Britt-Mari erleichtert ihr Herz - Astrid Lindgren - E-Book

Britt-Mari erleichtert ihr Herz E-Book

Astrid Lindgren

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Beschreibung

Fast jede Woche schreibt Britt-Mari einen Brief an ihre Freundin Kajsa in Stockholm. Und das ist auch nötig - denn sie hat so viel zu erzählen! Zum Beispiel über ihre vier Geschwister, ihre Mama und über das, was sie in der Schule erlebt. Und dann gibt es auch noch Bertil, in den Britt-Mari so schrecklich verliebt ist … "Britt-Mari erleichtert ihr Herz" ist Astrid Lindgrens erstes Buch - noch vor "Pippi Langstrumpf" erschienen!

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Über dieses Buch

… ein Stück echten Jungmädchenlebens. Britt-Mari schreibt sich in zahllosen Briefen alles von der Seele runter, was sich da Tag für Tag so anhäuft. Sie erzählt von ihrem merkwürdigen, aber wunderschönen Elternhaus, von Schulsorgen und ersten Liebesschmerzen, und zwar ganz natürlich und unsentimental. Britt-Mari ist nämlich kein alberner Backfisch, wie er hin und wieder immer noch in Jungmädchenerzählungen herumgeistert. Sie ist so, wie wir alle einmal waren und wie heute unsere heranwachsenden Töchter sind, sehr kritisch, ziemlich empfindlich, hin und wieder unsicher und ein bißchen verschreckt vor dem eigenen Älterwerden. Astrid Lindgren ist eine gute Psychologin, sie versteht etwas von dem, was in einem jungen Mädchen vorgeht, und dadurch ist sie imstande, Antworten auf quälende Fragen zu geben. Ganz abgesehen davon, daß ihr amüsanter Plauderton die Herzen aller Leserinnen im Sturm gewinnt.

Alles fing damit an, dass Mama mir ihre alte Schreibmaschine geschenkt hat. Es ist ein großer plumper Klapperkasten, ein wahres Monstrum, bei dessen bloßem Anblick jeden Fachmann der Schlag treffen würde. So scheußlich sieht das Ding aus. Und wenn ich darauf schreibe, macht es einen Höllenlärm. Mein Bruder Svante ließ mich wissen, was er davon hält. Er fragte mich:

»Britt-Mari, hast du schon mal darüber nachgedacht, was für ein Gefühl es ist, wenn ein Presslufthammer aufhört zu hämmern?«

»Nein, wieso, was soll denn die Frage?«

»Na, weil es etwa zehnmal so wohltuend ist, wenn du aufhörst auf diesem Ungetüm herumzuhacken«, antwortete er mit einem verächtlichen Blick auf meine Maschine.

Natürlich ist er nur neidisch. Er hätte sie nämlich wahnsinnig gern selber. Nicht etwa, um darauf zu schreiben, sondern um sie auseinander zu bröseln und dann wieder zusammenzusetzen und danach zu zählen, wie viele Schrauben übrig geblieben sind. Aber Mama hat entschieden, dass Maschineschreiben für mich nützlich sein könnte. Wie auch immer, jedenfalls hab ich sie gekriegt. Und ich freue mich sehr darüber.

Aber es ist schon komisch mit Besitztümern. Alles stellt Ansprüche. Hat man eine Kuh, muss man sie melken. Hat man ein Klavier, muss man drauf spielen, und hat man eine Schreibmaschine, muss man drauf schreiben. Klar, dass ich die ersten Tage wie eine Wilde drauflostippte. Aber nichts Vernünftiges, nur dummes Zeug. Bis mir allmählich aufging, was für eine irre Verschwendung von Papier das ist, wenn auf einem ganzen Bogen nichts weiter steht als:

Britt-Mari Hagström

Villa Ekeliden, Småstad

Britt-Mari Hagström; geb. 15. Juli

15. Juli 15. Juli 15. Juli

und dann die Namen aller meiner Geschwister:

Majken Hagström, Svante Hagström,

Jerker Hagström, Monika Hagström

und dann wieder mein eigener Name:

Britt-Mari Hagström Britt-Mari Hagström

In einem unbewachten Augenblick hatte Svante darunter getippt:

Was soll das ewige Gezeter über Britt-Mari Hagström! Schreib zur Abwechslung doch mal Amanda Finkvist.

Eigentlich hatte er ja Recht. Aber das wollte ich natürlich nicht zugeben und tippte:

ACHTUNG! Auf MEINER Schreibmaschine schreibe ich, was ich will.

Als ich mich später wieder an die Maschine setzte, stand da:

Reek dich nicht auf!

(Mein lieber Bruder ist miserabel in Rechtschreibung.)

Also nahm ich mich zusammen und »reekte« mich nicht auf. Am nächsten Tag spannte ich einen neuen Bogen ein und begann ein Gedicht zu schreiben – ein nach meiner Meinung wunderschönes Gedicht. Leider kam ich nicht über die ersten beiden Zeilen hinaus und die lauteten:

Ich wandle unter Sternen

versunken in tiefe Gedanken.

Dann musste ich in die Schule. Als ich wieder nach Haus kam, hatte Svante mein poetisches Werk vollendet. Und jetzt stand da:

Ich wandle unter Sternen

versunken in tiefe Gedanken

da werden mir die Beine müde

und ich kann nur noch wanken

Außerdem hatte er darunter noch eine Ermahnung getippt:

Denke nicht so viel, sonst drehst du durch!

Mir wurde klar, dass die Maschine für dieses dumme Geplänkel mit Svante zu schade ist. Also machte ich mich daran, richtig tippen zu lernen. Und ich übte und übte, dass mein alter Kasten dröhnte und stöhnte. Und bald konnte ich es – nach allen Regeln der Kunst. Aber wozu? Meine Hausaufsätze durfte ich nicht getippt abliefern. Tagebuch ließ sich nicht auf der Maschine schreiben. Überhaupt habe ich für ein Tagebuch nicht viel übrig. Es bringt doch nichts, sich leerem Papier anzuvertrauen. Dazu braucht man doch einen Menschen, jemanden, der einem zuhört und antwortet.

Plötzlich wusste ich es: Ich musste mir eine Brieffreundin suchen, ein Mädchen, das ich zwar nicht kannte, dem ich aber mein Herz ausschütten konnte. Und das mir auch antworten würde. Fast alle in meiner Klasse hatten Brieffreundinnen, sogar in fremden Ländern. Ich habe mir immer vorgestellt, wie diese Briefe hin- und herflitzen und Fäden knüpfen zwischen den Menschen und sie einander näher bringen.

Eines Tages rief ein Mädchen in meiner Klasse:

»Wer will eine Brieffreundin haben? Sie heißt Kajsa Hultin und wohnt in Stockholm.«

Ich sprang auf wie von der Tarantel gestochen und schrie:

»Ich! Ich schreibe an sie!«

Und sobald die Schule aus war, rannte ich nach Hause, setzte mich an die Maschine und schrieb:

Småstad, 1. September

Liebe unbekannte Brieffreundin!

 

Falls du das sein möchstest, was ich natürlich hoffe! In meiner Klasse haben fast alle Mädchen eine Brieffreundin, oder sogar mehrere, nur ich nicht. Und das ist ja nicht normal. Darum wirst du mich verstehen, dass ich wie ein Tiger aus dem Dschungel vorstürzte, als Mariann Uddén heute verkündete, dass du eine Brieffreundin suchst. Jemand hatte ihr deinen Namen mit Adresse genannt.

Und da bin ich nun! Aber ich muss mich wohl erst mal vorstellen: Also, ich heiße Britt-Mari Hagström, bin 15 Jahre alt und gehe in das hiesige Lyzeum.

Wie ich aussehe? (Mein Bruder Svante behauptet, das ist immer das Erste, wonach Mädchen fragen.) Also, ich bin sündhaft schön, habe rabenschwarze Haare, dunkle strahlende Augen und eine Pfirsichhaut – was willst du mehr?

Glaubst du das etwa? Dann muss ich dir leider gestehen, dass ich nur davon träume, so auszusehen. Die Wirklichkeit ist nicht ganz so umwerfend.

Offen gestanden sehe ich aus wie die meisten andern Mädchen auch, ich habe die üblichen blauen Augen, die üblichen blonden Haare und auch die übliche Stupsnase. An mir ist überhaupt nichts Besonderes. Im Grunde bin ich ja froh darüber, denn stell dir vor, ich hätte eine besonders große Warze auf der Nase und ganz besonders krumme O-Beine, na, danke bestens!

Und jetzt zu meiner Familie. Doch nein, davon erzähle ich dir im nächsten Brief. Es ist ja dumm, schon jetzt alles auszuplappern, bevor ich weiß, ob du mir überhaupt antworten wirst.

Ich warte also! Sehr ungeduldig! Ich selber habe einen Schreibtick und werde dich wahrscheinlich mit meinen Ergüssen bombardieren.

Aber ehrlich, ich fände es toll, dich als Brieffreundin zu haben, schon allein deshalb, weil du in Stockholm wohnst. Dann wird mir aus deinen Briefen die Großstadt entgegenbrausen. In unserm kleinen Kaff braust gar nichts, hier plätschert alles nur so dahin. Aber ich schwöre dir, wenn es bei dir braust, wird es bei mir plätschern, Seite auf und Seite ab.

Alles Gute, liebe noch unbekannte Kajsa. Lass bald von dir hören.

Britt-Mari

8. September

Du wolltest also, Kajsa, hurra!

 

Ich freue mich so darüber, dass meine Finger nur so über die Tasten tanzen.

Du hast mir einen so langen und wahnsinnig netten Brief geschrieben. Jetzt weiß ich also schon eine ganze Menge über dich und deine Schwestern und Eltern. Hast du Lust etwas von meiner Familie zu hören? Die ist ziemlich groß und alle sind grundverschieden, darum lässt sie sich nicht im Handumdrehen schildern. Es wird dauern, wenn du es dicke hast, dann schreie!

Also schön der Reihe nach: Das Oberhaupt unsrer Familie ist Papa. Er ist Direktor vom Jungengymnasium hier. Ich liebe ihn. Er ist der wunderbarste Papa der Welt, das steht fest! Seine Haare sind schon silbergrau, aber sein Gesicht ist noch jung und er weiß einfach alles. Er ist sehr ruhig und hat Humor und hockt meistens in seinem Zimmer und liest. Aber ab und zu widmet er sich auch seinen Kindern. Er kann Lammbraten nicht ausstehen, na ja, ich weiß, das ist nicht gerade eine edle Eigenschaft, aber so ist es nun mal. Es gibt noch so allerlei, was er nicht ausstehen kann, zum Beispiel Lügen, Klatsch und Kaffeekränzchen. Außerdem ist er unheimlich zerstreut. Ich kenne keinen Menschen, der so zerstreut ist – höchstens noch Mama.

Bei solchen Eltern ist es eigentlich ein Wunder, dass wir Kinder nicht schon von Geburt an Professoren sind, zumindest im Fach Zerstreutheit, aber erstaunlicherweise scheinen wir so weit ganz normal zu sein.

Auch meine Mama hockt tagaus und tagein in ihrem Zimmer, sie schreibt auf ihrer übrigens neuen Maschine, als ob es ihr unter den Nägeln brennt. Sie übersetzt nämlich Bücher. Hin und wieder fällt ihr ein, dass sie fünf Kinder zur Welt gebracht hat, und dann kommt sie mit ihrem übervollen Mutterherzen, um uns ein bisschen aufs Geratewohl zu erziehen. Aber streng ist sie nie. Das kann sie gar nicht sein, weil sie so vieles komisch und immer etwas zum Lachen findet. Und wenn wir mal in ihr Zimmer laufen und sie bei der Arbeit stören, verliert sie nicht gleich die Nerven. Wahrscheinlich würde sie es nicht mal merken, wenn ein Zug durch ihr Zimmer rasen würde. Neulich reparierten im Badezimmer zwei Klempner etwas und das ging natürlich nicht ohne Lärm ab. Außerdem saugte Alida Staub, meine kleine Schwester brüllte wie am Spieß und mein Bruder Svante spielte auf seinem Schifferklavier.

Da klopfte meine große Schwester Majken bei Mama an und fragte, ob sie bei diesem Heidenkrach denn arbeiten könne.

»Aber ja doch«, antwortete Mama mit entwaffnendem Lächeln. »Der Leierkastenmann stört mich überhaupt nicht.«

Wahrscheinlich glaubst du, dass in einem Haus mit so einer Mutter ein unglaubliches Tohuwabohu herrscht, aber da irrst du dich gewaltig. Bei uns gibt es nämlich eine ordnende Hand und ein wachsames Auge, und diese unschätzbaren Körperteile gehören meiner großen Schwester Majken. Obwohl sie erst neunzehn ist, hat sie alles im Griff und dirigiert die ganze mehr oder weniger widerspenstige Familie, Mama eingeschlossen, mit mütterlicher Nachsicht. Sie ist so ausgeglichen und souverän und tüchtig, dass wir uns in allen praktischen Dingen ihren klugen Anordnungen ohne Aufmucken fügen.

Ist man die älteste Tochter einer so lieben und leicht überkandidelten Mama, die bei jeder Gelegenheit lacht und von früh bis spät wie besessen tippt, dann bleibt einem wohl gar nichts anderes übrig, als so zu werden wie Majken. Als sie noch klein war, musste Mama ja wohl oder übel Hausfrau spielen, und mir ist zu Ohren gekommen, dass sie das immer gut gelaunt, aber mit niederschmetterndem Ergebnis getan hat. Über angebrannte Schnitzel und klitschigen Kuchen soll sie nur gelacht haben. Ich habe auch erfahren, dass Majken schon mit zehn Jahren Mama zur Hand gegangen ist und sie an dies und das erinnert hat. So ergab es sich nach Majkens Schulabschluss wie von allein, dass sie zu Haus das Heft in die Hand nahm und Mama sich höchst vergnügt und zufrieden ans Übersetzen machte.

Aber, Kajsa, glaub bloß nicht, Majken wäre so ein spießiger, hausbackener Typ, nein, sie sieht ganz entzückend aus, ist wirklich bildhübsch. Darum leben wir auch in ständiger Angst, dass eins von all den Mannsbildern, die hinter ihr her sind, uns unser Juwel wegschnappt und damit verschwindet. Zurzeit ist es ein Referendar am Landgericht, der dauernd um sie herumscharwenzelt.

»Jetzt hat Majken schon wieder einen neuen Verehrer«, berichtet Svante und schüttelt bekümmert den Kopf. »Wann wirst du denn dein liebliches Jawort hauchen und endlich die Hochzeitsglocken läuten lassen?«, fragt er beim Frühstück.

Aber Majken schweigt in majestätischer Ruhe.

»Nur über meine Leiche schleppt der sie zum Altar«, rufe ich empört. »Wenn sie durchaus heiraten will, dann doch wohl mindestens einen Admiral oder einen Grafen und nicht so einen kleinen spillrigen Referendar!«

Da macht Majken endlich ihre Schnute auf und sagt mit milder Ironie:

»Ihr habt Sorgen! Ich werde euch mal was sagen: Ich heirate überhaupt nie! Ich bleibe bis an mein Lebensende bei euch, stopfe eure Strümpfe, putze euch die Nasen und erinnere euch an eure Schularbeiten. Was Schöneres kann ich mir gar nicht vorstellen!«

Natürlich sind wir jetzt alle ganz zerknirscht und beteuern, dass wir ihr nichts heißer wünschen als einen Ehemann, auch wenn das für uns den Zusammenbruch der Familie und angebrannte Braten bis in alle Ewigkeit bedeuten würde.

»Also«, sagt Majken da, »wenn euer Seelenfrieden davon abhängt, dann verrate ich euch, dass dieser Referendar mich nicht die Bohne interessiert.«

Ich glaube ihr aufs Wort. Für diesmal gab es also Entwarnung.

 

Nervt es dich, noch mehr von meiner Familie zu hören? Ich riskiere es! Also Nummer zwei in der Geschwisterschar ist die Unterzeichnende. Aber was kann man schon über sich selber sagen? Zum Beispiel: Ich mag Bücher und finde Mathe grässlich, ich tanze wahnsinnig gern und gehe abends höchst ungern ins Bett, ich liebe meine Familie über alles (auch wenn sie mir manchmal auf den Geist geht), ich finde Dauerwellen scheußlich und lass mir nie welche machen, ich habe sehr viel für die Natur übrig, aber nur, wenn ich nach Lust und Laune da herumstreifen kann, und nicht, wenn ich in unserem Garten Unkraut jäten muss. Dann liebe ich noch den Frühling und warme Sommer und klare Herbsttage und Winter mit viel Schnee fürs Skilaufen. Was mir sonst am meisten Spaß macht, ist das Schreiben. Ja, ehrlich, wie Briefe an dich oder irgendwas, das ich mir ausdenke. Und das ist für Svante Grund genug, mich dauernd damit aufzuziehen.

»Hört mal«, sagte er, »ich kann oft nicht einschlafen, weil ich darüber nachdenken muss, was wir mit all dem vielen Geld anfangen werden, wenn Britt-Mari den Nobelpreis für Literatur kriegt. Hoffentlich spendiert sie mir dann wenigstens einen Eishockeyschläger!«

»Damit würde ich dir gern dein Lästermaul stopfen«, antworte ich ihm.

Wahrscheinlich hast du dir längst ein Bild von Svante gemacht. Darum nur noch so viel: Er ist vierzehn und bestimmt der Faulste im ganzen Gymnasium. Aber zäh und ausdauernd, wenn es um Fußball oder seine Ziehharmonika geht und geradezu unermüdlich beim Lesen von Indianerheften oder im Hänseln seiner Schwestern oder im Vergessen von Zähneputzen.

Aber er hat Witz und Humor. Und eigentlich steht er mir am nächsten, wohl deshalb, weil wir beinahe gleichaltrig sind. Trotzdem habe ich ihn oft verprügelt, aber das ist schon ziemlich lange her, denn er ist längst stärker als ich, trotzdem habe ich immer noch nicht ganz aufgegeben. Aber gegen andere halten wir immer zusammen, und es gab Zeiten, da zitterten alle Indianer der Stadt vor uns.