Bunte Schnurrbart-Tage - Chad Morris - E-Book

Bunte Schnurrbart-Tage E-Book

Chad Morris

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Beschreibung

Maddie hat einen besonderen Humor und liebt es, die Kinder in ihrer Klasse mit bunten Aufklebe-Schnurrbärten zum Lachen zu bringen. Ihr unbeschwertes Leben wird allerdings auf den Kopf gestellt, als sich herausstellt, dass sie einen Gehirntumor hat. Doch dank ihrer positiven Einstellung und ihres Muts gelingt es Maddie, alle Herausforderungen, die ihre Krankheit mit sich bringt, zu meistern und zu einer Inspiration für ihre Freunde und ihre Familie zu werden. Eine Geschichte, die doppelt zu Tränen rührt – vor Traurigkeit und vor Lachen

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Seitenzahl: 181

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Shelly Brown / Chad Morris

Bunte Schnurrbarttage

Aus dem Englischen von Meritxell Janina Piel

Die Zitate in diesem Buch stammen aus Shakespeares

Hamlet

Romeo und Julia

Der Widerspenstigen Zähmung

 

Deutsche Erstausgabe

© Deutschsprachige Ausgabe:

Atrium Verlag AG, Imprint WooW Books, Zürich 2022

© Text: Shelly Brown und Chad Morris, 2017

Übersetzung aus dem Englischen von Meritxell Janina Piel

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel

Mustaches for Maddie bei Shadow Mountain in den USA

© Cover: Heather G. Ward

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

ISBN978-3-96177-593-4

 

www.arctis-verlag.com

Folgt uns auf Instagram unter www.instagram.com/arctis_verlag

Rosa Schnurrbart und Ninja-Training

Ganz klar, Schnurrbärte waren einfach toll. Deshalb sammelte ich sie. Mit ihnen wurde alles auf der Welt ein wenig lustiger.

Zumindest hoffte ich das, denn ich hatte einen Plan. Der war zwar gut, aber auch ein bisschen riskant.

Heute Morgen hatte ich Cassie zu Sailor sagen hören, dass sie sich in der Pause über die Theateraufführung unserer Schule unterhalten wolle. Da musste ich natürlich unbedingt dabei sein, schließlich könnte das der Beginn meiner großartigen Karriere als Komikerin, Schauspielerin oder komischer Schauspielerin sein.

Ich atmete tief durch und griff in meine Hosentasche.

Vielleicht würden die anderen Mädchen mich für total verrückt halten, wenn ich meinen Plan in die Tat umsetzte. Oder aber sie könnten so begeistert sein, dass sie mich sofort in all ihre Ideen einweihten.

Ich schaute mir die Auswahl an Schnurrbärten an, die ich mitgebracht hatte. Den grünen? Oder doch lieber den braunen?

Nein, auf keinen Fall!

Rosa?

Perfekt!

Bevor ich es mir anders überlegen konnte, zog ich das dünne Papier vom Klebestreifen auf der Rückseite und heftete das Haarbüschel an meine Oberlippe.

Sailor warf mir durch ihre roten Locken einen Blick zu, während sie mit ein paar anderen aus der Klasse im Flur an mir vorbeiging. Bevor sie eine der großen Türen zum Schulhof öffnete, drehte sie sich noch einmal um, und ich wackelte mit meinen Augenbrauen, um richtig witzig auszusehen.

Ich hielt die Luft an. Na los, Sailor, komm schon!

Sailors Augen weiteten sich, dann brach sie in ein Lachen aus, bei dem ihre Korkenzieherlocken auf und ab hüpften. Vor Erleichterung führte ich einen wilden Freudentanz auf, der mit einem lockeren Ganzkörperschütteln begann und mit einem geschmeidigen Moonwalk endete.

Okay, hier habe ich ein wenig geschwindelt. Ich habe nicht wirklich getanzt, obwohl ich am liebsten gleich losgelegt hätte. Doch weil mittlerweile fast alle im Flur zu mir herüberschauten, traute ich mich nicht. Ein Moonwalk war auf dem quietschenden Boden gar nicht so einfach, und ich wollte mich nicht blamieren.

Auf einmal blickte auch Hannah lächelnd zu mir herüber. Zwar wäre es mir lieber gewesen, sie hätte ihr breites Grinsen aufgesetzt, bei dem ihre Zahnspange zu sehen war, aber immerhin.

»Oh, wie lustig!« Yasmin kam angelaufen und nahm ihr Handy aus der Hosentasche.

Wollte sie mich etwa fotografieren? Das hatte noch niemand getan – in meiner ganzen Schulzeit nicht! Außer natürlich, wenn unsere Klassenfotos gemacht wurden, aber das zählte nicht. Ich lächelte und reckte meinen Daumen in die Luft, während Yasmin auf den Auslöser drückte, um ein Bild von einem etwas zu kurz geratenen zehnjährigen Mädchen mit sandblonden Haaren und einem rosa Schnurrbart zu schießen. Ob mir die Farbe überhaupt stand?

Ich schüttelte meine Zweifel ab. Bestimmt war das Foto toll geworden. Und außerdem hatte ich ja immer noch einen dicken grünen und einen gekräuselten braunen Oberlippenbart in der Tasche. Für den Fall der Fälle.

Ich liebte es, mir alle Menschen und Tiere mit Schnurrbärten vorzustellen. Ein Schweinchen, zum Beispiel, mit seiner weichen Nase und seinem witzigen Ringelschwanz, war richtig niedlich. Aber wenn es auch noch einen Schnurrbart trug, dann wurde es unglaublich niedlich! Das Gleiche galt für Babys, kleine Kinder und überhaupt alles.

Während ich meiner Fantasie freien Lauf ließ, hätte ich beinahe losgekichert, doch ich konnte mich gerade noch beherrschen. Über meine eigenen Gedanken zu lachen, war sicherlich keine besonders gute Idee, wenn ich Sailor und Cassie beeindrucken wollte.

Schon drei meiner Mitschülerinnen fanden meinen rosa Schnurrbart lustig, aber das wichtigste Mädchen galt es noch zu überzeugen.

Schon drehte Cassie sich um, um zu sehen, warum im Flur so ein Tumult ausgebrochen war. Sie stand ein Stück von mir entfernt und unterhielt sich gerade mit Sarah. Cassie war so etwas wie die Königin der vierten Klasse – und die Präsidentin, die bedeutendste Designerin und auch sonst ein Allround-Superstar. Selbst wenn nirgendwo geschrieben stand, dass sie das beliebteste Mädchen der ganzen Schule war, wussten es alle.

Heute hatte Cassie ihr langes, weiches Haar zu einer Reihe kompliziert aussehender Zöpfe geflochten, für die ihre Mutter sich bestimmt eine Menge Anleitungsvideos im Internet angeschaut hatte. Dazu trug sie einen roten Pullover mit eingewebten Glitzerfäden, mit dem sie glatt in einer Modenschau hätte auftreten können.

»Maddie, wie witzig!«, rief Cassie, während sie zu mir herüberkam. Ihre strahlend weißen Zähne blitzten. »Du siehst zwar etwas merkwürdig aus, aber trotzdem süß.«

Am liebsten hätte ich meine Faust in die Luft gereckt – der Königin der vierten Klasse gefiel mein Schnurrbart! Ob ich vielleicht mit der Zeit zu ihrer offiziellen Hofnärrin aufsteigen könnte? Dann hätte sich mein riskanter Plan tatsächlich gelohnt. Und vielleicht durfte ich heute sogar die Pause mit ihr verbringen?

Schon wandte Cassie sich wieder ab und spazierte auf den Ausgang zu. Ich beschloss, mich einer Gruppe Mädchen anzuschließen, die ihr mit etwas Abstand folgten. Da die meisten von ihnen größer und schneller waren als ich, musste ich ein Stück rennen, um sie einzuholen. Schließlich stießen wir gemeinsam die hohen schwarzen Türen der Acord Elementary auf, um auf den Schulhof zu gehen.

Bereits nach wenigen Schritten blieb Cassie stehen und wartete, bis wir zu ihr aufgeschlossen hatten.

»Also gut«, sagte sie mit einem strahlenden Lächeln. »Heute möchte ich mit Sailor, Sarah und Hannah Pause machen.«

Dann begann sie, den Weg entlangzugehen, der einmal um das Schulgebäude herumführte. In jeder Pause wählte Cassie ein paar von uns aus, die sie auf ihrem Spaziergang begleiten durften. Manchmal gehörte ich dazu, und dann unterhielten wir uns über Filme, Lipgloss, lustige Witze oder Jungs. Na ja, eigentlich war es hauptsächlich Cassie, die redete, doch ich hatte trotzdem meinen Spaß.

Manchmal durfte ich aber nicht dabei sein. Und da Cassie es nicht mochte, wenn ich Zeit mit anderen verbrachte, blieb ich an diesen Tagen einfach allein. Meistens setzte ich mich vor dem Eingang auf den Boden, stellte mir lustige Dinge vor oder dachte mir verrückte Geschichten aus. Eine davon handelte von einem Riesenzyklopen, der sich auf eine abenteuerliche Suche nach der einzigen Kontaktlinse in seiner Größe gemacht hatte. Hätte sich an dem Tag jemand zu mir gesetzt, hätten wir bestimmt laut gelacht.

Cassie holte mich in die Gegenwart zurück. »Yasmin darf heute auch bei mir bleiben«, fügte sie hinzu.

Ich mochte Yasmin, deshalb freute ich mich für sie. Wir kannten uns gut, weil wir fast den gleichen Schulweg hatten und immer zusammen nach Hause gingen. Yasmin hatte glattes schwarzes Haar und dunkle Haut. Sie war in Ohio geboren, doch ihre Großeltern stammten aus Malaysia.

»Außerdem …«, hörte ich Cassie plötzlich sagen.

Bitte nimm mich, bitte nimm mich!

»Auf jeden Fall Maddie.«

Puh, Schwein gehabt! Fast hätte ich nun wirklich getanzt. Mein Schnurrbart hatte also tatsächlich geholfen.

»Und das, obwohl Maddie ihren Arm schon wieder so komisch hält«, ergänzte Cassie.

Heilige Kartoffelschnecken! Meinen Arm hatte ich völlig vergessen! Schnell streckte ich den Ellbogen durch und hoffte, dabei nicht rot anzulaufen. Aus irgendeinem Grund winkelte ich in letzter Zeit manchmal meinen Arm an und ballte meine Hand zur Faust, ohne es zu merken. Cassie hatte mich schon zweimal darauf hingewiesen. Vielleicht lag es daran, dass ich mitten im Wachstum steckte. Körper, die sich veränderten, taten oft merkwürdige Dinge. Zumindest hatten wir das im Sachkundeunterricht gelernt, als wir das Thema Pubertät durchgenommen hatten.

Womöglich hatte es aber auch mit meinem Ninja-Training zu tun, das jeden Tag nach der Schule auf mich wartete. Ich konnte schon beinahe Autos auf meinem kleinen Finger balancieren und Betonplatten mit meinem Kopf zerschlagen.

Okay, ich gebe zu, auch hier habe ich ein bisschen geschwindelt. Aber das Ganze klingt ziemlich cool, oder?

Ich konzentrierte mich darauf, meinen Arm gerade zu halten, doch Cassie schaute längst nicht mehr hin. Sie hatte sich Lexi zugewandt, dem einzigen Mädchen aus der Gruppe, das sie heute nicht ausgewählt hatte. Lexi war erst seit Kurzem auf unserer Schule und sah sehr nett aus. Sie blickte uns durch ihre dunklen Haarsträhnen an.

»Sorry«, sagte Cassie lächelnd, doch ihre Augen blieben kalt.

Diesen Gesichtsausdruck hatte ich schon öfter bei ihr gesehen. Jedes Mal, wenn sie mir verboten hatte, die Pause mit ihr zu verbringen.

Ich atmete tief ein, fasste mir ein Herz und rief: »Warte!«

Alle starrten mich an.

Oje, was hatte ich getan? Ich schaute zu Lexi hinüber, die es vermutlich ebenso hasste wie ich, ausgeschlossen zu werden. »Lexi sollte dabei sein.«

Es war mucksmäuschenstill.

Normalerweise traute sich niemand, so etwas zu sagen. Schließlich war Cassie diejenige, die alles bestimmte. Letztes Jahr hatte Kelsi ihr einmal widersprochen, und seitdem durfte sie nicht mehr in unsere Nähe kommen.

»Ich finde es nicht fair, wenn alle außer Lexi zusammen Pause machen«, fuhr ich fort. »Wir sollten nett zu ihr sein, damit sie schnell Freundinnen findet.«

Cassie die Meinung zu sagen, fühlte sich gut an – und bestimmt wäre es noch viel besser gewesen, wenn ich es auch wirklich getan hätte. Doch ich hatte mir das alles bloß in meinem Kopf zurechtgelegt. Genau wie meinen Freudentanz und mein Ninja-Training.

Ich wollte mich für Lexi einsetzen, aber ich hatte Angst, dass Cassie dann auch mich ausschließen würde. Nur weil ich ein paar Mädchen mit meinem Schnurrbart zum Lachen gebracht hatte, bedeutete das noch lange nicht, dass sie mich nicht wegschicken würde. Und dann würde ich nie erfahren, was Cassie und die anderen für die Theateraufführung planten. Damit wäre meine Karriere als komische Schauspielerin beendet, bevor sie überhaupt begonnen hatte.

Also schwieg ich, obwohl Lexi mir leidtat. Ich war einfach nur froh, dass ich nicht an ihrer Stelle war.

Giftschwerter, Brüllwettbewerbe und Julia

»Okay, Mädels«, begann Cassie. Sie führte uns den asphaltierten Weg entlang, der sich um das Schulhaus schlängelte, während Lexi allein zurückblieb. Als wir jünger gewesen waren, hatten wir in den Pausen Fangen oder Seilspringen gespielt, doch das fand Cassie mittlerweile zu kindisch. Sie wollte sich lieber unterhalten.

»Wir müssen unbedingt über die Theaterstücke reden, die wir aufführen wollen«, fuhr sie fort. Ihre Augen strahlten, und sie lächelte breit. Wenn Cassie über etwas sprach, wirkte es immer besonders spannend. »Auf jeden Fall werden wir diesmal richtig gut sein!«

Alle stimmten ihr zu. Die gesamte Schule freute sich auf unseren Shakespeare-Abend, der jedes Jahr stattfand. Und das nicht nur, weil wir mehrere Stücke des berühmten Dichters spielen würden, sondern auch, weil wir uns einen Monat lang verkleiden und proben durften. Am Ende würden wir unseren Eltern eine richtig tolle Show präsentieren können.

Jede Klasse spielte ein paar Szenen aus Shakespeares berühmtesten Theaterstücken. Sie dauerten immer nur wenige Minuten, doch es kamen Schwertkämpfe, Brüllwettbewerbe und lustige Verwechslungen darin vor. Am Aufführungstag gab es vormittags einen Probedurchlauf vor der ganzen Schule, abends wurden unsere Familien eingeladen. Schon seit der ersten Klasse hatte ich mir alle Stücke aufmerksam angesehen, und ich wusste ganz genau, welche Rollen mir am besten gefielen.

Unsere Lehrerin, Mrs. Baer, hatte schon eine Liste der einzelnen Figuren erstellt, die zur Auswahl standen. Gleich nach der Pause sollten wir unsere Top-Drei-Wünsche auf ein Blatt Papier schreiben und in den Sammelkarton werfen.

Cassie ließ ihren Blick über uns gleiten, dann wandte sie sich Hannah zu.

»Ich finde, du solltest die Feenkönigin spielen«, sagte sie. »Notier die Rolle gleich als Erstes auf deinem Zettel.«

Hannah nickte. »Okay.«

Die Feenkönigin war eine Figur aus dem Stück Ein Sommernachtstraum. Ob Hannah noch wusste, was mit ihr passierte? Sie wurde verzaubert und verliebte sich in einen Mann mit Eselskopf. Ich stellte mir den Eselskopf-Mann mit Schnurrbart vor, unterdrückte ein Kichern und hörte Cassie weiter zu.

»Am klügsten wäre es«, erklärte sie, »wenn du die Feenkönigin sogar als alle drei Wünsche angeben würdest. Dann wissen unsere Lehrerinnen nämlich, dass du die Rolle unbedingt haben willst.«

Cassie schaute uns der Reihe nach an. »Von euch darf sich aber niemand die Feenkönigin wünschen. Damit es auf jeden Fall Hannah wird.«

Alle Mädchen nickten eifrig, nur Sailor sah etwas enttäuscht aus. Ob sie sich auch für die Rolle interessierte?

»Welche Figur würde zu Yasmin passen?«, fragte Cassie nun.

»Vielleicht Hero?«, schlug Sarah vor.

Obwohl der Name mit O endete, war Hero eine Frau, die in dem Theaterstück Viel Lärm um nichts vorkam. Sie war sehr nett, deshalb verliebte sich der Sohn eines Adligen in sie und wollte sie heiraten. Als der Bräutigam sie aber vor dem Altar zurückwies, stellte sie sich tot und stiftete damit reichlich Verwirrung.

»Ich würde eigentlich lieber für die Julia vorsprechen«, erwiderte Yasmin zaghaft. An ihren leuchtenden Augen konnte ich erkennen, dass sie sich richtig darauf freute. Auch viele andere Mädchen wollten die Julia aus Romeo und Julia spielen. Das Kleid für diese Rolle war superschön. Es war aus einem fließenden hellblauen Stoff genäht, hatte luftige Puffärmel und wurde zusammen mit einer glitzernden Perlenkette getragen. Außerdem gehörte die Julia zu den bekanntesten Figuren überhaupt. Fast jeder hatte schon einmal von ihr gehört. Zwar sagte sie keine besonders witzigen Sachen, aber die Rolle würde bestimmt trotzdem Spaß machen.

»Nein«, widersprach Cassie und schüttelte energisch den Kopf. »Die Julia passt nicht zu dir. Wie wäre es mit Bianca aus Der Widerspenstigen Zähmung? Sie ist hübsch und bei allen sehr beliebt.«

Für mich klang das irgendwie langweilig und nicht gerade nach einer besonders tollen Rolle.

»Aber wieso darf Yasmin nicht die Julia spielen?«, fragte ich. »Ich fände das super.«

Yasmin war klug und konnte sich Texte schnell merken. Außerdem konnte sie Leute zum Lachen bringen, das hatte ich schon oft auf unserem Nachhauseweg gemerkt.

Leider hatte ich Cassie meine Frage nicht wirklich gestellt, sondern nur in meiner Fantasie. Ich wollte es so gern tun, doch ich traute mich nicht.

Cassie ging den Rest der Gruppe durch und teilte weitere Rollen zu. Sailor wollte auch gern die Julia spielen, aber Cassie war damit nicht einverstanden. Während wir langsam den Weg entlangschlenderten, sah ich von Weitem Lexi allein vor dem Schuleingang sitzen. Mein Magen krampfte sich zusammen. Ich wusste genau, wie sie sich jetzt fühlte.

Hätte ich vorhin doch den Mund aufgemacht!

»Maddie«, riss Cassie mich aus meinen Gedanken. »Weißt du, welche Rolle perfekt für dich wäre?«

Ich atmete tief durch, und da kam mir eine Idee. Schnell griff ich in meine Hosentasche, klebte mir noch einmal den rosa Schnurrbart über die Lippe und antwortete: »Ganz egal, solange ich dabei mein Bärtchen tragen kann!«

Warum schaffte ich es, in Cassies Beisein Witze zu machen, brachte es aber nicht übers Herz, mich für Lexi oder Yasmin einzusetzen?

Glücklicherweise begannen alle um mich herum zu lachen.

Na ja, alle außer Cassie.

»Der Bart steht dir«, sagte Yasmin. »Vielleicht wäre Hamlet die richtige Rolle für dich. Er macht bei einem gefährlichen Schwertkampf mit echten Giftschwertern mit.«

»Oder du könntest der Feenkönig sein«, warf Sailor ein.

Cassie sah nicht begeistert aus. »Maddie kann auf keinen Fall einen Mann spielen.«

Warum nicht? Wir hatten im Unterricht gelernt, dass zu Shakespeares Zeiten alle Frauenrollen von Männern übernommen worden waren. Wäre es dann nicht fair, wenn ich jetzt ein Mann sein durfte?

»Ich finde, du solltest Julias Amme spielen«, sagte Cassie. »Dann können wir zusammen auftreten.«

Die Amme? Hm. In den Szenen, die wir aufführten, kam sie kaum vor. Sie sprach auch nur ein paar Sätze, und die waren nicht einmal besonders witzig.

Aber Moment mal – was hatte Cassie gerade gesagt? Zusammen auftreten? Da wurde mir plötzlich alles klar: Cassie wollte die Julia spielen! Deshalb bestand sie darauf, dass ihr keine von uns in die Quere kam!

»Die Amme wäre schon ganz okay«, erwiderte ich zögerlich. Vielleicht würde es ja Spaß machen, mit Cassie auf der Bühne zu stehen. Sie sah aus wie eine echte Schauspielerin, und womöglich wären die Szenen mit ihr deshalb die besten.

Cassie nahm ihr glitzerndes Handy aus der Tasche und warf einen Blick auf das Display. »Oh, es klingelt gleich«, stellte sie fest. »Lasst uns schnell reingehen und unsere Zettel ausfüllen. Wenn wir unsere zuerst einwerfen, bekommen wir bestimmt die Rollen, die wir uns wünschen.«

Alle Mädchen rannten in die Schule, angeführt von Cassie. Auch ich legte den Laufschritt ein, doch ich konnte nicht mithalten. Ich war das langsamste und ungeschickteste Kind in der Vierten, vor allem, weil ich dauernd stolperte – was hoffentlich niemandem auffiel. Vielleicht lag es daran, dass meine Beine länger wurden. Oder aber ich war in Wirklichkeit ein Fabelwesen aus einer sagenhaften Traumwelt, das in einem Menschenkörper steckte. Womöglich war ich sogar eine Prinzessin, deren Schicksal darin bestand, einen wahnsinnig gewordenen Zauberer zu besiegen, und deshalb hatte er mich mit einem Fluch belegt. Da es für Fabelwesen sehr anstrengend war, mit Menschenbeinen herumzulaufen, konnte ich einfach nicht so schnell rennen wie die anderen.

Als ich im Klassenzimmer ankam, hatten Cassie und die übrigen Mädchen sich schon vor der Wunschkiste auf Mrs. Baers Schreibtisch versammelt, um ihre Zettel einzuwerfen. Ich schnappte mir ein Blatt Papier, setzte mich auf meinen Platz und starrte darauf. Am liebsten hätte ich Hamlet, Katharina, Julia notiert, doch das würde Cassies Plan durcheinanderbringen.

»Darf ich gucken, was du geschrieben hast?«, hörte ich Cassie Hannah fragen.

»Dreimal Feenkönigin«, antwortete Hannah und hielt Cassie das Blatt hin.

Cassie hüpfte vor Freude auf der Stelle und umarmte Hannah.

Mir wurde übel. Vermutlich wollte Cassie gleich auch meinen Zettel sehen. Hastig kritzelte ich Julias Amme, Katharina, Hamlet auf das Papier und faltete es in der Mitte. Ich war mir sicher, dass sich niemand anderes Julias Amme ausgesucht hatte, deshalb würde ich die Rolle höchstwahrscheinlich bekommen.

Ich ging zu Cassie hinüber und zeigte ihr meine Liste, bevor sie mich danach fragen konnte.

Sie strahlte über das ganze Gesicht. »Ich freue mich so, die Aufführung wird super!« Dann drehte sie sich um und schlenderte zurück zu ihrem Tisch. Ihren eigenen Zettel hatte sie natürlich längst eingeworfen.

Ich schaute noch einmal auf mein Blatt hinunter. Natürlich wäre es schön, mit Cassie zusammen auf der Bühne zu stehen, aber …

Schnell faltete ich das Papier wieder auf und sah mich um. Lexi ging an mir vorbei, und als sich unsere Blicke trafen, guckte sie schnell weg.

Cassie unterhielt sich mittlerweile aufgeregt mit Devin und spielte mit ihren Haaren. Das war meine Chance. Ich nahm meinen Bleistift mit dem Radiergummi aus meiner Hosentasche und machte mich über die Liste her. Bald schon stand an erster Stelle nicht mehr Julias Amme, sondern nur noch Julia.

Und dann stellte ich mich vor die Wunschkiste und warf – ganz in Wirklichkeit – meinen Zettel ein.

Kein Grund zur Sorge

»Ich möchte mich zu Halloween als Frankenstein verkleiden, damit ich die Gehirne anderer Leute essen kann«, sagte Emery, einer meiner kleinen Brüder. Er und sein Zwilling Ethan waren acht Jahre alt und sahen völlig gleich aus. Ist euch schon mal aufgefallen, dass Zwillinge in Filmen meistens nervige Unruhestifter sind? Auf Emery und Ethan traf das absolut zu.

»Frankenstein isst aber gar keine Gehirne«, widersprach Ethan. »Du meinst wohl Zombies.« Meine Brüder redeten sehr schnell und hatten außergewöhnlich hohe Stimmen, deshalb erinnerten sie mich immer an überdrehte Zeichentrick-Eichhörnchen.

»Ach ja, stimmt«, gab Emery zu.

»Aber du könntest ein Zombie-Frankenstein werden«, schlug Ethan vor und sprang vom Tisch auf, wobei er seinen Teller mit Hackbraten und Kartoffeln mit einer Armbewegung zur Seite fegte.

»Woow!«, rief Emery begeistert. »Gut, dass ich dich auf die Idee gebracht hab!«

»Was?«, sagte Ethan empört. »Da bin ich ganz allein drauf gekommen!«

»Jungs, Schluss jetzt«, ging Mom dazwischen. Sie musste laut reden, um das Eichhörnchen-Geschnatter meiner Brüder zu übertönen. »Esst gefälligst zu Ende und hört auf, euch am Tisch über Untote zu unterhalten. Das ist widerlich.«

Da hatte Mom nicht ganz unrecht, zumal mich das Hackfleisch wirklich ein bisschen an Gehirne erinnerte.

Meine Mom war lustig und immer für Späße zu haben. Außerdem sah sie für ihr Alter so jung aus, dass mein Dad sie manchmal damit aufzog.

Ich nahm einen Bissen von meiner Ofenkartoffel und schloss die Augen, um sie mir auf der Zunge zergehen zu lassen. Kartoffeln waren wirklich das beste Essen aller Zeiten. Von mir aus könnte es sie zu jeder Mahlzeit geben. Ich liebte Ofenkartoffeln, Kartoffelpüree, Pommes frites, Süßkartoffeln, ganz egal.

Besonders gut schmeckten sie an einem Tag wie heute, an dem ich Cassies Plan durchkreuzt und Julia auf meinen Zettel geschrieben hatte. Zwar hatte ich deswegen ein schlechtes Gewissen, doch irgendwie freute ich mich auch.

Ich machte mich weiter über meine Kartoffeln her und ließ den Hackbraten links liegen. Fleisch aß ich überhaupt nicht gern. Der Gedanke, Tiere zu töten, lag mir schwer im Magen. Besonders Kühe liebte ich, und ich stellte sie mir oft mit kleinen Schnurrbärten über ihren warmen Nasen vor.

»Es ist auch noch ein bisschen zu früh für Halloween-Pläne«, schaltete Dad sich ein. »Bis dahin sind es immerhin noch acht Monate.« Mein Dad hatte eine Glatze, die so schön glänzte, dass man am liebsten immer wieder darüberstreichen wollte. Er arbeitete im Schulamt und stellte die Stundenpläne für alle Schulen in unserem Bezirk zusammen. In seiner Freizeit schrieb er Geschichten, und bald würde er sogar ein ganzes Buch veröffentlichen. Er war schon total aufgeregt und plante eine große Reise, um das Buch an verschiedenen Orten im Land vorzustellen.

Die Dinge, die mein Dad sich beim Schreiben ausdachte, waren richtig witzig. Er hatte die gleiche verrückte Fantasie wie ich, und ich liebte es, mit ihm zusammen über seine Figuren zu lachen.

Dad warf einen Blick auf meinen Teller. »Und du, Maddie, isst gefälligst deinen Hackbraten.«

Ich schüttelte den Kopf. »Fleisch ist ekelig.«

»Du redest Quatsch«, gab er zurück.