Bridgerton – Wie verführt man einen Lord? - Julia Quinn - E-Book
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Bridgerton – Wie verführt man einen Lord? E-Book

Julia Quinn

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Beschreibung

Benedict Bridgerton ist verliebt Ein rauschender Maskenball im Hause Bridgerton. Doch unter all den Gauklern, Prinzessinnen und Harlekinen hat Benedict Bridgerton nur Augen für die unbekannte Schöne mit den funkelnden Augen. Auch Sophie spürt, dass diese Begegnung Bestimmung ist – und muss doch gehen, bevor die Masken fallen. Was bleibt, ist ein unauslöschliches Sehnen und Benedicts Schwur, nie eine andere zu begehren als sie! Doch die Probe, auf die das Schicksal die Liebenden stellt, ist hart – und der Ausgang ungewiss. »Wahrhaft die Jane Austen der Gegenwart.« Bestsellerautorin Jill Barnett

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Seitenzahl: 505

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Zum Buch

Der Bridgerton-Ball ist das Ereignis des Jahres. Nachdem sie die Kostüme ihrer Stiefschwestern genäht hat, lässt Sophie Beckett sich dazu überreden, das Kleid ihrer Großmutter anzuziehen und zum ersten Mal in ihrem Leben auf dem Maskenball zu tanzen. Sie kann ihr Glück kaum fassen, als sie dort Benedict Bridgerton kennenlernt, der ihr Herz höher schlagen lässt. Zwei Jahre später ist auch er derjenige, der Sophie vor einem Überfall bewahrt. Doch er scheint sie nicht wiederzuerkennen – dabei hatte er ihr auf dem Ball versprochen, sich für immer an sie zu binden. »Julia Quinns witzige Regency-Romantic-Comedys sind der nächste große Trend nach Georgette Heyer.« Gloss

Zum Autor

Julia Quinn wird als zeitgenössische Jane Austen bezeichnet. Sie studierte zunächst Kunstgeschichte an der Harvard Universität, ehe sie die Liebe zum Schreiben entdeckte. Ihre überaus erfolgreichen historischen Romane präsentieren den Zauber einer vergangenen Epoche und begeistern durch ihre warmherzigen, humorvollen Schilderungen.

Lieferbare Titel

Bridgerton – Der Duke und ich (Bridgerton 1) Bridgerton – Wie bezaubert man einen Viscount? (Bridgerton 2) Bridgerton – Wie verführt man einen Lord? (Bridgerton 3) Rokesby – Der Earl mit den eisblauen Augen (Rokesby 1) Rokesby – Tollkühne Lügen, sinnliche Leidenschaft (Rokesby 2)

Die Originalausgaben erschienen 2001 und 2013 unter den TitelnAn Offer from a Gentleman und An Offer from a Gentleman: The 2ndEpilogue in The Bridgertons: Happily Ever Afters bei AVON BOOKS, an imprint of HarperCollins Publishers, US.

© 2001 by Julie Cotler Pottinger © 2009 by Julie Cotler Pottinger Erweiterte Neuausgabe © 2021 für die deutschsprachige Ausgabe by HarperCollins in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg Published by arrangement with HarperCollins Publishers L.L.C., New York Covergestaltung von Birgit Tonn, Artwork Harlequin Coverabbildung von Lee Avison / Trevillion Images GSshot / GettyImages, mentalmind / shutterstock

ISBN E-Book 9783749951338

www.harpercollins.de

PROLOG

Jeder wusste, dass Sophie Beckett ein Bankert war. Die Dienstboten wussten es. Doch sie liebten die kleine Sophie, schon seit sie im Alter von drei Jahren nach Penwood Park gekommen war. Eingehüllt in einen viel zu großen Mantel, war sie in einer regnerischen Julinacht vor der Tür abgesetzt worden. Und weil sie sie liebten, taten alle so, als glaubten sie, was der sechste Earl of Penwood behauptete – sie sei die verwaiste Tochter eines alten Freundes.

Man sah darüber hinweg, dass Sophie mit ihren moosgrünen Augen und dem dunkelblonden Haar dem Earl sehr ähnelte. Man sah darüber hinweg, dass die Form ihres Gesichts sehr an die kürzlich verstorbene Mutter des Earls erinnerte oder dass ihr Lächeln dem seiner Schwester glich. Niemand wollte Sophies Gefühle verletzen – oder seine Stellung riskieren –, indem er darauf hinwies.

Richard Gunningworth sprach niemals über Sophie oder ihre Herkunft, doch er musste gewusst haben, dass sie seine Tochter war. Die Hausdame hatte Sophie in jener verregneten Nacht mit einem Brief in ihrer Manteltasche gefunden, doch nur der Earl hatte die Nachricht gelesen und daraufhin verbrannt. Er hatte zugeschaut, wie das Papier in Flammen aufging.

Später hatte er eines der Kinderzimmer für Sophie herrichten lassen. Seither lebte sie im Hause des Earl. Er nannte sie Sophie und sie ihn »Mylord«. Sie begegneten sich einige Male im Jahr, wenn der Earl von London auf sein Anwesen zurückkehrte.

Sophie wusste, dass sie ein Bankert war. Sie war nicht sicher, woher diese Überzeugung stammte, doch sie begleitete sie wohl schon ihr Leben lang. Sophie erinnerte sich an eine lange Reise in der Kutsche quer durch England und an ihre Großmutter, die gehustet und gekeucht hatte und schrecklich dünn gewesen war.

Sie hatte ihr gesagt, sie würde fortan bei ihrem Vater leben. Besonders lebhaft entsann sie sich daran, wie sie im Regen vor der Tür gestanden hatte, während ihre Großmutter, hinter Büschen verborgen, darauf gehofft hatte, dass Sophie auch aufgenommen wurde.

Der Earl hatte dem kleinen Mädchen einen Finger unter das Kinn gelegt und ihr Gesicht angehoben. Im Licht hatte er Sophies Züge eingehend betrachtet, und in diesem Augenblick hatten beide die Wahrheit erkannt.

Jeder wusste, dass Sophie ein Bankert war, doch niemand sprach davon, und mit diesem Arrangement waren alle recht zufrieden.

Bis der Earl beschloss zu heiraten.

Sophie hatte sich über diese Neuigkeit gefreut. Von der Hausdame erfuhr sie, dass Seine Lordschaft beabsichtige, mehr Zeit auf Penwood Park zu verbringen, da er bald ein verheirateter Mann sei. Sophie vermisste den Earl nicht sonderlich, wenn er fort war. Wie sollte sie jemanden vermissen, der ihr kaum Beachtung schenkte, wenn er einmal da war? Doch sie glaubte, sie könnte ihn vermissen, wenn sie ihn besser kennenlernte, und dann würde er vielleicht auch nicht mehr so oft fortgehen.

Von ihrer Zofe erfuhr sie, dass die zukünftige Frau des Earls bereits zwei Töchter hatte, die ungefähr in Sophies Alter waren.

Nach sieben Jahren ohne Umgang mit anderen Kindern freute Sophie sich sehr, die Mädchen kennenzulernen. Im Gegensatz zu den anderen Kindern aus der Umgebung wurde sie nie zu Festen eingeladen.

Niemand nannte sie je öffentlich einen Bankert – denn damit hätte man den Earl, der Sophie zu seinem Mündel erklärt hatte, beleidigt. Doch er bemühte sich auch nicht um Sophies gesellschaftliche Anerkennung. Und so waren die besten Freunde der Zehnjährigen Hausmädchen und Diener. Die Hausdame und der Butler hätten dem Alter nach durchaus ihre Eltern sein können.

Nun allerdings sollte sie richtige Schwestern bekommen.

Oh, sie wusste wohl, dass sie sie nicht ihre Schwestern nennen durfte. Natürlich würde man sie als Maria Sophie Beckett und Mündel des Earls vorstellen, doch die beiden würden ihr vorkommen wie Schwestern. Und das war die Hauptsache.

Und so stand Sophie eines Nachmittags im Februar in der Eingangshalle und hielt am Fenster Ausschau nach der Kutsche, die die neue Countess und ihre beiden Töchter herbringen sollte. Und den Earl natürlich.

»Glauben Sie, sie wird mich mögen?«, flüsterte Sophie Mrs. Gibbons, der Hausdame, zu. »Die Frau des Earls, meine ich.«

»Natürlich wird sie dich mögen«, erwiderte Mrs. Gibbons leise. Doch der Ausdruck ihrer Augen wirkte nicht so überzeugend wie ihr Tonfall.

»Und darf ich zusammen mit ihren Töchtern zu den Schulstunden?«

»Es wäre lächerlich, wenn du nicht mit ihnen unterrichtet würdest.«

Sophie nickte nachdenklich und begann zu zappeln, als sie die Kutsche in der Auffahrt entdeckte. »Sie sind da!«, wisperte sie.

Mrs. Gibbons wollte ihr den Kopf tätscheln, doch Sophie war schon aufs Fensterbrett gesprungen und drückte die Nase an die Scheibe.

Zuerst stieg der Earl aus, daraufhin streckte er die Hand aus und half zwei jungen Mädchen herunter. Sie trugen schwarze Mäntel. Eines hatte ein rosafarbenes Band im Haar, das andere ein gelbes. Rasch traten die Mädchen beiseite, und der Earl bot seinen Arm, um auch dem letzten Reisegast aus der Kutsche zu helfen.

Sophie stockte der Atem, während sie auf das Erscheinen der neuen Countess wartete. Sie faltete kurz die Hände und flüsterte ein »Bitte«.

Bitte lass sie mich lieb haben.

Wenn die Countess sie mochte, würde der Earl sie vielleicht auch mögen und sie wie seine Tochter behandeln. Dann wären sie eine richtige Familie.

Sophie beobachtete durch das Fenster, wie die Countess aus der Kutsche stieg. Jede ihrer Bewegungen war so anmutig und vollkommen, dass sie Sophie an die zierliche Lerche erinnerte, die manchmal im Gartenteich badete. Sogar der Hut der Countess war mit einer langen türkisfarbenen Feder geschmückt, die in der Wintersonne aufleuchtete.

»Sie ist wunderschön«, seufzte Sophie. Sie schaute kurz zu Mrs. Gibbons hin, doch die Hausdame wartete in ehrfürchtiger Haltung, den Blick auf die Eingangstür gerichtet. Gleich würde der Earl seine neue Familie hereinführen und alle miteinander bekannt machen.

Sophie schluckte, denn sie wusste nicht recht, wo sie sich hinstellen sollte. Für alle anderen schien ein ganz bestimmter Platz vorgesehen zu sein. Die Dienstboten hatten sich ihrem Rang nach aufgereiht, vom Butler bis hinunter zum niedrigsten Küchenmädchen. Selbst die Hunde saßen brav in der Ecke, und der gräfliche Jäger hatte die Leinen fest in der Hand.

Sophie jedoch war ratlos. Wäre sie tatsächlich die Tochter des Hauses, so stünde sie neben ihrer Erzieherin, um die neue Countess zu begrüßen. Wäre sie tatsächlich das Mündel des Earls, wäre ihr Platz ebenfalls dort. Doch Miss Timmons litt an Kopfschmerzen und hatte sich geweigert, den Schultrakt zu verlassen und herunterzukommen.

Die Dienerschaft war ganz sicher, dass Miss Timmons nicht wirklich krank war. Am Abend zuvor war es ihr noch gut gegangen, dennoch konnte ihr niemand diese kleine Lüge verübeln. Schließlich war Sophie der Bankert des Earls, und niemand wollte sie der neuen Countess vorstellen und damit ihren Zorn riskieren.

Und diese hätte töricht, blind oder beides sein müssen, um nicht augenblicklich zu erkennen, dass Sophie nicht nur das Mündel des Earls war.

Mit einem Mal äußerst befangen, drückte sich Sophie in eine Ecke, als zwei Lakaien schwungvoll die Türflügel öffneten. Die beiden Mädchen erschienen zuerst und traten dann beiseite, als der Earl die Countess hereinführte. Er stellte seine Gemahlin und ihre Töchter dem Butler vor, und dieser wiederum machte sie mit den Dienstboten bekannt.

Und Sophie wartete.

Der Butler stellte die Lakaien, die Köchin, die Hausdame, die Stallburschen vor.

Und Sophie wartete.

Er machte die Countess mit den Zofen, den Küchenmädchen, den Dienstmägden bekannt.

Und Sophie wartete.

Schließlich stellte der Butler Rumsey die niedrigste Magd vor, ein Spülmädchen namens Dulcie, das erst vor einer Woche seinen Dienst im Hause angetreten hatte. Der Earl nickte und bedankte sich, und Sophie verharrte immer noch reglos an ihrem Platz.

Endlich räusperte sie sich und trat vor, ein verkrampftes Lächeln auf den Lippen. Sie verbrachte nie viel Zeit mit dem Earl, doch sie wurde ihm jedes Mal vorgeführt, wenn er Penwood Park besuchte. Stets widmete er ihr einige Minuten und erkundigte sich nach ihren Fortschritten, bevor er sie wieder hinauf ins Schulzimmer schickte.

Er wollte doch bestimmt auch diesmal wissen, wie sie vorankam, selbst wenn er nun verheiratet war. Gewiss würde er sich dafür interessieren, dass sie schon Brüche multiplizieren konnte und dass Miss Timmons ihre Aussprache des Französischen kürzlich als »vollkommen« bezeichnet hatte.

Er sprach gerade mit den Töchtern der Countess und hörte sie nicht. Sophie räusperte sich wieder, diesmal lauter, und sagte: »Mylord?« Ihre Stimme klang ein wenig schrill.

Der Earl wandte sich um. »Ah, Sophie«, murmelte er. »Ich hatte dich gar nicht bemerkt.«

Sie strahlte. Er hatte sie also doch nicht übergangen.

»Wen haben wir denn hier?«, fragte die Countess und trat vor, um Sophie näher zu betrachten.

»Mein Mündel«, erklärte der Earl. »Miss Sophie Beckett.«

Seine Gemahlin musterte Sophie abschätzend, dann kniff sie die Augen zusammen.

»Ich verstehe«, antwortete sie.

Und alle Anwesenden begriffen sofort, was sie damit meinte.

»Rosamund«, sagte die Countess und wandte sich zu ihren Töchtern um, »Posy, kommt zu mir.«

Sogleich eilten die beiden an ihre Seite. Scheu lächelte Sophie sie an. Das jüngere Mädchen erwiderte das Lächeln, doch die Schwester, deren Haar aussah wie gesponnenes Gold, hatte die Reaktion ihrer Mutter bemerkt. Hochmütig hob sie das Kinn und wandte den Blick ab.

Sophie schluckte und lächelte das freundliche Mädchen noch einmal an, aber diesmal biss sich die Kleine unsicher auf die Unterlippe und schaute dann zu Boden.

Die Countess drehte Sophie den Rücken zu und sagte zu ihrem Mann: »Ich nehme an, für Rosamund und Posy wurden Zimmer hergerichtet.«

Er nickte. »In der Nähe des Schulzimmers. Gleich neben Sophies.«

Es entstand ein langes Schweigen, dann entschied die neue Hausherrin offenbar, dass gewisse Diskussionen nicht vor der versammelten Dienerschaft geführt werden sollten, denn sie erklärte nur: »Ich würde mich jetzt gern zurückziehen.«

So ging sie also, gefolgt vom Earl und ihren Töchtern.

Sophie guckte ihrer neuen Familie nach, und als sie ihrem Blickfeld entschwunden war, wandte sie sich an Mrs. Gibbons und fragte: »Meinen Sie, ich sollte hinaufgehen und ihnen helfen? Ich könnte den Mädchen den Schultrakt zeigen.«

Hastig schüttelte Mrs. Gibbons den Kopf. »Sie scheinen müde zu sein«, log sie. »Sicherlich möchten sie jetzt ein wenig ruhen.«

Sophie runzelte die Stirn. Man hatte ihr mitgeteilt, dass Rosamund elf war und Posy zehn. Damit waren sie ein bisschen zu alt, um sich mittags hinzulegen.

Mitfühlend tätschelte Mrs. Gibbons ihr die Schulter. »Komm doch mit mir. Ich könnte etwas Gesellschaft gebrauchen. Außerdem hat die Köchin mir erzählt, dass sie gerade frische Kekse gebacken hat. Die sind bestimmt noch warm.«

Sophie nickte und folgte ihr aus der Eingangshalle. Am Abend würde sie noch reichlich Gelegenheit haben, die Mädchen kennenzulernen. Sie würde ihnen die Kinderzimmer zeigen, und dann würden sie Freundinnen werden, und ganz bald wären sie wie Schwestern.

Sophie lächelte. Es würde wunderbar sein, Schwestern zu haben.

Doch Sophie sollte an diesem Tag weder Rosamund noch Posy wiedersehen – oder den Earl und dessen Gemahlin. Als Sophie zum Abendessen ins Kinderzimmer kam, stellte sie fest, dass der Tisch für zwei gedeckt war und nicht für vier. Miss Timmons, die sich auf wundersame Weise wieder von ihrer Unpässlichkeit erholt hatte, erklärte, die Countess habe gesagt, dass Rosamund und Posy von der Reise zu erschöpft seien, um heute zu Abend zu essen.

Doch die Mädchen mussten unterrichtet werden, und so erschienen sie am nächsten Morgen mit ihrer Mutter im Schulzimmer. Sophie saß schon seit einer Stunde über ihren Aufgaben und blickte mit großem Interesse von ihren Rechnungen auf. Diesmal lächelte sie die Mädchen nicht an. Irgendwie erschien ihr das klüger.

»Miss Timmons«, begrüßte die Countess die Lehrerin.

Miss Timmons knickste und murmelte: »Mylady.«

»Der Earl teilte mir mit, Sie würden meine Töchter unterrichten.«

»Ich werde mein Bestes tun, Mylady.«

Die Countess deutete auf das ältere Mädchen mit dem goldblonden Haar und den blauen Augen. Sophie fand sie so hübsch wie die Porzellanpuppe, die ihr der Earl zu ihrem siebten Geburtstag aus London geschickt hatte.

»Dies«, begann die Hausherrin, »ist Rosamund. Sie ist elf Jahre alt. Und dies …«, dabei wies sie auf das andere Mädchen, das den Blick noch immer auf ihre Schuhe gerichtet hielt, »… ist Posy. Sie ist zehn.«

Sophie betrachtete Posy aufmerksam. Im Gegensatz zu ihrer Mutter und ihrer Schwester hatte sie dunkles Haar und dunkle Augen, und ihr Gesicht war ein wenig pausbackig.

»Sophie ist ebenfalls zehn«, entgegnete Miss Timmons.

Die Countess presste kurz die Lippen zusammen. »Ich hätte gern, dass Sie den Mädchen das Haus und den Garten zeigen.«

Miss Timmons nickte. »Sehr wohl. Sophie, leg die Tafel beiseite. Wir beschäftigen uns wieder mit dem Rechnen, wenn …«

»Nur meinen Töchtern«, unterbrach die Countess sie. »Ich möchte Sophie allein sprechen.«

Diese schluckte und versuchte, der neuen Hausherrin in die Augen zu schauen, doch sie schaffte es nur bis zu ihrem Kinn. Während Miss Timmons Rosamund und Posy hinausgeleitete, stand sie auf und erwartete weitere Anweisungen von der neuen Frau ihres Vaters.

»Ich weiß, wer du bist«, verkündete die Countess, sobald die Tür geschlossen war.

»M…Mylady?«

»Du bist sein Bankert, versuch ja nicht, das zu leugnen.«

Sophie schwieg. Natürlich stimmte es, aber niemand sprach es jemals laut aus. Zumindest nicht in ihrer Gegenwart.

Die Countess packte sie beim Kinn, sodass Sophie gezwungen war, ihr in die Augen zu sehen. »Hör mir gut zu«, sagte sie drohend. »Es mag ja sein, dass du hier auf Penwood Park lebst und mit meinen Töchtern zusammen unterrichtet wirst, aber du bist nichts weiter als ein Bankert, und das wirst du auch bleiben. Wag es niemals, niemals, dir einzubilden, du seiest so gut wie wir.«

Sophie stöhnte leise. Die Fingernägel der Countess bohrten sich in ihr Kinn.

»Mein Ehemann«, fuhr sie fort, »fühlt sich irrigerweise für dich verantwortlich. Es ist lobenswert, dass er zu seinen Fehltritten steht, doch zugleich ist es ein Affront gegen mich, dich in meinem Hause zu wissen – versorgt, eingekleidet und gut erzogen, als wärst du seine richtige Tochter.«

Aber sie war doch seine richtige Tochter. Und sie war hier schon viel länger zu Hause als die Countess.

Unvermittelt ließ diese ihr Kinn los. »Ich will dich nicht sehen«, zischte sie. »Du wirst mich niemals ansprechen, und du wirst dich bemühen, mir fernzubleiben. Darüber hinaus wirst du außerhalb der Schulstunden nicht mit Rosamund und Posy sprechen. Sie sind jetzt die Töchter des Hauses und sollten keinen Umgang mit deinesgleichen pflegen müssen. Hast du noch Fragen?«

Sophie schüttelte den Kopf.

»Gut.«

Damit rauschte sie aus dem Zimmer und ließ Sophie allein zurück.

Ihre Unterlippe bebte. Nur mit Mühe unterdrückte sie ein Schluchzen.

Im Laufe der Zeit lernte Sophie, ihre Position in diesem Haushalt ein wenig besser einzuschätzen. Die Dienstboten wussten immer Bescheid, und so kam alles auch Sophie zu Ohren.

Die Countess, deren Vorname Araminta lautete, hatte an jenem ersten Tag darauf bestanden, dass Sophie aus dem Haus entfernt wurde. Der Earl jedoch hatte ihr das verweigert. Araminta müsse Sophie ja nicht lieben, hatte er kühl erwidert. Sie brauche sie nicht einmal zu mögen. Aber sie habe sich mit ihrer Gegenwart abzufinden. Er war seiner Verantwortung dem Mädchen gegenüber seit sieben Jahren nachgekommen, und er würde es jetzt nicht abschieben.

Rosamund und Posy richteten sich ganz nach Araminta und begegneten Sophie feindselig und verächtlich, obgleich Posy offensichtlich von Natur aus weniger zum Hochmut neigte als Rosamund. Rosamund liebte es geradezu, Sophie in den Arm zu kneifen, wenn Miss Timmons gerade nicht hinguckte.

Sophie beklagte sich nie. Sie bezweifelte, dass Miss Timmons den Mut besaß, Rosamund zu tadeln, die daraufhin gewiss mit einer Lügengeschichte zu Araminta gelaufen wäre. Falls jemandem auffiel, dass Sophie ständig blaue Flecke an den Armen hatte, so verlor keiner ein Wort darüber.

Posy war manchmal recht freundlich, doch meistens seufzte sie nur und meinte: »Mutter sagt, ich darf nicht nett zu dir sein.«

Nie griff der Earl in diese Geschehnisse ein.

Sophie verlebte noch vier Jahre auf diese Weise, bis der Earl zur Überraschung aller eines Tages beim Tee im Garten die Hand an die Brust hob, laut aufkeuchte und auf den Kies der Terrasse sank.

Das Bewusstsein erlangte er nicht mehr wieder.

Die Menschen, die ihn kannten, waren entsetzt. Der Earl war erst vierzig Jahre alt. Wer hätte gedacht, dass sein Herz in diesem Alter versagen könnte? Niemand war entsetzter als Araminta, die seit der Hochzeitsnacht recht verzweifelt versucht hatte, den so ungeheuer wichtigen Erben zu empfangen.

»Ich könnte froher Erwartung sein«, erklärte sie hastig den Juristen des Earls. »Sie dürfen den Titel nicht irgendeinem entfernten Cousin übertragen. Oh ja, es ist sehr wahrscheinlich, dass ich guter Hoffnung bin.«

Doch sie war nicht in anderen Umständen, und als einen Monat später das Testament des Earls eröffnet wurde – man hatte der Countess genug Zeit lassen wollen, um in der Frage eines Erben ganz sicher zu sein –, musste Araminta neben dem neuen Earl sitzen, einem reichlich zügellosen jungen Mann, der nicht selten betrunken war.

Die Wünsche des Earls bewegten sich im Rahmen des Üblichen. Es gab Vermächtnisse für treue Dienstboten. Rosamund, Posy und selbst Sophie hatte er eine bestimmte Summe hinterlassen, sodass alle drei Mädchen über eine ansehnliche Mitgift verfügten.

Und dann kam Araminta an die Reihe.

»Meine Ehefrau Araminta Gunningworth, Countess of Penwood, erhält eine jährliche Apanage von zweitausend Pfund …«

»Das ist alles?«, rief Araminta aus.

»… welche sich auf sechstausend Pfund verdreifacht, sofern sie sich verpflichtet, für mein Mündel Miss Sophie Maria Beckett zu sorgen, bis es das zwanzigste Lebensjahr erreicht hat.«

»Ich will sie aber nicht«, flüsterte Araminta.

»Sie müssen sie auch nicht aufnehmen«, erinnerte der Notar sie. »Sie können …«

»Von zweitausend Pfund im Jahr leben?«, empörte sie sich. »Das glaube ich kaum.«

Der Rechtsgelehrte, der von wesentlich weniger als zweitausend Pfund im Jahr lebte, erwiderte darauf nichts.

Der neue Earl, der während der gesamten Besprechung dem Wein sehr zugetan gewesen war, zuckte nur die Schultern.

Araminta erhob sich.

»Wie lautet Ihre Entscheidung?«, fragte der Notar.

»Ich sorge für sie«, antwortete die Countess leise.

»Wünschen Sie, dass ich das Mädchen suche und es ihm mitteile?«

Heftig schüttelte Araminta den Kopf. »Ich sage es Sophie selbst.«

Aber als Araminta sich mit Sophie über dieses Arrangement unterhielt, ließ sie einige wichtige Einzelheiten aus …

1. KAPITEL

Die begehrteste Einladung des Jahres ist gewiss jene zum Bridgertonschen Maskenball, der nächsten Montag stattfinden soll. Wo man auch hingeht, überall hört man irgendeine Mutter spekulieren: Wer wird kommen, und vor allem – wer wird was tragen?

Doch keine dieser beiden Fragen ist so interessant wie die beiden unverheirateten Brüder Bridgerton, Benedict und Colin. Bevor man mich darauf hinweist, dass es einen dritten unverheirateten Bridgerton gibt, lassen Sie Ihre getreue Chronistin versichern, dass ihr Gregory Bridgerton wohlbekannt ist. Er ist allerdings erst vierzehn Jahre alt und deshalb in dieser Kolumne nicht von Bedeutung, da sie sich um die heiligste aller sportlichen Disziplinen dreht: die Jagd auf zukünftige Ehemänner.

Obgleich die beiden Mister Bridgertons eben nur mit einem Mister vor dem Namen aufwarten können, zählen sie dennoch zu den besten Partien der Saison. Es ist allgemein bekannt, dass beiden ein beachtliches Vermögen gehört, zudem ist es fast müßig, festzustellen, dass sie, wie alle acht Sprösslinge der Familie Bridgerton, sehr gut aussehen.

Wird irgendeine glückliche junge Dame die geheimnisvolle Atmosphäre eines Maskenballs dazu nutzen, einen dieser begehrten Junggesellen einzufangen?

Lady Whistledowns Gesellschaftsjournal

31. Mai 1815

»Sophie! Sophie!«

Dieses Kreischen hätte Glas zerspringen lassen können – oder zumindest ein Trommelfell zum Platzen bringen.

»Ich komme, Rosamund, ich komme!« Sophie raffte die groben wollenen Röcke und hastete die Treppe hinauf, wobei sie auf der vierten Stufe ausglitt und sich eben noch am Geländer festhalten konnte. Sie hätte daran denken sollen, dass die Stufen glatt waren. Erst heute Morgen hatte sie dem Mädchen geholfen, sie zu wachsen.

Keuchend kam sie vor Rosamunds Schlafzimmer zum Stehen und fragte: »Ja?«

»Mein Tee ist kalt.«

Sophie hätte am liebsten gesagt: »Er war noch warm, als ich ihn dir vor einer Stunde hinaufgebracht habe.« Tatsächlich jedoch bot sie an: »Ich hole dir eine frische Kanne Tee.«

»Ich bitte darum.«

Sophie rang sich ein Lächeln ab. »Soll ich die Kekse hierlassen?«, erkundigte sie sich.

Rosamund schüttelte das hübsche Köpfchen. »Ich will frische.«

Sophie verließ das Zimmer, leicht gebeugt unter der Last des überfrachteten Tabletts, und verkniff sich eine scharfe Bemerkung, bis sie sicher außer Hörweite war. Rosamund ließ sich sehr oft Tee bringen und machte sich dann nicht die Mühe, ihn zu trinken, bis ihr nach einer Stunde wieder einfiel, dass er auf dem Tisch stand. Dann war er natürlich kalt, sodass sie eine frische Kanne haben wollte.

Was bedeutete, dass Sophie ständig die Treppen hinauf- und hinunterhetzte. Manchmal schien sie gar nichts anderes mehr zu tun.

Hinauf und hinunter, hinauf und hinunter.

Außerdem hatte sie noch Kleider auszubessern und zu bügeln, Haare zu frisieren, Schuhe zu putzen, Strümpfe zu stopfen und Betten zu machen …

»Sophie!«

Sie wandte sich um und sah Posy auf sich zukommen.

»Sophie, ich wollte dich etwas fragen. Meinst du, diese Farbe steht mir?«

Sophie begutachtete Posys Meerjungfrauenkostüm. Der Schnitt war ein wenig ungünstig für Posy, die ihren Babyspeck nie ganz verloren hatte, doch die Farbe brachte ihren Teint tatsächlich sehr vorteilhaft zur Geltung. »Das ist ein sehr schöner Grünton«, antwortete Sophie wahrheitsgemäß. »Er lässt deine Wangen rosig strahlen.«

»Oh, gut. Ich bin so froh, dass es dir gefällt. Du suchst meine Kleider immer so geschickt aus.« Posy lächelte, streckte die Hand aus und nahm sich einen Keks vom Tablett. »Mutters Gedanken kreisen nur noch um den Maskenball, und sie wird mir keine Ruhe gönnen, bis ich nicht wirklich gut aussehe. Oder …«, Posy verzog das Gesicht, »… bis sie meint, ich sehe wirklich gut aus. Sie ist wild entschlossen, dass eine von uns einen der Bridgertons abbekommen soll, verstehst du?«

»Ich weiß.«

»Was noch schlimmer ist, diese Whistledown hat schon wieder über die beiden geschrieben.« Posy kaute und schluckte. »Das regt erst recht ihre Fantasie an.«

»War das Blatt gut heute Morgen?«, fragte Sophie und stützte das Tablett auf der Hüfte ab. »Ich bin noch nicht dazu gekommen, es zu lesen.«

»Ach, nur das Übliche«, erwiderte Posy mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Irgendwann wird es eben langweilig.«

Sophie lächelte verkrampft. Nichts wäre ihr lieber gewesen, als einen Tag lang ein so langweiliges Leben wie Posy zu führen. Nun, vielleicht nicht unbedingt mit Araminta als ihrer Mutter, aber ein Leben mit Festen, Gesellschaften und Soireen erschien ihr sehr verlockend.

»Worum ging es eigentlich noch?«, fragte sich Posy nachdenklich. »Heute gab es einen Bericht über Lady Worths Ball, einen Artikel über Viscount Guelph, der anscheinend in eine kleine Schottin verliebt ist, und dann einen längeren Artikel über den Maskenball bei den Bridgertons.«

Sophie seufzte. Seit Wochen las sie schon von dem bevorstehenden Maskenball, und obgleich sie nur eine Zofe war, wünschte sie sich doch sehnlichst, sie könnte auch auf den Ball gehen.

»Ich persönlich würde mich sehr freuen, wenn dieser Guelph sich endlich verlobt«, verkündete Posy und griff nach einem weiteren Keks. »Das wäre wieder ein Junggeselle weniger, den Mutter als potenziellen Ehemann ins Visier nehmen kann. Ich habe ohnehin keine Chance, seine Aufmerksamkeit zu erringen.« Sie biss in den Keks und kaute nicht eben lautlos. »Ich hoffe sehr, dass Lady Whistledown recht hat.«

»Hat sie wahrscheinlich«, entgegnete Sophie. Sie las Lady Whistledowns Gesellschaftsjournal, seit es 1813 zum ersten Mal erschienen war, und die Klatschkolumnistin hatte beinahe immer recht, was den Heiratsmarkt betraf.

Nicht dass Sophie je Gelegenheit gehabt hätte, diesen speziellen Markt selbst kennenzulernen. Doch wenn man oft genug Whistledown las, konnte man sich beinahe der Londoner Gesellschaft zugehörig fühlen, ohne jemals einen Ball besucht zu haben.

Die Lektüre des Whistledown war Sophies einziger angenehmer Zeitvertreib. Sie hatte alle Romane in der Bibliothek schon gelesen, und da Araminta, Rosamund und Posy nicht eben begeisterte Leserinnen waren, konnte Sophie auch nicht darauf hoffen, dass ein neues Buch gekauft wurde.

Doch Whistledown war wirklich amüsant. Niemand wusste, wer die Verfasserin war. Als das Journal, das nur aus einem Blatt bestand, vor zwei Jahren zum ersten Mal erschienen war, hatte man wild spekuliert. Selbst jetzt noch gab es immer wieder aufs Neue Gerede und Rätselraten, wenn Lady Whistledown besonders pikanten Klatsch verbreitete. Man fragte sich, wer um Himmels willen so rasch und detailliert interne Dinge in Erfahrung bringen könne.

Und Whistledowns Gesellschaftsjournal ermöglichte Sophie einen verlockenden Einblick in jene Welt, der sie auch angehört hätte, wenn ihre Eltern geheiratet hätten. Dann wäre sie die Tochter eines Earls und nicht sein Bankert. Ihr Name wäre Gunningworth, nicht Beckett.

Wie gern wäre sie nur ein einziges Mal in die Kutsche gestiegen, um einen Ball zu besuchen.

Stattdessen kleidete sie andere für ihre aufregenden Abende ein, schnürte Posys Korsett, frisierte Rosamunds Haar oder polierte Aramintas Schuhe.

Doch sie konnte – oder durfte – sich nicht beklagen. Zwar musste sie Araminta und ihren Töchtern als Zofe dienen, doch zumindest hatte sie ein Zuhause. Und das war mehr, als den meisten Mädchen in ihrer Lage beschieden war.

Nachdem ihr Vater gestorben war, hatte er ihr nichts hinterlassen. Nun, nichts außer einem Dach über dem Kopf. Sein Testament hatte immerhin bewirkt, dass sie bis zu ihrem zwanzigsten Lebensjahr versorgt war. Niemals hätte Araminta auf viertausend Pfund im Jahr verzichtet, nur um Sophie loszuwerden.

Doch diese viertausend Pfund gehörten Araminta, nicht Sophie, und Sophie hatte auch nie einen Penny davon gesehen. Fort waren die schönen Kleider von früher. Nun trug sie die gleichen groben Wollstoffe wie die Dienstboten. Und sie aß das Gleiche, was die anderen Mägde vorgesetzt bekamen – nämlich das, was Araminta, Rosamund und Posy verschmäht hatten.

Sophies zwanzigster Geburtstag war allerdings schon fast ein Jahr her, und sie lebte noch immer in Penwood House und bediente Araminta und ihre Töchter. Aus irgendeinem Grunde – vermutlich, weil sie keine neue Zofe anlernen und bezahlen wollte – hatte Araminta Sophie gestattet, in ihrem Haushalt zu bleiben.

Und Sophie war geblieben. Mit Aramintas launenhaftem, unbeherrschtem Wesen hatte sie gelernt umzugehen. Wie aber sollte sie allein in der Welt zurechtkommen?

»Wird dir das Tablett nicht langsam zu schwer?«

Sophie schrak aus ihren Gedanken hoch und sah wieder Posy vor sich, die sich eben den letzten Keks nahm. Verflixt. Den hätte sie gern selbst gegessen. »Ja«, murmelte sie. »Ja, allerdings. Ich sollte es endlich in die Küche bringen.«

Posy lächelte. »Ich will dich nicht aufhalten. Könntest du danach bitte mein rosa Kleid bügeln? Ich werde es heute Abend tragen. Ach, und die passenden Schuhe müssten auch noch gesäubert werden. Ich habe sie ein wenig beschmutzt, als ich sie letztes Mal anhatte, und du weißt ja, wie Mutter ist. Dabei kann man sie unter den weiten Röcken doch gar nicht sehen. Aber sie wird den kleinsten Fleck sofort bemerken, wenn ich nur den Saum anhebe, um eine Stufe hochzusteigen.«

Sophie nickte und fügte Posys Wünsche im Geiste der Liste ihrer Aufgaben hinzu.

»Wir sehen uns später!« Posy biss in den letzten Keks, drehte sich um und verschwand in ihrem Schlafzimmer.

Und Sophie machte sich auf den Weg hinunter in die Küche.

Einige Tage später kniete Sophie vor Araminta, an deren Verkleidung für den Maskenball noch einige letzte Änderungen vorzunehmen waren. Die Robe à la Queen Elizabeth war selbstverständlich vollkommen passend von der Schneiderin geliefert worden, doch Araminta beharrte darauf, dass sie nun in der Taille beinahe einen Zentimeter zu weit sei.

»Wie ist es jetzt?«, fragte Sophie.

»Zu eng.«

Sophie steckte ein paar Nadeln um. »Und nun?«

»Zu weit.«

Sophie zog eine Nadel heraus und steckte sie an exakt derselben Stelle wieder fest. »So. Wie ist das?«

Araminta drehte und wand sich und erklärte schließlich: »So wird es gehen.«

Sophie lächelte in sich hinein, während sie aufstand, um Araminta aus dem Gewand zu helfen.

»Das Kleid muss in einer Stunde fertig sein, wenn wir pünktlich auf dem Ball erscheinen wollen«, sagte Araminta.

»Selbstverständlich«, murmelte Sophie. Sie hatte festgestellt, dass »selbstverständlich« in Unterhaltungen mit Araminta immer eine gute Wortwahl war.

»Dieser Ball ist sehr wichtig«, bemerkte Araminta mit scharfer Stimme. »Rosamund muss dieses Jahr eine gute Partie machen. Der neue Earl …« Sie erschauerte vor Abneigung. Noch immer hielt sie ihn für einen Emporkömmling, obwohl er der nächste lebende männliche Verwandte des alten Earls war. »Nun ja, er hat gnädig erklärt, dieses Jahr dürften wir noch einmal in Penwood House wohnen, solange wir in London sind. Eine solche Frechheit. Ich bin immerhin die Witwe eines Earls, und Rosamund und Posy sind seine Töchter.«

Stieftöchter, verbesserte Sophie insgeheim.

»Es ist unser gutes Recht, die Saison über in Penwood House zu wohnen. Ich wüsste gar nicht, was er damit anfangen sollte.«

»Vielleicht möchte er auch am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und sich eine Ehefrau suchen«, schlug Sophie vor. »Sicher ist ihm an einem Erben gelegen.«

Araminta machte ein finsteres Gesicht. »Was soll nur aus uns werden, wenn Rosamund sich nicht reich verheiratet? Es ist so schwierig, ein anständiges Haus zu mieten. Und zudem so teuer.«

Sophie verzichtete auf den Hinweis, dass Araminta immerhin ihre Zofe nicht bezahlen musste. Bis zu Sophies zwanzigstem Geburtstag hatte Araminta sogar viertausend Pfund pro Jahr dafür bekommen, dass sie eine Zofe hatte.

Araminta schnippte mit den Fingern. »Vergiss nicht, dass Rosamunds Haar gepudert werden muss.«

Rosamund verkleidete sich als Marie Antoinette. Sophie hatte gefragt, ob sie sich auch einen blutigen Streifen um den Hals schminken wolle. Das hatte Rosamund gar nicht komisch gefunden.

Araminta schlüpfte in ihren Morgenmantel und verknotete den Gürtel mit flinken, genau bemessenen Bewegungen. »Und Posy …« Sie zog die Nase kraus. »Nun, Posy wird sicher ebenfalls deine Hilfe brauchen.«

»Es ist mir immer eine Freude, Posy zu helfen«, erwiderte Sophie.

Araminta kniff die Augen zusammen, als wäre sie nicht ganz sicher, ob Sophie nun aufsässig war oder nicht. »Vergiss es nur nicht«, sagte sie schließlich. Dann stolzierte sie in den angrenzenden Salon.

Sophie salutierte, nachdem sie die Tür hinter Araminta geschlossen hatte.

»Ah, Sophie, da bist du ja«, meinte Rosamund, die durch eine andere Tür ins Zimmer geeilt war. »Ich brauche dich, auf der Stelle.«

»Ich fürchte, du wirst warten müssen, bis …«

»Ich sagte, auf der Stelle!«, herrschte Rosamund sie an.

Sophie straffte die Schultern und hielt Rosamunds kaltem Blick stand. »Deine Mutter möchte, dass ich erst ihr Kleid ändere.«

»Zieh einfach die Nadeln heraus und behaupte, du hättest es enger gemacht. Sie merkt es sowieso nicht.«

Genau das hatte Sophie sich auch überlegt, und sie stöhnte innerlich. Wenn sie tat, was Rosamund ihr befohlen hatte, würde die sie am nächsten Tag dafür anschwärzen, und dann würde Araminta eine ganze Woche lang toben. Nun würde sie die Änderung tatsächlich vornehmen müssen.

»Was benötigst du denn, Rosamund?«

»Der Saum an meinem Kleid hat einen Riss. Ich weiß gar nicht, wie das passiert ist.«

»Vielleicht, als du es anprobiert hast …«

»Werd ja nicht unverschämt!«

Sophie presste die Lippen zusammen. Es fiel ihr sehr viel schwerer, von Rosamund Befehle entgegenzunehmen als von Araminta. Das lag wohl daran, dass sie einmal gleichgestellt gewesen und zusammen unterrichtet worden waren.

»Das muss sofort gerichtet werden«, verlangte Rosamund blasiert.

Sophie seufzte. »Bring es nur herein. Ich mache das, sobald ich mit dem Kleid deiner Mutter fertig bin. Ich versichere dir, du erhältst es rechtzeitig.«

»Ich will auf keinen Fall zu spät zu diesem Ball erscheinen«, warnte Rosamund sie. »Und wenn doch, verlange ich deinen Kopf auf einem Silbertablett.«

»Du wirst nicht zu spät kommen«, versprach Sophie.

Rosamund gab einen hochmütigen Laut von sich und eilte hinaus, um ihr Kostüm zu holen.

»Au!«

Sophie blickte auf und sah, dass Rosamund und Posy an der Tür zusammengestoßen waren.

»Gib doch acht, wo du hingehst, Posy!«, schalt Rosamund.

»Du könntest auch ein wenig aufpassen«, erwiderte Posy.

»Ich habe achtgegeben. Aber es ist unmöglich, dir auszuweichen, du unförmiger Tollpatsch.«

Posy errötete und trat beiseite.

»Brauchst du etwas, Posy?«, fragte Sophie, sobald Rosamund verschwunden war.

Posy nickte. »Könntest du dir heute ein wenig Zeit für meine Frisur nehmen? Ich habe ein paar grüne Bänder gefunden.«

Sophie seufzte kaum merklich. Die dunkelgrünen Bänder würden in Posys dunklem Haar nicht viel Staat machen, doch sie brachte es nicht über sich, ihr das mitzuteilen. »Ich versuche es, Posy, aber ich muss erst Rosamunds Kleid flicken und das deiner Mutter ändern.«

»Oh.« Posy wirkte enttäuscht. Sophie brach es fast das Herz. Bis auf die anderen Dienstboten war Posy die Einzige in diesem Haus, die auch nur halbwegs nett zu ihr war. »Keine Sorge«, sagte sie. »Ich kümmere mich schon darum, dass deine Frisur hübsch aussieht, auch wenn wir nur wenig Zeit haben.«

»Oh, danke, Sophie! Ich …«

»Hast du denn noch nicht mit meinem Kleid angefangen?«, donnerte Araminta, als sie aus dem Salon wieder ins Zimmer kam.

Sophie schluckte. »Ich habe mit Rosamund und Posy gesprochen. Rosamund hat ihr Kleid zerrissen und …«

»Mach dich endlich an die Arbeit!«

»Selbstverständlich. Sofort.« Sophie sank auf die Fußbank und drehte das Gewand um, damit sie die Taille enger machen konnte.

»Schneller als sofort«, verlangte Araminta scharf.

»Schneller als der Flügelschlag eines Kolibris. Schneller als …«

»Was redest du da vor dich hin?«, wollte Araminta wissen.

»Nichts.«

»Jedenfalls hörst du sofort damit auf. Ich finde deine Stimme ausgesprochen unangenehm.«

Sophie biss die Zähne zusammen.

»Mutter«, sagte Posy, »Sophie wird mir heute das Haar frisieren wie …«

»Selbstverständlich wird sie dir das Haar frisieren. Hör endlich auf herumzutrödeln und leg dir Kompressen auf die Augen, damit sie nicht so geschwollen ausschauen.«

Posys Lächeln erstarb. »Meine Augen sind geschwollen?«

Sophie schüttelte den Kopf, nur für den Fall, dass Posy zufällig zu ihr hinguckte.

»Deine Augen sind immer geschwollen«, entgegnete Araminta. »Findest du nicht auch, Rosamund?«

Posy und Sophie wandten sich zur Tür. Rosamund war soeben mit ihrem Marie-Antoinette-Kostüm eingetreten. »Immer«, bestätigte sie. »Aber Kompressen helfen da bestimmt.«

»Du siehst heute ganz besonders schön aus«, sagte Araminta zu Rosamund. »Und dabei hast du noch nicht einmal angefangen, dich herzurichten. Dieses Gold in deinem Kleid passt wunderbar zu deinem Haar.«

Sophie warf der dunkelhaarigen Posy, die niemals solche Komplimente von ihrer Mutter zu hören bekam, einen mitfühlenden Blick zu.

»Bestimmt wirst du einen von diesen Bridgerton-Brüdern einfangen«, fuhr Araminta fort. »Da bin ich ganz sicher.«

Bescheiden senkte Rosamund den Blick. Diesen Gesichtsausdruck hatte sie perfekt einstudiert, und Sophie musste zugeben, dass er ihr sehr gut stand. Aber Rosamund stand schließlich beinahe alles sehr gut. Ihr goldblondes Haar und die blauen Augen galten als Glanzpunkte der Saison, und dank der großzügigen Mitgift, die der verstorbene Earl ihr hinterlassen hatte, wurde allgemein angenommen, dass sie noch vor dem Ende der Saison eine hervorragende Partie machen würde.

Sophie schaute wieder zu Posy hinüber, die ihre Mutter mit traurigem, sehnsüchtigem Blick betrachtete. »Du siehst auch ganz reizend aus, Posy«, meinte Sophie unvermittelt.

Posys Augen strahlten. »Findest du?«

»Oh ja. Und dein Kostüm ist etwas ganz Besonderes. Eine zweite Meerjungfrau gibt es bestimmt nicht.«

»Woher willst du das denn wissen, Sophie?«, erkundigte sich Rosamund lachend. »Schließlich warst du noch nie auf einer Gesellschaft.«

»Gewiss wirst du einen wunderschönen Abend haben, Posy.« Sophie ignorierte Rosamunds Seitenhieb. »Ich beneide dich ja so. Oh, ich wünschte wirklich, ich könnte mitkommen.«

Auf Sophies leise Bemerkung herrschte kurz völlige Stille. Dann lachten Araminta und Rosamund. Selbst Posy kicherte leise.

»Ach, das ist zu schön«, verkündete Araminta, als sie wieder zu Atem kam. »Die kleine Sophie auf dem Ball der Bridgertons. Ein Bankert wird in der guten Gesellschaft nicht geduldet, weißt du.«

»Ich habe ja auch nicht erwartet, dass ich euch begleiten darf«, verteidigte sich Sophie. »Ich sagte nur, ich würde gern.«

»Nun, du solltest dir so etwas nicht einmal wünschen«, wandte Rosamund ein. »Wenn du dir Dinge wünschst, die du niemals haben kannst, wirst du doch nur enttäuscht.«

Aber Sophie hörte sie gar nicht mehr, denn in diesem Augenblick geschah etwas sehr Seltsames. Als sie den Kopf zu Rosamund umwendete, erblickte sie die Hausdame, die an der Tür stand. Mrs. Gibbons war von Penwood Park in die Stadt gekommen, nachdem die alte Hausdame verstorben war. Und als Sophies Blick den ihren traf, zwinkerte sie.

Sie zwinkerte!

Sophie hatte Mrs. Gibbons bisher niemals zwinkern sehen.

»Sophie! Sophie! Hörst du mir überhaupt zu?«

Geistesabwesend wandte Sophie sich Araminta zu. »Entschuldigung. Was sagten Sie?«

»Ich sagte«, wiederholte Araminta in gehässigem Tonfall, »dass du dich lieber auf der Stelle um die Änderungen an meinem Kleid kümmern solltest. Wenn wir zu spät zum Ball kommen, wirst du morgen dafür büßen!«

»Selbstverständlich«, erwiderte Sophie rasch. Sie stieß die Nadel in den Stoff und begann zu nähen, doch ihre Gedanken waren noch immer bei Mrs. Gibbons.

Ein Zwinkern?

Warum um alles in der Welt sollte sie zwinkern?

Drei Stunden später stand Sophie auf der Treppe von Penwood House und beobachtete, wie Araminta, Rosamund und Posy eine nach der anderen die Hand des Lakaien nahmen und in die Kutsche stiegen. Sophie winkte Posy zu, die auch zurückwinkte, und schaute dann der Kutsche nach, die die Straße entlangrollte und um die Ecke verschwand.

Bridgerton House, wo der Ball stattfand, lag nur ein paar Straßen weiter, doch Araminta hätte selbst dann auf die Kutsche bestanden, wenn es das Nachbarhaus gewesen wäre.

Schließlich war ein großer Auftritt sehr wichtig.

Seufzend drehte Sophie sich um und stieg die Treppe hinauf. Zumindest hatte Araminta vor lauter Aufregung vergessen, ihr eine ellenlange Liste der noch heute zu erledigenden Aufgaben zu geben. Ein freier Abend war ein seltener Luxus. Vielleicht fand sie ja noch die neue Ausgabe des Whistledown. Sie meinte, sie hätte sie am Nachmittag bei Rosamund gesehen.

Doch als Sophie durch die Vordertür kam, erschien Mrs. Gibbons wie aus dem Nichts und packte sie am Arm. »Wir haben keine Zeit zu verlieren«, zischte die Hausdame.

Sophie starrte sie an, als hätte sie den Verstand verloren. »Wie bitte?«

Mrs. Gibbons zupfte an ihrem Ärmel. »Kommen Sie mit.«

Sophie ließ sich die drei Treppen bis hinauf in ihre Kammer führen, einen winzigen Raum direkt unter dem Dach. Mrs. Gibbons benahm sich äußerst seltsam, doch Sophie ging ihr zuliebe mit. Die Hausdame war immer besonders nett zu ihr gewesen, selbst dann noch, als Araminta dies offensichtlich missbilligt hatte.

»Legen Sie rasch die Kleider ab«, forderte Mrs. Gibbons sie auf, während sie die Hand auf den Türknauf legte.

»Wiebitte?«

»Wir müssen uns wirklich beeilen.«

»Mrs. Gibbons, Sie …« Sophie verschlug es die Sprache, als sie einen Blick in ihr Kämmerchen warf. In der Mitte stand eine dampfende Badewanne, und alle drei Hausmädchen eilten geschäftig umher. Eines goss gerade einen weiteren Krug Wasser nach, das zweite mühte sich mit dem Schloss einer recht geheimnisvollen Truhe ab, und das dritte hielt ein Handtuch in der Hand und sagte: »Rasch! Rasch!«

Völlig verwirrt starrte Sophie sie an. »Was ist denn hier los?«

Mrs. Gibbons wandte sich ihr zu und strahlte. »Sie, Miss Sophie Beckett, gehen auf einen Maskenball!«

Eine Stunde später war Sophie vollkommen verwandelt. Die Truhe enthielt Kleider, die einst der Mutter des verstorbenen Earls gehört hatten. Sie waren alle nach der Mode von vor fünfzig Jahren geschnitten, doch das machte nichts. Schließlich ging sie auf einen Maskenball. Niemand erwartete, dort nur Gewänder nach der neuesten Mode zu sehen.

Ganz unten in der Truhe hatten sie eine zauberhafte Kreation aus schimmerndem Silberstoff gefunden, mit einem eng anliegenden, perlenbestickten Mieder und weit schwingenden Röcken, die im vergangenen Jahrhundert so beliebt gewesen waren.

Sophie kam sich wie eine Prinzessin vor, sobald sie es nur berührte. Es roch ein wenig muffig nach so vielen Jahren in der Truhe, also nahm eines der Mädchen es eilig mit hinaus, um Rosenwasser daraufzusprenkeln und es auszulüften.

Sophie war gebadet, parfümiert und angekleidet worden. Danach hatte man ihr das Haar frisiert, und eines der Mädchen hatte sogar etwas Rouge auf ihre Lippen getupft. »Erzählen Sie Miss Rosamund nichts davon«, hatte das Mädchen geflüstert. »Ich habe mir die Dose kurz geliehen.«

»Oh, schaut nur!«, rief Mrs. Gibbons. »Ich habe passende Handschuhe gefunden.«

Sophie blickte auf und sah die Hausdame mit einem Paar langer Handschuhe, die bis zu den Ellbogen reichten. »Gucken Sie mal«, sagte sie, nahm einen der Handschuhe von Mrs. Gibbons entgegen und betrachtete ihn genauer, »das Penwood-Wappen. Und dort ist ein Monogramm eingestickt. Hier am Saum.«

Mrs. Gibbons drehte den verbliebenen Handschuh um. »SLG. Sarah Louisa Gunningworth. Ihre Großmutter.«

Überrascht schaute Sophie sie an. Mrs. Gibbons hatte den Earl niemals als ihren Vater bezeichnet. Niemand auf Penwood Park hatte Sophies Blutsverwandtschaft mit der Familie Gunningworth je erwähnt.

»Nun ja, sie ist schließlich Ihre Großmutter«, erklärte Mrs. Gibbons. »Wir haben alle lange genug geschwiegen. Es ist ein Verbrechen, dass Rosamund und Posy behandelt werden wie die Töchter des Hauses, während Sie, des Grafen Fleisch und Blut, schuften müssen wie ein Hausmädchen!«

Die drei Mägde nickten zustimmend.

»Nur einmal«, fuhr Mrs. Gibbons fort, »für eine einzige Nacht, werden Sie die Schönste auf dem Ball sein.« Lächelnd drehte sie Sophie langsam um, bis sie vor dem Spiegel stand.

Sophie stockte der Atem. »Bin ich das wirklich?«

Mrs. Gibbons nickte. Ihre Augen wirkten verdächtig feucht. »Sie sehen bezaubernd aus, meine Liebe«, flüsterte sie.

Zögernd hob Sophie eine Hand an ihr Haar.

»Nicht durcheinanderbringen!«, rief eines der Mädchen rasch.

»Bestimmt nicht«, versprach Sophie und lächelte mit Tränen in den Augen. Ein wenig Silberpuder war über ihr Haar gestreut, sodass sie glitzerte wie eine Märchenprinzessin. Ihre dunkelblonden Locken waren hochgesteckt, nur eine Strähne lockte sich ihren Nacken herab. Und ihre Augen, für gewöhnlich moosgrün, strahlten wie Smaragde.

»Hier ist Ihre Maske«, sagte Mrs. Gibbons geschäftig. Es war eine Halbmaske, die man am Hinterkopf zubinden konnte, sodass Sophie sie nicht mit einer Hand vors Gesicht halten musste. »Jetzt brauchen wir nur noch Schuhe.«

Traurig blickte Sophie auf ihre praktischen, hässlichen Arbeitsschuhe in der Ecke. »Ich habe nichts, was zu einem so prächtigen Kleid passen würde.«

Das Hausmädchen, das Sophie Rouge aufgetragen hatte, hielt ein Paar feine weiße Schuhe hoch. »Aus Rosamunds Schrank«, erklärte es.

Sophie schlüpfte mit dem rechten Fuß hinein und sofort wieder heraus. »Sie sind viel zu groß«, befand sie und guckte zu Mrs. Gibbons hoch. »Darin könnte ich keinen Schritt tun.«

Mrs. Gibbons wandte sich an das Mädchen. »Hol ein Paar aus Posys Kommode.«

»Posys sind noch größer«, verkündete Sophie.

Mrs. Gibbons stieß einen tiefen Seufzer aus. »Dann hilft es nichts. Wir werden uns an Aramintas Sammlung halten müssen.«

Sophie schauderte. Die Vorstellung, in Aramintas Schuhen herumzulaufen, war schon unheimlich. Aber entweder sie wagte es, oder sie blieb zu Hause, denn sie glaubte nicht, dass sie mit bloßen Füßen auf einem eleganten Londoner Maskenball geduldet werden würde.

Kurz darauf kehrte das Mädchen mit einem Paar weißer Satinschuhe zurück, die mit Silberstickerei und unechten Diamantrosetten verziert waren.

Sophie war es immer noch nicht recht geheuer, Aramintas Schuhe zu tragen, doch sie schlüpfte trotzdem hinein. Sie passten perfekt.

»Und sie sehen sehr gut dazu aus«, meinte eines der Dienstmädchen und deutete auf die Silberstickerei. »Als wären sie eigens für dieses Kleid gemacht.«

»Wir haben keine Zeit, Schuhe zu bewundern«, stellte Mrs. Gibbons unvermittelt fest. »Hören Sie mir jetzt gut zu. Der Kutscher hat die Countess und die Mädchen hingebracht und ist schon wieder hier. Er wird Sie zu Bridgerton House fahren. Allerdings muss er draußen stehen, wenn sie wieder abfahren wollen, und das bedeutet, dass Sie um Mitternacht den Ball verlassen müssen – keine Sekunde später. Haben Sie das verstanden?«

Sophie nickte und sah auf die Wanduhr. Es war kurz nach neun, also würde sie fast drei Stunden auf dem Ball verbringen können. »Danke«, flüsterte sie. »Oh, ich danke Ihnen.«

Mrs. Gibbons tupfte sich mit einem Taschentuch die Augen trocken. »Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Abend, meine Liebe. Das ist der schönste Dank für mich.«

Sophie blickte wieder auf die Uhr. Fast drei Stunden noch.

Stunden, die ihr für ein ganzes Leben reichen mussten.

2. KAPITEL

Die Bridgertons sind wahrlich eine ungewöhnliche Familie. Allen in London ist wohlbekannt, dass sie einander bemerkenswert ähneln. Und erst die berühmte Namensgebung in alphabetischer Reihenfolge: Anthony, Benedict, Colin, Daphne, Eloise, Francesca, Gregory und Hyacinth.

Da fragt man sich, wie der verstorbene Viscount und seine Witwe das nächste Kind, Nummer neun, getauft hätten. Imogen? Indigo?

Vielleicht ist es ja ganz gut, dass sie bei acht aufgehört haben.

Lady Whistledowns Gesellschaftsjournal,

2. Juni 1815

Benedict Bridgerton war das zweite von acht Kindern, doch manchmal kam es ihm vor, als seien es hundert.

Dieser Ball, den seine Mutter unbedingt hatte geben wollen, sollte ein Maskenball sein, und Benedict hatte pflichtschuldig eine schwarze Halbmaske angelegt, dennoch wusste jeder, wer er war. Oder zumindest beinahe.

»Ein Bridgerton!«, riefen sie und klatschten begeistert in die Hände.

»Sie müssen ein Bridgerton sein!«

»Ein Bridgerton! Einen Bridgerton würde ich überall erkennen.«

Benedict war ein Bridgerton, und obgleich es keine Familie gab, zu der er lieber gehört hätte, wünschte er manchmal, man würde ihn etwas weniger als Bridgerton sehen und ein wenig mehr als ihn selbst.

Just in diesem Moment kam eine Dame ungewissen Alters im Kostüm einer Schäferin auf ihn zu. »Ein Bridgerton!«, zwitscherte sie. »Dieses kastanienbraune Haar ist unverkennbar. Welcher sind Sie denn? Nein, sagen Sie nichts. Lassen Sie mich raten. Sie sind nicht der Viscount, denn den habe ich eben getroffen. Sie müssen der zweite oder der dritte Bridgerton sein.«

Benedict betrachtete sie mit kaltem Blick.

»Welcher also?«

»Der zweite«, erwiderte er barsch.

Sie klatschte in die Hände. »Habe ich’s mir doch gedacht! Ach, das muss ich gleich Portia erzählen. Ich sagte noch zu ihr, das ist gewiss der zweite Bridgerton …«

Benedict stöhnte innerlich auf.

»… aber sie meinte, nein, das ist der jüngere, doch ich …«

Benedict hielt es nicht mehr aus. Er musste sofort von hier verschwinden, bevor er dieses Plappermaul anwies, endlich den Mund zu halten. Das hätte sonst einen Skandal gegeben. »Wenn Sie mich kurz entschuldigen würden«, bat er höflich. »Ich habe da jemanden entdeckt, den ich dringend sprechen möchte.«

Das war eine Lüge, aber er machte sich nichts daraus. Knapp nickte er der alternden Schäferin zu und strebte daraufhin zu der Seitentür des Ballsaals. Er wollte der Menge entfliehen und sich ins Arbeitszimmer seines Bruders schleichen, wo er vielleicht bei einem Glas feinen Cognac ein wenig Ruhe finden würde.

»Benedict!«

Verflixt. Beinahe wäre er entkommen. Er blickte auf und sah seine Mutter in seine Richtung eilen. Sie trug ein elisabethanisches Kostüm. Vermutlich stellte sie irgendeine Figur aus einem Shakespeare-Stück dar, aber er hatte keine Ahnung, welche.

»Was kann ich für dich tun, Mutter?«, erkundigte er sich. »Und sag nur nicht, ich solle mit Hermione Smythe-Smith tanzen. Letztes Mal hat mich das fast drei Zehen gekostet.«

»Darum wollte ich dich auch nicht bitten«, entgegnete Violet. »Ich möchte dich fragen, ob du mit Prudence Featherington tanzen würdest.«

»Hab Erbarmen, Mutter«, sagte er und stöhnte. »Die ist noch schlimmer.«

»Ich bitte dich ja nicht, das arme Kind zu heiraten«, meinte sie. »Du sollst nur mit ihr tanzen.«

Benedict verkniff sich ein Ächzen. Prudence Featherington war im Grunde ein netter Mensch, hatte aber so viel Verstand wie ein Spatz und ein so schrilles Lachen, dass sie Männer mit zugehaltenen Ohren in die Flucht schlug. »Ich mache dir einen Vorschlag«, säuselte er. »Ich tanze mit Penelope Featherington, wenn du mir Prudence vom Leib hältst.«

»Das ist mir recht«, erwiderte seine Mutter mit zufriedenem Nicken. Benedict beschlich der Verdacht, dass sie ihn von Anfang an dazu hatte bringen wollen, mit Penelope zu tanzen.

»Sie steht dort drüben am Tisch mit der Limonade«, sagte Violet, »verkleidet als Kobold, die Ärmste. Die Farbe steht ihr gut, aber wenn sie wieder zur Schneiderin geht, sollte sich jemand ihre Mutter vornehmen. Ein weniger schmeichelhaftes Kostüm kann ich mir kaum vorstellen.«

»Dann hast du die Meerjungfrau noch nicht gesehen«, murmelte Benedict.

Sie gab ihm einen leichten Klaps auf den Arm. »Ich wünsche nicht, dass du meine Gäste verspottest.«

»Aber sie fordern es geradezu heraus.«

Sie warf ihm einen warnenden Blick zu und sagte: »Ich suche jetzt deine Schwester.«

»Welche denn?«

»Eine von den unverheirateten«, antwortete Violet schnippisch. »Viscount Guelph mag sich ja sehr für diese kleine Schottin interessieren, doch sie sind noch nicht verlobt.«

Benedict wünschte Guelph insgeheim viel Glück. Der arme Kerl würde es brauchen.

»Und danke, dass du mit Penelope tanzt«, verkündete Violet streng.

Er lächelte resigniert. Sie wussten beide, dass ihre Worte eine mahnende Erinnerung waren und kein Dank.

Mit mürrisch verschränkten Armen wartete er ab, bis seine Mutter fort war. Dann holte er tief Atem und machte sich auf den Weg zu dem Tisch mit der Limonade. Er betete seine Mutter an, doch gelegentlich neigte sie zur Aufdringlichkeit, wenn es um das gesellschaftliche Leben ihrer Kinder ging.

Und wenn irgendetwas sie noch mehr störte als die Tatsache, dass Benedict nicht verheiratet war, dann war das der Anblick einer trübseligen jungen Dame, die niemand zum Tanzen aufgefordert hatte. Daher verbrachte Benedict viel Zeit auf der Tanzfläche, manchmal mit Mädchen, die sie gern als seine Braut gesehen hätte, doch weitaus häufiger mit den sitzen gebliebenen Mauerblümchen.

Ihm waren die Mauerblümchen eigentlich lieber. Die beliebten Mädchen waren oft sehr oberflächlich und, um ehrlich zu sein, ein wenig langweilig.

Seine Mutter hatte schon immer ein besonders weiches Herz für Penelope Featherington gehabt. Dies war ihre … Benedict runzelte die Stirn. Ihre dritte Saison? Es musste ihre dritte sein. Und keinerlei Aussichten auf eine Hochzeit.

Ach ja. Er konnte ebenso gut einfach seine Pflicht tun. Penelope war ein recht nettes Mädchen, mit Verstand und Persönlichkeit. Sie würde schon noch einen Mann finden. Das würde natürlich nicht er sein und vermutlich nicht einmal jemand aus seiner Bekanntschaft, aber irgendjemanden würde sie schon finden.

Seufzend strebte Benedict dem Limonadentisch zu. Er konnte diesen Cognac förmlich schmecken, warm und weich in seinem Mund, doch ein Glas Limonade würde ihm für die nächsten Minuten genügen.

»Miss Featherington!«, rief er und unterdrückte ein Schaudern, als alle drei Miss Featheringtons sich umwandten. Mit einem reichlich schwachen Lächeln fügte er hinzu: »Ich meine, Penelope.«

Penelope strahlte ihn an, und Benedict fiel wieder ein, dass er Penelope Featherington sogar recht gernhatte. Gewiss würde sie nicht als so abschreckend gelten, wenn sie nicht stets und ständig von ihren unglückseligen Schwestern umgeben wäre. Diese weckten in jedem Mann den Wunsch, sich nach Australien einzuschiffen.

Er hatte sie schon beinahe erreicht, als ein Raunen durch den Ballsaal ging. Er wusste, dass er einfach seinen Pflichttanz hinter sich bringen sollte, aber gütiger Gott, seine Neugier war stärker, und er drehte sich um.

Da erblickte er die atemberaubendste Frau, die er jemals gesehen hatte.

Er konnte nicht einmal sagen, ob sie schön war. Ihr Haar war von recht durchschnittlichem Dunkelblond, und da sie sich eine Maske umgebunden hatte, sah er kaum die Hälfte ihres Gesichts.

Aber sie hatte etwas an sich, das ihn in ihren Bann schlug. Es war ihr Lächeln, die Form ihrer Augen, die Art, wie sie sich bewegte und sich im Ballsaal umschaute, als hätte sie noch nie etwas so Wunderbares gesehen wie den versammelten ton in den Kostümierungen.

Ihre Schönheit kam von innen.

Sie schimmerte. Nein, mehr noch, sie glühte.

Sie strahlte wie die Sonne, und plötzlich wurde Benedict klar, woran das lag: Die junge Dame wirkte so unglaublich glücklich. Glücklich, dass sie hier war, glücklich, dass sie sie war.

So glücklich, wie Benedict früher einmal gewesen war. Gewiss, er führte ein angenehmes Leben, vielleicht sogar ein großartiges Leben. Er hatte sieben wunderbare Geschwister, eine liebende Mutter und viele Freunde. Doch diese Frau …

Diese Frau kannte wahres Glück.

Und Benedict musste sie unbedingt kennenlernen.

Penelope war vergessen, und er bahnte sich einen Weg durch die Menge, bis er nur noch wenige Schritte von ihr entfernt war. Drei andere Herren waren ihm zuvorgekommen und überschütteten sie bereits mit Schmeicheleien.

Interessiert beobachtete Benedict sie. Sie reagierte überhaupt nicht wie die anderen jungen Damen, die er kannte.

Sie spielte nicht die Kokette. Und sie machte auch nicht den Eindruck, als nehme sie die Komplimente an wie etwas, das ihr selbstverständlich zustand. Sie war auch nicht schüchtern oder albern oder arrogant, zeigte keine dieser Reaktionen, die man von einer Frau erwarten würde.

Sie lächelte nur. Im Allgemeinen wurden Komplimente dankend entgegengenommen, doch er hatte noch nie eine junge Dame gesehen, die darauf mit so reiner, unverfälschter Freude reagierte.

Er trat vor. Diese Freude wollte er selbst erfahren.

»Entschuldigen Sie bitte, Gentlemen, aber die Dame hat diesen Tanz bereits mir versprochen«, log er frech.

Die Ausschnitte für die Augen waren bei ihrer Maske ein wenig groß geraten, und er erkannte, dass sie die Augen aufriss und ihn dann amüsiert anblitzte. Galant bot er ihr den Arm. Würde sie ihn der Lüge überführen?

Doch sie lächelte ihn nur strahlend an. Dieses Lächeln ging ihm unter die Haut, und er spürte, wie es seine Seele berührte. Sie legte ihre Hand in seine, und erst da merkte Benedict, dass er den Atem angehalten hatte.

»Haben Sie die Erlaubnis, Walzer zu tanzen?«, fragte er leise, als sie die Tanzfläche erreichten.

Sie schüttelte den Kopf. »Ich tanze nicht.«

»Sie scherzen.«

»Ich fürchte, nein. Die Wahrheit ist …« Sie beugte sich vor und sagte: »Ich kann es gar nicht.«

Überrascht blickte er sie an. Sie bewegte sich mit natürlicher Anmut, und außerdem, welche wohlerzogene junge Dame konnte in ihrem Alter nicht tanzen? »Dann gibt es nur eine Möglichkeit«, flüsterte er. »Ich bringe es Ihnen bei.«

Ihre Augen wurden groß. Ihr Mund öffnete sich leicht, dann lachte sie.

»Was …«, erkundigte er sich, um einen ernsten Tonfall bemüht, »… ist so komisch?«

Sie lächelte so schalkhaft, wie man es von einem alten Schulfreund erwarten würde, nicht von einer Debütantin auf einem Fest. »Selbst ich weiß, dass man Tanzstunden nicht auf einem Ball gibt.«

»Ich frage mich, was das bedeutet«, flüsterte er. »Selbst Sie?«

Sie antwortete nicht.

»Dann werde ich die Sache in die Hand nehmen müssen«, erklärte er, »und Sie zwingen, zu tun, was ich will.«

»Mich zwingen?«

Aber sie wirkte belustigt, als sie das sagte, also nahm sie es ihm nicht übel, und er erläuterte: »Ich wäre kein wahrer Gentleman, wenn ich diesen traurigen Zustand nicht bald beendete.«

»Trauriger Zustand?«

»Eine wunderschöne junge Dame, die nicht tanzen kann. Das ist äußerst bedauernswert.«

»Falls ich Ihnen gestatte, es mir beizubringen …«

»Wenn Sie mir gestatten, es Ihnen beizubringen.«

»Falls ich Ihnen gestatte, es mir beizubringen, wo sollte dieser Unterricht dann stattfinden?«

Benedict hob den Kopf und ließ seinen Blick durch den Saal schweifen. Er überragte fast alle Gäste. Er war gut einen Meter achtzig groß und somit einer der größten Männer im Saal. »Wir werden uns auf die Terrasse zurückziehen müssen«, antwortete er schließlich.

»Auf die Terrasse?«, wiederholte sie. »Wird es da nicht sehr voll sein? Immerhin ist es eine herrlich warme Nacht.«

Er beugte sich vor. »Nicht auf der privaten Terrasse.«

»Die private Terrasse, meinen Sie?«, fragte sie belustigt. »Und wie, bitte sehr, können Sie von einer privaten Terrasse wissen?«

Benedict guckte sie entgeistert an. War es möglich, dass sie keine Ahnung hatte, wer er war? Er hatte keine so hohe Meinung von sich, dass er glaubte, ganz London müsse ihn kennen. Aber er war eben ein Bridgerton, und wenn jemand einen Bridgerton getroffen hatte, erkannte er mit hoher Wahrscheinlichkeit auch einen anderen Bridgerton auf den ersten Blick. Und da es in London niemanden gab, der nicht schon dem einen oder anderen Bridgerton über den Weg gelaufen war, wurde Benedict praktisch überall erkannt.

»Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, erinnerte ihn seine geheimnisvolle Dame.

»Die private Terrasse?« Benedict hob ihre Hand zum Mund und küsste die feine Seide ihres Handschuhs. »Sagen wir einfach, ich habe da so meine Mittel und Wege.«

Sie wirkte unentschlossen, also zog er sie sacht an den Fingern näher zu sich heran – nur eine Handbreit, aber dennoch kam es ihm so vor, als wäre ihr Mund von seinem nur wenige Zentimeter entfernt. »Kommen Sie«, forderte er sie auf, »tanzen Sie mit mir.«

Sie trat einen Schritt vor, und er wusste, dass sich sein Leben schlagartig verändert hatte.

Er war Sophie gar nicht aufgefallen, als sie den Ballsaal betreten hatte. Doch sie fühlte sich sofort wie verzaubert. Und als er vor ihr aufgetaucht war wie ein Märchenprinz, wusste sie, dass er der Grund war, weshalb sie hier war.

Er war groß, und der unmaskierte Teil seines Gesichts sah sehr gut aus. Die Lippen schienen mit Ironie und häufigem Lächeln vertraut. Er hatte dunkle Haare in einem satten Braun, und der flackernde Kerzenschein verlieh ihnen einen leichten rötlichen Schimmer.

Außerdem schien jedermann zu wissen, wer er war. Sophie bemerkte, dass andere Gäste zur Seite traten, wenn er sich bewegte. Und als er so frech gelogen hatte, um mit ihr zu tanzen, waren die anderen Männer widerspruchslos zurückgetreten.

Er war attraktiv und stark, und für diesen einen Abend gehörte er ihr.

Wenn die Uhr Mitternacht schlug, würde sie in ihr hartes Leben zurückkehren, zum Flicken, Waschen und Putzen, stets bereit, Aramintas Wünsche zu erfüllen. War es denn so falsch von ihr, sich diese eine Nacht voller Seligkeit und Liebe zu wünschen?

Sie fühlte sich wie eine Prinzessin – eine wagemutige Prinzessin –, und als er sie um einen Tanz bat, legte sie die Hand in seine. Und obgleich sie wusste, dass sie nur der Bankert eines Adeligen und die Zofe einer Countess war, ihr Kleid geliehen und die Schuhe praktisch gestohlen, schien dies alles bedeutungslos zu sein, sobald seine Finger sich um ihre schlossen.

Sophie konnte zumindest für einige Stunden so tun, als würde dieser Gentleman ihr gehören. Sie würde sich vorstellen, dass sich von diesem Augenblick an ihr ganzes Leben änderte, und sie würde diesen Gedanken voll auskosten.

Gewiss, es war nur ein Traum, doch es war so schrecklich lange her, dass sie sich Träume erlaubt hatte.

Sie ließ alle Vorsicht außer Acht und ließ sich von ihm aus dem Ballsaal führen. Er ging rasch, selbst inmitten der wogenden Menge, und sie schmunzelte, während sie versuchte, mit ihm Schritt zu halten.

»Warum«, begann er und blieb im Gang vor dem Saal einen Moment stehen, »habe ich immer das Gefühl, dass Sie mich auslachen?«

Sie lächelte erneut. »Ich bin glücklich«, erwiderte sie. »Ich bin einfach glücklich, hier zu sein.«

»Und warum? Ein solcher Ball muss doch für jemanden wie Sie recht alltäglich sein.«

Wenn er sie für eine Dame des ton hielt, die schon Dutzende von Bällen und Festen hinter sich hatte, spielte sie ihre Rolle wohl wirklich perfekt.

Er berührte zart ihren Mundwinkel. »Sie lächeln immerzu«, flüsterte er.

»Oh, das tue ich gern.«

Er legte ihr die Hand sanft um die Taille und zog Sophie an sich. Der Abstand zwischen ihnen blieb im Rahmen des Anstands, doch die plötzliche Nähe raubte ihr auf einmal den Atem.

»Ich sehe Sie gern lächeln«, verkündete er. Seine Stimme klang tief und verführerisch. Sophie wollte glauben, dass er es ernst meinte und sie nicht nur die Eroberung des heutigen Abends für ihn war.

Doch bevor sie etwas erwidern konnte, erklang plötzlich eine vorwurfsvolle Stimme: »Da bist du ja!«

Sophie erschrak zutiefst und hielt die Luft an. Man hatte sie ertappt. Gewiss würde man sie hinausschicken und morgen vielleicht sogar ins Gefängnis werfen, weil sie Aramintas Schuhe gestohlen hatte, und …