Casalias Erbe - Julia Kühne - E-Book
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Casalias Erbe E-Book

Julia Kuhne

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Beschreibung

Frisch nach ihrem Studium ist Sofia gewappnet, das Familienunternehmen in Italien zu übernehmen. Sie reist zurück in die Toskana, wo im Herzen der atemberaubenden Landschaften der Weinberge in einem kleinen Dorf namens Casalia ein erfolgreiches Weingut auf ihre Übernahme wartet. Direkt nach ihrer Ankunft lernt sie Luca kennen, der der neue Hofarbeiter ist und überraschend gut aussieht. Aber alte, endlich aufgedeckte Ereignisse der Vergangenheit ihrer Familie, hüllen das Schicksal des Weinguts und auch Sofias neues Liebesglück in einen düsteren Schatten, der droht, alles zu zerstören, worauf sie ihr ganzes Leben gewartet hat.

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Seitenzahl: 287

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Für

meine Herzensmenschen

All jenen, die an ihre Träume glauben

Dich, denn mein Traum waren immer Wir

Liebe Leser,

liebe Leserinnen,

dieses Buch enthält innerhalb der Geschichte,

potenzielle Trigger, die auf Seite → erläutert

werden.

Deshalb achtet gut auf euch!

Julia Kühne, geboren 1997, wohnt mit ihrem Ehemann und ihren Kindern in der Nähe von Göttingen in Niedersachsen, ländlich in einem kleinen Dorf. Neben ihrer Leidenschaft zum geschriebenen Wort und der Fantasie, die im kreativen Schreiben steckt, arbeitet sie unter anderem als Erzieherin in einer Kindertagesstätte.

Die Liebe zu Liebesgeschichten und dem Schreiben allgemein entfaltete sich in der Jugend und so entstanden die ersten Werke, die sie insgeheim zuerst Bekannten und Freunden vorlas. Der Traum nach der Erfüllung vom eigenen Buch wurde größer und es entstand das erste Werk, dem noch weitere folgen sollten.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 Sofia

Kapitel 2 Luca

Kapitel 3 Sofia

Kapitel 4 Luca

Kapitel 5 Sofia

Kapitel 6 Luca

Kapitel 7 Sofia

Kapitel 8 Luca

Kapitel 9 Sofia

Kapitel 10 Luca

Kapitel 11 Sofia

Kapitel 12 Luca

Kapitel 13 Sofia

Kapitel 14 Luca

Kapitel 15 Sofia

Kapitel 16 Luca

Kapitel 17 Sofia

Kapitel 18 Luca

Kapitel 19 Sofia

Kapitel 20 Luca

Kapitel 21 Sofia

Kapitel 22 Luca

Kapitel 23 Sofia

Kapitel 24 Luca

Vier Wochen später

Kapitel 25 Sofia

Kapitel 26 Luca

Kapitel 27 Sofia

Kapitel 28 Luca

Kapitel 29 Sofia

Kapitel 30 Luca

Kapitel 31 Sofia

Kapitel 32 Luca

Kapitel 33 Sofia

Epilog

Epilog Luca

Danksagungen & Schlussworte

Kapitel 1 Sofia

»Da ist es!«

Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich aus dem kleinen, runden Fenster des Flugzeuges und sah auf mein wunderschönes Heimatland hinunter. Die Toskana. Übersät mit seinen wunderbaren Weinbergen, der unberührten Natur und den hinreißenden, terracottafarbenen Fincas, in denen es sich bei warmen Temperaturen, so wie nun im Sommer, herrlich leben ließ.

Mama und Papa hatte ich in all den Jahren, in denen ich mein Auslandsstudium in England absolviert hatte, schrecklich vermisst.

Mein Studium an der renommierten Oxford University hatte ich nur aus einem Grund angetreten. Ende des Sommers sollte Casalia unter meiner Leitung in die Zukunft treten. So war es schon immer geplant gewesen. Es war unser Traum, dass ich eines Tages das Familienerbe weiterführen würde, so wie es auch mein Vater von meinem Großvater vor langer Zeit übernommen hatte.

Als ich mit knapp achtzehn Jahren ins Ausland gegangen war, hatte ich alles hinter mir gelassen, um mich vollkommen auf mein Ziel zu konzentrieren. Niemand meiner damaligen Freundinnen war mir noch geblieben. Sie hatten nie ganz verstanden, wie viel mir die Übernahme und der Fortbestand des Weinguts bedeuteten.

Überschwänglich vor Freude schnallte ich mich ab, als die Lichter an der Anzeige über meinem Sitz ausgingen, schnappte mein Gepäck und ging zum Ausgang des Flugzeugs. Endlich wieder die warme italienische Sonne auf meiner Haut zu spüren, kam definitiv auf meine Top-10-Liste wunderbarer ›Quality-Momente‹.

Ich war in all den Jahren nur einmal zu Besuch hier gewesen. Dieses eine Mal hatte zur Folge, dass mir der erneute Abschied so schwergefallen war, und ich tatsächlich überlegt hatte, mein Studium zu beenden. Auch wenn ich ein hohes Maß an Ehrgeiz besaß, hatte ich mir die lange Trennung von zu Hause eindeutig nicht so schwer vorgestellt, wie es sich die letzten vier Jahre angefühlt hatte.

Es hatte mich große Überwindung gekostet, erneut in einen Flieger zu steigen und meiner Heimat ein zweites Mal ›leb wohl‹ zu sagen, sodass ich es gar nicht erst wieder versuchen wollte.

Deshalb hatte ich mit Mama und Papa beschlossen, erst nach Beendigung meines Studiums zurückzukehren.

Bei der Gepäckausgabe herrschte reges Treiben. Jeder versuchte, seinen Koffer als erstes zu ergattern. Ich wartete noch eine Sekunde und erhaschte eine Lücke im perfekten Moment, als mein Koffer sich zeigte. Schnell griff ich, nahm ihn und zog ihn vom Förderband herunter. Noch schnell an der Passkontrolle vorbei, und dann trat ich ins Freie und ließ schleunigst den Flughafen hinter mir.

Die Sonne begrüßte mich erneut und übergoss meine Arme und meine Beine mit Wärme. Italienischer Wärme, die nirgends auf der Welt war wie hier. Zugegeben, war mir bewusst, dass es die gleiche Sonne wie in England war. Natürlich, denn ich war ja keine Idiotin, aber das war nicht dasselbe, wenn man jahrelang auf die Heimatsonne verzichtet hatte.

Vor mir lagen so viele neue Chancen und Herausforderungen, und ich war stolz auf meine Leistung, meinen Abschluss in Marketing und Betriebswirtschaft an der Oxford University absolviert zu haben. Es trug maßgeblich zu einem neuen positiven Selbstwertgefühl bei, welches ich als neue unabhängige Chefin eines Riesenkonzerns durchaus gebrauchen konnte.

Ein Auto hupte. Ich sah nach rechts und erkannte Papas Maserati im leuchtenden Rot am Rand der Parkbucht stehen. Überschäumende Freude, Glück und was man sonst noch so fühlen konnte, wenn man nach so vielen Jahren wieder zurückkehrte, durchkreuzten meinen Körper. Mama und Papa stiegen aus dem Auto.

»Sofia!«, schrie Mama mit Tränen in den Augen und einem unsagbar erleichternden Lächeln, als sie auf mich zugestürmt kam. Auch mir quollen sofort dicke Tränen in die Augen und ich war erleichtert, als sich ihre Arme um meinen Körper schlossen. Auch mit zweiundzwanzig Jahren war ich immer noch ihr kleines Mädchen und bekam doch einen gewaltigen Schwall an Liebe geschenkt, wenn man wie ich Einzelkind war.

Während sie mich an sich presste, quetschte sie meine langen, blonden, naturgelockten Haare ein, was unheimlich ziepte. Doch ich sagte nichts.

»Schön, dich wieder bei uns zu haben!«, schnäuzte Mama, während sie mich weiter im Arm hielt. Mittlerweile hatte auch Paps zu uns aufgeschlossen und lächelte mich strahlend an. Mir wurde warm ums Herz, dass auch er sich leicht eine Träne wegwischte. Mein Vater neigte nicht oft zu Gefühlsausbrüchen oder übermäßiger Emotionalität, daher verblüffte mich seine Reaktion.

»Meine Sofia, deine Mama und ich, wir haben dich schrecklich vermisst«, gab er zu, als er mir meine Koffer und meine Tasche abnahm. Mama hatte mich wieder losgelassen und zog mich zum Auto.

»Sag, wie geht’s dir, Kind?«, fragte sie, ehe wir losgefahren waren.

»Gut. Ich bin ziemlich erschöpft«, gab ich zu. Während der halbstündigen Autofahrt nach Hause erzählte ich meinen Eltern von der Abschlussfeier vor wenigen Tagen in der Uni sowie von der Vergabe der Zeugnisse.

All dies hatten sie natürlich verpasst, da meine Eltern nicht zu mir reisen konnten. Die Vorbereitungen für die Übergabe des Weinguts, die im Herbst über die Bühne gehen sollte, hatten mittlerweile unweigerlich begonnen. Paps hatte bis heute jeden Tag damit verbracht, die Bücher und auch die Angelegenheiten so vorzubereiten, dass ich mich schnellstens in alles einlesen konnte.

»Heute feiern wir erst einmal deine Rückkehr. Morgen beginnen wir dann mit unserem ersten Meeting«, erklärte Paps, während er den Wagen steuerte.

»Signore Fontana, wie kannst du schon wieder vom Arbeiten sprechen? Deine Tochter ist gerade erst nach Hause gekommen«, tadelte meine Mutter Paps leicht verärgert. Er zog eine schelmische Grimasse, die ich im Rückspiegel erkennen konnte.

Wir lachten.

Nach weiteren zehn Minuten hatten wir Casalia erreicht. Meine Heimat. Casalia umgab nicht viel, außer unser Weingut mit seinen Weinbergen und den dazugehörigen Teilen Land, die wir verpachteten. Einige Bauern sowie Viehbesitzer nutzen die Felder und Wiesen zur Landwirtschaft.

Ein kleines Dorf, in dem es zwei bis drei Geschäfte und ein kleiner Gasthof gab und … ein modernes Restaurant?

Ich riss die Augen auf, während ich ungläubig auf das mir dargebotene moderne Gebäude blickte, an welchem wir soeben vorbeifuhren, um auf unseren Privatweg zum Weingut einzubiegen.

»Seit wann steht denn hier ein Restaurant?«, fragte ich und ließ meinen Blick nicht davon abweichen. Das Haus war groß und in Anthrazit gestrichen.

Es schien, als habe es mehr Fensterflächen als Mauerwerk, weshalb ich mich wunderte, dass es stabil dastand.

Das Dach war flach und mit Grün bewachsen. Ein Parkplatz grenzte nebenan und bot einigen Besuchern Platz.

»Lass uns darüber nachher mal in Ruhe sprechen«, hauchte Mama mir zu, was mich ein wenig verwunderte. Die ausgelassene Stimmung schien dahin. Dad schwieg auf meine Frage und sah überhaupt nicht belustigt aus.

Oh weia!

Was war denn hier vorgefallen? Verwundert blickte ich im Rückspiegel nach hinten und überlegte noch, dass das Stück Land, auf dem die Autos parkten, doch uns gehörte?

Was verschwiegen mir meine Eltern?

Doch nach einer Kurve war es dann so weit.

Zinnrote Dächer und eine gelb-weiße Fassade lugten durch die hohen Bäume bereits hervor, bevor Paps direkt auf den Hof einlenkte.

Aus dem Auto heraus erkannte ich, Nonna Adelia und Salvatore, die am Aufgang zum Haupthaus Spalier standen. Sie waren sowas wie unsere Hausangestellten, aber eigentlich wie meine Familie.

Auch wenn es mir immer wieder komisch vorkam, dass wir das Personal auch für unseren privaten Alltag beschäftigten, dachte ich oft genug, dass Mama und Papa es dennoch verdient hatten, nach all der Arbeit, die sie in das Weingut gesteckt hatten, ein wenig im Luxus zu leben.

»Da ist sie ja, die kleine Sofia!«

Nonna nahm mich in den Arm, als wäre ich noch immer das unscheinbare elfjährige Mädchen, dem sie in der Kindheit so oft zum Einschlafen vorgelesen hatte. Ich begrüßte sie herzlich, denn sie hatte mir genauso wie meine Eltern unendlich gefehlt, und gerne erwiderte ich ihre körperliche Geste.

»Schön, euch wiederzusehen. Ich war so lange weg.«

»Signorina Sofia, willkommen zu Hause!«

Salvatore schenkte mir ein freundliches Lächeln und legte die Hand auf meine Schultern. Mir wurde bewusst, wie lange ich weggewesen war. Als meine Eltern sich mit unseren Angestellten anfingen zu unterhalten, schlich ich ein wenig von ihnen weg und drehte mich auf dem Hof auf der Stelle.

Ich wollte mir alles genau ansehen. Die Sonne strahlte mit voller Kraft auf das Haupthaus, welches im alten, toskanischen Stil erhalten war. Das Weingut im linken Teil ähnelte einem alten italienischen Gebäude der Renaissance.

In Sandsteinen gebaut und verziert mit Säulen und Gängen mit hohen Steinbögen. Ringsherum sah es aus wie der Teil eines alten, italienischen Schlosses. Im hinteren Teil des Hofes stand ein älteres Gebäude, in dem früher Pferde untergebracht waren.

Diese Gebäude nutzen wir aktuell als Lager für die Weine, da es im Schatten lag und auch ebenfalls unterkellert war. Ich sah zu meinen Eltern, die mich gerade heranwinkten. Sie waren alt geworden. Das erkannte ich in diesem Moment, als ich sie im Profil genauer betrachtete. Beide waren nun fast sechzig und sowohl Mama als auch Papa hatten deutlich an grauen Haaren dazugewonnen. Auch Nonna und Salvatore waren bereits sichtbar gealtert. Nonna mochte inzwischen auf die achtzig zugehen und auch Salvatore musste so in dem Dreh alt sein.

Eigentlich, dachte ich, waren sie schon immer alt gewesen, was ich mit einem Gefühl voller Freude feststellte. Sie waren schon immer so etwas wie meine Großeltern. Nichts Geringeres fühlte ich, wenn ich in ihrer Nähe war. Sie waren für mich aus meiner Familie nicht wegzudenken.

Der untere Teil im Hauptgebäude war extra damals für Angestellte umgebaut worden, sodass wir auch die Erntehelfer während der Weinlese bei uns beherbergen konnten.

Außerdem beschäftigten wir noch zwei Köche und auch einige Reinigungsfrauen, die sich um die vielen anfallenden Aufgaben kümmerten.

Papa winkte nochmal, ehe ich mich in Bewegung setzte, dann lief ich los.

Es krachte, mein Kopf tat weh und etwas ging zu Bruch. Aua.

Benommen sah ich hoch.

Eine männliche Gestalt vor mir.

Ey, konnte der Idiot nicht aufpassen.

Kapitel 2 Luca

»Mist! Verdammt!«

Keine schönen Wörter, bei der Tatsache, die Tochter des Chefs über den Haufen zu laufen. Ich wusste natürlich, dass dies nicht angebracht war, doch ich konnte meinem Ärger nicht abverlangen, in dieser Sekunde weiter im Verborgenen zu verweilen. Wieso hatte sie denn nicht nochmal nach links geschaut, bevor sie losgegangen war?

Aber wenn ich ehrlich war, hatte ich es kommen sehen und hätte auch sowas wie

»Vorsicht!« oder »Aus dem Weg!« rufen können. Tja, zu spät, dachte ich und sah unweigerlich auf den Boden. Die Vase, die ich aus dem Hauptgebäude ins Lager bringen sollte, war zerbrochen. Ich betete zu sämtlichen hinduistischen Göttern (warum wusste ich nicht. Etwas anderes schien mir nicht einzufallen), dass es sich nicht um eine antike Vase gehandelt hatte, meine Hoffnung war jedoch nicht allzu groß gewesen.

Ich sah zu Sofia, die sich die Stirn rieb. Ich wusste natürlich, wie sie hieß. Alle wussten, wer Sofia war, denn es drehte sich seit Wochen auf dem Hof um nichts anderes mehr als die Rückkehr der heiß geliebten Tochter, die ihr von Papa finanziertes Studium absolviert hatte und die neue Chefin werden sollte. Meine Chefin? Stimmt. Ich musste irgendetwas sagen. Offensichtlich hatte sie am Kopf getroffen.

»Geht es Ihnen gut?«, fühlte ich vorsichtig vor.

»Mir geht’s gut, glaube ich!«, knirschte sie schnippisch.

Na klasse, so eine richtige Zicke.

»Der Vase meiner verstorbenen Nonna mütterlicherseits aus Gründerzeit anscheinend eher nicht mehr so gut, wie es aussieht?«, legte sie nach.

Fuck!

Jetzt hatte ich ein richtiges Problem. Sie war doch antik und ich steckte jetzt mächtig in der Scheiße, weshalb ich keine Antwort rausbrachte. Sofia taxierte mich herausfordernd. Sie war ca. 1,70 groß, hatte umwerfend lange blonde Haare, trug ein türkisfarbenes Kleid mit leichten Blumenranken darauf und stemmte die Hände in die Hüfte, als sie aufhörte, ihre Stirn zu reiben. Mir fiel auf, was für überaus reizvolle Kurven sie hatte. Sie war ganz anders, als ich sie mir vorgestellt hatte. Sowohl eine große Oberweite als auch breite Hüften, die dennoch nicht dazu neigten, übermäßig zu wirken, brachten ihre durchaus schmale Taille zur Geltung.

Wenn irgendjemand ein Musterstück für die perfekte Abbildung einer Sanduhr-Figur benötigte, hier war sie. Je länger ich sie betrachtete, desto mehr fiel mir auf, wie hübsch sie war. Sie war anders als gedacht, aber sie war hübsch.

»Na? Hat es dir jetzt die Sprache verschlagen?«, wollte sie wissen. Mein Mund wollte antworten, doch ich beschloss weiterhin nichts zu sagen, da ich nicht wusste, was.

Wie bezahle ich um Himmels Willen diese verdammte Vase?

»Alles in Ordnung bei euch? Ich habe es nur krachen gehört«, erkundigte sich Salvatore. Er sah auf die Vase und dann zu mir. Sein Gesicht sah ernst aus.

»Sag mir bitte nicht, Luca, dass du sie kaputt gemacht hast. Du weißt, was das bedeutet«, raunte er. Ja. Das wusste ich.

Ich hatte mir schon so einiges geleistet in den letzten Wochen. Natürlich nie mit Absicht, aber leider gingen einige Missgeschicke auf meine Kappe, weshalb mich Signore Fontana bereits angezählt hatte.

Sofia stand immer noch da und sah mich an.

»Es tut mir leid, dass ich so in dich reingelaufen bin. Ich habe dich nicht rechtzeitig gesehen«, entschuldigte ich mich nun endlich, wie ein dummer Schuljunge, der vom Aufseher dazu gezwungen wurde. Ein wenig gelogen war es, denn ich hatte angenommen, sie würde noch rechtzeitig anhalten. »Was bedeutet es denn, wenn er es wirklich war?«, fragte sie daraufhin neugierig und sah in Salvatores aufgebrachtes Gesicht. Dieser schaute dann verblüfft und erwiderte, »Naja, Signore Barbero hat schon so einige Fehler gemacht und jeder weitere sollte eigentlich zur Kündigung führen.« Bei dem Wort Kündigung stockte mir der Atem. Ich brauchte diesen Job.

Allein um meinem Vater zu beweisen, dass ich kein Versager war. Obendrein würde er ohne mich es unweigerlich nicht schaffen, das Restaurant zum Laufen zu bekommen, und das konnte ich nicht zulassen. Es war so schon alles oft ein Albtraum.

»Ich versichere Ihnen, dass es ein absolut unvorhersehbarer Unfall war …«, versuchte ich zu beschwichtigen, doch Salvatore zog nur eine Augenbraue hoch.

»Ich muss das leider melden, Luca. Es tut mir leid, aber …«

»Müssen Sie nicht«, mischte sich Sofia plötzlich ein. Ich war verwundert.

»Es war eigentlich meine Schuld. Ich bin einfach losgelaufen, als mein Vater gewunken hat und hab gar nicht geschaut. Und dann habe ich … Luca, richtig…?« Ich nickte,»… angerempelt und ja, dann ist die Vase von Nonna leider zerbrochen.«

Salvatore musterte erst Sofia und dann mich. Ich hob nur die Schultern und zuckte. Wenn sie anscheinend so cool sein wollte und den rettenden Engel spielte, hatte ich gewiss nichts dagegen. Salvatore konnte sich ein dramatisierendes Augenrollen nicht verkneifen, lächelte dann aber in Sofias Richtung und ließ uns stehen.

»Boah, danke. Du hast mir echt den Arsch gerettet«, kam es erleichternd aus mir heraus, als der Butler sich langsam, aber sicher entfernte.

»Zweitausendfünfhundert Euro«, entgegnete sie daraufhin.

Wie bitte? Wollte sie jetzt Geld dafür, dass sie mich deckte?

»Für die Vase? Sie war ein Familienerbstück. Du zahlst es doch zurück, oder?«, fragte sie ehrlich und mit einer Freundlichkeit, die mich erschreckte. Es schien, als tat sie es nicht zum Spaß, sondern weil ihr etwas an der Vase lag oder der Tatsache, dass sie ihrer Familie gehört hatte.

Das konnte ich nicht ignorieren. Genauso wenig wie ihre blauen Augen, die mich leuchtend anfunkelten, mit einer kleinen Spur Nachdrücklichkeit und einem gewissen Glanz, der ihr niemandem eine Bitte abschlagen ließ.

Gefährlich. Ich hatte keine Wahl. Wenn ich nicht zahlen würde, dann würde sie vermutlich die Sache richtigstellen und ich wäre meinen Job doch noch los gewesen.

Und irgendwie keimte in mir der Gedanke auf, dass ich sie niemals enttäuschen wollte.

»Ja klar. Aber ich habe nicht so viel Geld auf einmal …«, gab ich ehrlich zu.

»Das macht nichts. Sobald du es hast, gibst du es mir zurück, okay?«

Sie lächelte. Ich nickte und lächelte zurück. Sie war doch keine Zicke. Sie war echt furchtlos und absolut umwerfend. Sie war grundlegend anders als das, was ich erwartet hatte.

»Sofia. Komm endlich!«, rief Signore Fontana vom Salonfenster im oberen Stock auf den Hof hinunter.

Sie wendete den Kopf von mir ab und winkte mit einer Handbewegung gegen die Aufforderung ihres Vaters. Das Fenster schloss sich wieder und sie schenkte mir erneut ihren Blick.

»Kannst du die Scherben wegmachen? Am besten so, dass mein Vater es nicht sieht!«

Sie zwinkerte.

Ich hatte sie für eine zickige, so was wie eine verwöhnte Göre gehalten, doch ich musste zugeben, dass ihr lockeres und selbstbewusstes Auftreten mich beeindruckte.

»Ich kümmere mich darum. Und danke dir. Du bist echt … nett!«

Mir wurde flau im Magen.

Sie zwinkerte erneut, ehe sie sich umdrehte und zum Haupthaus schlenderte.

Nett? Komm schon, Luca, was für ein Idiot bist du eigentlich? Alles hätte ich in dieser Situation jetzt sagen können. Und dann ausgerechnet das?

Beschämt bückte ich mich zu den Scherben hinunter. Zum Glück war die Vase nur in fünf größere Stücke gebrochen. Sie war aus hochwertigem Porzellan und hatte kaum gesplittert. Ich zog ein Baumwolltuch aus meiner Hosentasche, um die kaputten Teile behutsam darin zu verstauen.

Völlig überraschend war mir beim Betrachten der Bruchstücke die Idee gekommen, sie zu reparieren. Natürlich würde sie im Wert nie wieder so hoch steigen, wie sie vor dem Unfall wahrscheinlich abgeschnitten hätte, doch mich beschlich das gute Gefühl, mit der Reparatur Sofia durchaus eine große Freude zu bereiten und meine Sympathie nach diesem peinlichen Vorfall bei ihr steigern zu können, war definitiv mein Plan.

Diese Chance wollte ich mir nicht entgehen lassen.

Kapitel 3 Sofia

Ich kostete den kalten Schaumwein, der mein Glas füllte. Natürlich war es einer von unseren Sorten. Er schmeckte lieblich süß, nach ganz reifen Früchten, mit leichter Minznote im Abgang. Mein Mund prickelte und sog den Geschmack derart intensiv auf, dass ich nicht anders konnte, als ein überraschtes »Mhh!« herauszubringen. Wir standen im Salon unseres Wohnhauses im Obergeschoss und ich fühlte mich nach langer Zeit endlich wieder richtig zu Hause.

»Der ist fantastisch, nicht wahr?«, stimmte mir auch Mama zu, als sie ihr Glas abstellte. Ich nickte zutreffend. Paps räusperte sich.

»Was haltet ihr heute Abend von einem Familienessen?«

Mama lächelte und auch ich begann zu grinsen. Bei der Vorstellung, in Ruhe und gemütlich mit meinen Eltern zu Abend zu essen, kam mir ein wohliger Schauer über den Rücken. Ich war so lange fort gewesen, dass ich ganz vergessen hatte, wie wunderschön meine Heimat war. Ich hatte alles vermisst. Meine Eltern, unser Haus und auch die paar Menschen, denen ich hier viel bedeutete.

Wir verabredeten uns für heute Abend um neunzehn Uhr und ich beschloss, meine Sachen erst einmal auszupacken. Vorsorglich hatte ich vor meinem Abschluss die ersten Klamotten bereits vorgeschickt, sodass ich nur noch das Nötigste bei meiner Heimreise mit mir führte.

Meine Sachen waren bereits in mein Zimmer gebracht worden. Ich brach dahin auf, als Mama und Papa mich noch einmal unterbrachen.

»Wir haben noch eine kleine Überraschung für dich«, trällerte Mama und grinste. »Sie wartet in deinem Zimmer.«

Aufgeregt eilte ich in mein Zimmer im obersten Stockwerk des Gebäudes. An der Treppe bog ich rechts ab und stand so wenig später vor der zweiten Tür im hinteren Flur. Ich öffnete es und trat ein. Meine Eltern hatten eindeutig übertrieben. Sie hatten mein Zimmer und die nebenan liegenden Zimmer, die mit den Jahren mehr und mehr als Lager für alte Sachen gedient hatten, zu einer kleinen Wohnung umgebaut.

Aus drei einzelnen Zimmern war eine wunderschöne Wohnung geworden. Ich betrat mein früheres Schlafzimmer, welches nun eine Art Eingangszimmer war.

Im hinteren linken Teil der Wohnung entdeckte ich das Badezimmer. Alles war in cremefarbenem Ton gehalten. Es gab eine Badewanne und eine ebenerdige Dusche.

Das Schlafzimmer wurde gekrönt von einem hohen, hellblauen Boxspringbett mit vielen Kissen und einer großen Decke. Es sah so bequem aus, dass ich es mir nicht nehmen ließ, es zu testen.

Es war herrlich, als ich auf die Kissen sprang und sanft in dem Polster versank. Gegenüber vom Bett war ein großer Kleiderschrank eingebaut. Er war so riesig, dass er die gesamte Wand verdeckte und eine Menge Platz bot. Das neue Schlafzimmer war im ehemaligen Gästezimmer untergebracht, und der Durchbruch für die Türen geschickt mit einem kleinen Korridor verbunden, sodass Badezimmer und Wohnbereich aus meinem alten Kinderzimmer entstanden sind.

Im Leben hatte ich mir nicht vorstellen können, dass dies möglich war und dass meine Eltern es all die Zeit vor mir geheim gehalten hatten.

Die bodentiefen Fenster neben dem Bett, vor denen ein leichter durchlässiger Vorhang wehte, verbargen den angrenzenden Balkon, der sich in Richtung Weinberge erstreckte. Ich erhob mich und trat zur Tür, um sie zu öffnen. Als ich heraustrat, wehte mir der Wind sanft um die Nase. Auf dem Balkon standen zwei Stühle und ein kleiner Tisch bereit. Sie luden zum gemütlichen abendlichen Ausruhen ein und waren direkt so gestellt, dass man den fantastischen Ausblick auf die Weinberge genießen konnte.

Unter dem Balkon befand sich der hintere Hof, in dem unsere Angestellten oft arbeiteten.

Plötzlich vernahm ich ein leises Rumpeln und beugte mich über die Brüstung.

War das Luca?

Ich duckte mich leicht und beobachtete ihn. Seine Statur war eher schlank und nicht allzu muskulös. Ich schätzte ihn auf ein Meter neunzig, er war wirklich recht groß und er trug sein braunes Haar schulterlang. Kurz hegte ich den Verdacht, dass er sich des Öfteren vielleicht einen Dutt machte, da er ein Haargummi am Arm getragen hatte.

Sein Blick, den er mir geschenkt hatte, war freundlich gewesen, sowie seine Augen, die mich tatsächlich kurzzeitig gefesselt hatten. So ein strahlendes, flammendes Grün hatte ich noch nie zuvor gesehen.

Wie alt er wohl sein mochte?

Dann klingelte es irgendwo. Aber nur kurz. Bis er sein Smartphone aus der Tasche zog.

»Ja, du weißt doch, dass ich arbeiten muss!«, raunte er ins Handy. Es war nicht gerade nett, jemanden so zu begrüßen, dachte ich. Aufmerksam hörte ich weiter zu, auch wenn ich wusste, dass ich gerade jemanden belauschte.

»Ich habe keine Ahnung, wann die Übergabe des Weingutes genau vonstattengehen soll. Ich weiß nur, dass die Tochter von ihm mittlerweile zurück ist.«

Mein Herz begann zu pochen. Sein flüsternder Ton und seine anmaßende Stimme, während er tatsächlich über mich sprach, versetzten mich in Aufregung. Was zum Himmel ging ihn das an?

Ich war verwundert.

Neugierig sah ich weiter zu, wie Luca das Handy wegpackte und auf einen Roller stieg. Er startete den Motor.

Auf dem vorderen Teil des Blechs erkannte ich einen Aufkleber eines sehr modernen geografischen Logos.

Das Restaurant an der unteren Dorfstraße, an dem wir heute Nachmittag vorbeigefahren waren?

Ich erkannte es direkt wieder. Arbeitete er etwa auch in dem Restaurant? Es war nicht sonderlich selten, dass Zeitarbeiter, die bei uns in der Erntezeit arbeiteten, mehrere Jobs annahmen, um über die Runden zu kommen. Doch Luca arbeitete schon seit ein paar Wochen hier, so wie ich das mitbekommen hatte, und dass, obwohl die Ernte noch längst nicht fällig war. Wieso hatte Paps ihn eingestellt? Und was war seine Aufgabe hier?

Mit einem knallenden Geräusch fuhr Luca auf dem Roller vom Hof. Er hatte den Rucksack geschultert und trug einen silbernen Helm. Ich sah ihm noch hinterher und grübelte, während er schon hinter der Hecke, die an der Hofeinfahrt angrenzte, verschwunden war.

Am Abend trat ich in den Salon, als Mama und Papa schon am Tisch saßen und freundlich zu mir blickten. Der Tisch war bereits gedeckt. Es roch herrlich nach frischem Gemüse, und die köstliche Ribollita, welche Nonna höchstwahrscheinlich wie immer nach dem alten bewährten Familienrezept gekocht hatte, stand auf der großen Tafel direkt vor meiner Nase.

»Das sieht aber köstlich aus«, stellte ich fest, als ich mich auf dem Stuhl vor Kopf niederließ.

Wir unterhielten uns, während wir aßen, über die Geschehnisse der letzten Jahre auf dem Weingut. Ich dachte immer noch an Luca und an das, was ich bei seinem Telefonat gehört hatte. Und weil ich nie lange ertragen konnte, etwas nicht zu wissen, fragte ich nach.

»Seit wann arbeitet eigentlich dieser Luca hier?«

Papa verstummte. Ich sah neugierig zwischen meinen Eltern hin und her und verstand das neu eingetretene Schweigen nicht. Mama räusperte sich schließlich.

»Er arbeitet seit sechs Monaten bei uns als Erntehelfer und nun ja … ein bisschen der Mann für alles. Reparaturen und kleinere Aufträge.«

»Das hat doch Paps immer übernommen. Für so was bräuchten wir nie jemanden einstellen«, erläuterte ich und war immer noch verwundert darüber. Mein Vater, Alberto Fontana, war ein absoluter Machertyp. Wenn er gekonnt hätte, hätte er schon früher lieber jede einzelne Traube vom Weinstock selbst abgepflückt, um sicherzugehen, dass auch alles nach bestem Gewissen vonstattengegangen war. Er war niemand, der einfach so Aufgaben abgeben könnte. Er war kein gewöhnlicher Chef gewesen, der im Büro saß und alles koordinierte. Er war eher die Art von Chef, der zusammen mit seinen Angestellten die Ernte einholte und tagelang auf den Weinbergen verbrachte, um hautnah dabei zu sein. Hatte sich das etwa geändert? Wieso sollte er jetzt jemanden einstellen, der gänzlich neu in der Stadt war und unsere Abläufe gar nicht kannte?

»Weißt du, Kleines. Ich musste letztes Jahr ein wenig kürzertreten. Es ist, denke ich, an der Zeit, dass wir dir sagen sollten, dass ich einen kleinen Herzinfarkt hatte«, hauchte Paps mit vorsichtiger Stimme.

»Was!«

Ich war schockiert. »Wann?«, fragte ich vorsichtig. »Mäuschen, wir konnten es dir nicht sagen. Du wärst sofort nach Hause gekommen und hättest dein Studium dann nicht beenden können. Wir wollten dich nur beschützen«, begründete Mama besorgt.

Ich bemerkte, wie Wut in mir aufkeimte. Wut über das, was sie versuchten, mir zu sagen. Dass sie entschieden hatten, nichts von Paps Zustand zu berichten, weil sie Angst hatten, mein Studium zu gefährden.

Was wäre nur gewesen, wenn Papa …, dachte ich, doch diesen Gedanken wollte und konnte ich nicht zulassen, ohne dass sich ein Kloß in meinem Hals bildete.

Mama sah mich besorgt an.

»Bist du okay, Kleines?«

Papa legte mir auch eine Hand auf den Arm. Ich wusste nicht, was schlimmer war in diesem Moment. Belogen worden zu sein oder, dass sie mit der Tatsache vielleicht Recht gehabt hätten.

Ich hätte mein Studium abgebrochen, wenn ich von Paps Zustand gewusst hätte.

So viel war sicher, und es überraschte mich, wie gut mich meine Eltern wirklich kannten, auch wenn ich jahrelang weggewesen war und sie mich im Gegenzug immer wieder überraschten.

Kapitel 4 Luca

Luca, du bist ein verdammter Vollidiot, dachte ich, als ich die Straße entlangfuhr, um nach Hause zu fahren. Wieso musste ausgerechnet heute, an dem Tag der Rückkehr von Sofia Fontana, mir so ein kostspieliges Missgeschick passieren? Dad würde mir den Kopf abreißen, wenn ich ihm das mit der Vase erzählte. Deshalb beschloss ich, dies vorerst für mich zu behalten.

Meinen Roller stellte ich neben dem Hintereingang des Restaurants ab und stieß die klapprige Tür zur Küche auf. Einige unserer Angestellten waren am Kochen und Vorbereiten. Unseren Küchenchef, dessen Namen mir immer wieder entfiel, saß an der Seite an einem klapprigen Tisch und studierte die Speisekarte.

Ich durchquerte die Küche, ohne dass mir jemand einen auffälligen Blick schenkte, weshalb ich es ihnen gleichtat. Ich hatte mit den meisten Leuten, die hier arbeiteten, eh nichts am Hut. Genauso wenig wie ich am liebsten mit der ganzen Sache zwischen meinem Dad und den Fontanas was am Hut gehabt hätte, doch vor knapp einem halben Jahr hatte ich mich leider wie von selbst in diese missliche Lage gebracht, aus der ich nun nicht mehr herauskam. Es geschah kurz nach der Übergabe des Grundstücks für Dads Restaurant. Mir war es sofort komisch vorgekommen, dass ein so einflussreicher und absolut charismatischer und schneidiger Mann wie Signore Fontana meinem Dad ein Stück Land überließ, damit der Parkplatz, der neben dem Restaurant angrenzen sollte, einiges an Fläche dazugewinnen konnte.

Was hatte der Mann davon gehabt, einem fremden Menschen ein Stück Land zu schenken?

Ohne Gegenleistung?

Damals hatte ich noch nicht die ganze Wahrheit gekannt. Dass Dad in Wirklichkeit kein Fremder war und die beiden sich aus früheren Jahren mit dunklen Ereignissen der Vergangenheit kannten. Was genau damals vorgefallen war, wollte Dad mir nie verraten, dennoch machte er kein Hehl daraus, dass es ihm mehr als zuwider war, als ich das Jobangebot annahm.

Seitdem hatte Dad nie auch nur ein gutes Wort über das Weingut oder die Fontanas verloren. Obwohl er ein Stück Land von ihnen geschenkt bekam, redete er abfällig über die Familie und ließ mich im Glauben, dass sie allesamt schlechte Leute seien.

Ich hingegen war daran interessiert, Geld zu verdienen, und selbst wenn ich vor der Einstellung auf dem Gut von diesen geheimnisvollen Ereignissen der Vergangenheit gewusst hätte, hätte ich mich dennoch nicht abschrecken lassen.

Als wir den Bau des Restaurants begonnen hatten, hatte auch Signore Fontana sich bei uns als Nachbar vorgestellt und natürlich Dad wiedererkannt. Dad hatte mir erzählt, dass die Schenkung des Stück Landes aus reinem schlechten Gewissen über die Bühne gegangen war, womit für mich das Thema dann erledigt zu sein schien.

Er hatte es trotzdem immer wieder versucht, mich zu zwingen, meine Arbeit auf dem Weingut zu kündigen, doch ich ließ mir nicht gerne vorschreiben, wie ich mein Leben zu leben hatte, und mir war viel daran gelegen, mein eigenes Geld zu verdienen, um mir eines Tages meinen Traum erfüllen zu können.

Mein eigenes italienisches Café.

Kaffee war mein Lebensinhalt. Egal welche Röstung, welche Sorte oder die Art der Zubereitung es gab, beherrschte ich sie alle. All das Wissen darüber hatte ich mir in Apulien, da, wo wir lange Zeit vor der Rückkehr nach Casalia gelebt hatten, selbst beigebracht. Wenn andere Kinder und Jugendliche in meinem Alter nach der Schule im Park oder am Strand abhingen, war ich stets nur an einem Ort anzutreffen gewesen. Im Café meiner Nachbarin Rosa.

Ich liebte es. Es war mein Traum, als Barista mein eigenes kleines Café zu betreiben und meine Kunden damit genauso glücklich zu machen, wie es mich machte.

Doch mittlerweile war ich achtundzwanzig und hatte bis auf meinen Abschluss an der Universität nicht viel vorzuweisen.

Ich wollte so viel mehr sein, als ich war, doch oft genug stand mir mein gegenwärtiges Ich im Weg und die Tatsache, dass ich ohne Geld in Dads Welt gefangen war.

Ich durchquerte den Gästeraum und bog nach links ein, um zum Büro von Dad zu gelangen. Nach meinem Klopfen an der braunen Eichentür vernahm ich ein mürrisches »Herein!«

Es klang wie immer kalt und launisch.

»Hallo Dad, wie war dein Tag?«, fragte ich übertrieben gut gelaunt, obwohl mir auch lieber nach Meckern und Fluchen zumute war.

»Na, wie war es? Schön, für den alten Fontana die Scheiße zu schieben, was?«, zog er mich auf. Dad hockte an seinem Schreibtisch und blätterte in einem Stapel Rechnungen. Immer wieder leckte er seinen rechten Zeigefinger an, um die Blätter beim Durchsuchen von den Seiten zu lösen.

»Dad, ich weiß, dass du nicht viel von ihnen hältst, aber ich arbeite sehr gerne dort.«

»Pah!«, entgegnete er und zog die Schulter siegessicher in die Höhe.

Mein Dad war ein alter, verbitterter Mann. So könnte man ihn am ehesten beschreiben, wenn man es in einem Satz bringen sollte. Er hatte meistens nie einen netten, sondern eher einen vulgären Spruch auf Lager und machte sich nichts aus Emotionalitäten und Feinfühligkeit. Er hatte sein ganzes Leben lang für seinen Traum gekämpft. Und nun, mit knapp sechzig Jahren, konnte er sich als erfolgreichen Restaurantbesitzer betiteln.

In dieser Sache war er mein Vorbild.

Ehrgeiz.

Es war zwar die einzige Sache, die ich mir an ihm zum Vorbild nahm, denn auch wenn ich sein einziges Kind war und vielleicht sogar die einzige Bezugsperson in seinem Leben, die er noch hatte, war ich mir sicher, dass er einen scheußlichschlechten Charakter besaß. Er wollte einfach nichts mit Menschen zu tun haben. Er war verbittert geworden. Aufgrund vieler Ereignisse in seinem Leben, die ihn vor harte Prüfungen gestellt hatten, war er zu einem emotionslosen Klotz verwirkt, mit harter Schale ohne weichen Kern, sondern innerlich leer und einsam.

Ich besaß eine gute Menschenkenntnis, um zu verstehen, was mit ihm los war. Doch wenn ich ehrlich war, hatte ich ihn nie als einen liebenden Vater gesehen. Er war ein Vater, der seine Kraft für die eigenen Ziele genutzt hatte.

In diesem Strom war ich gezwungen gewesen, mitzutreiben, mein bisheriges Leben lang. Doch jede Sekunde, die verging, betete ich, dass ich nun bald endlich den Absprung schaffen würde.

Kapitel 5 Sofia

Das Gefühl, nach langer Zeit wieder in Casalia, noch dazu in meiner eigenen, frisch renovierten Wohnung aufzuwachen, war das Beste, was ich mir am nächsten Morgen hätte vorstellen können. Es war bereits halb neun. Ich hatte gut geschlafen und freute mich heute auf das gemeinsame Arbeitstreffen mit Paps, um endlich loszulegen. In drei Monaten würde ich das Weingut übernehmen, wenn die Übertragung bis dahin reibungslos über die Bühne ging. Es war ausnahmslos an vieles zu denken. Ich war natürlich mit den groben Abläufen auf dem Weingut vertraut, dennoch wartete auf mich einiges an Arbeit.

Schwungvoll stand ich aus dem Bett auf und zog mir ein leichtes, elegantes Sommerkleid an, welches hellblau seidig schimmerte. Es war mit einem V-Ausschnitt versehen, was meine Oberweite gut betonte.