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Anthony Bridgerton heiratet Der begehrteste Junggeselle der Londoner Gesellschaft und die aussichtsreichste Debütantin der Saison: Lord Anthony Bridgerton und Edwina Sheffield gäben ohne Frage ein schönes Paar ab. Wären da nicht Edwinas überaus besorgte Schwester Kate und der durchaus zweifelhafte Ruf des Lords. Kate ist fest entschlossen, ihre Schwester vor dem Herzensbrecher zu schützen – bis der Viscount sie eines Tages in seine Arme reißt und sie einfach küsst. Entsetzt erkennt Kate, dass sie den Mann, der ihre Schwester hofiert, selbst heimlich begehrt … »Wahrhaft die Jane Austen der Gegenwart.« Bestsellerautorin Jill Barnett
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Seitenzahl: 523
Zum Buch
Anthony Bridgerton glaubt nicht, dass ihm mehr Lebenszeit beschieden sein wird als seinem mit 38 Jahren verstorbenen Vater. Deshalb ist es nun an der Zeit, nach allem Hinauszögern doch endlich zu heiraten und einen Erben zu zeugen! Wer könnte da besser geeignet sein als Edwina Sheffield, das Juwel dieser Saison? Anthony weiß zwar noch nicht, ob sie zueinanderpassen, aber Liebe hält er ohnehin für eine unnötige Komplikation. Dass dieses Wunder des Lebens ihn dann ausgerechnet bei der Begegnung mit der Schwester seiner Auserwählten heimsucht, sorgt für ganz neue Schwierigkeiten …»Wahrhaft die Jane Austen der Gegenwart.« Bestsellerautorin Jill Barnett
Zum Autor
Julia Quinn wird als zeitgenössische Jane Austen bezeichnet. Sie studierte zunächst Kunstgeschichte an der Harvard Universität, ehe sie die Liebe zum Schreiben entdeckte. Ihre überaus erfolgreichen historischen Romane präsentieren den Zauber einer vergangenen Epoche und begeistern durch ihre warmherzigen, humorvollen Schilderungen.
Lieferbare Titel
Bridgerton – Der Duke und ich (Bridgerton 1) Bridgerton – Wie bezaubert man einen Viscount? (Bridgerton 2) Bridgerton – Wie verführt man einen Lord? (Bridgerton 3) Rokesby – Der Earl mit den eisblauen Augen (Rokesby 1) Rokesby – Tollkühne Lügen, sinnliche Leidenschaft (Rokesby 2)
Die Originalausgaben erschienen 2000 und 2013 unter den TitelnThe Viscount who Loved me und The Viscount who loved me:The 2nd Epilogue in The Bridgertons: Happily Ever Afters bei AVON BOOKS, an imprint of HarperCollins Publishers, US.
© 2000 by Julie Cotler Pottinger © 2006 by Julie Cotler Pottinger Erweiterte Neuausgabe © 2021 für die deutschsprachige Ausgabe by HarperCollins in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg Published by arrangement with HarperCollins Publishers L.L.C., New York Covergestaltung von Birgit Tonn, Artwork Harlequin Coverabbildung von Lee Avison / Trevillion Images GSshot / GettyImages, mentalmind / Shutterstock
ISBN E-Book 9783749951321
www.harpercollins.de
Anthony Bridgerton hatte schon immer gewusst, dass er jung sterben würde.
Oh nein, nicht als er noch ein Knabe gewesen war. Der kleine Anthony hatte keinerlei Veranlassung gehabt, über den eigenen Tod nachzugrübeln. Kein Junge hätte eine schönere Kindheit haben können, und zwar vom ersten Tage an.
Gewiss, sein Vater war ein Viscount und Anthony somit Erbe eines sehr alten und sehr wohlhabenden Geschlechts, doch im Gegensatz zu den meisten anderen adeligen Elternpaaren liebten Lord und Lady Bridgerton einander sehr. So freuten sie sich bei Anthonys Geburt nicht über einen Erben, sondern über ein Kind.
Deshalb also gab es kein rauschendes Fest, sondern die ganze Feierlichkeit bestand darin, dass Mutter und Vater ihren neugeborenen Sohn bestaunten.
Die Bridgertons waren recht junge Eltern – Edmund war kaum zwanzig, Violet gerade erst achtzehn –, doch sie waren vernünftige und starke Menschen, und sie liebten ihren Sohn mit einer Innigkeit und Hingabe, die man in ihren gesellschaftlichen Kreisen selten sah. Zum Entsetzen ihrer Mutter beharrte Violet darauf, das Kind selbst zu stillen, und Edmund hielt rein gar nichts von der herrschenden Meinung, dass Väter ihre Kinder möglichst weder sehen noch hören sollten. Er machte mit dem Kleinen lange Spaziergänge, erörterte Philosophie und Poesie mit ihm, obwohl Anthony noch kein Wort verstand, und erzählte ihm jeden Abend eine Gutenachtgeschichte.
Da der Viscount und die Viscountess so jung und so verliebt waren, konnte es niemand sonderlich überraschen, dass Anthony zwei Jahre nach seiner Geburt ein Brüderchen bekam, das Benedict getauft wurde. Edmund richtete es so ein, dass er zu seinen Wanderungen zwei Söhne mitnehmen konnte: Er zog sich eine Woche nachmittags in die Ställe zurück und tüftelte mit seinem Sattler ein besonderes Gestell aus, sodass er Anthony auf dem Rücken und den kleinen Benedict in den Armen tragen konnte.
Er marschierte mit ihnen durch Felder und durchquerte Flüsse, und er erzählte ihnen wundersame Geschichten von Zauberblumen und Himmelssphären, von Rittern in schimmernder Rüstung und Jungfrauen in Not. Violet lachte stets, wenn sie windzerzaust und sonnengebräunt nach Hause kamen, und Edmund sagte dann: »Na also, hier haben wir unsere Jungfrau in Not. Wir müssen sie natürlich erretten.« Und daraufhin fiel Anthony seiner Mutter in die Arme und schwor kichernd, dass er sie vor dem feuerspeienden Drachen beschützen würde, den sie nur zwei Meilen entfernt auf der Dorfstraße gesehen hätten.
»Zwei Meilen entfernt, auf der Dorfstraße?«, hauchte Violet mit sorgfältig gespieltem Entsetzen. »Gütiger Himmel, was würde ich nur tun ohne drei starke Männer, die mich beschützen?«
»Benedict ist doch nur ein Baby«, sagte Anthony.
»Aber er wird wachsen«, erwiderte sie immer und zerzauste ihm das Haar noch mehr, »genau wie du.«
Edmund brachte allen seinen Kindern die gleiche Zärtlichkeit und Hingabe entgegen, doch spätabends, wenn Anthony die Bridgerton’sche Taschenuhr an die Brust drückte, wiegte er sich gern in dem Glauben, dass seine Beziehung zu seinem Vater etwas ganz Besonderes war. Nicht weil Edmund ihn am liebsten hatte. Inzwischen besaß Anthony drei Geschwister. Colin und Daphne waren recht bald nacheinander gekommen, und er wusste ganz genau, dass alle Kinder gleichermaßen geliebt wurden.
Nein, Anthony hielt seine Beziehung zu seinem Vater gern für etwas Besonderes, weil er ihn von allen am längsten kannte. Egal, wie lange Benedict den Vater kennen mochte, Anthony würde ihm immer zwei Jahre voraushaben. Und Colin sechs. Und was Daphne anging, nun, abgesehen davon, dass sie ein Mädchen war, kannte sie Vater ganze acht Jahre weniger als er, und das würde auch immer so bleiben.
Edmund Bridgerton war für Anthony ganz einfach das Wichtigste auf der Welt. Er war groß, hatte breite Schultern, und er konnte reiten, als wäre er im Sattel geboren. Er konnte jede knifflige Rechenaufgabe lösen, er baute seinen Söhnen ein Baumhaus, und sein warmherziges Lachen tat so gut.
Edmund brachte Anthony das Reiten, das Schießen und das Schwimmen bei. Er fuhr ihn nach Eton, statt ihn in einer Kutsche mit Bediensteten auf den Weg zu schicken, wie es den meisten von Anthonys zukünftigen Kameraden erging. Und als er sah, wie Anthony sich unruhig auf dem Schulgelände umblickte, nahm er seinen Ältesten beiseite und versicherte ihm, er brauche sich keine Sorgen zu machen.
Und das stimmte auch. Anthony wusste, dass alles gut gehen würde. Sein Vater log schließlich nie.
Anthony liebte seine Mutter. Er hätte einen Arm geopfert, wenn es nötig gewesen wäre, um sie vor Schaden zu bewahren. Doch in seiner Jugend galt alles, was er tat – jeder Erfolg, jedes Ziel, jeder Traum für die Zukunft –, nur seinem Vater.
Eines Tages jedoch wurde alles ganz anders. Es ist seltsam, wird er später denken, wie sich das eigene Leben in einem einzigen Augenblick verändern kann. Gerade noch verhält sich alles wie immer und plötzlich einfach … nicht mehr.
Es geschah im Sommer, als Anthony achtzehn war und sich zu Hause auf sein erstes Jahr in Oxford vorbereitete. Sein Leben lag als so strahlende Verheißung vor ihm, wie ein Achtzehnjähriger es sich nur vorzustellen vermochte. Er hatte die Frauen für sich entdeckt, und was vielleicht noch grandioser war: Sie hatten ihn entdeckt.
Mittlerweile hatte sich seine Familie um Eloise, Francesca und Gregory erweitert, und Anthony musste sich zusammenreißen, um nicht die Augen zu verdrehen, wenn er seiner Mutter im Haus begegnete – guter Hoffnung mit ihrem achten Kind! Anthony fand es ein wenig unziemlich, in ihrem Alter noch zu gebären, aber diese Meinung behielt er für sich.
Wer war er denn, dass er Edmunds Entscheidungen hätte anzweifeln können? Vielleicht würde er selbst im reifen Alter von achtunddreißig Jahren noch mehr Kinder haben wollen.
Es war später Nachmittag, als Anthony davon erfuhr. Er kehrte von einem langen und harten Ausritt mit Benedict zurück und hatte gerade die Eingangstür von Aubrey Hall, dem Stammsitz der Bridgertons, aufgestoßen, als er seine zehnjährige Schwester auf dem Boden sitzen sah. Benedict hielt sich noch im Stall auf, weil er eine alberne Wette mit Anthony verloren hatte und deshalb die beiden Pferde striegeln musste.
Unvermittelt blieb Anthony stehen, als er Daphne entdeckte. Es war schon reichlich seltsam, dass seine Schwester in dem großen Foyer auf dem Fußboden saß. Noch seltsamer war, dass sie weinte.
Das tat sie sonst nie.
»Daphne«, begann er zögernd, zu jung, um zu wissen, wie man mit einem weinenden Mädchen umging, falls man so etwas jemals lernte, »was …«
Doch bevor er die Frage ganz aussprechen konnte, hob Daphne den Kopf, und der abgrundtiefe Schmerz in ihren großen braunen Augen fuhr ihm wie ein Messer ins Herz. Er taumelte einen Schritt zurück und begriff, dass etwas passiert sein musste, etwas wirklich Schreckliches.
»Er ist tot«, flüsterte Daphne. »Vater ist tot.«
Im ersten Moment vermutete Anthony, dass er sich verhört hatte. Sein Vater konnte gar nicht tot sein. Gewiss, andere Leute starben jung, wie Onkel Hugo, aber Onkel Hugo war oft krank gewesen.
»Du irrst dich«, erklärte Anthony und sah sie erschrocken an. »Du irrst dich ganz bestimmt.«
Sie schüttelte den Kopf. »Eloise hat es mir gesagt. Er war … es war …«
Anthony wusste, dass er seine Schwester nicht so grob anpacken durfte, wenn sie schluchzte, aber er konnte nicht anders. »Es war was, Daphne?«
»Eine Biene«, wimmerte sie. »Eine Biene hat ihn gestochen.«
Zunächst blickte Anthony sie nur stumm an. Schließlich verkündete er mit rauer Stimme: »Ein Mensch stirbt doch nicht an einem Bienenstich, Daphne.«
Sie erwiderte nichts, saß nur schluchzend auf dem Boden.
»Er wurde doch schon einmal gestochen«, fügte Anthony mit lauterer Stimme hinzu. »Ich war dabei. Wir wurden beide gestochen. Wir sind über einen Bienenstock gestolpert. Ich habe einen Stich in die Schulter verpasst bekommen.« Unwillkürlich hob er die Hand, um zu zeigen, an welcher Stelle er vor so vielen Jahren gestochen worden war. Flüsternd fuhr er fort: »Er in den Arm.«
Daphne starrte ihn nur ausdruckslos an.
»Es ging ihm gut«, versicherte Anthony und fügte hinzu: »Ein Mensch stirbt nicht an einem Bienenstich!«
Daphne schüttelte den Kopf, und ihre dunklen Augen schienen plötzlich einer Hundertjährigen zu gehören. »Es war eine Biene«, murmelte sie mit dumpfer Stimme. »Eloise hat alles gesehen. Eben noch stand er da, und im nächsten Moment war er … war er …«
Anthony spürte, wie etwas Eigenartiges in ihm emporstieg, als wollten seine Muskeln gleich seine Haut sprengen. »Im nächsten Moment war er was, Daphne?«
»Fort.« Sie schaute so fassungslos aus, wie er sich fühlte.
Anthony ließ Daphne in der Eingangshalle sitzen und stürzte, drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe zum Schlafzimmer seiner Eltern hinauf. Bestimmt war sein Vater nicht tot. Ein Mensch ging doch nicht an einem Bienenstich zugrunde. Das war völlig unmöglich. Vollkommen verrückt. Edmund Bridgerton konnte man als jung und kräftig bezeichnen. Er war groß, mit breiten Schultern und starken Muskeln, und, bei Gott, eine alberne kleine Biene würde ihn niemals zu Fall bringen.
Doch als Anthony den oberen Gang erreichte, erkannte er an dem Schweigen der teilweise hier versammelten Dienerschaft, dass die Lage sehr ernst sein musste.
Der mitleidige Ausdruck auf ihren Gesichtern würde ihn den Rest seines Lebens verfolgen.
Er rechnete damit, sich den Zutritt zum Schlafzimmer seiner Eltern erkämpfen zu müssen, doch die Bediensteten wichen zur Seite, und als Anthony die Tür aufstieß, begriff er die bittere Wahrheit.
Seine Mutter saß auf der Bettkante. Sie weinte nicht, gab keinen Laut von sich, hielt nur seines Vaters Hand und wiegte sich langsam vor und zurück.
Sein Vater lag reglos da. Starr wie …
Anthony wollte das Wort nicht einmal denken.
»Mutter?«, presste er hervor.
Sie drehte sich um, langsam, als würde sie seine Stimme aus weiter Ferne hören.
»Was ist passiert?«, flüsterte er.
Sie schüttelte den Kopf, einen hoffnungslosen Ausdruck in den Augen. »Ich weiß es nicht«, antwortete sie. Ihr Mund blieb ein klein wenig offen, als hätte sie noch etwas äußern wollen, es dann aber vergessen.
Anthony trat einen Schritt vor, steif und ungelenk.
»Er ist fort«, wisperte Violet schließlich. »Er ist von uns gegangen, und ich … oh Gott, ich …« Sie legte eine Hand auf ihren großen Bauch. »Ich habe ihm gesagt … ach, Anthony, ich habe ihm gesagt …« Verzweifelt hielt sie inne.
Anthony schluckte, Tränen brannten ihm in den Augen, und die Kehle schnürte sich ihm zu. Er eilte an ihre Seite. »Ist schon gut, Mutter.«
Aber er wusste, dass gar nichts gut war.
»Ich habe ihm gesagt, dieses Kind müsste unser letztes sein«, brachte sie stöhnend hervor und schluchzte an Anthonys Schulter. »Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht noch eines austragen kann und dass wir aufpassen müssen, und … Oh Anthony, was würde ich darum geben, wenn er noch bei uns wäre und ich ihm noch ein Kind schenken könnte. Ich verstehe es einfach nicht …«
Anthony ließ sie in seinen Armen weinen. Er schwieg. Denn es erschien ihm sinnlos, nach Worten zu suchen, die seinen Gefühlen angemessen wären.
Auch er konnte es nicht begreifen.
Die Ärzte kamen später an jenem Abend und erklärten, sie seien ratlos. Sie hatten schon von solchen Fällen gehört, doch niemals bei einem so jungen und gesunden Mann.
Niemand hätte so etwas auch nur ahnen können, wiederholten die Ärzte immer wieder, bis Anthony sie am liebsten allesamt erwürgt hätte. Endlich verließen sie das Haus. Danach kümmerte er sich um seine Mutter. Sie beharrte darauf, in einem der Gästezimmer die Nacht zu verbringen, weil sie die Vorstellung nicht ertragen konnte, in dem Bett zu schlafen, das sie so viele Jahre lang mit Edmund geteilt hatte.
Anthony schaffte es auch, seine sechs Geschwister ins Bett zu stecken. Er versicherte ihnen, sie würden morgen über alles sprechen und es komme alles wieder in Ordnung. Und er werde für sie sorgen, wie sein Vater es gewollt hätte.
Dann betrat er den Raum, in dem Edmund noch immer lag, und betrachtete ihn lange. Und als er aus dem Zimmer ging, verließ er es mit einer neuen Sichtweise für sein eigenes Leben, einem neuen Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit.
Edmund Bridgerton war im Alter von achtunddreißig Jahren gestorben. Und Anthony konnte sich einfach nicht vorstellen, seinen Vater in irgendetwas zu übertreffen, und sei es an Jahren.
Das unerschöpfliche Thema männlicher Unvernunft ist an dieser Stelle natürlich schon des Öfteren diskutiert worden, und die Unterzeichnende ist zu dem Schluss gekommen, dass es minder schwere und sehr schwere Fälle von Frauenhelden gibt.
Anthony Bridgerton ist ein sehr schwerer Fall.
Ein Frauenheld – minder schwerer Fall – ist jungenhaft und unreif. Er prahlt mit seinen Eroberungen, benimmt sich wie ein Narr und glaubt, er könne den Frauen gefährlich werden.
Ein echter Frauenheld – sehr schwerer Fall – hingegen weiß, dass er den Frauen gefährlich wird.
Er prahlt nicht mit seinen Eroberungen, denn das hat er nicht nötig. Ihm ist klar, dass er sowohl unter Frauen als auch unter Männern für viel Getuschel sorgt. Allerdings wäre es ihm sogar lieber, man würde gar nicht über ihn reden. Er weiß, wer er ist und was er getan hat. Es immer wieder zu hören, langweilt ihn nur.
Er benimmt sich nicht wie ein Narr, und zwar deshalb, weil er keiner ist, zumindest nicht in größerem Maße, als bei Männern im Allgemeinen zu erwarten. Er bringt wenig Geduld auf für die üblichen gesellschaftlichen Nichtigkeiten, und darin kann Ihre ergebene Chronistin ihm nur recht geben.
Und wenn all das nicht Anthony Bridgerton – den begehrtesten Junggesellen der Saison – genau beschreibt, so wird die Unterzeichnende ihre Feder sogleich und für immer niederlegen. Fraglich ist allein: Sollte1814die Saison sein, in der er endlich dem häuslichen Glück der trauten Ehe anheim fällt?
Nach Ansicht der Unterzeichnenden …
Niemals.
Lady Whistledowns GesellschaftsJournal,
20. April 1814
Bitte, sag bloß nicht«, bemerkte Kate Sheffield, »dass sie schon wieder über Viscount Bridgerton schreibt.«
Ihre Halbschwester Edwina, fast vier Jahre jünger als sie, blickte von dem Journal auf. »Woher wusstest du das?«
»Du kicherst, als hättest du den Verstand verloren.«
Edwina lachte so sehr, dass das blaue Damastsofa wackelte, auf dem die beiden saßen.
»Siehst du?«, meinte Kate und piekste sie in den Arm. »Du kicherst immer, wenn sie über irgendeinen nichtswürdigen Schuft schreibt.« Doch Kate schmunzelte dabei. Sie neckte ihre Schwester für ihr Leben gern.
Mary Sheffield, Edwinas Mutter und seit fast achtzehn Jahren Kates Stiefmutter, schaute von ihrer Stickerei auf und schob sich die Brille auf der Nase hoch. »Worüber amüsiert ihr euch denn so?«
»Kate empört sich nur, weil Lady Whistledown schon wieder über diesen Frauenhelden schreibt«, erklärte Edwina.
»Ich empöre mich überhaupt nicht«, widersprach Kate, doch niemand schien ihr zuzuhören.
»Bridgerton?«, fragte Mary abwesend.
Edwina nickte. »Ja.«
»Sie lässt sich doch ständig über ihn aus.«
»Ich glaube, sie befasst sich einfach gern mit Windbeuteln«, erwiderte Edwina.
»Das ist doch ganz klar«, entgegnete Kate. »Wenn sie über langweilige Leute berichten würde, könnte sie ihre Zeitung nicht verkaufen.«
»Das stimmt nicht«, antwortete Edwina. »Erst vergangene Woche hat sie über uns geschrieben, und wir gehören weiß Gott nicht zu den interessantesten Leuten in London.«
Kate musste über die Naivität ihrer Schwester lächeln. Kate und Mary mochten nicht zu den interessantesten Leuten in London gehören, doch Edwina mit ihrem goldblonden Haar und den umwerfend schönen hellblauen Augen wurde bereits als die Unvergleichliche der Saison bezeichnet. Von Kate jedoch, deren Haar und Augen von einem unscheinbaren Braun waren, sprach man für gewöhnlich als »der Unvergleichlichen ältere Schwester«.
Zumindest hatte noch niemand begonnen, sie »der Unvergleichlichen altjüngferliche Schwester« zu nennen. Was der Wahrheit wesentlich näher kam, als man im Hause Sheffield wahrhaben wollte. Mit beinahe einundzwanzig Jahren genoss Kate ihre erste Saison in London reichlich spät.
Doch sie hatten keine andere Möglichkeit gehabt. Die Sheffields waren nicht wohlhabend gewesen, als Kates Vater noch gelebt hatte, und seit er vor fünf Jahren verblichen war, hatten sie sich noch mehr einschränken müssen. Sie standen gewiss nicht kurz davor, ins Armenhaus zu gehen, aber sie mussten jedes Pfund zweimal umdrehen.
Wegen der knapp bemessenen Mittel konnten sich die Sheffields den Aufenthalt in London nur einmal leisten. Ein Haus sowie eine Kutsche zu mieten und die notwendigsten Dienstboten für eine Saison einzustellen, all das kostete Geld. Viel zu viel Geld. Sie hatten ohnehin schon fünf Jahre lang sparen müssen, um sich den Aufenthalt in London leisten zu können. Und wenn die Mädchen auf dem Hochzeitsmarkt keinen Erfolg hatten, würden sie sich auf vornehme Armut und ein zurückgezogenes Leben in einem entzückend kleinen Cottage in Somerset einrichten müssen.
So waren Kate und Edwina gezwungen, im gleichen Jahr zu debütieren. Sie waren übereingekommen, dass dies am besten geschah, wenn Edwina gerade siebzehn und Kate fast einundzwanzig war. Mary hätte gern gewartet, bis Edwina achtzehn und ein wenig reifer war, doch dann wäre Kate fast zweiundzwanzig gewesen, und wer, um Himmels willen, hätte sie dann noch geheiratet?
Kate seufzte leise. Sie hatte nicht einmal die eine Saison gewollt. Von Anfang an war ihr klar gewesen, dass sie nicht zu denen gehörte, die den ton im Sturm eroberten. Sie war nicht schön genug, um ihre magere Mitgift wettzumachen. Außerdem fehlten ihr Fertigkeiten wie das einfältige Lächeln, die gezierte Haltung und der trippelnde Gang, Fähigkeiten, die anderen Mädchen anscheinend in die Wiege gelegt worden waren. Selbst Edwina, der Verstellung sonst völlig fremd war, wusste irgendwie genau, wie sie stehen, gehen und seufzen musste, damit Männer sich um die Ehre prügelten, sie über die Straße geleiten zu dürfen.
Kate hingegen konnte keinen Augenblick stillsitzen, und sobald sie sich bewegte, hatte man das Gefühl, sie nähme an einem Wettrennen teil. Warum auch nicht, fragte sie sich. Wenn man irgendwohin wollte, sollte man doch versuchen, so schnell wie möglich ans Ziel zu kommen.
An der Stadt London fand sie nicht viel Gefallen. Sicher, sie amüsierte sich recht gut, und sie hatte einige nette Menschen kennengelernt. Doch eine Saison in London schien ihr eine schreckliche Verschwendung für eine Frau zu sein, die völlig zufrieden damit gewesen wäre, auf dem Lande zu bleiben und sich dort einen vernünftigen Ehemann zu suchen.
Mary wollte nichts dergleichen hören. »Als ich deinen Vater geheiratet habe«, hatte sie gesagt, »habe ich geschworen, dich so sorgfältig und liebevoll zu erziehen, als wärst du mein eigen Fleisch und Blut.«
Kate hatte nur ein kleines »Aber …« anbringen können, bevor Mary fortgefahren war: »Ich habe eine Verantwortung gegenüber deiner armen Mutter, Gott hab sie selig, und dazu gehört auch, dass du glücklich und sicher verheiratet wirst.«
»Ich könnte doch auf dem Land glücklich und sicher sein«, hatte Kate erwidert.
»In London hast du mehr Männer zur Auswahl.«
An diesem Punkt hatte Edwina sich eingeschaltet und beteuert, dass sie ohne die Schwester todunglücklich wäre, und da Kate es nicht ertragen konnte, wenn ihre Schwester traurig war, hatte sie sich in ihr Schicksal ergeben.
Und da saß sie nun – in einem etwas verschlissenen Salon in einem gemieteten Haus in einem beinahe eleganten Viertel Londons und …
Sie sah sich verstohlen um … und riss ihrer Schwester eine Zeitung aus der Hand.
»Kate!«, kreischte Edwina und blickte fassungslos auf das kleine dreieckige Stück Papier, das sie noch zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. »Ich war noch gar nicht fertig!«
»Du brauchst mir zu lange«, erwiderte Kate keck. »Und ich will wissen, was sie uns heute über Viscount Bridgerton mitzuteilen hat.«
Edwinas Augen, die üblicherweise mit friedvollen Bergseen verglichen wurden, blitzten schalkhaft. »Du interessierst dich schon sehr für den Viscount, muss ich sagen. Hast du uns vielleicht etwas zu gestehen?«
»Sei nicht albern. Ich kenne den Mann nicht einmal. Und wenn ich ihm begegnete, würde ich vermutlich davonlaufen. Bridgerton ist genau einer der Männer, denen wir beide um jeden Preis aus dem Weg gehen sollten. Vermutlich könnte er einen Eisberg verführen.«
»Kate!«, entsetzte sich Mary.
Kate verzog das Gesicht. Sie hatte vergessen, dass ihre Stiefmutter zuhörte. »Nun, aber es stimmt doch«, beharrte sie. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass er mehr Geliebte gehabt haben soll als ich Geburtstage.«
Mary betrachtete ihre Stieftochter einen Moment lang, als überlege sie, ob sie darauf etwas erwidern sollte, und antwortete schließlich: »Nun, das trifft auf die meisten Männer zu. Aber eigentlich ist das kein Thema für junge Damen.«
»Oh.« Kate errötete. Es war nicht eben angenehm, so entschieden widerlegt zu werden, wenn man gehofft hatte, eine lustige Bemerkung zu machen. »Dann hat er eben doppelt so viele gehabt. Wie auch immer, er ist ein ärgerer Bonvivant als die meisten anderen Männer, und er gehört ganz sicher nicht zu jenen, denen Edwina gestatten sollte, um sie zu werben.«
»Dies ist auch deine Saison«, mahnte Mary.
Kate warf Mary einen äußerst sarkastischen Blick zu. Schließlich war allen klar: Wenn der Viscount sich entschloss, um eine Sheffield zu werben, würde das nicht Kate sein.
»Ich glaube nicht, dass du da drin etwas findest, was dich von deiner Meinung abbringen könnte«, sagte Edwina mit einem Schulterzucken und beugte sich zu Kate hinüber, um einen Blick auf das Blatt zu erhaschen. »Sie schreibt gar nicht so viel über ihn. Es ist eher eine Abhandlung über Frauenhelden.«
Kate überflog die bedruckte Seite. Dabei stieß sie mehrmals Laute der Verachtung aus. »Ich meine, da könnte sie recht haben. Dieses Jahr wird er es wahrscheinlich auch zu nichts bringen.«
»Du findest immer, dass Lady Whistledown recht hat«, verkündete Mary lächelnd.
»Hat sie auch meistens«, erwiderte Kate. »Du musst schon zugeben, dass sie für eine Klatschkolumnistin einen sehr scharfen Verstand hat. Jedenfalls lag sie bei allen Leuten richtig, die ich bisher in London kennengelernt habe.«
»Du solltest dir stets ein eigenes Urteil bilden, Kate«, entgegnete Mary mit leichtem Tadel in der Stimme. »Es ist unter deiner Würde, deine Meinung nach der einer Klatschkolumnistin zu richten.«
Insgeheim stimmte sie ihrer Stiefmutter zu, doch sie wollte es nicht offen zugeben, also stieß sie nur einen weiteren Laut der Verachtung aus und wandte sich wieder dem Blatt in ihren Händen zu.
Whistledown war zweifellos die interessanteste Lektüre in ganz London. Kate hatte keine Ahnung, seit wann es die Klatschzeitung gab – seit vergangenem Jahr, hatte sie gehört –, aber eines war sicher: Wer auch immer Lady Whistledown sein mochte – und niemand wusste wirklich, wer sie war –, sie musste dem ton angehören und hervorragende Verbindungen haben. Es konnte gar nicht anders sein. Kein Außenseiter könnte Zugang zu all dem Klatsch haben, den sie jeden Montag, Mittwoch und Freitag veröffentlichte.
Lady Whistledown kannte stets die neuesten Gerüchte, und im Gegensatz zu anderen Klatschkolumnistinnen zögerte sie nicht, die Namen ihrer Opfer zu nennen. Vergangene Woche beispielsweise war sie zu der Auffassung gelangt, dass Gelb Kate nicht stand, also hatte sie klar und deutlich geschrieben: »Die Farbe Gelb lässt die dunkelhaarige Miss Katharine Sheffield aussehen wie eine versengte Narzisse.«
Kate hatte diese Beleidigung nichts ausgemacht. Sie hatte schon mehr als einmal gehört, dass man sich nicht als »arriviert« betrachten durfte, ehe man nicht von Lady Whistledown beleidigt worden war. Selbst Edwina, von der die Gesellschaft restlos begeistert war, hatte Kate darum beneidet, mit einer solchen Kränkung ausgezeichnet zu werden.
Und obgleich Kate nicht eben begeistert war, eine Saison in London zu verbringen, fand sie es doch beruhigend, von Lady Whistledown beachtet zu werden. Wenn eine verletzende Bemerkung in einer Klatschkolumne die einzige Feder sein sollte, mit der sie sich schmücken konnte, so würde sie es hinnehmen. Kate durfte nicht wählerisch sein, was ihre Triumphe anging.
Wenn Penelope Featherington damit prahlte, in orangefarbenem Satin mit einer überreifen Zitrusfrucht verglichen worden zu sein, konnte Kate sie nun mit einer Armbewegung zum Schweigen bringen und mit größtmöglicher Dramatik seufzen: »Nun ja, ich bin eine versengte Narzisse.«
»Eines Tages«, verkündete Mary unvermittelt, wobei sie ihre Brille schon wieder mit dem Zeigefinger hochschob, »wird jemand herausfinden, wer diese Frau in Wirklichkeit ist, und dann gnade ihr Gott.«
Edwina betrachtete ihre Mutter interessiert. »Meinst du wirklich, dass ihr jemand auf die Schliche kommt? Sie hat es nun schon über ein Jahr lang geschafft, ihr Geheimnis zu bewahren.«
»Etwas so Wichtiges kann nicht lange ein Geheimnis bleiben«, entgegnete Mary. Sie malträtierte ihre Stickerei mit der Nadel und zog einen langen gelben Faden durch den Stoff. »Ich sage euch, früher oder später kommt alles ans Licht, und dann wird es einen Skandal geben, wie ihn diese Stadt noch nicht erlebt hat.«
»Also, wenn ich wüsste, wer sie ist«, meinte Kate und blätterte um, um Seite zwei zu lesen, »würde ich mich sehr anstrengen, sie zur Freundin zu gewinnen. Sie ist wirklich sehr unterhaltsam. Und egal, was alle anderen sagen, sie hat fast immer recht.«
In diesem Moment tapste Newton, Kates leicht übergewichtiger Corgi, ins Zimmer.
»Sollte der Hund nicht draußen bleiben?«, fragte Mary. Dann japste sie: »Kate«, als Newton vor ihren Füßen Halt machte und hechelnd darauf zu warten schien, gestreichelt zu werden.
»Newton, komm sofort hierher«, befahl Kate.
Er warf noch einen sehnsüchtigen Blick auf Mary, bevor er hinüber zu Kate trottete, sprang auf das Sofa und legte die Vorderpfoten auf ihren Schoß.
»Du bist gleich voller Hundehaare«, warnte Edwina.
Kate zuckte die Schultern und streichelte sein dichtes braunes Fell. »Das macht doch nichts.«
Edwina seufzte, aber sie streckte trotzdem die Hand aus, um Newton kurz den Kopf zu tätscheln. »Was schreibt sie sonst noch?«, erkundigte sie sich und beugte sich neugierig vor. »Bis Seite zwei habe ich es irgendwie nicht mehr geschafft.«
Kate lächelte über diesen Seitenhieb ihrer Schwester. »Nicht viel. Etwas über den Duke und die Duchess of Hastings, die anscheinend Anfang der Woche nach London zurückgekehrt sind, die Auflistung der auf Lady Danburys Ball gereichten Speisen, die ›von überraschender Köstlichkeit‹ waren, und eine wenig schmeichelhafte Beschreibung von Mrs. Featheringtons Kleid am vergangenen Montag.«
Edwina runzelte die Stirn. »Auf die Featheringtons scheint sie es ja wirklich abgesehen zu haben.«
»Kein Wunder«, sagte Mary, legte die Stickerei beiseite und erhob sich. »Diese Frau könnte selbst dann nicht die richtigen Farben für ihre Töchter auswählen, wenn sich ihr ein Regenbogen um den faltigen Hals legen würde.«
»Mutter!«, rief Edwina.
Kate schlug eine Hand vor den Mund, um nicht loszuprusten. Mary tat ihre Meinung selten so deutlich kund, aber wenn, dann war es immer besonders komisch.
»Nun, so ist es doch. Sie steckt ihre Jüngste immer wieder in Orange. Dabei ist doch für jeden offensichtlich, dass dieses arme Mädchen Blau oder Mintgrün tragen müsste.«
»Du hast mich auch etwas Gelbes anziehen lassen«, erinnerte sie Kate.
»Und es tut mir aufrichtig leid. Das wird mich lehren, nicht mehr auf Verkäuferinnen zu hören. Nie wieder werde ich an meinem eigenen Urteil zweifeln. Dieses Kleid müssen wir eben für Edwina passend machen.«
Da Edwina einen ganzen Kopf kleiner und um einiges zarter war als Kate, war das sehr leicht.
Kate wandte sich an ihre Schwester. »Dann lass auch gleich die Krause von den Ärmeln abtrennen. Die ist sehr lästig. Und sie kratzt. Am liebsten hätte ich sie gleich auf dem Ashbourneball abgerissen.«
Mary verdrehte die Augen. »Ich bin sowohl überrascht als auch dankbar, dass du dich so gut in der Gewalt hattest.«
»Ich bin überrascht, aber nicht dankbar«, meinte Edwina mit schalkhaftem Lächeln. »Denk nur, welchen Spaß Lady Whistledown daran gehabt hätte.«
»Oh ja«, sagte Kate und erwiderte das Lächeln. »Ich sehe es schon vor mir. ›Versengte Narzisse reißt sich die Blütenblätter ab‹.«
»Ich gehe jetzt nach oben«, verkündete Mary und schüttelte den Kopf über die Albernheiten ihrer Töchter. »Bitte denkt daran, dass wir heute Abend eingeladen sind. Ihr solltet euch vielleicht ein wenig ausruhen, bevor wir ausgehen. Heute wird es bestimmt wieder recht spät.«
Kate und Edwina nickten und murmelten die passenden Versprechungen, während Mary ihre Stickerei nahm und den Salon verließ. Sobald sie gegangen war, wandte sich Edwina an Kate und fragte: »Weißt du schon, was du heute Abend anziehen willst?«
»Das grüne Seidenkleid, denke ich. Ich weiß, ich sollte Weiß tragen, aber ich fürchte, das steht mir gar nicht.«
»Wenn du kein Weiß trägst«, antwortete Edwina als treue Schwester, »werde ich es auch nicht tun. Ich nehme den blauen Musselin.«
Kate nickte zustimmend und richtete den Blick wieder auf die Zeitung, wobei sie versuchte, Newton nicht vom Schoß rutschen zu lassen, der sich auf den Rücken gewälzt hatte und ihr den Bauch zum Kraulen entgegenstreckte. »Erst vergangene Woche hat Mr. Berbrooke bemerkt, dass du in Blau einem Engel gleichst. Weil es so gut zu deinen Augen passt.«
Edwina blinzelte überrascht. »Mr. Berbrooke hat das gesagt? Zu dir?«
Kate schaute wieder auf. »Natürlich. Alle deine Verehrer versuchen, ihre Komplimente durch mich anzubringen.«
»Tatsächlich? Aber warum denn nur?«
Kate lächelte nachsichtig. »Weißt du, Edwina, es könnte damit zusammenhängen, dass du auf dem Konzertabend der Smythe-Smiths vor der versammelten Zuhörerschaft verkündet hast, niemals ohne das Einverständnis deiner Schwester heiraten zu wollen.«
Edwinas Wangen färbten sich zartrosa. »Es war nicht vor der versammelten Zuhörerschaft«, entgegnete sie.
»Hätte es aber ebenso gut sein können. Diese Neuigkeit verbreitete sich schneller als ein Großbrand. Ich war in dem Moment nicht einmal in demselben Raum, und es hat höchstens zwei Minuten gedauert, bis ich davon gehört habe.«
Edwina verschränkte die Arme. »Nun, es ist die Wahrheit, und mir ist es egal, wer sie kennt. Ich weiß, dass man von mir erwartet, eine große, hervorragende Partie zu machen, aber ich muss doch niemanden heiraten, der mich schlecht behandelt. Jemand, der es schafft, dich zu beeindrucken, kommt ganz gewiss infrage.«
»Ist es denn so schwer, mich zu beeindrucken?«
Die beiden Schwestern sahen einander an und antworteten dann wie aus einem Munde: »Ja.«
Aber noch während Kate mit Edwina darüber lachte, stieg ein bohrendes Schuldgefühl in ihr auf. Alle drei Sheffields wussten, dass Edwina diejenige sein würde, die sich einen Adeligen schnappte oder in eine wohlhabende Familie einheiratete. Edwina würde diejenige sein, die dafür sorgte, dass ihre Mutter und sie, Kate, ihr Leben nicht in vornehmer Armut fristen mussten. Edwina war eine Schönheit, während sie …
Kate war Kate.
Es machte ihr nichts aus. Edwinas Schönheit war ganz einfach eine Tatsache. Und Kate hatte schon vor langer Zeit gelernt, gewisse Tatsachen einfach hinzunehmen. Sie würde nie lernen, Walzer zu tanzen, ohne dabei zu führen. Sie würde sich immer entsetzlich vor Gewittern fürchten, egal, wie oft sie sich dafür eine Närrin schalt. Und egal, was sie trug, wie sie ihr Haar frisierte oder wie oft sie sich in die Wangen kniff, sie würde nie so schön sein wie Edwina.
Abgesehen davon glaubte Kate nicht, dass sie all die Aufmerksamkeit genießen könnte, die Edwina zuteil wurde. Ebenso wenig, fiel ihr nun auf, hätte sie die Verantwortung tragen wollen, sich gut verheiraten zu müssen, um für Mutter und Schwester sorgen zu können.
»Edwina«, sagte Kate leise, und ihr Gesicht bekam einen ernsten Ausdruck, »du weißt doch, dass du niemanden heiraten musst, den du nicht magst. Das ist dir doch klar.«
Edwina nickte, aber sie schien plötzlich den Tränen nahe zu sein.
»Wenn du zu dem Schluss kommst, dass es in ganz London keinen einzigen Gentleman gibt, der gut genug für dich ist, na und? Dann fahren wir einfach zurück nach Somerset und genießen es, ganz unter uns zu sein. Mir ist deine Gesellschaft sowieso am liebsten.«
»Mir deine auch«, flüsterte Edwina.
»Und wenn du doch einem Mann begegnest, den du einfach hinreißend findest, würden Mary und ich überglücklich sein. Du darfst dir keine Gedanken darüber machen, uns alleinzulassen. Wir werden sehr gut miteinander auskommen.«
»Vielleicht findest du ja auch einen Ehemann«, entgegnete Edwina.
Kate spürte, wie ihre Lippen sich leicht kräuselten. »Ja, vielleicht«, räumte sie wider besseres Wissen ein. Sie wollte ihr Leben nicht als alte Jungfer verbringen, doch sie bezweifelte, dass sie hier in London einen Mann finden würde. »Vielleicht wendet sich ja einer deiner liebeskranken Verehrer mir zu, wenn ihm klar wird, dass er bei dir keine Chancen hat«, neckte Kate sie.
Edwina schlug mit einem Kissen nach ihr. »So ein Unsinn.«
»Ist es nicht!«, protestierte Kate. Und sie meinte es wirklich ernst. Dies schien ihr, offen gestanden, der wahrscheinlichste Weg zu sein, wie sie in dieser Stadt doch noch zu einem Gemahl kommen konnte.
»Weißt du, was für einen Mann ich gern heiraten würde?«, fragte Edwina, und ein verträumter Ausdruck trat in ihre Augen.
Kate schüttelte den Kopf.
»Einen Gelehrten.«
»Einen Gelehrten?«
»Einen Gelehrten«, sagte Edwina bestimmt.
Kate räusperte sich. »Ich glaube nicht, dass allzu viele davon sich für die Saison in der Stadt eingefunden haben.«
»Das ist mir klar.« Edwina seufzte leise. »Aber in Wahrheit – und du weißt, dass dies stimmt, auch wenn ich es in der Öffentlichkeit verschweigen soll – bin ich ein Bücherwurm. Ich würde viel lieber einen Tag in einer Bibliothek verbringen, als im Hyde Park herumzuspazieren. Ich glaube, ich würde mein Leben gern mit einem gebildeten Mann teilen, der auch geistige Interessen hat.«
»Gut. Hmmm …« Kate dachte kurz nach. Es war auch nicht wahrscheinlicher, dass Edwina ihren Gelehrten zu Hause in Somerset fand. »Weißt du, Edwina, es könnte schwierig sein, außerhalb der Universitätsstädte einen echten Gelehrten für dich zu finden. Du musst dich vielleicht mit einem Mann zufriedengeben, der wie du einfach nur gern liest und lernt.«
»Das würde mir genügen«, erwiderte Edwina fröhlich. »Ich wäre mit einem Privatgelehrten völlig zufrieden.«
Erleichtert atmete Kate auf. Es würde sich doch sicher in London ein Mann finden lassen, der gerne las.
»Und weißt du, was?«, fügte Edwina hinzu. »Man darf wirklich niemals nach dem Äußeren urteilen. Alle möglichen Leute sind sehr gebildet. Ja, sogar dieser Viscount Bridgerton, über den Lady Whistledown ständig schreibt, ist vielleicht ein heimlicher Gelehrter.«
»Nimm dich in Acht, Edwina. Mit Viscount Bridgerton darfst du nichts zu tun haben. Alle Welt weiß, dass er ein ganz schlimmer Frauenheld ist. Nein, er ist der schlimmste Frauenheld in ganz London. Im ganzen Land!«
»Das ist mir schon klar, ich habe ihn doch nur als Beispiel erwähnt. Außerdem ist es sowieso unwahrscheinlich, dass er sich dieses Jahr eine Braut wählt. Lady Whistledown hat das geschrieben, und du hast selbst gesagt, dass sie fast immer recht hat.«
Kate tätschelte ihrer Schwester den Arm. »Keine Sorge. Wir finden einen passenden Mann für dich. Aber nicht – nicht, niemals und auf gar keinen Fall – Viscount Bridgerton.«
Anthony ließ mit seinen drei jüngeren Brüdern den Tag mit ein paar Drinks bei White’s ausklingen.
Anthony Bridgerton lehnte sich in seinem Ledersessel zurück, schwenkte gedankenverloren seinen Scotch im Glas und verkündete dann: »Ich werde vielleicht heiraten.«
Benedict Bridgerton, der einer Lieblingsbeschäftigung nachging, die seine Mutter verabscheute – nämlich auf den beiden hinteren Stuhlbeinen herumzukippeln –, fiel hintenüber.
Colin Bridgerton erstickte fast an seinem Lachen.
Glücklicherweise kam Benedict rechtzeitig wieder in die Senkrechte, um ihm so kräftig auf den Rücken zu schlagen, dass eine grüne Olive quer über den Tisch flog.
Sie segelte knapp an Anthonys Ohr vorbei.
Wortlos ging Anthony über diesen Zwischenfall hinweg. Ihm war nur allzu bewusst, dass diese plötzliche Eröffnung ein wenig überraschend kam.
Er wusste, dass man ihn nicht zu den Männern zählte, die eine Familie gründen wollten. Er hatte die vergangenen zehn Jahre das Leben, die Frauen und jede andere Freude genossen, die sich ihm geboten hatte. Denn er wusste nur zu gut, dass das Leben kurz war. Natürlich hatte er sich an einen gewissen Ehrenkodex gehalten. Nie hatte er mit vornehmen jungen Damen getändelt. Frauen, die mit Recht verlangen könnten, dass er sie heiratete, ging er aus dem Weg.
Da Anthony selbst vier jüngere Schwestern besaß, hatte er auch großen Respekt vor dem guten Ruf junger Damen der Gesellschaft. Er hatte sich beinahe für eine seiner Schwestern duelliert, weil sie kompromittiert worden war. Und was die anderen drei betraf … Er gab offen zu, dass ihm bei der bloßen Vorstellung, eine von ihnen könnte sich mit einem Mann von seinem Ruf einlassen, der kalte Schweiß ausbrach.
Nein, er würde ganz gewiss keiner jungen Dame von gutem Ruf zu nahe treten.
Doch die Gesellschaft anderer Frauen – der Witwen und Schauspielerinnen, die wussten, was sie wollten und worauf sie sich einließen – hatte er weidlich genossen. Seit er Oxford verlassen hatte und nach London zurückgekehrt war, hatte er nicht einen Tag ohne Geliebte verbracht.
Manchmal, dachte er wehmütig, sogar nicht ohne zwei Geliebte.
Er hatte an beinahe jedem Pferderennen teilgenommen, das die Gesellschaft zu bieten hatte, bei Gentleman Jackson’s geboxt und mehr Kartenspiele gewonnen, als er zählen konnte. Von seinem zwanzigsten bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr hatte er für sein Vergnügen gelebt, gezügelt nur von tief empfundener Verantwortung für seine Familie.
Edmund Bridgerton war so plötzlich und unerwartet gestorben, dass er keine Gelegenheit gehabt hatte, eine letzte Bitte an seinen ältesten Sohn zu richten, bevor er verschied. Doch Anthony war sicher, hätte er das noch gekonnt, so hätte er ihn gebeten, sich mit der gleichen Sorgfalt und Liebe um Mutter und Geschwister zu kümmern, die Edmund stets hatte walten lassen.
Also hatte Anthony unter all dem Trubel von Empfängen und Pferderennen seine Brüder nach Eton und Oxford geschickt, sich ungezählte Male angehört, was seine Schwestern am Klavier zum Besten gaben. Das war keine leichte Aufgabe gewesen, da drei von vieren völlig unmusikalisch waren. Dabei hatte er immer die Finanzen der Familie fest im Blick behalten. Bei sieben Brüdern und Schwestern sah er es als seine Pflicht an, dafür zu sorgen, dass ihre Zukunft gesichert war.
Als er auf die dreißig zuging, hatte er bemerkt, dass er immer mehr Zeit damit verbrachte, sich um die Belange und Geschäfte der Familie zu kümmern, und immer weniger Zeit mit seinen Vergnügungen vergeudete. Ihm war aufgefallen, dass ihm das gefiel. Er hielt sich immer noch eine Geliebte, aber nie mehr als eine zur gleichen Zeit, und er stellte fest, dass er nicht mehr den Drang verspürte, bei jedem Rennen dabei zu sein oder ein Fest so lange nicht zu verlassen, bis er beim Kartenspiel gewonnen hatte.
Sein Ruf blieb ihm natürlich erhalten. Eigentlich hatte er gar nichts dagegen. Es hatte auch gewisse Vorteile, für Englands schlimmsten Frauenhelden gehalten zu werden. Jeder und jede fürchtete ihn, zum Beispiel.
Doch nun war es Zeit zu heiraten. Er sollte sich häuslich niederlassen und einen Sohn zeugen. Schließlich hatte er einen Titel zu vererben. Allerdings verspürte er einen scharfen Stich des Bedauerns – und vielleicht auch ein wenig Schuld – ob der Tatsache, dass er wahrscheinlich nicht lange genug leben würde, um zu sehen, wie sein Sohn zum Mann wurde. Doch was konnte er dagegen tun? Nichts. Er hatte die dynastische Pflicht, Kinder in die Welt zu setzen.
Zudem tröstete er sich damit, dass er drei fähige, treu sorgende Brüder hinterlassen würde. Sie würden sich darum kümmern, dass sein Sohn mit all der Liebe aufwuchs, die jedes Kind der Bridgertons genoss. Seine Schwestern würden den Kleinen hätscheln, und seine Mutter würde ihn viel zu sehr verwöhnen …
Anthony lächelte leicht, als er an seine große, oft reichlich lebhafte Familie dachte. Nein, sein Sohn würde keinen Vater brauchen, der ihn über alles liebte.
Und was für Kinder er auch haben mochte – sie würden sich vermutlich nicht an ihn erinnern, wenn er einmal fort war. Sie würden noch zu jung sein, nicht so sehr an ihn gewöhnt. Anthony war sehr wohl aufgefallen, dass der Tod des Vaters von allen seinen Geschwistern ihn, den Ältesten, am schwersten getroffen hatte.
Er gönnte sich einen weiteren Schluck Scotch, straffte die Schultern und dachte an etwas anderes. Er musste sich auf die anstehende Aufgabe konzentrieren: die Suche nach einer Ehefrau.
Da er ein besonnener und recht ordentlicher Mann war, hatte er sich im Geiste bereits eine Liste der Anforderungen gemacht, die für diese Position zu erfüllen waren. Zunächst einmal musste sie einigermaßen attraktiv sein. Sie brauchte keine umwerfende Schönheit zu sein, doch wenn er mit ihr das Bett teilen sollte, konnte ein wenig gegenseitige Anziehung die Sache nur angenehmer machen.
Zweitens durfte sie keinesfalls dumm sein. Das, so überlegte Anthony, könnte die am schwierigsten zu erfüllende Bedingung sein. Er war im Allgemeinen nicht besonders beeindruckt von den geistigen Fähigkeiten der Londoner Debütantinnen.
Als er das letzte Mal den Fehler begangen hatte, mit so einem jungen Ding ein Gespräch anzufangen, war die Kleine nur imstande gewesen, über das Essen zu plaudern. Sie hielt gerade einen Teller Erdbeeren in der Hand. Nicht einmal dem Thema »Wetter« war sie gewachsen gewesen. Als Anthony fragte, ob sie der Meinung sei, das Wetter neige derzeit zu Kapriolen, hatte sie erwidert: »Ach, das weiß ich nun wirklich nicht. Ich bin noch nie so weit gereist.«
Er konnte vielleicht vermeiden, sich mit seiner Gemahlin zu unterhalten, wenn sie nicht besonders intelligent war, aber er wollte keinesfalls dumme Kinder.
Drittens – und das war am wichtigsten – durfte es keine Frau sein, in die er sich tatsächlich verlieben könnte.
Diese Regel musste er unter allen Umständen einhalten.
Er war nicht durch und durch Zyniker, er wusste, dass es wahre Liebe gab. Denn dank seiner Eltern hatte er erfahren, wie tief man füreinander empfinden konnte.
Aber Liebe war eine Komplikation, die er gern vermeiden wollte. Dieses spezielle Wunder hatte in seinem Leben nichts zu suchen.
Und da Anthony gewohnt war zu bekommen, was er anstrebte, zweifelte er nicht im Geringsten daran, dass er eine attraktive, intelligente Frau finden konnte, in die er sich nie verlieben würde. Was sollte daran schon so schwer sein? Vermutlich würde er der Liebe seines Lebens auch dann nicht begegnen, wenn er nach ihr suchte. Den meisten Männern erging es so.
»Lieber Himmel, Anthony, warum schaust du denn so finster drein? Doch nicht wegen dieser Olive? Ich habe es genau gesehen, sie hat dich gar nicht getroffen.«
Benedicts Stimme riss ihn aus seinen Gedanken, und Anthony blinzelte einige Male, bevor er erwiderte: »Es ist nichts. Gar nichts, wirklich.«
Natürlich hatte er mit niemandem darüber gesprochen, dass er sich Gedanken über seinen Tod machte, nicht einmal mit seinen Brüdern. Herrgott, wenn jemand anders ihm so etwas erzählte, würde er denjenigen vermutlich brüllend vor Lachen zum Teufel jagen.
Es war einfach so, dass niemand sonst verstand, wie tief er mit seinem Vater verbunden gewesen war. Noch weniger würde jemand begreifen, dass Anthony genau wusste, dass er nicht länger lebte als sein Vater. Edmund war sein Ein und Alles gewesen. Stets hatte Anthony danach getrachtet, ein so großartiger Mann zu werden wie sein Vater. Er gab sein Bestes, obwohl er wusste, dass dieses Ziel wohl unerreichbar war. Und sogar mehr zu vollbringen als Edmund – ihn in irgendeiner Hinsicht zu übertreffen –, das war respektlos, ja schlicht undenkbar.
Etwas war mit ihm geschehen an jenem Abend, als sein Vater gestorben war. In jener Nacht hatte er neben der Leiche im Schlafzimmer seiner Eltern gesessen, stundenlang seinen toten Vater betrachtet und verzweifelt versucht, sich jeden einzelnen ihrer gemeinsamen Augenblicke für immer einzuprägen.
So leicht vergaß man Kleinigkeiten – wie Edmund Anthonys Arm gedrückt hatte, wenn sein Sohn Ermutigung brauchte. Oder wie er aus dem Stegreif Balthazars gesamtes Klagt nicht, Mädchen aus Viel Lärm um nichts rezitieren konnte, nicht weil er es für besonders bedeutend hielt, sondern einfach, weil es ihm gefiel.
Und als Anthony schließlich das Zimmer verlassen hatte, war die Sonne aufgegangen. Und er hatte gespürt, dass seine Tage gezählt waren, genau wie die Edmunds.
»Raus damit«, sagte Benedict und unterbrach ein zweites Mal Anthonys Gedankengang. »Was beschäftigt dich so sehr?«
Anthony straffte die Schultern, fest entschlossen, sich diesmal auf das anstehende Thema zu konzentrieren. Immerhin hatte er eine Braut auszusuchen, und das war schließlich eine recht ernsthafte Angelegenheit. »Wer gilt als das Juwel der Saison?«
Seine Brüder überlegten kurz, ehe Colin erklärte: »Edwina Sheffield. Du hast sie sicher schon gesehen. Recht zierlich, mit blondem Haar und blauen Augen. Man findet sie ganz leicht, wenn man nach der Hammelherde liebeskranker Verehrer Ausschau hält, die ihr überallhin folgt.«
Anthony ignorierte den Spott seines Bruders. »Ist sie klug?«
Colin blinzelte, als wäre ihm die Frage nach dem Verstand einer Frau völlig neu. »Ja, ich glaube, schon. Ich habe einmal gehört, wie sie sich mit Middlethorpe über Mythologie unterhalten hat, und es klang ganz so, als kenne sie sich recht gut aus.«
»Nicht schlecht«, meinte Anthony und knallte das Glas auf den Tisch. »Dann werde ich sie heiraten.«
Mittwochabend auf dem Ball der Hartsides sah man Viscount Bridgerton mit mehr als einer heiratsfähigen jungen Dame tanzen. Dieses Betragen kann man nur als »verblüffend« bezeichnen, da Bridgerton normalerweise anständige junge Damen mit einer Hartnäckigkeit meidet, die man bewundern müsste, würde sie nicht so viele ehestiftende Mütter zur Verzweiflung treiben.
Könnte es sein, dass der Viscount die jüngste Ausgabe dieses Journals gelesen und aufgrund der abartigen Denkweise, die Männern anscheinend zu eigen ist, beschlossen hat, der Unterzeichnenden zu beweisen, dass sie sich irrt?
Das mag den Eindruck erwecken, als messe sich die Unterzeichnende selbst sehr viel mehr Einfluss bei, als sie tatsächlich besitzt, doch haben Männer auch schon Entscheidungen auf sehr viel weniger gegründet.
Lady Whistledowns Gesellschaftsjournal,
22. April 1814
Um elf Uhr an diesem Abend waren Kates schlimmste Befürchtungen Wirklichkeit geworden.
Anthony Bridgerton hatte Edwina zum Tanzen aufgefordert.
Schlimmer noch, Edwina hatte eingewilligt.
Und nun beobachtete Mary das Paar, als wolle sie jeden Moment verkünden, dass die beiden heiraten werden.
»Willst du wohl damit aufhören?«, fauchte Kate und piekste ihre Stiefmutter in den Rücken.
»Womit aufhören?«
»Die beiden so anzustarren!«
Mary blinzelte. »Warum soll ich sie nicht anschauen?«
»Es ist noch zu früh, um das Hochzeitsessen zu planen.«
»Oh.« Mary errötete. Sie fühlte sich ertappt.
»Mary!«
»Nun, ich finde, sie geben ein schönes Paar ab«, bemerkte Mary. »Und was, wenn ich fragen darf, stört dich daran? Er wäre eine fantastische Partie für Edwina.«
»Hast du mir heute Nachmittag im Salon nicht zugehört? Es ist schon schlimm genug, dass so viele Frauenhelden um Edwina herumschleichen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel Zeit es mich gekostet hat, die akzeptablen und die inakzeptablen auseinanderzuhalten. Aber Bridgerton!« Kate erschauderte. »Er ist wahrscheinlich der schlimmste Schürzenjäger von ganz London. Du kannst doch nicht wollen, dass sie so einen Mann heiratet.«
»Wage es nicht, mir zu erklären, was ich kann und was nicht, Katharine Grace Sheffield«, entgegnete Mary in scharfem Tonfall und reckte sich zu voller Größe – wobei sie dennoch einen Kopf kleiner blieb als Kate. »Ich bin immer noch deine Mutter. Na schön, deine Stiefmutter. Und das will doch wohl etwas heißen.«
Kate wäre am liebsten im Erdboden versunken. Mary war die einzige Mutter, die sie je gekannt hatte, und niemals hatte Mary ihr das Gefühl gegeben, Kate bedeute ihr weniger als Edwina. Sie hatte Kate jeden Abend zu Bett gebracht, ihr Geschichten erzählt, sie geküsst und geherzt und ihr über die schwierigen Jahre zwischen Kindheit und Erwachsensein hinweggeholfen. Das Einzige, was sie nicht getan hatte: Sie hatte Kate nicht gebeten, sie »Mutter« zu nennen.
»Ja, das will etwas heißen«, erwiderte Kate leise und blickte beschämt auf ihre Fußspitzen hinab. »Das will sogar sehr viel heißen. Und du bist meine Mutter. In allem, worauf es ankommt.«
Mary guckte sie einen Moment an und begann dann, verzweifelt zu blinzeln. »Ach, wie dumm«, sagte sie leise und suchte in ihrem Täschchen nach einem Taschentuch. »Da siehst du, was du angerichtet hast.«
»Tut mir leid«, murmelte Kate. »Nun komm, dreh dich um, damit es niemand bemerkt. So ist es besser.«
Mary zog ein weißes Leinentüchlein hervor und tupfte sich damit die Augen trocken, die genauso blau waren wie Edwinas. »Ich habe dich sehr lieb, Kate. Das weißt du doch?«
»Aber natürlich!«, rief Kate, entsetzt, dass Mary überhaupt fragte. »Und du weißt, dass ich …«
»Ja.« Mary tätschelte Kate den Arm. »Natürlich weiß ich das. Nur, wenn man es auf sich nimmt, Mutter eines Kindes zu sein, das man nicht geboren hat, trägt man eine doppelte Verantwortung. Man muss sich noch mehr um das Glück und Wohlergehen eines solchen Kindes bemühen.«
»Ach, Mary, ich habe dich doch lieb. Und Edwina auch.«
Als Edwinas Name fiel, drehten sich beide um und schauten nach dem Mädchen. Es tanzte mitten im Saal sehr hübsch mit dem Viscount. Wie üblich war Edwina die reinste Zierde. Das blonde Haar trug sie hochgesteckt; ein paar Löckchen hatten sich gelöst und rahmten das Gesicht ein. Anmutig schwebte sie über das Parkett.
Der Viscount, so stellte Kate verärgert fest, sah blendend aus. In Schwarz und Weiß gekleidet, mied er die grellen Farben, die unter den geckenhaften Herren des ton getragen wurden. Er war groß, hatte eine stolze Haltung, und sein dichtes kastanienbraunes Haar neigte dazu, ihm in die Stirn zu fallen.
Er hatte, zumindest oberflächlich betrachtet, alles, was ein Mann nur haben konnte.
»Sie geben ein reizendes Paar ab, meinst du nicht auch?«, flüsterte Mary.
Kate biss sich auf die Zunge. So, dass es richtig wehtat.
»Nur ist er ein wenig zu groß für sie, aber das ist wohl kein unüberwindliches Hindernis, oder?«
Kate krallte die Hände ineinander – so fest, dass sie die Nägel sogar durch ihre Glacéhandschuhe hindurch spüren konnte.
Mary lächelte. Ein ziemlich durchtriebenes Lächeln, wie Kate fand. Argwöhnisch betrachtete sie ihre Stiefmutter.
»Er ist ein guter Tänzer, nicht wahr?«, fragte Mary.
»Er wird Edwina nicht heiraten!«, platzte Kate heraus.
Marys Lächeln wurde breiter. »Ich habe mich schon gefragt, wie lange du dieses Schweigen noch aushältst.«
»Das war schon wesentlich länger, als es meiner Natur entspricht«, erwiderte Kate.
»Ja, das dachte ich mir.«
»Mary, du weißt doch, dass wir für Edwina nicht so einen Mann wollen.«
Mary neigte den Kopf leicht zur Seite und zog die Brauen in die Höhe. »Sollte die Frage nicht eher lauten, ob Edwina so einen Mann für sich will?«
»Nein, will sie nicht!«, entgegnete Kate hitzig. »Erst heute Nachmittag hat sie mir gesagt, dass sie einen Gelehrten heiraten möchte. Einen Gelehrten!« Sie deutete mit dem Kopf in Richtung des dunkelhaarigen Mannes, der mit ihrer Schwester tanzte. »Sieht der für dich wie ein Gelehrter aus?«
»Nein, aber du wirkst auch nicht wie die hervorragende Aquarellmalerin, die du bist.« Mary lächelte überlegen, was Kate ein wenig ärgerte.
»Ich gebe zu«, presste Kate hervor, »dass man einen Menschen nicht allein nach dem Äußeren beurteilen sollte, aber du wirst mir gewiss zustimmen: Nach allem, was man von ihm hört, scheint er kein Mann zu sein, der seine Nachmittage über staubigen Büchern in einer Bibliothek verbringt.«
»Das vielleicht nicht«, antwortete Mary nachdenklich, »doch ich habe mich vorhin sehr nett mit seiner Mutter unterhalten.«
»Mit seiner Mutter?«, staunte Kate. »Was hat die denn damit zu tun?«
Mary zuckte die Schultern. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass eine so freundliche und elegante Person irgendetwas anderes großgezogen haben sollte als einen vollkommenen Gentleman, egal, in welchem Ruf er steht.«
»Aber, Mary …«
»Wenn du einmal selbst Mutter bist«, verkündete sie, »wirst du schon verstehen, was ich meine.«
»Aber …«
»Habe ich schon erwähnt«, fuhr Mary in einem Ton fort, der ihre Unterbrechung als volle Absicht deutlich werden ließ, »wie reizend du in diesem grünen Seidenkleid aussiehst? Ich bin ja so froh, dass wir uns dafür entschieden haben.«
Kate blickte stumm an sich herab und fragte sich, weshalb Mary plötzlich das Thema gewechselt hatte.
»Die Farbe steht dir gut. Lady Whistledown wird dich in ihrer nächsten Ausgabe nicht als versengtes Grasbüschel bezeichnen!«
Kate guckte Mary entsetzt an. Vielleicht fühlte ihre Stiefmutter sich nicht gut. Im Ballsaal war es eng geworden, die Luft stickig.
Dann spürte sie, wie Mary ihr einen Finger direkt unter das linke Schulterblatt bohrte, und da wusste sie, dass es um etwas ganz anderes ging.
»Mr. Bridgerton«, zirpte Mary plötzlich wie ein junges Mädchen.
Entsetzt riss Kate den Kopf hoch und erkannte, dass ein unglaublich gut aussehender Mann auf sie zukam. Ein unglaublich gut aussehender Mann, der eine starke Ähnlichkeit mit dem Viscount hatte, der gerade mit ihrer Schwester tanzte.
Sie schluckte.
»Mr. Bridgerton!«, zwitscherte Mary wieder. »Wie schön, dass Sie sich zu uns gesellen. Dies ist meine Tochter Katharine.«
Er ergriff Kates kraftlose behandschuhte Hand und hauchte einen Kuss über ihre Fingerknöchel.
»Miss Sheffield«, murmelte er.
»Kate«, fuhr Mary fort, »dies ist Mr. Colin Bridgerton. Ich habe ihn vorhin kennengelernt, als ich mich mit seiner Mutter, Lady Bridgerton, unterhielt.« Strahlend wandte sie sich an Colin. »Eine so reizende Dame.«
Er erwiderte das Lächeln. »Das finden wir auch.«
Mary kicherte.
Sie kicherte! Kate wäre vor Scham am liebsten im Erdboden versunken.
»Kate«, hob Mary wieder an, »Mr. Bridgerton ist der Bruder des Viscount, der gerade mit Edwina tanzt«, fügte sie überflüssigerweise hinzu.
»Das habe ich angenommen«, entgegnete Kate.
Colin Bridgerton warf ihr einen Blick aus den Augenwinkeln zu, und sie bemerkte sofort, dass ihm ihr sarkastischer Unterton nicht entgangen war.
»Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Miss Sheffield«, sagte er höflich. »Ich hoffe sehr, dass Sie mir heute Abend das Vergnügen eines Tanzes gewähren werden.«
»Ich … Aber gewiss.« Sie räusperte sich. »Es wäre mir eine Ehre.«
»Kate.« Mary stupste sie an. »Zeig ihm deine Tanzkarte.«
»Oh! Ja, natürlich.« Kate tastete ungeschickt nach ihrer Tanzkarte, die hübsch ordentlich mit einem grünen Band an ihrem Handgelenk befestigt war. Dass sie überhaupt auf diese Weise nach etwas suchen musste, fand sie ein wenig beunruhigend, aber Kate entschied, dass diese mangelnde Fassung auf das unerwartete Erscheinen eines bisher unbekannten Bridgerton zurückzuführen war.
Darauf und auf die bedauerliche Tatsache, dass sie selbst unter günstigsten Umständen nie zu den Anmutigsten zählte.
Colin trug sich für einen der späteren Tänze ein und fragte dann, ob sie ihn zu dem Tisch begleiten wolle, an dem die Limonade gereicht wurde.
»Geh nur«, forderte Mary sie auf, bevor Kate antworten konnte. »Kümmere dich nicht um mich. Ich werde mich auch ohne dich gut amüsieren.«
»Ich kann dir ja ein Glas mitbringen«, bot Kate an, während sie nach einer Möglichkeit suchte, ihrer Stiefmutter einen finsteren Blick zuzuwerfen, ohne dass Mr. Bridgerton davon Notiz nahm.
»Das ist nicht nötig. Ich sollte mich endlich wieder zu den anderen Anstandsdamen und Müttern gesellen.« Hastig guckte Mary sich nach allen Seiten um, bis sie ein bekanntes Gesicht entdeckte. »Schau nur, da ist Mrs. Featherington. Entschuldigt mich. Portia! Portia!«
Kate beobachtete den eiligen Rückzug ihrer Mutter und wandte sich dann wieder Mr. Bridgerton zu. »Das heißt wohl«, meinte sie trocken, »dass sie wirklich keine Limonade will.«
In seinen smaragdgrünen Augen blitzte es schalkhaft auf. »Entweder das, oder sie hat vor, bis nach Spanien zu laufen, um die Zitronen selbst zu pflücken.«
Kate lachte wider Willen. Sie hatte nicht vor, Mr. Colin Bridgerton zu mögen. Eigentlich hatte sie vor, keinen einzigen Bridgerton zu mögen, nach allem, was sie über den Viscount gelesen hatte. Doch sie musste zugeben, dass es vielleicht nicht gerecht war, einen Mann nach den Missetaten seines Bruders zu beurteilen. Also zwang sie sich, ihn in freundlicherem Licht zu sehen.
»Und, haben Sie Durst?«, fragte sie. »Oder wollten Sie lediglich höflich sein?«
»Ich bin immer höflich«, erklärte er mit breitem Grinsen, »aber Durst habe ich auch.«
Kate schaute in seine magischen grünen Augen und hätte beinahe aufgestöhnt. Sie strahlten wie Smaragde. »Sie sind also auch ein Frauenheld«, seufzte sie.
Colin schien sich verschluckt zu haben – sie wusste nicht, woran, aber er hustete plötzlich los. »Entschuldigung, was sagten Sie?«
Kate stieg vor Entsetzen die Röte ins Gesicht, als ihr klar wurde, dass sie ihren Gedanken laut geäußert hatte. »Nein, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen. Bitte verzeihen Sie mir. Das war eine völlig unpassende Bemerkung.«
»Nein, nein«, erwiderte er rasch und guckte sie an, brennend interessiert und nicht im Geringsten belustigt. »Sprechen Sie bitte weiter.«
Kate schluckte. Jetzt konnte sie sich nicht mehr herauswinden. »Ich wollte damit lediglich …« Sie räusperte sich. »Wenn ich ganz offen sein darf …«
Er nickte, und sein wissendes Lächeln schien anzudeuten, dass er davon ausging, dass sie immer offen ihre Meinung kundtat.
Kate räusperte sich erneut. Das wurde langsam wirklich lächerlich. Er musste ja annehmen, sie hätte eine Kröte verschluckt. »Ich vermute nur, dass Sie Ihrem Bruder sehr ähnlich sind, das ist alles.«
»Meinem Bruder?«
»Dem Viscount«, sprach sie aus, was sie für offensichtlich hielt.
»Ich habe drei Brüder«, erklärte er.
»Oh.« Nun kam sie sich recht dumm vor. »Es tut mir leid.«
»Mir tut es auch leid«, antwortete er gefühlvoll. »Die meiste Zeit sind sie schreckliche Nervensägen.«
Kate war gezwungen, ihr überraschtes Aufkeuchen mit einem Hüsteln zu tarnen.
»Immerhin haben Sie mich nicht mit Gregory verglichen«, verkündete er mit einem theatralischen und betont lauten Seufzen der Erleichterung. Er warf ihr einen frechen Seitenblick zu. »Er ist dreizehn.«
Da seine Augen schelmisch blitzten, erkannte Kate, dass die vorangehende Äußerung nicht ernst gemeint gewesen war. Dieser Mann wünschte seine Brüder keineswegs zum Teufel. »Ihre Familie bedeutet Ihnen sehr viel, nicht wahr?«, erkundigte sie sich.
»Einfach alles«, erwiderte er.
»Mir ebenfalls«, sagte Kate betont.
»Und das soll heißen?«
»Das bedeutet«, antwortete sie, »ich werde nicht zulassen, dass irgendjemand meiner Schwester das Herz bricht.«
Colin schwieg einen Moment und wandte langsam den Kopf zur Seite, um nach seinem Bruder und Edwina zu schauen, deren Tanz gerade endete. »Ich verstehe«, murmelte er.
»Tatsächlich?«
»Ja, allerdings.« Sie erreichten den Tisch mit der Limonade. Er nahm zwei Gläser und reichte ihr eines davon. Kate hatte an diesem Abend bereits drei Gläser Limonade getrunken, und sie war sicher, dass Mary das genau gewusst hatte, als sie sie drängte, noch mehr zu trinken. Aber im Ballsaal herrschte eine unerträgliche Hitze – wie in allen Ballsälen dieser Welt –, und Kate war schon wieder durstig.
Colin nahm genüsslich einen Schluck, wobei er sie über den Rand seines Glases hinweg beobachtete. Dann meinte er: »Mein Bruder hat vor, dieses Jahr zu heiraten.«
Dazu gehören immer zwei, dachte Kate. Ganz langsam nippte sie an ihrer Limonade, bevor sie antwortete. »Tatsächlich?«
»Ich gehöre zu seinen Vertrauten.«
»Er steht in dem Ruf, ein Frauenheld zu sein.«
Colin musterte sie. »Das stimmt.«
»Es ist nicht so einfach, sich vorzustellen, dass ein Windbeutel sich an eine einzige Frau bindet und sein Glück in ehelicher Häuslichkeit findet.«
»Sie scheinen ja gründlich über diese Dinge nachgedacht zu haben, Miss Sheffield.«
Offen schaute sie ihm in die Augen. »Ihr Bruder ist nicht der erste Mann von fragwürdigem Charakter, der um meine Schwester wirbt, Mr. Bridgerton. Und ich versichere Ihnen, dass ich das Glück meiner Schwester nicht auf die leichte Schulter nehme.«
»Aber gewiss würde jede junge Dame ihr Glück in der Ehe mit einem adeligen, wohlhabenden Gentleman finden. Ist das nicht der eigentliche Sinn einer Saison in London?«
»Vielleicht«, gab Kate zu, »doch ich fürchte, das trifft nicht den Kern der Sache.«
»Nämlich?«
»Nun, ein Ehemann kann eine Frau tiefer verletzen als ein bloßer Verehrer.« Kate lächelte wissend, ehe sie hinzufügte: »Meinen Sie nicht?«
»Da ich noch nie verheiratet war, kann ich darüber kein Urteil abgeben.«
»Schämen Sie sich, Mr. Bridgerton. Das ist wahrlich eine schwache Ausrede.«
»Wirklich? Ich hielt sie für sehr Erfolg versprechend. Offensichtlich verliere ich mein Gespür für Frauen.«
»Darüber, so fürchte ich, brauchen Sie sich nie Gedanken zu machen.« Kate leerte ihre Limonade in einem Zug.
»Sie sind zu gütig«, bemerkte er.
Kate schmunzelte. »Das behauptet man höchst selten von mir, Mr. Bridgerton.«
Er lachte laut. Mitten im Ballsaal. Kate stellte zu ihrem Unbehagen fest, dass sie plötzlich zahlreiche neugierige Blicke auf sich zogen.
»Sie«, erwiderte er belustigt, »müssen meinen Bruder kennenlernen.«
»Den Viscount?«, fragte sie ungläubig.