Boxenstart. Roman - Kathryn Scanlan - E-Book

Boxenstart. Roman E-Book

Kathryn Scanlan

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Beschreibung

"Boxenstart" erzählt das faszinierende Leben von Sonia, einer Pferdetrainerin aus dem Mittleren Westen, die sich in der rauen Welt der amerikanischen Rennbahnen ihren Platz erobert. »Dieser Roman enthält alles: harte Arbeit, Gewalt, Leidenschaft und Freude. Scanlan schreibt über das gewöhnliche Leben auf außergewöhnliche Weise, indem sie es radikal verdichtet, so wie man Kohlenstoff zu Diamanten presst.« The New Yorker »Ein Highlight des Jahres.« The Guardian »In kurzen, eindrucksvollen Kapiteln taucht Boxenstart ein in die so fremde Welt des Galopprennsports, erzählt von Renntagen, an denen man um vier Uhr morgens aufsteht und um Mitternacht ins Bett geht, von Hufschlägen und Pferdebissen. Doch wie so oft lauert die eigentliche Gefahr bei den Menschen.« L’Humanité Lebendig, pointiert und voller Integrität fängt Kathryn Scanlan das Leben einer Frau auf der Rennbahn ein: das flache Land, die baufälligen Stallanlagen, die miesen Erlebnisse und Reibereien; aber auch das Siegerpodest und die Rennbahnbar, die schicken Anzüge, die Lebenskünstler – und die ganz besondere Sprache der »Stallburschen, Pferdepfleger, Jockeys, Trainer, Stewards, Arbeitsreiter, Pferdeführer – allen«. Die Pferdetrainerin Sonia gibt es wirklich. Scanlan hat viele Gespräche mit ihr geführt und aus den Aufzeichnungen dieser Gespräche einen reduzierten, tief bewegenden Roman geformt. Damit ist "Boxenstart" gleichzeitig auch eine intensive Reflexion über Form und Authentizität, oder wie Scanlan sagt: »Ich wollte Sonias eigenwillige Sprache, ihre Unverblümtheit und ihre Begabung als Geschichtenerzählerin bewahren – aber auch verstärken und zuspitzen. Dabei ist etwas entstanden, das man als das collagierte Porträt eines Selbst bezeichnen könnte.« »Eine bewegende Darstellung dessen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. So rasant wie ein Vollblutpferd.« Le Temps »Kathryn Scanlan ist durch ihre Kunst der Kürze zu einer der interessantesten Stimmen der amerikanischen Literatur geworden.« Les Inrocks Ausgezeichnet mit dem Gordon Burn Prize für innovative Literatur

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Seitenzahl: 106

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Impressum

eBook-Ausgabe: © CulturBooks Verlag 2024

Gärtnerstr. 122, 20253 Hamburg

Tel. +4940 31108081, [email protected]

www.culturbooks.de

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 by Kathryn Scanlan

Titel der Originalausgabe:

Kick the Latch

Übersetzung: Jan Karsten

Redaktion: Zoë Beck

Alle Rechte vorbehalten

Korrektorat: Johanna Seyfried

Covergestaltung: Cordula Schmidt Design, Hamburg

eBook-Herstellung: CulturBooks

Erscheinungsdatum: September 2024

ISBN 978-3-95988-257-6

Über das Buch

Boxenstart erzählt das faszinierende Leben von Sonia, einer Pferdetrainerin aus dem Mittleren Westen, die sich in der rauen Welt der amerikanischen Rennbahnen ihren Platz erobert.

»Dieser Roman enthält alles: harte Arbeit, Gewalt, Leidenschaft und Freude. Scanlan schreibt über das gewöhnliche Leben auf außergewöhnliche Weise, indem sie es radikal verdichtet, so wie man Kohlenstoff zu Diamanten presst.« The New Yorker

»Ein Highlight des Jahres.« The Guardian

»In kurzen, eindrucksvollen Kapiteln taucht Boxenstart ein in die so fremde Welt des Galopprennsports, erzählt von Renntagen, an denen man um vier Uhr morgens aufsteht und um Mitternacht ins Bett geht, von Hufschlägen und Pferdebissen. Doch wie so oft lauert die eigentliche Gefahr bei den Menschen.« L’Humanité

Über die Autorin

Kathryn Scanlan ist die Autorin von zwei Romanen und einer Kurzgeschichtensammlung. Ihre Arbeiten sind unter anderem in NOON, Granta, Fence und The Paris Review

Kathryn Scanlan

Boxenstart

Roman

Eingegipst

Ich wurde am 1. Oktober 1962 geboren. Ich wurde in Dixon City, Iowa, geboren. Ich wurde mit einer ausgerenkten Hüfte geboren. Der Arzt meinte, ich würde niemals laufen können. Meine Mutter sagte: Nein, da muss es doch etwas geben. Also wurde ich von der Brust an abwärts eingegipst, bis auf eine kleine Stelle, an der meine Mutter eine Windel anlegen konnte. Ich war fünf Monate da drin. Dann bekam ich einen Gips an jedes Bein, mit einer Stange dazwischen, dazu diese speziellen Schuhe. Am Ende konnte ich laufen. Das hab ich Dr. Johnson zu verdanken. Meine Mutter sagte immer: Wenn Dr. Johnson nicht gewesen wäre.

Der alte Mann

Die Gegend, in der wir lebten, war arm, aber wir hatten alles, was wir brauchten, um uns die Zeit zu vertreiben. Wir hatten die Goldfischteiche, wir hatten den Motorradberg, wir hatten die Mülldeponie, wir hatten Fahrrad-Jenny. Wir bauten uns Flöße für den kleinen Fluss. Wir lebten mit dem, was das Land uns gab.

Weiter die Straße runter wohnte eine Familie, die aus dem Reservat hergezogen war – Großvater, Kinder, Enkelkinder.

Die Enkelkinder waren in unserem Alter, und wir verbrachten viel Zeit mit ihnen. Der Großvater erzählte mir gern von seiner Religion, seinem Glauben. Ich liebte seine Geschichten und Erzählungen. Ich nannte ihn Großpapa.

Der alte Mann – er war sehr beliebt, aber er trank gern. Seine Tochter und ihr Ehemann sperrten ihn aus dem Haus aus, wenn er betrunken war. Ich sagte dann: Großpapa kann bei uns bleiben, ich schlafe im Zimmer meiner Schwester, damit er meins haben kann. Also übernachtete der alte Mann in meinem Zimmer und ging nach Hause, wenn er wieder nüchtern war.

Seine Tochter und ihr Ehemann mochten es nicht, dass Großpapa trank, aber sie tranken auch. Sie tranken und gingen aufeinander los, und ihre Kinder kamen rüber zu uns, und wir riefen die Polizei. Wir sahen vom Schlafzimmerfenster aus zu, wie die Polizei vorfuhr und sie in Handschellen abführte. Einmal wurde der Ehemann mit Stichverletzungen auf einer Trage abtransportiert.

Es war nicht seine Schuld

Als ich sechs war, bekamen wir einen großen Hund, aber der Hund sprang ständig an mir hoch und riss mir im Vorgarten die Hose runter. Es war nicht seine Schuld – er war nicht kastriert, und ich hatte die richtige Größe.

Nach einer Woche brachte meine Mutter den Hund zu dem Mann zurück, der ihn uns geschenkt hatte. Ich weinte wie verrückt, als ich nach Hause kam, und der Hund war weg.

Dann kannte mein Onkel einen Mann, der ein Shetlandpony loswerden wollte, aber es war ein Hengst. Mein Onkel lieh sich trotzdem einen Anhänger und brachte das Pony zu uns nach Hause. Wir wohnten zur Miete in einem billigen Haus mit einem klapprigen, kleinen, weißen Lattenzaun. Wir banden das Pony an einen Betonklotz im Vorgarten, wo es viel Gras zu fressen gab.

Eines Tages kamen ein paar Mädchen auf ihren Stuten vorbeigeritten, und der Ponyhengst brüllte seinen Paarungswillen heraus. Ich griff mir sein Halfter, aber er trat mich gegen die Hauswand. Meine Mutter hielt den Betonklotz fest, um ihn aufzuhalten, aber stattdessen wurde sie von ihm die Straße entlanggeschleift – es war wie Skilaufen auf dem Asphalt. Schließlich hielt ein Autofahrer an, um zu helfen, und gemeinsam zogen sie das Pony nach Hause. Meine Mutter hatte Schürfwunden und Beulen und am ganzen Körper Blutergüsse.

Direkt danach war das Pony weg.

Milk Bones

Regina, das Nachbarsmädchen, war so alt wie ich – wir ernährten uns von Hundekeksen, Milk Bones. Wir aßen Brotscheiben direkt aus der Tüte.

Als ich mich eines Morgens für die Schule fertig machte, war niemand da. Ich malte mir den roten Lippenstift meiner Mutter auf und zog ihre Kleider und hochhackigen Schuhe an.

In der ersten Klasse drückten mich acht Mädchen gegen meinen Spind und riefen: Haut sie, haut sie! Ich wollte mich nicht prügeln, aber als eine von ihnen auf mich losging, kickte ich meine High Heels weg und zeigte es ihr.

Sie brachten uns ins Büro des Schulleiters, und später kam meine Mutter dazu. Das Mädchen hatte Kratzer im Gesicht und ein blaues Auge. Ich dachte, sie würden mich ins Gefängnis stecken. Meine Mutter fragte: Sind das meine Schuhe?

Fahrrad-Jenny

Bevor ihr Mann starb und das Haus abbrannte, arbeitete Fahrrad-Jenny bei Crockers, dem Schlachthof. Von ihrem Haus war nur noch ein verbranntes Betonloch im Boden übrig. Darin lebte sie.

Sie fuhr ein Fahrrad mit einem kleinen Karren dran, auf dem sie säckeweise Haferflocken aus der Stadt herbeischaffte. Auf dem Rückweg machte sie oft bei uns halt, weil wir viel Löwenzahn im Garten hatten. Den pflückte sie und kochte ihn dann.

Sie trug Männerhemden, knallroten Lippenstift, knallrotes Rouge. Ihr Gesicht war von Wind und Wetter gezeichnet. Sie war nicht besonders groß, aber ziemlich stämmig. Im Sommer trug sie ein Kopftuch und im Winter Wollmützen, eine Kapuze, mehrere Schichten übereinander, große Herrenmäntel und warme Herrenstiefel.

Sie war eine großartige Gärtnerin. Dr. Cheltington und einige andere aus den reicheren Vierteln heuerten sie für die Gartenarbeit an. Sie konnte alles zum Wachsen bringen; diese Gärten waren nur wegen ihr so prachtvoll.

Wenn sie zu einem nach Hause kam, konnte man sie noch am nächsten Tag riechen. Bei warmem Wetter badete sie in den Bächen oder Seen, aber im Winter stank sie gewaltig. Für die meisten Jungs im Viertel war Fahrrad-Jenny, die ein Bad in einem Goldfischteich nahm, die erste nackte Frau, die sie zu Gesicht bekamen.

Sie hatte wahnsinnig viele Hunde – kläffende kleine Chihuahuas – und einen Maschendrahtzaun, damit sie nicht wegrannten. Ich spreche von sechzig, siebzig Chihuahuas, ohne Übertreibung. Sie selbst sagte immer, sie hätte hundert.

Wenn sie in die Stadt gegangen war, liefen wir rüber. Wir bahnten uns unseren Weg über den Zaun und durch die Hunde und sahen uns um. Von den Bäumen hingen mit Wäscheklammern befestigte Kabel herab. Unten in ihrem Loch im Boden standen eine altmodische Badewanne und ein kleiner gusseiserner Campingkocher. Dort waren Reagenzgläser mit Gummistöpseln, kleine blaue Fläschchen, Gläser mit Gelee, das sie aus den Himbeeren in ihrem Garten gekocht hatte. Es gab auch ein paar leuchtend rote Beeren. Jemand meinte, die seien wahrscheinlich giftig.

Fahrrad-Jenny hatte die Erlaubnis, zu uns ins Haus zu kommen und sich Wasser zu holen, wann immer sie es brauchte. Sie füllte ihre Milchkannen in unserem Waschbecken und transportierte sie in ihrem Anhänger ab. Wenn es schneite, benutzte sie einen Schlitten.

Wenn unsere Eltern zu Hause waren, hatten wir keine Angst vor ihr, aber wenn wir allein waren und sie auftauchte, dann schon. Sobald meine Schwester und ich sie kommen sahen, versteckten wir uns unter dem Bett. Wir lauschten und warteten darauf, dass die Haustür aufging.

Während sie am Waschbecken das Wasser abfüllte, führte sie Selbstgespräche. Ihre Stimme war ganz hoch und brüchig, so unheimlich wie die einer Hexe. Sie trug ihre großen Männerarbeitshandschuhe, einen Hut und noch einen Hut, und normalerweise steckten auch immer ein paar Chihuahuas in ihrem Mantel.

Fahrrad-Jenny sagte oft: Schaut mal, was ich hier habe, und dann zog sie sie aus ihren Taschen. Sie hielt die Welpen in Erdbeerkörbchen.

Eines Sommers lief uns eine streunende Katze zu und bekam Babys. Da war so ein kränkelndes kleines orangenfarbenes Kätzchen dabei, dessen Kopf ständig von einer Seite zur anderen kippte. Als es knapp weg von der Brust war, zeigte ich es Fahrrad-Jenny und sagte: Guck mal, mein kleines Kätzchen, mit seinem Kopf stimmt was nicht. Sie antwortete: Gib mal her, mal sehen, was ich tun kann.

Ich dachte: Dieses Kätzchen werden wir nie wiedersehen. Irgendwann vergas ich es fast. Ich glaube, da waren noch andere Kätzchen. Ich erinnere mich nicht daran, mir Gedanken oder Sorgen gemacht zu haben.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging – vielleicht ein paar Wochen. Aber dann, ich lag gerade in der Hängematte, erschien Fahrrad-Jenny und sagte: Hier ist jemand, der dich sehen will. Ich weiß nicht, was sie gemacht hat, und ich weiß nicht, wie sie ihre kleinen Hunde davon abgehalten hat, sie zu töten, aber der Katze ging es gut, und sie konnte den Kopf aufrecht halten. Ausgetauscht hatte sie das Kätzchen nicht – es war orange und hatte drei auffällige weiße Flecken. Keine zwei Katzen haben die gleiche Zeichnung.

Ein paar Monate später harkten meine Schwester und ich mit unserer Mutter Laub, als ein Krankenwagen vorbeifuhr und kurz darauf Polizeiautos. In unserer Straße gab es nicht viel Verkehr, und wir waren neugierig – wir liefen rüber. Wir hörten Geschrei und Weinen und Hundegebell. Da waren ganz schön viele Rettungskräfte. Sie sagten, sie kümmert sich nicht um sich selbst. Sie sagten, so können Menschen nicht leben. Es waren mehrere große Männer nötig, um sie in den Krankenwagen zu kriegen. Die Hunde rannten überall herum und wurden mit langstieligen Netzen eingefangen. Wir schrien und weinten auch.

Sie brachten sie in ein Heim in Comstock, Iowa. Ich wollte immer hinfahren und sie besuchen. Sie lebte noch lange in diesem Heim, sie war fast hundert, als sie starb. Ich habe immer noch den Zeitungsausschnitt mit ihrer Todesanzeige. Meine Mutter hat ihn in einem Album aufbewahrt. Ihr Name war Marla Weaver. Sie stammte ursprünglich aus Chesterfield, glaub ich.

Unten in dem Loch im Boden lagen stapelweise Decken und Schlafsäcke für Fahrrad-Jenny. Aber die Hunde – Chihuahuas sind winzige Dinger mit ganz dünnem Fell – wieso sind die im Winter nicht erfroren? Als Kind kam mir so was nicht in den Sinn, aber jetzt denke ich darüber nach – wie haben diese Hunde überlebt?

Würde mir das jemand erzählen, ich würde ganz sicher sagen: Du bist völlig verrückt. Chihuahuas? In einem Loch? Im Winter, in einer Badewanne? In Iowa?

Jockey

In der Schule fragten ständig alle, was wir werden wollten, wenn wir groß sind. Ich sagte, ich will Jockey werden und Rennpferde reiten. Die Lehrer waren besorgt. Aber Jockeys sind klein, und ich würde einmal recht groß werden. Man riet mir: Leg dir Bücher auf den Kopf, dann hörst du auf zu wachsen. Also lief ich mit Büchern auf dem Kopf herum. Ich nahm die schwersten, die ich finden konnte.

An den Wochenenden gingen meine Eltern mit uns auf die Rennbahn in Jackson. Mein Vater ging zum Wetten rein, und meine Mutter wartete draußen mit mir und meiner Schwester. Wir lehnten an den Rails und sahen uns die Rennen an.

Es gab nichts anderes

Was wünschst du dir zu Weihnachten, was wünschst du dir zum Geburtstag, was wünschst du dir als Belohnung?

Ein Pferd!

Wir durften es nicht und hatten auch kein Geld, aber meine Schwester und ich fuhren mit den Rädern zu allen Häusern in der Nachbarschaft und fragten: Haben Sie Pferde zu verkaufen, oder: Kennen Sie einen Ort, an dem wir Pferde halten können, oder: Kennen Sie jemanden, der ein Pferd zu verkaufen hat, und wenn ja, für wie viel?

Keith Baxter besaß einen Stall in Dixon City, da konnte man ein Pferd stundenweise mieten. Als meine Mutter mit mir zum ersten Mal hinging, setzte mich Baxter auf ein riesiges Pferd namens Joe. Ich sagte: Ich will lieber auf dem da reiten, und zeigte auf ein kleines Pferd, das ganz allein auf der Koppel stand. Baxter antwortete: Wenn du Joe nicht reiten kannst, kannst du Rowdy erst recht nicht reiten.

Bämm!