Coffee to go - Sarah Lou Dodds - E-Book
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Coffee to go E-Book

Sarah Lou Dodds

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Beschreibung

Evelyns größter Traum ist das Literaturstudium. Nur dafür zog sie nach London. Doch der Job im Café, um sich das Leben zu finanzieren, frisst ihre Zeit. Das Studium rückt in weite Ferne. Außerdem macht ihr plötzlich dieser unverschämt gut aussehende Stammkunde Avancen. Was sie definitiv nicht gebrauchen kann, erst recht nicht, weil etwas in diesen stahlgrauen Augen danach schreit, sie solle vorsichtig sein. Erst als sie mit Ethan auf ein Date geht, stellt sie fest, wie sicher und geborgen sie sich bei ihm fühlt. Wäre da nur nicht Evelyns Vergangenheit, die wie eine graue Wolke über der aufkeimenden Beziehung schwebt. Als sich Evelyn dann doch auf Ethan einlässt, ist es sein Geheimnis, das die zwei auseinanderzubringen droht...

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Seitenzahl: 429

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TRIGGERWARNUNG

Hallo, Du!

Es freut mich riesig, dass du meinen Roman in den Händen hältst. Bevor du mit dem Lesen beginnst, möchte ich dich darauf aufmerksam machen, dass in diesem Buch einige Inhalte behandelt werden, die für manche Leser*innen belastend sein könnten.

Die spezifischen Trigger-Themen sind auf der letzten Seite des Buches aufgeführt. Diese kannst du dir gerne anschauen, um dich auf potenziell belastende Inhalte vorzubereiten.

Falls du während des Lesens auf Inhalte stößt, die dich triggern, ermutige ich dich, eine Pause einzulegen und mit einer Person zu sprechen, der du vertraust. Deine Gefühle sind wichtig, und es ist immer gut, darüber zu sprechen.

Ich wünsche dir viel Freude beim Lesen des Romans und hoffe, dass er dir gefällt.

Mit den liebsten Grüßen Deine Sarah

PLAYLIST

Falling in Love at a Coffee Shop / Landon Pigg

Unsteady / X Ambassadors

Castle on a Cloud / Isabelle Allen

Instead / Ryan Amador

Colors-stripped / Halsey

Please don’t say you love me / Alessia Mamino

What if this is all the love you ever get / Snow Patrol

Sober-Stripped / RAYE

Are you with me / nilu

Love in the Dark / Adele

Bad Liar (acoustic) / Gavin Mikhail

Lose you to love me / Selena Gomez

Und viele weitere findet ihr auf Spotify:

Playlist Coffee to go

Für Herr Figge

&

Für alle Kaffee-Klatsch Omas, hektische Herzen, Soap süchtige Teens und alle, die noch am Leben puzzeln.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Epilog

Kapitel 1

Wie kann ein Mensch nur so laut schnarchen?, fragte ich mich, als ich an Sabrinas Zimmer vorbei ins Bad schlich.

Ich huschte über die kalten Fliesen und wärmte meine Füße an dem grauen flauschigen Teppich vor dem Waschbecken wieder auf. Im Spiegel schaute mir eine junge Frau entgegen, die mit ihren tiefen Augenringen als Waschbär hätte durchgehen können.

Außerdem würde man mich mit der zu blasse Haut sofort für den nächsten Twiglight-Film casten, dachte ich.

Tief seufzend stellte ich fest, dass sich ein neuer Pickel auf meinem Gesicht breitmachte. Genervt hantierte ich mit dem Make-up herum und verließ das Bad mit mehr Frust als Zufriedenheit. Beim Vorbeigehen an Sabrinas Zimmertür ertönte ein lauteres Schnarchen als zuvor. Meine Mundwinkel zuckten nach oben, denn ich war davon überzeugt, dass sie auch heute zu ihrer Vorlesung zu spät kommen würde.

Sonderlich kreativ war ich in meiner Kleiderauswahl nicht. Zwar glaubte ich Sabrina nicht alles, was aus ihrem vorlauten Mundwerk kam, doch nach einem Blick in meinen Kleiderschrank war klar, warum sie der Meinung war, dass ich einem Film aus den Dreißigern entsprungen sei.

„Selten habe ich so langweilige und farblose Klamotten gesehen“, hatte sie mal zu mir gesagt.

Gleichgültig griff ich nach den ersten Kleidungsstücken, die mir in die Hand fielen: eine schwarze Skinny-Jeans und ein weißes basic T-Shirt. Fertig angezogen befestigte ich noch die goldene Herzkette, die mein Vater mir zu meinem siebten Geburtstag geschenkt hatte, hinter meinem Nacken. Sie gehörte zu meinen wertvollsten Gegenständen, und ich stopfte mein Portemonnaie und Macbeth von William Shakespeare in die schwarze Handtasche. Bei dem bloßen Gedanken an sein Werk bildete sich ein kurzes, kaum bemerkbares Grinsen um meine Mundwinkel.

Ich warf mir die Tasche über die Schulter, schnappte mir mein Handy und schlenderte in die Küche. Die Kaffeemaschine brodelte vor sich hin, nachdem ich sie reflexartig angeschaltet hatte, und mir entfloh ein entspanntes Seufzen. Für einen Moment schloss ich die Augen und lauschte zufrieden. Als das Geräusch erlosch und der Kaffee fertig gekocht hatte, spielte ich mit dem Gedanken, lieber einen Tee, statt einen Kaffee zu trinken. Versprach mir dann aber, meiner Koffeinsucht erst morgen ein Ende zu setzen. Wohlwissend, dass ich auch dann nicht auf meinen Kaffee verzichten würde.

Zufrieden mit meiner Entscheidung füllte ich den Kaffee in meine Tassen und gab besonders viel Milch hinzu, roch kurz an meinem Lieblingsgetränk und begann, vorsichtig daran zu nippen.

Stirnrunzelnd stellte ich das Getränk an die Seite, um es abkühlen zu lassen, und warf stattdessen einen ersten Blick auf mein Handy. Nicht einmal eine Sekunde später spürte ich, wie sich das Lächeln auf meinen Lippen ausbreitete und es auch ohne Kaffee wohlig warm in mir wurde.

Es war eine WhatsApp-Nachricht von meinem Bruder Josh.

Morgen Lyn, fliegen jetzt von New York nach Nashville. Denke jeden Tag an dich und vermisse dich. Love, Josh xoxo.

Der Zeitunterschied war uns beiden bewusst. An manchen Tagen zerriss es mich, zu wissen, dass die eine Person, der ich nah sein wollte, gleichzeitig die Person war, die so weit von mir entfernt war. Die Entfernung hielt uns aber nicht davon ab, so zu tun, als würden wir ein gemeinsames, funktionierendes Leben führen. Morgen Josh, flieg vorsichtig. Vermisse dich auch. Love. Lyn. xoxo

Das wohlig warme Gefühl und das Grinsen verabschiedeten sich mit einem Blick auf die Uhr. Der Gedanke an meine Pflegemama, die ich liebevoll Mama-Beth nannte, schnürte mir gefühlt den Magen zu, als würde er von einer Würgeschlange in die Mangel genommen werden. Sie würde heute ihre neue Chemotherapie beginnen und ich fürchtete, dass auch diese wieder nicht anschlagen könnte.

Nach dem ersten und letzten Schluck stellte die halbvolle Tasse in die Spüle und schickte ein Stoßgebet gen Himmel, mit dem Wunsch, dass die Therapie anschlagen würde. Zurück im Flur schlüpfte ich rasch in meine Sneaker und streifte mir eine Jeansjacke über meine Schultern.

Bevor ich nach meinem Schlüsselbund griff, entschied ich mich augenrollend dazu, das Unmögliche möglich zu machen. Vorsichtig klopfte ich an Sabrinas Tür, bekam aber nur ein lauteres Schnarchen als Antwort.

Genug ist genug, dachte ich, öffnete lautstark ihre Tür, marschierte mit raschen Schritten durch das Zimmer und riss die Vorhänge auf.

„Aufstehen, Schönheit, die Sonne lacht“, verkündete ich. „Außerdem beginnt deine Vorlesung in einer Stunde.“

Wie ein Vampir griff sie nach ihrem Kissen, um das Sonnenlicht abzuwehren, dass geradewegs in ihr Gesicht schien.

„Evelyn, du miese Kröte!“, stöhnte sie genervt.

„Du kommst sonst wieder zu spät“, sagte ich und lachte. „Außerdem hätte ich eine kreativere Beleidigung von dir erwartet. Du lässt nach.“

„Ja …“ Kurz überlegte sie. „Aber so früh am Morgen brauche ich einen Kaffee, um passende Beleidigungen für dich zu formulieren“, sagte sie schnippisch und mit dumpfer Stimme, denn sie drückte sich das Kissen weiterhin aufs Gesicht.

„Ist schon gekocht und wartet nur darauf, in deine Tasse umgefüllt zu werden.“

Langsam bewegte sie das Kissen von ihrem Gesicht. Zum Vorschein kamen giftgrüne Augen, mit denen sie mich fragend musterte. „Ich weiß nicht, ob ich dich lieben oder hassen soll.“

„Hier ist ein Vorschlag.“ Neugierig folgte sie mir mit den Augen, als ich die ersten Schritte zurück zur Tür machte. „Hass mich einfach so sehr, dass du mich liebst.“

Ein dezentes Nicken musste mir vorerst als Antwort reichen.

„Bist du auf dem Sprung oder hast du Zeit für einen gemeinsamen Kaffee?“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Tut mir leid, heute bin ich spät dran, aber wir trinken nachher einen, okay?“

Mit einem weiteren Nicken fiel sie seufzend zurück in ihre Kissen.

„Du schläfst jetzt aber nicht wieder ein, oder?“

Den blonden Wuschelkopf schüttelte sie so heftig, dass er ihr Grinsen verdeckte. „Lyn, wie in Gottes Namen könnte ich nach dieser Aktion und so viel Licht im Zimmer wieder einschlafen?“

Entschuldigend hob ich meine Hände. Ich hatte es ihr definitiv zugetraut.

„Gut, ich wollte nur sichergehen. Viel Spaß in der Uni.“

Der hölzerne Fußboden knarrte, als ich ihr Zimmer verließ. Ihr patziges „Na vielen Dank auch“ hörte ich trotzdem.

Die gute alte Sabrina. Es war schön, zu wissen, dass sie sich niemals ändern würde. Manchmal könnte sich die Welt ein Beispiel an ihr nehmen.

Der niedliche schwarze Corsa D stand in der Sonne, der Spätsommer war in diesem Jahr wirklich gut zu uns. So viel Sonne war für London ungewöhnlich. Sofort nach dem Einsteigen umhüllte mich der angenehme sachte Geruch von Vanille. Zufrieden stellte ich fest, dass der Duftbaum definitiv die richtige Entscheidung gewesen war. Zwar war es nur ein Opel Corsa, aber es war mein erstes eigenes Auto und mein ganzer Stolz. Mit dem Umdrehen des Zündschlüssels begann, der alte Motor zu rappeln, und mein Handy verband ich mit dem AUX-Kabel, bevor ich mich anschnallte.

Mein Spotify entschied sich für Piece by Piece von Kelly Clarkson und ich summte die Melodie leise mit. Wie beinahe jeden Morgen ärgerte ich mich über die Menschen, die einfach nicht Auto fahren konnten. Natürlich rechnete ich in London mit solchen Chaoten, akzeptiert hatte ich sie aber trotzdem noch nicht. Besonders die BMW- oder Audi-Fahrer, die der Meinung waren, wegen ihrer Autos auf alle Verkehrsregeln verzichten zu können, trieben mich zur Weißglut. Für meine missbilligenden Blicke hatten sie aber nicht die geringste Zeit, schließlich fuhr ich nur einen Opel.

Vollidioten, dachte ich kopfschüttelnd.

Als wenigstens mein Standardparkplatz, nicht weit vom Café entfernt, frei war und ich mein Auto ohne Probleme abstellen konnte, beruhigte ich mich wieder. Nach einem fünfminütigen Spaziergang kam ich auch endlich an dem Café an, welches wie mein zweites Zuhause war.

Durch das Aufstoßen der Tür klingelten die Glöckchen über der Tür und als mir der altbekannte Geruch von Kaffee und Gebäck in die Nase stieg, löst das ein Gefühl von Gemütlichkeit und Geborgenheit in mir aus.

Für einen kurzen Moment weilte ich in Erinnerungen. Schon vor drei Jahren, als ich nach London gekommen war, hatte sich das Café zu meinem liebsten Ort gemausert. Trotz des Lächelns, das sich an meinem Mundwinkel anbahnte, konnte ich es fast nicht glauben, dass ich seit meinem Umzug in die Stadt auch hier arbeitete.

Kaffee auszuschenken und Bagel zu belegen, war mit Sicherheit nicht mein Traumjob. An die vielen netten Stammkunden hatte ich mich aber gewöhnt. Die meisten sogar liebgewonnen. Die alten Damen, die hier ihren Kaffeeklatsch hielten und mich anlächelten, als sei ich ein wahrer Engel. Nur, weil ich ihnen ohne Aufpreis Kaffee nachschenkte. Die Workaholics, die sich hier eine wohlverdiente Pause gönnten und die Gedanken der Arbeit verdrängen konnten, wenn auch nur kurz. Und nicht zu vergessen die übermüdeten Schüler, die unbedingt Pretty Little Liars zu Ende schauen wollten und an ihren Augenringen zu urteilen wahrscheinlich deswegen bis spät in Nacht wach geblieben waren. Für all diese Menschen war ich schon längst nicht mehr Miss Bennet, diese Menschen waren bereits Teil meiner großen Pottine-Familie. Und für Familie war ich Lyn.

Mit Großbuchstaben stand der Name Café Pottine über dem Eingang des Lokals und an der Menütafel wechselte ich wieder lediglich das Datum. Die Angebote änderten sich nie, zumindest nicht, seit ich hier arbeitete.

„Die Leute lieben, was sie kennen, und wollen nichts anderes“, sagte die Inhaberin Claire immer, wenn ich die mangelnde Abwechslung ansprach. Ganz nach dem Motto: „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.“

Nachdem ich das Schild an der Tür umdrehte und es „Geöffnet“ anzeigte, legte ich mir die Schürze um und stellte schon einmal die Kaffeemaschine an.

„Morgen, Lyn.“

Jess’ helle Stimme war unverwechselbar und so wusste ich, auch ohne sie gesehen zu haben, dass sie mit schlurfenden Schritten durchs Café ging. Sie war ein Senior in High School und holte sich, seit ich hier arbeitete, jeden Morgen ihr Frühstück und Schullunch ab. Auf die Frage, warum sie nicht einfach in der Schule zu Mittag aß, zuckte sie nur mit den Schultern und meinte, es schmecke nach Erde. Wie so oft hatte sie Augenringe, die aus der Unterwelt stammen mussten, und ihre Schulkrawatte war auch falsch gebunden. Ohne jeden Zweifel fiel sie unter die Kategorie: Schlafen kann ich, wenn ich Tod bin.

„Morgen Jess, bist du gut vorbereitet für heute?“, fragte ich in der Hoffnung, dass ein Schwarztee mit extra viel Zucker in der Lage sein würde, sie wieder zum Leben zu erwecken.

Fragend musterte sie mich und schien nicht die geringste Ahnung zu haben, wovon ich sprach. Ich rollte mit den Augen. Sie ist der vergesslichste Mensch, der mir je begegnet ist, dachte ich.

„Deine Englischklausur? Die war doch heute, oder?“

Ihre haselnussbraunen Augen wurden immer größer, was meine Vermutung bereits bestätigte: Sie hatte also nicht gelernt.

„O Mist, das habe ich vergessen. Was mache ich denn jetzt?“, fragte sie panisch. Mit einem raschen Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass sie genau dreißig Minuten Zeit hatte, den versäumten Stoff aufzuholen. Nicht gerade die besten Voraussetzungen, aber auch kein Grund zur Panik.

„Ein bisschen Zeit hast du noch. Lern, so viel du kannst. Ich versuche, dir nebenbei, so gut es geht, zu helfen.“

Nickend setzte sie sich zu mir an die Theke, zog das Englisch-Buch aus ihrem überfüllten Rucksack und band sich ihre langen braunen Haare in einen Messy-Bun zusammen.

„Wir schreiben über literarische Analysen, kannst du das?“

Nickend bestätigte ich ihr, dass ich das konnte.

„Lern hauptsächlich den Aufbau auswendig. Damit meine ich Einleitung, Hauptteil und Schluss. Merke dir, welche Aspekte einer Analyse du wann und wo einsetzen musst. In die Einleitung kommen zum Beispiel Titel, Name des Autors, Datum und Ort der Veröffentlichung und solche Sachen. Die gleichen Schritte gehst du dann auch im Hauptteil und im Schluss durch, aber natürlich mit anderen Kriterien. Die müssten in deinen Unterlagen aufgelistet sein. Präg sie dir gut ein, denn wenn du sie auswendig kannst, ist das die halbe Miete. Viel mehr kannst du bei Analysen nicht machen, außer zu hoffen, dass du einen einfachen Text bekommst. Satiren eignen sich ziemlich gut dafür.“

Die Fragezeichen in ihren Augen machten mir Sorgen, denn sie hatte mit Sicherheit nicht einmal die Hälfte verstanden.

Weiß sie überhaupt, was eine Satire ist?, fragte ich mich. Mit einem tiefen Atemzug beugte sie sich schließlich über ihre Bücher und begann, zu lesen. Während Jess krampfhaft versuchte, den versäumten Stoff zu lernen, ging das Leben im Café weiter.

Mrs. Miller, Mrs. Smith und Mrs. Clarke hatten sich bereits zusammengefunden und tranken gemeinsam ihren Montagskaffee. Wie immer waren die Top-Gesprächsthemen: das langweilige Leben der Rentner, die guten Noten der Enkel und die jungen Mädchen, die in ihren Augen etwas zu freizügig angezogen waren.

Auch Mr. Dawson war bereits eingetroffen und trank hektisch seinen Cappuccino, während sein Blick ständig zur Uhr schweifte. Ich hätte sogar behauptet, dass sich dieser Mann niemals entspannte. Immer schien er unter Strom zu stehen.

Es fühlte sich an, als hätte ich meinen Blick nur kurz von der Uhr abgewandt, als sich Jess schon verabschiedete. Bevor sie ging, schaute ich noch rasch über ihre Notizen und war zufrieden mit ihr. Für ihre offensichtliche Ahnungslosigkeit hatte sie einiges geschafft und fühlte sich trotz leichter Nervosität besser als zuvor, wie sie mir sagte. Ein letztes Mal legte ich ermutigend meine Arme um sie und wünschte ihr viel Glück, bevor sie sich ihr von mir bereits vorbereitetes Lunchpaket schnappte und sich mit einem Luftkuss verabschiedete.

Die Glöckchen an der Tür klingelten, wie immer, wenn ein neuer Kunde hereinkam. Und nur ein flüchtiger Blick auf meine Armbanduhr war nötig, um zu wissen, wer gerade durch die Tür gekommen war. Schon jetzt hätte ich gern die Flucht ergriffen, doch bereitete stattdessen mit zügigen Schritten alles für seine übliche Bestellung vor. Vergeblich versuchte ich, mich zu wappnen, um diesen emotionslosen, grauen Augen standhalten zu können.

Kapitel 2

Seit vier Wochen kam er nun schon jeden Morgen um Punkt neun Uhr in unser kleines Café. Seine immer gleichbleibende Bestellung konnte ich auswendig, nur an seinen abwertenden, kalten Blick gewöhnte ich mich einfach nicht.

Ein langweiliger Bagel mit Käse, Schinken und drei Scheibchen einer Bio Gurke. Dazu einen schwarzen ungesüßten Kaffee und alles fein säuberlich eingepackt to go.

Noch bevor er die Theke erreicht hatte, hatte ich die Bestellung fertiggestellt. Den Kaffee füllte ich in einen mediumgroßen Becher, auf dem schon eine vorgedruckte Nachricht stand: Es sind die kleinen Dinge, die einem den Tag versüßen. Für uns ist es Kaffee. – Café Pottin. Da die Nachricht bereits auf allen Bechern klebte, brauchte ich sie nur noch mit meinem Namen unterschreiben.

Die Idee hatte die Inhaberin Claire letztes Jahr gehabt, um unseren Kunden ein familiäreres Gefühl zu vermitteln. Ich war aber davon überzeugt, dass sie sich die Idee von Starbucks abgeguckt hatte. Außerdem waren die meisten Menschen viel zu beschäftigt, um sich Botschaften auf Kaffeebechern durchzulesen.

Bevor er seinen Mund öffnen konnte, um zu bestellen, stellte ich bereits alles fertig vor ihm hin.

„Ein Bagel, belegt mit Käse, Schinken und drei Scheiben Gurke, ein schwarzer ungesüßter Kaffee und alles to go, richtig?“ Etwas überrumpelt schaute er mir in die Augen. Mit jeder vorbeiziehenden Sekunde schnellte mein Puls in die Höhe und seinem Blick nach zu urteilen, war ich mir sicher, dass er etwas Unfreundliches antworten würde. „Ja, das ist richtig so.“

Immer wieder verlagerte ich mein Gewicht von einem Bein auf das andere und bemerkte, dass sein Blick nicht von mir abließ. Was er damit bezwecken wollte, war mir ein Rätsel, aber standhalten konnte ich ihn trotzdem nicht.

„Evelyn, Schätzchen, könnten wir noch einen Kaffee bekommen?“ Mrs. Clarkes Stimme unterbrach die unangenehme Situation und bot mir einen Grund, mich seinem Blick zu entziehen.

„Natürlich, Mrs. Clarke, kommt sofort.“

Etwas gefasster und ohne Herzrasen drehte ich mich wieder zu ihm um. „Ähm, das … das wären dann vier Pfund … vier Pfund fünfzig“, stotterte ich verlegen.

Er reichte mir einen Zehner und als ich ihm sein Restgeld geben wollte, verneinte er.

„Das stimmt so“ – prüfend schaute er auf seinen Kaffeebecher – „Miss Bennet.“

Völlig verdutzt sah ich ihn an. „Ich, ähm, vielen Dank.“

Meine Wangen wurden heiß. Vermutlich glich mein Gesicht einer Tomate. Augenblicklich hasste ich mich dafür, was die Situation nur verschlimmerte. Amüsiert über meine Reaktion, nahm er seine Bestellung und verließ grinsend das Café.

Mit den Augen folgte ich ihm, bis er an den Fenstern des Geschäfts vorbeigelaufen und aus meinem Sichtfeld verschwunden war. Plötzlich verstand ich gar nichts mehr. Mein Name hatte jeden Morgen auf seinen Kaffeebecher gestanden. Kein einziges Mal hatte er darauf geachtet und noch niemand hatte mir jemals über fünf Pfund Trinkgeld gegeben. Zumindest nicht hier.

„Evelyn, unser Kaffee!“

Durch den Alltagsstress waren der unbekannte Schönling, seine grauen Augen und seine langweilige Bestellung bald vergessen.

Jess kam zur Mittagszeit noch mal vorbei, um mir von ihrer Klausur zu erzählen. Insgeheim glaubte ich, dass sie es nur auf einen Tee und einen Donut abgesehen hatte.

„Lyn, du hast mir heute Morgen echt den Arsch gerettet. Hättest du mich nicht an die Klausur erinnert, wäre meine Analyse verloren gewesen. Jetzt hat sie wenigstens einigermaßen Struktur bekommen.“

Grinsend bereitete ich ihren Tee vor. „Dafür musst du mir nicht danken, gelernt hast du ja schließlich selbst.“

Stück für Stück knabberte sie an ihrem pinken, mit Zuckerguss glasierten Donut und schaute sich im leeren Café um.

„Und, ist irgendwas Spannendes passiert, als ich weg war?“

Ohne aufzuschauen, zuckte ich mit den Schultern, damit sie mein anbahnendes Lächeln nicht sah.

„Na ja, Ed Sheeran und Taylor Swift haben hier einen Kaffee getrunken, dann hat er mir einen Heiratsantrag gemacht. Ich habe natürlich abgelehnt, er hatte keinen Ring und außerdem gefällt mir seine Frisur nicht. Das Übliche halt.“

Zuerst schüttelte sie nur den Kopf, aber dann war schließlich doch ein leichtes Zucken um ihren linken Mundwinkel zu erkennen.

„Wenn dein Tee so schlecht wäre wie deine Witze, hättest du keine Kunden, das kannst du mir glauben.“

Die Glöckchen an der Tür läuteten und Jess wie auch ich schauten neugierig zum Eingang.

„Hey, Mrs. Pottine“, begrüßte Jess die Dame mittleren Alters.

„Guten Tag, Jessica“, sprach Claire sanft und streichelte ihr sacht und vertraut über die Schulter. „Na, hast du schon Schulschluss?“

Jess’ Nicken musste als Antwort genügen, immerhin war sie gerade dabei, ihren Tee hinunterzuschlucken. Sie verzog das Gesicht, was vermutlich daran lag, dass sie das Getränk nie genug abkühlen ließ.

„Und dir Evelyn, Süße, wie geht es dir?“

„Gut, danke, Claire.“

Ihre Stirn warf feine Falten, während sie mich vorsichtig anlächelte. „Bist du sicher? Ist irgendwas passiert?“

Claire schien Emotionen zu riechen, man konnte dieser Frau nichts verheimlichen. Schon oft hatte ich mir gedacht, dass sie lieber bei der Polizei hätte arbeiten sollen, anstatt sich mit einem Café selbständig gemacht zu haben.

„Nein, alles war wie immer.“

Ihr Blick war scharf wie ein Messer und schien mich beinahe zu durchbohren. „Na ja, es gibt da diesen einen Kunden, der mir seit dem ersten Tag, an dem er herkam, unsympathisch war. Heute hat er mich auf einmal angelächelt und viel mehr Trinkgeld gegeben, als seine Bestellung gekostet hat. Ich frage mich nur, woran es plötzlich liegt. Vorher hat man nicht mal ein guten Morgen aus ihm herausbekommen.“

„Ist er heiß?“, fragte Jess plump mit dem letzten Stück Donut im Mund.

Claire musterte sie empört. „Jessica, so etwas fragt man nicht. Besonders nicht mit solch einer Ausdrucksweise“, stellte sie fest.

„Beantworte doch einfach die Frage“, erwiderte sie genervt.

„Ja, er ist heiß, wenn du es so ausdrücken willst, aber auch furchtbar arrogant, unfreundlich und kalt.“

Nickend nahm Jess einen weiteren Schluck vom Tee, als würde für sie bereits alles feststehen. „Na dann ist doch alles sauber. Er hat dich bestimmt abgecheckt.“

Lachend schüttelte ich mit dem Kopf, während Claire die Stirn kraus zog.

„Verzeihung, Jessica, Kleines. Ich glaube, ich habe dich nicht ganz verstanden. Warum sollte der Kunde denn nicht sauber sein? Und was meinst du damit, dass er Evelyn abgecheckt hat?“

Während Jess weiter versuchte, Claire die Jugendsprache näherzubringen, widmete ich mich den neuen Kunden, die hereinkamen. Schließlich verabschiedete sich Jess und auch Claire machte sich eine Stunde vor Ladenschluss auf den Heimweg.

„Bis morgen, Evelyn, ach ja und ähm … bleib schön … fresh“, sagte sie, während sie ihre Finger zu einem Peace-Zeichen hochhielt. Ich hätte mir nicht mal ein Lachen verkneifen können, wäre es um mein Leben gegangen.

„Bis morgen, Claire, schönen Feierabend.“

Nachdem ich alle Maschinen und Lichter ausgeschaltet hatte, war ich bereit, meine kleine Oase zu verlassen.

Wieder einmal stellte ich fest, wie gemütlichen es war, an einem schönen Sommerabend durch den kleinen Stadtpark zu spazieren. An der roten Ampel blieb ich stehen und freute mich schon, den ganzen Lärm hinter mir zu lassen und mich von den blühenden Blumen, den singenden Vögeln und den sanften Sommerwind berauschen zu lassen. Kaum etwas war schöner, als nebenbei auch noch lesen zu können. Ungeduldig kramte ich in der Tasche. Den gesamten Tag war ich nicht zum Lesen gekommen und der Drang, mich in eine imaginäre Welt zu verstecken, wuchs mit jeder Minute.

Als das rote Männchen zu einem grünen wechselte, ergriff ich das Buch und überquerte die Straße blind. Aus den Augenwinkeln heraus erkannte ich nur noch ein furchtbar grelles Licht, das mich wie ein überraschtes Reh zum Stillstand brachte. Als es schon zu spät schien, war das Quietschen von Reifen das Letzte, was ich vernahm. Ich kniff die Lider zusammen und spürte, wie mich jemand nach vorne schubste und mich damit zu Fall brachte.

Als ich meine Augen öffnete, fand ich mich auf dem harten Asphalt wieder und ging davon aus, dass der LKW mich angefahren hatte. Meine Hand führte ich schmerzerfüllt zu meinem Kopf und bei Berührung meiner Stirn verzog ich mein Gesicht noch mehr. Meine Hände waren mit Blut beschmiert, ob sie aufgekratzt waren oder meine Stirn blutete, konnte ich in meinem benommenen Zustand nicht erfassen. Die Welt schien sich dreimal schneller zu drehen und wie ich auf dem Boden und nicht zerquetscht unter dem LKW gelandet war, war mir schleierhaft.

Unter Schock kniete ich mich hin, beobachtete das Blut auf meinen Händen und versuchte, aus der ganzen Situation schlau zu werden. Erschrocken zuckte ich zusammen, als ich starke Hände an meiner Hüfte und Schulter spürte, die mir mit sanftem Druck aufhalfen.

Rasch wandte ich mich herum, um mich bei dem Mann mit den starken Händen zu bedanken. Ich rechnete mit dem LKW-Fahrer, doch als ich meinem Helfer in die Augen schaute, erschrak ich. Das emotionslose Grau traf mich und für ein paar kurze Momente verlor ich mich in diesem Nebel. Oft hatte ich überlegt, welcher Beruf einen so unfreundlich machte, aber für einen LKW-Fahrer hätte ich diesen schick gekleideten Mann wirklich nicht gehalten.

„Sie bluten.“

Kurz flackerte etwas in seinen Augen auf, als könnte der Unbekannte Sorge verspüren. Schnell griff er in seine Jacketttasche. Hervor zog er eine Packung Taschentücher und drückte eines sacht auf meine Stirn. Benommen wich ich zurück. Und als er seinen Arm um meine Hüfte legte, pumpte mein Herz das Blut rauschend in meine Ohren. Gegen den stechenden Schmerz half es nur, die Zähne fest aufeinanderzubeißen, und ich schien es nicht im Geringsten so gut überspielen zu können, wie ich hoffte. Denn der Unbekannte musterte mich bei jedem Zucken mit einem sorgenden und entschuldigenden Blick.

„So, äußerlich ist das Gröbste überstanden. Aber ich rufe trotzdem einen Krankenwagen. Sicher ist sicher.“

Zu meiner Überraschung schenkte er mir ein leichtes Lächeln, welches ich nicht erwidern konnte. Das Taschentuch nahm ich von der Stirn.

„Nein, bitte keinen Krankenwagen. Das ist nicht nötig.“

Er lächelte zwar, aber zog sein Handy trotzdem aus der Tasche, um den Notruf zu wählen.

„Mit allem Respekt, Miss, ein Arzt wird das besser beurteilen können, als eine junge Frau mit einer Kopfverletzung.“

Seine Antwort mochte vielleicht Sinn ergeben haben, aber unter keinen Umständen würde ich auch nur einen Fuß in den Krankenwagen setzen.

„Ich werde nicht einsteigen, das versichere ich Ihnen“, sagte ich mit einer Entschlossenheit, die ihn zu überraschen schien.

„Okay, aber dann halten Sie das Tuch wenigstens weiter auf Ihre Stirn, bis ich Sie ins Krankenhaus gefahren habe.“

Mein Blick wanderte zu dem LKW, welchem ich gerade noch so entkommen war, während der Fahrer aus der Kabine stieg und auf uns zulief.

„O Gott, geht es Ihnen gut, Miss?“

Noch immer neben der Spur nickte ich, mein Retter tat jedoch das Gegenteil.

„Natürlich geht es ihr nicht gut. Wäre ich nicht da gewesen, hätten Sie die junge Dame platt gefahren.“

Bei der Vorstellung schluckte ich schwer.

„Die Ampel war rot, das müssen Sie doch gesehen haben!“, fuhr der Unbekannte den LKW-Fahrer an.

Mit gesenkten Schultern und zitternden Händen schüttelte der Fahrer mit dem Kopf. Seine grauen Haare und die tiefen Ringe unter den Augen ließen ihn älter wirken, als er wahrscheinlich war. Verzweifelt wechselte sein Blick zwischen dem Mann und mir.

Mit jeder Sekunde, die ich ihn ansah, wurde mein Herz schwerer, schließlich trug ich ja irgendwie Mitschuld. Immerhin hatte ich selbst auch nicht aufgepasst und war gedankenverloren über die Straße gegangen.

„Es tut mir aufrichtig leid. Meine Schicht geht schon viel zu lange. Ich muss wohl eingeschlafen sein, so eine Art Sekundenschlaf. O Gott, jetzt verliere ich meinen Job. Wenn mein Chef das erfährt, bin ich raus.“

Ob es mein Bauchgefühl oder sein wertender Blick war, wusste ich nicht, doch bevor der Unbekannte mit den grauen Augen wieder eine unfreundliche Antwort von sich geben konnte, beschloss ich, die Situation selbst in die Hand zu nehmen.

„Machen Sie sich keine Sorgen, Sir. Sie werden Ihren Job nicht verlieren. Es ist alles gut. Mir ist nichts passiert und außerdem hätte ich auch aufpassen müssen. Sie sollten sich ausruhen, fahren Sie nach Hause und nehmen Sie sich, wenn Sie können, ein paar Tage frei.“

Wohlwollend legte ich meine Hand auf seine Schulter und wäre es nicht so unangemessen gewesen, hätte ich ihn sogar gern umarmt. Doch er schaute noch immer beschämt zu Boden.

„Sie wollen also keine Anzeige gegen mich erstatten?“

Ich verneinte. „Natürlich nicht.“ Beinah ungläubig musterte er mich und lächelte mir dankend zu.

„Vielen Dank, Miss, und Ihnen auch, Sir. Erlauben Sie mir, Sie ins Krankenhaus zu fahren, oder haben Sie schon einen Krankenwagen gerufen?“

„Nach dem letzten Szenario werde ich das wohl besser übernehmen. Sie können dann ja versuchen, auf dem Heimweg keine unschuldigen Damen zu überfahren.“

Der Unbekannte erntete für seinen Spruch einen bitterbösen Blick von mir, ob er ihn bemerkte und ob es ihn überhaupt interessierte, bezweifelte ich bei seiner ausdruckslosen Miene.

„Das ist sehr lieb von Ihnen, aber das wird nicht nötig sein. Mir geht es gut“, ergänzte ich.

Nickend und abermals dankend setzte sich der LKW-Fahrer zurück in sein Fahrzeug.

„Sie haben den Mann, der Sie fast zu Matsch gefahren hat, einfach gehen lassen. Ohne Polizei, ohne Report und ohne Anzeige“, stellte der Unfreundliche fest und schien von meinem Verhalten schockiert zu sein.

Lächelnd schaute ich zu meinem Retter auf und konnte seinem ungläubigen Blick nur schwer standhalten.

Er dachte wohl, ich hätte mir den Kopf härter gestoßen, als angenommen.

„Ja, das habe ich. Jeder macht Fehler. Dank Ihnen ist mir außer ein paar kleinen Kratzern nichts passiert. Warum sollte der arme Mann also für etwas haften, das nichts zu bedeuten hatte?“

Er schüttelte den Kopf und versuchte gar nicht erst, mein Handeln zu verstehen.

„Dass wirklich nichts Schlimmeres passiert ist, wird Ihnen dann hoffentlich der Arzt bestätigen, sonst wird das keine Versicherung übernehmen. Kommen Sie, mein Auto steht dort hinten. Ich fahre Sie ins Krankenhaus. Die Wunde sollte sich jemand ansehen, bevor sie sich noch entzündet.“

Keine zehn Zebras hätten mich ins Krankenhaus bekommen, also winkte ich ab.

„Ach Unsinn. Es geht mir gut, ohne Sie könnte ich das wohl nicht behaupten Mr. …“

„Conner“, ergänzte er.

„Also, Mr. Conner, vielen Dank für Ihre heldenhafte Rettung. Jetzt müssen Sie mir nur noch verraten, wie ich mich bei Ihnen revanchieren kann.“

Er verneinte kopfschüttelnd. „Das wird nicht nötig sein, jeder hätte so gehandelt.“

Sein Blick wanderte zu Boden und er griff nach dem Buch, welches mir beim Sturz heruntergefallen sein musste.

„Aha, Shakespeare also, huh? Gute Wahl. Mögen Sie klassische Literatur?“

Sein aufrichtiges Interesse überraschte mich und erst nach kurzem Zögern fand ich meine Worte wieder.

„Ja, es ist meine größte Leidenschaft.“

Schließlich reichte er mir das Buch und unsere Blicke trafen sich. Während mich der Nebel in seinen Augen verunsicherte, schien er etwas in meinem Blick zu suchen und ich hoffte nur, dass er es nicht fand.

„Wie auch immer, ich fahre Sie jetzt ins Krankenhaus oder rufe den Krankenwagen. Suchen Sie es sich aus.“

„Und was ist mit meinem Auto?“, fragte ich.

Keinen einzigen klaren Gedanken konnte ich fassen, wobei ich davon ausging, dass es am Schock lag. Ich wollte einfach nur nach Hause.

„Ich bin mir sicher, jemand aus Ihrem Bekanntenkreis kann sich darum kümmern.“

Schließlich gab ich mich geschlagen.

„Wenn es Ihnen so wichtig ist, dann rufen Sie halt den Krankenwagen. Ich rufe meine Mitbewohnerin an, die das Auto abholen kann.“

Er nickte sichtlich zufrieden darüber, dass ich endlich Einsicht zeigte.

Ich wandte mich von ihm ab, zog mein Handy aus Tasche und rief Sabrina an. Es dauerte keine fünf Sekunden, da nahm sie das Gespräch entgegen.

„Lyn?, was ist los?“, fragte sie besorgt.

„Hey Brina, nichts Schlimmes. Bitte sorg dich nicht. Ich werde gleich vom Krankenwagen abgeholt. Ich hatte einen kleinen Unfall und ein Arzt soll kurz schauen, ob wirklich alles okay ist. Könntest du den Ersatzschlüssel nehmen und das Auto und anschließend mich vom Krankenhaus abholen?“

Erschrocken atmete sie ein. „O mein Gott, ja, natürlich. Was ist passiert? Ich packe dir sofort eine Tasche.“

„Brina, beruhig dich! Es ist wirklich nicht schlimm. Ich bin da sicherlich nach zehn Minuten wieder raus.“

Hinter mir hörte ich nur, wie der Unfreundliche ungläubig schnaubte, aber ich entschied mich dazu, es zu ignorieren.

„Okay, ich packe dir trotzdem was. Man weiß ja nie. Ich beeile mich. Bis gleich.“

„Ich danke dir, Brina. Das Auto steht in der Nähe vom Café, beim Stadtpark, bis gleich.“

Ich drehte mich wieder zu Mr. Conner um.

„Konnten Sie alles regeln?“, fragte er kühl.

„Ja, meine Mitbewohnerin holt das Auto und dann mich ab.“

„Sehr gut, der Krankenwagen sollte in fünf Minuten hier sein.“

Es wurde still zwischen uns und ich fragte mich, warum er nicht einfach ging. Er hatte mir geholfen und den Rettungsdienst alarmiert, jegliches Pflichtgefühl sollte ihn spätestens jetzt verlassen.

„Ich warte, bis Sie abgeholt werden.“

„Vielen Dank, Mr. Conner, aber das müssen Sie nicht tun. Wenn ich irgendetwas für Sie tun kann, lassen Sie es mich wissen.“

Lange antwortete er nicht, sondern schaute mich einfach nur an, bis er sich plötzlich zu erinnern schien.

„Ich erkenne Sie erst jetzt. Sie sind die Dame, die in meinem Lieblingscafé arbeitet. Wie war Ihr Name doch gleich? Bennet?“

„Ja, Evelyn Bennet.“

Er grinste zufrieden, warum wusste ich nicht und ich hatte auch nicht mehr die Kraft, mir Gedanken darüber zu machen.

„Na, wenn das so ist, weiß ich ja, wo ich Sie finde, wenn ich etwas brauche.“

Erschöpft und mit immer stärker werdenden Kopfschmerzen nickte ich ihm noch einmal zu. Die Sirenen hörten wir, bevor man den Rettungswagen sehen konnten. Schließlich hielt der Krankenwagen direkt vor uns und die Sanitäter stellten sich kurz mit Namen vor und leuchteten mir mit einer kleinen Taschenlampe in die Augen, um meine Lichtreaktion zu testen. Auch jetzt war Mr. Conner noch neben mir und beobachtete das Geschehen mit voller Aufmerksamkeit.

„Wir nehmen Sie vorsichtshalber mit. Bei Kopfverletzungen kann man nichts ausschließen.“ Der Sanitäter wandte sich von mir ab und Mr. Conner zu. „Wollen Sie mitfahren?“

Er schüttelte den Kopf „Ähm … Nein, Miss Bennets Mitbewohnerin wird sie im Krankenhaus abholen.“

Bevor ich in den Krankenwagen einstieg, drehte ich mich nochmal zu Mr. Conner um.

„Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend, Mr. Conner, und noch einmal vielen Dank.“

„Den wünsche ich Ihnen auch, Miss Bennet. Und eine gute und rasche Genesung.“

Zum Abschied reichte er mir die Hand und ging in die andere Richtung, sodass ich ihn nicht mehr sehen konnte.

Mein Schädel brummte und ich war froh, wenn dieser Tag endlich vorbei war.

Sabrina riss die Augen weiter auf, als ich es körperlich für möglich gehalten hätte, als sie mich im Krankenhaus abholte. Außerdem erlitt sie einen halben Herzinfarkt, als sie meine Stirn sah. Die Ärzte hatten ein Hirnschädeltrauma ausgeschlossen, mir aber geraten, mich die nächsten Tage zu schonen und jegliche Symptome im Auge zu behalten.

Als ich zu Hause dazu kam, Sabrina alles zu erzählen, schien sie wesentlich mehr an Mr. Conner, als an dem eigentlichen Unfall interessiert zu sein.

„Na, da sieht man es ja wieder. Nicht jeder ist so, wie er scheint. Du musst zugeben, er war schon sehr süß zu dir.“

Genervt schüttelte ich meinen Kopf und hielt mir ein Kühlpack an die Stirn. Bereits geduscht und im Pyjama kuschelte ich mich in die weiche Decke auf dem Sofa und nippte an dem übersüßten Tee, den Sabrina mir gemacht hatte. Wie er helfen sollte, wusste ich nicht. Für Briten schien eine gute Tasse Tee ein Heilmittel für alles zu sein.

„Er mag mir zwar das Leben gerettet haben, aber du hättest sehen sollen, wie gemein und unhöflich er zu dem LKW-Fahrer war. Ein anständiger Mann würde mit niemandem so reden.“

„Wir leben in London, Süße. Es ist vielleicht nicht nett oder anständig, aber das ist leider Alltag in einer Großstadt.“

Ein abwesendes Nicken musste sie als Antwort zufriedenstellen.

„Lust auf Ben & Jerry Eis, kombiniert mit ein bisschen Prison Break?“

Für diesen Vorschlag liebte ich sie noch mehr, als ich es für möglich gehalten hatte.

„Dafür würde ich sterben.“

„Süße, bedank dich bei Mr. Connor, denn du hättest heute tatsächlich sterben können.“

Kapitel 3

Am nächsten Morgen war der Spiegel schon besser auf mich zu sprechen und über der Wunde an meiner Stirn war bereits ein dünner Schorf entstanden. Trotzdem biss ich jedes Mal, wenn ich die wunde Stelle mit dem Puderpinsel berührte, die Zähne zusammen und verbrachte eine halbe Ewigkeit im Bad.

Überrascht, Sabrina so früh am Morgen zu sehen, blieb ich im Türrahmen der Küche stehen. Sie lachte nur, als sich meine Stirn in Falten legte. Zuerst schaute ich den gedeckten Frühstückstisch und dann sie fragend an.

„Was?“, entfuhr es ihr. „Darf ich meiner Lieblingsmitbewohnerin nicht auch mal Frühstück machen?“ Automatisch hob sich meine rechte Augenbraue und ich verschränkte die Arme vor der Brust.

„Was willst du?“

Empört schüttelte sie den Kopf. Doch ich kannte sie besser. Niemals wäre sie eher als nötig aufgestanden, besonders nicht, um mir Frühstück zu machen, dazu noch ein so aufwendiges. Auf dem Tisch standen Rührei, Brötchen, Croissants, Obst und eine kleine Notiz neben einer Tasse Schwarztee, auf der stand: Kaffee ist ungesund, versuch es lieber mit einem guten britischen Tee! - Love, Brina

Wissend schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen, aber ich setzte mich trotzdem zu ihr an den Tisch und griff nach einem Croissant. Es war noch warm und fluffig.

„So jetzt raus mit der Sprache, was willst du, Brina?“

Mit gesenktem Blick zuckte sie mit den Schultern und biss in ihr Nutella-Brötchen.

„Gar nichts“, kam es murmelnd aus ihrem vollen Mund. Das Schweigen wurde schnell unangenehm, wir beide wussten, dass sie log. Mein Blick blieb weiter auf ihr liegen, während sie versuchte, ihm auszuweichen. Wie ein Hund, der wusste, dass er Mist gebaut hatte.

„Na ja“, setzte sie schließlich an. „Wir sollten eine Lektüre lesen und eine Analyse darüber schreiben.“

Diese Worte reichten mir. Es war offensichtlich, was sie wollte, also biss ich gelassen von meinem Croissant ab und ließ sie weiter vor sich hin stammeln.

„Und ich habe nicht mehr daran gedacht, ich war doch so lange mit Shawn in Schottland. Wir haben seine Eltern besucht, erinnerst du dich? Da bin ich voll über die Lektüre weggekommen.“

„Brina, es ist erstaunlich, wie oft du über deine Lektüren und Hausarbeiten wegkommst. Weißt du, es gibt Leute, die alles dafür tun würden, an deiner Universität Literaturwissenschaft zu studieren.“ Kurz hielt ich inne. „Ich zum Beispiel.“

„Ich weiß, Lyn, was glaubst du, warum ich dich immer darum bitte, meine Hausarbeiten zu schreiben? Du bist wahnsinnig gut, aber du weißt auch, dass ich Literatur nicht ausstehen kann. Zumindest nicht dieses ganze Mittelaltergesülze. Würden meine Eltern nicht von mir verlangen, den Verlag zu übernehmen, dann wäre ich gar nicht hier. Wäre es nur die Betriebs- und Volkswirtschaftslehre, hätte ich auch weniger Schwierigkeiten. Aber sie sind der festen Überzeugung, dass ich eine Kombination aus Zahlenverständnis und Literatur brauche. Nur weil sie es damals so gemacht haben. Was ich machen möchte, ist egal. Hauptsache das Geschäft läuft und der Schein nach außen ist gewahrt.“

Da war er wieder, dieser unvermeidliche Druck auf dem Herzen. Ein unsichtbares Gewicht, das sich in meinem gesamten Brustkorb breitmachte. Gefolgt von dem augenblicklichen Drang, ihr Verständnis entgegenzubringen und sie in den Arm zu nehmen. Außerdem war mir bewusst, dass sie mit dem meisten absolut richtig lag. Schon oft hatte sie über das Unverständnis ihrer Eltern geklagt, aber sich letztendlich doch ihren Wünschen gebeugt. Sie tat für ihre Familie, was sie tun musste. Was von ihr erwartet wurde. Warum man sie zu etwas zwang, was sie nicht wollte und für das sie auch absolut keine Begeisterung übrig hatte, war für mich noch nie nachvollziehbar gewesen.

„Ist schon okay“, gab ich nach. „Ich werde nachher mal sehen, was sich da machen lässt. Bis wann brauchst du die Analyse?“

Ihr Blick wanderte zurück auf den Boden, was Grund genug war, mich vor ihrer Antwort zu fürchten. „Bis übermorgen.“

Den Tee hätte ich am liebsten wieder ausgespuckt und das nicht nur, weil er zu süß war. Mit großen Augen starrte ich sie an und in genau dieser Sekunde verschwand mein Mitleid.

„Sabrina! Ich führe ein eigenes Leben. Ich habe einen Job, wie soll ich eine ganze Analyse schreiben und die Zeit finden, sie bis übermorgen zu überarbeiten?“

„Bitte, Evelyn, ich flehe dich an, ich muss dieses Semester einfach bestehen“, jaulte sie.

Vor meinem inneren Auge zählte ich bis drei, atmete tief ein und schließlich wieder aus.

„Okay, ich mache es. Sieht wohl so aus, als müsste ich eine Nachtschicht einlegen.“

„Ich liebe dich, Lyn, weißt du das?“

Ein leichtes Lächeln schmückte meine Lippen. Was würde sie nur ohne mich tun?

„Du schuldest mir was“, gab ich streng zurück.

Ähnlich wie der Spiegel im Bad meinte es der Straßenverkehr kurze Zeit später im Auto überraschend gut mit mir. An der roten Ampel, an der ich beinahe überrollt worden war, blieb ich stehen. Während ich ungeduldig darauf wartete, dass ich die Straße passieren konnte, fiel mir plötzlich ein, dass ich Sabrinas Lektüre zu Hause vergessen hatte.

„Scheiße!“ Ich schlug auf das Lenkrad, wobei ich versehentlich die Hupe traf. Erschrocken fuhr ich hoch und als sich die Frau im Wagen vor mir fragend zu mir drehte, sank ich tiefer in meinen Sitz.

Als ich kurz darauf mein Auto parken konnte und im Café ankam, ließen die ersten Kunden nicht lange auf sich warten. Richtig angekommen war ich jedoch noch nicht.

„Evelyn, Süße, das ist die Bestellung von Mrs. Clarke.“

„Evelyn, ich habe den Kaffee ohne Milch bestellt, du weißt doch, dass ich laktoseintolerant bin.“

„Evelyn, ist das eine Brandblase an deinem Finger? Hast du dich an der Kaffeemaschine verbrannt? Geht es dir gut?“

Ich konnte mich nur immer wieder bei den Kunden entschuldigen und fühlte mich, als hätte ich meinen Kopf zu Hause vergessen. Mit jeder vergangenen Stunde erwischte ich mich, wie ich zur Uhr schielte. Schnell wandte ich den Blick ab und ohrfeigte mich innerlich für mein kindisches Verhalten, als Mr. Connor um zehn Uhr immer noch nicht gekommen war. Interessiert es ihn gar nicht, ob es mir besser geht?, fragte ich mich, schüttelte den Gedanken aber schnell wieder ab. Er kannte mich schließlich so gut wie gar nicht. Warum sollte es ihn also weiter beschäftigen?

Um fünf nach Elf klingelten die Glöckchen an der Tür. Ein so bekanntes Geräusch, dass ich es nur entfernt wahrnahm. In aller Ruhe belegte ich Mr. Thomsons Brötchen zu Ende und erst als ich damit fertig war, drehte ich mich zu dem neuen Kunden um.

„Guten Morgen, was kann ich Ihnen Gutes tun? Im Angebot ist das …“

Mein Herz setzte einen Schlag aus und pochte danach nur umso schneller, als mich die Kälte seiner grauen Augen in Beschlag nahmen.

Mr. Connor traute sich tatsächlich, hier aufzukreuzen, ganze zwei Stunden und fünf Minuten zu spät.

Evelyn!, ermahnte ich mich in Gedanken. Sein tägliches Herkommen ist keine Verabredung! Und er ist nicht deinetwegen hier.

Bei seinem Anblick schossen mir tausend Gedanken durch den Kopf, aber jedes potenzielle Wort blieb mir im Hals stecken. Sie wieder hinunterzuschlucken, hatte einen faden Beigeschmack und allein deshalb setzte ich stattdessen die professionellste Miene auf, zu der ich in der Lage war, und fragte so monoton wie möglich: „So wie immer? Kommt sofort.“

Während ich dabei war, mich umzudrehen, hielt er mich an meinem rechten Arm fest und zog mich vorsichtig in Richtung Theke zurück. Eine Gänsehaut wanderte über meinen Arm, durch meinen gesamten Körper. Scharf atmete ich ein und hoffte nur, er würde nicht bemerken, was seine Berührung bei mir auslöste. Ruhig atmete ich wieder aus, aber die Gänsehaut blieb.

„Verzeihung, ich wollte Sie nicht bedrängen, Miss.“

Meinen erschrockenen Blick musste er wohl doch bemerkt haben und ließ mich augenblicklich los.

„Miss Bennet? Alles in Ordnung?“, fragte Mr. Conner.

Ich hörte ihn, als wäre ich unter Wasser. Ich konnte bloß erahnen, was er sagte. Nur zögernd und ein wenig verunsichert schaute ich zu ihm auf, als ich ihn schließlich wieder mit vollem Bewusstsein wahrnahm.

„Miss Bennet?“, wiederholte er erneut.

„Huh? Ja, natürlich. Verzeihen Sie bitte, ich habe Ihnen nicht zugehört. Wie war Ihre Bestellung noch mal?“

„Ein Date.“

Nickend sprach ich beim Umdrehen: „Ein Date, kein Problem, kommt sofort.“

Das leere Brötchen lag bereits offen vor mir, als ich bemerkte, wonach Mr. Connor eigentlich gefragt hatte, und ich zudem nicht die geringste Ahnung hatte, wie ein belegtes Date auszusehen hatte. Ruckartig und mit einem Blick, der meine pure Verzweiflung widerspiegelte, drehte ich mich zu ihm um.

„Wie bitte?“

Über meine verzögerte Reaktion lachte er bloß. Zuerst entzündete es ein Feuer in mir und ich hätte ihn am liebsten rausgeschmissen, doch erst dann fiel mir auf, dass er anders aussah als sonst. Er war um einiges freundlicher und gesprächiger. Zuvor hatte er mich nicht einmal gegrüßt.

„Ich möchte Ihnen ein Date anbieten, Miss Bennet.“

Noch lange nicht in der Lage, meine Gedanken in einen sachlich und grammatikalisch richtigen Satz zu verpacken, ratterte es nur in meinem Kopf und es half nicht im Geringsten, dass er Herr der Lage zu sein schien.

„Ich ähm … ich weiß nicht –“

„Anders gefragt“, unterbrach er mich sanft. „Miss Bennet, würden Sie mit mir ausgehen? “

Das Piepen in meinen Ohren wurde immer lauter und schon bald pulsierte mein Herz so stark, dass ich dachte, es würde mir aus der Brust springen. Allein aus diesem Grund konnte ich sein Angebot nicht annehmen.

„Ich denke, das wäre keine gute Idee, Mr. Conner, tut mir leid, ich –“

„Lyn!“ Jess kam laut quietschend durch die Tür des Cafés und stürmte auf mich zu.

Ich zog die Brauen zusammen und erwiderte ihre Umarmung zögernd. Freudestrahlend schlang sie mir die Arme um den Hals und hielt mir schließlich ein Blatt Papier vor die Nase. Überrumpelt besah ich es und stellte fest, dass es ihre Englischklausur war.

„Ist das die, die ihr gestern geschrieben habt? Welche Lehrerin korrigiert denn bitte so schnell?“ Mit der noch immer in Falten gelegten Stirn betrachtete ich Jess.

„Ach, das ist unwichtig. Lehrer haben halt kein Leben, aber, Lyn, schau doch mal. Ich habe sechzig Prozent bekommen, das ist eine C! Ich habe bestanden.“

„Oh“, erst jetzt bemerkte ich die Note am Ende der Klausur. Ich freute mich für sie, hätte sie früher angefangen zu lernen, hätte sie sicherlich eine höhere Prozentzahl erreichen können, aber sie hatte bestanden. Das war alles, worauf es ankam. Und dafür, dass sie erst am Klausurtag angefangen hatte, zu lernen, war es eine sehr gute Leistung.

„Ich bin stolz auf dich, Jess, und die nächste Klausur wird noch besser. Da bin ich mir ganz sicher.“

Mit einer gleichmäßigen Bewegung streichelte ich ihr über den Rücken, während ich ihr das Papier zurückgab.

„Sag mal, spinnst du? Ohne deine Hilfe wäre ich locker durchgefallen. Danke, Lyn, du bist die Beste.“

Erneut umarmte sie mich.

„Jess, ich habe Kundschaft“, flüsterte ich ihr ins Ohr, als sie keinerlei Anstalten machte, von mir abzulassen. Mit einem kräftigen Ruck stieß sie sich von mir und schaute überrascht zu Mr. Conner.

„Sir! Diese Frau ist der absolute Hammer, sie hat mir das Leben gerettet.“

Ein wenig erschrocken wie auch amüsiert hob er die Augenbrauen. Sie wollte ihre Rede fortführen, wurde aber von ihrer Schwäche für Donuts abgelenkt. Was dazu führte, dass sie sich von Mr. Conner ab- und der Donutauslage zuwandte.

„Uh, sag mal, ist der neu?“ Fasziniert zeigte sie auf den blau glasierten Donut. Ich sah, wie Mr. Conner auf seine Uhr schaute und unruhig wurde. Er hatte schließlich nicht den ganzen Tag Zeit, sich über Jess zu amüsieren. Auch die Kunden hinter ihm warteten schon viel zu lange.

„Ja, hier probier ihn mal. Ich komme gleich zu dir, dann reden wir, ja?“, sagte ich zu ihr und lenkte sie in die Richtung eines leeren Tischs.

Nickend und ohne zu zögern, setzte sie sich, knabberte an ihrem Donut und tippte auf ihrem Handy herum.

„Miss Bennet, gestern Abend sagten Sie, ich hätte etwas gut bei Ihnen.“

Es wäre gelogen gewesen, zu behaupten, dass mir Mr. Connors Hartnäckigkeit nicht geschmeichelt hätte. Mit jedem weiteren Wort fiel es mir schwerer und schwerer, ihn abzuweisen.

„Ja, ich erinnere mich.“

„Dann wünsche ich mir, dass Sie mich zum Essen begleiten.“

Kurz überlegte ich, ob mir nicht doch noch etwas einfallen könnte, was zu einer Absage führen würde. Mein Mund war aber ausnahmsweise schneller als mein Verstand.

„Na schön, ich gehe mit Ihnen aus.“

Auf seinen Lippen bildete sich ein verschmitztes Grinsen. Er schien mit sich selbst zufrieden zu sein, während es in meinem Bauch kribbelte, als würde ein Hummelnest darin zum Leben erwachen.

„Soll ich Sie zur Mittagspause abholen? Ich kenne einen guten Italiener in der Nähe“, sagte er.

„Oh, ich mache keine Mittagspause.“

Skeptisch hob er die Augenbrauen. „Sie wollen mir erzählen, Ihnen steht hier keine Mittagspause zu?“

Schnell schüttelte ich den Kopf, bevor er Claire noch Dinge vorwerfen würde, die nicht stimmten.

„O nein, mir steht eine zu, aber ich arbeite für gewöhnlich durch. Für die Menschen, die in ihrer eigenen Mittagspause einen Kaffee trinken möchten oder ein Sandwich brauchen.“

Mit dem gleichen Kopfschütteln wie gestern, als ich den LKW-Fahrer hatte gehen lassen, musterte er mich. Lächelte aber schließlich doch.

„Na gut, dann zum Abendessen. Geben Sie mir Ihre Adresse und ich hole Sie ab.“

„Heute und morgen ist schlecht, ich muss noch eine Lektüre lesen und eine Analyse darüber schreiben.“

Sein Blick ähnelte dem, den ich Sabrina heute Morgen geschenkt hatte, als sie mir erzählte, wie viel Zeit mir für ihre Ausarbeitung noch zur Verfügung stand.

„Ich könnte Freitag oder auch Samstag“, ergänzte ich schnell. Ich wollte unter keinen Umständen wirken, als würde ich nach Ausreden suchen, um mich nicht mit ihm treffen zu müssen. Nicht jetzt, wo ich schon zugesagt hatte. Ich befürchtete, dass er denken könnte, dass ich ihn hinhalten und am Ende doch versetzen würde. Auch wenn seine unfreundliche Persona verschwunden war, wirkten seinen grauen Augen plötzlich betrübt.

„Gut, geben sie mir Ihre Adresse und ich hole Sie Samstagabend um neunzehn Uhr ab.“

Mit meiner freien Hand kritzelte ich meine Adresse auf den Kaffeebecher, den ich nebenbei bereits für ihn vorbereitet hatte. Als ich ihm den Becher gab, traf mich sein fragender Blick. Nervös verlagerte ich mein Gewicht von einem Bein auf das andere.

„Geht aufs Haus, für die lange Wartezeit.“

Ein feines Lächeln konnte ich mir dadurch wieder zurückgewinnen.

„Vielen Dank, Miss Bennet, bis Samstag.“

Er nickte mir noch einmal zu und machte sich dann auf den Weg zur Tür.

„Ach und Mr. Conner?“ Erneut drehte er sich zu mir um. „Ich bin übrigens Evelyn.“

„Ich bin Ethan. Wir sehen uns Samstag, Evelyn.“

Ich nickte, während alles in mir verrücktspielte.

„Bis Samstag, Ethan“, flüsterte ich, doch da fiel die Tür schon hinter ihm ins Schloss.

Kapitel 4

„Jesus Christus. Woher in Gottes Namen soll ich wissen, was dieser gottverdammte Mistkerl mit seinem Buch ausdrücken wollte?“ Überrascht stellte ich fest, dass Sabrina die Beleidigungen für den Autor immer noch nicht ausgegangen waren. Und befürchtete mit zusammengeschobenen Augenbrauen, dass sie das Buch wohl möglich verbrennen würde, wenn sie dazu gezwungen war, auch nur ein weiteres Kapitel zu lesen.

Diesmal war es tatsächlich ich und nicht die Uni, die verlangte, dass sie sich sofort an die Arbeit machte. Sie sollte verstehen, dass die Analyse, die sie heute in der Uni abgegeben hatte, die letzte war, die ich für sie geschrieben hatte und jemals schreiben würde. Insgeheim wussten wir aber beide, dass ich spätestens in drei Wochen wieder vor ihren Hausarbeiten sitzen würde. Wissen lassen, musste ich sie das jedoch nicht.

„Weißt du, Brina, Jesus und Gott können beide nichts dafür, dass dir dein Studiengang nicht gefällt. Auch der Autor hat nicht an deine Vorliebe für Modemagazine gedacht, als er sein Buch geschrieben hat. Also hast du eigentlich keinen Grund, sie zu verurteilen.“

Eingemummelt in einer Decke und mit einer Tasse Tee in der Hand saß ich auf dem Sofa und besuchte Shakespeares zauberhafte Welt. Diesmal in Romeo und Julia. Egal, wie oft ich auch über die Worte las, die Dialoge und die Charaktere bis ins kleinste Detail kannte, wurde es niemals langweilig.

Der forbidden love trope