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Spannend und abenteuerlich ist diese Reise ins Geschichtenland: Da treiben kleine Bücherfresser auf dem Dachboden ihr Unwesen, bis sie auf spukende Gefährten treffen, und mutige Ritter werden als Sieger gefeiert. Doch sie sind nicht die einzigen Helden: Auch kleine Külschrankmonster und lustige Elefanten sind immer im Einsatz. Obwohl sie Ferien am Strand dringend nötig hätten ... Lustige, spannende und schaurig-schöne Geschichten der ErfolgsautorinCornelia Funke zum Vorlesen und Selberlesen! Cornelia Funke erhielt den deutschen Jugendliteraturpreis 2020 für ihr literarisches Gesamtwerk.
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Seitenzahl: 104
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Gagrobatz
Ganz oben in den Bergen, da, wo es nur Eis, Schnee und Steine gibt, lebte einst ein riesiges, griesgrämiges, ganz und gar scheußliches Monster namens Gagrobatz. Gagrobatz wohnte seit mehr als dreitausend Jahren ganz allein in einer stockfinsteren Höhle – und die meiste Zeit knurrte ihm der Magen. Tagaus, tagein musste er Steine fressen, weil es nichts anderes gab – außer ab und zu einem Skiläufer oder einem Murmeltier. Von den Steinen aber bekam Gagrobatz meistens Bauchschmerzen. Also lauerte er von Sonnenaufgang bis tief in die Nacht darauf, dass sich irgendein leichtsinniges, schmackhaftes Lebewesen in seine Nähe verirrte.
Und wirklich – eines Tages verfuhr sich ein Schulbus, prall gefüllt mit Kindern, dorthin, wo Gagrobatz wohnte. Das Monster sah ihn schon von Weitem die enge Straße heraufkriechen. Es leckte sich die Lippen und grinste. Das war leichte Beute. Es musste nur einen dicken Felsbrocken auf den Menschenweg schubsen. Alles Weitere war dann ein Kinderspiel.
Die Insassen des Busses ahnten natürlich nicht, dass sie auf dem Speisezettel eines furchtbaren Monsters standen. Sie sangen gerade allesamt „Im Frühtau zu Berge“, als der Busfahrer mit quietschenden Reifen anhielt. Verdutzt starrte er auf den großen Felsen, der die Straße versperrte.
„Na, so was!“, brummte er und kratzte sich den dicken Kopf. „Achtung, wir drehen um!“, rief er, machte eine haarsträubende Wende – und fuhr geradewegs in einen Tunnel hinein.
„Nanu!“, dachte er noch, bevor es stockfinster wurde. „Der war doch gerade noch nicht da.“ Aber da war es schon zu spät.
Der grässliche, scheußliche, immer hungrige Gagrobatz war nicht dumm.
Er hatte sich einfach auf die Straße gelegt, das riesige Maul aufgesperrt und die Zunge rausgestreckt.
So rollte der Bus mitsamt seinem köstlichen Inhalt schnurstracks in seinen leeren Magen.
„Schluuuck!“, machte der schreckliche Gagrobatz, rülpste, leckte sich das scheußliche Maul – und schleppte sich zurück in seine Höhle für ein kleines Verdauungsschläfchen.
„Wo sind wir, um Himmels willen?“, rief Frau Pfifferling, die Lehrerin der verschluckten Klasse, tief, tief unten im Monsterbauch.
„Sieht aus wie eine Tropfsteinhöhle oder so was!“, brummte der Busfahrer und packte erst mal sein Frühstücksbrot aus. „Auf jeden Fall geht’s hier nicht weiter.“
„Das ist keine Höhle, das ist ein Magen“, sagte Marie, die Klassenbeste in Biologie war. „Haben Sie denn nicht die Zähne gesehen, als wir reinfuhren, Frau Pfifferling?“
„Stimmt“, sagte der dicke Rudi. „Es war ein Maul. Ein riesiges Maul.“
Die anderen Kinder nickten zustimmend.
Frau Pfifferling und der Busfahrer sahen sich entgeistert an. Dann stürzten sie an eins der Fenster und blickten hinaus.
„Aber da liegen ja überall Skelette!“, rief die Lehrerin entsetzt.
„Tja“, stellte der Busfahrer fest. „Da hat uns wohl doch jemand gefressen.“
„Am besten machen wir den Motor wieder an“, sagte Isolde. „Von den Abgasen wird dem Vieh garantiert furchtbar schlecht und dann spuckt es uns wieder aus.“
„Ja, und die Radios!“, rief Tom vom hintersten Sitz. „Wir drehen alle Radios voll auf. Der Lärm schlägt ihm bestimmt auf den Magen!“
Grinsend setzte sich der Busfahrer wieder ans Steuer. „Gut, ich werde hin und her fahren!“, sagte er. „Mal sehen, wie dem Burschen das gefällt. Und ihr fangt wieder an zu singen. Das hört sich so richtig schön scheußlich an.“
Der grausig schaurige Gagrobatz lag friedlich schnarchend in seiner dunklen Höhle, als plötzlich in seinem Magen die Hölle losbrach.
Scheußlich stinkige Qualmwolken quollen ihm aus den Ohren und aus der Nase. Sein Bauch bekam riesige Beulen und zwackte zum Verrücktwerden. Grausame, nie gehörte Geräusche drangen aus seinem sonst so friedlich stillen Innern. Er musste in einem fort rülpsen, bis er klatschmohnrot im Gesicht war.
Verzweifelt wälzte Gagrobatz sich vor seiner Höhle im Schnee. Sonst half das bei Bauchweh, aber diesmal wurde es davon nur schlimmer. Schließlich musste er furchtbar husten – und spuckte seine schöne Mahlzeit in hohem Bogen wieder aus.
Der arg zerbeulte Bus landete auf seinen Rädern, der Fahrer gab mit einem entsetzten Blick in den Rückspiegel Gas – und die schwer verdauliche Beute schlingerte quietschend davon.
„Nun seht euch das an!“, stöhnte Frau Pfifferling. Empört starrte sie aus dem Rückfenster.
Da stand der scheußliche, immer hungrige Gagrobatz wie ein Hochhaus über der Straße und streckte ihnen die grüne Zunge heraus.
Der Bücherfresser
Stens Großvater vererbte der Familie seine Bücher, die Decke, auf der sein Hund immer gelegen hatte, und eine kleine Holzkiste, auf der stand: „Nur für Sten. Unbedingt heimlich öffnen.“
Die Decke wollten Stens Eltern nicht, wegen der Hundehaare.
„Und all die Bücher!“, stöhnte Mama. „Was sollen wir mit denen?“
„Verfeuern!“, schlug Papa vor.
Da guckte Sten ihn ganz streng an und sagte: „Also, ich verfeure deine Autozeitschriften nicht, wenn du mal tot bist.“
Papa wurde rot wie ein Radieschen – und schleppte Opas Bücher auf den Dachboden. Dreiundzwanzig steinschwere Umzugskartons. Danach musste er sich erst mal aufs Sofa legen. Sten aber schlich auf den Dachboden, packte alle Bücher aus und stapelte sie zu Wänden. Ein paarmal kippte alles zusammen, aber irgendwann war sie fertig, seine Bücherhöhle. Als Dach nahm er die alte Decke und als Beleuchtung Papas Taschenlampe. Dann kroch er mit der „Unbedingt-heimlich-öffnen“-Holzkiste hinein.
Zwischen den Büchern roch es nach Opa. Hundehaare rieselten von der Decke. Auf der Kiste klebte ein Brief. „Hallo, Sten! Ich weiß, du magst keine Bücher. Hoffentlich hast du meine trotzdem vor eurem Ofen gerettet. Für das, was in der Kiste steckt, wirst du sie nämlich brauchen. Bis irgendwann in einem anderen Leben, Opa.“
Sten wurde ganz kalt vor Traurigkeit. Still war es auf dem Boden, nur der Regen prasselte aufs Dach. Sten fuhr sich mit dem Ärmel über die Augen und riss das Paketband ab, mit dem die Kiste zugeklebt war. Dann klappte er den Deckel auf.
Auf einem Haufen Papierschnipsel lag ein pelziges Etwas. Ein bisschen wie ein Meerschwein sah es aus.
„’n Stofftier?“, murmelte Sten. Aber als er nach dem Plüschding griff, kreischte es los. Erschrocken ließ Sten es zurück in die Kiste fallen. Er lauschte nach unten, aber seine Eltern schienen das Gekreisch nicht gehört zu haben.
Das Pelzschwein grunzte aufgeregt vor sich hin. „Reg dich ab, ich tu dir nichts!“, flüsterte Sten. „Ehrenwort.“
„Gib mir ein Buch!“, lispelte das Pelzschwein. „Ein knackig-knuspriges! Nein, warte – ein flüstervoll-furchtbar-fantastisches, ja?“
Sten zog vorsichtig irgendein Buch aus der Höhlenwand. „Kaperfahrt nach Tortuga!“, las er.
Das Pelzschwein beschnüffelte den Einband und nickte. „Hm, ja, das riecht abenteuerlich, trauerlustig, süß und sauer, ja!“ Es biss in das Buch, als wäre es ein Butterbrot.
„Sten, komm essen!“, rief Mama die Dachbodenleiter hoch.
So schnell hatte Sten noch nie gegessen. Als er zurück in die Bücherhöhle kroch, waren von der „Kaperfahrt nach Tortuga“ nur noch ein paar Papierschnipsel übrig.
„War eine wunderbare Geschichte! Kribbelt immer noch bis in die Zehen“, sagte das Pelzschwein und strich mit den Pfoten über die Bücherwände. „Bist du auch einer?“
„Was?“, fragte Sten.
„Nein.“ Das Pelzschwein schüttelte den Kopf. „Du bist keiner. Aber dein Großvater! Was für ein Bücherfresser! Drei am Tag schaffte er – verschlang sie mit den Augen, weißt du, ohne einen Buchstaben zu zerkrümeln.“ Es seufzte. „Ich kann das nicht. Aber ich behalte jedes Wort, das ich wegknabbere! Als dein Großvater schlechte Augen bekam, hat er mich mit Büchern gefüttert und ich habe sie ihm Wort für Wort erzählt, so …“
Die Bodenleiter knarrte. Erschrocken verschwand der Bücherfresser in der Kiste.
„Dreiundzwanzig Kartons voll“, sagte Stens Vater. „Die meisten sind ziemlich alt, aber …“
Sten kroch aus der Höhle. Hinter seinem Vater quetschte sich ein dicker Mann durch die Bodenluke.
„O nein! Sten!“, rief Papa, als er die leeren Kartons sah. „Konntest du dir nicht aus was anderem ’ne Höhle bauen?“
„Die sind nicht zu verkaufen“, sagte Sten. „Ich werd sie lesen. Alle. Jeden Buchstaben.“
Mit ärgerlichem Schnaufen stieg der dicke Mann die Bodenleiter wieder runter. Papa war wütend wie ein Walross, aber Sten durfte die Bücher behalten. Sobald alle schliefen, schlich er mit seiner Bettdecke auf den Dachboden.
Als er die Taschenlampe in der Höhle anknipste, blinzelte ihn der Bücherfresser verlegen an. Auf dem Boden lagen Papierschnipsel und mindestens fünf Bücher waren angenagt. „Ich musste einfach ein paar kosten“, flüsterte er. „Abenteuer, Reisen zum Mond und unter die Erde. Vergangene Zeiten, versunkene Welten, Feiglinge, Helden, Räuber, Verräter, dunkle Orte, Geheimnisse, Schätze …“ Er seufzte. „Wörtermusik.“
„Okay“, sagte Sten und breitete seine Decke zwischen den Bücherwänden aus. „Erzähl mir eins, irgendeins.“
Er legte sich hin und der Bücherfresser setzte sich auf seinen Bauch und erzählte. Die ganze Nacht. Und noch viele andere.
Tiger und Leo
Jans Hund hieß Tiger. Sein bester Freund Max fand, dass das ein alberner Name war für einen kleinen schwarzen Hund, aber der hatte sowieso immer was zu meckern.
Tiger war faul und verfressen, bellte den Briefträger und die Mülleimerleute an, bis er heiser war, lag auf dem Sofa, obwohl Mama es verboten hatte, und war für Jan der wunderbarste Hund, den er sich vorstellen konnte. Wenn er Schularbeiten machte, legte Tiger sich auf seine Füße. Und wenn er morgens aufstehen musste, zog Tiger ihm die Decke weg und leckte ihm so lange die Nase, bis er die Beine aus dem Bett streckte.
Jan und Tiger waren sehr glücklich miteinander. Bis Oma sich das Bein brach. Ja, damit fing der ganze Ärger an. Oma hatte einen dicken Kater namens Leo und der konnte natürlich nicht allein bleiben, während Oma mit ihrem Gipsbein im Krankenhaus lag. Was machte Mama also? Obwohl sie genau wusste, dass Tiger Katzen nicht leiden konnte? Dass er ganz verrückt wurde, wenn er eine sah?
„Wir nehmen Leo“, sagte sie. „Das wird schon klappen.“
Gar nichts klappte!
Papa musste dauernd niesen, weil er die Katzenhaare nicht vertrug, und Tiger – Tiger hatte den ganzen Tag nichts anderes mehr im Kopf als den Kater.
Am ersten Tag lag Leo nur auf dem Wohnzimmerschrank und schlief. Das heißt, er tat so, als ob er schlief. In Wirklichkeit blinzelte er zu Tiger hinunter, der stundenlang vor dem Schrank saß und zu Leo hinaufsah. Wenn der Kater fauchte, wedelte Tiger mit dem Schwanz. Und wenn der Kater das orangefarbene Fell sträubte, bellte Tiger. Stundenlang vertrieben die beiden sich so die Zeit. Nicht ein einziges Mal legte Tiger sich auf Jans Füße.
Am nächsten Morgen wurde Jan wie immer davon wach, dass jemand seine Nase leckte. Aber irgendwie fühlte die Zunge sich rauer an als sonst.
Verschlafen hob Jan den Kopf – und guckte in Leos bernsteinfarbene Augen. Dick und fett saß der Kater auf seiner Brust und schnurrte.
Die Zimmertür war zu und keine Spur von Tiger.
Können Kater Türen zumachen?
Leo schnurrte, grub seine Krallen ins Bett und rieb seinen dicken Kopf an Jans Kinn. Nett fühlte sich das an. Sehr nett. Obwohl Jan Katzen eigentlich nicht mochte.
Als Jan Leo hinter den Ohren kraulte, schnurrte der, als wäre ein kleiner Motor in seinem Bauch.
„Jan?“ Mama machte die Tür auf. „Hast du Tiger ausgesperrt?“
Eine schwarze Fellkugel schoss durch Mamas Beine. Mit lautem Gebell sprang Tiger auf Jans Bett und fletschte die kleinen Zähne. Fauchend fuhr Leo hoch, machte einen Buckel und rettete sich mit einem Riesensatz auf den Schreibtisch. Dann jagte Tiger Leo durch die Wohnung. Mama und Jan konnten nur dastehen und sich die Ohren zuhalten. Bellend und fauchend rasten Hund und Kater vom Wohnzimmer in den Flur, vom Flur in die Küche und von der Küche zurück ins Wohnzimmer, wo Leo sich endlich mit gesträubtem Fell auf dem Schrank in Sicherheit brachte.
„O nein!“, stöhnte Mama. „Nun sieh dir das an.“
Die Blumentöpfe waren von den Fensterbrettern gefegt. Der Wohnzimmertisch war zerkratzt von Leos Krallen und auf dem Küchenfußboden schwammen kaputte Eier in einer Pfütze Gemüsesuppe. Tiger war gerade dabei, sie aufzuschlecken.
„Wie sollen wir denn bloß die nächsten drei Wochen überstehen?“, fragte Mama. „Ich glaube, wir müssen den Kater doch ins Tierheim bringen.“
„Nein!“, rief Jan erschrocken. Er musste an Leos raue Zunge denken, an den Schnurrmotor und seine bernsteinfarbenen Augen. „Ich werd mich um die zwei kümmern, Mama. Heiliges Ehrenwort.“
Und das tat er.
Jan gewöhnte den beiden an, nebeneinander zu fressen. Das war nicht einfach, weil Tiger viel schneller fraß und dann Leos Futter klauen wollte. Er schlief mit Leo auf den Füßen und Tiger auf dem Kissen, auch wenn die zwei sich manchmal auf seinem Bauch rauften. Er legte Tiger eine Decke in seinen Korb, die nach Leo roch, und brachte dem Kater bei, nicht gleich einen Buckel zu machen, wenn Tiger auch auf Jans Schoß wollte.