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Reif für die Insel.
Cinderella fühlt sich vom Pech verfolgt. Sie ist pleite, der Vater ihres Kindes hat sie verlassen, doch sie plant einen neuen Anfang: ausgerechnet auf Sylt. Aller Anfang ist jedoch schwer. Sie hat kein Geld für eine Unterkunft und findet nur einen Job als Zimmermädchen. Und Tommy, ihr fünfjähriger Sohn, ist auch nicht immer ein Quell der Freude. Der Junge will etwas, das alle Kinder haben: einen richtigen Vater. Weil Cinderella sich geschworen hat, nie wieder einen Mann anzuschauen, schaltet sie kurz entschlossen eine Anzeige: "Vaterrolle auf Vierhundert-Euro-Basis" zu vergeben. Damit nehmen die amourösen Verwicklungen ihren Lauf ...
Eine anrührende Liebesgeschichte – nicht nur für Sylt-Fans!
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Seitenzahl: 245
Emma Bieling
Cinderella auf Sylt
Roman
ISBN 978-3-8412-0391-5
Aufbau Digital,
veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, März 2012
© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin
Die Originalausgabe erschien 2012 bei Aufbau Taschenbuch,
einer Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über dasInternet.
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Innentitel
Inhaltsübersicht
Informationen zum Buch
Informationen zur Autorin
Impressum
Sylt, ich komme!
Aller Anfang ist schwer
Unverhofft kommt oft
Auf zum Personalbüro!
Zukunft ahoi
Achtung, Zimmerservice!
Nur für Senioren
Ein charmantes Ups
Krieg im Zwergenland
Endlich Feierabend
Ein Stück vom Glück
Auf vergangenen Spuren
Prinzen verboten
Nichts als Sorgen
Ein Anrufer namens Moritz
Das Drei-Stunden-Papa-Date
Eine verhängnisvolle Entscheidung
Unerwünschter Besuch
Herzklopfen
Ein Froschkönig ohnegleichen
Der Doppelgänger
Ein Geschenk des Himmels
Der Jöölboom
Wie gewonnen, so zerronnen
Lügen haben braune Augen
Goodbye, my Love!
Ehe-AGBs, gibt’s die?
Für alle Cinderellas dieser Welt
Mein Dank gilt…
… meinem Sohn, der mich zu dieser Geschichte inspirierte,
Helga Glaesener, die mir immer mit Rat zur Seite stand,
sowie Dirk Meynecke für die engelsgleiche
Geduld mit mir.
Danke!
»Sehr geehrte Zug-Gäste, in wenigen Minuten erreichen wir den Bahnhof von Westerland.« Cinderella blickte aus dem Fenster des Zugabteils, aber sie konnte einfach nichts erkennen. Weder das Meer noch die endlos langen Sandstrände. Draußen war es finster, und auch der Mond schien sich an diesem Sommertag frei genommen zu haben. Nur ab und zu huschten ein paar Lichter vorbei, die kurz darauf im Dunkel der Nacht wieder verschwanden.
Tommy schlief seelenruhig und fest. Sein Kopf lag auf ihren Schoß gebettet, und in seinen Armen hielt er Lumpi, seinen Plüschhasen. Behutsam zog Cinderella das liebgewonnene Stofftier aus dem Klammergriff ihres Sohnes. Lumpi sollte beim Aussteigen keinesfalls verloren gehen. Nicht jetzt, nachdem sie ihn unter Einsatz ihrer ganzen Kräfte aus dem Abfluss ihres Toilettenbeckens geborgen hatte. Cinderella musste bei diesem Gedanken schmunzeln. Tommy hatte doch tatsächlich versucht, das hilflose Häschen hinunterzuspülen. Und das nur, weil ihre Stiefschwester ihm erzählt hatte, dass Jungen, die mit Kuscheltieren spielen, ewig klein bleiben und später als Gartenzwerge arbeiten müssen. Dabei war das noch eine von Sandras harmlosesten Gemeinheiten.
Cinderella betrachtete Lumpi genauer. Sie hatte ihn kurz vor Reiseantritt einer Intensiv-Wäsche unterzogen, um etwaige Reste seines unfreiwilligen Tauchganges zu beseitigen. Jetzt strahlte er wieder im Taubenblau und roch frisch wie der Frühling. Nur seine Ohren schienen etwas kürzer geworden zu sein. Lumpi war also gewissermaßen zum Kurzohrhasen mutiert und ebenso reif für die Insel wie sie.
Der Zug wurde langsamer, und in die Abteile kehrte zunehmend Leben ein. Cinderella rüttelte Tommy wach. »He, kleine Schlafmütze, aufwachen.« Er streckte sich und gähnte. »Mama, sind wir auf der Insel?«
Sie nickte, ohne aufzublicken, konzentriert darauf, Lumpi in eine der Reisetaschen zu quetschen. Tommy, der fast die ganze Fahrt verschlafen hatte, wippte von einem Bein aufs andere.
»Mama, ich muss mal.«
»Was, jetzt?«
»Ja, ganz doll.«
Cinderella holte tief Luft und ignorierte die Information über das gerade sehr unpassende Bedürfnis ihres Sohnes. Der Zug ruckte unterdessen und blieb stehen. »Werte Gäste, wir haben soeben den Bahnhof von Westerland erreicht. Wir hoffen, dass sie eine angenehme Fahrt hatten, und wünschen ihnen einen schönen Aufenthalt vor Ort.«
»Mama, ich muss wirklich ganz doll«, quengelte er weiter.
Cinderella warf ihm einen bösen Blick zu. »Später, Tommy.«
»Ich will aber jetzt aufs Klo.«
Dabei stampfte er mit seinem Fuß auf. Cinderella griff Tommy am Arm und zog ihn zu sich heran. Aber noch ehe sie ihm einen Vortrag über »Ich-will-Sätze« halten konnte, brachte sich eine der älteren Damen ein, die ihr seit Stunden stumm gegenübersaßen.
»Da vorne, junge Frau, da sind die Toiletten«, sagte sie und zeigte mit ihrem Gehstock in Richtung Örtlichkeit …
Das fehlt mir gerade noch, dachte Cinderella.
Wahrscheinlich würde Tommy ewig brauchen, der Zug weiterfahren und sie letztendlich irgendwo im Nirgendwo landen. Nein! Das wollte sie nicht riskieren. Nicht mit einhundertsiebenundachtzig Euro im Gepäck und den geographischen Kenntnissen eines Erdkunde-Muffels.
»Vielen Dank, aber bis zur Bahnhofstoilette hält er noch durch.«
Cinderella nahm ihr Gepäck, verabschiedete sich und drückte Tommy aus dem Abteil hinaus. Die älteren Damen folgten mit einem Kopfschütteln.
Wahrscheinlich waren sie früher bessere Mütter gewesen. Aber sie hatten bestimmt auch keinen Mann wie Mike – einen singenden Berufsträumer, der sich im Nebenzimmer mit ihrer jüngeren Schwester vergnügte. Als wenn Cinderella das nie gemerkt hätte.
Mit vier übergroßen Reisetaschen und einem bockigen Fünfjährigen im Schlepp drängte sie sich zu einer der Zugtüren. Gleich würde sie das erste Mal auf den Boden einer Insel treten – ihrer Trauminsel. Cinderella schob Tommy vorneweg die Tür hinaus. Sie konnte es kaum erwarten. Sylt, ich komme!
Voller Andacht trat sie auf den Bahnsteig und wurde vom Sturm erfasst. Erschrocken ließ sie die Taschen fallen, um ihren Sohn festzuhalten. Was zur Folge hatte, dass der Wind unter ihr Kleid fuhr und es in die Höhe riss. Wie ein bunter Fallschirm flatterte es vor ihrem Gesicht hin und her. Cinderella hatte keine Wahl. Tommy oder die Zur-Schaustellung ihrer Unterwäsche. Sie umklammerte schützend ihr Kind und blickte sich um. Irgendwo musste es doch eine windgeschützte Ecke geben? Einige Meter entfernt stand eine Bank, direkt neben einem Zeitungskiosk. Sturmsicher genug, um auszuruhen und das Kleid mit einem einfachen Trick sylttauglich zu machen.
Nachdem Tommy etliche Liter Limonade auf dem Bahnhofsklo gelassen hatte, half er seiner Mutter, die Reisetaschen auf einen der herumstehenden Gepäckwagen zu stapeln.
Fröhlich gestimmt, setzten sich beide Richtung Westerland in Bewegung. Aber eines der Gepäckwagenräder blockierte, ein anderes wirbelte im Kreis herum.
Tommy zerrte mit ganzer Kraft am Wagen, worauf der in Fahrt kam und geradewegs gegen einen Taxifahrer rollte, der an sein Auto gelehnt dastand.
»Passen Sie doch auf!«
»Verzeihen Sie, aber dieser Wagen macht, was er will«, entschuldigte sich Cinderella.
Der Mann grinste und schnippte den Rest seiner Zigarette weg. »Na, so ein blödes Ding. Kann ich Ihnen vielleicht helfen?«
»Sie könnten mir sagen, wie weit es bis zum ersten Hotel ist?«
»Das Sylter-Dream?«
»Weiß nicht – einfach das erste.«
»Ist gleich da vorne rechts. Aber wenn Sie nicht reserviert haben, besteht null Chance. Alles ausgebucht, selbst in Tinnum und Kampen.«
Cinderella seufzte auf. Wie hatte sie nur denken können, dass ausgerechnet Sylt auf sie gewartet hatte! Sie – das Aschenbrödel der Neuzeit.
Ach, wenn doch Oma Trautchen noch leben würde.
Gewiss wäre ihr diese Dummheit dann erspart geblieben. Einfach wegzurennen vor den heimischen Problemen, um auf einer Insel das Glück zu suchen. Wie albern und unreif, hätte ihre Großmutter sie geschimpft. Ihr hatte sie auch diesen scheußlichen Namen zu verdanken, den Cinderella zu gerne gegen einen üblichen Vornamen getauscht hätte. Aber sie musste ihrer Oma am Sterbebett versprechen, dass sie immer Cinderella heißen würde. Und nun stand sie inmitten ihrer neuen Wahlheimat, und das Pech klebte an ihr wie dieser Name.
Der Taxifahrer steckte eine neue Zigarette an und kratzte sich seinen Dreitagebart. »Mm …,Burghotel Sylter Sand. Da könnten Sie eventuell noch Glück haben.«
Cinderella schöpfte neuen Mut. »Wirklich?«
»Ja, ich kenne den Portier dieser übergroßen Luxus-Sandburg.«
»Sandburg?«
»Völlig verrückt, oder? Aber ich sage Ihnen, dieses Hotel ist seit seiner Eröffnung das beliebteste auf Sylt. Ein Hotel in Form einer Sandburg zu bauen … Eine verrückte Idee.« Er zog sein Handy aus der Hosentasche und drückte sich durchs Menü. »Soll ich für Sie mal anfragen?«
»Das wäre gewissermaßen meine Rettung.«
Nach und nach kehrte ihr Lächeln zurück. Vielleicht hatte sie ja doch mal ein bisschen Glück in all dem Unglück. Tatsächlich gab es noch eine freie Juniorsuite.
»Haben Sie tausend Dank. Sie haben uns …, wie soll ich sagen, vor einer Nacht auf der Bahnhofsbank bewahrt.« Dabei strich sie Tommy übers Haar. Er wirkte müde und musste dringend in ein Bett.
Der Taxifahrer schmunzelte. »Für eine hübsche Touristin tue ich fast alles.«
»Nein, ich bin nicht auf Urlaub. Eher eine spontane Neu-Sylterin.«
»Sie wollen auf Sylt bleiben?«
»Das habe ich vor.«
»Dann sieht man sich womöglich öfter? Ich meine hier auf der Insel.«
»Gut möglich.« Cinderella wich seinen Blicken aus und griff nach dem Gepäckwagen. »Sagen Sie mir noch, in welche Richtung ich muss?«
Der Mann lachte. »Sie wollen doch nicht etwa mit diesem Klapperding und ihrem Sohn bis List laufen?«
Röte stieg ihr ins Gesicht. »Wieso nicht?«
»Zwanzig Kilometer im Dunkeln? Nein! Ich glaube, Sie sollten mir lieber ihr Gepäck überlassen und ins Auto steigen.«
Cinderella zögerte. Zwanzig Kilometer klangen nach einer verdammt hohen Taxirechnung. Nein! Sie musste ihr Geld zusammenhalten und eine günstigere Alternative finden.
»Ach, wissen Sie, wir nehmen lieber den Bus. Stimmt’s, Tommy?«
Tommy nickte. »O ja, Busfahren ist cool.«
»Dann müssen Sie aber diese Nacht doch mit einer Bank vorliebnehmen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Der letzte Bus ist weg. Und der nächste fährt erst in einigen Stunden.«
In einigen Stunden?
Cinderella schluckte. »Dann werden wir diese Gelegenheit nutzen, um die Insel besser kennenzulernen und laufen.«
Was waren schon zwanzig Mal eintausend Meter? Gerade mal doppelt soviel wie ihr bisheriger Weg zur Arbeit – der Änderungsschneiderei ihrer Stiefmutter. Und dieser Fußmarsch würde sie auf andere Gedanken bringen.
Der Taxifahrer schüttelte verständnislos den Kopf. »Mitten in der Nacht und mit einem Kind? Nun steigen Sie schon ein. Die Wetterfrösche haben Sturmböen vorausgequakt. Und ich berechne auch nur einen Zehner.«
Sie lachte verlegen. »Die Wetterfrösche?«
»Ja. Und die Meteorologen meinen das auch.«
Er öffnete die Hintertür seines Taxis. »Und?«
Cinderella nickte und wies Tommy an einzusteigen. Und während sie den Antisturm-Knoten in ihrem Kleid löste, um das Auto besteigen zu können, verstaute der Taxi-Mann das Gepäck im Kofferraum.
Wenig später kamen sie vor dem Hotel an. Der Taxifahrer blickte in den Rückspiegel. »Darf ich Sie an etwas erinnern?«
Cinderella zückte sofort ihre Geldbörse und hielt ihm einen Zehner entgegen. Er griff danach. »Danke! Aber ich meinte eigentlich Ihr Kleid.«
»Bitte wie?«
»Sie sollten besser diesen witzigen Knoten wieder hineinmachen. Ich dachte ja nur, wegen der starken Brise da draußen.«
Sie lächelte verschämt. »Ja, das sollte ich wohl.«
Draußen wehte ein kühler Nordwind ohne jegliches Mitleid für dauerfröstelnde Großstädter. Im Gegensatz zu Cinderella zeigte Tommy keinerlei Sturmsymptome. Er schien inselwettertauglich zu sein und rannte vorneweg. Cinderella folgte ihm staunend. Vor ihren Augen tat sich ein wahrer Burgpalast auf – prachtvoll und groß, ähnlich den Schlössern aus Großmutters Märchen. Der Name des Hotels leuchtete weit ins Dunkel der Nacht hinaus.
Tommy ergriff ihre Hand. »Ohhh! Guck mal, Mama, ein Sandeimerchen.«
»Ein Sandeimerchen?«
»Ja, dort.«
Sie blickte sich um. Einige Meter entfernt ragte ein übergroßer Nachbau eines Sandeimers aus dem Inselboden empor. Daneben ein ebenso riesiges Schippchen. Fasziniert trat sie näher heran. So etwas hatte sie noch nie gesehen.
Tommy rüttelte an ihrem Arm. »Ist das zum Spielen?«
Cinderella kicherte. »Ich glaube nicht.«
»Du, Mama, können wir hier nicht immer wohnen?«
Seine Augen funkelten heller als die Sterne am Himmel. Und er schien glücklich zu sein – nach langer Zeit das erste Mal. Sie beugte sich herab. »Nur zwei, drei Tage, mein Schatz. Aber ich verspreche, wir finden eine schöne Wohnung.« Sie drückte ihm ein Küsschen auf die Wange und ging hinein.
Im Innern war alles modern, aber dennoch wohltuend harmonisch. Die gedämpfte Beleuchtung spiegelte sich in der goldverzierten Umrandung des Empfanges wider und verlieh der Räumlichkeit einen Hauch Nostalgie. Alles war perfekt, ja fast noch schöner als in Cinderellas Vorstellungen. So viel Luxus kannte sie nur aus Magazinen. Hinter dem Empfangstresen stand ein freundlich blickender Herr im Anzug. Sein graumeliertes Haar war streng nach hinten gekämmt. Als er Cinderella sah, trat er hervor.
»Ich heiße Sie herzlich im Sylter Sand willkommen.« Dann wandte er sich Tommy zu. »Mag der kleine Mann einen Begrüßungslutscher?«
Wortlos griff Tommy nach der glitzernd verpackten Süßigkeit.
Der Taxifahrer brachte derweil das Gepäck.
»Moin, Moin, Johannes.«
»Sei gegrüßt, Hans-Werner. Was macht die werte Familie?«
»Alles im Lot. Und selbst?«
»Auch Hans-Werner, auch.«
»Freut mich zu hören. Moment …« Das Klingeln seines Handys unterbrach das Gespräch.
»Tut mir leid, Johannes, aber die Arbeit ruft.« Der Taxifahrer verabschiedete sich, wünschte Cinderella viel Glück und verließ fröhlich vor sich hin pfeifend das Hotel. Der Portier ging zurück hinter den Tresen. »Sie haben großes Glück. Die Juniorsuite ist vor drei Stunden abbestellt worden. Eine wirklich außergewöhnliche Suite mit Blick aufs Meer.«
»Oh, fantastisch«, freute sich Cinderella.
»Ja, das ist sie in der Tat. Und ich kann Sie Ihnen zum Preis eines Einzelzimmers anbieten. »
Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Wahrscheinlich hätte diese Juniorsuite ihre gesamten Finanzen verschlungen – auf einen Schlag.
»Das ist nett von Ihnen. Vielen Dank.«
Er lächelte. »Ich benötige lediglich ihren Namen.«
»Cinderella Preußer.«
Während der Portier das elektronische Anmeldeformular im Ein-Finger-Flug-System ausfüllte, sah sie sich die Fotos an, die hübsch drapiert an den Wänden hingen. Auf jedem von ihnen war das Strandhotel.
»Wie zahlen Sie? Visa, MasterCard oder American Express?«
»Ich würde lieber in bar bezahlen.«
»Sehr gerne. Dann müsste ich allerdings auf Vorauszahlung bestehen.
»Kein Problem.«
»Gut. Und wie lange möchten Sie bleiben?«
»Könnte ich erstmal …, na ja, für eine Nacht einchecken und eventuell morgen verlängern?«
Er blickte etwas skeptisch über den Rand seiner Brille. »Wie Sie wünschen.«
Dann musterte er Tommy. »Kinder bis fünf kosten nur einen geringen Aufschlag. Unser junger Mann ist doch bestimmt nicht älter?«
»Nein. Er ist fünf.«
»Gut. Dann wären das vierhundertsechs Euro.«
Vierhundertsechs? Er muss sich versprochen haben. Ganz sicher hat er das!
Cinderella tastete in ihrer Handtasche umher. »Entschuldigung, was bekommen Sie von mir?«
Der Portier räusperte sich. »Genau vierhundertsechs Euro.«
Entsetzt über den hohen Preis kramte sie noch tiefer in ihrer Handtasche herum. Diese Suite war tatsächlich noch teurer als die Monatsmiete ihrer Wohnung in Halle an der Saale. Immerhin drei Zimmer im topsanierten Plattenbau, mit Balkon und grüner Aussicht.
Was, um alles in der Welt, soll ich jetzt tun?
Verzweiflung kam auf. Tommy saß todmüde auf einer der Reisetaschen. Sein Kopf war gegen die Wand gelehnt, und seine Augen waren halb geschlossen. Er brauchte dringend einen Platz zum Schlafen.
Okay! Ich kann behaupten, ich hätte meine Börse verloren und bezahle später. Oder mit Karte bezahlen und darauf hoffen, dass Kindergeld und Kulanz meiner Bank mich aus dieser peinlichen Situation befreien.
Kleine Schweißperlen drückten sich aus jeder Pore ihres Körpers. Nein! Mit einer Lüge wollte Cinderella ihr neues Leben nicht beginnen. Aber die Wahrheit konnte sie auch nicht preisgeben. Sie legte die Geldkarte ihres Girokontos auf den Tresen.
»Kann ich vielleicht auch hiermit zahlen?«
Der Portier schmunzelte verschmitzt. »Das tut mir sehr leid, aber wir akzeptieren nur die erwähnten Kreditkarten. In diesem Fall muss ich auf Barzahlung bestehen. Sie können jedoch gerne den Geldautomaten drüben neben dem Eingang nutzen.«
Sein linker Arm wies die Richtung, während er kritisch den Knoten ihres Kleides betrachtete. Ein flaues Gefühl überkam sie, als sie sich dem Geldautomaten näherte.
Bitte lass das Kindergeld drauf sein!
Mit einem schlürfenden Geräusch saugte der Schlitz die Geldkarte ein. Dann war für einige Sekunde Stille. Cinderella wurde unruhig.
Komm, mach schon! Bitte!
Aber anstatt der üblichen Monitoranzeige wies die herzlose Finanzmaschine darauf hin, dass von ihrem Konto keine Zahlungsverfügung möglich sei – mit dem Hinweis, sich an ihre zuständige Filiale zu wenden.
Was? Gib sofort meine Karte zurück!
Wütend drückte sie auf den Tasten herum. Aber ohne Erfolg. Die Karte blieb verschwunden.
Der Portier blickte zu ihr herüber. »Gibt es ein Problem?«
»Nein! Ich meine ja. Ach ich weeß och nich.«
»Kann ich Ihnen vielleicht helfen?«, fragte er freundlich, aber bestimmend. Cinderella schüttelte den Kopf. »Ich glob nich. Meine Karte …, der Automat hatse eenfach jeschluckt.« Panik stieg auf, und ihr Herz raste. Der Portier stellte unterdessen eine Tasse Kaffee auf den Tisch der Hotel-Lobby. »Ich schlage vor, Sie legen den kleinen Mann erst einmal auf das Sofa hier und trinken einen Kaffee.« Dabei klopfte er auf das Sitzmöbel. Cinderella blickte hinüber zu ihrem Sohn. Er hatte recht. Tommy hing leicht Backbord und drohte jeden Moment zu kippen. Sie nickte dem Portier dankbar zu. Einige Minuten später brachte er noch eine Decke für Tommy.
»Darf ich fragen, aus welcher Region von Sachsen-Anhalt Sie kommen?«
Cinderella war überrascht. Wie konnte er das wissen? Wo sie sich doch fest vorgenommen hatte, hochdeutsch zu sprechen.
O je, ich habe gesächselt!
»Halle an der Saale«, sagte sie peinlich berührt.
»Ah ja, die Stadt der Halloren.«
»Sie kennen Halle?«
»Nicht persönlich. Aber die leckeren Pralinenkugeln schon. Eine wirklich schmackhafte Köstlichkeit. Passt wundervoll zu einer guten Tasse Tee.«
»Ja, ich mag sie auch. Und danke für die Decke.«
Er lächelte. »Sie sollten sich vielleicht auch etwas ausruhen, es ihrem Sohn gleichtun. Vor acht Uhr können Sie sowieso nichts klären. »
Schlafen in der Lobby? Niemals!
Sie brauchte keinen Schlaf, da war sie sich sicher. Nicht bevor sie einen Job und eine bezahlbare Unterkunft gefunden hatte.
»Nein, ich bin nicht müde. Aber können Sie mir sagen, wo ich eine Zeitung mit Anzeigenmarkt herbekomme?«
»Suchen Sie denn etwas Spezielles?«
»Ja. Ich möchte gerne auf Sylt bleiben und suche eine kleine Wohnung.«
»Ah ja, dann benötigen Sie den Immobilienmarkt. Moment, den kann ich Ihnen bringen.«
»Ach und könnten Sie mir eventuell auch den Stellenmarkt …, ich meine, nur wenn Sie ihn nicht brauchen«, fügte Cinderella leise hinzu.
»Aber natürlich. Ich denke, dass ich auf diesen Teil verzichten kann.«
Der Portier wandte sich ab. Minuten später brachte er den gewünschten Anzeigenmarkt und eine weitere Tasse Kaffee. Dann verschwand er im Hinterzimmer des Empfangs.
Das Gebrüll zweier Kinder weckte Cinderella auf. Noch etwas benommen, blickte sie sich um. Wo war der Portier? An seiner Stelle stand eine junge Blondine hinter dem edlen Empfangsbereich aus Mahagoniholz und verabschiedete eine holländische Gastfamilie.
O Gott, die Bank. Wie spät war es?
Cinderella sprang auf und betastete ihren Mund. Den ungewöhnlich starken Speichelfluss hatte Tommy von ihr geerbt. Keinesfalls wollte sie mit einem Sabberfleck im Gesicht der hübschen Rezeptionistin gegenübertreten. Nein! Schließlich war sie jetzt auf Sylt. Und sie war eine vollkommen neue Cinderella.
Tommy schlief noch seelenruhig. Blieb also genug Zeit, die Bank zu kontaktieren und das Geheimnis der geschluckten Karte zu lüften. Ihr Kleid sah etwas zerknittert aus. Cinderella fuhr mit ihren Händen darüber und versuchte die Spuren der ungewöhnlichen Nacht zu beseitigen. Mit geringem Erfolg. Dieser Stoff hatte die Eigenschaft von sechzigjähriger Gesichtshaut. Waren die Falten erst einmal drin, bekam man sie ohne technische Tricks nie wieder raus.
Mit leicht zerzaustem Haar und einem prägnanten Sommer-Outfit schlurfte Cinderella zum Empfangstresen. »Verzeihen Sie – darf ich Ihr Telefon benutzen?«
»Selbstverständlich«, erwiderte die auffällige Tresenschönheit.
Cinderella tippte hastig die Nummer ihrer Bankfiliale ein. Gleich würde sich ihre finanzielle Notlage in Wohlgefallen auflösen. Ganz gewiss! Ein Mann mit der Stimme eines Eunuchen meldete sich freundlich und fragte nach ihrem Anliegen.
Schon wieder ein Neuer?
Sie schilderte das peinliche Geschehnis am Geldautomaten.
»Tut mir leid, Frau Preußer. Da kann ich Ihnen nicht helfen. Am besten Sie kommen vorbei und sprechen beim Leiter persönlich vor«, piepste der Banker in den Hörer.
»Persönlich? Ich bin nicht vor Ort, sondern auf Sylt. Und ich brauche dringend meine Karte zurück.«
»Auf Sylt? Verstehe! Ich verbinde. Bitte bleiben Sie am Apparat.«
Unterdessen checkte ein älteres Pärchen aus, das nach einem Taxi zum Bahnhof verlangte.
»Sowie die junge Dame ihr Telefongespräch beendet hat, rufe ich einen Wagen für Sie«, verkündete die gut gestylte Hotelblondine lautstark und wies mit der Hand zum Telefon.
Cinderella wurde nervös. Noch immer hing sie in der Warteschleife.
Nun mach schon, geh ran!
Sie konnte den Unmut der Wartenden regelrecht spüren.
Minuten später hatte Cinderella eine Antwort. Und sie gefiel ihr überhaupt nicht. Der Filialleiter erklärte ihr in wenigen Sätzen, dass ihr Konto astronomisch überzogen war und gesperrt wurde. Sie knallte den Hörer auf die Kabel.
Mike, du verdammter Dreckskerl!
An Mikes Kontoverfügung hatte sie nicht gedacht. Erst recht nicht, sie zu kündigen. Weshalb auch? Schließlich wollten sie heiraten und zusammen alt werden. Da war es doch völlig normal, dass man sich ein Konto teilte. Oder etwa nicht? Und nun das!
Cinderella schlich zurück zur Lobby und ließ sich in einen der Sessel fallen. Ihre Probleme waren gerade zu einem Mount Everest herangewachsen. Schlagartig wurde ihr bewusst, dass sie ihrer Vergangenheit nicht so einfach entkommen konnte, ohne noch einmal darin einzutauchen.
Tommy äugte aus einem kleinen Spalt der Decke hervor. »Mama, gibt’s was zu essen?«
Er hatte recht! Vor lauter Sorgen hatte sie gar nicht bemerkt, dass auch ihr der Magen knurrte.
»Komm, Tommy, wir gehen frühstücken.«
»O ja! Ich will einen Krabbenburger.«
Sie half ihm aufstehen und ordnete mit den Fingern sein Haar. »Wie oft muss ich dir noch sagen, dass es keine Krabbenburger gibt.«
»Doch, im Meer.«
»Blödsinn! Die gibt es doch nur im Trickfilm, Tommy.«
»Und im Meer.«
Cinderella kapitulierte. Einen Fünfjährigen von der Realität zu überzeugen war noch schwerer, als einen Krabbenburger aufzutreiben. Sie nahm ihre Reisetaschen auf und steuerte mit wackligen Schritten auf den Ausgang des Hotels zu. Ihre Handtasche baumelte, wie eine tragbare Brotbüchse, vor ihrer Brust hin und her.
Aschenputtel hatte wenigstens noch ein Pferd!
Als sie die Tür öffnen wollte, hörte sie hinter sich die hübsche Hotelblondine rufen. »Frau Preußer, einen Moment noch.«
Cinderella atmete tief durch und drehte sich um.
Bitte lass die Hotellobby nichts kosten!
»Mein Kollege von der Nachtschicht hat Ihnen eine Nachricht hinterlassen. Tut mir leid, ich hätte fast vergessen, sie Ihnen zu geben.«
Cinderella griff nach dem Kuvert. »Vielen Dank.«
Was mag da drin stehen?
Sie hatte nicht die geringste Ahnung. Aber was es auch war, es hatte gewiss bis nach dem Frühstück Zeit.
Die Strandpromenade war gut besucht. Überall schlenderten Touristen umher. Tommy zerrte an einer der Taschen.
»Komm, Mama, dahin.«
Er hatte tatsächlich einen freien Tisch im Innern eines Cafés entdeckt. Cinderella presste sich mitsamt dem Gepäck durch die halb geöffnete Tür und blieb stecken. Verdammt noch mal! Los, rutsch durch. Eine der Taschen hatte sich mit der Schnalle am Türrahmen verhakt. So sehr Cinderella auch drückte, sie rührte sich keinen Zentimeter von der Stelle. Tommy saß mittlerweile am Tisch und winkte ihr zu.
»Hierher, Mama.«Ein freundlicher Herr im Quilt eilte zur Hilfe und befreite sie aus der misslichen Lage.
»Haben Sie tausend Dank.«
Er nickte und setzte sich zurück an seinen Tisch.
Cinderella blickte ihm hinterher.
Bestimmt einer dieser Baumstammwerfer, dachte sie, beim Anblick seiner strammen Waden. Sie hatte darüber schon viel gehört, in endlos langen Nächten, in denen ihr Mike von Schottland vorgeschwärmt hatte.
Tommy riss sie aus ihren Gedanken. »Ich will so ein Dings da.«
Mit seinem Finger tippte er auf einen der Crêpes in der Karte.
Super! Er will natürlich den allergrößten. Aber immer noch besser als ein Krabbenburger!
»Okay. Dann lass uns diesen Monster-Crêpe bestellen.«
»Sind da auch Krabben drauf?«
»Nein.«
»Ich will aber welche.«
Cinderellas Augen wanderten nach vorne zur Eistheke. Einer der Kellner erblickte sie und kam sofort angelaufen.
»Guten Tag. Sie haben gewählt?«
»Ja. Wir hätten gerne einen Kakao, einen Cappuccino und den Sylter-Spezial-Crêpe.«
»Gerne. Sonst noch ein Wunsch?«
»Haben Sie Krabben?«
Der Kellner überlegte kurz. »Ja, ich denke schon.«
»Gut! Dann hätten wir gerne eine Portion davon auf dem Crêpe.«
Der Mann schmunzelte, kritzelte die Bestellung auf einen Block und ging. Tommy starrte zum Nebentisch, an dem der hilfsbereite Schotte saß.
»Ich will auch einen Rock haben.«
»Jungs tragen keine Röcke.«
»Der Onkel hat aber auch einen.«
»Das ist ein Schotte!«
»Dann will ich auch ein Schotte sein.«
Cinderella schlug mit der Hand auf den Tisch. »Sei still, Tommy!«
Sie hatte einfach keine Nerven für weitere Erklärungen. In ihren Gliedern steckte die Anstrengung der vergangenen zwei Tage. Kraftlos lehnte sie sich zurück. Die einzige Chance, auf der Insel bleiben zu können, war ein Job mit Unterkunft.
Nachdem der Kellner den ungewöhnlichen Crêpe serviert hatte, machte sich Tommy über die sich krümmenden Tierchen her.
»Guck mal, Mama, die haben Augen«, erklärte er schmatzend, während er ein aufgespießtes Exemplar genauer beäugte. Cinderella verzog ihr Gesicht und nickte.
Igitt, wie kann er diese komischen Dinger nur so mögen?
Diese Vorliebe musste er von Mike geerbt haben. Von ihr jedenfalls nicht! Cinderella zog es vor, sich ihrer italienischen Kaffeespezialität zu widmen, auf deren Sahnehäubchen ein Kakao-Umriss von Sylt gestreut war. Irgendwie erinnerte sie diese Form an eine Maschinenpistole. Genauso wie in den Gangsterfilmen, die sie früher so gerne gesehen hatte. Sie beugte sich herab und zog den Anzeigenteil aus einer der Reisetaschen, die zu ihren Füßen standen. Ein Stellenangebot hatte sie sich vergangene Nacht eingekreist, bevor sie darüber eingeschlafen war. Das Brautmodengeschäft Hubert Moosmayer suchte eine Verkaufsberaterin mit Nähkenntnissen und bot auch eine Unterkunft vor Ort.
Das ist meine Chance!
Und es schien die einzige zu sein. Denn alle anderen Jobs waren ohne Wohnraum ausgeschrieben. Sie riss den Anzeigenteil heraus und signalisierte dem Kellner, die Rechnung zu bringen. Tommy hatte inzwischen den Crêpe verputzt und spielte mit einer übriggebliebenen Krabbe herum. Er tunkte sie in den Rest seines Kakaos.
»Was tust du da?«
»Die Krabbe aufwecken.«
»Die ist tot, Tommy.«
»Nee, ist sie nicht! Die schläft nur und braucht was zum Schwimmen.«
»Kakao?«
»Ja, das ist besser als Cola mit Sprudel.«
Kinderlogik war etwas, das sie nie verstehen würde. Und so dachte sie nicht weiter darüber nach.
Der Laden von Hubert Moosmayer lag nur wenige Schritte entfernt. Cinderella betrachtete das Schaufenster, in dem ein Brautkleid mit Schleppe hing, das ziemlich viel Beinfreiheit zuließ. Zu gewagt, wie sie fand, aber es schien der Trend zu sein. Über dem sündhaft teuren Stück stand »Modisch zum Ja-Wort«. Schweißdurchtränkt stolperte sie hinein – geradeswegs in ein Kundengespräch.
»Oh, verzeihen Sie«, entschuldigte sich Cinderella.
Die beratende Verkäuferin musterte sie argwöhnisch.
»Einen Moment bitte. Ich bin sofort für Sie da.«
Cinderella stellte ihre Taschen ab und wandte sich zu Tommy. »Bitte benimm dich! Hörst du?«
Er nickte und zeigte auf eine Vitrine, in der das Modell einer Hochzeitskutsche stand.
»Guck mal, Mama, coole Pferde.«
»Ja. Aber die sind nicht zum Spielen.«
»Darf ich hin – zum Angucken?«
»Lieber nicht.«
Fünf Minuten später hatte sich Cinderellas Körpertemperatur auf sechsunddreißig Grad Celsius abgekühlt. Der Laden hatte eine gut funktionierende Klimaanlage. Sie fror in ihrem feucht und unförmig herabhängenden Sommerkleid. Tommy hingegen schien der Temperaturwechsel nichts auszumachen. Er schlich um die Vitrine und murmelte vor sich hin. Cinderella strich sich rhythmisch über ihre nackten Oberarme.
Ich brauche diesen Job!
Die Verkäuferin versuchte zwischenzeitlich, die etwas zu rund geratene Kundin von einem gerafften Hochzeitsoutfit zu überzeugen. Leider erfolglos. Die stramme Kundin stand zu ihren Proportionen und wollte lieber gequetscht als gerafft zur ihrer Hochzeit erscheinen. Nach weiteren zehn Minuten gab die Verkäuferin auf.
»Geht in Ordnung, Frau Winterfeldner. Ich kürze es noch ein bisschen und versehe es mit dem ausgewählten Blütenschmuck.«
»Und es wird rechtzeitig fertig?«
»Aber selbstverständlich. Auf uns können Sie sich verlassen. Ihr Auftritt in der Kirche wird glamourös werden, meine Liebe.«
Cinderella atmete durch.
Glamourös? Eher peinlich!
Die zufriedengestellte Kundin legte das Brautkleid ihrer Begierde ab, zwängte sich in ihre Business-Hose und ging, mit dem Handy am Ohr, hinaus.
Die Zeit für Cinderellas Auftritt war gekommen. Ganz bestimmt würde sie mit ihrer Nähausbildung und den vielen Berufsjahren in der Näherei punkten können.
Was, wenn man mich nach meiner Gehaltsvorstellung fragt?
Ihr Puls erhöhte sich. In der Änderungsschneiderei ihrer Stiefmutter hatte sie von allen Angestellten am wenigsten verdient. Familienschicksal, hieß es immer. Aber das war Vergangenheit. Aus und vorbei!
Die Verkäuferin entpuppte sich als Frau Moosmayer – die Chefin der Brautmoden auf Sylt. Und das Vorstellungsgespräch war beinahe kürzer als ein Blick auf das Präsentationsmodell im Schaufenster.
Nachdem sich Cinderella geoutet hatte, verblasste die Freundlichkeit der Geschäftsführerin.
»Ah ja. Sie sind wegen des Stellenangebotes hier.«
»Ja.«
»Besitzen Sie Kenntnisse in der umfassenden Beratung und im eingehenden Kundengespräch?«
»Nein. Aber ich kann nähen.«
»Fremdsprachen in Wort und Schrift?«
Cinderella wurde nervös. »Nee. Ich meene doch. Ein bisschen Englisch.«
»Und wie ich sehe, sind Sie nicht jederzeit einsetzbar.« Frau Moosmayer drehte sich zu Tommy um, der am Boden vor der Vitrine hockte und seine Hände ans Glas drückte. »Tut mir leid. Wir dachten eher an eine ältere Mitarbeiterin.«
Cinderella schluckte.
Eine Kinderlose wahrscheinlich.
»Ich könnte bleiben und Probe arbeiten.«
»Nein, tut mir leid. Dennoch vielen Dank für Ihre Bemühungen. Auf Wiedersehen.«
Eine intensivere Abfuhr konnte es nicht geben. Geknickt wie eine gebrochene Rose, deren Schönheit man verkannt hatte, verließ Cinderella das Geschäft. Tommy ging stumm neben ihr. Sie blickte zum Meer hinüber. Ihr Traum war ausgeträumt – geplatzt wie eine Seifenblase. Und nun? Sie konnte sich keine Unterkunft leisten. Erst recht keine weiteren Crêpes für zwölf Euro achtzig, von denen gerade mal ein Kind satt wurde. Es gab nur noch einen Weg. Zurück! Und so bitter ihr diese Erkenntnis auch erschien, sie hatte keine andere Wahl.
Goodbye Sylt!
Tommy griff nach ihrem Handgelenk.
»Darf ich zum Wasser?«
Cinderella blickte ihn erstaunt an.
Kein »Ich will«?
Sie stellte das Gepäck ab und tastete über seine Stirn. Aber er schien okay zu sein. Nur in seinen blauen Augen konnte sie einen Hauch von Traurigkeit erkennen. Sie kniete nieder und nahm seine Hände.
»Du hast recht! Wir gehen nicht weg, ohne am Strand gewesen zu sein.«