“

Eine tiefe Stimme riss sie aus den Gedanken.

„Ich“, stammelte sie und verstummte in dem Moment, in dem sie sich umdrehte.

Victor Stamos. Er war es wirklich.

„Die Bücher, meine ich“, sprach er weiter. „Mein Anwalt und gleichzeitig bester Freund Tekko meinte, sie wären der absolute Frauenmagnet. Also?“

„Also?“, wiederholte sie monoton, ohne eine Ahnung zu haben, in welche Richtung sich dieses Gespräch bewegen würde.

„Sind sie ein Magnet?“ Er lächelte, während er näher kam und ihr die Hand reichte. „Die Bücher, meine ich.“

„Ich, äh, keine, ähm, keine Ahnung.“

Instinktiv biss sie sich auf die Unterlippe. Hatte sie wirklich ähm gesagt? Was für ein hilfloser Auftakt für ein so entscheidendes Gespräch.

„Vielleicht war das nicht gerade die passende Einleitung für eine Unterhaltung unter Fremden“, entschuldigte er sich augenzwinkernd.

„Wie man es nimmt“, antwortete sie. Mit rosigen Wangen erwiderte sie sein Handschütteln.

„Sie müssen Leonie Walters sein“, stellte er mit fester Stimme fest.

„Die bin ich. Und Sie sind Victor Stamos.“ Sie gab sich nicht die Blöße, diese Feststellung als Frage zu formulieren.

Er nickte. „Freut mich, Sie kennenzulernen.“

Das Lächeln, das noch immer auf seinen Lippen klebte, bildete winzige Grübchen auf seinen markanten Wangen. Das rotblonde Haar trug er raspelkurz, was seine Augen umso besser zur Geltung brachte, die dieselbe Farbe hatten wie das dunkelblaue Shirt, das über seinen sportlichen Schultern spannte. Und überhaupt, live und in Farbe sah er sehr viel besser aus als auf dem Schwarz-weiß-Foto des einzigen Buchs, das sie von ihm besaß. Umso peinlicher, dass ihr der Titel und somit die Möglichkeit eines unverfänglichen Gesprächsthemas partout nicht einfallen wollte.

„Wo ist Frau ...“

„Drombach?“, fiel er ihr ins Wort. „Ich habe ihr gesagt, dass ich diesen Teil des Gesprächs ohne sie bewältigen werde.“

„Oh.“

„Besser konnten Sie Ihre Erleichterung wohl nicht verbergen, was?“

Leonie wurde rot.

„Keine Sorge.“ Er lehnte sich gegen die Kante seines Schreibtischs und betrachtete sie mit halb musterndem, halb erwartungsvollem Blick. „Sie ist selbst zu mir so biestig. Das gehört zu ihrem Charme. Aber sie arbeitet seit vier Jahren für mich und ich kann mir niemanden vorstellen, der eine bessere Lasagne kocht oder lästige Anrufe nachhaltiger abblockt als sie. Sie ist sozusagen Köchin und Wachhund in einem.“

Leonie nickte schweigend, während sie versuchte, seinen Worten zu folgen.

Was genau tat sie hier eigentlich? Und was erwartete man von ihr? Dass sie einfach nur hübsch aussah und freundlich nickte?

„Also, wie läuft das Ganze nun ab“, überwand sie sich schließlich, „machen wir ein Probediktat? Schauen Sie, wie schnell ich bin, oder ...“

„Sie gehen ja direkt aufs Ganze.“

„Deshalb bin ich doch hier, oder?“ Sie umklammerte ihre Handtasche. „Wegen des Jobs, meine ich.“

„Des Jobs“, wiederholte er mit unverwandtem Blick, sodass sie sich für einen kurzen Moment fragte, ob ein Missverständnis vorlag. Suchte er vielleicht gar keine Assistentin? Hatte sie irgendetwas falsch verstanden?

„Ja“, antwortete sie vorsichtig. „Das ist der Grund, aus dem ich gekommen bin. Das heißt, wenn die Stelle noch nicht besetzt ist.“

„Sie ist nicht besetzt“, entgegnete er ruhig.

Sie atmete erleichtert auf. Also doch kein Missverständnis.

„Haben Sie Kinder?“, fragte er, ohne einen weiteren Kommentar abzuwarten.

„Kinder, ähm, nein, Herr ...“

„Victor“, fiel er ihr ins Wort. „Auch wenn wir uns siezen, ich habe eine Abneigung gegen Nachnamen, die haben einen so staubigen Beigeschmack.“

„Staubig, ja.“

Warum war sie nur derart nervös? Und warum plapperte sie jeden noch so beiläufigen Kommentar nach? Hatte sie Zweifel daran, die Richtige für eine Tätigkeit wie diese zu sein?

Nein. Sie wusste, was sie konnte. Eigentlich.

„Und verheiratet sind Sie auch nicht?“, fuhr er fort.

„Nein, auch nicht verheiratet. Das zu wissen ist wichtig wofür?“

„Dieser Job wird Ihnen einiges abverlangen“, erklärte er. „Wann immer mich die Muse küsst, küssen ihre Finger die Tastatur, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

„Nette Formulierung“, bemerkte sie lächelnd.

„Danke, aber das ist unser erstes Gespräch, Leonie. Heben Sie sich die Schmeicheleien lieber für später auf. Das heißt, wenn Ihnen noch danach ist, sobald Sie mich näher kennengelernt haben.“

Sie nickte wortlos. Irgendetwas an seinem Verhalten verunsicherte sie zunehmend.

„Was ich damit sagen will“, er wandte sich von ihr ab und setzte sich in den Ledersessel hinter dem einschüchternden Schreibtisch, „ich brauche eine flexible Assistentin. Es kann mitunter auch mal zur Nachtarbeit kommen. Für Fälle wie diese richtet Ihnen Frau Drombach das Gästezimmer im Dachgeschoss ein.“

Gästezimmer?

Langsam wurde es konkret.

„Heißt das, ich habe den Job?“

„Ihren Unterlagen zufolge gibt es zumindest keinen Grund, es nicht zu versuchen. Den Rest kann ohnehin nur die Praxis zeigen.“

Leonie lächelte erleichtert. In der Nervosität der letzten Minuten war ihr gar nicht aufgefallen, wie sehr sie sich den Job wünschte.

„Frau Drombach ist zwar der Meinung, dass ich mich erst mit den anderen Bewerberinnen treffen sollte“, ein selbstbewusstes Grinsen schlich sich auf seine Lippen, „aber in Momenten wie diesen fällt mir glücklicherweise immer noch rechtzeitig ein, dass sie meine Angestellte ist und nicht umgekehrt. Außerdem bin ich kein Freund von langen Testläufen. Der Grund für Ihren Einsatz ist ein relativ simpler: Schreiben nach Diktat. Ob das Menschliche stimmt, erkenne ich in der Regel sehr schnell. Und dass Sie schnell im Tippen sind, beweisen Ihre Zeugnisse und Dokumente. Daher bin ich zuversichtlich, dass Sie das packen werden. Oder betrachten Sie meinen Optimismus als fehl am Platz?“

„Ich würde es auf jeden Fall sehr gern versuchen“, antwortete sie diplomatisch, noch immer unfähig, die Situation in vollem Umfang zu begreifen.

Aber wo waren ihre Unterlagen, die er anscheinend vorher geprüft hatte? Oder hatte auch diesen Part Frau Drombach für ihn übernommen? Sollte es wirklich so einfach sein, an diesen Job zu kommen?

Der Blick, mit dem er sie betrachtete, hatte etwas Undefinierbares.

Er war freundlich, kein Zweifel, aber es lag auch etwas Aufforderndes darin. Eine Regung, die sie nicht so recht einzuordnen wusste, und die trotzdem für ein seltsames Gefühl in der Magengegend sorgte.

War sie tatsächlich nervös? Die Art von Nervosität, die über die übliche Unsicherheit bei einem Vorstellungsgespräch hinausging?

Und wenn ja, warum?

Sie war nie besonders leicht zu beeindrucken gewesen, auch und gerade nicht von Prominenz, die ihrer Meinung nach nur in den wenigsten Fällen wirklich gerechtfertigt war. Wieso machte sie dann allein seine Anwesenheit so unsicher?

„Also?“ Er betrachtete sie eindringlich über seine ineinander gefalteten Hände hinweg. „Wann können Sie anfangen?“

Sie überlegte kurz. Meinte er es wirklich ernst?

„Ich mache es Ihnen leicht“, sagte er. „Ihre Antwort sollte sofort lauten.“

Er zwinkerte ihr zu. Kein anzügliches Zwinkern, dennoch keines, das ihre Nervosität abflachen ließ.

„Natürlich sofort“, antwortete sie und ärgerte sich im selben Moment über ihre unoriginellen Antworten. Irgendetwas hemmte sie in ihrem sonst so unbefangenen Verhalten, eine Tatsache, die sich mit der Aussicht auf einen neuen Job jedoch für eine Weile ausblenden ließ.

„Prima.“ Da waren sie wieder, seine Grübchen. „Ich erwarte Sie heute Abend gegen sieben. Abends bin ich kreativer. Ich hoffe, das passt Ihnen.“

„Natürlich.“ Ein Sonnenstrahl schob sich durch das riesige Fenster hinter ihr und wärmte sie, als wäre es ein Zeichen. „Um sieben klingt toll.“

*

Ich fand schon immer, dass Tagebücher eher was für Mädels und Frauen sind. Ein Mann schreibt allerhöchstens mal ein Reisetagebuch oder so. Oder aber - so war jedenfalls mein Plan - so etwas Ähnliches wie ein Notizbuch zum "Runterkommen" und zum Freischießen des viel zu vollen Kopfes, um danach umso konzentrierter am Roman weiterschreiben zu können. Eben weil ich mir als eigentlich waschechter Kerl nicht zugestehe, mein Herz ein paar Blättern Papier auszuschütten. Doch die Wahrheit ist, dass ich das Schreiben dieser Art immer häufiger nutze, wenn mich etwas beschäftigt.

Ich nenne das dann „aufräumen“. Ja, aufräumen, wo zu viel Chaos herrscht. Und ebendieses Chaos herrscht derzeit in meinem Kopf.

Eigentlich hatte ich mir geschworen, nach der Sache mit Antonia erst mal keine Frau zur Kenntnis zu nehmen. Es ist keine zehn Monate her und doch habe ich mich noch immer nicht so recht erholt. Dafür war alles einfach viel zu aufwühlend damals und das Ende zu dramatisch.

Und jetzt? Jetzt steht plötzlich diese Frau in meiner Tür und schleicht sich in meinen Kopf, ohne dass sie etwas Besonderes getan hat. Einfach so. Sie hat sich auf meine Annonce beworben, in der ich nach einer Assistentin gesucht habe, die mein Buch nach Diktat schreibt.

Sie war die erste Bewerberin – und was tue ich? Stelle sie blindlings ein, ohne auch nur mit einer anderen Anwärterin gesprochen zu haben.

Sie ist süß, keine Frage, aber bisher reichte diese Tatsache allein eigentlich nicht aus, um mich derart kopflos werden zu lassen.

Seitdem sie weg ist, frage ich mich, was passiert ist, dass sie mir so im Sinn herumspukt? Ist es ihre Ausstrahlung? Diese unerklärliche Mischung aus Selbstbewusstsein und Nervosität?

Ich meine, wie kann eine derart schlagfertige Person gleichzeitig so nervös sein?

Ich habe keine Ahnung. Alles, was ich weiß, ist, dass ich schon jetzt an morgen denken muss, wenn sie ihren ersten offiziellen Arbeitstag hat.

Erinnert sie mich an irgendwen?

Woran liegt es nur, dass sie mir so vertraut erscheint? Und wie kann eine Frau, die ich nie zuvor gesehen habe, einen solch tiefgehenden Eindruck bei mir hinterlassen? Ist ja nicht so, dass sie die erste attraktive Frau ist, die ich kennenlerne.

Ich weiß es nicht. Und genau das ist vermutlich auch der Grund für diese Zeilen – das Vorhaben, mir selbst auf die Schliche zu kommen. Mir und meinen eigenen Gefühlen.

Gefühle. Ha! Ich kenne sie seit wenigen Stunden, wie kann ich da von Gefühlen reden?

Ich bin überarbeitet, das ist alles. Vielleicht sollte ich Frau Drombach bitten, mal wieder ihre preisverdächtige Lasagne zu zaubern. Danach wird sich in meinem Kopf wieder alles von selbst an den rechten Platz rücken.

Victor

Kapitel 2

„Und du fängst schon heute an?“

„Ich soll um sieben da sein.“

„Also, das ist, das ist ...“, Jessica zog den Fuß von der Pedale und hielt an. „Keine Ahnung, einfach unglaublich.“

„Du wiederholst dich“, stellte Leonie fest, während sie ebenfalls vom Rad stieg und neben ihr stehen blieb.

Leonie liebte es, mit ihrer besten Freundin die Seenlandschaft entlang zu radeln, heute jedoch war irgendwie alles anders. Anders und seltsam unwirklich.

„Ich weiß“, antwortete Jessica, während ihr langer schwarzer Zopf rhythmisch mit jedem Kopfschütteln hin und her wippte, „aber es ist ja nun mal auch unglaublich. Ich meine, Victor Stamos. Ich habe ja nicht mal gewusst, dass er hier in Schwerin lebt.“

„Schtttt“, schimpfte Leonie. „Das war vertraulich, Jess!“

„Ja ja, schon klar.“ Jessica unterdrückte ein mädchenhaftes Kichern, während sie die Räder nebeneinander am See entlang schoben.

„Außerdem lebt er dafür, dass er bereits Milliarden mit seinen Büchern verdient hat, in beinahe schon bescheidenen Verhältnissen.“

„Milliarden?“ Jessica schluckte ungläubig.

„Ich weiß. Verrückt. Und ausgerechnet ich soll bei ihm arbeiten.“

„Und du darfst nicht wenigstens verraten, in welchem Viertel er wohnt?“ Jessica musterte sie mit eindringlichem Blick von der Seite. „Du weißt doch, ich schweige wie ein Grab.“

„Netter Versuch, Süße, aber ich habe dir schon viel zu viel verraten. Und überhaupt“, Leonie blieb stehen, „können wir nicht viel lieber darüber reden, was um Himmelswillen ich tun soll?“

„Wie jetzt, was du tun sollst?“ Jessica schaute sie fragend an.

Leonie grübelte. „Na ja, ich habe einfach so zugesagt, ohne mich auch nur im Geringsten vorbereitet zu haben. Ich meine, ich habe keinen blassen Schimmer, was mich erwartet und ob ich das überhaupt hinbekomme.“

„Klar bekommst du das hin. Wer, wenn nicht du?“

„Du sagst das so leicht.“

„Weil es leicht ist.“ Jessica warf lachend den Kopf in den Nacken. „Mensch, Leonie, dich soll einer verstehen. Da greifst du den Traumjob schlechthin ab und bist nicht mal in der Lage, es zu schnallen. Ich meine, Victor Stamos! Das ist der Bestseller-Autor überhaupt. Und du arbeitest für ihn.“

„Noch habe ich ja gar nicht angefangen. Erst mal müssen wir sehen, ob er überhaupt zufrieden mit meinen Leistungen ist. Man könnte das Ganze vermutlich als Test bezeichnen. Und wer weiß, wie viele Frauen vor mir schon … na ja … durchgefallen sind.“

„Leistungen hin oder her“, Jessica grinste wissend, „viel wichtiger ist doch, was du anziehen wirst. Also, ich bin für die Knackarsch-Jeans, die wir letzten Monat zusammen gekauft haben und die weiße Bluse. Aber vergiss nicht, den oberen Knopf offen zu lassen. Oder gleich zwei? Am besten, wir testen das vorher mal aus. Du weißt schon, der Grad zwischen sexy und nuttig ist sehr schmal. Oder ist das Teil in der Wäsche? Dann vielleicht doch lieber das schwarze Top mit dem V-Ausschnitt. Ist er eigentlich noch Single?“

Leonie mochte Jessicas Hang zum wasserfallartigen Reden, es gehörte zu ihrem ganz eigenen Charme, heute jedoch nervte es gewaltig. Scheinbar war sie tatsächlich nicht in der Lage, den Ernst der Lage zu erkennen.

„Ich meine es ernst, Jess. Ich hab echt Schiss.“

„Schiss, wieso?“

„Sag mal, hörst du mir eigentlich zu?“ Leonie beugte sich über das Lenkrad. „Ich fange noch heute an. Heute! Er hat was von Gästezimmer gesagt, weil es wahrscheinlich sehr spät werden wird und ...“

„Sehr spät? Noch ein Grund mehr, auf jeden Fall das richtige Outfit auszusuchen.“

„Ich geb's auf.“ Leonie ließ mit theatralischem Seufzen die Schultern sinken. „Du willst es einfach nicht verstehen.“

„Victor Stamos.“ Jessica schüttelte erneut den Kopf, während sie wieder auf ihre Räder stiegen. „Ich kann's immer noch nicht glauben.“

*

„Frau Drombach, ich wusste gar nicht, dass Sie auch hier sind. Ich meine, dass Sie auch um diese Zeit ... ich meine ...“

„Ich habe jetzt Feierabend“, fiel ihr Frau Drombach schmallippig ins Wort, während sie einen Schlüssel vom Brett neben dem Garderobenspiegel zog und an Leonie vorbei durch die offene Tür ging. „Herr Stamos ist im Arbeitszimmer.“

Bildete sie es sich nur ein oder war sie noch mürrischer als bei ihrer ersten Begegnung?

„Danke“, entgegnete Leonie in einer Freundlichkeit, die nicht so recht zur Situation passen wollte. „Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend“, rief sie Frau Drombach hinterher, doch die war bereits dabei, den breiten Kieselweg entlang zu stapfen, der von der Tür zur Hecke führte und tat so, als wäre sie außer Hörweite.

Leonie schüttelte den Kopf, als könnte sie so die letzten Zweifel abwerfen.

Was kümmerte sie die schlechte Laune dieser im Grunde völlig Fremden? Victor war ihr Chef, nicht diese Person. Und das war auch gut so.

Oder?

Nervös ließ sie die Tür hinter sich ins Schloss fallen.

Für einen Moment blieb sie regungslos im Flur stehen.

Herr Stamos ist im Arbeitszimmer.

Was hatte das zu bedeuten? Dass sie einfach durchgehen sollte?

Im Spiegel hinter der Tür fing sie einen flüchtigen Blick auf ihr eigenes Profil ein.

So sehr sie auch von Jessicas penetranten Outfit-Ratschlägen genervt gewesen war, letztendlich hatte sie sich doch für die weiße Bluse entschieden. Den obersten Knopf trug sie tatsächlich offen, was allerdings nicht ihrer Suche nach Aufmerksamkeit, sondern eher der Tatsache geschuldet war, dass sie in den letzten Wochen etwas zu tief im Single-Frust-Schokoeis-Sumpf versunken war.

Drei Kilo mehr als sonst.

Sie schaute an sich herab. Die Jeans saß trotzdem noch immer perfekt. Vielleicht sogar gerade deshalb?

Verdammt! Was für Gedanken machte sie sich hier eigentlich?

Er war ihr Boss.

Und das vielleicht nur für einen Tag, wenn sie ihren Job nicht gut genug erledigte.

Mit einem tiefen Atemzug spannte sie schließlich die Schultern und ging den Flur entlang direkt auf das Arbeitszimmer zu.

Die Tür stand offen, doch es war nichts zu hören oder zu sehen. Erst, als sie einen Schritt hinein gewagt hatte, sah sie ihn hinter seinem Schreibtisch stehen, über einen Stapel Notizen gebeugt.

„Leonie“, rief er, als er sie in der Tür stehen sah, „gut, dass Sie kommen. Was meinen Sie: Becky oder Romy?“

„Wie bitte?“

„Was ist besser, Becky oder Romy?“

Während sie noch überlegte, ob es sich um Weinsorten handelte und er ihr jeden Augenblick ein Glas einschenken würde, schob sich ein Lächeln auf seine markanten Lippen.

„Der Name für die Titelheldin meines neuen Romans“, erklärte er schließlich, während er mit einer Handbewegung auf die beiden weinroten Sessel vor dem Bücherregal deutete.

Zögernd ging sie darauf zu und stellte ihre Handtasche auf den Boden.

„Verstehe“, antwortete sie schließlich und ließ sich auf einen der Sessel fallen. „Dann natürlich Romy.“

„Warum natürlich?“ Er nahm seine Lesebrille ab und betrachtete sie mit neugierigem Blick.

„Na ja, weil Becky eher nach einem Namen für ein Pferd klingt, während Romy mädchenhaft und ladylike zugleich wirkt.“

„Tatsächlich?“ Selbst von hier aus konnte sie das Leuchten seiner Augen spüren.

Das Leuchten seiner Augen. Was für ein Klischee, ermahnte sie sich selbst. Waren die elf Monate, die sie nun bereits Single war, etwa zu lang? So lang, dass sie bereits bei der ersten Begegnung mit einem halbwegs attraktiven Exemplar des anderen Geschlechts feuchte Hände bekam?

Schäm dich, Leonie. Schäm dich!

„Interessante Theorie“, antwortete er. Erst jetzt wandte er den Blick von ihr ab und legte seine Brille auf den Tisch.

„Also?“, fragte sie. „Wo fangen wir an?“ Instinktiv folgte sie dem Drang, das Gespräch an sich zu reißen und somit die eigene Unsicherheit zu überspielen.

„Sie haben es aber besonders eilig.“ Er lachte.

„Na ja, Sie haben von Namen angefangen, oder? Warum also nicht gleich den Namen eine Geschichte geben?“

„Wo Sie recht haben.“ Er griff nach einem Stapel leicht zerknittertem Papier und setzte sich auf den Sessel, der ihr schräg gegenüber stand. Zwischen ihnen stand ein kleiner, ovaler Kirschbaumtisch, in dessen Mitte ein Aschenbecher aus Kristall auf ungesunden Inhalt wartete.

„Rauchen Sie?“, fragte er, als er ihren Blick bemerkte.

„Nur wenn ich nervös bin“, antwortete sie und ertappte sich im selben Moment bei der Erkenntnis, dass ihr gerade deshalb umso mehr nach einer Zigarette zumute war.

„Ich brauche keinen Grund, um zu rauchen.“ Er lachte, während er sich eine Zigarette ansteckte. „Ich hoffe, das ist in Ordnung für Sie?“

„Stünden meine Chancen, mich zu bewähren, schlechter, wenn es nicht in Ordnung wäre für mich?“

„Vielleicht sogar besser“, er nahm einen Zug und erwiderte ihren Blick gelassen. „Ich mag Menschen mit eigener Meinung. Oder anders formuliert: Ich hasse Arschkriecher.“

Unweigerlich überlegte sie, ob sie ihm denn im übertragenen Sinne bereits in den Arsch gekrochen war, nur um im selben Moment zu erkennen, dass allein die Tatsache, dass sie sich diese Frage stellte, schon irgendwie arschkriecherisch war.

„Alles okay?“, fragte er, als er ihr Grübeln bemerkte.

„Alles okay.“ Sie nickte. „Ist nur alles noch ein bisschen neu für mich. Ich habe so was wie das hier … na ja … noch nie gemacht.“

Sie sah dem Zigarettenqualm dabei zu, wie er seiner Nase entwich.

„Und außerdem“, sie hustete, „bin ich es nicht gewohnt, in einem Privathaus zu arbeiten. Aber diese Erfahrung mache ich“, erneutes Husten, „sehr gerne.“

„Sorry.“ Er drückte die Zigarette aus. „Ich glaube, ich höre besser auf.“

Die Tatsache, dass es ihm scheinbar trotz seines großen Selbstbewusstseins nicht gleichgültig war, dass sein Rauchen sie zum Husten brachte, irritierte sie.

Sein gesundes Selbstvertrauen und die Aufmerksamkeit für seine Mitmenschen schienen einander nicht auszuschließen.

„Ich wollte nicht“, stammelte sie.

„Dass ich aufhöre zu rauchen?“ Er lachte, während er den Rauch mit den Händen weg wedelte.

Nun musste auch Leonie lachen. Warum nur wurden ihre Wangen plötzlich so warm? Wurde sie etwa rot?

„Also“, sie räusperte sich, „können wir weitermachen?“

„Ehrgeizig, ehrgeizig.“ Er beugte sich über die Lehne seines Sessels und holte einen flachen Stapel Papier aus einer Aktentasche, die auf dem Boden stand. „Ich glaube, das Beste ist, wenn wir diesen Ehrgeiz ausnutzen, solange er noch frisch ist und uns so den Einstieg in das Projekt erleichtern.“

„Das klingt spannend.“

„Der Titel lautet Liebe hat kein Gewicht“, fuhr er fort.

„Klingt nach Frauenroman.“

„Ja sicher.“ Victor hob den Blick, während sich ein Grübchen in seine Wange schob. „Sie kennen wirklich kein Buch von mir, oder? Ich meine, wenn sie schon dieser Buchtitel überrascht.“

„Nur eins.“ Jetzt war sie froh, doch noch einmal in ihrem Bücherregal nachgesehen zu haben. „Tofuküsse.“

„Ach das.“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Eines meiner ersten Werke und grottenschlecht, wenn wir ehrlich sind.“

„Aber die Frauen lieben so was. Mir hat es auch gefallen damals. Keine schweren Worte, keine unlösbaren Probleme. Zum Entspannen halt.“

„Nett, dass Sie es sagen, aber wenn ich Sie um etwas bitten darf“, er hielt kurz inne. „Bitte seien sie immer ehrlich, wenn ich Sie nach Ihrer Meinung frage. Ich weiß, Sie sind nur eingestellt, um das abzutippen, was ich Ihnen diktiere, aber hin und wieder kann es vorkommen, dass ich Sie um Ihren spontanen Eindruck bitte.“

Leonie nickte. „Natürlich werde ich ehrlich sein. Wenn es das ist, was Sie wollen.“

Wenn es das ist, was Sie wollen. Für einen Moment fühlte sie sich tatsächlich wie ein Arschkriecher.

„Ja, liebe Leonie, das ist es, was ich will.“ Er senkte seinen Blick wieder auf den Stapel in seinen Händen. „Und ich denke, das ist die wichtigste Basis für dieses Anstellungsverhältnis. Also, wenn es funktionieren soll.“

Irgendwie verunsicherten seine Worte sie. In einem Moment war er rücksichtsvoll und verzichtete ihretwegen sogar auf das Rauchen, im nächsten Moment machte er nur allzu deutlich, wer hier der Chef war.

„Was halten Sie davon, wenn wir einfach anfangen?“ Sie bemühte sich um ein selbstbewusstes Lächeln. „Also womit auch immer.“

„Ganz in meinem Sinne.“ Er reichte ihr den Stapel. „Und deshalb wäre es schön, wenn Sie die ersten Seiten lesen, die ich bisher zu Papier gebracht habe.“

Sie nahm die Seiten in die Hand und betrachtete das erste Blatt:

Liebe hat kein Gewicht

Roman

von Victor Stamos

„Dann werden Sie auch verstehen“, sagte er, „warum ich Sie engagiert habe. Mit meinem Zwei-Finger-Such-System brauche ich für eine Seite zwei Wochen. In diesem Tempo wird der Roman in drei Jahren fertig sein.“

Sie begann mit der Kurzbeschreibung, ohne noch einmal aufzuschauen.

Romy hatte schon immer ein paar Pfund zu viel auf den Rippen und träumt solange sie denken kann von der perfekten Bikinifigur. Umso unfassbarer erscheint ihr ihr Glück, als sich ausgerechnet der gutaussehende Alexander trotz ihrer Kurven für sie interessiert.

Frisch verliebt verfällt sie ungeplant dem Klischee, gerade in der Anfangszeit ihrer Beziehung fast nur noch von Luft und Liebe zu leben. Die Zeit mit Alexander ist so aufregend und neu, dass die Pfunde praktisch von allein purzeln. Romy ist selig: Mit der Figur, die sie sich immer gewünscht hat und dem Mann ihrer Träume scheint ihr Leben perfekt. Doch ihr Glück gerät ins Wanken, als Alexander ihr gesteht, dass er sie mit ihrer neuen Figur sehr viel weniger attraktiv findet als vorher. Sein Geständnis erschüttert Romy umso mehr, als sie erkennt, dass er die Beziehung mit ihr ernsthaft in Frage stellt. Völlig überfordert steht sie vor der Entscheidung: Traummann oder Traumfigur?

„Romy“, murmelte Leonie, während sie vom Papier aufschaute. „Warum haben Sie mich nach meiner Meinung gefragt, was den Namen Ihrer Titelheldin betrifft, wenn Sie es eh schon wussten?“

„Na ja“, er lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Ich wollte, dass Sie mir unbefangen Ihre ehrliche Meinung sagen.“

„Verstehe.“

Sie senkte den Blick erneut und las weiter.

Ich lernte Alexander während eines Gesprächs über Hämorriden-Salbe kennen. Allein dieser Umstand hätte schon damals alle Alarmglocken bei mir schrillen lassen müssen. Hämorriden-Salbe ist einfach kein besonders vielversprechender Auftakt für eine Bekanntschaft, geschweige denn für eine Beziehung. Doch die einzige Sorge, die mich damals an einem Spätsommertag während meines Aufenthaltes in der stickigen Apotheke plagte, war der Gedanke, dass dieser gutaussehende Athlet hinter mir etwas von dem Anwendungsgebiet für die ominöse Medikamentenschachtel in der Hand der redseligen Apothekerin mitbekommen könnte. Generell sollten Worte wie Rektalsalbe und Analdehner in keinem Gespräch fallen, das in Hörweite des vermeintlichen Traummannes stattfindet. Mit jedem Wort, das sie in beinahe unverschämter Lautstärke über die Art und Dauer der Anwendung verlor, nahmen meine abwehrenden Handbewegungen zu, die sie von meiner Fähigkeit, einen Beipackzettel zu lesen, überzeugen sollten.

Doch Alexander, der damals noch namenlose Fremde mit dem dunklen Haar, den breiten Augenbrauen und den beinahe schwarzen Augen, ließ sich nichts anmerken. Kein verlegenes Lächeln, kein peinlich berührter Blick in die Seitenregale. Nur ein freundliches Augenblinzeln in meine Richtung, als befänden wir uns auf der Tanzfläche einer Singlebar.

Fünf Monate ist das mittlerweile her und noch immer spüre ich den ersten zaghaften Händedruck zwischen uns, schmecke noch immer unseren ersten gemeinsamen Milchkaffee, als hätten wir ihn erst gestern getrunken.

Während ich vor dem Spiegel stehe und mich in meinem neuen Etuikleid bewundere, kommen mir die fünf Monate jedoch wie eine Ewigkeit vor. Achtzehn Kilo trennen mich von dem Nachmittag in der stickigen Apotheke. Achtzehn Kilo, die aus einem unbeholfenen Pummelchen in Hemdbluse und Leinenhose eine selbstbewusste Frau in Tanktop und Hüftjeans gemacht haben. Achtzehn Kilo, die sogar die Tatsache erträglich machen würden, dass sich mein dreißigster Geburtstag in großen Schritten nähert.

Wenn … ja, wenn nicht die Sache mit Alexander wäre.

Ich lasse mich auf das Bett vor dem Spiegelschrank fallen.

Die Sache mit Alexander. Immer wieder kreisen meine Gedanken um ihn. Auch in diesem Moment, wo sie eigentlich bei dem Abendessen sein sollten, das die Firma anlässlich des erfolgreich absolvierten Jahresabschlusses veranstaltet.

Nie hätte ich mir träumen lassen, dass es jemals auch nur den Hauch eines Problems zwischen Alexander und mir geben könnte. So unglaublich die Tatsache war, dass sich jemand wie er für jemanden wie mich interessiert, so unglaublich ist nun die Vorstellung, dass das zwischen uns jemals vorbei sein könnte. Viel zu tief sind unsere Gefühle, viel zu eng die Bindung zwischen uns.

Dachte ich.

Nein, eigentlich WEISS ich es. Noch immer. Trotz allem.

Ich betrachte mich erneut im Spiegel. Meine braunen Augen scheinen durch den grauen Lidschatten regelrecht zu leuchten, während meine Strähnen in weichen Wellen auf die ärmellosen Schultern fallen. Die Idee, mich an einer Hochsteckfrisur zu versuchen, habe ich wieder verworfen, als ich festgestellt habe, wie gut das Rot meiner Haare zu dem neuen olivgrünen Kleid passt, das ich mir extra für das Essen gekauft habe.

Ein Kleid in Größe 38.

A-c-h-t-u-n-d-d-r-e-i-ß-i-g!

Warum nur kann ich mich gerade jetzt so gar nicht darüber freuen?

Ich schaue an mir herunter. Selbst im Sitzen bildet sich keine der unliebsamen Speckrollen, die ich bis vor wenigen Monaten noch unter weiten Shirts versteckt habe. Auch der BH, der sich in hauchdünnen Konturen unter dem Stoff meines Kleides abzeichnet, zerquetscht nichts. Kein unschönes Fettpolster, das durch zu enge BH-Träger in mehrere Fettinseln geteilt wird.

Alles sitzt. Alles hat Luft.

Nur mein Herz nicht.

Warum kann mein Leben nicht ein einziges Mal unkompliziert sein? Warum können die Dinge nicht einfach perfekt sein?

So wie Alexander.

Ja, er IST perfekt. In jeder Hinsicht.

Und genau deshalb wollte auch ich perfekt sein – für ihn. Umso enttäuschender ist nun die Erkenntnis, dass unsere Vorstellungen von Perfektion so weit auseinander driften wie die Hosenbeine meiner alten Jeans.

In dem Celebrity-Magazin, das auf meinem Küchentisch liegt, habe ich gelesen, dass Christina Aguilera dasselbe Problem hat wie ich. Nur umgekehrt. Sie war schlank, als sie ihren Freund kennenlernte und futtert sich nun ihm zuliebe kurvig. Denn auch er gehört zu den Männern, die auf vollschlanke Frauen stehen und – wie es so schön heißt – gerne was zum Anfassen haben. Aber woher will so ein Klatsch-und-Tratsch-Magazin überhaupt wissen, ob das stimmt? Vielleicht nutzt Christina ihren angeblich kurvengeilen Kerl auch nur als Alibi, um selbst ungehemmt schlemmen zu dürfen? Und selbst wenn es tatsächlich an ihm liegt, wie hilft mir das weiter? Das Problem mit einem Promi zu teilen, tröstet mich gerade herzlich wenig.

Mit der Hand auf dem Papier schaute sie auf.

„Was ist?“ Victor schaute sie fragend an.

„Ich weiß auch nicht.“ Leonie stieß unweigerlich einen tiefen Atemstoß aus. „Es ist nur gerade so, als hätte ich die Worte einer Frau gelesen.“

„Nun ja“, er zwinkerte ihr zu, „das stimmt ja irgendwie auch. Es sind Romys Worte. Aus ihrer Sicht wird die Geschichte erzählt.“

„Ja, schon. Aber Sie haben diese Geschichte geschrieben, oder?“

„Genau darum geht es doch beim Schreiben. Dass der Autor selbst zum Titelheld oder eben zur Titelheldin wird. Also, bin ich in diesem Fall eben Romy.“

Sie kam nicht umhin, beeindruckt zu sein.

Aber war es wirklich sein Talent, das sie beeindruckte? Oder lag es vielmehr an der faszinierenden Mischung aus Herzlichkeit und Coolness, die er ausstrahlte, dass sie derart positiv überrascht war?

Mit einem Räuspern las sie schließlich weiter.

Auf dem Lammfell vor dem Bett brummt mein Handy. Ich bücke mich, um es aufzuheben.

Maik.

„Hallo Lieblingscousinchen. Habe tonnenweise Pizza und Columbo-DVD’s hier. Interesse?“

Seine Nachricht erinnert mich an alte Zeiten. Zeiten, die längst vorbei sind und doch für einen Moment Wehmut in mir wach werden lassen.

Seufzend antworte ich ihm.

„Interesse schon, aber keine Zeit.“

„Alexander?“

„Nein, Abendessen mit den Kollegen.“

„Herrscht noch immer Eiszeit zwischen euch beiden?“

„Keine Eiszeit, Maik. Nur ein kleines Problem. Und auch das wird sich bald lösen.“

„Na dann. Melde dich, wenn du mal wieder Zeit für mich hast. Die dritte Absage in zwei Wochen. Mal schauen, ob ich dir das nächste Mal verzeihe. ;-)“

„Mal sehen. Vielleicht morgen.“

Ich lege das Handy zur Seite und schaue zum Radiowecker. 18 Uhr 43. Um sieben wird das Taxi vor der Tür stehen, um den dritten Abend in Folge einzuleiten, den ich ohne Alexander verbringe.

Ich rufe mir unser Gespräch in Erinnerung.

Es war nicht das erste Mal, dass er erwähnte, dass ich ihm bei unserer ersten Begegnung gerade wegen meiner Rundungen aufgefallen war und er sich nicht zuletzt deshalb in mich verliebt hatte, weil ich seiner Meinung nach als eine der wenigen Frauen dazu in der Lage war, das Leben voll und ganz zu genießen. Und Genuss – der Meinung ist zumindest er – fängt vor allem beim Essen an.

Bei diesem Gespräch war jedoch alles anders. Es war ein Streit. Unser erster richtiger, noch dazu eine Meinungsverschiedenheit, die plötzlich alles zwischen uns in Frage stellt.

Schon in den ersten Wochen unserer Beziehung hatte Alexander mich immer wieder dezent darauf hingewiesen, dass es wirklich nicht nötig wäre, dass ich weiter abnehme und ich ihm auch in Größe 44 gefallen würde. Und es war ja auch nicht so, dass ich das mit dem Abnehmen geplant hatte, ehrlich nicht. Zumindest nicht bewusst. Irgendwie waren die ersten Pfunde beinahe wie von selbst gepurzelt, weil ich jedes Mal vor Aufregung bis zu unseren Verabredungen am Abend kaum einen Bissen herunterbekam. Hinzu kamen die Besuche im Fitnessstudio, zu denen ich mich von meiner sportfanatischen Freundin Veronika überreden ließ, weil ich es nicht erwarten konnte, sie bei der Gelegenheit über meine gerade erst spruchreif gewordene Beziehung mit dem tollsten Mann aller Zeiten auf dem Laufenden zu halten.

Aber je mehr ich abnahm, desto öfter deutete Alexander an, dass er sein süßes Romy-Pummelchen vermissen würde.

Romy-Pummelchen. Allein bei diesem Kosenamen stellen sich mir noch heute die Nackenhaare hoch. Wer möchte schon Pummelchen genannt werden? Aus dem Mund des Traummannes ist das doch praktisch der Todesstoß.

Oder?

Warum nur hat er bei diesen Andeutungen immer wieder gelächelt? Wenn er nicht gelächelt hätte, hätte ich seine Worte vielleicht ernster genommen.

Andererseits war die Freude über jedes geschmolzene Kilo so groß, dass ich vermutlich ein Lächeln nicht von einem Stirnrunzeln hätte unterscheiden können.

Und jetzt? Drei Tage ist es inzwischen her, dass er mir gestanden hat, mich nicht mehr attraktiv zu finden.

Nicht nur nicht attraktiv, nein: unattraktiv. Das waren seine Worte. Vielmehr DAS Wort, das er mir an den Kopf knallte, während ich ihm freudestrahlend mein neues Kleid präsentierte.

Das erste Kleid in Größe 38.

Wie ein Brandzeichen sitzen seine Worte noch immer in meinem Kopf fest.

„Ich bin nach wie vor der Meinung, dass ich mein Leben mit dir verbringen möchte, Romy. Du bist witzig, klug und charmant. Du weißt, wie man das Leben genießt, sagst immer deine Meinung und hast nie verlernt zu träumen.“ Dann senkte er den Blick auf meine Taille, eine Körperzone, die bei unserer ersten Begegnung praktisch nicht vorhanden gewesen war. „Aber ich muss dir leider sagen, dass ich mich körperlich einfach nicht mehr von dir angezogen fühle. Du hast dich verändert und mittlerweile steht nicht mehr die attraktive Frau vor mir, die ich damals in der Apotheke kennengelernt habe.“

„Ich verstehe nicht, was du meinst, Alexander. Willst du mir ernsthaft sagen, dass ich zu dünn bin?“ Anfangs war es mir noch gelungen, meine Tränen zurückzuhalten. „Ich bin nicht Victoria Beckham. Ich trage einfach nur Größe 38. Damit würde ich bei manchen Schlankheitsfanatikern sogar noch als gut bestückt gelten.“

„Es ist mir egal, welche Kleidergröße auf deinem Etikett steht. Alles, was zählt, ist das, was ich sehe oder besser gesagt: das, was meine Hände fühlen. Und das hat schon vor einer Weile aufgehört, mich zu faszinieren. Du bist dürr geworden, Romy. Dürr und gewissermaßen ausdruckslos.“

Die Worte DÜRR und AUSDRUCKSLOS waren es dann, die das Fass zum Überlaufen brachten.

„Ausdruckslos? Was soll das heißen? Bist du der Meinung, dass ich mit meinen Pfunden auch meine Persönlichkeit verloren habe? Ich dachte, gerade meine inneren Werte waren es, die du immer so an mir geschätzt hast. Und was haben die mit meinen Pfunden zu tun?“

„Das stimmt ja auch. Aber ich habe immer gedacht, dass du eine von den Frauen bist, die mit sich und ihrem Aussehen im Reinen sind, egal was die gängigen Schönheitsideale sagen. Außerdem vermisse ich die Pölsterchen an den Hüften, das weiche Kinn. Das ganze Drumherum eben.“

„Das, was du weiches Kinn nennst, nennen andere Doppelkinn, Alexander.“ Ich wurde lauter. „Doppelkinn, verstehst du?“

„Und genau das war gewissermaßen das i-Tüpfelchen, als ich mich damals in dich verliebt habe. Ein Bonus sozusagen, als ich darüber nachdachte, ob das etwas werden könnte mit uns.“

„Ein Bonus für mein Doppelkinn?“

„Das war kein Doppelkinn, Romy. Das war ein weiches Kinn. Weich – so wie alles an dir.“

„Hör auf, es ständig WEICHES Kinn zu nennen!“

„Wie auch immer du es nennen willst, ich habe es geliebt. Aber seitdem du so abgenommen hast, bist du nicht mehr dieselbe. Auch der Sex ist …“

„Ist was?“

„Na ja, eben nicht mehr derselbe.“

Ich dachte an den Abend vor drei Wochen, als ich mich das erste Mal bei Tageslicht vor ihm ausgezogen hatte. Wie begehrenswert ich mich in seinen Armen gefühlt hatte und wie demütigend jetzt die Vorstellung war, dass er mich vermutlich schon damals als unattraktiv empfunden hatte.

„Ich kann nicht glauben, dass du diese Dinge sagst, Alexander. Ich dachte, du freust dich, dass ich jetzt auch optisch viel besser zu dir passe. Stattdessen wirfst du mir vor, dass ich nicht mehr die übergewichtige Frau von damals bin.“

„Was soll das heißen, dass du optisch besser zu mir passt? Nur weil ich schlank bin, bedeutet das doch noch lange nicht, dass ich dasselbe auch von meiner Partnerin erwarte.“

„Es geht doch gar nicht darum, ob jemand schlank ist oder nicht, sondern darum, ob man sich wohlfühlt. Und ich fühle mich wohl, Alexander. Zum ersten Mal überhaupt.“

„Es tut mir leid, Romy. Ich will dir nicht wehtun. Es ist einfach nur die Wahrheit. Und ich finde, wir sollten ehrlich zueinander sein.“

(Ich will dir nicht wehtun? Werden die Männer jemals begreifen, dass kein Satz mehr wehtut als „Ich will dir nicht wehtun?“)

„Und was soll das heißen?“, fragte ich. „Dass du dich nicht mehr von mir angezogen fühlst? Dass es vorbei ist, wenn ich nicht wieder zunehme?“

„Ich weiß nicht, was es heißt. Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Es geht mir auch gar nicht so sehr um die Konsequenzen, sondern einfach darum, dass du weißt, wie ich darüber denke.“

Das waren seine letzten Worte. Nicht weil er das Gespräch beendete, sondern weil ich nicht in der Lage war, ihm länger zuzuhören. In Tränen aufgelöst hatte ich seine Wohnung ohne ein weiteres Wort verlassen, um von da an jeden seiner Anrufe zu ignorieren.

Seitdem herrscht Funkstille. Nicht weil ich mich bewusst von ihm abschotte, sondern weil ich nicht den blassesten Schimmer habe, was ich sagen oder wie es weitergehen soll. Wie soll ich ihm jemals wieder nahe kommen, wenn ich bei jeder Berührung daran denke, dass er mich nicht mehr begehrenswert findet? Viel zu lange hatte es gedauert, bis ich mich an den Gedanken gewöhnt hatte, dass jemand wie er ernsthaftes Interesse an mir haben und mich auch körperlich anziehend finden könnte. Und jetzt? Jetzt ist all das sorgsam aufgebaute Selbstbewusstsein mit einem Schlag auf null.

Mein Handy blinkt. Ich erwarte eine weitere SMS von Maik, sehe aber schon beim ersten flüchtigen Blick aufs Display Alexanders Namen aufleuchten.

„Bitte melde dich, Romy. Was ich gesagt habe, muss doch nicht alles zwischen uns kaputt machen. Lass uns nochmal reden.“

Nochmal reden. Worüber? Über einen Fressorgien-Zeitplan, der innerhalb der nächsten Wochen mein Ursprungsgewicht wiederherstellt und mir somit einen Doppelkinnbonus bei ihm verschafft? Oder darüber, ob er mir vielleicht die Frage aller Fragen stellen wird, wenn ich mich auch optisch wieder in die Traumfrau verwandelt habe, die ich anscheinend nur mit dem nötigen Hüftgold bin?

Ich schalte das Handy aus, um der Versuchung einer unüberlegten Antwort zu widerstehen.

Heute genieße ich den Abend.

Und zwar in einem Kleid in Größe 38.

Erst jetzt gelang es ihr, wieder aufzuschauen.

„Da liegen aber noch ein paar Seiten.“ Er nickte zu den restlichen Blättern auf dem Tisch.

„Ich weiß, aber“, Leonie schluckte, „ich wollte das alles erst einmal auf mich wirken lassen.“

Ihre Worte schienen ihn zu irritieren. Waren das etwa wirklich Zweifel in seinem Blick? Unsicherheit?

„Gefällt Ihnen der Anfang nicht?“

„Doch, doch“, sie befeuchtete unbewusst ihre Lippen. „Ich bin nur … na ja … überrascht.“

„Überrascht?“

„Darüber, dass ein Mann ein Loblied über Frauen schreibt, die etwas mehr auf den Hüften haben als all die Magermodels. Das ist“, sie musste lächeln, „irgendwie rührend.“

„Rührend.“ Ein Stirnrunzeln legte sich auf sein markantes Gesicht. „Ich bin mir nicht sicher, ob das die Reaktion ist, die ich damit erreichen wollte.“

„Nein, nein. Verstehen Sie mich nicht falsch. Es gefällt mir, wirklich. Und ich sehe eine Menge Potenzial darin.“

„Sie klingen schon wie meine Lektorin.“

„Ist das schlecht?“

„Ganz im Gegenteil.“ Er umspielte sein Ohrläppchen mit den Fingern. Eine Geste, die sie irgendwie irritierte.

„Na dann.“ Sie griff nach den restlichen Seiten. „Dann ist es wohl das Beste, wenn ich weiterlese, oder? Damit wir endlich richtig anfangen können.“

Kapitel 3

Sie war gerührt von meinen Zeilen. GERÜHRT!

Und warum, verdammt nochmal, bin ich nicht in der Lage, ihr auf dieses Kompliment mit der Wahrheit zu antworten? Nämlich, dass dieses Lob wiederum MICH rührt?

Warum nur verfalle ich in ihrer Gegenwart immer wieder wie von selbst in den Arrogantes-Arschloch-Modus?

Selbstschutzmechanismus, hätte Antonia jetzt wieder gesagt. Aber was weiß sie schon von dem Mann, der ich heute bin?

Allerdings frage ich mich gerade selbst ein wenig, welcher Mann ich heute bin. Bin ich so überarbeitet, dass mich allein die Anwesenheit einer hübschen Frau aus dem Konzept bringt?

Trotzdem kann ich nicht anders, als immer wieder daran zu denken, wie gerührt sie vom Anfang des neuen Romans war.

Vielleicht versteht sie tatsächlich mehr von dem, was zwischen meinen Zeilen steht als die meisten anderen.

Victor

*

„Du bist gefeuert worden?“ Rosalies Hände lagen wie festgewachsen auf der Wäscheleine, während sie ihre Tochter fassungslos darüber hinweg anstarrte. „Und du kommst schon so früh am Tag her, um mir das zu sagen?“

„Mama, beruhige dich.“ Leonie fischte eine Socke aus dem Korb und schnappte sich eine Klammer aus dem Beutel, um ihrer Mutter zu helfen „Du hörst wieder mal nicht richtig zu. Ich bin entlassen worden, ja. Aber das ist Schnee von gestern, weil ich bereits einen neuen, viel aufregenderen Job bekommen habe, der viel besser als alles ist, was ich bisher gemacht habe.“

„Wie konnte das nur passieren?“ Rosalie ließ ihre Arme sinken, während sich eine Strähne aus ihrem aschblonden Zopf löste. „Dieser Herr Fentens war doch immer so zufrieden mit deiner Arbeit.“

„Das alles spielt aber nun mal keine Rolle, sobald es darum geht, die eigene Tochter in der Firma unterzubringen. Zumindest für Herrn Fentens.“

„Hast du dir irgendwelchen Blödsinn erlaubt? War dein Ausschnitt zu tief?“

„Mama! Kannst du mal bitte damit aufhören und anfangen, mir zuzuhören? Es ist alles okay! Ich arbeite jetzt für einen renommierten Autor. Und den ersten Arbeitstag habe ich bereits erfolgreich hinter mich gebracht.“

„Ach Kind. Warum kannst du nicht einmal zur Ruhe kommen?“ Rosalie ließ sich auf den Klapphocker neben dem Wäschekorb fallen und stützte ihre Hände auf die Knie, als müsste sie Luft holen, um das Gesagte zu verarbeiten.

Das war so typisch für Rosalie. Sie war einfach nicht in der Lage, Neuigkeiten aufzunehmen, egal wie gut sie auch waren, ohne dem Vergangenen hinterher zu trauern.

Leonie ließ den Blick durch den Garten des Hauses wandern, in dem sie aufgewachsen war. Alles schien unverändert. Die Obstbäume. Die Gartenmöbel, von denen langsam das Grün abblätterte. Der dunkle Jägerzaun am Ende der Obstwiese. Die beiden Eisenpfähle, zwischen denen die Wäscheleine spannte.

„Aber darauf hatte ich diesmal wirklich keinen Einfluss, Mama. Ich bin nun mal nicht von Beruf Tochter wie das junge Fräulein Fentens.“ Leonie setzte sich seufzend in die Hocke, um mit ihrer Mutter auf Augenhöhe zu sein. „Ich muss nun mal für mein eigenes Überleben kämpfen. Und dank Antons Hilfe habe ich eine bestimmte Zeitungsanzeige bereits einen Tag früher als alle anderen gesehen. Und was soll ich sagen? Es hat sofort Klick gemacht, als Victor und ich zusammengearbeitet haben.“ Sie hielt kurz inne. „Also nicht Klick im eigentlichen Sinne. Ich meine natürlich in Bezug auf die Arbeit. Wir haben bis Mitternacht zusammengesessen und seine Angestellte hatte sogar das Gästezimmer für mich hergerichtet, aber ich habe darauf bestanden, nach Hause zu fahren. Wenigstens am ersten Tag, das war mir dann doch etwas zu viel auf einmal.“

„Gästezimmer.“ Rosalie legte sich die Hand an die Stirn, als hätte sie gerade erfahren, dass Leonie nach Australien auswandern möchte. „Wieso Gästezimmer?“

Leonie musste lachen. „Ach Mama, mach dir doch nicht immer so viele Sorgen. Es ist alles in Ordnung. Glaube mir. Man weiß natürlich nie, wohin das alles noch führt und ob ich den Anforderungen gerecht werde, aber Victor und ich kommen ganz gut miteinander zurecht. Ich habe mich wacker geschlagen und er scheint sehr zufrieden mit mir zu sein.“

„Mit deiner Arbeit oder deinem Aussehen?“

„Dass du immer gleich so was denken musst.“

Seufzend richtete sich Rosalie wieder auf. „Eine Mutter wird sich ja wohl noch mal ihre Gedanken machen dürfen.“

„Solange es nicht zu viele Gedanken sind.“ Leonie erhob sich ebenfalls. „Ich hatte einfach gehofft, dass du dich für mich freuen würdest.“

Rosalie seufzte. „Tue ich ja.“

„Ach wirklich?“

Nun musste Rosalie endlich lächeln. „Natürlich Kind. Solange du glücklich bist, bin ich es auch.“

„Ich bin glücklich, Mama.“

„Na dann“, Rosalie zog ein Hemd aus dem Wäschekorb, „will ich mal hoffen, dass es auch so bleibt.“

*

Dann wollen wir mal hoffen, dass es so bleibt.

Warum nur war ihre Mutter ständig so pessimistisch? Konnte sie sich nicht einfach über den Erfolg ihrer eigenen Tochter freuen?

Leonie füllte ihre Kaffeetasse bereits zum vierten Mal an diesem Vormittag nach und setzte sich an den Küchentisch.

Victor hatte sie für diesen zweiten Arbeitstag erst gegen dreizehn Uhr zu sich bestellt. Schlafen Sie morgen ruhig etwas länger, das haben Sie sich verdient.

Dennoch fragte sie sich, womit sie sich das Ausschlafen wirklich verdient hatte. Alles, was sie getan hatten, war, die bisherigen Seiten, die er bereits selbst geschrieben hatte, zu lesen und auszuwerten, diktiert hatte er ihr noch keine einzige Zeile. Was, wenn seine Euphorie über ihren Arbeitsbeginn zu bröckeln begann, sobald er sie beim Tippen erlebte? Was, wenn sie in seinen Augen zu langsam war?

Nein, kein Zweifel. Sie war schnell, nicht nur beim Schreiben, sondern auch bei der Auffassungsgabe. Was sollte also schon schiefgehen?

Sie zog den Papierstapel zu sich heran, den er ihr mitgegeben hatte. Die letzten Seiten, die bisher vom Manuskript existierten, wollte sie noch einmal durchgehen, um den weiteren Verlauf der Handlung umso besser nachvollziehen zu können.

Oder übertrieb sie mit ihrem Eifer, ihrem Interesse?

Blödsinn. Sie nahm ihren Job ernst. Und dass ihre Begeisterung für seine Worte bereits derart pulsierte, war einfach ihrer Freude am neuen Job zuzuschreiben.

Die Intensität seines Blicks hatte sich bis zu diesem Vormittag am Leben gehalten. Noch immer spürte sie seine Nähe und das leichte Kribbeln in der Bauchgegend, das sie wahrgenommen hatte, wann immer er über einen ihrer Kommentare geschmunzelt hatte, egal, ob aus echter Erheiterung oder weil er sich gefreut hatte ihre Zustimmung zu finden.

Sie versuchte, ebendieses Kribbeln zu verdrängen und senkte den Blick erneut auf die Seiten, die vor ihr lagen.

„Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns tatsächlich dieses Wochenende sehen.“ Maik schiebt einen gigantischen Pizzateller samt Thunfischpizza auf den Wohnzimmertisch. „Dann scheint der Streit mit Alexander wohl doch etwas Ernstes zu sein, wenn du deinen Samstagabend lieber mit mir verbringst.“

„Können wir bitte aufhören, über Alexander zu reden?

---ENDE DER LESEPROBE---