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Beschreibung

Ausgewählte Leseproben aus dem Goldmann Verlag und Wunderraum Verlag

In Sofia Lundbergs Bestseller »Ein halbes Herz« muss die in New York erfolgreiche Fotografin Elin zurück an den Ort Kindheit, um sich von einer Schuld zu befreien. In Cornelia Achenbachs Debüt »Darüber reden wir später« entdeckt Margret, dass im plötzlichen Stillstand des gewohnten Lebens eine überraschende Kraft liegen kann. »Die Geschichtensammlerin« von Jessica Kasper Kramer handelt von Ileana, die im kommunistischen Rumänien die Geschichten derer rettet, die man zum Schweigen bringen will. Und in »Das Leben neu backen« erzählt die Strafverteidigerin Olivia Potts, wie sie nach dem Tod ihrer Mutter als Patissière eine neue Berufung gefunden hat.

Dieses E-Book enthält Leseproben zu:

- Sofia Lundberg: »Ein halbes Herz«

- Cornelia Achenbach: »Darüber reden wir später«

- Jessica Kasper Kramer: »Die Geschichtensammlerin«

- Olivia Potts: »Das Leben neu backen«

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Seitenzahl: 132

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Goldmann Verlag(Hrsg.)

Bücher für helle Tage und lange Nächte

Ausgewählte Leseproben aus den Verlagen Goldmann und Wunderraum

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalt keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2020 Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: © Uno Werbeagentur, München

ISBN 978-3-641-27003-2V001

Besuchen Sie uns auch aufwww.goldmann-verlag.de und aufwww.wunderraum-verlag.de

In Sofia Lundbergs Bestseller »Ein halbes Herz« muss die in New York erfolgreiche Fotografin Elin zurück an den Ort Kindheit, um sich von einer Schuld zu befreien. In Cornelia Achenbachs Debüt »Darüber reden wir später« entdeckt Margret, dass im plötzlichen Stillstand des gewohnten Lebens eine überraschende Kraft liegen kann. »Die Geschichtensammlerin« von Jessica Kasper Kramer handelt von Ileana, die im kommunistischen Rumänien die Geschichten derer rettet, die man zum Schweigen bringen will. Und in »Das Leben neu backen« erzählt die Strafverteidigerin Olivia Potts, wie sie nach dem Tod ihrer Mutter als Patissière eine neue Berufung gefunden hat.

Dieses E-Book enthält Leseproben zu:

Sofia Lundberg:

»Ein halbes Herz«

Cornelia Achenbach:

»Darüber reden wir später«

Jessica Kasper Kramer:

»Die Geschichtensammlerin«

Olivia Potts:

»Das Leben neu backen«

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LeseprobeSofia LundbergEin halbes HerzRomanGoldmann VerlagHier geht’s zum Shop

Buch

Die gebürtige Schwedin Elin Boals scheint ein perfektes Leben zu führen. Sie ist erfolgreiche Fotografin in New York, glücklich verheiratet und hat eine Tochter, Alice, die sie über alles liebt. Ihre Arbeit, das Stehen hinter der Kamera, die emotionale Distanz zum Objekt und somit zu ihrer Außenwelt geben ihr Halt. Und diesen hat sie dringend nötig, denn ihr Leben, wie sie es kennt, droht auseinanderzubrechen. Sie arbeitet zu viel, ist emotional abwesend, Mann und Tochter sind dabei, sich von ihr abzuwenden, und Elin merkt es gar nicht. Eines Tages jedoch erhält sie einen Brief von Fredrik, ihrem besten Freund und Rettungsanker während ihrer von Armut gezeichneten Kindheit auf der schwedischen Insel Gotland. Und mit diesem unerwarteten Lebenszeichen kehren die Erinnerungen zurück – obwohl Elin alles dafür getan hat, ihre Vergangenheit zu vergessen. Denn sie hat ein dunkles Geheimnis, eines, das sie damals dazu trieb, die Insel zu verlassen und nie wieder zurückzublicken. Doch nun spürt sie, dass sie sich mit ihrer Geschichte auseinandersetzen muss, wenn sie jemals wirklich glücklich werden will …

Autorin

Sofia Lundberg wurde 1974 geboren und arbeitete als Journalistin in Stockholm, bevor sie sich ganz dem Schreiben von Büchern widmete. Mit ihrem Debütroman »Das rote Adressbuch« eroberte sie die schwedische Literatur- und Bloggerszene im Sturm, woraufhin die Rechte in über 30 Länder verkauft wurden. »Ein halbes Herz«, ihr zweiter Roman, war in Schweden ein Nr.-1-Bestseller.

Sofia Lundberg im Goldmann Verlag:

Das rote Adressbuch. Roman

Ein halbes Herz. Roman

Alle auch als E-Book erhältlich.

Sofia Lundberg

Ein halbes Herz

Roman

Aus dem Schwedischen von Kerstin Schöps

Die schwedische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel »Ett frågetecken är ett halvt hjärta« bei Forum, Stockholm.

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Deutsche Erstveröffentlichung März 2020

Copyright © der Originalausgabe 2018 by Sofia Lundberg

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2020

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Published by agreement with Salomonsson Agency

Umschlaggestaltung: buxdesign GbR

Umschlagmotiv: Mark Owen /Trevillion

AG · Herstellung: Han

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-22564-3V005

www.goldmann-verlag.de

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»We are all in the gutter,

but some of us are looking at the stars.«

Oscar Wilde

HEUTE NEW YORK, 2017

Dämmerung. Die Sonne geht hinter den Hochhäusern unter, die man durch die hohen Loftfenster sehen kann. Ein paar hartnäckige Sonnenstrahlen stehlen sich zwischen den Fassaden hindurch, wie goldene Speerspitzen zerteilen sie die herannahende Dunkelheit. Ein weiterer Abend. Seit Wochen hat Elin nicht mehr zuhause Abendbrot gegessen. Und auch heute wird sie es nicht tun. Sie sieht aus dem Fenster, sieht ihre üppig bewachsene Dachterrasse nur ein paar Straßenzüge entfernt, den roten Sonnenschirm und den Grill, der bereits angezündet wurde. Eine schmale Rauchsäule steigt in den Himmel auf.

Sie sieht die undeutlichen Umrisse einer Person, das wird Sam sein, oder Alice. Oder ein Freund, der zu Besuch gekommen ist. Sie kann nur eine Gestalt erkennen, die sich zwischen den Sträuchern bewegt.

Sie warten zuhause bestimmt auf sie. Vergeblich.

Hinter ihr im Studio ist auch Bewegung, die Leute laufen kreuz und quer. An einem Stahlgestell hängt eine Leinwand aus graublauem Fond, die weich zwischen Wand und Boden abschließt. Davor steht mittig eine mit Goldbrokat bezogene Chaiselongue. Auf der liegt eine schöne Frau mit mehreren Perlenketten um den Hals. Sie trägt einen fließenden weißen Rock aus Tüll, der sich auf den Boden ergießt. Ihr Oberkörper ist mit glänzendem Öl eingerieben, die Perlenketten bedecken ihre nackte Brust. Die Lippen sind dunkelrot. Ihre Gesichtszüge und ihre Haut sind bis zur Perfektion von mehreren Schichten Make-up geglättet.

Zwei Assistenten sind mit dem Licht beschäftigt, sie verschieben die großen Strahler mal nach oben, mal nach unten, drücken den Auslöser der Kamera, überprüfen den Belichtungsmesser und fangen wieder von vorn an. Hinter den Assistenten steht ein Team aus Stylisten und Make-up-Artisten. Konzentriert mustern sie jedes kleine Detail der Aufnahme, die im Begriff ist zu entstehen. Sie tragen schwarze Kleidung. Alle tragen schwarze Kleidung. Alle außer Elin. Sie trägt ein rotes Kleid. Rot wie Blut, rot wie das Leben. Rot wie die Abendsonne draußen vor den Fenstern.

Elin wird aus ihren Gedanken gerissen, als die schöne Frau ihren Unmut laut zum Ausdruck bringt.

»Warum dauert das denn so lange? Ich kann die Pose bald nicht mehr halten. Hallo! Können wir jetzt bitte anfangen?«

Die Frau auf der Chaiselongue seufzt und rückt ihren Körper in eine bequemere Stellung, die Ketten verrutschen und entblößen eine ihrer Brustwarzen, die ganz blau und steif sind. Zwei der Stylisten sind sofort zur Stelle und legen alle Perlen geduldig und sorgfältig wieder an ihren Platz, damit sie ihre bedeckende Rolle einnehmen können. Teile der Ketten befestigen sie mit durchsichtigem, doppelseitigem Klebeband auf der Haut. Die Frau verdreht die Augen, ungefähr den einzigen Körperteil, den sie frei bewegen kann.

Ein Mann im Anzug kommt auf Elin zu, er ist der Agent der Frau. Er beugt sich zu ihr herunter und flüstert ihr mit einem freundlichen Lächeln etwas ins Ohr.

»Am besten wäre es, wenn es bald weitergeht. Sie bekommt langsam schlechte Laune, und dann werden die Aufnahmen nichts.«

Elin schüttelt den Kopf und wendet sich wieder der Fassade vor den Loftfenstern zu. »Wir können ruhig aufhören, wenn sie will. Da sind bestimmt schon ein paar Aufnahmen dabei, die wir nehmen können. Es ist ja dieses Mal nur eine Bildstrecke, keine Titelseite.«

Der Agent hebt die Hände und starrt sie entgeistert an. »Kommt nicht infrage. Wir machen auch diese Serie noch.«

Elin reißt sich von dem Anblick ihrer Dachterrasse los und kehrt zurück ans Stativ und hinter die Kamera. Ihr Handy brummt in der Jackentasche, sie weiß genau, von wem die Nachricht ist, aber antwortet nicht. Sie weiß, dass die SMS nur ihr schlechtes Gewissen verstärken wird. Sie weiß, dass die zuhause enttäuscht sind.

Kaum hat Elin ihren Platz hinter der Kamera eingenommen, gehen in den Augen des Models tausend kleine Sterne auf, sie streckt ihren Rücken und schürzt die Lippen. Ihr Haar fällt nach hinten, als sie den Kopf neigt, es flattert sanft im Windzug des Ventilators. Sie ist ein Star, und das ist Elin auch. Nur sie beide existieren in diesem Universum, sie verschlingen einander förmlich. Elin fotografiert, gibt Anweisungen, die Frau lacht, flirtet mit ihr. Das Team im Hintergrund applaudiert. Der Rausch der Kreativität pulsiert durch Elins Adern.

Stunden später erst zwingt sich Elin, das Studio und die vielen Fotos auf dem Rechner, die eigentlich noch bearbeitet werden müssten, zu verlassen. Ihr Handy ist voller verpasster Anrufe und genervter SMS. Von Sam und von Alice. Wann kommst du? Wo bist du, Mama? Sie scrollt sich durch die Nachrichten, liest nicht jedes Wort, hat keine Kraft dazu. Sie lässt die Taxis an sich vorbeifahren. Die Straßen von New York sind voller Menschen. Der Asphalt ist noch ganz warm, es ist ein heißer Tag gewesen. Sie schlendert nach Hause, kommt an schönen jungen Menschen vorbei, die laut lachen, angetrunken sind. Und an anderen, verdreckten, ausgestoßenen, die am Straßenrand sitzen. Sie ist schon lange nicht mehr zu Fuß nach Hause gegangen, obwohl es so nah ist. Überhaupt ist es lange her, dass sie sich außerhalb der vier Wände ihrer Wohnung, ihres Arbeitsplatzes oder ihres Fitnessstudios bewegt hat. Die Steinplatten unter ihren Absätzen sind uneben. Sie registriert jedes Detail auf ihrem Weg. Ihre Straße, die Orchard Street, ist leer, keine Menschen und keine Autos. Sie ist heruntergekommen und baufällig, so wie die Straßen in der Lower East Side eben aussehen. Sie liebt den Kontrast, zwischen außen und innen, zwischen Patina und Luxus. Sie öffnet die Haustür, geht unbemerkt an dem schlafenden Portier vorbei und drückt auf den Fahrstuhlknopf. Aber als die Türen aufgehen, zögert sie und dreht sich um. Sie will wieder raus, in die pulsierende Nacht dort draußen. Die oben schlafen bestimmt schon längst.

Sie leert ihr Postfach und nimmt den Stapel Briefe mit in das kleine Restaurant ein paar Häuser weiter. Ihr Stammlokal, in das sie oft geht, wenn sie lange arbeitet. Sie bestellt ein Glas Bordeaux, 1982er.

Der Kellner schüttelt den Kopf. »Den 1982er haben wir nicht offen, wir haben nur ein paar Flaschen davon. Das ist ganz feiner Scheiß, 1982 war ein gutes Jahr.«

Elin schließt kurz die Augen. »Das liegt im Auge des Betrachters. Aber ich zahle gerne die ganze Flasche. Ich will den Wein haben, das bin ich mir wert. Es muss der 1982er sein.«

»Alright, Sie sind es sich wert.« Der Kellner verdreht die Augen. »Allerdings schließen wir bald.«

Elin nickt. »Keine Sorge, ich trinke schnell.«

Sie nimmt den ersten Brief in die Hand, fingert daran herum, legt ihn ungeöffnet wieder beiseite, greift nach einem Umschlag, der ihre Aufmerksamkeit erregt hat. Der Poststempel ist schwedisch, aus Visby auf Gotland. Die Briefmarke ist auch schwedisch. Ihr Name ist sorgfältig mit blauer Tinte und in Großbuchstaben geschrieben worden. Sie öffnet den Brief und faltet das Papier auf. Es ist eine Art Sternenkarte, auf der ihr Name steht, groß und verschnörkelt. Sie hält die Luft an und liest die schwedischen Worte, die darüberstehen.

Heute wurde ein Stern auf den Namen Elin getauft.

Sie liest den Satz in der nicht mehr vertrauten Sprache immer und immer wieder. Eine lange Reihe aus Koordinaten verrät, wo sich der Stern am Himmelszelt befindet.

Jemand hat einen Stern für sie gekauft. Einen ganz und gar eigenen Stern, der ihren Namen trägt. Das muss von … Ist das überhaupt möglich … Hat er ihr den Stern geschenkt? Sie bremst sich, will seinen Namen nicht aussprechen, nicht einmal in Gedanken. Aber sein Gesicht hat sie sofort vor Augen, und auch sein Lächeln.

Das Herz pocht laut in ihrer Brust. Sie schiebt die Sternenkarte von sich weg. Starrt darauf. Dann steht sie auf, läuft auf die Straße und sieht hoch in den Himmel, aber dort erstreckt sich nur eine dunkelblaue, konturlose Masse über den Dächern. In New York wird es nie richtig dunkel, zumindest nicht so dunkel, dass man das wilde Durcheinander der Sterne sehen kann. Die höchsten Gebäude in Manhattan berühren fast den Himmel, aber unten auf der Straße ist er unendlich weit weg.

Sie geht zurück ins Restaurant. Der Kellner steht an ihrem Tisch und wartet, die Flasche in der Hand. Er gießt ihr einen Schluck ein, sie kippt ihn hinunter, ohne ihn zu schmecken. Ungeduldig gibt sie dem Kellner zu verstehen, dass er das Glas auffüllen soll, dann nimmt sie noch zwei große Schlucke. Sie greift nach der Sternenkarte und dreht das glänzende Papier um. Ganz unten in der Ecke hat jemand etwas mit einem goldenen Stift geschrieben:

Ich habe dein Foto in der Zeitung gesehen. Du hast dich nicht verändert. Long time, no see. Lass von dir hören!

F

Darunter steht eine Adresse. Elin spürt, wie sich ihr Magen zusammenzieht, als sie das liest. Sie kann den Blick nicht abwenden, ihre Augen füllen sich mit Tränen. Sie streicht mit dem Zeigefinger über die Konturen des Buchstabens F und flüstert seinen Namen, Fredrik.

Ihr Mund ist ganz trocken. Sie nimmt das Glas und leert es in einem Zug. Dann ruft sie laut nach dem Kellner.

»Hallo. Kann ich bitte ein großes Glas Milch bekommen. Ich bin auf einmal schrecklich durstig.«

DAMALS HEIVIDE, GOTLAND, 1979

»Für jeden zweihundert Milliliter. Und hört jetzt auf zu streiten.«

Kleine Hände griffen nach dem rotweißen Tetra Pak, den Elin auf den Tisch gestellt hatte. Zwei Paar Kinderhände mit schwarzen Fingernägeln. Elin versuchte, ihnen die Packung wieder zu entreißen, aber ihre Brüder stießen sie mit spitzen Ellenbogen in die Seite. Und redeten beide gleichzeitig aufeinander ein.

»Ich will mir zuerst nehmen.«

»Du nimmst dir immer zu viel.«

»Gib das her!«

Eine strenge Stimme übertönte das Geschrei. »Hört auf zu streiten, ich halte das nicht mehr aus. Der Älteste darf immer zuerst. Ihr kennt die Regeln. Für jeden zweihundert Milliliter. Und ihr gehorcht Elin!« Marianne stand mit dem Rücken zu ihnen an der Spüle.

»Ihr habt gehört, was Mama gesagt hat!« Elin schubste Erik und Edvin weg. Die beiden fielen von der Küchenbank, ohne aber die Milchpackung loszulassen, an der sie sich festgeklammert hatten. Es wurde mucksmäuschenstill, als sie in ihrem Fall noch einen braunen Teller aus Porzellan mit sich rissen. Als würde die Luft plötzlich ganz zäh und sämig werden und die Zeit stillstehen. Das Klirren und Platschen, das folgte, als alles auf dem Boden landete, wurde von lautem Gebrüll begleitet.

Dann plötzlich wieder Stille. Und weit aufgerissene ­Augen.

Auf der Plastiktischdecke breitete sich eine weiße Milchpfütze aus, es tropfte vom Tisch auf den Boden, und weiße Rinnsale liefen an den kräftigen Tischbeinen hinunter. Dann wieder Gebrüll. Die Wut zerschnitt die Luft.

»Ihr verdammten Gören. Zu nichts seid ihr nutze. Raus! Raus aus meiner Küche!«

Elin und ihre Brüder gehorchten ohne Widerworte, sie stürmten aus dem Haus und rannten über den Hof, verfolgt von den Flüchen, die jede Ecke der Küche erfüllten. Sie kauerten sich hinter einem Haufen Gerümpel an die Wand des Kuhstalls, dicht aneinandergedrängt.

»Elin, bekommen wir jetzt kein Essen mehr?« Der jüngere der Brüder flüsterte mit kaum hörbarer Stimme.

»Sie beruhigt sich schon wieder, Edvin, das weißt du doch. Mach dir keine Sorgen. Es war meine Schuld, dass der Teller kaputtgegangen ist.«

Sie strich ihm zärtlich über den Kopf, nahm ihn in den Arm und wiegte ihn hin und her.

Nach einer Weile stand sie auf und ging mit zögernden Schritten zurück zum Haus. Sie sah die gebückte Gestalt ihrer Mutter, sah, wie sie die klebrigen Scherben vom Boden sammelte, zwischen Zeigefinger und Daumen. In ihrer Hand wuchs ein kleiner Turm aus Scherben.

Die Tür zur Küche war angelehnt, die Scharniere quietschten im Wind. Von der Dachrinne tropfte der Regen. Plopp, plopp. Elin lauschte dem Geräusch. Im Haus war es ganz still. Marianne blieb mit hängendem Kopf in der Hocke sitzen, auch nachdem alle Scherben aufgesammelt waren. Blanka kam angerannt und schnüffelte auf dem Boden, leckte die verschüttete Milch auf. Marianne kümmerte das nicht.