City of Trees - Chantal-Fleur Sandjon - E-Book

City of Trees E-Book

Chantal-Fleur Sandjon

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Beschreibung

Zwei Jahre sind vergangen, seitdem Lindiwes Schwester Khanyi verschwunden ist. Im Wald am Stadtrand Berlins wurde Khanyi das letzte Mal gesehen, hierhin zieht es Lin immer wieder. Der Wald nimmt zunehmend Raum in ihrem Leben ein, Lin hat Blackouts und wacht unter Laubbergen auf, Moos beginnt auf ihrer Wange zu sprießen. Und sie hört immer häufiger die Stimme ihrer Schwester, wenn sie sich in der Natur verliert. Lin spürt, dass sie sich verändert, ohne es richtig greifen zu können – bis Zenzile in ihr Leben tritt. Zenzile, die junge Frau, die mit Lins Großmutter aus Südafrika zu Besuch kommt. Zenzile, die schon länger ähnliche Veränderungen an sich selbst bemerkt. Zenzile, deren Nähe Lin Wurzeln schenkt und nach der Weite des Himmels greifen lässt. Gemeinsam lüften die beiden das Geheimnis des Waldes und kommen Kahnyis Schicksal auf die Spur. 

Der neue Jugendroman der preisgekrönten Autorin von "Die Sonne, so strahlend und Schwarz" - fesselnd, sprachgewaltig und überraschend. 

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Das Buch

Im Wald wurde Lindiwes Schwester Khanyi zum letzten Mal gesehen. Deshalb zieht es Lin immer wieder dorthin. Hier hört sie Khanyis Stimme und kann doch nicht herausfinden, was mit ihr geschehen ist. Hat ihr Schicksal etwas mit den Veränderungen zu tun, die Lin selbst erfährt? Mit dem Moos, das auf ihrer Wange sprießt? Dann tritt Unathi in ihr Leben. Ihre Nähe schenkt Lin Wurzeln und lässt sie nach der Weite des Himmels greifen. Doch zu nah dürfen sie sich nicht kommen, denn Unathi ist Lins Cousine. Während Lin gegen ihre Gefühle kämpft, versuchen die beiden das Geheimnis von Khanyis Verschwinden zu lüften ...

Für „Die Sonne, so strahlend und Schwarz“ wurde Chantal-Fleur Sandjon 2023 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. In ihrem neuen Buch lässt sie sich von afrikanischer Mythologie inspirieren.

Die Autorin

© Shaheen Wacker

Chantal-Fleur Sandjon wurde 1984 in Berlin geboren, wo sie heute nach Stationen in Johannesburg, London und Frankfurt wieder lebt. Als afrodeutsche Autorin, Lektorin und Spoken-Word-Künstlerin gilt ihr Interesse besonders der vielschichtigen Darstellung Schwarzer Lebenswelten in Deutschland. Sie ist noch immer auf der Suche nach der perfekten Papaya und der schrägsten Metapher. Ihr erster Versroman, „Die Sonne, so strahlend und Schwarz“, wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. 2023 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis.

Der Verlag

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Viel Spaß beim Lesen!

CITY OF TREES

Chantal-Fleur Sandjon

Thienemann

Teil1

Alles, was du berührst,

Veränderst du.

Alles, was du veränderst,

Verändert dich.

— Octavia E. Butler: Die Parabel vom Sämann

Die Bäume

haben einen Weg gefunden

um zu überleben.

Mit jedem Tag begrüßt mich

mehr Grün auf meinem Lauf

durch den Wald, obwohl

der Herbst bereits

in viele Blätterspitzen einzieht.

Die Welt zeigt sich

in ihren sattesten Farben

hält nichts zurück

bevor sie alles gibt

alles verliert.

Die Kiefer an der Wegkreuzung da vorne

ich könnte schwören, gestern

gab es sie hier noch nicht.

Aber bestimmt habe ich

mal wieder nur nicht richtig

aufgepasst. Bäume

erscheinen nicht wie Gespenster

bestimmt war ich zu beschäftigt

mit der Suche nach Khanyi

auch jetzt noch

drei Jahre später.

An der neuen Kiefer

jogge ich vorbei

schenke ihr einen Gruß

erhobene Faust in der Luft

und weiß nicht, warum.

Es ist 2025 und

die Bäume haben

einen Weg gefunden

um zu überleben, allein das

verdient meinen Respekt

denn genau das

ist Khanyi vielleicht

nicht gelungen.

Aber:

Nicht daran denken

bloß nicht daran denken

lieber laufen

hier sein

auf ihren Spuren

im Wald

laufen, schneller, springen

über Wurzeln, Äste, Steine

schneller, immer schneller

die Kraft meiner starken Beine nutzen

um vorwärtszupreschen, weil

er sich sonst wieder in mir breitmacht

der Gedanke an sie und die hunderttausend

Schicksale, die ihr begegnet sein könnten

schneller, immer schneller

den Pfad habe ich schon lange

hinter mir gelassen, ducke mich

unter niedrigen Blattdächern hindurch, renne

an Pilzen und moosbedeckten Stümpfen vorbei

schneller, immer schneller

bis ich

stol

pere

direkt vor mir ein Baum

und auch ohne sich zu bewegen

besiegt er meine schützenden Hände.

Mein Gesicht schrammt

über die raue Rinde

meine Stirn begegnet

dem harten Stamm

mit einem dumpfen Knall

und das Letzte, was ich

vor der Dunkelheit denke, ist:

So

sterbe

ich

nicht.

da ist sie

so nah

ein sehnen

in jedem

unserer blätter

nach füßen

nur ein letztes mal

um ihr entgegenzueilen

ohn eunsere wurzeln

der erde

zu entreißen

Lindiwe:

sie ist da

Und ja, so sterbe ich nicht.

Und doch

ist wieder etwas anders

als ich zu Bewusstsein komme

mein Sehen und Hören

noch ganz verschwommen.

In die Geräusche des Waldes

mischt sich eine vertraute Melodie.

Sie will von Käfern und Hoffnung singen

ihr IsiXhosa ins junge Laub mischen.

Und dann ist da

diese eine Stimme:

»Sisi, Sisi

wach auf.«

Mein Atmen ein Röcheln, denn

überall ist Laub, statt Luft

atme ich trockene Blätter ein, schon wieder

mein ganzer Mund ist voll von ihnen.

Hastig komme ich hoch, setze mich auf

und kratze mit meinen Fingern den Mund frei

muss dabei leicht würgen, weil ein Kastanienblatt

in meinem Rachen festsitzt.

Für einen Moment sehe ich

unsere Hütte mit der roten Plane

zwischen den Bäumen, dann wird sie

vom Braun und Grün des Waldes geschluckt.

Mein vierter Blackout im Wald

seit ihrem Verschwinden

gewöhnen kann ich mich

trotzdem nicht daran.

»Sisi, Sisi.«

Khanyi, noch immer.

Ich blicke in alle Richtungen

doch da ist niemand

nur der Baum direkt vor mir

gegen den ich im Sturz geprallt bin

eine große Eiche

mit breitem Stamm.

Und überall auf mir:

Laub in dicken Schichten, so als

hätte der Wald mich zugedeckt

ohne die Absicht

mich gehen zu lassen.

auch ohne augen

die wir schließen können

träumen wir

noch immer

von den frauen

sehen uns selbst

lächelnd

zwischen ihnen stehen

was wir jetzt wieder wissen

träume

bemerken es wenn

wir sie bemerken

sie wollen uns dinge sagen

für die uns sonst die ohren

fehlen um sie zu hören

immer sehen wir sie

Lindiwe

denn wir haben

auf sie gewartet

bis jetzt bis

jetzt bis

jetzt

»Sisi, Sisi.«

Ihrem Flüstern folgen, der verbotenen Melodie.

Vorbei an Vermisstenanzeigen

Marius wird vermisst und Waldo ebenso

der eine 16, der andere 6

zwei Beine und vier

Verzweiflung hält das Papier an den Bäumen

nicht allein die Reißzwecken, die in Rinde stechen.

Noch eine Weile schleppe ich meinen Körper

durch den Wald, doch nichts

keine Spur.

Die Musik zieht mich vorwärts

will mich tänzelnd aber

ich kann nur stolpern.

Sie sollte nicht hier sein

und ich auch nicht.

Auf einer Lichtung unter einem Ahornbaum

bleibe ich stehen, lehne mich gegen den Stamm

schließe die Augen und sehe

Khanyi vor mir:

Wie sie in den Wald geht

die Abenddämmerung lässt sie

in einem Himmelslodern aufgehen.

In meiner Vorstellung dreht sie sich

ein letztes Mal um

schaut in die Richtung

unseres Zuhauses

doch ich glaube

in Wirklichkeit

hat sie nie

zurückgeblickt.

Flugsamen des Ahorns

segeln um mich herum zu Boden

immerzu an mir vorbei.

Die Schürfwunden an meinem Arm

und meinen Händen haben aufgehört

zu bluten, die Beule an meinem Kopf

pocht weiter, weiter, weiter

ein Beat, der meinen Herzschlag begleitet.

Vor Jahren hat Khanyi mir gezeigt

wie ich meinen Puls fühlen kann.

»Dann weißt du immer

egal was gerade geschieht:

Du bist wirklich noch

am Leben.«

Sie war damals vielleicht 12

auf ewig drei Jahre älter als ich

und schon länger davon überzeugt

dass wir in Träumen

keinen Herzschlag besitzen.

Jede Nacht nahm sie sich vor, es

dieses Mal zu überprüfen

im Traum endlich

ihren Puls zu kontrollieren.

Sie hat es nie geschafft

sie hat so vieles

nicht mehr geschafft

hat nur Fragen hinterlassen

und keine Antworten

nicht einmal

für mich.

Ich trete aus dem Wald

lasse sie dort

die Erinnerungen an sie

ihre Melodie

ihre Stimme

kehre zurück in die Welt

fahrende Autos bellende Hunde ein Radfahrer streitet sich mit einer Rentnerin und das Leben greift nach mir greift nach meinen leeren Händen und der Weite zwischen meinen Rippen.

Unter der Dusche beeile ich mich.

Wir sind bereits viel zu spät dran, weil ich nicht aufhören konnte, ihrer Stimme und der Melodie zu folgen, um sie endlich wiederzufinden. Die Worte des Lieds plätschern aus meinem Mund und fließen mit dem Wasser den Abfluss hinab. Ich verstumme schnell, als es an der Tür klopft.

»Lindiwe, Turbo!« Baba ruft durch die geschlossene Tür. »Du weißt es seit Wochen, heute müssen wir echt mal pünktlich sein …«

»Askies!«, antworte ich als Entschuldigung.

Überall an mir klebt noch der Wald. Beim Einschäumen flattern goldgelbe, herzförmige Blätter und farnähnliches Grün aus meinen Achseln herab, werden vom Duschstrahl niedergedrückt, verlieren ihre Form im matschigen Gemenge zu meinen Füßen. Die Melodie streicht erneut über meine Lippen, noch bevor ich mich stoppen kann. Nicht das erste Mal, dass ich sie im Wald gehört habe. Auch nicht das erste Mal, dass ich sie mit nach Hause bringe, hinter Türen, die geschlossen sind. Es ist der Käfer, sagt das Lied. Er zeigt uns den Weg nach Hause. Er zeigt uns den Weg in die Zukunft.

Nach dem Duschen, ein schneller Blick in den Spiegel: Meine Haare sind mal wieder einen Fingerbreit über Nacht gewachsen. Ich schiebe sie etwas über die Beule an meiner Stirn und rasiere den Undercut nach, so wie ich es seit Wochen fast jeden Morgen tun muss. Mit einer kleinen Schere kürze ich auch den Flaum auf meiner Wange, schmiere etwas von Khanyis Concealer drüber, bis das Grün nicht mehr hervorscheint. Ich mache es nicht gerne, denn Geheimnisse sind wie Wunden, wenn du sie einfach verdeckst, anstatt sie zu reinigen, können sie nicht heilen. Sie brauchen Luft, Sonne, sie wollen gesehen werden. Aber dieses Geheimnis kann ich anderen nicht zumuten, meine Eltern tragen schon so viel, nicht das auch noch. Es wiegt schwer wie ein ganzer Wald, Khanyis letztes Vermächtnis an mich.

Mamas Pulli riecht nach Schweiß. Der Geruch schwappt mit jeder ihrer Bewegungen zu mir herüber, will ankern, direkt in meiner Nase. Ihre Haare hat sie auch seit zwei Wochen nicht mehr gewaschen. Bis jemand in der Tanzschule endlich mal etwas sagt, kann es nicht mehr lange dauern, auch Trauer besitzt ein Verfallsdatum als Entschuldigung.

Zu fünft stehen wir am Flughafen, ganz vorne bei der Ankunft. Meine Brüder, die Zwillinge Mandlenkosi und Bonginkosi, haben ein Schild gemalt

– SANIBONANI, GOGO! –

mit einem gespiegelten S und As, die Spagat üben. Zusammen, sagen sie, obwohl alle wissen: Mandla war’s alleine. Wer sonst kann mit fünf schon schreiben?

Mandla hat es sich vor ein paar Monaten mithilfe von Cornflakes-Packungen und Bildwörterbüchern selbst beigebracht. Baba ist sogar in den muffligen Keller gegangen, um unsere alten Schulbücher und Schreibhefte sowie Mamas verstaubte Zulu-Lernbücher hochzuholen.

Alle meine Geschwister sind Genies. Mandla, das Lese- und Schreibwunder. Bongi kann jedes Instrument spielen, das er in die Hände kriegt, seit über einem Jahr nimmt er Klavierunterricht bei Ntate Pitso. Khanyi gehörte schon immer das Tanzstudio. Und mir? Mir gehört nichts, außer etwa 30 bestickten Stück Stoff und dem Black-Futures-Regal in unserer Schulbibliothek, das ich selbst eingerichtet habe. Nichts davon ein Talent, zumindest in meiner Familie.

Heute am Flughafen ist unsere Familien-Reihenfolge von links nach rechts:

Ich Baba Mandla Bongi Mama

und in all den Zwischenräumen

anstelle von Luft zum Atmen:

siesiesiesie

Khanyi

so viel Platz einnehmend

als gäbe es zwei von ihr.

Sie hat uns alle immer verbunden, jetzt verbinden Baba und mich nur unsere Hände in den Hosentaschen, unsere festen Beine auf dem festen Boden, die leicht nach vorn gebeugte Haltung, als würden wir immerzu mit dem Wind kämpfen. Uns trennen ein halber Kopf an Größe, ein paar Jahrzehnte und unterschiedliche Hauttöne, die sich oft in unseren Erfahrungen widerspiegeln und in dem Platz, der uns in dieser Welt zugeschrieben wird. Mein Hellbraun irgendwo zwischen seiner dunklen Haut und Mamas heller zu Hause. Im Dazwischen und doch immer am Rand, ganz anders als Khanyi,

ich.

Neben Baba versuchen die Zwillinge einander auf die Füße zu treten, das Schild schwappt in ihren Händen. Mama zischt sie immer wieder an, aber mit so wenig Energie, dass ihre Worte von den Flughafengeräuschen geschluckt werden, noch bevor sie Mandla und Bongi erreichen.

Links von mir rempelt jemand vorbei, quetscht sich zwischen einem Betonpfeiler und mir hindurch. Alle haben es so eilig in Flughäfen, auch wenn sie schon sicher und gut angekommen sind, als würde die Bewegung des Flugs in ihrem Körper fortleben, ihn vorwärtsdrängen.

»Musste ich wirklich mitkommen?«, grummele ich Baba an.

»Natürlich, meine Liebe. Du weißt, wie viel du ihr bedeutest.«

Baba legt seinen Arm um mich, drückt gegen den blauen Fleck an meinem Oberarm, den er unter meinem schwarzen Hoodie nicht sehen kann. Ich will Gogo ja auch wiedersehen, aber nach diesem Morgen im Wald ist mir der Flughafen zu laut, zu voll, zu hektisch.

Und dann sind da auch noch die Polizist*innen. Waffen über rauem Stoff, von Haut weit entfernt und doch wird Haut nach ihnen greifen, wenn sie es als erforderlich betrachten, werden Körper auf Körper schießen, wenn es ihnen berechtigt erscheint. Wer lebt und wer stirbt, entscheiden oft zwei blasse Finger und ein Kopf, der aufgewachsen ist mit der Angst vorm Schwarzen Mann. Jetzt wimmeln sie nur über den Flughafen wie Kakerlaken, im Wissen, sie wollen uns alle überleben.

Ich bemerke ihre Blicke, die immer wieder bei uns fünf stotternd hängen bleiben und sie sagen sich selbst bestimmt, sie schauen nur zwei, drei, vier Mal hin, weil hier junge Menschen stehen und genau diese gerade das Problem sind. Aber wir sind schon so lange das Problem, dass wir die Wahrheit kennen.

Jede Bewegung um mich herum, jede Ansage, jeder hastige Schritt auf dem nackten Boden kratzt sich in mich hinein. Und doch stehe ich hier, bewege mich nicht vom Fleck, bis wir sie erblicken: Gogo. Eine der letzten, die durchs Gate kommen, mit nichts als einer Handtasche bei sich und einer Decke über den Schultern, als wäre sie das erste Mal in Deutschland und würde im Oktober jederzeit einen Schneesturm erwarten.

»Gogo, wo sind deine Koffer?«, rufe ich ihr auf IsiZulu zu, noch bevor sie bei uns angekommen ist, weil es jetzt meine Aufgabe ist, mich um sie zu kümmern, jetzt, wo ich die Älteste bin.

Gogo macht einen Schritt zur Seite, wartet, bis ich sie sehen kann: die Koffer auf einem Gepäckwagen, geschoben von einem Mädchen mit genauso dicken Braids und dunkelrotem, fast schwarzen Lippenstift, wie Khanyi ihn auch gerne getragen hat. Nur ist ihre Haut dunkler, eine tiefere Erdschicht kleidet ihr Fleisch, ihr Körper ist weicher, breiter, mehr Meer als Khanyis, ein Ozean unter einem flatternden Kleid, bereit, jederzeit Wellen zu schlagen und alles zu überschwemmen. Selbst das Tuch um ihren Hals hat fließende Enden, als es von einem Luftstoß erwischt wird.

»Hayi wena, this now how you greeting your grandmother?«, ermahnt mich Gogo mit einem Lächeln in einem Mix aus Englisch und IsiZulu, lenkt meinen Blick zurück zu sich. »Erst diese unsägliche Befragung der Polizei und jetzt das hier – mein Enkelkind hat seine Manieren verloren. Du warst wohl zu lange nicht mehr zu Hause.«

Zuhause nennt sie Südafrika, weil es ihr Zuhause ist, schon immer war und immer sein wird. Zuhause nennt sie Südafrika aber auch, wenn sie über mich spricht, über Baba, über meine Geschwister, so als wären wir alle hier in Deutschland genau wie sie immer nur zu Besuch.

Nachdem wir uns begrüßt haben, nachdem Gogo mein Gesicht in ihre warmen Hände genommen und mich für einen Kuss zu sich heruntergezogen hat, nachdem sie meinen Brüdern und mir selbst gemachte Amagwinya in die offenen Hände gelegt hat, köstliche, golden leuchtende Amagwinya, die zwölf Stunden Flug überstanden haben, nach alledem beantwortet Baba endlich die Frage, die ich nicht zu stellen wage. Die ganze Zeit kann ich meinen Blick nicht von diesem Mädchen abwenden, das bei uns allen steht, als würde es dazugehören.

»Das ist Unathi, eure Cousine«, sagt Baba auf Englisch zu mir und meinen Brüdern.

»Und?« Denn das ist noch nicht Antwort genug.

»Und sie begleitet Gogo, sie wird also auch bei uns wohnen.«

Ich wechsle ins Deutsche: »Wo soll sie denn schlafen? Jetzt wo Gogo da ist, wird’s ziemlich eng.«

Ich verschränke die Arme, das frittierte Hefebällchen noch in meiner Hand. Die Zwillinge haben ihre Amagwinya schon aufgegessen und Mama sucht nach Taschentüchern für die fettglänzenden Gesichter.

Baba spiegelt meine Haltung, legt Muskeln über Muskeln und macht den Rücken gerade gegen meinen Wind. »Du weißt, wo sie bleiben wird«, antwortet er mir, ebenfalls auf Deutsch. »Es ist ja auch nur für drei Wochen.«

Ein Zittern in meinen Beinen, als würde die Erde wackeln. Nein, denke ich nur. »Nein«, sage ich auch und es rüttelt durch meinen ganzen Körper.

Mal wieder, schon wieder, haben er und Mama Entscheidungen für mich getroffen anstatt mit mir. Wie sehr ich das hasse. Doch ich kann mich nicht darauf konzentrieren, nicht jetzt. Dieses Nein will aus mir hinaus, wegrennen und mich mit sich fortziehen, hinaus aus meinem Körper, weg von hier, von ihm und ihnen allen. Aber ich muss bleiben, und wenn es nur ist, um ihren Platz in meiner Welt zu verteidigen, damit die Erinnerungen an sie nicht zerstört werden

an sie

Sisi

Sisi

meine große Schwester

Nokukhanya.

Vertraut ist mein Fliehen aus dem eigenen Körper nicht nur mir selbst.

Baba nimmt meine Hände in seine, schenkt meinen herumhuschenden Augen mit seinem Blick Halt, senkt die Schultern und die Stimme: »Wir müssen sie alle ein bisschen loslassen, um weitermachen zu können. Nur ein kleines bisschen, damit für uns wieder mehr Platz ist.«

»Ich kann nicht, kann’s einfach nicht!«, stoße ich hervor. »Was hast du in der Gruppe gelernt, Lindiwe?« Seine Stimme ein Ast, an dem ich mich festhalten kann.

»Tief … durchatmen«, sage ich, »fünfmal weit in den Bauch hinein. Beim Ausatmen summen, aber shit, das ist so bekloppt.«

»Nicht bekloppter, als wenn du gleich so stark hyperventilierst, dass ich dir eine Tüte besorgen muss.«

Baba zieht mich an sich heran, bis mein Kopf auf seiner Schulter ankommt. Gogo redet auf Englisch mit Mama und die Zwillinge zeigen diesem neuen Mädchen etwas auf Mamas Smartphone. Quietschende Rollen, klackernde Absätze, surrende Durchsagen, untrennbares Stimmenrauschen um uns herum, aber auf Babas Schulter wohnt die Ruhe und lädt mich zu sich ins Haus hinein.

»Also, durchatmen«, er streicht mir über den Rücken, »und dann einen Satz dazu, wie es dir gerade geht. Vergiss das nicht.«

Wie könnte ich den Satz vergessen? Er ist wirklich das Bekloppteste daran. Der Gruppenleiter: ein gescheiterter Schriftsteller, der jetzt seine Tage nicht mit Worten auf Papier, sondern mit Worten an leicht gestörte Jugendliche wie mich verbrachte. Ein Satz. Der erste Satz in meinem Kopf dazu, wie es mir gerade geht, wenn meine Seele herausdrängt und mich zurücklässt, ankerlos, nur mit einem Körper, der nicht mehr mir gehört.

Ich schließe die Augen. Beim ersten tiefen Atemzug pulsiert um mich herum noch die Erde, das Leben, die Welt. Da ist so viel Lärm, der in mich eindringen will, so viele Energien, die sich unter meine Lider quetschen wollen. Aber dann kommt die Ruhe. Mit jedem Atemzug, mit jedem Weiten meines Brustkorbs und Ausdehnens meines Bauchs. Ich spüre die Luft, wie sie in mir strömt, bis in meine Zehen und meine Fingerspitzen. Als sie uns das im Kurs beigebracht haben, dem Atem nachzuspüren, in jeden Teil unseres Körpers hineinzufühlen, da habe ich sie ausgelacht, aber ja, es funktioniert. (Auch wenn ich das nie zugeben würde.)

Hier ist er, mein Satz:

Ich fühle mich wie ein ewiges Problem wie eine

Gleichung die nie aufgeht weil etwas fehlt weil

jemand fehlt weil ich allein nie genug bin egal auf

welcher Seite ich stehe.

Als ich die Augen wieder öffne, sehe ich sie alle um Baba und mich herum. Sie bilden einen Halbkreis, schirmen uns vom Flughafenchaos ab. Hinter einer Glasfront steigt ein Flugzeug in den Himmel empor. Trotz seines Gewichts lässt es sich von der Schwerkraft nicht aufhalten, hat ein klares Ziel, auf das es zustrebt. Und ich … ich bin mal wieder diejenige, die alle nur ausbremst. Die Schwerkraft in meiner Familie, diejenige, die sie zu Boden drückt, wenn sie doch fliegen wollen.

»Geht ruhig schon mal vor«, sagt Baba.

Dieses neue Mädchen steht ein wenig hinter Gogo, überragt sie um einen ganzen Kopf, genau wie Khanyi es immer getan hat. Den Wagen mit Gogos Koffern lässt sie nicht los. In mir noch immer das Nein, auch als sich die anderen langsam von uns fortbewegen und Baba und ich zurückbleiben. Mama dreht sich ein letztes Mal um, Baba schickt ihr einen Luftkuss. Menschen stoßen mich beim Vorbeigehen an, ich bin ihnen allen nur im Weg. Hier ist kein Platz für mich und kein Platz dafür, wie sich alles in mir beim Gedanken daran zusammenzieht, dass dieses fremde Mädchen, diese Cousine, von der ich noch nie gehört habe, die aus einem Leben stammen muss, über das in unserer Familie nicht gesprochen wird, nun mit mir in unserem Zimmer schlafen soll, im Bett meiner vermissten Schwester.

Wie soll ich Khanyi das erklären, wenn ich sie

endlich gefunden habe? Denn genau das

werde ich bald tun, nicht Baba, nicht

Mama, nur ich. Im Dazwischen

am Rand und doch nah

ganz nah bei

ihr

.

»Alles in Ordnung?«

Baba hält noch immer meine Fäuste fest, auch wenn sie schon geschmolzen sind. Gleichzeitig drehen wir uns zur Stimme um: ein Sturmgewehr, ein Schnurrbart, stahlblaue Augen.

»Natürlich«, antwortet Baba schnell, lässt mich los, aber rückt zugleich näher an mich heran. Er stellt sich mit seinen bergigen Muskeln vor mich, bildet eine Felslandschaft, undurchquerbar. »Ist nur die ganze Aufregung.«

»Ganz sicher? Wir können vorsichtshalber schnell die Temperatur messen.«

»Nicht nötig, das haben wir natürlich schon heute Morgen gemacht, wie jeden Morgen seit 48 Tagen.« Er geht einen Schritt nach vorne, nur einen kleinen, aber wächst dabei in die Breite und Höhe. Gestein. »Und wir beide wissen, noch können Sie uns nicht dazu zwingen. Noch nicht.«

Eine Vierteldrehung zu mir, eine Hand auf meiner Schulter. Ohne Gewehrschnurrbartstahlblau aus dem Blick zu lassen, dirigiert er unseren Abgang. Seine Hand zeichnet den Weg hinaus auf meine Haut, durch jede Schicht Stoff hindurch, direkt in mich hinein.

Erst als ich wenig später im Van neben diesem Mädchen auf der hintersten Bank sitze, traue ich mich, tief auszuatmen. Wir haben heute Morgen nicht meine Temperatur gemessen und genauso wenig die 47 Tage zuvor. Ich weiß nicht, wie Baba solche Lügen vor Gott rechtfertigt, vor seinem Gott. Vielleicht mit irgendwas aus dem 1. Timotheusbrief. Und damit, dass wir gewaschen sind, in the blood of Jesus, no weapon formed against us shall prosper. No virus either, oder so.

Das Mädchen will reden, über irgendwas reden, die Stille füllen, egal womit. Ich frage sie, warum sie so gut Deutsch kann, auch wenn ich die Frage selbst furchtbar finde. Sie geht seit Jahren auf die deutsche Schule in Johannesburg, Onkel Xolani bezahlt es. Gogo weigert sich noch immer, auch nur ein Wort auf Deutsch zu lernen, genau wie sie sich weigert, jemals wieder Afrikaans zu sprechen.

Ich betrachte das Mädchen, diese neue Cousine aus dem Augenwinkel, sie kommt mir bekannt vor. Aber vielleicht ist es nur der Lippenstift oder der Vollmond, der ihr seine Konturen geliehen hat, genau wie unzähligen anderen in Südafrika. Sie hat eine Narbe auf ihrer Schläfe, die einen Bruch in diesem fließenden Gesicht verursacht. Aber sie bricht ihr Gesicht nicht wirklich, sie vollendet es.

Das Mädchen macht mir Komplimente zu meinem Outfit, versucht es damit, dass ihr mein Hoodie gefällt, aber niemand mag meinen Hoodie, nicht mal ich selbst. Es ist nur ein Pullover, er war sauber, lag oben auf dem Wäscheberg, jetzt hängt er an mir anstatt an einem Kleiderbügel. Schwarz, wie alles in meinem Schrank. Aber so verblichen, dass es auch grau sein könnte, stonewashed oder so ein Scheiß. Khanyi hätte bestimmt dafür gesorgt, dass meine Sachen ihre Farbe behalten. Schwärze braucht selbst in der Waschmaschine Schutz, sonst wird sie weggespült. Khanyi hat früher auch immer Seifenstücke zwischen die Wäschestapel in unserem gemeinsamen Schrank gelegt, sodass meine Hosen nach Lavendel rochen, meine T-Shirts nach Rosen, selbst meine Unterhosen: Orangen. Jetzt riecht alles nur noch nach Mamas Ökowaschpulver, also nach gar nichts.

Mir gefällt das Tuch um den Hals des Mädchens, ein langes Stück Waxprint mit vielen gelben Kreisen und geometrischen Figuren auf türkisfarbenem Grund. Ich sage es ihr, um etwas zu erwidern, aber sie zieht es nur enger um ihren Hals und redet immer weiter. Vom Flug, vom Wetter, von Germany. Und dabei lächelt sie mich so an, als würden wir uns aus einem anderen Leben kennen. Ich habe nur das eine und das ist jetzt gerade auf einem Tiefpunkt. Ich könnte im Wald sein, stattdessen sitze ich hier, lege einen Panzer um mich, Schild für Schild, bis keine Stelle von mir mehr offenliegt.

Khanyi und ich haben uns immer ein Zimmer geteilt, seitdem ich eins war und sie vier. Wenn ich nachts aus Träumen voller Schlangen aufgewacht bin, war sie es, die mich in den Schlaf flüsterte. Sie nahm die Spieluhr von ihrem Nachttisch und kam zu meiner Seite des Zimmers herüber. Zog sie auf und sang leise vom Käfer. Immer wieder aufziehen, immer wieder Käfer. Dabei kuschelte sie sich ganz eng an mich, formte ihren Körper zu einem Mantel für meinen, auch wenn er so schmal war, als würde sie ihn ausfächern, zerteilen in seine vielen Schichten, damit er alles an mir bedeckte.

»Isʼ was?«, unterbreche ich das Mädchen. Autos rasen auf der Stadtbahn an uns vorbei, Baba fährt immer auf dem Mittelstreifen, nie auf der Überholspur.

»Alles easy«, antwortet sie nur.

Ihr Lächeln legt sich über ihr ganzes Gesicht. Gleichzeitig hört sie nicht auf, mich von der Seite aus anzustarren. Sie schaut nicht wie die meisten auf meine Arme, an denen meine Haut in Hell und Dunkel zerfällt. Nein, dieses Mädchen guckt immerzu auf meine Wange, genau auf die Stelle, an der sich unter Make-up der Ausschlag versteckt.

Shit, shit, shit.

Vielleicht ist der Concealer zu alt, immerhin ist er ja noch von Khanyi und eigentlich auch zu dunkel für meinen Hautton, aber ich habe mit der Zeit gelernt, wie ich ihn verreiben muss, damit er alles gut verdeckt. Und bisher hat niemand etwas wegen des Ausschlags gesagt, weder zu Hause noch auf der Straße oder in der Schule. Bis jetzt, bis zu ihrer Ankunft in meinem Leben. Sie, die nicht aufhört, mich anzustarren, so als würde sie durch jede Schicht hindurchblicken können. Als wäre alles an mir entblößt vor ihren Augen. Und mir gefällt das hier gerade gar nicht.

sie ist nicht

mehr allein

sie wird viele

es hat begonnen

und wir

werden ihnen allen

entgegenkommen

werden unsere blätter schicken

und unsere samen

was wir jetzt wieder wissen

verbundene bäume

kämpfen oftmals nicht

um lichtraum im wald

sie geben einander

raum zum wachsen

teilen sich die sonne und

nährstoffe über ihre wurzeln

leben zusammen

manchmal

sterben sie sogar zusammen

sie stehen und fallen gemeinsam

verbunden

Die Zwillinge sitzen in der Reihe vor uns neben Mama.

Sie spielen Ich sehe was, was du nicht siehst. Gerade muss Mandla etwas Violettes suchen und ich bin sicher, dass es Gogos Tuch um ihre Haare ist, aber ich sage nichts. Mama nickt neben ihnen immer wieder ein, ihr Kopf rutscht gegen das Fenster.

»Wieder die Träume?«, fragt Baba und schaut sie durch den Rückspiegel an. Mama nickt nur, fährt sich übers Gesicht. »Du musst die Tabletten nehmen, die dir der Arzt verschrieben hat.«

»Hab Angst, dass ich dann gar nicht mehr aufwache.«

Khanyi wartet in den Träumen auf sie, manchmal lebendig, manchmal nicht. Und jeden Abend fürchtet sich Mama davor, welche Khanyi ihr diese Nacht begegnen wird. Wenn sie am Morgen von Samen redet, spreche ich nicht davon, dass mein Traum ein Echo des ihren ist.

Gogo drückt vorne auf dem Beifahrersitz Babas Bizeps. Scherzt, dass er bald Black Panther spielen kann. Ich hätte nicht gedacht, dass Gogo Black Panther kennt, aber ich hätte auch nie gedacht, dass Baba seine Weiche gegen diese festen Muskeln eintauschen, die Rundungen seines Körpers im Gym schleifen würde, bis alles an ihm hart war, so hart wie auch seine Regeln mittlerweile sind.

Etwas Rotes. Bestimmt Bongs zerkratzter Nagellack.

Nachdem das mit Khanyi passiert ist, durfte ich nirgends mehr alleine hin, selbst in die Schule hat er mich gefahren, obwohl es nur zehn Minuten mit dem Rad sind und bei uns am Rand der Stadt null los ist. Und nach der Schule habe ich meine Nachmittage monatelang bei ihm in der Holzwerkstatt verbracht, ihm dabei zugesehen, wie er Holzblöcke in Bienen, Hasen, Robben verwandelte, auf denen später Kinder auf Spielplätzen wippen, federn, schaukeln würden. Habe kleine Holzreste genommen und die Ecken aus ihnen herausgeschmirgelt, in ihre Oberfläche Spiralen geritzt oder unzählige Striche zu einem Ganzen verbunden, meine Erinnerungen aus dem Wald hineinschreibend, bis nichts mehr in mir war, keine Erinnerung, nur noch ein Traum.

Erst seit einem Monat darf ich wieder allein raus, aber auch nur, weil ich ihnen erlaubt habe, mich auf dem Handy zu tracken, das war die Bedingung. Zur Schule, in die Stadt, zu Cecilia, doch jetzt ist eh alles anders. Die letzten drei Jahre haben so vieles verändert, auch Cecilia und mich.

Etwas Grünes. Alles, nur nicht das Ding auf meiner Wange.

Wenn ich in den Wald gehe, sage ich, dass ich die Straße entlangjogge. Baba findet es toll, dass ich endlich meine sportliche Seite entdecke. Mein Handy lasse ich jedes Mal zu Hause und hoffe einfach, dass sie es nicht überprüfen werden. Ich muss das Risiko eingehen, erwischt zu werden, für die winzige Chance darauf, Khanyi wiederzufinden.

Was würdest du tun, wenn heute dein letzter Tag wäre?

Das Mädchen liest vor sich hin flüsternd die Worte vom Poster ab, das im Flur neben der Garderobe hängt. Es liest sie ab und lässt sie doch zurück. Ihr Deutsch ist ein Fluss, viel fließender als meins, Südafrika in ihren Worten, so wie es bei Baba auch manchmal noch durchklingt. Es schenkt der Sprache eine Weichheit, die ich nicht zu bieten habe, nicht einmal für mich selbst.

Was würdest du tun, wenn heute dein letzter Tag wäre?