Contdown für einen Engel - Cristina Betancourt - E-Book

Contdown für einen Engel E-Book

Cristina Betancourt

4,8

Beschreibung

Nachdem die junge Catira eines Winterabends auf dem Weihnachtsmarkt einen Bettler und seinen Hund kennengelernt hat, geschehen in den folgenden Tagen seltsame Dinge in Ihrem Leben. Die junge Frau will den den Ereignissen auf den Grund gehen. Das führt sie zu Ihrem Bekannten der Straße zurück, der sie immer wieder daran erinnert, ein Versprechen einzuhalten. Kurz bevor sie glaubt, sie sei dem Wahnsinn nahe, erkennt sie in tiefer Dankbarkeit das Wesen der Weihnacht.... Ein humorvolles und bezauberndes Märchen, das nachdenklich und glücklich macht.

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Inhaltsverzeichnis

Contdown für einen Engel

Impressum

Contdown für einen Engel

Vorwort

Als ich ein Kind war, verbrachte ich gerne und oft viel Zeit im Land der Träume und der Phantasie. Dort gab es Elfen und Feen und Prinzen und Prinzessinnen .....und mich. Wir spielten miteinander, versteckten uns vor irgendwelchen Kobolden und sangen zusammen schöne Lieder. Jeder von uns hatte einen Beschützer, der immer da war. Ich hatte auch einen.

Meine Eltern verzweifelten manchmal an mir, wenn ich ihnen von meinem unsichtbaren Freund erzählte und was wir alles miteinander erlebt hatten. Doch sie ließen mir meine Tagträumereien. Ein trällerndes Kind mit verklärtem Blick war immer noch besser als ein kleiner Raufbold.

Meine Eltern waren selbst auch phantastische Träumer. Sie erzählten mir Märchen und Fabeln. Mein Vater erfand die Abenteuer von Onkel Tiger und Onkel Hase und ich verlangte allabendlich nach einer neuen Erzählung.

Weihnachten war immer ganz besonders spannend. Das Christkind kam nicht am späten Nachmittag des 24. Dezember, sondern erst in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember und stellte seine Geschenke unter den Weihnachtsbaum, der bei mit im Zimmer stand. Ich wollte das Christkind unbedingt sehen und versuchte, wach zu bleiben, doch ich schlief ein und verpasste es jedes Mal. Aber ich war so aufgeregt, daß ich nachts wach wurde und mich freute, wenn ich dann ganz leise meine Geschenke auspacken konnte.

In der Schule erzählte mir eine Klassenkameradin, es gäbe das Christkind gar nicht, das würden die Eltern machen. Ich glaubte es ihr nicht, denn ich wusste, daß es das Christkind sehr wohl gab und es sich nur nicht zeigte. Das hatte mir auch mein unsichtbarer Freund gesagt. Der kannte nämlich das Christkind. Leider löste auch bei mir die raue Wirklichkeit den Zauber um das Christkind ab. Zum Glück geschah das erst sehr spät. Wer aber nie verschwand, war mein unsichtbarer Freund.

Ich war längst erwachsen, als ich mir überlegte, ob mein unsichtbarer Freund vielleicht mein Alter Ego sein könnte? Oder mein Gewissen? Oder war er mein Schutzengel? Das gefiel mir. 

Ich führte hitzige Diskussionen mit meinem Schutzengel. Wenn ich mich mal wieder hoffnungslos verliebt hatte, war er mir beleidigt. Er stellte mir auch keinen Scheck aus, wenn ich mein Konto überzogen hatte. Aber wenn ich traurig oder krank war, dann war er da und tröstete mich. Das war schön.

Mir begegneten viele Menschen, die ganz traurig waren und sich ihrem Schicksal ergeben hatten, weil sie von dieser Welt nichts Gutes mehr erwarteten. Manche fühlten sich sogar von allen guten Geistern verlassen. Das tat mir immer sehr leid. Sie hatten alle den Glauben an etwas verloren, das ihnen als ganz selbstverständlich vorgekommen war, als sie noch Kinder gewesen waren. Sie hatten den Glauben an sich selbst und an ihren Schutzengel vergessen.

Die meisten Engel sind in der Weihnachtszeit unterwegs, denn sie begleiten das Christkind. Und wenn du ganz fest daran glaubst, wirst auch du einen treffen.

Manchmal,

wenn wir nicht wissen, wohin wir gehen,

nicht wissen, wohin es uns zieht,

manchmal, da treffen wir einen Gefährten.

Wo immer wir dann sind,

was immer uns berührt,

wir haben eine Begegnung.

Eine Begegnung, die uns vielleicht verändert.

Vielleicht jetzt, vielleicht später.

Und manchmal erinnern wir uns zurück

und stellen fest, dass die Begegnung nur ein Hinweis war.

Ein Hinweis auf einen Gefährten, der wir uns selbst sind.

Manchmal ist diese Begegnung nicht einmal echt.

Irgendwo, tief in unseren Herzen, macht sie sich breit.

Manchmal, da treffen wir auf diesen Gefährten und glauben,

diese Begegnung gehabt zu haben.

Und wenn wir uns umsehen, ist niemand da.

Dann stellen wir fest, manchmal,

die Begegnung war nur in uns, mit uns selbst.

10

Guten Morgen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, guten Morgen, liebe Welt! Heute ist der zweiundzwanzigste Dezember und es ist fünf Minuten nach sieben. Der Countdown läuft. Es sind noch zwei Tage bis Weihnachten, in zehn Tagen beginnt das neue Jahr. Die Uhr tickt. Unaufhaltsam. Davon wussten schon einige Leute ein Lied zu singen, hier ist für Sie Bob Geldof mit den Boomten Rats und dem Lied ‘Like Clockwork’..

Was für ein Spinner! Kurz vor irgendwelchen Festtagen drehten die Leute einfach durch und redeten Unsinn. Sonst war dieser Radiosprecher sehr angenehm am frühen Morgen. Dieses Geschwätz passte nicht zu ihm. Aber wahrscheinlich war er auch schon von dem ganzen vorweihnachtlichen Rummel genervt und versuchte nur, seine Zuhörerschaft ein wenig zu erheitern.  

An diesem Tag begann mein lang ersehnter Urlaub. Ich hatte beschlossen, noch einmal früh aufzustehen und all die aufgeschobenen Kleinigkeiten des Alltags zu erledigen, um dann in aller Ruhe faulenzen zu können. Also tat ich, was zu tun war und fuhr am späten Nachmittag noch in die Innenstadt.  

Kling, Glöckchen klingelingeling...... Die vielen Lautsprecher auf dem Weihnachtsmarkt verbreiteten festliche Stimmung. Der Platz war hell erleuchtet von den bunten Lichtern der verschiedenen Buden. In der Mitte des Marktes prangte der riesige, reich geschmückte Weihnachtsbaum.

Ich beobachtete die vielen Menschen, die sich an den Ständen drängten, um noch ein Geschenk zu besorgen oder eine Tasse Glühwein zu trinken. Und wie schon so oft empfand ich die Vorweihnachtszeit als ein Fest der Unruhe. 

Amüsiert und gleichsam schwermütig spazierte ich eine Weile durch das rege Treiben und begab mich dann aus der Menge hinaus. Ich hatte vor, in die nahegelegene Buchhandlung zu gehen. So steuerte ich auf das Geschäft zu. Es war ebenfalls hell erleuchtet. Mir war, als würde dieses Gebäude die Leute auffordern, sich darin aufzuwärmen und ganz nebenbei noch etwas zu kaufen.

Ich zwängte mich bis zum Eingang der Buchhandlung durch die Menschenmenge. Vor dem Geschäft zog jedoch etwas ganz anderes meine Aufmerksamkeit auf sich: es war ein Bettler, der dort unter den Arkaden des Gebäudes saß. Ich war von diesem harten Kontrast überwältigt und vergaß, dass ich mir ein Buch kaufen wollte. Um mich herum eilten unzählige Menschen von einem Laden zum nächsten, von einer Bude zur anderen. Und wenige Meter vor mir kauerte ein armer Mann auf Plastiktüten und alten Zeitungen. Seine Lippen und Hände waren bläulich verfärbt. In seinem Bart und seinen Haaren hingen kleine Eiszapfen. Ein großer Schäferhund lag neben ihm. Der Hund zitterte. Der Mann streichelte sein Tier und erzählte ihm sehr liebevoll, er würde ihm bald Futter besorgen können, er müsse sich nur noch ein wenig gedulden. Vor dem Bettler lagen eine kleine Schüssel und ein Stück Karton. Auf der Pappe stand: Mein Hund hat Hunger. In der Schale sah ich wenige Münzen, sicher nicht genug, um für den Hund Futter zu kaufen. Der Mann sah so aus, als hätte er schon einige Zeit mit seinem Hund an jenem Fleck verbracht, in der Hoffnung auf Zuwendung für seinen einzigen Freund. Er bettelte nicht für sich, er bettelte für sein geliebtes Tier.

Nach kurzem Zögern näherte ich mich den beiden. Ich war ergriffen von so viel Zuneigung zwischen Mensch und Tier und wollte ihnen etwas Gutes tun. Aber ich merkte, wie hilflos ich mich fühlte. Also kniete ich mich zu den beiden nieder und streichelte wortlos den Hund. Das Tier beschnupperte mich neugierig, stand dann auf, schüttelte sich und sah mich mit seinen großen dunklen Augen an. Dann schaute es zu dem Bettler hin und wieder zurück zu mir und winselte leise. Der Hund stupste mit seiner feuchten Schnauze meine Hand an und blickte wieder hin und her und scharrte und wedelte mit dem Schwanz. Wieder stupste er mich an, leckte seinem Herrchen die Hände und sah mich erwartungsvoll an. Das Tier legte seinen Kopf schief und sein sanfter und ehrlicher Blick schlich warm und tief in mein Herz. Ich zog meine Handschuhe aus, gab sie dem Mann und forderte ihn auf, sie anzuziehen. Er hatte große Mühe, mit seinen kalten Händen in meine engen Handschuhe zu schlüpfen.

Nach einer Weile sah er mich mit erschütternd dankbaren Augen an und sagte nur:

„Sie hat Hunger.”

Ich fragte den Mann, ob ich für ihn auch noch etwas tun könne aber er wiederholte nur:

„Sie hat Hunger.”

So versprach ich, bald wieder zu kommen und dem Hund Futter zu bringen.

Ich stand auf, ging zum nahe gelegenen Supermarkt und kaufte eine Dose Hundefutter. An einer der Buden des Weihnachtsmarktes besorgte ich eine Tasse süßen Punsch und ein belegtes Brot. Dann bahnte ich mir den Weg zurück zu dem Bettler und seiner Hündin.

Ich gab dem Mann das heiße Getränk und das Brot. Dann leerte ich die Sammelschale aus, öffnete die Futterdose, kippte etwas von der Nahrung in die Schüssel und stellte sie dem Hund hin. Das Tier fraß mit Appetit nach und nach die ganze Dose leer.  

„Du hast dein Versprechen eingehalten”, sagte der Bettler plötzlich.

Ich war überrascht. Hatte ich etwas versprochen?

„Ich verstehe nicht ganz, was du meinst”, antwortete ich.

„Du hast dein Versprechen eingehalten”, wiederholte er und lächelte.

Sein Gesichtsausdruck verriet mir, er wusste ganz genau, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, was er mir damit sagen wollte. Aber er schwieg und lächelte und trank seinen Punsch.

Währenddessen hörte ich Bemerkungen von Passanten: „Was macht die denn da?” und „guck mal, die Frau langt ja den Penner an, igitt” und „die spinnt doch, bei der Kälte”. Diese Kommentare und die Kälte ließen Tränen über meine Wangen rinnen.

Der Obdachlose hatte inzwischen seinen Punsch getrunken. Er sah mich an, nahm eine meiner Hände in die seinen, drückte sie an seine Brust und sagte: „Weine nicht, sie wissen nichts.”

„Du hast wohl recht”, antwortete ich und lächelte.

Er erwiderte das Lächeln mit solcher Wärme und Herzlichkeit in den Augen, wie ich sie nie zuvor erlebt hatte.

Dann sagte er: „Fahr’ nach Hause. Ich werde die Nacht auch nicht in der Kälte verbringen. Sag mir aber noch: wenn Du allein wärst und nichts mehr hättest, keine Arbeit, keine Familie, keine Freunde, keine Wohnung. Was bliebe dann übrig?”

„Ich”, erwiderte ich nach kurzem nachdenken. „Ich glaube, ich hätte noch mich selbst.”

„Das ist gut”, sagte er, „Ich wünsche Dir alles Glück dieser Welt.”

Er drückte nochmal ganz fest meine Hand und bestand darauf, dass ich meine Handschuhe zurücknähme. Ich wiederum beharrte darauf, er möge die Punschtasse und die Pfandmarke behalten und selbst zur Schankbude zurückbringen und vom Pfand seinen Hund einen weiteren Tag versorgen. Dann verabschiedete ich mich von ihm und seinem Tier und ging.