Bratpfannensurfer - Peter Fellner - E-Book

Bratpfannensurfer E-Book

Peter Fellner

4,8

Beschreibung

Michael ist ein Glückspilz! Er zieht mit seiner Familie nach Kapstadt. Sonne, Berge, Meer - das Paradies auf Erden. Vor allem, wenn man nicht arbeiten muss. Denn das Geld verdient seine Frau! Aber Michaels Leben als Hausfrau ist ganz schön stressig. Außerdem hat Sandra nur noch Zeit für ihren Job, und die Kinder werden von Tag zu Tag anstrengender. Wie soll man denn da das Leben genießen und ein richtiger Surfer werden? Eines Tages lernt Michael Sandras Chef kennen und ihm kommt ein schrecklicher Verdacht. Jetzt braucht er einen Plan. Urkomisch. Absurd. Zum Heulen. Wie das wahre Leben! Südafrika zum Anfassen! Bratpfannensurfer ist ein Roman für Männer und Frauen über die Suche nach dem Glück, das Streben nach Freiheit, den Fluch und Segen der Familie. Und über das Leben am schönsten Kap der Welt.

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Für Nicole und meine drei Sonnenscheine

Inhalt

Glückspilz

Kartoffelsalat

Chicco

Conni

Larry

Koala

Harry

Robben

Noch mal Robben

Schlaraffenland

Obz

Ulla

Zwei Briefe

Wipeout

Berg

Fahnenschwenker

Jolly Roger

Mount Nelson

Paradiso

Kunstliebhaber

Die Maynardville Pirates

Bunny Chow

Finale

1. Glückspilz

Sie ist heiß, richtig heiß! Ich packe sie an den Hüften und drehe sie um, bis sie die Falttür im Gesicht hat. Sie reißt sich das Häubchen vom Kopf und wirft mir ihre lange, blonde Mähne entgegen. Eine wilde Löwin! Ich verbeiße mich in ihrem Ohrläppchen und knöpfe ihr die Uniform auf. Ihr Atem wird schneller und sie presst ihren festen Hintern an den heißen Klumpen in meiner Hose. Natürlich hat sie keinen BH an und auch sonst nichts drunter, dieses Luder! Ich umfasse ihre großen, schweren Brüste und fange an zu kneten.

„Oh ja!“, stöhnt sie auf.

Nein… doch lieber kleine Brüste, klein und fest.

Aber auch nicht zu klein. Mittelgroß, so eine gute Hand voll.

Ja genau!

Ich knete ihre mittelgroßen Brüste und sie stöhnt auf.

„Oh ja, Michael, das ist sooo gut!“ Ihre Hände wandern nach hinten und suchen nach meinem Gürtel. Oh yes, Baby, jetzt geht´s los! Mach ihn auf!

„Sir?“

Wieso fängt sie an zu reden?

„Sir?“

Was hat sie für eine schreckliche Stimme?

„Excuse me, Sir?“

Mann, was soll der Scheiß!

Wütend riss ich meine Augen auf und blickte in einen faltigen, BH-losen Ausschnitt. Schnell kniff ich die Augen wieder zu. Wer war das denn? Wieso war sie so runzelig? Und, verdammt noch mal, warum fummelte sie zwischen meinen Beinen herum?

Hilfe, ich wurde hier gerade sexuell belästigt!

„You must fasten your seatbelt. We are flying into turbulence.“

Ich hörte ein metallisches Klicken in meinem Schoß und öffnete vorsichtig die Augen. Sie war eine Reihe weitergegangen! Gott sei Dank!

Das mit der Blondine funktionierte auch nicht. Was konnte ich denn sonst noch versuchen? Ich musste unbedingt schlafen!

Ich warf einen Blick auf den kleinen Bildschirm vor mir: Zentralafrikanische Republik, hatte ich noch nie gehört! Noch vier Stunden und achtundvierzig Minuten bis zur Landung! Das war doch Zeit genug für eine ordentliche Mütze Schlaf. Entschlossen machte ich meine Augen zu und suchte nach einer bequemen Position. Aber Jonas lag mit seinem Kopf auf meinen Beinen und Sandra lehnte an meiner rechten Schulter. Sie schnarchte mir leise ins Ohr. Ich brauchte mehr Platz!

Plötzlich sackte mein Magen einen halben Meter unter den Sitz und knallte mir kurz darauf mit voller Wucht gegen den Kehlkopf. Dann kam schon das nächste Luftloch, dieses Mal noch heftiger. Ich hörte ein Poltern. Warum lag Jonas plötzlich auf dem Boden? Wieso hatte ihn eigentlich niemand angeschnallt? Aber er schlummerte seelenruhig weiter, mit meinen Turnschuhen als Kopfkissen. Hoffentlich überlebte er das!

„Was´n los?“ Sandra wischte sich über den Mund und starrte mich mit glasigem Blick an.

„Sind wir schon da?“

„Ne, noch lange nicht. Kannst weiter schlafen.“

Wupp! Schon wieder so ein Loch. Langsam machte sich Unruhe in der Kabine breit und ein rotes Licht nach dem anderen leuchtete über den Sitzen auf. Die Stewardessen eilten durch die Gänge wie aufgescheuchte Hühner und gaben ihr Bestes, die Fluggäste wieder zu beruhigen. Wupp! Noch eins. Von mir aus konnte es wieder aufhören. Ich hatte jetzt Platz. Außerdem musste ich langsam aufs Klo.

Als ich zehn Minuten später zu meinen Sitz zurückkehrte, schlief Sandra schon wieder tief und fest, mit der zusammengerollten Hannah als Kopfkissen. Jonas hatte sich seine Decke vom Sitz gezogen und schlummerte weiter auf dem Boden selig vor sich hin. Ich hatte zwei Sitze für mich allein.

Ich pustete mein Bananenkissen auf und zog mir die Schlafmaske über die Augen. Dann machte ich es mir richtig gemütlich und konzentrierte mich aufs Einschlafen. Wenn man an gar nichts dachte, kam der Schlaf von ganz allein.

„Du bist ein leerer Raum“, sagte ich mir vor. „In dir ist nichts als Leere. Und diese Leere ist Nichts. Du bist dieses Nichts!“

Verflixt! In meinem Gehirn ging es zu wie beim Aldi vor Weihnachten. Die Ereignisse der letzten Wochen liefen in meinem Kopf Amok: Der tägliche Gang zum Briefkasten, ob die Visa endlich da waren. Mein heißgeliebter Saab 9000. Fünfhundert schlappe Euro für zwölf Jahre Familiengeschichte! Und dann das Kistenpacken. Den kompletten Hausstand auf Kartons, Taschen und den Müllcontainer verteilen. Drei Wochen lang, jeden Abend bis zum Umfallen. Und dann, als wir nur noch auf dem Zahnfleisch daherkamen, ging es ans Putzen, und zwar pikobello, mit Fenstern, Duschabtrennung und allem anderen, wenn wir irgendetwas von unserer Kaution wiederhaben wollten. Das war gerade mal zwei Tage her. Aber der Albtraum ging weiter, denn dann kam Heiligabend bei den Schwiegereltern. Rita hatte den ganzen Abend durchgeheult und Kurt sich in seinem Sessel vergraben und geschmollt. Zum Glück gabs eine große Feuerzangenbowle mit viel Rum. Aber auch das Kapitel lag jetzt hinter uns.

„Lieber Gott, bitte schenke mir ein bisschen Schlaf!“ Hoffentlich war unser Gepäck da. Und das Mietauto. Beim Gedanken an die Autofahrt zu unserem Haus wurde mir schlecht. Eine fremde Stadt, und dann auch noch Linksverkehr! Bitte, nur eine halbe Stunde. Komm jetzt, tief einatmen, langsam ausatmen, ganz ruhig werden… alles wird gut!

„Papa, magst du meine Wurst? Die schaut komisch aus!“, hörte ich Jonas neben mir.

„Hm?“ Ich öffnete meine Augen und brauchte einen Moment, bis ich wusste, wo ich war.

„Aufwachen, du Schlafmütze! Es gibt Frühstück. Und einen super Film!“ Er starrte kauend auf seinen Bildschirm, wo Tom gerade hinter Jerry herjagte und ihn mit einer Bratpfanne in den Boden meißelte. Bildungsfernsehen zum Frühstück! Na bravo!

Da spürte ich einen warmen, weichen Kuss auf meiner Backe.

„Guten Morgen, Schatz! Magst du Kaffee und Rührei mit Speck?“ Tatsächlich standen auf dem kleinen Klapptisch vor mir eine dampfende Plastiktasse und eine Aluschüssel. Es duftete köstlich.

„Wow! Das riecht aber gut!“ Vorsichtig lupfte ich den Deckel.

„Und mit Bohnen, saugeil!“

„Na, da bin ich ja froh, dass ich das Richtige für dich ausgesucht hab“, sagte Sandra und zog eine Augenbraue hoch. Was würde ich nur ohne sie tun?

„Äh, Jonas, warum liegt deine Wurst auf meinem Bein?“ Mit spitzen Fingern fischte ich das lauwarme Würstchen von meinem Oberschenkel.

„Mann, schau dir mal den Fleck auf meiner Hose an!“

„Wieso? Du hast doch gesagt, du wolltest sie haben“, murmelte er und starrte weiter auf den Bildschirm.

Unter anderen Umständen wäre ich jetzt ausgeflippt. Aber nicht heute, denn schließlich gab es was zu feiern: Erstens hatte ich tatsächlich geschlafen und fühlte mich so fit wie schon seit Tagen nicht mehr. Und zweitens waren wir fast da. Ich konnte es kaum glauben.

„Nicht mal mehr eine Stunde, und dann geht unser neues Leben los“, sagte ich feierlich. „Wahnsinn, oder?“

Sandra stellte ihren Kaffee aufs Tablett und nickte nachdenklich. Dann legte sie ihren Kopf auf meine Schulter. Was war los mit ihr?

„Glaubst du, wir kriegen das alles hin?“ Ich streichelte sie am Ohr und bemerkte, dass sie ihre neuen Ohrringe schon wieder herausgenommen hatte. Vielleicht gefielen sie ihr nicht.

„Na klar. Was denkst denn du? Wir haben doch bisher alles geschafft.“

„Schon, aber das ist noch mal was anderes. Ich hab Angst, vielleicht ist das eine Nummer zu groß für mich. Sollen wir einfach sitzen bleiben und wieder nach Hause fliegen?“

„Jetzt komm!“ Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Ich unterstütze dich, wo es nur geht. Und um Hannah und Jonas musst du dir keine Sorgen machen. Die hab ich im Griff!“

Aber vielleicht hätten wir wirklich lieber sitzen bleiben und zurückfliegen sollen.

„Ladies and gentlemen, this is the captain speaking. We are starting our descent. Please fasten your seatbelts and turn your seats in an upright position.”

Neben Sandra wurde Hannah wach und rieb sich die Augen.

„Guten Morgen, Schatz. Wir sind gleich da.“

„Echt. Jetzt schon?“ Sie setzte sich auf und sah aus dem Fenster.

Auf einmal legte sich das Flugzeug auf die Seite und beschrieb eine langgezogene Linkskurve. Als es wieder geradeaus flog, erschien auf Hannahs Seite das Meer und glitzerte golden in der Morgensonne. Wir drängten uns zusammen, starrten gemeinsam hinaus und ließen uns von dem magischen Anblick verzaubern. Dann neigten wir uns noch einmal kurz nach links und plötzlich stand direkt vor uns das Wahrzeichen Kapstadts, der Tafelberg in seiner ganzen Pracht. Er leuchtete orange im Morgenlicht und war auf einer Seite mit einer dünnen Wolkenschicht bedeckt, die wie ein Wasserfall an ihm herunterlief.

„Wahnsinn!“ Mein Herz setzte für einen Moment aus und mir stiegen Tränen in die Augen.

Wir waren tatsächlich da. Am Ort meiner Träume. Und hier durften wir zwei Jahre bleiben: am schönsten Kap der Welt. Wir Glückspilze!

2. Kartoffelsalat

Es war sauheiß. Die Sonne stand gleißend am Himmel und brannte mir ein Loch in die Kopfhaut. Ohne Mütze hielt ich das nicht lang aus. Ich machte mir im Geiste eine Notiz für unseren nächsten Einkauf: Sonnenschirm kaufen, mit Ständer. Die Luft stand und der Schweiß brannte mir in den Augen. Welcome to South Africa!

Hatte ich auch wirklich alles? Zwei Säcke Kameldornholz, einen Doppelpack Grillanzünder, einen noch jungfräulichen, zusammen-klappbaren Grillrost mit einem halben Quadratmeter Auflagefläche - Braai-Grid hießen die Dinger hier. Und natürlich mein Baby. Ehrfürchtig nahm ich die Grillzange aus glänzendem Edelstahl in die Hand und schaltete den eingebauten LED-Strahler ein. Alles Roger in Kambodscha. Von mir aus konnte es losgehen.

Und zwar mit Holz. Kohle und Briketts waren Kinderkram für Anfänger. Es dauerte zwar länger, bis das Holz richtig durchgeglüht war, aber wer Qualität wollte, konnte auch ein bisschen warten. Und Bill und Hazel, unsere Nachbarn, kamen erst um halb sechs. Zwei Stunden waren mehr als genügend Zeit.

„Hannah, kannst du mal in die Küche gehen und die Streichhölzer holen?“

„Warum eigentlich immer ich?“ Aber sie setzte sich trotzdem in Bewegung.

„Sie sind in der obersten Schublade!“

Vier Tage waren seit unserer Ankunft vergangen und bisher hatte alles gut geklappt. Gepäck und Mietauto waren da gewesen und die Fahrt hatten wir auch überlebt. Aber nur gerade so. Da der Container mit unseren Möbeln erst in drei oder vier Wochen ankam, hatte uns Paul, unser Vermieter, einen kleinen Tisch mit vier Stühlen und zwei aufblasbare Matratzen zur Verfügung gestellt. Außerdem waren die Küchenschränke voll mit den alten Töpfen, Tellern und Schüsseln unserer Vormieterin. Sie war vor über einem Jahr unter mysteriösen Umständen verschwunden und niemand wusste, wo sie steckte.

Auf der Terrasse stand ein schwerer Steintisch mit zwei Bänken. Und gleich daneben die gemauerte Grillstelle, das Juwel des Gartens. Heute durfte ich sie endlich einweihen.

Im Grunde genommen war das Leben in Kapstadt gar nicht so viel anders als in Deutschland: Wir hatten Strom und fließendes Wasser, sogar heißes. Vorne, an der Ecke gab es einen Supermarkt mit allem, was wir brauchten. Daneben reihten sich die Geschäfte, Banken, Apotheken und Fastfood-Restaurants aneinander. Und zur großen Enttäuschung der Kinder gab es weit und breit weder Löwen noch Elefanten.

Eindeutig gewöhnungsbedürftig war allerdings die Alarmanlage. So gewöhnungsbedürftig, dass ich in unserer ersten Nacht beinahe vor Angst gestorben wäre. Nach den Strapazen des Flugs und der Autofahrt schlief ich tief und fest auf der frisch aufgeblasenen Matratze, als mich ein ohrenbetäubendes Heulen aus den Träumen riss. Mit trommelndem Herzen saß ich aufrecht im Bett. Was war das?

Dann dämmerte es mir: Die Alarmanlage! Einbrecher! Ich sprang auf und rannte in die Küche. Ich brauchte eine Waffe! Ich riss die Schublade auf und suchte nach irgendwas, womit ich mich verteidigen konnte: Kochlöffel, Gurkenschäler, Schneebesen. Alles Quatsch! Der Alarm jaulte weiter und ich hörte ein Geräusch im Schlafzimmer. Endlich hatte ich was Vernünftiges: Hannahs Kindermesser - das mit Pumuckl drauf. Besser als nichts! Auf Zehenspitzen schlich ich mit gezückter Waffe durch das dunkle Haus und durchsuchte ein Zimmer nach dem anderen.

Komm nur raus! Ich bin bereit!

Im Kinderzimmer war niemand, auch nicht im Schlafzimmer. Die Alarmanlage ging weiter. Wie konnte Sandra bei diesem Lärm schlafen? Ich tastete mich zum Bad, aber auch hier war nichts. Irgendwo klingelte ein Telefon, doch dann hörte es wieder auf. Und plötzlich, ohne ersichtlichen Grund, verstummte auch das Gejaule. Auf einmal war es gespenstisch still im Haus. Ich blieb im Flur stehen und lauschte, hörte aber nur den Wind, der um das Haus fegte. Vielleicht nur ein Fehlalarm. Oder ich hatte den Einbrecher in die Flucht geschlagen. Leise schlich ich mich wieder ins Schlafzimmer und kroch zurück ins Bett, meine Waffe griffbereit neben mir auf dem Boden.

Sekunden später gefror mir das Blut in den Adern. Ich hatte ein Geräusch gehört, draußen im Garten. Wieder sprang ich auf und blickte aus dem Schlafzimmerfenster. Nichts. Doch da war es wieder. Es kam von vorne. Da machte sich jemand an unserem Gartentor zu schaffen! In dem Moment ging der Alarm zum zweiten Mal los. Bei uns gab es doch gar nichts zu holen! Ich rüttelte Sandra an der Schulter.

„Was´n los?“, nuschelte sie.

„Da draußen ist jemand im Garten.“

„Was?“ Jetzt war sie hellwach und sprang auf. „Wo denn?“

„Ich glaub vorne, vorm Haus.“

Wir nahmen uns an der Hand, schlichen durch den Flur zur Eingangstür und spitzelten durch das kleine Fenster daneben. Tatsächlich: Zwei dunkle Gestalten schlichen durch unseren Vorgarten und leuchteten mit ihren Taschenlampen die Hecke ab. Was wollten die hier? Wonach suchten sie?

Mein Handy klingelte. Es lag in der Küche, aber ich musste jetzt bei meiner Frau bleiben und sie beschützen.

„Wie Einbrecher sehen die aber nicht aus“, murmelte Sandra.

„Findest du? Ich weiß nicht.“

„Komm, wir schauen mal raus.“ Sandra fischte sich eine dünne Jacke von der Garderobe und schloss die Haustür auf.

„Spinnst du?“ Aber sie hatte die Tür schon einen Spalt aufgezogen und streckte ihren Kopf heraus.

„Hello?“, rief sie laut gegen den Wind.

Ich trat hinter sie, das Messer fest in der Hand, bereit zum Angriff.

„Ma´am. Is everything okay?“, kam eine tiefe Stimme aus dem Garten. Eine große, unförmige Gestalt näherte sich und blendete uns mit ihrer Taschenlampe.

„Is everything okay?“, kam die Frage nochmal. Dann senkte der Eindringling seine Lampe und ich erkannte einen Schutzhelm und eine schusssichere Weste. Die Einbrecher hier waren ganz schön gut ausgerüstet, das musste man ihnen lassen. Da entdeckte ich die Pistole an seinem Gürtel und hob mein Messer bedrohlich über den Kopf. Sofort glitt seine Hand zu seinem Gürtel und er sah mir fest in die Augen.

“Michael, die sind von ADT. Schau auf seinen Helm“, flüsterte Sandra, und tatsächlich klebte dort das blau-gelbe Logo der Sicherheitsfirma. Dann waren das ja gar keine Einbrecher! Am liebsten wäre ich dem Riesen vor mir um den Hals gefallen, aber er sah mich noch immer finster an.

„Sir, please put your knife down!“

“Oh, this”, lachte ich und hielt ihm das Messer hin. „Look, it´s not a real knife. It´s got Pumuckl on it.”

Mit einem leisen Klicken löste er den Verschluss an seinem Pistolen-Halfter und trat einen Schritt zurück.

„Put your knife DOWN, SIR!”

Entspann dich, Mann! Das war ein Kindermesser! Hatte er noch nie was gehört von Meister Eder? Ellis Kaut?

“Michael!”

Schon gut! Ich ließ das Messer auf den Boden fallen und hob meine Hände über den Kopf. Jetzt zufrieden? Er musterte mich noch einmal streng, dann nahm er die Hand von der Pistole.

„What´s your password?”

Passwort? Welches Passwort denn?

„Fishcake“, sagte Sandra wie aus der Pistole geschossen und der Sicherheitsmann lächelte beruhigt. Woher wusste sie das? Und wieso hatten wir so ein beklopptes Passwort?

„Thanks, Ma´am. My name is Franco. I assume you are new here?”

Wir nickten beide.

“Listen, if it´s a false alarm, you just pick up the phone when we try to call you. Then you give us the password and – done.”

Stimmt, das Telefon hatte ja ein paarmal geklingelt.

“And if it´s as windy as tonight, it often is a false alarm.”

Na bravo, sollte es hier nicht den ganzen Sommer über recht stürmisch sein?

„And if someone really wants to break in?“, fragte Sandra.

“For that you have your panic button. You just push it and we will be here in two minutes.” Dafür war der rote Knopf im Schlafzimmer. Gut zu wissen. Keine Ahnung, was uns hier noch alles erwartete.

Wo blieb Hannah mit den Streichhölzern?

Ich suchte mir zwei schöne, dicke Holzscheite aus dem Sack und legte sie parrallel zueinander auf die Grillstelle. Der Unterbau war das wichtigste, hatte der Typ in „The ultimate braai master“ auf Youtube gesagt. Also richtete ich die nächsten beiden Stücke so lange aus, bis sie genau im Rechten Winkel auf den anderen lagen. Dasselbe Spiel wiederholte ich noch zweimal. Das musste reichen. Außerdem taten mir die Arme immer noch weh von der Schlepperei. Wir mussten uns endlich um ein Auto kümmern! Ich trat einen Schritt zurück und betrachtete mein Bauwerk. Das war Grillkunst in Perfektion! Ich wischte mir eine Träne aus dem Auge und schob einen kleinen Würfel Grillanzünder unter das Holz.

Mittlerweile klebte mir das T-Shirt am Rücken und ein Schweißtropfen kitzelte mich am Kinn. Mann, war das heiß! Ich nahm einen kräftigen Schluck aus meinem Bier. Da kam Hannah endlich zurück und reichte mir die Streichholzschachtel.

„Danke, mein Schatz!“ Ich zündete ein Streichholz an und ließ es durch die Holzscheite auf den Grillanzünder plumpsen, der sofort Feuer fing. Es dauerte nicht lang und der Stapel brannte lichterloh.

„Hannah, ich muss mal kurz in die Küche und alles herrichten. Bleibst du einen Moment beim Feuer?“ Sie hatte sich gerade an den Pool gesetzt und bohrte mit einem Stock in dem dicken Algenteppich darauf herum. Ob wir den wohl jemals benutzen konnten? Momentan konnte ich es mir jedenfalls nicht vorstellen.

„Na gut“, sagte Hannah und verließ widerwillig ihr kühles Plätzchen im Schatten. Aber zum Glück war sie weg vom Pool, denn er machte mir irgendwie Angst. Keine Ahnung, was da drin herumschwamm. Unsere Vormieterin war ja auch bisher spurlos verschwunden. Ich bekam eine Gänsehaut. Aber Paul hatte mir gestern versprochen, so bald wie möglich jemanden zu schicken, der ihn säubern würde.

Nur, was bedeutete „so bald wie möglich“ hier in Afrika. Am nächsten Tag? In einer Woche? In einem Jahr?

Außerdem machte ich mir ein wenig Sorgen um Hannah, denn ihre Spielsachen waren noch unterwegs und sie kam vor lauter Langeweile ständig auf blöde Gedanken. Wie gestern Morgen, zum Beispiel, als sie mit Frischhalte-Folie und Paketschnur im Garten verschwunden war und kurz darauf ein grünes, schleimiges Paket hinter sich her schleifte. Es roch abscheulich und sah noch viel widerlicher aus.

„Hannah, was ist das?“

„Ich hab´s aus dem Pool gefischt. Es lag unten am Grund.“

„Zeig mal.“

Widerwillig blieb sie stehen und ich schaute mir das Ding an der Schnur aus der Nähe an. Mir wurde übel.

„Hannah, das ist doch ein Tier!“

„Ja, ich weiß. Ich glaub ein Eichhörnchen. Aber es konnte wohl nicht so gut schwimmen.“

Ich starrte meine Tochter mit offenem Mund an. „Hast du es angefasst? Das ist doch schon ewig tot!“

„Ne, ich hab es mit dem großen Kescher rausgefischt. Und dann hab ich es abgetrocknet.“ Neben dem Pool lag ein grün glänzender Stoffetzen, der sehr nach dem Handtuch aus dem Kinderbad aussah.

„Warum wickelst du ein totes Eichhörnchen in Plastikfolie und schleifst es hinter dir her?“

„Ich such einen guten Platz, wo ich es einbuddeln kann. Wenn jemand gestorben ist, muss man ihn beerdigen! Und in Folie bleibt alles länger frisch. Da kommen die Würmer nicht so schnell ran“, erklärte sie mir langsam, als ob ich begriffsstutzig wäre.

„Du gehst jetzt sofort rein und wäschst dir die Hände. Mit heißem Wasser und Seife. Mindestens drei Mal. Und nichts mehr aus dem Pool fischen! Verstanden?“

Seitdem sorgte ich dafür, dass unsere Tochter immer irgendetwas zu tun hatte.

„Also, wenn du merkst, dass das Feuer ausgeht, pustest du einfach.“ Aber dieses Feuer ging garantiert nicht aus. Das hatte ein Fachmann gemacht!

„Und wenn es so gut weiterbrennt, können wir bald eure Würschtl grillen.“

„Oh ja. Ich hab schon voll Hunger!“

„Ansonsten rufst du mich einfach. Ich bin in der Küche“

„Klar, Chef!“ Hannah grinste und hob den Daumen.

„Bei dir da oben alles klar?“ Jonas saß in unserem Milkwood-Baum und beobachtete die Straße. Er war von irgendeiner Sondereinheit und musste die Königsfamilie beschützten.

„Alles klar“, meldete er von seinem Ausguck. „Alles ruhig.“

„Gut. Trotzdem weiter Augen auf!“

„Aye aye, Captain!“

Auf dem Weg zur Küche schaute ich bei Sandra im Arbeitszimmer vorbei. Sie kniete am Boden und sortierte ihre Unterlagen, die wir zwischen T-Shirts und Pullis im Gepäck mitgebracht hatten. Am Montag war ihr erster Arbeitstag. An der University of Cape Town, der größten Uni Kapstadts. Sie war Gastdozentin für den Bereich „Evolutionary Genetics“, was auch immer das genau war. Sie wusste zwar noch immer nicht, welchen Forschungsauftrag sie bekam und welche Kurse sie geben musste, aber irgendwie schien sie das nicht zu beunruhigen. Ich an ihrer Stelle hätte mir schon längst vor Aufregung in die Hose gemacht.

„Prost!“, sagte ich und hielt ihr mein Bier entgegen. Sie stand mit einem leisen Ächzen auf und tippte ihr Weinglas gegen meine Flasche.

„Alles klar bei dir?“, fragte ich und zog sie an mich.

„Logisch. Und bei dir? Brennt das Feuer schon?“

„Alles im Griff! Hannah passt auf.“

„Hast du sie allein am Feuer gelassen?“, fragte sie besorgt.

„Warum nicht? Sie ist ja kein Baby mehr.“ Sie zog die Stirn kraus.

„Na gut, du bist der Grillmeister“, sagte sie schließlich.

„Genau! Und der Grillmeister geht jetzt in die Küche und macht den Kartoffelsalat. Und zwar den besten, den du je gegessen hast.“

„Also, ich finde, dir steht dein Job als Hausmann gar nicht schlecht!“ Sie gab mir einen Klaps auf den Hintern und lachte glücklich.

„Finger weg!“, rief ich und hielt ihre Hand fest. „Mal abwarten, ob du das in ein paar Wochen noch genauso siehst, wenn das Haus in Trümmern liegt und wir alle total abgemagert sind.“

„So ein bisschen Diät würde uns allen nicht schaden, vor allem dir nicht.“ Sie lehnte sich an mich und gab mir einen Kuss.

„Und du brauchst sicher keine Hilfe in der Küche?“

„Quatsch. Es dauert noch über eine Stunde, bis Bill und Hazel kommen. Bis dahin bin ich locker mit allem fertig. Mach du ruhig weiter hier.“

„Alles klar, dann mal ran an den Speck.“ Sie kniete sich wieder auf den Boden zu ihren Ordnern.

Hannahs Stimme kam von draußen, aber ich verstand nicht, was sie wollte. Wenn es was Wichtiges war, würde sie sich bestimmt noch mal melden.

Ich betrat die Küche und machte mich bereit für meine erste echte Herausforderung als Hausfrau. Ich trank mein Bier aus und warf die Flasche in den Recycling-Müll. Der Kartoffelsalat war ein fester Bestandteil der deutschen Grill-Kultur und durfte deswegen heute Abend unter keinen Umständen fehlen. Wir wollten von Anfang an einen guten Eindruck auf unsere Nachbarn machen.

Nur, wie machte man eigentlich so einen Kartoffelsalat? Männern lag es im Blut, Feuer zu machen und große Mengen Fleisch darauf zu schmeißen. Aber der Kartoffelsalat hatte sich im Laufe der Evolution eindeutig im weiblichen Erbgut festgesetzt - und das sicher mit gutem Grund. Machte es überhaupt Sinn, gegen die Evolution anzukämpfen?

Andererseits konnte es auch nicht so schwer sein. Kartoffeln kochen, in Scheiben schneiden und zusammenmanschen. Das war absolut keine Zauberei! Ich setzte einen Topf mit etwas Wasser auf den Herd und wollte gerade ein Dutzend Kartoffeln reinschmeißen, da stand ich vor dem ersten Problem: vorher schälen oder hinterher? Ich fischte mir den Gemüseschäler aus der Schublade und machte mich an die Arbeit. Aber nach einer Minute hatte ich schon den ersten Krampf in der Hand - und gerade mal eine Kartoffel geschafft.

Okay, hinterher schälen.

Als das Wasser kräftig dampfte und sprudelte, stand ich vor dem nächsten Problem: Musste da ein Deckel drauf, oder nicht? Jetzt rief Hannah schon wieder irgendwas. Dieses Mal klang es dringender.

Kein Deckel!

„Bin gleich draußen!“

Ich öffnete den Kühlschrank und schaute nach den eigentlichen Hauptfiguren des heutigen Abends: Vier dicke Kudu-Steaks zogen friedlich in der selbstgemachten Zitronen-Joghurt-Knoblauch-Marinade vor sich hin und daneben schlummerte eine unterarmdicke Boerewors und träumte davon, von mir knusprig braun gegrillt zu werden. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Die oberen beiden Fächer waren vollgestopft mit Castle Lager und sechs Flaschen Paulaner Weißbier, die ich im Getränkemarkt entdeckt hatte.

Ich schnappte mir gleich zwei Castle und spazierte gut gelaunt in den Garten zurück. Nanu, was roch hier so komisch? Hannah stand am Grill und stocherte mit einem Stock in einem großen Haufen aus Holz, Blättern und noch irgendwas herum, von dem nur noch ein dünner Rauchfaden emporstieg.

„Was ist denn hier passiert?“

„Wo warst du so lange?“, fragte sie wütend.

„Na, in der Küche, hab ich dir doch gesagt“, antwortete ich und starrte auf den Grill. Was machte dieser eklige, grüne Lappen zwischen den Holzscheiten? Und vor allem, warum war das Feuer aus?

„Ich hab dich die ganze Zeit gerufen!“, brüllte Hannah auf einmal los und hämmerte mit ihren kleinen Fäusten gegen meinen Bauch.

„Au. Was soll das?“ Ich hielt ihre Handgelenke fest und sah in ihr rußgeschwärztes Gesicht. Sie funkelte mich aus feuerroten Augen böse an.

„Ich hab die ganze Zeit gepustet, wie du gesagt hast. Und dann ist das blöde Feuer trotzdem ausgegangen.“ Ihr schossen die Tränen in die Augen. Vielleicht war das Holz noch nass gewesen.

„Ich musste doch alles für den Kartoffelsalat vorbereiten.“ Jetzt tat sie mir wirklich leid, die Arme. Und das alles in der prallen Sonne, das war ja kaum auszuhalten.

„Warum hast du denn die Blätter in den Grill geworfen?“ Nach dem Lappen fragte ich lieber gar nicht erst.

„Weil ich wollte, dass das Feuer wieder angeht!“, schrie sie und lief laut schluchzend ins Haus. Scheiße! Ich schaute auf die Uhr. Kurz nach Fünf.

„Dann essen wir halt ein bisschen später“, dachte ich und fischte die Blätter von den Holzscheiten. Das grüne Eichhörnchen-Handtuch schwelte dampfend vor sich hin und verbreitete einen üblen, fischigen Gestank. Ich hielt mir eine Hand vor die Nase und schob es mit Hannahs Stock vom Grill. Dann nahm ich die Grillanzünder und warf nach kurzer Überlegung die gesamte Packung auf die Feuerstelle. Zufrieden setzte ich mein Bier an und trank es aus. Dann schnippte ich ein brennendes Streichholz auf die Grillanzünder und versengte mir in der Flamme, die plötzlich nach oben schoss, die Augenbrauen und die Nasenhaare. Wow, nicht schlecht! Das Feuer ging ganz sicher nicht mehr aus.

Zur Belohnung öffnete ich das nächste Bier. Eine Bullenhitze war das! Als sich das Holz nach zwanzig Minuten langsam in Kohle verwandelte, entspannte ich ein bisschen. Aber irgendwie war das ziemlich wenig Kohle!

„Papa, die Nachbarn kommen!“, schrie Jonas von seinem Ausguck. Was, jetzt schon? Kurz drauf klingelte es an der Tür.

„Sandra, machst du schon mal auf?“, rief ich ins Haus. Schnell schmiss ich noch eine Ladung Holz auf das Feuer und blies so fest ich konnte.

„Schatz, was riecht denn hier so komisch?“, rief Sandra von der Eingangstür her.

Wahrscheinlich die Grillanzünder – da war irgendwas Komisches drin. Aber als ich das Haus betrat, wusste ich, was sie meinte. Das kam aus der Küche. Ich stieß die Tür auf und war sofort eingehüllt in dicken, beißenden Rauch. Mit angehaltenem Atem rannte ich zum Herd und zog den Topf vom Feuer.

Verdammte Scheiße! Ich riss die Fenster auf und starrte die stinkende schwarze Masse an, die sich in den Topfboden hineingebrannt hatte und noch immer fröhlich vor sich hin qualmte. Was machte ich denn jetzt damit? Wenn ich anfing, den zu schrubben, gab es sicher erst im Dunkeln was zu Essen.

Nach kurzer Überlegung warf ich den Topf samt Inhalt aus dem Fenster. Ich würde mich später um ihn kümmern, jetzt hatte ich Wichtigeres zu tun. Das mit dem Kartoffelsalat könnte jetzt allerdings schwierig werden. Dann eben Plan B. Zum Glück hatte ich vom Bäcker einen großen Laib Sauerteigbrot mitgenommen. Das zweite Standbein eines deutschen Grillabends war ein gutes Brot! Eigentlich war es sogar noch wichtiger als der Kartoffelsalat.

Da kam Sandra mit Bill und Hazel in die Küche. Sie verzogen zwar etwas die Nase, aber der schlimmste Qualm war bereits durch das Fenster rausgezogen. Hannah saß auf Sandras Arm und hatte einen Lutscher im Mund.

„Oh hi, Hazel. Hi, Bill. How are you? Thanks for coming over“, stammelte ich und schüttelte ihnen die Hand. Beide waren sicher schon Mitte sechzig, machten aber noch einen topfitten Eindruck.

„Would you like a beer or glass of wine?”, fragte ich und ging zur Tür. “Sandra, kannst du dich kurz darum kümmern? Ich muss noch mal schnell raus zum Grill. The braai will be ready in ten minutes.“

„No problem, Schatz. See you in the garden“, sprang mir meine Frau zur Seite, die in solchen Momenten immer wusste, was zu tun war. Nicht zuletzt deswegen hatte ich sie geheiratet.

Ich rannte in den Garten, warf den Blasebalg auf den Boden und trat auf ihn ein, dass die Funken sprühten. „Burn motherfucker, burn!“, fluchte ich und machte mir ein neues Bier auf. Bei der Hitze musste man höllisch aufpassen, dass man nicht dehydrierte.

„Papa, da stehen drei Typen bei uns in der Einfahrt“, rief Jonas von seinem Baum.

„Ich glaube, die wollen bei uns einbrechen.“ Vielleicht hätten wir doch nicht so viel von der hohen Kriminalität hier sprechen sollen!

„Die sind aus dem Lieferwagen da ausgestiegen. Jetzt holt einer sein Handy raus. Der organisiert bestimmt Verstärkung.“ Seine Stimme überschlug sich vor Aufregung.

„Die wollen uns ausrauben. Hundert Pro.“

„Jonas, es ist nicht jeder gleich ein Verbrecher, nur weil er bei uns in der Einfahrt steht.“

Aber er war jetzt nicht mehr zu bremsen. „Papa, wir müssen was machen, bevor es zu viele werden!“

„Jonas, jetzt warte erst mal ab. Die gehen sicher gleich weiter.“ Aber es war zu spät.

„Ich hab´s!“, rief er, schwang sich vom Baum und rannte an mir vorbei durch die Terrassentür.

„Jonas, wo willst du hin?“

„Ins Schlafzimmer“, kam es aus dem Haus.

„Nein!“, schrie ich. „Nicht den Panic Button!“

Doch in dem Moment kreischte schon ein ohrenbetäubendes Geheul aus dem Haus. Sandra und Hannah kamen in den Garten gerannt und hielten sich die Ohren zu.

„Was ist denn los?“, rief Sandra.

Ich zuckte mit den Schultern und zeigte auf unseren Sohn, der sich gerade wieder auf seinen Baum schwang. Irgendwer musste ins Haus und den Alarm ausschalten.

„Mama, die wollen bei uns einbrechen!“, schrie Jonas und zeigte runter auf die Straße. „Drei Männer, und die stehen vor unserer Tür!“

Urplötzlich war es still und vor lauter Überraschung hielt sogar Jonas für einen Moment die Klappe. Bill und Hazel kamen auf die Terrasse und grinsten uns schief an.

„I hope it was okay that I switched off the alarm? It was just quite noisy inside”, sagte Bill und sah mich entschuldigend an. Oh Gott, die waren ja auch noch da! Was bekamen die jetzt für einen Eindruck von uns? Es war ja das reinste Irrenhaus hier.

„Yeah, thanks Bill. Sorry for the noise. But Jonas thought he saw some robbers outside.”

“Don´t worry, Mike”, lächelte Hazel. „It takes a while to get used to life in South Africa.“

„Papa, da kommt ADT. Endlich. Jetzt kommen die in den Knast!“

„Halt jetzt endlich mal den Mund!“, brüllte ich zu ihm rauf. Bill und Hazel sahen sich verlegen an. Vermutlich dachten sie gerade darüber nach, wie sie schnellstmöglich verschwinden könnten.

„I think I better go to the door and check what´s going on”, entschuldigte ich mich. Sandra würde das hier schon regeln.

„Oh great, you have got a beer. Cheers!“, sagte ich zu Bill und knallte meine Flasche gegen seine.

„Ups, sorry! Äh…Sandra, kannst du ihm ein Handtuch bringen?” Im Gehen drehte ich mich noch einmal um.

„I hope you are hungry. When I am back we throw the steaks on the braai, okay?“

Vorsichtig öffnete ich die Haustür. In unserer Einfahrt standen drei junge Männer und diskutierten hitzig mit Franco vom Sicherheitsdienst. Neben ihnen lagen Schläuche, Eimer und ein langer Besen auf dem Boden. Das sah mir nicht nach Werkzeug für einen Einbruch aus. Als Franco mich sah, befahl er den Jungs, sich nicht von der Stelle zu rühren und kam zu mir rüber. In dem Moment fiel mein Blick auf den Lieferwagen. Auf ihm stand in großen blauen Lettern: The Pool Doctor.

Ich begrüßte Franco freundlich und erklärte ihm, dass das alles nur ein Missverständnis wäre. Ein Fehlalarm, sozusagen. Schon wieder. Kann ja mal passieren. Er starrte mich finster unter seinem Stahlhelm an und fragte leise:

„What´s your password?“

Wollte er mich jetzt verscheißern? Er kannte uns doch. Aber er sah mich weiter mit todernster Mine an und hatte schon wieder die Hand auf dem Pistolenholster.

„Fishcake“, zischte ich schnell und sah mich verstohlen um. Hoffentlich hatte das keiner gehört.

„Thank you and have a nice day!“ Er stapfte zu seinem Auto und brauste davon.

Ich ging zu den drei Poolreinigern und entschuldigte mich überschwänglich bei ihnen, aber sie lachten nur und beruhigten mich, dass ihnen das nicht das erste Mal passierte. Als Schwarzer kannte man sowas. Aber Moment mal! Ich war doch kein Rassist! Ich war der toleranteste Mensch der Welt! Niedergeschlagen holte ich jedem ein Weißbier aus dem Kühlschrank und machte mit ihnen einen neuen Termin aus.

Ich musste nur unbedingt Jonas vorher Bescheid zu sagen!

Als ich in den Garten zurückkehrte, verteilte Sandra gerade Käsebrote, auf die sich unsere Gäste gierig stürzten. Na gut, ein kleiner Appetithappen war erlaubt, aber ich wollte nicht nachher auf meinem Fleisch sitzen bleiben.

Bill begutachtete das Feuer.

“This will still take a while“, sagte er und nahm sich noch ein Käsebrot. Schnell huschte ich in die Küche und schenkte mir einen doppelten Whiskey ein, rein zur Nervenberuhigung. Dann kehrte ich mit einer Ladung Bier und einer Weinflasche unterm Arm zurück. Zeit die Nachbarn ein bisschen kennen zu lernen.

Bill und Hazel waren äußerst liebenswerte und lebenslustige Menschen. Sie erzählten uns, wo sie herkamen (beide aus Durban), warum sie in Kapstadt lebten (nicht so schwül wie in Durban) und wie sie sich verliebt hatten (auf einer Weihnachtsfeier hatte seine Krawatte Feuer gefangen und sie ihn gelöscht). Er war der Abteilungsleiter gewesen und sie seine Sekretärin. Woran es wohl lag, dass sich so viele Angestellte in ihre Chefs verliebten? Wurde man durch Macht und Autorität wirklich so attraktiv? Bei Sandra und mir war das anders. Wir hatten eine moderne Beziehung und bei uns hatte jeder gleich viel zu sagen.

Als es anfing zu dämmern, hatte sich das Holz endlich in ein Häufchen wunderschöne, rotglühende Kohle verwandelt.

„Vielleicht sollten wir erst die Wurst grillen – für die Kinder“, schlug ich vor. Wo waren sie eigentlich?

„Ich hol solange die nächste Runde Getränke.“ Auf dem Weg zur Küche passte ich erst auf den zweiten Anlauf durch die Terrassentür. Das lag sicher an der Hitze. In der Küche hielt ich mich für einen Moment am Kühlschrank fest. Dann riss ich ihn auf, und zwei Joghurts purzelten mir entgegen und zerplatzten auf dem Boden. Ich schob sie mit dem Fuß zum Mülleimer. Die räumte ich später auf.

„Kinner?“, rief ich laut. „Wolld ihr ne Wurs?“

Keine Antwort. Hatten die was an den Ohren? Ich schlappte zu Hannahs Zimmertür und rief laut:

„Heeey! Wolle Wurst habe?“

Aber die beiden lagen zusammengekuschelt auf ihrer Matratze und schliefen tief und fest. Dabei hatten sie doch so Hunger gehabt! Na gut, dann eben gleich die Steaks.

Als ich die Fleischplatte aus dem Kühlschrank wuchtete und auf die Küchenablage stellte, fiel mein Blick durch das offene Fenster in den Garten. Da glitzerte doch was im Blumenbeet. Was war denn das? Ächzend kletterte ich auf die Ablage und rutschte auf den Knien zum Fenster. Tatsächlich, dort unter dem Busch schimmerte etwas silbern im Mondlicht. Der Kartoffeltopf! Den konnte ich doch jetzt noch schnell schrubben. Dann musste ich das morgen nicht mehr machen! Nur wie bekam ich den Topf wieder in die Küche?

Ich starrte aus dem Fenster und dachte nach. Irgendwie musste ich dabei das Gleichgewicht verloren haben, denn plötzlich landete ich mit einem dumpfen Schmatzen auf dem Rücken im Blumenbeet. Oh ja, so eine kleine Pause war jetzt genau das Richtige. Der Tag war auch ganz schön anstrengend gewesen. Und heiß. Zum Glück hatte ich genug getrunken! Ich blickte in den Himmel. Über mir funkelten Millionen Sterne am Firmament und verschlugen mir den Atem. War das nicht das Kreuz des Südens? Und das daneben die Milchstraße. Wo war denn der große Bär? Eine Sternschnuppe zischte über den Himmel und ich schloss die Augen und überlegte, was ich mir wünschen sollte.

„Michael!“ Sandras Stimme kam von weit her. „Wo bist du?“

„Hier. Ich komme!“ Mühsam rappelte ich mich auf und tastete mir meinen Weg durch die Dunkelheit. Als ich wieder am Feuer stand, sah mich Sandra fragend an.

„Wolltest du nicht das Fleisch holen?“

„Stimmt, hab ich ganz vergessen. Bin gleich wieder da. Dann kann ich auch noch mal Bier mitbringen.“

„Uh, it is rather late, I fear”, begann Hazel. „Tomorrow we go fishing, don´t we, honey?“

„Yes, exactly.” Bill nickte eifrig. “And we must get up really early, like five, you know?” Er gähnte laut. Was ging denn jetzt ab?

„Thanks for the nice evening and your beautiful – what do you call them – Käsbrots?”, fuhr Hazel fort. “You have lovely kids. Next time you come over to our place and we will have a braai again.“

„But…“ Mir blieb der Mund offen stehen. Aber wir hatten doch noch gar nicht angefangen. Die Steaks. Die Wurst. Das Bier im Kühlschrank. Es waren auch noch Käsebrote da. Ich gestikulierte unbeholfen in der Dunkelheit. Aber das half alles nichts, und Sandra brachte unsere Gäste zur Tür.

„Thanks for coming. It was a very nice evening!”, rief ich Bill und Hazel hinterher, als ich es auch nach vorne geschafft hatte. Aber sie waren schon in der Dunkelheit verschwunden.

„Sorry“, murmelte ich und hielt mich am Türrahmen fest.

Sandra kam wieder rein, sah mich einen Moment lang stumm an und gab mir dann einen flüchtigen Kuss.

„Ich bin müde. Ich muss ins Bett.“ Und schon verschwand sie im Schlafzimmer.

„Okay. Gute Nacht. Tut mir leid“, sagte ich zum leeren Gang vor mir. Das war jetzt nicht ganz so gelaufen wie geplant. Aber ich wollte jetzt noch auf keinen Fall ins Bett.

Ich wankte in die Küche, klatschte zwei Kudu-Steaks und die Boerewors auf einen Teller und schnappte mir im Vorbeigehen noch ein Paulaner. Die Glut war schon etwas schwach, aber sie reichte noch. Ich griff meine Zange und legte die Steaks und die Wurst im Schein der LED Lampe ganz eng zusammen auf den Rost. Es zischte leise, als ein Tropfen Fett in die Glut fiel. Hm, das roch himmlisch! Ich stand am Feuer, grillte mein Fleisch und trank dazu ein Bier. Allein, aber nicht einsam. Das Kreuz des Südens über mir, eine warme Sommerbrise in den Haaren, den Rauch in den Augen. Um mich herum nur die Geräusche der Nacht im Garten unseres kleinen Häuschens am anderen Ende der Welt.

Was für ein perfekter Tag!

3. Chicco

„Ich bin dann mal weg!“ Sandra saß auf dem Beifahrersitz und massierte sich die Schläfen, machte aber keine Anstalten auszusteigen. Dann atmete sie tief durch und umarmte mich noch einmal.

„Das schaffst du schon“, ermutigte ich sie.

„Das sagt sich so leicht.“

„Was soll denn passieren?“ Ich strich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. „Du hast doch die Vorlesung schon zigmal gehalten.“

„Ja, aber auf Deutsch.“

„Holy shit! Da hast du natürlich recht. Wenn du Englisch redest, versteht man wirklich kein Wort. Und dann bist du Schuld, dass deine Studenten keinen Abschluss kriegen und als Bettler auf der Straße landen. Oder als Verbrecher. Komm, wir fahren wieder heim.“

„Depp!“ Sie boxte mir auf die Schulter. Aber sie lachte. Dann stieß sie die Tür auf und ein Schwall kühler Luft strömte zu uns ins Auto. Es war noch früh und angenehm frisch.

„Tschüß, ihr zwei.“

„Tschüß Mama. Bis heute Abend!“, riefen Hannah und Jonas von der Rückbank.

„Freu mich schon. Dann erzähl´ ich euch, wie es war.“ Sie stieg aus, warf die Tür ins Schloss und steuerte auf das Unigebäude zu. Plötzlich blieb sie mitten auf der Straße stehen und kam noch einmal zurück.

„Hast du was vergessen?“

„Ja, was ganz Wichtiges.“ Sie beugte sich durch mein Fenster, schlang mir die Arme um den Hals und küsste mich. Und zwar richtig, mit Zunge. Mit einem Schlag war ich hellwach und mir rauschte das Blut in den Ohren. Ach ja, so fühlte sich das an. Das hatte ich ganz vergessen. Moment, noch nicht aufhören!

„Danke fürs Herbringen,“ flüsterte sie mir ins Ohr. „Ich liebe dich.“

„Wow.“ Mehr brachte ich nicht heraus.

„Ich muss los. Ich freue mich schon auf heute Abend. Auf dich.“ Heute Abend? Was war heute Abend? Sandra zwinkerte mir zu und mir wurde plötzlich heiß.

Dann lief sie über die Straße und eilte mit ihren hohen Absätzen die breite Treppe hinauf. Hatte ich mit fünfunddreißig auch noch so einen Knackarsch gehabt? Bestimmt. Aber Sandra sah mit ihrem kurzen Rock und der engen Bluse heute ganz besonders sexy aus. Ich sollte auch unbedingt wieder mehr Sport machen und mich in Form bringen.

Als sie oben angekommen war, trat ein hochgewachsener Mann im grauen Anzug aus dem Institut und umarmte sie zur Begrüßung. He, Finger weg! Das war meine Frau!

Aber bevor ich mich aufregen konnte, kamen drei junge Burschen die Treppe hinauf und blieben bei Sandra und dem Anzugträger stehen. Sie waren durchtrainiert und lässig angezogen, richtige Surfertypen. Einer nach dem anderen schüttelte Sandra die Hand, und jeder einzelne von ihnen starrte ihr dabei unverhohlen auf den Busen, das sah ich selbst von hier unten. Moment, so nicht!

„Kinder, ich bin gleich wieder da“, knurrte ich und stieß die Tür auf.

„Wo willst du denn hin?“, fragten Hannah und Jonas aufgeregt. Doch bevor ich ganz ausgestiegen war, drehte sich Sandra lachend zu uns um und winkte. Auch die Arschgesichter neben ihr glotzten zu uns rüber. Widerwillig ließ ich mich in den Sitz plumpsen.

„Komm, das sind nur Studenten! Von denen lässt du dich nicht aus der Ruhe bringen. Immer cool blieben!“, redete ich mir gut zu, quälte meine Mundwinkel nach oben und winkte zurück. Und jetzt einen geschmeidigen Abgang!

Wütend drehte ich den Zündschlüssel, aber nichts passierte. Scheiß Karre! Wieso mussten wir auch unbedingt Hazels alten Golf kaufen! Der gehörte doch auf den Schrottplatz! Wieder versuchte ich es, und dieses Mal gab der Anlasser zumindest ein gequältes Jaulen von sich. Mehr aber auch nicht. Es war ja schön und gut, dass die Citigolfs im Spritverbrauch unschlagbar waren - kein Wunder bei fünfunddreißig PS. Aber was brachte mir das, wenn das Scheiß-Ding gar nicht erst ansprang? Wer fuhr denn überhaupt noch mit sowas rum? Keine Fensterheber. Keine Zentralverriegelung. Aber einen Choke. Und den musste man beim Starten ziehen. Verdammt! Endlich, beim dritten Versuch sprang der Motor an und wir schossen mit einem Ruck nach vorne.

„Hey, Papa!“

„Sorry, Kupplung vergessen.“ Hoffentlich hatte das keiner gesehen. Verstohlen sah ich zum Eingang hoch, wo sich Sandra und die vier Kerle noch immer angeregt unterhielten. Wollten die nicht mal reingehen? Die Vorlesung ging doch sicher bald los.

Vorsichtig nahm ich meinen Fuß von der Kupplung und drückte aufs Gas. Der Motor heulte laut auf, aber wir bewegten uns keinen Zentimeter. Was war denn jetzt schon wieder los? Ich blickte nach unten und sah, dass sich die Kupplung in der Fußmatte verklemmt hatte und nicht mehr hochkam. Auch das noch. Ich beugte mich nach unten und machte die Arme lang. Plötzlich ging ein lautes Tröten los.

„Papa, hör auf zu hupen!“

Was? Tatsächlich, ich war das gewesen. Mit dem Kopf. Aber ich kam sonst nicht an die Matte ran.

„Kinder, ich muss diese blöde Matte da raus kriegen.“ Noch einmal beugte ich mich runter, und das Getröte ging wieder los.

„Das ist viel zu laut!“, schrie Hannah und hielt sich die Ohren zu. „Hör auf!“

„Hab sie!“ Ich ließ mich in meinen Sitz zurückfallen und schloss erleichtert die Augen. Herrlich, diese Stille!

„Michael, alles klar?“ Ich zuckte zusammen. Was wollte Sandra plötzlich hier?

„Jaja, nur die blöde Fußmatte hat sich verklemmt“, erklärte ich. Mein Herz fuhr immer noch Achterbahn.

„Alles okay.“

„Zum Glück! Ich hatte schon gedacht, du hättest einen Schlaganfall oder so was. Du lagst so komisch auf dem Lenkrad.“

„Ne ne, alles klar.“ Ich brauchte dringend Luft!

„Also, einen schönen Tag dir.“

Sandra runzelte die Stirn und sah mich unsicher an.

„Euch auch. Und…“, sie zögerte einen Moment. „Fahr vorsichtig!“ Dann lief sie wieder die Treppe hoch, wo sich mittlerweile eine größere Menschenmenge versammelt hatte.

„Papa, wann fahren wir endlich? Ich muss aufs Klo!“, nörgelte Hannah.

„Wir fahren doch schon!“, brummte ich zurück. „Ich muss nur noch drehen.“ Ein großer Müllwagen stand vor uns und blockierte die Straße. Da half nur ein schneidiger U-turn. Ich gab Gas und schlug das Lenkrad voll ein, nur leider hatte unser Panzer keine Servolenkung. Bevor ich die Kurve halb fertig hatte, krachte der Vorderreifen an den Bordstein und ich gegen das Lenkrad. Wieder ging die Hupe los.

„Heh Papa! Pass doch auf!“

Mir lief der Schweiß in die Augen. Okay, zurücksetzen und in drei Zügen wenden. Das hatte ich in der Fahrschule schon gehasst. Also den Rückwärtsgang rein und langsam die Kupplung kommen lassen. Ein hässliches Kreischen erfüllte die Luft. Ich bekam eine Gänsehaut und meine Zähne taten weh. Mit aller Kraft drückte ich den Schaltknüppel nach unten und dann nach vorne. Der musste doch reingehen! Endlich. Wieder ließ ich die Kupplung kommen, und tatsächlich fuhren wir rückwärts. Irgendetwas polterte hinter uns laut auf den Boden und die Kinder schrien auf. Ich riss die Tür auf und rannte hinter den Wagen. Gott sei Dank, nur eine Mülltonne, die hatte ich in der Eile wohl übersehen. Der Deckel war ein bisschen verbogen aber zum Glück war sie schon geleert worden. Schnell stellte ich sie wieder auf und blickte mich verstohlen um. Aber der Müllwagen war schon weitergefahren, und die drei Männer in ihren Warnwesten hatten nichts bemerkt.

„Papa, ich muss aufs Klo!“, kam es aus dem Auto.

„Dann pinkel ins Gebüsch, oder sonstwo hin!“

Ich quetschte mich hinters Lenkrad und warf die Tür so laut ins Schloss, wie ich konnte. Dann rammte ich den ersten Gang rein und wir schossen mit heulendem Motor und quietschenden Reifen nach vorne. Vom Eingang schallte uns lauter Applaus hinterher, aber ich umklammerte das Lenkrad und blickte stur nach vorne. Nur weg hier! Erst als wir um eine Rechtskurve bogen und außer Sichtweite waren, fuhr ich links ran, würgte den Motor ab und sprang aus dem Auto.

„Papa, soll ich hier pinkeln?,“ fragte Hannah verängstigt.

Auch Jonas sagte etwas, aber seine Stimme kam aus weiter Ferne. Ich konnte gerade nicht reden. Ich musste jetzt einfach nur mal kurz gegen den Vorderreifen treten, und noch mal, und noch mal. Und mit jedem Tritt brüllte ich laut: „Scheiße! Scheiße! Scheiße!“

Wieso hatte ich mich überreden lassen, diese Klapperkiste zu kaufen? Ein Jeep, ein VW-Bus, oder von mir aus ein Kombi. Das waren Autos, in denen sich ein Mann blicken lassen konnte. Aber ein beschissener VW Citigolf Chicco! In Weiß! Das war doch ein Witz!

Nach fünf Minuten ging es mir besser. Ich ließ den Reifen in Ruhe und plumpste auf den Fahrersitz. Hannah und Jonas saßen stocksteif auf der Rückbank und sahen mich mit großen Augen an.

„Sorry, Kinder. Das musste raus.“ Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Aber jetzt ist wieder gut.“ Sie machten keinen Pieps und hielten sich gegenseitig an der Hand. Die Armen! Naja, sie würden sich schon wieder beruhigen. Jetzt aber ab nach Hause.

Dieses Mal sprang der Motor auf Anhieb an. Gefühlvoll legte ich den ersten Gang ein und glitt auf die Straße.

Pinkeln musste niemand mehr.

Als Sandra am Abend nach Hause kam, stand ich laut singend in der Küche und machte Abendessen. Die Foo Fighters plärrten blechern aus den kleinen Boxen meines Tablets und die Flasche Weißwein war schon zur Hälfte leer. Sandra hatte mir am Vormittag eine SMS geschickt, dass sie mit ihrem Kollegen Marc nach Hause fahren konnte und ich sie deswegen nicht abholen musste. Das war mir sehr recht.

„Hallo Honey, magst du ein Glas Wein?“, begrüßte ich sie.

„Oh ja, gerne. Mit viel Eis“, rief sie von der Garderobe, wo sie ihre Schuhe auszog.

„So eine Hitze!“ Sie stand in der Tür und lächelte mich müde an. „Bin gleich da. Ich will nur schnell duschen.“

„Hey, wie wär es mit einem Kuss?“, rief ich ihr nach.

„Nachher.“ Doch einen Wimpernschlag später kam sie in die Küche geflogen, und umarmte mich.

„Nur ein ganz kleiner, weil ich nämlich nicht gut rieche.“ Ihr Körper fühlte sich wundervoll an und roch nach Sandra, nach meinem Lieblingsgeruch. Sie nahm mein Weinglas aus der Hand und trank einen großen Schluck.

„Danke, das tat gut.“ In der Tür drehte sie sich noch einmal um. „Den langen Kuss gibt´s später.“ Dann warf sie mir dieses breite Lächeln zu, das mich schon vor dreizehn Jahren um den Verstand gebracht hatte.

Es war auch so ein heißer Sommerabend gewesen, nur viel schwüler. Die dunklen Wolken hinterm Olympiaturm deuteten schon an, dass es später noch ein Gewitter geben würde. Der Innenhof und die Wiese des Sportzentrums waren gerammelt voll mit Studenten, die auf dem Boden saßen und Bier tranken. Es hatte sich schon lange herumgesprochen, dass die Sportler-Feten die besten waren. Nicht nur, weil das Bier billig war, sondern vor allem, weil hier eindeutig die hübschesten Mädchen herumliefen. Und ich durfte an diesem Abend auflegen. Die Organisatoren kannten mich und wussten, dass sie bei mir nicht „YMCA“ oder „It´s raining men“ befürchten mussten. Bei mir wurde jede laue Uni-Party zu einer wilden Karibischen Nacht. Dazu brauchte man zu Beginn eine Prise chilligen Reggae. Das machte die Leute locker und glücklich. Aber später, wenn das Bier wirkte und die Gäste ihre Hemmungen verloren hatten, drehte ich das Tempo hoch, und anstelle von Reggae gab es dann Alternative, Ska und Punkrock. Das verwandelte die Tanzfläche in Null Komma Nichts in einen Hexenkessel.

Sandra war mir schon auf der letzten Sportlerfeier aufgefallen. Und danach hatte ich sie immer wieder auf anderen Uni-Festen gesehen. Sie war groß, blond und hatte eine tolle Figur. Das alleine hätte schon ausgereicht. Aber irgendwas unterschied sie von den anderen Mädels. Warum stach ausgerechnet sie mir immer wieder ins Auge? Erst auf der Juristen-Fete ein paar Wochen zuvor hatte ich es dann kapiert: Sandra versuchte nicht, toll zu sein. Sie war es einfach. Zum Beispiel beim Tanzen: Im Gegensatz zu den anderen Mädels fuchtelte sie nicht wild mit den Armen in der Luft herum. Und sie wackelte auch nicht sexy mit ihrem Hintern oder ihren Brüsten. Sandra tanzte für sich allein und wiegte ihren schönen Körper einfach nur im Rhythmus hin und her. Meist hatte sie die Augen geschlossen und lächelte still vor sich hin. Das machte mich an. Entweder war sie super arrogant und eingebildet, oder es war ihr einfach egal, was die anderen von ihr dachten und sie machte ihr eigenes Ding. Was auch immer jetzt stimmte, ich war fasziniert von ihr.

An dem Abend hatte ich mir geschworen, sie anzusprechen und endlich näher kennenzulernen. Ich wusste nur, dass sie im vierten Semester Bio Diplom studierte und - das war das Wichtigste - keinen festen Freund hatte. Vielleich war ja sie diejenige, die mich aus meinem vierjährigen Single-Dasein erlösen würde.

Ich hatte gerade das erste schnelle Lied aufgelegt, da stand sie plötzlich vor mir. Sie war barfuß, trug ein langes sandfarbenes Kleid und strahlte mich an. Ihre grünen Augen leuchteten mir direkt ins Herz.

„Sag mal, das ist doch Weezer, oder? Da kann man echt genial drauf abtanzen!“, rief sie und strich sich eine lange Haarsträhne hinter das Ohr. „Du spielst wirklich coole Musik!“

In meinem Magen fing es wie wild an zu kribbeln. Ich grinste breit. „Finde ich auch“, rief ich zurück.

„Sind alle DJs so bescheiden oder ist das nur bei dir so?“

„Nein, ich mein, dass man super drauf abtanzen kann!“, verteidigte ich mich.

„Jaja, hab´ ich schon verstanden!“ Sie lächelte wieder und legte mir die Hand auf den Arm.

Ihre Berührung ging mir durch und durch.

„Das Lied heißt Jonas. Ist im Augenblick mein Lieblingslied. Total simpel, aber es knallt ohne Ende.“ Ich streckte ihr die Hand entgegen

„Ich bin übrigens der Michael.“

„Ich weiß“, entgegnete sie und nahm meine Hand. Ihre Haut war zart und weich, aber ihr Griff erstaunlich fest.

„Sandra. Ich hab dich schon ein paar Mal hier gesehen. Du studierst Sport, stimmt´s?“

Ich nickte erstaunt. Ich war ihr schon mal aufgefallen! Das konnte doch kein Zufall sein. Sie ließ meine Hand wieder los und drehte sich zur Tanzfläche.

„Hör mal, ich muss jetzt einfach tanzen. Ich komm´ nachher noch mal vorbei zum Quatschen, okay? Ciao!“

Weg war sie. Verzaubert sah ich ihr hinterher. Sandra drängte sich in das Gewühl aus Studentenleibern und fing an zu tanzen. Über ihr zuckten die ersten Blitze am Nachthimmel. Sie öffnete ihre Augen und sah zu mir rüber. Als sich unsere Blicke trafen, wurde ihr Lächeln breiter. Dann schloss sie ihre Augen wieder und tanzte zu meinem Lieblingslied. Eine frische Brise kam auf und blies die Schwüle für einen Augenblick weg. In diesem Moment war es um mich geschehen: Ich verliebte mich Hals über Kopf in Sandra Heim aus Landsberg. Es dauerte zwar noch zwei Monate, bis wir richtig zusammen kamen, aber seit dieser gewittrigen Nacht vor dreizehneinhalb Jahren war sie die Frau, an die ich jeden Morgen als erstes dachte und von der ich jede Nacht träumte.

„Hm, was riecht denn da so gut?“ Sandra umarmte mich von hinten und legte ihr Kinn auf meine Schulter. Ihre feuchten Haare dufteten nach Pfirsich und waren angenehm kühl an meiner Wange.

„Oh, danke für den Wein.“ Sie ließ mich los und nahm einen großen Schluck. Dann drückte sie sich gegen mich und küsste mich auf den Mund. Auf einmal schob sie mir etwas Glattes, Kaltes in den Mund. Ihre Zunge folgte und spielte so lange mit dem Eiswürfel, bis er geschmolzen war. Ich drückte meinen Körper fest gegen ihren und legte meine Hände auf ihren Hintern.

„Schatz, ich hab Hunger!“, flüsterte sie mir ins Ohr. „Nachtisch gibt´s später.“ Dann biss sie mir ins Ohrläppchen und befreite sich aus meiner Umarmung.

„Also, was gibt´s zu essen?“, flötete sie.

Es dauerte einen Moment, bis ich mich wieder gefangen hatte. Dann setzte ich eine feierliche Miene auf.

„Nun gut, mein Schatz, zur Feier deines ersten Arbeitstages habe ich mir etwas ganz Besonderes für dich einfallen lassen.“ Ich hob den Deckel vom Topf und eine weiße Dampfwolke quoll hervor.

„Das sind Gnocchi, wie du sehen kannst, und das in der Pfanne sind Kirschtomaten mit Birnen und Blattspinat in Ricotta-Sauce.“

„Wahnsinn!“ Damit hatte sie nicht gerechnet.

„Hast du heimlich einen Kochkurs gemacht?“ Sie sah sich alles ganz genau an und schnupperte an der Sauce.

„Ich würde nicht so tief einatmen. Da ist fast eine ganze Flasche Wein drin.“ Sandra sah mich bewundernd an.

„Sagen Sie mal, Herr Berg, welche verborgenen Talente schlummern denn noch in Ihnen?“

Dass ich das Rezept von der Rückseite der Gnocchi-Packung hatte, behielt ich für mich.

Bill hatte uns vorübergehend einen alten Fernseher geliehen und die Kinder saßen im Wohnzimmer auf dem Boden und spielten gegeneinander Tennis auf der Playstation. Normalerweise hätten wir sie zum Essen gerufen. Aber heute wollte ich in aller Ruhe zuhören, was Sandra an ihrem ersten Arbeitstag alles erlebt hatte. Wir nahmen unsere Teller und Weingläser mit auf die Terrasse und sie fing an zu erzählen: Ihre Vorlesung war ohne große Zwischenfälle verlaufen, und die Studenten hatten sie sogar verstanden. Glaubte sie zumindest. Im Praktikum hatte niemand das Labor in die Luft gejagt und auch ihre Experimente waren größtenteils geglückt. Den Nachmittag hatte sie mit Einzelgesprächen mit ihren Studenten verbracht und viel über ihre Forschungsvorhaben erfahren. Und dann musste sie alles für morgen vorbereiten, damit ihr zweiter Arbeitstag wieder genauso reibungslos und erfreulich ablaufen konnte wie ihr erster. Sie war erschöpft, aber glücklich. Unsere morgendliche Episode erwähnte sie zum Glück mit keinem Wort.

Um acht ging ich ins Haus, half Hannah und Jonas beim Zähneputzen und erzählte ihnen eine Gute-Nacht-Geschichte. Aber als ich auf die Terrasse zurückkehrte, war Sandra nicht mehr da. Auch im Haus war es schon dunkel. Keine Spur von meiner Frau. War ihr Tag vielleicht doch zu anstrengend gewesen, und sie lag schon im Bett und schlief? Ich schloss die Haustür ab, stellte die Alarmanlage draußen an und ging leise ins Schlafzimmer. Auf dem Boden standen fünf Teelichter und tauchten den Raum in ein schummriges, romantisches Licht. Sandra lag auf der großen Luftmatratze auf dem Boden und hatte nur noch einen schwarzen Slip an. Das Kerzenlicht tanztes auf ihrer nackten Haut.

„Ich hab mir schon mal was Bequemeres angezogen.“

„Gute Idee. Und mein T-Shirt kratzt total am Rücken.“ Ich streifte es mir über den Kopf.

„Das muss ja schrecklich wehtun“, flüsterte Sandra und rutschte zur Seite. „Komm, leg dich zu mir, mein Held.“

Ich zog meine Hose aus und glitt neben sie auf die Matratze. Sie rutschte ganz nah zu mir und legte ein Bein über meine Hüfte.

„Wieso bin ich dein Held?“, fragte ich heiser.

„Also, da gibt es zwei Gründe.“ Sandra nahm das Weinglas neben der Matratze und setzte es mir an die Lippen.

„Zum einen bist du der beste Gnocchi-Koch der Welt.“ Sie nahm einen Schluck, beugte sie sich zu mir und küsste mich. Wieder schob sie einen Eiswürfel in meinen Mund und zerküsste ihn.

„Und zweitens?“, fragte ich, als ich wieder Luft bekam.

„Und zweitens...“ Sandra fischte einen Eiswürfel aus dem Glas und ließ ihn mir auf den Bauch plumpsen. Dann legte sie sich auf mich und zerrieb ihn langsam zwischen uns.

„Zweitens finde ich Männer in kleinen, klapprigen Autos absolut unwiderstehlich.“

4. Conni

„Wer muss noch aufs Klo?“, rief ich aus der Garage. Ich checkte meinen Rucksack: Badesachen, Sonnencreme, drei Flaschen Apfelschorle, Wurst- und Käsebrote, Apfelstücke für Sandra und die Kinder, Schokolade für mich. Das sollte reichen für einen Ausflug ans Kap. Hauptsache wir mussten nicht nach zehn Minuten umkehren, weil Sandra ihre Sonnenbrille oder die Kamera vergessen hatte!

Ich huschte nochmal zurück ins Haus und fischte meinen Fotoapparat vom Wohnzimmertisch. Und im Rausgehen entdeckte ich mein Handy und meinen Geldbeutel auf der Küchenablage. Das ging ja gut los!

Als alles im Auto verstaut war und Sandra zweimal kontrolliert hatte, ob die Kaffeemaschine auch wirklich ausgeschaltet und die Alarmanlage angeschaltet war, ging es endlich los. Hannah hatte gestern Abend gegen Jonas bei Schere-Stein-Papier gewonnen und durfte deshalb bestimmen, wohin der Ausflug gehen sollte. Da hatte sie nicht lange überlegen müssen: Zu den Pinguinen natürlich. Davon träumte sie schon seit unserer Ankunft vor nun mehr als zwei Wochen.

Leider durfte Hannah auch bestimmen, was wir im Auto anhörten. Als sie mir die CD nach vorne reichte, bekam ich eine Gänsehaut.

„Oh nein, bitte nicht! Hannah, hast du nicht was anderes dabei?“

„Ich bin heute der Bestimmer. Und ich will Conni hören!“

Mit zitternden Händen schob ich die CD ins Autoradio. Das Anfangslied ertönte und mir wurde übel – wie jedes Mal, normalerweise ging es nur erst etwas später los. Wir hatten uns gerade in den dichten Verkehr in der Main Road eingeordnet, da verkündete Conni mit der Schleife im Haar, dass sie uns heute alles über den wundervollen Tag erzählen würde, an dem sie und ihr Freund Simon Pizza backen wollten. Ich konnte es kaum erwarten!

„Bevor große oder kleine Köche kochen oder backen, müssen sie sich zuerst ganz gründlich die Hände waschen. Haha, und das machen Conni und Simon dann auch.“ Mir kam ein mundvoll Müsli hoch. Ich schluckte es wieder runter und konzentrierte mich auf den Verkehr.

Wie wäre es mit Primzahlen, alle zwischen eins und hundert? Das lenkte mich sicher ab. Also, eins, drei, fünf, sieben, elf. Dreizehn. Siebzehn? Bestimmt.

Aber bei neunzehn war Schluss, denn jetzt rollte Conni den Teig aus und sang dazu: „Rauf und runter, rauf und runter, rauf und runter, rauf und runter.“ Ich presste die Zähne zusammen und summte leise vor mich hin. Tief einatmen, Luft anhalten und dann langsam durch die Nase ausströmen lassen. Warum machte mich dieses Mädchen nur so aggressiv?