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Eine neue Zeit. Eine neue Mission. Ein neuer Held: Erleben Sie die Geburt einer neuen Legende! COTTON RELOADED ist das Remake der erfolgreichen Kultserie "Jerry Cotton".
Drei spannende Thriller in einem Band:
Das Gift der Viper: Als ein prominenter Stadtrat nach einem Vipernbiss stirbt, läuten beim G-Team sämtliche Alarmglocken. Denn er ist nur ein weiteres Opfer in einer Reihe mysteriöser Unfälle. Alle Todesopfer stehen mit der Gerichtsverhandlung gegen den Mafia-Boss Tony Brentano in Zusammenhang. Doch ohne Zeugen droht der Prozess zu platzen.Mit aller Kraft versuchen die Special Agents Jeremiah Cotton und Philippa Decker die letzten zwei Zeuginnen zu schützen. Doch der geheimnisvolle Killer ist ihnen bereits auf der Spur - und bisher hat er noch nie sein tödliches Ziel verfehlt ...
Vienna Calling: Die Special Agents Jeremiah Cotton und Philippa Decker werden nach Wien gerufen. Ihr Auftrag: Sie sollen einen wichtigen Zeugen sicher in die USA zurückgeleiten. Der Mann ist kein geringerer als Marek Kompowski, der ehemalige Buchhalter eines Mafiabosses, gegen den das FBI schon seit Jahren erfolglos ermittelt. Doch plötzlich verlangt Kompowski für seine Aussage eine Gegenleistung. Cotton und Decker sollen seinen entführten Sohn finden. Für die beiden Agents beginnt ein tödlicher Tanz auf blutigem Parkett ...
Nirgendwo in New Mexico: Der mysteriöse Anruf eines FBI-Kollegen führt die Special Agents Jeremiah Cotton und Philippa Decker nach New Mexico. In einer gottverlassenen Geisterstadt stoßen sie auf einen unterirdischen Bunkerkomplex - ein riesiges Drogenlabor, in dem tonnenweise Crystal Meth hergestellt wird. Doch bevor Cotton und Decker Hilfe herbeirufen können, werden sie überwältigt. Sie können zwar fliehen, kommen aber nicht weit, denn Decker wird dabei schwer verletzt. Währenddessen versuchen ihre Gegner, sämtliche Spuren zu beseitigen. Für Cotton und Decker beginnt ein teuflisches Katz- und Mausspiel, das nur eine Partei gewinnen kann ...
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Seitenzahl: 389
Cover
Was ist COTTON RELOADED?
Über dieses Buch
Die Autoren
Impressum
Cotton Reloaded 43 – Das Gift der Viper
Cotton Reloaded 44 – Vienna Calling
Cotton Reloaded 45 – Nirgendwo in New Mexico
Dein Name ist Jeremiah Cotton. Du bist ein kleiner Cop beim NYPD, ein Rookie, den niemand ernst nimmt. Aber du willst mehr. Denn du hast eine Rechnung mit der Welt offen. Und wehe, dich nennt jemand »Jerry«.
Eine neue Zeit. Ein neuer Held. Eine neue Mission. Erleben Sie die Geburt einer digitalen Kultserie: COTTON RELOADED ist das Remake von JERRY COTTON, der erfolgreichsten deutschen Romanserie, und erzählt als E-Book-Reihe eine völlig neue Geschichte.
Dieser Sammelband enthält die Folge 43–45 von COTTON RELOADED.
Drei spannende Thriller in einem Band:
Das Gift der Viper: Als ein prominenter Stadtrat nach einem Vipernbiss stirbt, läuten beim G-Team sämtliche Alarmglocken. Denn er ist nur ein weiteres Opfer in einer Reihe mysteriöser Unfälle. Alle Todesopfer stehen mit der Gerichtsverhandlung gegen den Mafia-Boss Tony Brentano in Zusammenhang. Doch ohne Zeugen droht der Prozess zu platzen.Mit aller Kraft versuchen die Special Agents Jeremiah Cotton und Philippa Decker die letzten zwei Zeuginnen zu schützen. Doch der geheimnisvolle Killer ist ihnen bereits auf der Spur – und bisher hat er noch nie sein tödliches Ziel verfehlt…
Vienna Calling: Die Special Agents Jeremiah Cotton und Philippa Decker werden nach Wien gerufen. Ihr Auftrag: Sie sollen einen wichtigen Zeugen sicher in die USA zurückgeleiten. Der Mann ist kein geringerer als Marek Kompowski, der ehemalige Buchhalter eines Mafiabosses, gegen den das FBI schon seit Jahren erfolglos ermittelt. Doch plötzlich verlangt Kompowski für seine Aussage eine Gegenleistung. Cotton und Decker sollen seinen entführten Sohn finden. Für die beiden Agents beginnt ein tödlicher Tanz auf blutigem Parkett …
Nirgendwo in New Mexico: Der mysteriöse Anruf eines FBI-Kollegen führt die Special Agents Jeremiah Cotton und Philippa Decker nach New Mexico. In einer gottverlassenen Geisterstadt stoßen sie auf einen unterirdischen Bunkerkomplex – ein riesiges Drogenlabor, in dem tonnenweise Crystal Meth hergestellt wird. Doch bevor Cotton und Decker Hilfe herbeirufen können, werden sie überwältigt. Sie können zwar fliehen, kommen aber nicht weit, denn Decker wird dabei schwer verletzt. Währenddessen versuchen ihre Gegner, sämtliche Spuren zu beseitigen. Für Cotton und Decker beginnt ein teuflisches Katz- und Mausspiel, das nur eine Partei gewinnen kann …
Christian Weis, Jahrgang 1966, lebt im Norden Bayerns. Seine Erzählungen wurden in Magazinen und Anthologien veröffentlicht und für den Deutschen Science Fiction Preis sowie den Fränkischen Krimipreis nominiert. Mehr über Christian Weis in seinem Blog »Schreibkram & Bücherwelten« unter: www.chweis.wordpress.com
Jürgen Benvenuti, wurde 1972 in Bregenz, Vorarlberg, geboren. Nach Aufenthalten in Berlin und Barcelona lebt er jetzt in Wien. Neben seinen Romanen, die unter anderem bei Bastei Lübbe, dtv und im Wiener Falter Verlag erschienen sind, hat er auch zahlreiche Rezensionen und Artikel in diversen Zeitungen, Zeitschriften und Online-Magazinen veröffentlicht. Ab und zu wagt er außerdem einen Abstecher ins Filmgeschäft.
Peter Mennigen wuchs in Meckenheim bei Bonn auf. Er studierte in Köln Kunst und Design, bevor er sich der Schriftstellerei widmete. Seine Bücher wurden bei Bastei Lübbe, Rowohlt, Ravensburger und vielen anderen Verlagen veröffentlicht. Neben erfolgreichen Büchern, Hörspielen und Scripts für Graphic Novels schreibt er auch Drehbücher für Fernsehshows und TV-Serien.
BASTEI ENTERTAINMENT
Digitale Originalausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Uwe Voehl
Projektmanagement: Esther Madaler
Covergestaltung: Thomas Krämer unter Verwendung von Motiven von© shutterstock: DmitryPrudnichenko | Pavel K | Robcartorres | Ficus777
eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-4428-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Das Gift der Viper
Christian Weis
Der Hinterhof war noch trostloser als die dunklen Ecken in der Bronx, in denen Gino zuletzt immer seinen Stoff gekauft hatte. Mülltonnen in Zweierreihen, dazwischen Bauschutt. Der Asphalt übersät mit Zigarettenkippen, als würde hier jeder Idiot den Aschenbecher seines Autos ausleeren. Und wenn man nicht aufpasste, rutschte man schneller auf einem gebrauchten Kondom aus, als man Wichser sagen konnte.
Akron, Ohio. Was für ein Scheißkaff.
Immerhin hatte Gino in der Stadt einen heißen Tipp erhalten, wo er bezahlbares Koks in guter Qualität bekam. Hoffentlich war das keine Verarsche. Das Zeug, das ihm letzte Woche irgend so ein Schulhofdealer angedreht hatte, war dermaßen stark gestreckt gewesen, dass er selbst bei doppelter Dosis kaum etwas gespürt hatte. Aber wenn man so weit weg von zu Hause war und keine Sau kannte, war es verdammt schwierig, verlässliche Quellen aufzutun.
Der Kerl, der Gino an der Ecke erwartete, war einen halben Kopf kleiner als er und verdeckte sein Gesicht mit der Kapuze seiner Joggingjacke. Er trippelte nervös von einem Bein aufs andere. Oh Mann, dem Typen sah man den Dealer auf eine Meile Entfernung an. Vermutlich war er selbst sein bester Kunde. Außerdem schien er allein zu sein. In der Bronx würde er keine Nacht durchstehen, ohne eins auf die Fresse zu kriegen oder von den Cops hochgenommen zu werden.
Als Gino sich vorsichtig näherte, bemerkte er aus dem Augenwinkel eine weitere Gestalt, die sich im Mondschatten hinter den Mülltonnen postiert hatte. Sie wirkte zwar eher schmächtig, trug aber vermutlich eine Waffe. Also hatte der Kapuzenjohnny doch für Rückendeckung gesorgt. Gut, denn mit Profis machte man im Allgemeinen die besseren Geschäfte. Jedenfalls nach Ginos Erfahrung.
»Quazar schickt mich«, sagte Gino aus mehreren Metern Sicherheitsabstand. »Quazar mit ›z‹.« Das war das Codewort. Hoffentlich war er an die Richtigen geraten.
»Warte hier«, nuschelte der Kapuzenträger und verschwand zwischen den Mülltonnen.
Gino blickte sich nervös um, konnte jedoch keine weitere Menschenseele entdecken. Lediglich in dem Gebäude ganz vorne brannte Licht, ansonsten wirkten die Häuser ringsum verlassen. Nur der Mond schien sich dafür zu interessieren, welche Geschäfte hier abgewickelt wurden.
Endlich kehrte der Dealer zurück und hielt ihm eine Papiertüte hin. Gino nahm sie entgegen, knipste sein Feuerzeug an und warf einen Blick hinein. Als er den Inhalt gesichtet hatte, nickte er zufrieden.
»Hier ist die Kohle.« Er reichte dem Dealer das Dollarbündel, das mit einer Büroklammer zusammengeheftet war.
Der Kapuzenträger zählte geschickt nach, als hätte er das schon tausendmal gemacht. »Okay, wenn du wieder was brauchst – du weißt, über wen du uns findest.«
»Ja, klar. Danke, Mann! Und gute Geschäfte noch!« Gino machte sich schleunigst vom Acker.
Als er die erste halbwegs belebte Straße erreichte, grinste er breit. Das war doch wie am Schnürchen gelaufen! Der Typ aus dem Internetforum lieferte also brauchbare Tipps. Blieb nur noch der Test, den sich Gino im Angesicht der Dealer verkniffen hatte.
Er zog sich in den Hauseingang eines Wohnblocks zurück, öffnete die Tüte und entnahm ihr eins der Briefchen. Mit der Nagelfeile seines Taschenmessers führte er eine Prise von dem weißen Pulver an seine Nase und schnupfte sie.
Ahh, war das guter Stoff! Viel reinerer Schnee als der verschnittene Dreck von letzter Woche, das merkte Gino sofort. Er bediente auch noch das andere Nasenloch und verschloss das Briefchen sorgfältig, bevor er es in die Tüte zurücksteckte.
Auf dem Gehweg kamen ihm zwei junge Frauen entgegen, die ihr kicherndes Geplapper einstellten, als sie ihn erblickten. Nachdem er sie passiert hatte, tuschelten sie angeregt weiter, wobei sie ihn einbezogen, da war er sich fast sicher. Er blickte über die Schulter zurück und stellte zufrieden fest, dass auch sie sich nach ihm umgedreht hatten. Ja, er hatte es noch drauf, und er fühlte sich gut. Wäre doch gelacht, wenn es ihm in diesem Kaff nicht gelänge, eine Braut aufzureißen. Zwar hatte man ihm geraten, er solle Bars und öffentliche Plätze meiden, aber – scheiß drauf! Nach wochenlanger Isolation war es an der Zeit, wieder mal am blühenden Leben zu schnuppern, zumindest für einen Abend. Oder für eine Nacht.
Gino verfiel in seinen Wiegeschritt, den er als Jugendlicher zusammen mit seinen Kumpels in Little Italy perfektioniert hatte. Er schwebte nahezu über den Bürgersteig, umtänzelte ein knutschendes Pärchen und wich im letzten Moment einer älteren Frau aus, die ihren weißen Pudel Gassi führte.
Das Adrenalin durchströmte ihn, puschte ihn vorwärts. Er fühlte sich dazu in der Lage, Bäume auszureißen.
Etwas kitzelte in seinem Rachen, das ihn zum Husten reizte. Er blieb stehen, bis die Attacke vorüber war, und blickte zu der Pudeldame zurück. Plötzlich sah er doppelt. Oder waren es vorhin schon zwei Köter gewesen? Er blinzelte, doch dadurch erhielt er kein klareres Bild. Im Gegenteil, es verschwamm vor seinen Augen.
Er atmete tief durch und schüttelte den Kopf. He, war das Zeug stark, das er geschnieft hatte. Oh Mann! Als er seinen Weg fortsetzte, begann seine Oberschenkelmuskulatur zu zucken. Er bekam den Wiegeschritt nicht mehr hin, stattdessen stolperte er vorwärts und wäre beinahe mit einem Mann zusammengeprallt, der gerade aus seinem Auto stieg. Der Mann starrte ihn an, als hätte Gino ihm einen unsittlichen Antrag gemacht. Seine Augen funkelten abwechselnd gelb und rot. Oder war das nur Licht, das seine Brillengläser reflektierten? Gino sah zu, dass er weiterkam.
Das Muskelzucken pflanzte sich über seinen Rücken und die Arme fort. An der nächsten Kreuzung blieb er stehen und hielt sich an einer Straßenlaterne fest. Zwar nahm er die erstaunten Blicke und das Kopfschütteln einiger Passanten wahr, aber das erschien ihm nun als sein geringstes Problem. Er musste die kleinen Käfer irgendwie vertreiben, die unter seiner Haut entlangkrabbelten, sonst würde ihn das Jucken in den Wahnsinn treiben. Mit den Fingernägeln kratzte er seinen Hals und den Nacken blutig, bekam die Biester jedoch nicht zu fassen.
Und dann das Sodbrennen! Als hätte jemand seinen Rachen flambiert.
Er heulte auf wie ein geschlagener Hund und trat vom Gehsteig auf die Straße. Das Aufheulen einer Hupe fräste sich in seine Gehörgänge. Bremsen quietschten. Das Letzte, das er wahrnahm, war ein Minivan mit irrsinnig hellen Scheinwerfern, deren Licht in seine Augen stach wie das Flammenschwert des Erzengels.
»Gino Scalia ist tot«, eröffnete John D. High ohne Umschweife die morgendliche Besprechung im Konferenzraum des G-Teams. Obwohl es heute im Tiefgeschoss des Cyberedge-Bürogebäudes, das dem Sondereinsatzteam des FBI zur Tarnung diente, relativ kühl war, wurde allen schlagartig warm.
»Unser Gino Scalia?«, fragte Special Agent Philippa Decker ungläubig.
Special Agent in Charge John D. High nickte mit todernster Miene. »Er wurde überfahren, als er im Drogenrausch auf eine Straße torkelte. In seinem Körper hat man hochreines Kokain gefunden, das zudem mit Strychnin versetzt worden war. Hätte ihn der Wagen nicht getötet, wäre er daran gestorben.« Er blickte in die Runde. »Und das ist leider noch nicht alles. Lindsay Harris ist verschwunden. Unsere Kollegen in Cincinnati suchen fieberhaft nach ihr, aber seit heute Morgen fehlt jede Spur.«
Jetzt beugte sich Philippa Decker nach vorn und wechselte kurze Blicke mit Steve Dillagio, der durch seinen Undercovereinsatz maßgeblich zur Verhaftung des Mafiabosses Tony Brentano beigetragen hatte.
»Kann mich mal einer aufklären?«, bat Jeremiah Cotton, der kein Wort verstand.
Decker seufzte vernehmlich. »Stimmt, da waren Sie ja im Urlaub auf Waschbärenjagd in Kanada. Bei unseren Ermittlungen gegen den Mafioso Tony Brentano ist es uns gelungen, drei Angestellte aus seiner Baufirma dazu zu bewegen, gegen ihren Chef auszusagen. Brentano sitzt seit einigen Wochen im Untersuchungsgefängnis und wartet auf seinen Prozess. Gino Scalia, einer der Angestellten, die gegen ihn aussagen wollten, ist nun tot. Bleiben noch zwei Zeuginnen: Lindsay Harris und Deborah Greene.«
Dr. Sarah Hunter als Spurenexpertin und der IT-Spezialist Zeerookah komplettierten die Besprechungsteilnehmer. Während Hunter direkt in die Ermittlungsarbeit involviert gewesen war, hatte Zeerookah sie nur am Rande verfolgt.
Daher wandte sich High an ihn und fragte: »Sind Sie mit den Fakten des Falles Brentano vertraut?«
Zeerookah ruckte auf seinem Sessel herum und nickte halbherzig. »Ich habe die Akte gelesen, also, äh, jedenfalls die Zusammenfassung. Ich weiß, dass Brentano beschuldigt wird, die Ermordung zweier Stadträte in Auftrag gegeben zu haben, weil sie sich von ihm nicht bestechen lassen wollten.«
»Genau«, bestätigte High. »Brentanos millionenschweres Bauprojekt drohte zu scheitern, weil ihm die entscheidenden Stimmen im Bauausschuss gefehlt haben.«
»Das waren die sogenannten Unfallmorde, von denen ich Ihnen erzählt habe«, klärte Decker ihren Partner Cotton auf. »Ein Stadtrat wurde vor einem Restaurant in Manhattan überfahren. Es sah zunächst nach einem gewöhnlichen Verkehrsunfall mit Fahrerflucht aus.«
»Ah, ja«, erinnerte sich jetzt auch Zeerookah. »Der andere Stadtrat wurde während einer Wanderung beim Wochenendurlaub durch einen Schlangenbiss getötet.«
»Fast richtig«, antwortete High. »Er starb zwar am Gift der Diamantklapperschlange, die Bissmale wurden ihm jedoch mit künstlichen Fangzähnen beigebracht. Nur durch unsere Zeugen wissen wir, dass es sich in beiden Fällen um geschickt getarnte Auftragsmorde handelte.« Er umrundete beim Reden den Konferenztisch. »Unsere Kollegen vom Zeugenschutzprogramm haben Scalia, Harris und Greene sowie deren achtjährigen Sohn an verschiedenen Orten untergebracht. Die Staatsanwaltschaft arbeitet auf Hochtouren, aber bis zum ersten Gerichtstermin werden vermutlich noch einige Monate ins Land ziehen. Ohne die Zeugenaussagen würde der Prozess platzen.«
»Und jetzt bringt jemand die Zeugen um, um genau das zu erreichen?«, fragte Cotton interessiert.
»Das steht noch nicht fest«, entgegnete High. »Scalias Obduktion und eine Schnelluntersuchung des Rauschgifts, das man bei der Leiche gefunden hat, haben ergeben, dass das Kokain einen für Straßenstoff unüblich hohen Reinheitsgrad aufweist. Dass es mit Strychnin versetzt ist, muss noch nichts bedeuten. Das Zeug wird gelegentlich als Streckmittel verwendet. Vielleicht ist Scalia einfach nur an die Falschen geraten. Das zeitgleiche Verschwinden von Lindsay Harris lässt allerdings das Schlimmste befürchten.«
Cotton nickte. »Als Erstes sollten wir herausfinden, wie Scalia an das Koks gekommen ist.«
»Vielleicht hätten wir ihn vor sich selbst beschützen müssen«, murmelte Decker vor sich hin.
»Für Schutzhaft bestand keine Veranlassung«, widersprach High.
»Was ist mit Lindsay Harris?«, fragte Dillagio. »Ist damit zu rechnen, dass sie ebenfalls irgendwo in der Gosse gefunden wird?«
»Sie kam mir jedenfalls vernünftiger vor als dieser Scalia«, entgegnete Decker.
Cotton warf ihr einen skeptischen Seitenblick zu. »Wenn sie verschwunden ist, war sie vielleicht doch nicht so vernünftig, wie Sie annehmen.«
»Die Suche nach ihr wurde auf die gesamte Region um Cincinnati herum ausgeweitet«, erklärte High. »Unsere dritte Zeugin und ihr Sohn werden gerade an einem anderen Ort untergebracht – sicher ist sicher. Falls die Tarnidentitäten aufgeflogen sind, gehen wir ansonsten ein zu großes Risiko ein.«
Dillagio seufzte. »Gepanschtes Koks … also, das sieht mir verdammt noch mal nach Brentano aus. Es passt zu dem getürkten Verkehrsunfall und dem Schlangengift. Auf den ersten Blick natürliche Todesursachen – die Masche von Brentanos Killer, dem großen Unbekannten.«
»Brentano gehört zwar der Cosa Nostra an, aber seine Methoden sind durchaus unkonventionell«, stimmte High zu. »Deshalb müssen wir auf alles gefasst sein. Wir teilen uns auf. Dr. Hunter wird in unserem Speziallabor das Kokain analysieren, das Scalia geschnupft hat. Eine Probe ist bereits hierher unterwegs. Wenn wir Glück haben, gibt die Datenbank des National Crime Information Center etwas her, und das tödliche Koks lässt Rückschlüsse auf die Dealer und deren Großhändler zu – immerhin war es kein straßenüblicher Stoff.« Sein Blick wanderte von Hunter zu Dillagio. »Sie werden Deborah Greene in ihrem neuen Versteck aufsuchen und befragen. Möglicherweise hat sie irgendetwas Außergewöhnliches bemerkt. Und Sie beide«, er wandte sich an Cotton und Decker, »fühlen Brentanos Leuten hier in New York auf den Zahn. Wir lassen zwar auch Brentano selbst in der Untersuchungshaft überwachen, aber er dürfte zu clever sein, um sich zu verraten. Bleibt zu hoffen, dass wir Lindsay Harris lebend finden. Vielleicht gibt es ja einen harmlosen Grund für ihr Verschwinden.«
Dillagio grinste. »Sie sieht verteufelt gut aus. Vielleicht hat sie sich in der neuen Stadt einen Typen angelacht, mit dem sie um die Häuser zieht. Im Zeugenschutz muss sie ja nicht leben wie eine Nonne.«
»Wäre aber gesünder«, versetzte Decker, »wie man an Gino Scalia sieht.«
»Agent Zeerookah«, fuhr High fort, »Ihre Aufgabe besteht darin herauszufinden, mit wem Gino Scalia und Lindsay Harris zuletzt Kontakt hatten. Nehmen Sie dazu Verbindung zum Zeugenschutzteam auf. Die Kollegen sind vor Ort bereits dabei, die Tarnwohnungen zu durchsuchen. Überprüfen Sie Telefonverbindungen, E-Mails, Chat-Kontakte – das komplette Programm. Vielleicht haben Scalia und Harris gegen unsere Anweisungen Verbindung zu Freunden oder Verwandten aufgenommen, die ihre Aufenthaltsorte – absichtlich oder unabsichtlich – verraten haben.« Er blickte in die Runde. »Ich brauche nicht zu betonen, wie wichtig die Zeugen für den Prozess gegen Brentano sind. Sollten ihre Tarnidentitäten aufgeflogen sein, würde das der ganzen Sache allerdings eine wesentlich größere Dimension verleihen. Falls wir eine undichte Stelle im Zeugenschutzprogramm haben, steht noch viel mehr auf dem Spiel als der Prozess oder das Leben der beiden Frauen. Also hängen wir uns mit allem in den Fall rein, was wir aufbieten können! Machen Sie Dampf, wenn nötig. Setzen Sie die kleinen Fische unter Druck. Das NYPD wird uns dabei helfen. Wir müssen schnellstens herausfinden, was da läuft.«
»Sieh an, sieh an! Welch Glanz in meiner bescheidenen Hütte!« Joe Brandenburg fuhr mit seinem Drehstuhl herum, als Cotton und Decker sein Büro betraten, in dem der muffige Geruch sich mit Kaffeeduft vermischte.
»Wenn hier ab und zu mal jemand durchwischen würde, könntest du jeden Tag ein bisschen Glanz erleben«, sagte Cotton und reichte seinem ehemaligen Partner vom New York Police Department die Hand.
Brandenburg ergriff sie, ohne sich zu erheben. Decker, die an der Tür stehen geblieben war, nickte er nur zu. »Sag das dem Chief, oder besser gleich dem Bürgermeister, damit er den Etat fürs NYPD aufstockt. Kann mich gar nicht mehr erinnern, wie unsere Putzfrau aussieht, so lange war die schon nicht mehr hier.«
»Selbst ist der Mann, Joe!«, versetzte Cotton mit einem Blick auf die Papierkugeln neben dem Schreibtisch. »Zumindest gegen den überquellenden Papierkorb könntest du mal was unternehmen.«
Brandenburg lehnte sich zurück. »Ich könnte ihm seine Rechte vorlesen, aber das blöde Ding ist stocktaub. Außerdem hast du früher auch höchstens deinen Kaffeebecher geleert.«
Decker räusperte sich im Hintergrund vernehmlich.
»Deine Partnerin hat es anscheinend nicht gern, wenn wir über alte Zeiten plaudern, Jeremiah«, erkannte Brandenburg.
»Wir brauchen deine Hilfe, Joe«, sagte Cotton.
»Dass ihr keine Geschenke mitgebracht habt, sehe ich an euren leeren Händen. Hauptsache, ihr pfuscht mir nicht ins Handwerk. Worum geht’s?«
»Tony Brentano.«
»Ich denke, der sitzt in Untersuchungshaft?«
Cotton zog die Mundwinkel schief. »Vielleicht nicht mehr lange. Wir haben zwei Zeugen verloren.«
»In meinem Papierkorb verstecke ich sie nicht.«
»Wenn ich Gummihandschuhe dabeihätte, würde ich nachsehen, aber so …« Cotton zuckte die Achseln. »Du hast doch ’ne Menge Informanten, die dir auf der Tasche liegen. Das FBI wird ein paar Scheinchen spendieren, damit du sie bei Laune halten kannst.«
»Da bräuchte ich aber schon mehr als nur ein paar lausige Benjamin Franklins.«
»Die Sache ist wichtig, Joe. Der Boss hat unseren Kreditrahmen erhöht. Wir können also die Puppen tanzen lassen.« Mit einem Seitenblick auf Decker fügte Cotton hinzu: »Natürlich nur im übertragenen Sinn.«
*
Dillagio betrat das unauffällige Einfamilienhaus und zeigte dem Kollegen vom Zeugenschutzprogramm an der Tür seinen Ausweis. Wie die anderen Agents trug er eine Jacke mit dem Emblem einer Umzugsfirma auf dem Rücken, damit die Nachbarn in der Wohnsiedlung keinen Verdacht schöpften. So sah es nach ganz gewöhnlichen neuen Nachbarn aus, die mit vielen fleißigen Helfern das Haus bezogen, das zuletzt leer gestanden hatte.
Deborah Greene wirkte verändert, nicht nur wegen der kurzen Pagenkopffrisur und der neuen Haarfarbe. Sie hatte ein paar Kilo abgenommen, seit sie sich entschlossen hatte, gegen ihren ehemaligen Chef Brentano auszusagen. Ihre Wangen waren eingefallen, und die Krähenfüße unter den Augen ließen sie etliche Jahre älter aussehen, nicht wie sechsunddreißig.
Ihr achtjähriger Sohn Lucas stand etwas verloren in der Küchentür und sah dem Treiben der Männer zu, die Kartons durch die Diele ins Wohnzimmer schleppten. Als er Dillagio entdeckte, blitzten seine Augen freudig auf.
»Hallo, Luke!«, grüßte Dillagio. Mit einem Zwinkern zückte er das Comicheft, das er unter der Jacke verborgen hielt, und präsentierte es dem Jungen.
Lucas’ Augen wurden noch größer. Er nahm das Heft in Empfang und schaute aufs Cover. »RePo-Squad, cool!«
Seine Mutter trat neben ihn. »Wie heißt das?«
Lucas überlegte kurz, dann fiel es ihm ein. »Danke! Darf ich es gleich lesen?«
»Na klar.« Sie nickte, und er rauschte ab ins Obergeschoss, wo seine stampfenden Schritte verhallten.
Dillagio blickte ihm kopfschüttelnd hinterher.
»Schön, Sie zu sehen, Mr Dillagio«, sagte Deborah Greene.
»Hatten wir uns nicht auf Steve geeinigt, Debbie?«, entgegnete Dillagio.
»Das war, bevor ich wusste, für wen Sie arbeiten. Da waren Sie der Neue im Büro, ein netter Neuer, kein FBI-Agent.«
»Danke für das Kompliment.« Er behielt für sich, dass die Nettigkeiten zu seiner Undercover-Rolle gehört hatten. »Denken Sie, als FBI-Agent kann man nicht freundlich sein?«
»Als Sie und Ihre Kollegen Mr Brentano verhaftet haben, waren Sie nicht besonders freundlich zu ihm.«
Dillagio lächelte schal. »Der hat das auch nicht verdient.«
»Ich schon?«
»Na klar. Sie haben ja nichts ausgefressen.«
Debbie schlang fröstelnd die Arme um den Oberkörper und blickte sich skeptisch im neuen Haus um. »Trotzdem komme ich mir so vor, als wäre ich eingesperrt. Ich musste Lucas erklären, dass wir uns vor bösen Menschen verstecken – wenn man dem eigenen Sohn dabei in die Augen sehen muss …«
»Ist nicht leicht, das kann ich nachvollziehen.«
»Haben Sie Kinder?«
Dillagio schüttelte den Kopf.
»Also können Sie auch nicht wissen, was es bedeutet, diesen Weg zu gehen. Was es wirklich bedeutet.«
»Sie tun das Richtige, Debbie. Verbrecher wie Tony Brentano gehören hinter Schloss und Riegel.«
»Ich weiß, dass es richtig ist – es fühlt sich nur so verdammt falsch an. Nicht, was Brentano betrifft, sondern wegen Lucas. Gino und Lindsay sind wenigstens ledig und ungebunden. Die können leichter ein neues Leben irgendwo beginnen.« Sie seufzte tief. »Das hier ist ja auch nur vorübergehend, bis zum Prozess. Danach müssen wir wieder umziehen, irgendwo in den Westen vermutlich. Für Luke war es schon schwer, als sein Vater starb. Und jetzt …« Sie verlor den Kampf gegen die Tränen und murmelte eine Entschuldigung, bevor sie im Badezimmer verschwand.
Dillagio blickte ihr hinterher. Von Gino Scalias Tod und Lindsay Harris’ Verschwinden wusste sie noch nichts. Sie glaubte an einen routinemäßigen Umzug aus Sicherheitsgründen. Dabei wollte er es vorerst belassen.
Nachdem er zwei Umzugshelfern ausgewichen war, ging Dillagio die Treppe hinauf. Die Tür zum Kinderzimmer stand halb offen. Er klopfte an und lugte durch den Spalt.
Lucas lag auf dem Bett und ließ die Füße mit den Sneakers seitlich heraushängen. Den Kopf hatte er in den Comic vergraben. Jetzt sah er auf.
»Und, wie ist das neue Heft?«, fragte Dillagio, während er eintrat. »Ich bin selber noch gar nicht dazugekommen, es zu lesen.«
»Wenn ich es durchhabe, kann ich es dir ja ausleihen, Steve!«
»Das Angebot nehme ich doch glatt an.« Dillagio wusste aus der Zeit, in der er sich in Brentanos Baufirma eingeschlichen hatte, dass Lucas ein großer Comicfan war. Die Real-Police-Squad gehörte zu den Lieblingen des Jungen, seit er selbst mit der Polizei in Berührung gekommen und ins Zeugenschutzprogramm gesteckt worden war. Das Cover der neuen Ausgabe zeigte eine schlanke Frau mit schwarzblauen Haaren in einem schwarzen, hautengen Schlangenlederoutfit.
»Wie findest du die Black Viper?«, fragte Dillagio in Anspielung auf das Covergirl.
»Na ja, sie gehört zu den Bösen.«
»Aber sie sieht … gut aus in ihrem schwarzen Dress, was?« Die Bezeichnung »rattenscharf« hatte er gerade noch umschifft. »Nachts ist sie damit so gut wie unsichtbar – so einen Anzug könnte ich bei meiner Polizeiarbeit auch brauchen.«
»Unsichtbar ist cool!«
»Außerdem kann sie nachts so gut sehen wie manche Tiere. Es gibt Schlangen, die sozusagen einen Infrarotblick haben.«
Lucas runzelte die Stirn.
»Das ist so, als würde für sie ein Licht leuchten, das ein normaler Mensch nicht sehen kann«, erklärte Dillagio. »So kann Black Viper ihre Gegner im Dunkeln erkennen und ist ihnen immer einen Schritt voraus. Also ehrlich, manchmal würde ich mir ihre besonderen Fähigkeiten gerne ausborgen.«
»Ja, das wäre obercool!«
Dillagio nickte seufzend. Während Lucas sich wieder in den RePo-Squad-Comic vertiefte, schweiften seine Gedanken zu Lindsay Harris und Gino Scalia ab. Hoffentlich bewahrheitete sich die Befürchtung nicht, dass die Tarnidentitäten der Zeugen aufgeflogen waren. Denn dann wären die Greenes auch im neuen Versteck womöglich nicht sicher. Vielleicht hatte man sie beim Auszug in Lewiston beobachtet. Und vielleicht waren Brentanos Leute bereits hinter Debbie und ihrem Sohn her. Bei der Vorstellung, die Killer könnten hier auftauchen, ballte Dillagio unwillkürlich die Fäuste.
»Hoffentlich taugt der Tipp von Brandenburgs Informanten etwas«, unkte Decker, »sonst überlasse ich es gern Ihnen, Mr High zu erklären, warum wir so viel Geld zum Fenster rausgeworfen haben.« Sie schielte durch die Beifahrerscheibe auf die Autowerkstatt, die sich in dem Backsteingebäude an der nächsten Ecke befand. Cotton hatte den Dienst-Chevrolet bewusst einige Häuser davor geparkt.
»Ich weiß ja, dass Sie Joe Brandenburg nicht besonders mögen«, entgegnete er, »trotzdem sollten …«
»Man munkelt, er hält die Hand auf«, unterbrach ihn Decker. »So was kann ich auf den Tod nicht ausstehen.«
»Dass Gerüchte in die Welt gesetzt werden?«
»Sie wissen, dass es mehr als nur ein Gerücht ist.«
»Joe hat zugegebenermaßen seine Macken, aber um das Informanten-Netz, das er sich aufgebaut hat, beneiden ihn viele Cops. Und gerade jetzt können wir seine Hilfe verdammt gut gebrauchen. Wir müssen Insiderwissen nutzen, um an Brentanos Killer ranzukommen.« Cotton deutete auf das Schild an der Straßenecke, auf dem die verblassenden Buchstaben als DANNY’S GARAGE zu identifizieren waren. »Ich schlage vor, wir gehen jetzt da rein und sehen nach, ob die Informanten das Geld wert sind.«
Draußen tastete Cotton unauffällig nach der Kimber Custom im Schulterholster und blickte sich um.
Brandenburg hatte seinen Wagen drei Parklücken weiter hinten abgestellt und kam jetzt auf sie zu. Mit einem spöttischen Blick auf den Chevy bemerkte er: »Ich dachte schon, ihr beiden Turteltäubchen wollt gar nicht mehr aus eurer himmelblauen Liebeslaube raus!«
»Das ist kein Himmelblau«, versetzte Cotton, »die Farbe nennt sich Mystic Moonlight Blue, du Penner!«
»Weil man sich darin im Mondschein begegnet oder was? Für mich sieht die Karre wie ein Schwuchtelmobil aus, echt. Keine Ahnung, was sich das FBI dabei gedacht hat.«
»Fick dich, Joe!«
»Cotton«, raunte Decker ihrem Partner zu, »ich schwör Ihnen: Wenn Sie den Kerl nicht erschießen, dann mach ich’s.«
Als sie mit langen Schritten in Richtung Autowerkstatt stapfte, musste Cotton grinsen. Seine Laune besserte sich schlagartig.
»Warum rennt sie denn so?« Brandenburg kratzte sich an der Schläfe, während er ihr hinterherblickte. »Will sie uns demonstrieren, wie knackig sie in dem engen Hosenanzug aussieht? Bei der Rückenansicht könnte man ja glatt schwach werden.«
»Denk nicht mal dran«, riet Cotton. »Du wärst tot, bevor sie ihre Waffe zieht. Allein ihr Blick würde dich umnieten.«
»Das glaub ich dir aufs Wort.«
Sie folgten Decker und mussten einen Zahn zulegen, um sie noch vor der Kreuzung zu erreichen.
»Am besten, ihr überlasst das Reden erst mal mir«, schlug Brandenburg vor. »Ihr wollt ja nicht, dass Brentanos Gang frühzeitig Lunte riecht, wenn das FBI in einem ihrer Läden aufkreuzt.« Er betrat das Gebäude durch das offene Rolltor.
Laut Brandenburgs Informanten diente die Werkstatt der Mafia als sogenannter Waschsalon. Mit fingierten Rechnungen, die schwer nachzuprüfen waren, wurde hier angeblich Drogengeld gewaschen. Da niemand feststellen konnte, wie viele Laufkunden tatsächlich ihr Auto zum Reparieren brachten, ließ sich jede Woche problemlos ein fünfstelliger Betrag aus dunklen Geschäften unterbringen. Er wurde auf das Werkstattkonto eingezahlt, ordnungsgemäß versteuert, und schon glänzte schmutziges Geld blütenrein. Auffällig war lediglich, dass die Einnahmen der Werkstatt überwiegend aus Bargeld bestanden.
Cotton folgte Brandenburg, während Decker sich im Gebäude orientierte, um Neben- und Hinterausgänge zu checken.
Ein Mechaniker in ölverschmiertem Blaumann kam auf den Detective und Cotton zu und fragte: »Kann ich Ihnen helfen?«
»Wir möchten Danny Lanfranco sprechen«, verlangte Brandenburg.
»Und wer sind Sie?« Der Mann wischte sich die Hände an den Hosenbeinen ab.
Als Brandenburg seine Marke zückte, fiel Cotton ein weiterer Mechaniker auf, der im Motorraum eines BMW herumhantierte. Er war Mitte zwanzig, seine muskulösen Unterarme zierten zahlreiche Tattoos.
»Ich bin Danny Lanfranco«, erklärte der ältere Mechaniker und musterte erst Brandenburg, dann Cotton. »Was will denn das NYPD von mir?«
»Das würden wir gerne ungestört mit Ihnen besprechen, Mr Lanfranco«, entgegnete Brandenburg. »Uns ist da was zu Ohren gekommen, das wir klären müssen.«
Cotton behielt den anderen Mechaniker im Auge, der nur noch so tat, als würde er am Motorblock herumschrauben. Offensichtlich hatte er große Ohren bekommen.
Lanfranco wies auf eine Tür, über der ein Schild mit der Aufschrift PRIVATE hing. Noch bevor er sich in Bewegung setzte, löste sich der Mechaniker von dem BMW und lief an einer Hebebühne vorbei Richtung Hinterausgang.
»He!«, rief Brandenburg und wandte den Kopf. »Wenn das nicht mein guter Freund Fabio Nesta ist!«
Als Nesta seine Schritte beschleunigte, warf sich Cotton herum und spurtete zwischen zwei Fahrzeugen hindurch, um ihm den Weg zum Ausgang abzuschneiden. Aber Nesta war näher dran und kam Cotton zuvor.
»Stehen bleiben!«, forderte er Nesta auf, der die Tür aufwarf und nach draußen stürmte.
Cotton rannte hinterher in den Korridor, in dem Nesta eine weitere Tür aufriss, durch die er verschwand. Fluchend folgte ihm Cotton, bremste jedoch ab, um keine böse Überraschung zu erleben. Doch Nesta stellte ihm keine Falle. Vielmehr sprang er in dem Aufenthaltsraum durch ein offenes Fenster und überquerte den Hinterhof. Cotton verbiss den nächsten Fluch und machte sich an die Verfolgung.
Er sprintete durch die schmale Gasse, die zwischen der Werkstatt und dem Nachbargebäude entlangführte. Das Zittern einer ausfahrbaren Leiter zeigte ihm, welchen Weg Nesta genommen hatte. Cotton überwand die Distanz bis zur untersten Sprosse im Sprung und umklammerte die Holme mit beiden Händen. Während er auf der wackeligen Leiter zur ersten Plattform der Feuertreppe kletterte, legte er den Kopf in den Nacken.
Nesta erreichte gerade das zweite Stockwerk. Wie durchtrainiert der Mechaniker war, hatte Cotton bereits in der Werkstatt seinen Armen angesehen. Cotton biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich auf die dünnen Metallsprossen. Endlich erklomm er die Plattform und konnte auf den Stufen sein Tempo erhöhen.
Über ihm machte sich Nesta an einem Schiebefenster zu schaffen, doch er bekam es nicht auf. Also hetzte er weiter aufs Flachdach. Cotton folgte ihm mit rasselndem Atem über die schmale Treppe.
Oben angekommen, musste er sich erst orientieren. Nesta rannte an einer Funkantenne vorbei und sprang über einen Sims aufs Nachbargebäude. Dort verschwand er hinter den Dachaufbauten.
Cotton eilte hinterher, hielt sich dabei jedoch so, dass er die Ecken der Aufbauten mit einem Sicherheitsabstand umkurvte. Er verlor Nesta immer wieder kurzzeitig aus den Augen, bis er plötzlich ganz verschwunden war.
Mit einem Fluch auf den Lippen drehte sich Cotton um die eigene Achse, ohne den Mechaniker zu entdecken. Entlang eines Holzverschlages, auf dem einige Tauben saßen, folgte er dem Weg, den Nesta vermutlich genommen hatte.
Aus dem Augenwinkel fiel ihm auf dem Boden etwas auf, dem er zunächst keine Beachtung schenkte. Doch als er schon daran vorbei war, drehte er sich intuitiv noch einmal um und bückte sich. Mit zwei Fingern hob er das durchsichtige Plastikbeutelchen auf, in dem sich zweifellos Marihuana befand. Außen war es ölverschmiert, und die Fingerabdrücke ließen sich fast mit bloßem Auge erkennen. Mit triumphierendem Grinsen wickelte Cotton es vorsichtig in ein Taschentuch und verstaute es in der Jackentasche. Jetzt musste er nur noch Nesta erwischen.
Aber von dem fehlte jede Spur. Erst als Cotton über den Dachrand in die Gasse hinuntersah, entdeckte er ihn. Nesta war auf der Feuertreppe beinahe unten angekommen und blickte sich suchend nach seinem Verfolger um, ohne ihn zu erspähen.
Cotton schwang vorsichtig ein Bein über den Sims und tastete nach dem Fallrohr unter der Dachrinne. Es erschien ihm stabil genug, um es wagen zu können. Er klammerte sich an eine Halterung und rutschte bis zu einem schmalen Mauervorsprung, von dem aus er auf die Feuertreppe klettern konnte. So leise wie möglich eilte er nach unten und erhaschte zwischen den Metallstreben hindurch immer wieder einen Blick auf Nesta, der inzwischen den Boden erreicht hatte und zögerte. Da er nicht wusste, ob Cotton ihm noch auf den Fersen war, scheute er sich, die Gasse zu überqueren. Stattdessen drückte er sich an der Hauswand entlang und lief, ohne es zu ahnen, direkt in Cottons Richtung.
Durch das Klappern eines Geländers, in dem eine Schraube ausgerissen war, verriet sich der Agent. Nestas Kopf zuckte hoch, und er starrte seinem Verfolger direkt in die Augen. Cotton hetzte die letzten Stufen hinunter. Die Treppe wackelte und schwankte verdächtig. Doch Cotton ignorierte es und hoffte, dass die uralte Konstruktion nicht unter ihm zusammenbrach.
Nesta warf sich herum und rannte in die andere Richtung. Cotton schwang sich auf die Leiter, die unterhalb der Treppe zum Boden führte. Ein Holm war lose, und er musste sich festklammern, um nicht von der schwingenden Leiter zu stürzen. Ohne auf die Sprossen zu treten, ließ er sich, mit den Händen die Holme umklammernd, hinuntergleiten und sprang das letzte Stück.
Beim Aufprall auf dem Asphalt fuhr ihm ein stechender Schmerz in den rechten Knöchel. Mit zusammengebissenen Zähnen humpelte er hinter Nesta her, der jedoch schnell einen Vorsprung herausholte.
An der nächsten Gebäudeecke trat plötzlich jemand aus dem Schatten, und noch ehe Cotton erkannte, wer das war, lag Nesta bereits auf dem Rücken. Decker hatte sein Tempo ausgenutzt und ihn mit einem Hebelwurf über die Hüfte mattgesetzt.
»Au verdammt«, stöhnte Nesta. Er krümmte sich und fasste sich an die Wirbelsäule. »Sie haben mir das Rückgrat gebrochen!«
»Falls dem so ist, dann würde ich still liegen bleiben, bis der Arzt kommt«, entgegnete Decker kalt lächelnd. »Sonst verbringen Sie den Rest Ihres kümmerlichen Lebens nicht nur im Knast, sondern auch im Rollstuhl. Aber ich fürchte, Sie haben mehr Glück als Verstand.« Ohne lange zu fackeln, legte sie ihm Handschellen an.
Cotton zog seine Jacke aus, als er sich den beiden näherte. Mit dem Hemdsärmel wischte er sich den Schweiß von der Stirn.
»Außer Puste gekommen, was?«, fragte Decker, während sie den Sitz ihres eng anliegenden Jacketts richtete. »Wo waren Sie denn so lange?«
»Er wollte mir die Aussicht vom Dach zeigen«, entgegnete Cotton. »So toll war die aber nicht.«
Decker blickte kurz nach oben. »Hatten Sie in letzter Zeit etwa nicht genug Gelegenheit für Turnübungen?«
»Ich kann nicht klagen.« Cotton zog den Plastikbeutel aus der Jackentasche und präsentierte ihn dem auf der Seite liegenden Nesta, der die Augen verdrehte. »Sportsfreund, ich wette mit dir um einen Hunderter, dass deine Fingerabdrücke da drauf sind. Und das Öl an dem Tütchen ist garantiert von der gleichen Sorte wie das an deinen schmierigen Fingern!«
Decker zog die Brauen hoch. »Wo haben Sie denn das her?«
»Auf dem Dach gefunden«, antwortete Cotton. »Unser Supersprinter hat es auf der Flucht weggeworfen. Aber leider war er zu dämlich, um es verschwinden zu lassen.«
*
»Warum bist du eigentlich weggelaufen, wenn dir das Gras in dem Tütchen nicht gehört, Fabio?«, fragte Brandenburg im Vernehmungsraum auf seinem Revier.
Cotton und Decker standen neben dem Tisch, an dem sich der Detective und Nesta gegenübersaßen. Da sie vorerst nicht offiziell als FBI-Agents in Erscheinung treten wollten, überließen sie Brandenburg das Verhör.
»Ich weiß auch nicht«, grummelte Nesta mit gesenktem Blick. »Als ich Ihre Marke sah, hab ich wohl Panik gekriegt. Ich bin auf Bewährung draußen, und da …« Er kniff die Lippen zusammen.
»Wenn du dir nichts hast zuschulden kommen lassen«, entgegnete Brandenburg, »dann musst du doch kein schlechtes Gewissen haben! Aber dein Gewissen hat dich natürlich geplagt, weil du genau gewusst hast, dass du wieder einfährst, wenn wir dich mit dem Marihuana in der Tasche erwischen. Die Fingerabdruckanalyse wird zweifelsfrei ergeben, dass es dein Gras ist. Außerdem bist du dummerweise nicht besonders reinlich. Was wir an Krümeln in deiner Hosentasche gefunden haben, reicht schon aus, um dich wieder einzubuchten.«
»Scheiße, Mann!«, schimpfte Nesta und wies mit dem Kopf auf Cotton. »Das Tütchen hat mir der da untergejubelt!«
»Und deine Fingerabdrücke wie David Copperfield draufgezaubert oder was?«, erwiderte Brandenburg. »Freundchen, du sitzt tief in der Scheiße und wirst darin ersticken, wenn du nicht mit uns kooperierst!«
Nesta hob seufzend den Blick. »Was wollt ihr von mir? Könnt ihr mich nicht einfach in Ruhe lassen?«
»In Ruhe dealen lassen oder was? Hast du sie noch alle?«
»Ich deale nicht. Das …« Nesta ruckte unruhig auf seinem Stuhl herum. »Wenn ich was habe, dann ist das nur für den Eigenbedarf.«
»Aha, du gibst es also wenigstens zu. Das ist ja schon mal ein Anfang.«
»Scheiße, Detective, was wollen Sie von mir?« Als Brandenburg nicht antwortete, schaute Nesta Decker und Cotton an.
»Wir möchten, dass du uns etwas bestätigst, das uns ein anderes Vögelchen gezwitschert hat«, verlangte Cotton.
»Wer?«
»Das tut nichts zur Sache. Wir wollen uns nur absichern. Du verpfeifst also keinen, der nicht schon verpfiffen wurde.«
»Und da muss ich Ihnen wohl vertrauen?«
»Vertrauen ist gut«, bekräftigte Brandenburg und zwinkerte Nesta zu, »aber die Ich-komme-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte ist noch besser, nicht wahr?«
»Okay«, brummte Nesta. »Scheiß drauf. Worum geht’s?«
Cotton trat nach vorn und stützte die Fäuste auf der Tischplatte ab. »Wir wissen, dass Danny Lanfranco ein Strohmann für Brentano ist. Von dir möchten wir hören, wie das Geschäft jetzt so läuft, während der Big Boss hinter Gittern sitzt.«
Nesta tat, als müsste er schwer überlegen. Dann verriet er: »Einmal die Woche kommt jemand in die Werkstatt, um nach dem Rechten zu sehen.«
»Ah ja, einfach nur so, um nach dem Rechten zu sehen, was?«, fragte Cotton. »Dieser Jemand bringt euch nicht zufällig das Geld, das gewaschen werden soll?«
»Keine Ahnung, echt nicht«, behauptete Nesta. »Da müsst ihr meinen Boss fragen. Mit dem bespricht er alles.«
»Wir fragen aber dich«, schaltete Brandenburg sich ein. »Wie heißt der Typ, der zum Abrechnen kommt?«
»Carl heißt der. Carl Pinelli, glaub ich.«
»Hat sich Pinelli mal zu irgendwelchen Geschäften außerhalb der Werkstatt geäußert?«, fragte Cotton. »Hat er damit angegeben, was er für ’n toller Hecht ist? Wie er andere gelinkt hat oder was in der Art?«
Nesta schüttelte den Kopf.
Cotton versuchte es direkter. »Hat er was über größere Projekte erzählt, auf dem Bausektor zum Beispiel?«
»Keine Ahnung, Mann«, wich Nesta aus. »Ich bin nur der Mechaniker, mit dem Scheiß hab ich nichts zu tun.«
»Wer’s glaubt«, versetzte Brandenburg. »Wir haben dich schon wegen Dealerei und Körperverletzung drangekriegt, und immer hast du die Jobs für andere ausgeführt, die cleverer sind als du und im Gegensatz zu dir kleinem Licht die dicke Kohle abgreifen.«
»Sie sagen es, ich bin ein kleines Licht! Ich weiß nichts.«
Brandenburg lehnte sich zurück. »Dann wirst du in einer hübschen Zelle Gelegenheit erhalten, darüber nachzudenken, ob du nicht doch mal was aufgeschnappt hast. Im Moment sind die Untersuchungszellen allerdings gut gefüllt, du wirst deine Pritsche also mit ein oder zwei harten Kerlen teilen müssen. Kann sein, dass sich einer von denen in dich verliebt, aber das macht dir sicher nichts aus, oder?«
Nesta verdrehte die Augen. »Mir verraten die nichts übers Geschäft! Und wenn sie mir sagen, ich soll irgendwas machen, dann tu ich’s, ohne Fragen zu stellen.«
»Was zum Beispiel?«, wollte Cotton wissen.
Nesta senkte den Blick und starrte auf seine Hände, die er unentwegt knetete. »Mit ’ner Kreditkarte zahlen, die mir nicht gehört.«
»Sondern wem?«, hakte Cotton nach.
»Pinelli zum Beispiel«, antwortete Nesta nach kurzem Zögern.
»Er gibt dir seine Kreditkarte?«, fragte Brandenburg ungläubig. »Willst du uns verarschen?«
Decker schüttelte den Kopf. »Ich glaub, jetzt hat er zum ersten Mal die Wahrheit gesagt. Dabei geht’s um falsche Alibis, stimmt’s?«
Nesta zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Ich tu nur, was man mir aufträgt.«
»Wo finden wir Pinelli?«, fragte Cotton und beugte sich nach vorn, um Nesta in die Augen zu sehen. »In welchen Clubs verkehrt er für gewöhnlich? Und jetzt sag nicht, du wüsstest das nicht, denn das kaufe ich dir nicht ab!«
»Ich geh nicht mit ihm zusammen auf die Piste«, behauptete Nesta, »also weiß ich auch nicht, wo er immer abhängt.«
»Blödsinn!«, entgegnete Brandenburg und warf Cotton einen fragenden Blick zu. »Vielleicht sollten wir ihm doch etwas Bedenkzeit in einer kuscheligen Zelle geben?«
»Porca puttana«, brummte Nesta und seufzte. »Im Seven Stars trifft man ihn angeblich manchmal. Oder im Cooldown. Hab ich jedenfalls gehört.«
»Warum denn nicht gleich so?« Brandenburg grinste breit. »Bevor wir den Fisch in den Teich zurückwerfen, geben wir ihm noch ein bisschen Zeit zum Nachdenken, oder? Vielleicht fällt ihm ja noch mehr ein.«
*
Nachdem sie wieder in ihren Wagen gestiegen waren, fragte Cotton: »Was haben Sie mit dem Alibi gemeint, Decker?«
»Nach den Morden an den beiden Stadträten hat das FBI die wichtigsten Männer aus Brentanos Gang überprüft. Pinelli ist kein Unbekannter. Nach allem, was wir wissen, ist er der Mann fürs Grobe und arbeitet meistens mit einem gewissen Jake Motta zusammen. Der wiederum gilt als Brentanos rechte Hand bei seinen krummen Geschäften. Motta und Pinelli haben jedenfalls wasserdichte Alibis für die Tatzeit in beiden Fällen.«
Cotton pfiff durch die Zähne. »Ich verstehe. Es heißt also nicht, dass sie nichts mit den Morden zu tun hatten. Dass wir ihnen nichts beweisen können, zeigt nur, dass die neue Generation der Mafiabosse dazugelernt hat und mit Leuten zusammenarbeitet, die sich mit ihren Taten nicht mehr so brüsten wie früher. Ihre Schlägertrupps arbeiten inzwischen etwas raffinierter.«
»Genau«, bestätigte Decker. »Offenbar hat Pinelli es so aussehen lassen wollen, als wäre er gerade nicht in der Stadt. Er lässt einen Handlanger woanders mit seiner Kreditkarte zahlen und schon hat er ein falsches Alibi. Wenn sich unser festgenommener Mechaniker Gel in die Haare schmiert und den Dreitagebart stutzt, sieht er Carl Pinelli zum Verwechseln ähnlich. Zeigt man einem Verkäufer Pinellis Foto, wird er vermutlich schwören, Pinelli hätte höchstpersönlich mit der Kreditkarte bezahlt. Mit solchen Methoden arbeiten Leute wie Motta und Pinelli.«
Cotton startete den Motor und blickte seiner Partnerin entschlossen in die Augen. »Wir werden sie trotzdem austricksen.«
Cotton steuerte den Dienstwagen im nächtlichen Manhattan durch den dichten Verkehr. In den Scheiben der vorausfahrenden Autos spiegelte sich die grelle Leuchtreklame.
»Debbie Greene hat nichts Verdächtiges bemerkt«, erklang Dillagios Stimme aus der Freisprechanlage des Chevy Cruze. »Ihr gefällt es zwar nicht unbedingt im Zeugenschutzprogramm, aber sie fühlt sich momentan sicher. Wenn Brentano ihren Aufenthaltsort wüsste, hätten seine Leute längst zugeschlagen. Ich bleib die Nacht über auf jeden Fall hier.«
»Okay«, sagte Cotton, während er die Spur wechselte. Er schilderte kurz, was sie herausbekommen hatten. »Wir sind auf dem Weg zu ein paar Clubs, in denen dieser Carl Pinelli angeblich verkehrt. Vielleicht haben wir Glück und stöbern ihn auf. Mit dem, was uns der Informant erzählt hat, können wir ihn erst mal aus dem Verkehr ziehen und in die Mangel nehmen.«
»Falls er nach unserer Aktion in der Autowerkstatt nicht gewarnt ist«, warf Decker vom Beifahrersitz aus ein.
»Joe Brandenburg sorgt dafür, dass Nesta erst morgen früh seinen Anwalt anrufen kann«, sagte Cotton. »Bis dahin wissen sie nur, dass einer ihrer Kleindealer verhaftet wurde. Das kommt vermutlich jede zweite Woche vor, also muss es Pinelli nicht aufgeschreckt haben. Von uns ahnt er noch nichts.«
»Vielleicht wäre es besser, Brentano und seine Leute wissen zu lassen, dass wir ihnen auf die Finger schauen«, überlegte Dillagio. »Vielleicht machen sie dann einen Fehler.«
»Das glaube ich nicht«, entgegnete Decker. »Dazu sind sie zu gerissen. Nutzen wir die Zeit, bis Nesta telefonieren darf.«
»Okay, viel Glück!«, wünschte Dillagio und verabschiedete sich.
Kurz darauf erreichten sie das Seven Stars in Lower Manhattan, wo sie mit Brandenburg verabredet waren.
»Gleiche Vorgehensweise wie heute Nachmittag?«, fragte der Detective. »Ich gehe vor, ihr bleibt weiterhin inkognito?«
»Fürs Erste, ja«, antwortete Cotton. »Falls wir Pinelli finden, buchtest du ihn ein.«
»Was wir gegen ihn haben, ist eigentlich zu dünn. Brentanos Anwälte zerreißen uns in der Luft. Lange werden wir ihn nicht drin behalten können. Aber euer Boss hat mit Captain Larkin telefoniert, also geht der Fahrplan klar.«
Der Neonschriftzug des Seven Stars prangte über dem Eingang. Aus dem Gebäude drangen dumpfe Beats nach draußen. Einer der Türsteher kannte Brandenburg und ließ ihn, Cotton und Decker durch.
Für einen Wochentag war der Club gut besucht. Neon, Cocktails und grooviger Downtempo-House zogen diejenigen an, die sich die gesalzenen Preise leisten konnten. Brandenburg und Cotton fielen mit ihrer legeren Kleidung auf, Decker fügte sich dagegen mit ihrem schwarzen Hosenanzug und der weißen Bluse, die im Schwarzlicht leuchtete, gut ins hippe Publikum ein. Ihrem dezenten Schmuck sah man an, dass es kein Modefirlefanz war. Als sie am langen Haupttresen vorbeiging, drehten mehrere junge Männer den Kopf nach ihr um.
Cotton musste unwillkürlich grinsen. Er wusste, dass Decker diese Bürschchen nicht mal zum Frühstück verspeisen würde. Aber er musste zugeben, dass sie selbst hier, wo Models ein und aus gingen, ein Blickfang war.
Brandenburg sprach am Ende des Tresens einen Barmann an, den er offensichtlich kannte. Danach wies er mit dem Kopf in den hinteren Bereich des Clubs, wo gemütliche Lounges zum Sitzen einluden. Cotton und Decker folgten ihm.
Die Lautstärke der Musik war hier dezenter. An einem runden Tisch saßen zwei Männer, denen man ihre zwielichtigen Geschäfte sofort ansah. Designerklamotten, teure Goldketten und Armbanduhren, die mehr als nur ein Durchschnittsgehalt kosteten. Die drei jungen Frauen am Tisch, keine älter als fünfundzwanzig, wirkten wie Professionelle. Alle waren gut drauf, und neben dem Schampuskühler stand bereits eine geleerte Flasche.
Als der ältere der beiden Männer Joe Brandenburg entdeckte, sanken seine Mundwinkel schlagartig nach unten. »Der Laden ist nicht so ganz Ihre Kragenweite, Detective«, sagte er, »also nehme ich an, Sie sind dienstlich hier?« Er musterte Cotton kurz und ließ den Blick dann auf Decker verharren.
»Kann sein, Tyler«, entgegnete Brandenburg. »Ich habe gehört, du triffst dich hier gelegentlich mit Carl Pinelli.«
»Bei dem Namen klingelt’s bei mir nicht. Wer soll das sein?«
»Er spendiert euch ’ne Runde, du lädst ihn auf einen Drink ein. So läuft das doch.«
»Behauptet wer?«
»Eine verlässliche Quelle.«
»Die muss sich irren. Klar trifft man sich hier mit Leuten, die man vom Sehen kennt. Charlie So-und-so, Freddy aus der Bronx. Wir amüsieren uns und köpfen die eine oder andere Flasche. All so was halt. Einen Pirelli kenn’ ich allerdings nicht. Bloß die Reifenmarke, aber nach der suchen Sie ja vermutlich nicht, Detective, oder?«
»Du warst schon witziger«, brummte Brandenburg.
Cotton beobachtete die junge Blondine, die neben Tyler saß. Sie strich sich fahrig durchs Haar und schaute immer wieder auf die Dinge, die vor ihr auf dem Tisch lagen.
Decker hatte es auch bemerkt und nahm auf dem freien Stuhl neben ihr Platz. Blitzschnell schnappte sie sich die silberne Puderdose, die von einem winzigen Designerhandtäschchen halb verdeckt wurde. »Darf ich mir das mal ausleihen? Ich muss mir die Nase pudern.«
Erschrocken wollte die Blonde danach greifen, aber sie war zu langsam. Sie schielte zu Tyler hinüber.
Nachdem sie den Deckel geöffnet hatte, fragte Decker: »Das ist kein Schminkpuder, oder?«
»He, was soll das?«, mischte Tyler sich ein. »Darf sie das so einfach?«
»Sie hat doch höflich gefragt«, entgegnete Brandenburg.
Cotton umrundete den Tisch und bezog hinter Tyler und seinem Kumpan Position. »Wenn es das ist, was ich glaube, seht ihr alt aus, Jungs!«
Tyler wandte sich zu ihm um. »Was kann ich denn dafür, wenn die Tussi irgendwas dabeihat, das nicht ganz legal ist?«
Decker probierte das Pulver mit dem kleinen Finger und nickte. »Die Menge reicht für erhebliche Schwierigkeiten aus.«
Mit einer abfälligen Geste rückte Tyler von den Blonden weg. »Damit hab ich nichts zu tun.« Plötzlich erhob er sich und fuchtelte wild mit den Armen herum.