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Was, wenn aus vorgetäuschten Gefühlen plötzlich die wahre Liebe wird?
Daphne »Duffy« Markham steckt in der Klemme: Ihr vermögender Freund lässt sie genau dann sitzen, als ihr Arbeitsvisum abzulaufen droht. Doch um in den USA zu bleiben, braucht sie dringend einen Ehemann. Als sie zufällig den attraktiven Riggs Bates in einer verheerenden Situation mit ihrer Chefin erwischt, erpresst sie ihn kurzerhand. Glücklicherweise sucht der scheinbar mittellose Riggs genauso dringend eine Möglichkeit, in New York zu bleiben, und so stimmt er einer Scheinehe zu. Obwohl ihre gegenseitige Abneigung zunächst das Einzige ist, was sie verbindet, stellt Duffy schon bald fest, dass ihre Ehe auf einmal beginnt, sich alles andere als gespielt anzufühlen ...
»Einzigartige Charaktere, eine außergewöhnliche Liebesgeschichte und tiefgründige Themen machen dieses Buch zu einem absoluten Highlight.« BOOK_LOVELY29 über FALLEN
Der großartige Abschluss der CRUEL CASTAWAYS-Reihe von SPIEGEL-Bestseller-Autorin L. J. Shen
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Seitenzahl: 588
Titel
Zu diesem Buch
Leser:innenhinweis
Widmung
Zitat
Motto
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
Epilog
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von L. J. Shen bei LYX
Impressum
L. J. SHEN
Cruel Castaways
COLD-HEARTED
Roman
Ins Deutsche übertragen von Patricia Woitynek
Milliardär Riggs Bates weiß, dass Geld allein nicht glücklich macht. Deshalb hält er seinen Kontostand geheim, bereist als Journalist die Welt und hat in jeder Stadt eine andere Frau. Engländerin Daphne »Duffy« Markham, Assistentin einer Reporterin, will zwei Dinge im Leben: reich heiraten und unbedingt in den USA bleiben. Als ihr potenzieller Ehemann sie jedoch überraschend sitzen lässt und ihr Arbeitsvisum abzulaufen droht, greift Duffy zu drastischen Mitteln: Nachdem sie den scheinbar mittellosen Riggs mit ihrer verheirateten Chefin erwischt hat, beschließt sie, ihn zu erpressen. Glücklicherweise braucht Riggs genauso dringend eine Möglichkeit, in New York zu bleiben, um einen unerwünschten Arbeitsauftrag ausschlagen zu können. Deshalb stimmt er einer Scheinehe mit Duffy zu. Bewaffnet mit strengen Hausregeln und ihrer gegenseitigen Abneigung füreinander stellen Riggs und Duffy bald allerdings widerwillig fest, dass der Funke zwischen ihnen übergesprungen ist. Und dass ihre Ehe auf einmal beginnt, sich alles andere als gespielt anzufühlen …
Liebe Leser:innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.
Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!
Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.
Euer LYX-Verlag
Für Mom.
Ja, ich habe dieses Buch ganz allein geschrieben.
Und ja, ich trage einen Pullover.
Die Liebe ist ein Baum, der tief in unserem Wesen Wurzel fasst und auch auf einem zertrümmerten Herzen weiter grünt.
Unerklärlicherweise aber ist die Liebesleidenschaft am zähesten, wenn sie blind ist. Je unvernünftiger eine Liebe ist, desto fester wurzelt sie im Herzen.
Victor Hugo – Der Glöckner von Notre-Dame
Girls just wanna have funds.
Urheber unbekannt
Mein Abend konnte unmöglich noch schlimmer werden, erkannte ich, während ich mir Love is Blind – Auf den zweiten Blick ansah und, in eine Packung überteuerter Vollkornkekse schluchzend, die Trennung von der vermeintlichen Liebe meines Lebens betrauerte. Höchstens vielleicht durch mein plötzliches Ableben. Andererseits wäre mir der Tod durchaus willkommen, um mich von meinem Kummer und Schmerz zu erlösen.
War die Liebe blind? Sehr wahrscheinlich. Wie hätten mir sonst sämtliche Warnzeichen entgehen können? Besonders, da sie mir doch klar vor Augen gestanden hatten wie eine von einem Jingle untermalte Leuchtschrift auf einer Neon-Reklametafel am Times Square: Ach, Duffy, du taube Nuss / Ihm ging’s immer nur um den Erguss / Er wird dir nie einen Ring anstecken / Wie dumm muss man sein, um das nicht zu checken?
Alle Rechte vorbehalten, et cetera.
Und es war noch nicht mal eine richtige Trennung. Sondern eher so eine halbherzige Sache nach dem Motto: Glaub ja nicht, dass ich auf dich warten werde, obwohl wir beide wissen, dass genau das passieren wird. Eine Wir-machen-keine-Beziehungspause-Trennung à la Rachel Green. Ihr versteht, was ich meine.
»Das Positive daran? Du hast den ultimativen Tiefpunkt erreicht«, erklärte ich dem Keks in meiner Hand, der wie aufs Stichwort auf meinem Schlafanzugoberteil zerbröselte.
Du solltest mich nicht in Versuchung führen, Dumpfbacke, antwortete das Schicksal in Gestalt meines Handys, das unversehens neben mir auf der Couch vibrierte.
»Leck mich«, grummelte ich, bevor ich den Namen Gretchen auf dem Display las.
Gretchen Beatty war die Moderatorin von TheWorldToday – der wichtigsten Sendung des Nachrichtenkanals WNT – und meine Vorgesetzte. Als ihre Assistentin war ich für jeden Bereich ihres Lebens zuständig. Jedenfalls galt das bis vor sechs Monaten, als Gretchen verkündete, dass das Weiße Haus sie als Pressesprecherin angeworben habe und sie deshalb von New York nach D. C. umsiedeln werde. Was bedeutete, dass WNT keine Verlängerung meines Arbeitsvisums beantragen würde. Das Schlimmste war, dass ich, obwohl ich meinen Job in wenigen Tagen los sein würde, es mir trotzdem nicht erlauben konnte, meiner tyrannischen Chefin zu sagen, was ich von ihr hielt. Sie war der Typ Mensch, der sich weigern würde, mir ein Zeugnis auszustellen, sollte mir auch nur der kleinste Patzer unterlaufen und ich beispielsweise ihren Iced Americano halb-halb anstatt mit einem Spritzer Hafermilch bestellen.
Aber später mehr zu meinen Kümmernissen.
Ich räusperte mich und wischte mit dem Daumen über das Display.
»Meine Güte, Daphne. Geht’s vielleicht noch lahmer? Sie haben ganze zehn Minuten gebraucht, um ranzugehen.«
Ich warf einen Blick auf meine neue Armbanduhr und stellte fest, dass es schon nach elf war. »Kann ich irgendetwas für Sie tun?«
Die Antwort lautete ohne Zweifel Ja. Wäre es eine olympische Disziplin, mich Überstunden machen zu lassen, würde Gretchen darin auf Platz eins der Weltrangliste stehen.
»Mir ist gerade siedend heiß eingefallen, dass Lyric morgen ihren sechsten Geburtstag feiert. Ich war so sehr mit der Übergabe an Claire beschäftigt, dass ich völlig vergessen habe, meiner Kleinen ein Geschenk zu besorgen.«
Sie war mit der Übergabe beschäftigt? Von wegen! Ich war es, die sich mit der Enthüllungsjournalistin Claire Scott – Gretchens Thronerbin – und deren Mitarbeiterstab herumplagen musste.
Da ich drei Meilen gegen den Wind riechen konnte, worauf dieses Telefonat hinauslief, sagte ich: »Ich werde gleich morgen Früh Geschenke für Lyric kaufen. Schwebt Ihnen ein bestimmter Betrag vor?«
Gretchen hatte mir bereits an meinem zweiten Arbeitstag eine Kreditkarte gegeben. Seither kümmerte ich mich um alle ihre persönlichen Belange. Dies beinhaltete, dass ich ihre Wohnung in Manhattan mit Lebensmitteln bestückte und ihre Rechnungen beglich. Darüber hinaus ging ich zu Elternsprechstunden, füllte Gretchens Wahlzettel aus und schrieb an ihrer Stelle Gastkommentare für renommierte Zeitungen. Tatsächlich hatte ich, um meinen Job – und mein Visum – zu behalten, ihr praktisch alles abgenommen, außer, ihre Kinder zu gebären. Letzteres war allein dem Umstand geschuldet, dass sie zum Glück schon auf der Welt waren.
»Morgen?« Gretchen schlürfte geräuschvoll an ihrem Getränk. »Die Zeit drängt. Sie müssen das heute noch erledigen. Ich fahre morgen in aller Herrgottsfrühe nach Greenwich. Jason zwingt mich, bei dem Geburtstag dabei zu sein, obwohl er genau weiß, dass wir am Abend eine Sendung aufzeichnen.« Wie immer, wenn sie über ihren Ehemann sprach, klang ein frustriertes Seufzen in ihrer Stimme mit. »Ich habe ihm mitgeteilt, dass ich zurück in die Stadt fahre, bevor Lyric ihre Geschenke auspackt. Ich muss den Laden am Laufen halten. Wieso kapiert er das nicht?«
Weil du die Mutter seiner Kinder bist?
Ich hatte Jason erst ein paarmal getroffen, trotzdem sagte mir mein Gefühl, dass er wesentlich netter war als seine Frau. Was nicht wirklich ein Kunststück darstellte.
»Sie möchten, dass ich mitten in der Nacht Geschenke für eine Sechsjährige kaufen gehe?«, vergewisserte ich mich tonlos.
Respekt, Schicksal. Mir bleibt echt nichts erspart. Was habe ich mir in meinem früheren Leben zuschulden kommen lassen? Mein Geld mit dem Häuten kleiner Kinder verdient?
»Was?«, brüllte Gretchen ins Handy, um die laute Musik im Hintergrund zu übertönen. »Ich kann Sie nicht verstehen. Ich bin in diesem grauenhaften Pub. Es wimmelt hier von Proletariern, die nicht mal zu wissen scheinen, wer ich bin. Unkultivierte Ignoranten.«
»Wegen der Geschenke …«, sagte ich mit lauter Stimme. »Ich denke nicht, dass ich ein Geschäft finden werde, das um diese Uhrzeit noch geöffnet hat.«
»Natürlich werden Sie das!« Es klang entrüstet. »Wegen dieser Einstellung ist euch Briten euer Empire flöten gegangen, Daphne. Stellen Sie sich der Herausforderung. Sie schaffen das, weil Ihnen nämlich keine andere Wahl bleibt. Ich glaube an Sie. Jetzt frage ich Sie: Tun Sie selbst das auch?«
Hätte ich mir doch bloß ein Glas Wein zu diesen Keksen gegönnt. Und vielleicht zusätzlich ein Beruhigungsmittel.
»Ich werde sehen, was ich tun kann«, versprach ich.
»Und sorgen Sie dafür, dass ich die Geschenke erhalte, bevor ich morgen um sechs nach Greenwich aufbreche.«
»Um sechs Uhr abends?«
»Um sechs Uhr früh, Dummerchen.«
»Was?«, japste ich. »Wie soll ich denn –«
Aber es war zu spät. Sie hatte aufgelegt.
Ich starrte auf mein Handy und überlegte mir meinen nächsten Schritt. Nicht, dass mir viele Optionen blieben. Gretchen würde noch zwei weitere Wochen meine Vorgesetzte sein. Wie ich sie kannte, würde sie meinen Namen bei jeder New Yorker Nachrichtenagentur in den Dreck ziehen, wenn ich sie jetzt noch verärgerte.
Also rief ich widerstrebend BJ an.
Meinen Ex-Freund. Den Mann, mit dem ich heute Schluss gemacht hatte. Die Arschgeige.
»Duffy!« Er klang gleichermaßen erfreut und selbstgefällig. Kein Wunder, nachdem ich ihm zum Abschied gesagt hatte, dass ich nie wieder ein Wort mit ihm wechseln würde. Das war vor fünfundvierzig Minuten gewesen. »Anscheinend hast du es dir anders überlegt, hm? Warum bestellst du nicht ein Uber, kommst zu mir nach Hause, und wir reden über alles?«
»Ich brauche deine Hilfe«, antwortete ich, ohne auf seine kühne Annahme einzugehen. »Es handelt sich um einen Notfall. Kennst du jemanden, der einen Spielzeugladen betreibt oder seine Strippen ziehen könnte, damit irgendwer sein Geschäft heute Nacht noch mal für mich öffnet?«
Es machte mir nur deshalb nichts aus, BJ um einen Gefallen zu bitten, weil ich ihm im Lauf der Jahre zigmal aus der Patsche geholfen hatte. Ich hatte seine gesamte Doktorarbeit geschrieben, während wir beide in Cambridge studierten, hatte auf den letzten Drücker Geburtstagskuchen für seine Familie gebacken und einmal eigenhändig die Analdrüsen des Yorkshire Terriers seiner Mutter ausgedrückt.
»Sprechen wir von Erwachsenenspielzeug oder solchem für Kinder?«
»Letzteres.« Ich legte den Kopf zurück und schaute finster auf mein Handy. »Einen Vibrator kaufen zu wollen, ist in der Regel kein Notfall.«
Er stieß ein Schnauben aus. »Geht’s wieder mal um Gretchen?« Führten wir gerade wirklich ein ganz normales Gespräch, obwohl er mir vorhin verkündet hatte, dass er in wenigen Tagen nach Kathmandu, Nepal, abreisen würde, so als wären wir nicht die letzten sieben Jahre ein Paar gewesen?
»Lyric hat morgen Geburtstag.«
»Gib mir ein paar Minuten. Ich melde mich.«
»Danke.«
Brendan Ronald junior war ein Abbott und daher unermesslich reich und privilegiert. Seine Familie war in New York sehr bekannt, der Nachname öffnete Türen … und Brieftaschen. Dass BJ ihr angehörte, verlieh ihm einen Glanz, wie ich ihn sonst nur aus Fernsehserien kannte. Ich selbst wuchs in einer Sozialwohnung im Londoner Stadtteil Tooting auf; erst vor kurzem gelang es meinen Eltern, ihren Lebensstandard zu verbessern, indem sie in eine Doppelhaushälfte einen Straßenblock entfernt umzogen. Als ich BJ damals in Cambridge kennenlernte – ich mit einem Vollstipendium, er mit einem von seiner Familie gestifteten Teil der Bibliothek –, wurden meine Gedanken nur noch davon beherrscht, wie ich ihn mir angeln könnte. Um von seinem Glück zu profitieren. Im wörtlichen und im übertragenen Sinne.
Mein Stiefvater betrieb eine Fish-and-Chips-Bude, meine Mutter war Hausfrau. Wir waren das Gegenteil von einflussreich. Unbedeutend würde es wohl am ehesten treffen. Meine Mutter kaufte Kartoffeln zu ermäßigten Preisen bei einem portugiesischen Gemüsehändler und sammelte eifrig Gutscheine, um Brot und Milch zu bezahlen.
Wenig später vibrierte mein Handy.
Ich ging ran. »Ja?«
»FAO Schwarz. Eine Frau namens Kayleigh wird das Geschäft um Mitternacht für dich aufschließen. Aber du hast maximal zehn Minuten, und das Licht bleibt aus«, erklärte BJ in zögerlichem Ton. Ich vermutete, dass er irritiert war, weil ich mich ihm nicht vor die Füße warf.
Erinnerungsfetzen unseres Trennungsgesprächs, das wir in unserem Lieblingsrestaurant geführt hatten, drängten sich in meinen Kopf. »Ach, komm schon, Duffy. Du weißt, dass ich mir die letzten Jahre den Arsch abgearbeitet habe. Ich verdiene diese Auszeit. Und es sind ja nur sechs Monate. Ich werde bei Mönchen leben und lernen, wie man meditiert.«
»Das ist vollkommen ausreichend. Danke.«
»… es versprochen, BJ. Ich hatte mich darauf verlassen, dass du mir die alles entscheidende Frage stellen wirst. Nur darum habe ich die Füße stillgehalten. Mein Visum läuft in zwei Wochen ab. Du kannst mir das nicht antun.«
»Nun denn …« BJ schien das Telefonat noch nicht beenden zu wollen. »Ich habe das Gefühl, dass du immer noch wütend auf mich bist. Wirst du dir jemals zu Ende anhören, was ich zu sagen habe?«
»Herrgott noch mal, Duff. Du setzt mich ganz schön unter Druck. Ist es da ein Wunder, dass ich Bedenken habe, mich mit dir zu verloben? Ich fühle mich wie eine wandelnde Greencard. Im Übrigen kannst du mich doch nach Nepal begleiten.«
»Nein, das kann ich nicht. Ich darf die USA nicht verlassen, wenn ich dauerhaft hierbleiben will, Blitzbirne.«
»Ich habe dir im Restaurant zugehört«, gab ich schnippisch zurück. »Ehrlich gesagt würde ich mir meine Ohren mit Bleiche ausspülen, wenn ich damit einige deiner Worte ungesagt machen könnte.«
»Wenn es dir bloß um die Aufenthaltsgenehmigung geht, dann such dir einen anderen Trottel, der dich heiratet, Duff. Nur weil du und meine Mutter mich drängen, es zu tun, bin ich deswegen nicht automatisch bereit für eine Ehe. Ja, ich dachte, ich wäre es, aber Menschen ändern nun mal ihre Meinung. Man nennt das Reifeprozess.«
»Ich war nicht von oben herab. Mir ist bewusst, wie sehr du diese Stadt liebst«, verteidigte er sich. »Damit du dein ganzes Potenzial ausschöpfen kannst, gab ich dir meine Erlaubnis, etwas zu tun, das mich sehr verletzen würde. Das allein müsste Beweis genug sein, dass du mir wichtig bist. Dich jemand anderen heiraten zu lassen, ist das ultimative Opfer.«
Meine Erlaubnis. Jemand sollte dem Mann einen Kalender besorgen, um ihm auf die Sprünge zu helfen. Wir lebten nicht mehr im neunzehnten Jahrhundert.
»Nochmals danke für die Hilfe, BJ. Genieß den Abend.«
»Wir werden uns also nicht mehr sehen, bevor ich abreise? Ein letztes Mal, um der guten alten Zeiten willen?«
Ich legte auf und fuchtelte mit der Faust in Richtung der Zimmerdecke meiner Sechsundvierzig-Quadratmeter-Wohnung auf der Madison Avenue.
Gott hatte mich im Stich gelassen. Wenn er glaubte, dass ich je wieder die Fastenzeit einhalten würde, hatte er sich geschnitten.
Um halb eins fuhr ich mit dem Taxi von FAO Schwarz zu Gretchens Luxuswohnung auf der Upper East Side. Falls ich Glück hatte – wovon angesichts des bisherigen Verlaufs dieses Abends nicht auszugehen war –, würde sie tief und fest schlafen und gar nicht mitbekommen, wie ich die hübsch verpackten Geschenke ablieferte.
»Das muss ja ein ganz besonderes Geburtstagskind sein.« Der Taxifahrer beäugte mich im Rückspiegel. Ich war halb unter einem Berg pastellfarbener Päckchen begraben. Anatomisch korrekte Babypuppen, eine Barbie-Gürteltasche, ein Einhorn, auf dem man sitzen konnte, und ein lebensgroßes Känguru. Würde die zivilisierte Welt jemals akzeptieren, dass diese Tiere keineswegs niedlich, sondern aggressive Biester waren?
»Kinder mit materiellen Dingen zu überhäufen ist kein Zeichen von Liebe«, murmelte ich und schaute aus dem Fenster, hinter dem die Wolkenkratzer vorbeizogen. Nachts war Manhattan besonders reizvoll. Elegant, verwegen und gepflastert mit Möglichkeiten und Verheißungen. »Es ist ein Schuldeingeständnis.«
Das Taxi fuhr rechts ran, ich stieg aus und winkte Terrence, dem Pförtner, zu, als ich an ihm vorbeischwirrte. Er war an mein ständiges Kommen und Gehen zu den unorthodoxesten Zeiten gewöhnt. Ich atmete tief durch und sagte mir, dass der schlimmste Teil der Nacht definitiv hinter mir lag, bevor ich mich zusammen mit Lyrics unzähligen Geschenken in den Aufzug quetschte.
Als die Tür wieder aufglitt, wurde ich von vier prall gefüllten Müllbeuteln begrüßt, die meine Chefin vor ihrer Wohnung deponiert hatte. Sie hatte mir einmal erklärt, dass sie keinen Sinn darin sähe, ihren Abfall selber runterzubringen. Als wäre es unter ihrer Würde, ihren eigenen Dreck wegzuräumen.
Lyrics Geschenke mühsam im Gleichgewicht balancierend, ging ich um die suppenden Tüten herum und gab den Code ein, um die Tür zu entsperren.
Ich schubste sie auf, dabei entglitt mir das verflixte Känguru und plumpste auf den Boden. Mir entfuhr ein Keuchen, als ich prompt darüber stolperte und mit dem Gesicht voran hinstürzte. Gott sei Dank – und ich benutze diesen Ausdruck hier als Phrase – landete ich auf dem Plüschtier. Mein Kleid rutschte hoch und verschaffte meinem Hintern Frischluft. Als wäre das nicht schon peinlich genug, trug ich außerdem den sexy Slip aus schwarzer Spitze – mit einer roten Schleife direkt über dem Po –, den ich letzte Woche, in der Erwartung, dass BJ mir heute einen Antrag machen würde, gekauft hatte.
Mein Gesicht im Schritt des Kängurus vergraben – natürlich konnte ich nicht einfach der Länge nach obendrauf gefallen sein, um die Sache etwas weniger demütigend zu machen –, dachte ich, dass dieser Abend jetzt hundertprozentig nicht noch schlimmer werden könnte.
Und wieder belehrte mich das Schicksal eines Besseren.
Denn kaum dass ich den Kopf hob, erkannte ich, in welche Situation ich hier hineingeraten war.
Meine Chefin hatte gerade Sex mit einem Mann, der definitiv nicht Jason war.
Meine mentale Festplatte speicherte das Bild ab, noch bevor ich die Löschtaste drücken konnte.
Gretchen Beatty, meine knallharte Vorgesetzte – und dieselbe Person, die die letzte Präsidentschaftsdebatte moderiert hatte –, ließ sich mit einem zusammengeknüllten Halstuch im Mund von einem absurd gut gebauten Halbgott nageln, dessen Gesäßmuskeln sich mit jedem Stoß anspannten. Ihr Bleistiftrock war bis zu ihrer Taille hochgerutscht, ihr Slip achtlos zur Seite gezogen, und unter ihrer zerrissenen Bluse hüpften ihre Brüste auf und nieder. Ein zauberhafter Anblick.
Ausgehend von der Annahme, dass ihr Ehemann sich in den drei Wochen, seit ich ihn zuletzt gesehen hatte, nicht in einen ein Meter neunzig großen Adonis mit stählernen Pobacken, dem Körperbau eines Thor und einem verstrubbelten Schopf blonder Haare, wie man ihn vom klassischen Mädchenschwarm der Neunzigerjahre kannte, verwandelt hatte, war dieser Kerl eindeutig irgendeine Art von Techtelmechtel.
»Hübsches Höschen«, bemerkte er an mich gewandt, ohne in seinen kopulierenden Bewegungen innezuhalten. »Bitte sagen Sie mir, dass Sie einen dazu passenden BH tragen.«
»Tu ich«, bestätigte ich, fest entschlossen, mir meine Verlegenheit nicht anmerken zu lassen. »Es war ein Sonderangebot.«
»Die Anschaffung hat sich gelohnt«, stöhnte er, offensichtlich an der Schwelle zum Orgasmus.
Tauschten wir tatsächlich Nettigkeiten aus, während er meine Chefin vögelte? Dabei hieß es doch immer, wir Briten seien übertrieben höflich.
»Was zum Teufel!« Gretchen stieß den Mann weg und schoss auf blanken Sohlen über den Marmorboden wie der Blitz auf mich zu, wobei sie versuchte, ihren Busen mit ihrer zerfetzten Bluse zu verdecken. Ich rappelte mich hoch und zupfte mein Kleid zurecht, während ich den atemberaubenden Typen hinter Gretchen beäugte, als gäbe es in diesem Moment nichts Wichtigeres.
Wow.
Wo hatte sie den bloß aufgegabelt? Jedenfalls an keinem der Orte, die ich frequentierte, so viel stand fest. Ihn als heiß zu bezeichnen wäre damit vergleichbar zu behaupten, in der Hölle sei es angenehm warm. Absolut umwerfend käme der Sache schon näher. Seine gemeißelten Wangenknochen, die prägnante Kieferpartie, die vollen, perfekt proportionierten Lippen … und dazu dieser Körper. Er erinnerte an Michelangelos David, nur dass er wesentlich besser ausgestattet war.
War er ein in die Jahre gekommenes Model? Ein Schauspieler? Der heimliche Sohn von Brad Pitt und Chris Hemsworth? Allerdings müssten die beiden bei seiner Geburt noch recht jung gewesen sein. Er sah aus wie Mitte bis Ende dreißig.
Gretchen packte meine Schultern und brüllte mir ins Gesicht. »Was haben Sie hier zu suchen? Los, antworten Sie!«
»Sie sagten, ich solle Lyrics Geschenke vor sechs Uhr morgens in Ihre Wohnung bringen«, erinnerte ich sie in sachlichem Ton. Diese Situation war ein Riesenschlamassel, aber sie hatte es sich selbst eingebrockt.
»Ich meinte nicht mitten in der Nacht, Sie Vollidiotin!« Gretchen trat mit dem Fuß nach den Päckchen, die sich zwischen uns auf dem Boden verteilten – eine klare Demonstration, wie wenig sie auf den Geburtstag ihrer Tochter gab. »Was zum Geier haben Sie sich dabei gedacht?«
»Ich wollte diesen Auftrag erledigen, um mich gleich morgen Früh wieder all meinen anderen auf Sie bezogenen Pflichten widmen zu können.« Ich trat einen Schritt zurück, um nicht mit Gretchens Speichel besprüht zu werden. »Wie zum Beispiel Ihre Abschiedsrede zu Ende zu schreiben, dieses Zitat aus Ihrem Gespräch mit dem Präsidenten zu finden, an dem Diorama für Lyrics Geografieunterricht zu arbeiten und für Sie das Interview mit der Vogue klarzumachen.«
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie der Halbgott lässig mit einer Hand seine schwarzen Dickies zuknöpfte, die Balkontür öffnete und sich einen Joint anzündete. Der Blick seiner blauen Augen traf meinen, und er grinste, als bestünde irgendein stillschweigendes Einvernehmen zwischen uns. Furchtbar, was aus ihrem Mund kommt, wenn ich ihn ihr nicht mit meinem Schwanz stopfe, nicht wahr?
»Brauchen die Damen vielleicht einen Moment unter sich?« Seine Stimme war warm und wohlklingend – und mit einem unüberhörbaren spöttischen Unterton behaftet.
»Und dazu einen Drink, während du eine Zeitmaschine für mich baust, die mich aus diesem Fiasko herausbeamt.« Gretchen schnappte sich eins der Geschenke und warf es nach ihm.
Er fing es mit einer Hand auf und legte es ungerührt auf ein Sideboard. »Einen Drink kann ich dir besorgen. Was die Zeitmaschine betrifft, bräuchte ich dazu eine detaillierte Bauanleitung. Aber wenn es dir wirklich ernst damit ist, könnte mein Freund Arsène vermutlich –«
»Es interessiert mich nicht, wozu dein Freund Arsène imstande ist. Wärst du bitte so nett, diese Frau zu erwürgen und irgendwo zu verscharren?« Gretchen schloss die Finger um mein Handgelenk, als fürchtete sie, ich könnte die Flucht ergreifen. »Keiner wird sie vermissen.«
Er betrachtete mich mit einem leisen Lächeln auf seinen verführerischen Lippen unter halb geschlossenen Lidern. Mist. Hatte er vor, mich umzubringen? Würde es mir am Ende sogar gefallen? Er war ekelhaft attraktiv. Und ich zurück auf dem Single-Markt. Darüber hinaus hatte ich schon immer die Tendenz, mich mit den furchtbarsten Leuten zu umgeben. Nachdem BJ mir heute nicht wie erwartet einen Antrag gemacht hatte, bevor inzwei Wochen mein Visum ungültig würde, und meine Vorgesetzte gerade ein Mordkomplott gegen mich schmiedete, drängte sich mir die Frage auf, ob das FBI eventuell Verwendung für mich hätte. Als Köder, um einheimische Terroristen in die Falle zu locken.
»Nö. Ich denke, ich werde sie als Haustier behalten.« Der Halbgott zwinkerte mir zu.
»Viel Glück dabei.« Ich funkelte ihn aus zusammengekniffenen Augen streitlustig an. »Ich werde Ihre Möbel anknabbern, in Ihre Schuhe pinkeln und Sie in den Hintern beißen.«
Er schüttelte schmunzelnd den Kopf und ging hinaus auf den Balkon, ohne die gläserne Schiebetür hinter sich zu schließen.
Sobald wir allein waren, wirbelte Gretchen zu mir herum, ihre Züge zu einer dämonischen Fratze verzerrt. »Sie hatten kein Recht, einfach hereinzuplatzen!«
»Ich komme dreimal die Woche hierher, seit ich für Sie arbeite«, wies ich sie hin. »Anscheinend ist Ihnen diesmal entfallen, dass Sie mich herbeordert hatten.«
»Oh, verdammt. Ich habe viel zu viel getrunken. Er bringt mich immer wieder dazu, die Kontrolle zu verlieren. Was soll ich nur machen?« Gretchen ließ mich los und fuhr sich mit zittrigen Fingern übers Gesicht. Sie schüttelte heftig den Kopf und fing an, ruhelos auf und ab zu gehen. »Niemand darf davon erfahren. Diese Sache könnte meiner Karriere im Weißen Haus ein Ende bereiten, ehe sie überhaupt begonnen hat.«
Was ihre Lage noch prekärer machte, war der Umstand, dass WNT in einen gigantischen Skandal wegen sexueller Belästigung verwickelt gewesen war. Seitdem verzichtete das Unternehmen darauf, von den Leuten, die für die Stars der wichtigsten Sendungen arbeiteten, Vertraulichkeitsvereinbarungen zu verlangen, um vollständige Transparenz zu gewährleisten. Infolgedessen hatte ich nie einen Geheimhaltungsvertrag unterschrieben. Was sollte mich also daran hindern, gegen einen hübschen sechsstelligen Betrag darüber auszupacken, wie ich Gretchen Beatty in flagranti mit einem Mann erwischt hatte, der anschließend mit der Idee liebäugelte, mich als Haustier zu halten, bevor beide in meinem Beisein erwogen, mich zu ermorden.
Moment mal, stammte dieser Handlungsstrang nicht aus Coronation Street?
Ich stand stumm im Raum und ließ die Erkenntnis ob dieser Machtverschiebung auf mich wirken, derweil Gretchen die Augen gen Himmel richtete und vermutlich von einem der göttlichen Engel eine Audienz beim Boss verlangte.
»Es kann nicht wahr sein, dass mir so etwas passiert. Dafür habe ich zu hart gearbeitet und zu viele Entbehrungen auf mich genommen. Es muss eine Möglichkeit geben, diese Sache ungeschehen zu machen. Wenn ich nur wüsste, wie …« Sie verstummte, als sie sich offenbar daran erinnerte, dass der Halbgott ebenfalls anwesend war.
»Schaff gefälligst deinen Arsch wieder hier rein! Wage es ja nicht, mich mit dieser Misere allein zu lassen. Dein Schwanz ist noch nicht mal trocken, und du planst bereits deine Flucht.«
Ich vergaß zu erwähnen, dass Gretchen nicht für ihre guten Manieren bekannt war.
Der Mann zog noch zweimal entspannt an seinem Joint, dann schnippte er ihn vom Balkon und schlenderte auf uns zu. Aus der Nähe betrachtet war er ein wahrer Hüne mit einem phänomenalen Körperbau.
Dabei stand ich noch nicht mal auf attraktive Männer. Typen wie er waren für mich derart unerreichbar, dass sie ebenso gut Außerirdische sein könnten. Im Sinne von: Na so was, dann gibt es euch also wirklich. Gefolgt von: Aber natürlich möchte ich entführt und einer Leibesvisitation unterzogen werden.
Tatsächlich waren wohlerzogene Männer mit Stirnglatze und dicken Bankkonten eher nach meinem Geschmack als dieser Prachtkerl in seinen abgerissenen Klamotten.
»Reg dich ab.« Sein Oberarmmuskel spannte sich an, als er mit der Faust in ihr Haar griff und spielerisch daran zog. Allein seine Körpersprache genügte, um einen spontanen Orgasmus auszulösen. »Die kleine Mary Poppins wird kein Sterbenswörtchen sagen.«
Gretchen stieß ihn aufgebracht vor die Brust. »Du hast leicht reden«, herrschte sie ihn an. »Was hast du schon zu verlieren, falls sie hier rausmarschiert und die Geschichte der Presse steckt? Du bist ledig.«
»Das stimmt. Der beste Personenstand überhaupt – soweit ich das beurteilen kann.« Mit einem Augenzwinkern ging er zum Kühlschrank und nahm eine Ingwerlimonade heraus. Er lehnte seine schmale Hüfte an die Küchenzeile und nahm einen tiefen Schluck, dann deutete er mit der Flasche auf mich. »Hat Mary Poppins auch einen richtigen Namen?«
»Daphne Markham.« Gretchen verzog angewidert den Mund, als machte sie schon der Gedanke an mich depressiv. »Sie ist meine Assistentin.«
Da stand ich nun in meinem geblümten Ellie-Nap-Kleid – ich hätte unmöglich in meiner vollgekrümelten Pyjamahose aus dem Haus gehen können – und wurde von diesen beiden charakterlosen Menschen in die Mangel genommen. Ich hatte in den letzten Stunden so viele Tiefpunkte erreicht, dass ich mich in einer völlig neuen Galaxie wiederfand.
»Davon ausgehend, dass du in deinem Job ein ebenso hitziges Temperament zeigst wie im Bett, hat sie vermutlich keine große Motivation, Schweigen hierüber zu bewahren«, sinnierte der Halbgott.
»Ich bitte dich. Als würde es irgendeinen Unterschied machen, wenn sie mich sympathisch fände.« Gretchen begann, die Knöpfe ihrer zerrissenen Bluse zu schließen. »Aber sie liebt Geld.«
Wodurch hatte ich mich verraten? Meine Schwäche für Designerkleidung oder die Tatsache, dass ich mit BJ Abbott, dem Erben eines Immobilienmoguls, zusammen war?
Bis gestern, rief ich mir in Erinnerung.
»Dann bestich sie doch einfach«, schlug der Halbgott vor. »Sorg dafür, dass es sich für sie lohnt, wenn sie ihren hübschen kleinen Mund hält.«
Mein Blick wechselte zwischen ihnen hin und her. Ausnahmsweise verkniff ich mir jede Art von spitzer Bemerkung. Ich wollte wissen, wohin das Ganze führen würde.
Gretchen schnaubte verächtlich. »Sei ernst, Riggs!«
Riggs. Was für ein sonderbarer Name für diesen sonderbaren Menschen.
Der außerdem ledig war.
»Aber das bin ich.« Seine perfekten Zähne blitzten auf. »Du sagst, sie steht auf Kohle. Und davon hast du eine ganze Tonne, Baby.«
An der Innenseite seines Oberarms prangte ein Tattoo, das einen Berg darstellte, darunter eine Liste berühmter Gipfel: Mount Everest, K2, Kangchendzönga, Lhotse und noch diverse andere. Sämtliche Namen waren durchgestrichen, bis auf einen.
Riggs war Bergsteiger. Wie seltsam, dass er ausgerechnet den Denali in Alaska nicht erklommen hatte.
Auch nicht seltsamer, als dass du über seine sportlichen Aktivitäten nachdenkst, während du gleichzeitig mit dem Gedanken spielst, seine Geliebte zu erpressen. Was übrigens die Richtung war, die ich momentan einzuschlagen gedachte.
»Na schön!« Gretchen drehte sich um und heftete ihren giftigen Blick auf mein Gesicht. »Was verlangen Sie?«
»Nehmen Sie mich mit nach D. C.«, platzte es aus mir heraus.
Eine andere Lösung gab es nicht, damit ich in den Staaten bleiben und auf BJs Rückkehr warten konnte – was ich aus unerfindlichen Gründen tatsächlich in Erwägung zog, obwohl er mich gestern so bitter enttäuscht hatte.
Sie starrte mich mehrere Sekunden an, ehe sie die Hände in die Luft warf und in tränenloses Schluchzen ausbrach.
»Ich darf keine eigenen Mitarbeiter ins Weiße Haus mitbringen. Und erst recht keine Ausländer.«
»Ich brauche jemanden, der mir zu einem neuen Visum verhilft«, sagte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Das ist überhaupt kein Problem!« Gretchens Miene hellte sich auf. »Ich kann Ihnen Vorstellungsgespräche bei sämtlichen Sendeanstalten in Manhattan besorgen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das ist mir nicht genug. Ich benötige eine Aufenthaltsgenehmigung, die mich dazu berechtigt, meinen Job frei zu wählen. Ohne irgendwelche Auflagen.« Ich war es leid, mich von einem Brötchengeber aussaugen zu lassen, der wusste, dass ich auf ihn angewiesen war, um im Land bleiben zu dürfen. Außerdem wollte ich in der Lage sein, meine Arbeitszeiten und mein Gehalt selbst auszuhandeln. Und wenngleich ich eigentlich dazu tendierte, der Nachrichtenbranche die Treue zu halten – sie war tempogeladen, glamourös und strotzte nur so vor Gelegenheiten –, musste ich mir insgeheim eingestehen, dass ich sie trotzdem ziemlich langweilig fand.
Mein Blick ging zu Riggs, der sich gerade einen neuen Joint drehte und den Rand des Zigarettenpapiers fachmännisch mit der Zunge befeuchtete. »Diese Mary Poppins ist nicht dämlich. Nicht böse gemeint, aber kluge Menschen arbeiten normalerweise nicht für Tyrannen.« Ein ironisches Augenzwinkern.
»Wenigstens schlafe ich nicht mit einem«, parierte ich.
Riggs bot mir die Tüte an. Ich lehnte ab. Er zuckte gleichmütig die Achseln. »Arschlöcher sind gute Sexpartner und beschissene Arbeitgeber. Jedenfalls behauptet das die Wissenschaft.«
»Sagt Ihnen dieser Begriff überhaupt etwas?« Ich blitzte ihn an.
»Aber klar doch. Es ist dieses Gebiet, wo die Leute mit Reagenzgläsern hantieren, aus denen blubbernder Dampf aufsteigt. Oh, und nicht zu vergessen diese komischen Brillen, die sie dabei aufhaben.«
Für ihn war die ganze Angelegenheit nichts weiter als ein Witz.
»Demnach finden Sie ihr Verhalten in Ordnung?« Ich gestikulierte zu Gretchen, die theatralisch und ohne eine einzige Träne zu produzieren in ihre Hände weinte.
»Sie ist meine Freundin mit gewissen Vorzügen, nicht meine Tochter.«
»Zurück zum Thema!«, grätschte Gretchen dazwischen, die es völlig kalt zu lassen schien, dass Riggs und ich sie einmütig als despotische Hexe abgestempelt hatten. »Wie soll ich es bitteschön anstellen, Ihnen ein Visum zu beschaffen? Es würde gerade noch fehlen, dass ich mich mit der Einwanderungsbehörde herumschlagen muss, während ich für den Präsidenten arbeite.«
»Es gibt andere Mittel und Wege.« Ich inspizierte meine eckig gefeilten, cremefarben lackierten Fingernägel, während ich überlegte, ob das, was ich gleich vorschlagen würde, einfach nur geisteskrank war. Aber es wäre möglich. Die Chancen standen noch nicht mal schlecht. Und verzweifelte Situationen erforderten nun mal verzweifelte Maßnahmen.
»Nämlich?« Gretchen taxierte mich argwöhnisch.
»Ich könnte ihn heiraten.« Ich zeigte auf Riggs.
Der dermaßen perplex war, dass er ernsthaft über seine Schulter spähte, um festzustellen, ob hinter ihm jemand stand. Er sah wieder zu mir her und tippte sich mit dem Finger an die nackte Brust. »Sie haben nicht wirklich mich gemeint?«
»Oh doch. Sie sind Amerikaner, oder nicht?«
Er zündete seinen Joint an und nahm einen langen Zug. »Ich ziehe es vor, mich als Weltbürger zu betrachten.«
»Wenn Sie in besagter Welt umherreisen, tun Sie das dann mit einem blauen, in den USA ausgestellten Pass?« Ich lupfte vielsagend die Brauen.
Seine ausdruckslose Miene war Antwort genug. »Technisch gesehen ja.«
»Das genügt mir. Also, wann wäre ein guter Zeitpunkt, um zu heiraten?«, fragte ich ganz geschäftsmäßig. Ich fischte mein Handy aus meiner Handtasche und checkte meinen Kalender. »Morgen nach der Arbeit habe ich einen Termin im Nagelstudio und am Samstag einen bei der Kosmetikerin. Ansonsten bin ich nicht verplant.«
Die Gesichtsbehandlung konnte ich theoretisch verschieben, falls Riggs Wert auf Flexibilität legte. Kompromissbereitschaft war eine meiner Stärken.
»Entschuldigung, vielleicht liegt es an Ihrem Akzent.« Er hangelte nach seinem zwischen den Sofakissen vergrabenen schwarzen T-Shirt und zog es über. »Aber es klang, als hätten Sie gerade das H-Wort benutzt.«
»Heirat ist kein obszöner Ausdruck.«
»Vollkommen richtig.« Riggs saugte an seiner Haschzigarette und versenkte seine leere Flasche mit einem gezielten Wurf im Abfalleimer. »Es ist noch viel schlimmer als das. Obszönitäten sind amüsant, kreativ und humorvoll. Nehmen Sie zum Beispiel den Begriff vaginale Spermahalde. Er ist großartig, finden Sie nicht?«
»Das sind zwei Wörter.« Ich kräuselte die Nase. »Hoffentlich vererben Sie Ihre überragenden mathematischen Fähigkeiten nicht an unsere Kinder«, fügte ich vorwitzig hinzu, nachdem mir seine Sperma-Bemerkung eine klassische Steilvorlage geliefert hatte.
Riggs schauderte. »Jetzt auch noch das K-Wort. Sie sind ein wahrhaft sadistisches Geschöpf, Poppins.«
Gretchens Augen huschten zwischen uns hin und her, sie wirkte zunehmend verzweifelt. »Bitte, Riggs.«
Er verzog verächtlich die Mundwinkel. »Du musst den Verstand verloren haben, wenn du glaubst, dass ich mich darauf einlassen würde, Herzblatt.«
»Es ist doch bloß ein Stück Papier. Sie könnte meine Karriere zerstören!« Gretchen stürzte zu ihm und klammerte sich an ihm fest wie eine Jungfer in Nöten. Ich rührte mich nicht von der Stelle; es kam mir vor, als würde sich dieser Abend über fünf Monate hinziehen. War der Merkur etwa rückläufig?
Riggs schien nicht bereit, klein beizugeben, denn er schüttelte Gretchen kurzerhand ab. »Dann such dir eben eine andere Karriere. Ich bin sicher, irgendein kleines unterdrücktes Land hat Bedarf an einer neuen autoritären Führungspersönlichkeit. Ich werde niemanden heiraten, aus keinem Anlass und zu keiner Zeit.«
»Du schuldest mir was!« Sie presste die Hände auf seine Brust, wirkte überspannter als je zuvor. »Bitte. Das darf nicht mein berufliches Ende sein. Du weißt, dass sich in politischen Kreisen eine Frau nicht von einem Sexskandal erholt.«
Sie ließ sich an seinem Körper zu Boden gleiten und flehte ihn auf Knien an.
Er schaute mit verkrampftem Kiefer und leerem Blick zu ihr hinunter. Ich fragte mich, was ihn mehr abstieß – die Tatsache, dass sie ihn bat, seine Freiheit für sie zu opfern, oder die Aussicht, mich zu ehelichen.
Mir war bewusst, dass ich nicht dem Typ Frau entsprach, auf den Männer wie Riggs flogen. Mein Äußeres war zwar durchaus passabel, aber ich war kein heißer Feger wie Gretchen, die mit vierzig immer noch aussah wie eine Hollywood-Sexbombe, mit üppigen Kurven, glänzenden blonden Haaren und einem Schmollmund, der schon mehr Spritzen gesehen hatte als ein Junkie. Ich war eher die Kategorie Kate Middleton. Brünett, frisches Aussehen, konservative Kleider und eine gertenschlanke Figur ohne nennenswerte Rundungen. Ich seufzte. Wenn ich doch nur meine Ängste und Unsicherheiten in den Griff bekäme.
Riggs fasste Gretchen unter dem Kinn und hob es hoch.
»Das ist nicht die Art von Betteln, die mich antörnt, und ich werde meine Meinung auch nicht ändern.« Leise, endgültige Worte. »Jetzt steh auf, und reiß dich zusammen.«
»Verdammt noch mal!« Nun war es an mir, die Geduld zu verlieren. »Das mit dem Nachwuchs war bloß ein Witz. Eher würde ich mir alle meine Zähne mit einer Zange ziehen, als Ihnen zu erlauben, Ihre DNA mit meiner zu vermischen. Jetzt geben Sie schon endlich nach.«
»Tut mir leid, Poppins, aber ich halte nichts von Monogamie.« Er rauchte seinen Joint zu Ende.
»Und ich leide nicht an Wahnstörungen.« Ich verdrehte die Augen. »Es wäre eine reine Scheinehe, die nur auf dem Papier besteht.«
»Dazu wird es nicht kommen.«
»Ich werde Sie bezahlen«, stieß ich in einem Anfall von Verzweiflung hervor.
Er sperrte spöttisch den Mund auf. »Wollen Sie damit sagen, ich hätte Zugang zu dem unermesslichen Reichtum und Luxus, den man als unbedeutende Assistentin bei einem Kabelnachrichtensender anhäuft?«
»Wir werden landesweit ausgestrahlt«, versetzte ich. »Und Ihren Klamotten nach zu urteilen, brauchen Sie jede finanzielle Unterstützung, die Sie kriegen können.«
Sein T-Shirt war ausgeblichen, sein Gürtel halb zerfleddert. Meine Bemerkung hinterließ einen bitteren Geschmack in meinem Mund – über die Kleidung anderer Menschen zu lästern zeugte von schlechtem Stil, aber das Adrenalin, das durch meine Blutbahnen rauschte, trieb mich dazu, die unmöglichsten Dinge zu sagen und zu tun.
Riggs’ Pupillen weiteten sich, anscheinend war sein nicht vorhandener Wohlstand eine ernste Angelegenheit für ihn. »Sie sind die oberflächlichste, zickigste, niederträchtigste Person, die mir je untergekommen ist – und ich verfüge über einen reichen Erfahrungsschatz.«
Mir war, als würden sich Giftschlangen in meiner Magengrube tummeln. Für gewöhnlich hatte ich ein dickes Fell, aber Riggs’ Eindruck von mir traf mich bis ins Mark … weil ich ihm im Grunde recht geben musste.
»Geh einfach, Riggs.« Gretchens Stimme klang brüchig, ihr Kopf rollte haltlos hin und her, als hätte sie keine Halswirbel. »Du willst mir nicht helfen, und deine Anwesenheit macht die Sache nicht besser.«
»Dazu musst du mich nicht zweimal auffordern.« Er stieß die Füße in seine schmutzigen Militärstiefel und hängte sich seinen ramponierten Rucksack über die Schulter. »Viel Glück.«
Nachdem er aus der Wohnung gestürmt war, standen Gretchen und ich uns gegenüber wie bei einem Duell.
Womöglich war unsere Beziehung nie etwas anderes als das gewesen.
Nur dass sie jetzt mit Sicherheit wusste, meine Waffe war geladen, entsichert und schussbereit.
Emmett Stauce war ein Schwachkopf.
Das war nicht nur meine persönliche Meinung, sondern eine Tatsache. Leider war er außerdem auch mein Boss.
Das Ironische daran war, dass ich eigentlich gar keinen Job bräuchte.
Bevor mein Großvater seinen letzten Atemzug tat, vererbte er mir sein eins Komma drei Milliarden Dollar schweres Modeimperium, davon achthundert Millionen in liquidierter Form. Ich war nicht nur reich, sondern ein verdammter Krösus. Jemand, den die Leute aus Prinzip hassten. Da ich unter stinkreichen Menschen aufgewachsen war, wusste ich, wie sehr Geld die Seele verdarb. Infolgedessen hatte ich mich stets geweigert, den Reizen des Mammons zu erliegen. Die meisten verstanden nicht, dass das Dasein als Milliardär unbeschreiblich öde war. Man vergeudete sein Leben damit, von einem Schickimicki-Event zum nächsten zu jetten. Der Einsatz war nie hoch. Ob man Erfolg hatte oder nicht, lief unterm Strich auf dasselbe hinaus. Und dann waren da auch noch diese Opportunisten, die sich an den Superreichen festsaugten wie Schiffshalter an einem Hai, um sich dessen Fressabfälle einzuverleiben.
Aus diesen Gründen hatte ich mich schon immer als Habenichts ausgegeben.
Geld war ein großartiger Ersatz für Glück. Der einzige Unterschied bestand darin, dass man bei Letzterem nicht ständig befürchten musste, es zu verlieren.
An den meisten Tagen war ich stolz auf meinen Entschluss, das Leben eines Otto Normalverbrauchers zu führen.
Heute hätte ich mir dafür am liebsten einen Tritt verpasst.
»Riggs, ich möchte, dass Sie nach diesem Meeting noch hierbleiben.« Emmett, der am anderen Ende des Konferenztisches saß, tippte mit seinem Stift auf seinen Notizblock. »Ich muss etwas Wichtiges mit Ihnen besprechen. Es geht um eine einmalige Chance. Sie können mir später danken.«
Jetzt halt mal die Luft an, Arschgesicht.
Ich nahm nur selten an den Redaktionssitzungen des Discovery-Magazins teil, weil ich es vorzog, stattdessen die Welt zu bereisen und echte Arbeit als Fotograf zu leisten. Zwar ließ ich mich gelegentlich zwischen zwei Aufträgen im Verlag blicken, doch oft kam das nicht vor. Ich fühlte mich in geschlossenen Räumen nicht wohl.
Ich nickte und warf erneut einen Blick auf mein Handy. Gretchen bombardierte mich seit letzter Nacht mit Nachrichten, in denen sie mich anflehte, ihr aus der Patsche zu helfen. Sie tat mir leid, wenn auch nicht in dem Ausmaß, dass ich ihr zuliebe eine mir vollkommen fremde Frau heiraten würde. Noch dazu eine, die sich anhörte und gebärdete wie ein weiblicher Bösewicht in einem Kinderfilm.
Poppins war nicht nur eine armselige Verhandlungsführerin, sondern darüber hinaus unhöflich, anmaßend und hochnäsig. Zugegeben, sie war scharf, das musste ich ihr lassen. Andererseits galt das auch für die Carolina-Reaper-Chilischote, und in die würde ich meinen Schwanz auch nicht stecken wollen.
Gretchen: Wir müssen unbedingt reden.
Gretchen: Wenn du nur diese Blicke sehen könntest, die sie mir bei der Arbeit zuwirft, Riggs. Ich bin sicher, sie verhandelt gerade darüber, unsere Geschichte zu verkaufen.
Gretchen: Ich konnte mich noch nicht mal auf Lyrics Geburtstag konzentrieren.
Gretchen: Denk bitte noch mal drüber nach. Du müsstest sie nicht mal treffen. Es wäre eine reine Formsache. Sie verbringt den Großteil ihrer Freizeit damit, gebrauchte Designer-Handtaschen zu erstehen, während sie gleichzeitig bestrebt ist, Einlass in die gehobenen Kreise New Yorks zu finden. So wie diese falsche Erbin aus dem Dokumentarfilm. Nur mit weniger Niveau.
Ich hoffte zum Wohl unseres Landes, dass Gretchen sich als Pressesprecherin des Weißen Hauses nicht so ungeschickt anstellen würde wie bei ihrem Versuch, mir diese Frau schmackhaft zu machen. Mein Verlangen, Poppins jemals wiederzusehen, tendierte gegen null.
Ich legte mein Telefon weg und fokussierte mich auf den Haufen Dilettanten, die für das Magazin arbeiteten.
Alle saßen um den Tisch herum und debattierten über das Thema für die erste Ausgabe des kommenden Jahres.
»Der Jemen ist zurzeit voll angesagt«, meinte Harmony, die Art-Direktorin. »Wir sollten Riggs und Steven hinschicken.« Steven war ein weltbekannter Journalist, der nie seinen eigenen Stoff dabeihatte.
»Gute Idee.« Emmett beugte sich vor und schrieb etwas auf seinen Notizblock. Er sah aus wie Edward Cullens Buchhalter. Ungesund blass, mit rot geäderten Augen und ausgeprägten Geheimratsecken. »Allerdings habe ich Riggs für etwas anderes eingeplant. Lasst uns Fred fragen, ob er als Fotograf einspringen kann. Ist sonst noch was?«
Ich war glücklich und zufrieden, solange ich mich nicht länger als zwei Wochen am Stück in New York aufhalten musste. Meine Abneigung gegen Monogamie reichte über zwischenmenschliche Beziehungen hinaus, darin eingeschlossen waren außerdem auch Städte, Länder, Essen, Musik und Fernsehunterhaltung. Ich liebte nun mal die Abwechslung.
»Die Sitzung ist beendet.« Emmett, der sich für umgänglich hielt, schlug mit einem quietschenden Kinderhammer auf den Tisch.
Die Leute standen auf und verließen den Raum.
Emmett wandte sich mir zu und kam direkt zum Punkt.
»Alaska«, sagte er.
»Goldabbau. Sauerteig. Sarah Palin.«
»Hä?« Er runzelte die Stirn.
»Ich dachte, Sie wollten mich einem Wortassoziationstest unterziehen.«
»Wieso sollte ich so etwas tun?« Emmett blinzelte sichtlich verwirrt. Erwähnte ich schon, dass der Mann absolut keinen Sinn für Humor hatte?
Ich seufzte. »Also, was ist mit Alaska?«
»Ich will, dass Sie hinfliegen.« Er lehnte sich wie ein italienischer Pate in einem Mafiafilm aus den Achtzigerjahren auf seinem Stuhl zurück.
»Nein«, beschied ich ihn tonlos.
»Seien Sie kein Spielverderber, Bates.« Emmett setzte sich gerade hin und schaltete innerhalb eines Sekundenbruchteils von taff auf weinerlich um. »Sie haben sich noch nicht mal meine Argumente angehört.«
»Das brauche ich nicht. Es steht nur ein einziges Land auf meiner Liste der Orte, zu denen ich niemals reisen werde. Nämlich Alaska.«
»Lassen Sie es sich noch mal durch den Kopf gehen.« Emmett klappte seinen Notizblock zu und versuchte, die Sache trotz meines Einwands anzupreisen. »Es ist eine großartige Gelegenheit, sowohl für das Magazin als auch für Sie persönlich. Wir arbeiten mit einem neuen Streamingdienst – Planet-E – an einem Dokumentarfilm über das echte Alaska. Wir könnten damit Emmys abräumen, Riggs. Kennen Sie diesen Film über Wale in Gefangenschaft? Es ist derselbe Produzent.«
»Sie meinen den Streifen, der von den Kritikern als Werbekampagne für die Ölindustrie verrissen wurde?« Ich zog die Brauen in die Höhe. In Sachen Vermarktungsgeschick wären Emmett und Gretchen das perfekte Paar. Die beiden würden es noch nicht mal schaffen, den Bewohnern der Hölle ein Eis anzudrehen.
»Dieses Projekt ist anders.« Er wedelte meinen Einwurf mit einer genervten Handbewegung weg. »Es gibt keine Sponsoren.«
»Mensch, Emmett, jetzt haben Sie mich an der Angel. Es war schon immer mein großer Traum, an einer von einem abgehalfterten Gesinnungsakrobaten produzierten Low-Budget-Doku mitzuwirken.«
Natürlich erst nach dem, Astronaut zu werden.
»Sie würden am Puls des Geschehens sein. Ich spreche von acht Monaten Dreharbeiten am Stück –«
»Hier, kaufen Sie sich eine Packung Wattestäbchen.« Ich warf einen Fünf-Dollar-Schein auf den Tisch, dann stand ich auf und verstaute meinen Geldbeutel wieder in meiner Gesäßtasche. »Anscheinend sind Ihre Gehörgänge verstopft. Wie ich bereits sagte, bringen mich keine zehn Pferde dorthin. Nicht für acht Monate, nicht einmal für acht Minuten.«
Er zuckte wie unter einem Schlag zusammen.
»Die Produktionsfirma will Sie für den Job. Es ist ihre Bedingung –«
»Dann hätten Sie zuerst mit mir sprechen sollen.«
Sein Mund klappte auf und zu. »Hat es eine besondere Bewandtnis mit Ihrer Aversion gegen Alaska?«
»Ja, die hat es«, bestätigte ich lapidar. »Aber sie geht Sie einen Dreck an.«
Unsere Unterhaltungen endeten ausnahmslos immer mit einem verbalen Schlagabtausch, bei dem er k. o. ging. Zugegebenermaßen hatte er allen Grund, mich zu hassen. Nicht nur, weil ich mit den meisten seiner Mitarbeiterinnen geschlafen hatte, was unethisch sein mochte, jedoch nicht gegen die Regeln verstieß, da ich nicht ihr Vorgesetzter war. Sondern auch, weil ich ihn für eine trübe Tasse hielt und meine Meinung über ihn so deutlich zum Ausdruck brachte, dass ich sie mir ebenso gut auf die Stirn hätte tätowieren lassen können.
»Nun, ich hatte schon so eine Ahnung, dass Sie versuchen würden, sich vor dem Auftrag zu drücken.« Er seufzte und schaltete seinen Laptop ein. »Darum nahm ich mir die Freiheit, Ihren Vertrag mit dem Verlag zu lesen.« Er drehte den Monitor in meine Richtung.
»Sie haben unseren Standardvertrag unterzeichnet. Ich habe den wichtigen Teil farblich markiert. Hier steht, dass im Außeneinsatz tätige Mitarbeiter nur dann von einer Dienstreise entbunden werden können, wenn medizinische, religiöse oder familiäre Gründe vorliegen. Da alle Ihre Kollegen und Kolleginnen verheiratet sind und Kinder haben, steht eine achtmonatige Abwesenheit nicht zur Debatte. Sie sind uns von Rechts wegen verpflichtet – so Sie nicht in naher Zukunft eine Beerdigung oder eine Hochzeit geplant haben.«
»Wenn das so ist, kündige ich eben.«
Der National Geographic würde mich mit Handkuss nehmen. Ich hatte nur wegen des höheren Arbeitspensums und der damit verbundenen vielen Reisen beim Discovery-Magazin angeheuert.
»Aha.« Er scrollte mit einem extrem selbstgefälligen Grinsen durch meinen Vertrag. »Mit dieser Reaktion hatte ich insgeheim gerechnet. Ich möchte Sie auf Klausel 41c hinweisen. Da sich unsere Projekte meist über mehrere Monate, manchmal sogar Jahre hinziehen, müssen Sie eine Frist von vier Wochen einhalten. Sie können Ihre Kündigung noch heute einreichen, aber die Dreharbeiten beginnen in vierzehn Tagen, folglich wird sich Ihre Hoffnung, keinen Fuß nach Alaska zu setzen, bedauerlicherweise nicht erfüllen.«
»Das können Sie sich abschminken«, beharrte ich auf meinem Standpunkt.
»Ihnen bleibt keine andere Wahl.« Seine Ohren fingen an zu glühen, seine Nasenflügel zuckten.
Ich blaffte ein spöttisches Lachen. »Verklagen Sie mich.«
»Herzlich gern!« Emmett klappte seinen Laptop zu. »Die Tatsache, dass Sie Milliardär sind, ist ein großartiger Anreiz. Denn wie Sie nur zu gut wissen, sind die Printmedien tot. Genau wie Ihre Karriere es sein wird, falls Sie sich dazu entschließen, vertragsbrüchig zu werden.«
Ich wurde vollkommen starr. Wie zur Hölle …?
Die Frage musste mir im Gesicht gestanden haben, denn die Antwort erfolgte prompt.
»Schauen Sie nicht so schockiert drein. Sie haben innerhalb des Verlags jede Menge Interesse geweckt. Insbesondere seitens der weiblichen Belegschaft.« Er stützte die Ellbogen auf dem Tisch auf und musterte mein Gesicht mit unverhohlener Zufriedenheit. »Vor einigen Monaten fing ich an, mich zu wundern, warum Sie noch nie um eine Gehaltserhöhung gebeten haben. Sie sind der mit Abstand angesehenste, erfahrenste und originellste Fotograf dieses Hauses. Trotzdem leisten Sie sich noch nicht mal eine Mietwohnung in New York. Wir schicken Ihre Schecks und Steuerunterlagen an ein Postfach. Ihre finanzielle Situation hat meine Neugier erregt. Ich dachte mir, dass nur jemand, der es nicht nötig hat, auf die Höhe seines Einkommens pfeifen würde. Darum stellte ich ein paar Nachforschungen an. Was sich als nicht weiter schwierig erwies. Der Verlag ist jetzt umfassend über Sie im Bilde.«
Ich setzte mich wieder hin. »Sie haben mich ausspioniert.«
Er schnaubte hochmütig. »Bilden Sie sich nicht zu viel ein. Die meisten Informationen sind im Internet verfügbar.«
»Das ist gelogen. Mein Name wurde aus den Medien herausgehalten«, stieß ich zähneknirschend hervor. Dafür hatte mein Großvater in dem Bemühen, mich zu beschützen, Sorge getragen. Berühmtheit war eine schreckliche Sache, die er seinem einzigen Enkelkind hatte ersparen wollen.
»In den meisten Fällen stimmt das sogar. Aber es gibt da diesen einen Artikel, und der genügte. In Anbetracht der Umstände könnte ich die Schadensersatzsumme, die man mir im Falle eines juristischen Siegs zusprechen würde, gut gebrauchen. Ich muss Ihnen sicher nicht erst sagen, dass wir finanziell schwer zu kämpfen haben und unser Budget jedes Jahr weiter schrumpft«, erklärte er verdrießlich und fuhrwerkte mit der Hand in der Luft. »Mir steht eine gesamte Rechtsabteilung zur Verfügung. Warum sie also nicht nutzen?«
»Es gibt da nur ein Problem.« Ich rieb mir das Kinn.
Er griff nach seiner Kaffeetasse und nahm einen Schluck. Der Typ schaffte es, sogar beim Trinken blasiert zu wirken. »Und welches, wenn ich fragen darf?«
»Ich plane tatsächlich eine Hochzeit.« Ich lehnte mich lässig auf meinem Stuhl zurück und bedachte Emmett mit einem überheblichen Grinsen. »Ich bin verlobt. Und es wird meiner Zukünftigen gar nicht schmecken, wenn ich mich für fast ein Jahr rar mache.« Ich klackte mir der Zunge. »Sie kann recht temperamentvoll sein.« Im Sinne von komplett übergeschnappt.
»Sie sind verlobt?« Emmett verschluckte sich an seinem Kaffee und beugte sich mit bestürzter Miene vor. »Seit wann?«
»Seit letzter Nacht gegen eins.« Ich weidete mich an seinem Elend, obwohl es mich teuer zu stehen kommen würde. »Nennen Sie es Schicksal, Emmett, jedenfalls habe ich die Richtige gefunden.«
»Das ist einfach zu –«
»Romantisch?«
»Passend.« Er zog eine Schnute wie eine Sechzehnjährige, der man gerade mitgeteilt hatte, dass sie zu jung sei, um sich die Brüste vergrößern zu lassen. »Ich glaube Ihnen nicht.«
»Sie verletzen mich, Emmett. Ich dachte, wir beide vertrauen einander.« Ich verzog gespielt betrübt das Gesicht.
»Wenn das wirklich wahr ist, bedeutet das, dass Sie generell für ausgedehntere Auslandsaufenthalte nicht mehr zur Verfügung stehen. Keine Reisen in den Jemen, nach Bolivien oder auf die Seychellen. Richtig?«, versuchte er, mir auf den Zahn zu fühlen.
Okay, vielleicht hatte ich meine Fehde gegen ihn nicht ganz zu Ende durchdacht. Doch für einen Rückzieher war es jetzt zu spät. Auch wenn das hieß, dass ich das Undenkbare würde tun müssen.
»Zwei Wochen sind das Maximum.« Ich legte ein freundliches Lächeln auf, wohl wissend, dass ihn das verrückt machte. »Länger kann ich nicht von ihr getrennt sein.«
Ich war mir nicht mal mehr sicher, wie sie hieß, aber das tat auch nichts zur Sache.
»Also wollen Sie künftig auf die gewohnte Abwechslung verzichten?« Er beäugte mich misstrauisch. »Das sieht Ihnen nicht ähnlich.«
»Sie ist es wert.«
»Erzählen Sie mir Näheres über Ihre mysteriöse Braut«, forderte Emmett mich mit zusammengekniffenen Augen auf, erpicht, mich als Schwindler zu entlarven.
»Sie arbeitet in der Nachrichtenbranche.« Ich versuchte, mich an Mary Poppins zu erinnern. »Sie ist klug, extravagant und der Inbegriff von Sexappeal.« Wenn man eine Vorliebe für die Missionarsstellung bei ausgeschaltetem Licht hat, während beide Beteiligten mit ihren Gedanken beim Wetter sind. »Und sie stammt aus England.«
»Aus England?« Er starrte mich sichtlich überrascht an. »Das ist zu detailliert, um ein Produkt Ihrer Fantasie zu sein. Normalerweise können Sie sich nicht mal die Haarfarbe einer Person merken, geschweige denn deren Nationalität. Soll das heißen, Sie sind wirklich verlobt?«
Ganz offensichtlich – was ich dir Arsch zu verdanken habe.
Ich nickte.
»Mit einer Frau?«
»Japp.«
Ich merkte mir vor, bei unserem nächsten Treffen zu überprüfen, welche Pronomen sie für sich beanspruchte. Natürlich würde sie nie erfahren, dass ich sie nur meines eigenen Vorteils wegen ehelichte.
»Und wir alle werden Ihre geheimnisvolle Britin kennenlernen?« Emmett malte mit seinem Stift Kreise in die Luft.
»In persona.« Ich stand auf und stopfte mein Handy in meine Hosentasche. Es war ratsamer, die Hufe zu schwingen, bevor er anfing, Genaueres wissen zu wollen. Oder mir überhaupt Fragen zu ihr zu stellen.
»Wie heißt sie?« Emmett durchbohrte mich immer noch mit Blicken, als ich zur Tür ging. »Ich würde gern ein paar Informationen über sie einholen. Um in Anbetracht des vielen Geldes, das auf dem Spiel steht, meiner Sorgfaltspflicht nachzukommen.«
Ich blieb wie angewurzelt stehen.
War es Deirdre oder Darlene? Der Name fing definitiv mit D an.
»Desiree.« Fuck. Der war es hundertprozentig nicht.
»Klingt hübsch«, meinte Emmett skeptisch. »Desiree.«
Zweite geistige Notiz: Sag dieser Dingsbums, sie bekommt ihr Visum nur, wenn sie ihren Vornamen ändert.
Spielte ich inzwischen ernsthaft mit dem Gedanken, diese Irre zu heiraten? Anscheinend schon – weil sie nämlich genau der Typ Frau war, der Emmett andernfalls sofort reinen Wein einschenken würde, sollte er sie je ausfindig machen.
»Desiree – und wie weiter?«
Da ich darauf keine Antwort hatte, schaltete ich in den Angriffsmodus. »Werden Sie als Nächstes nach ihrer Sozialversicherungsnummer und ihrem Wikipedia-Eintrag fragen? Ich werde Ihnen zuliebe ihre Privatsphäre auf keinen Fall verletzen.«
»Keine Sorge. Ich werde gründlich recherchieren, um mich zu vergewissern, dass Ihre Desiree auch einen hübschen, passenden, echten Nachnamen hat. Und das zeitnah.«
Wie ich dich kenne, hetzt du mir einen Privatdetektiv auf den Hals, sowie ich diesen Raum verlasse.
»Sie existiert«, beharrte ich verärgert. »Das wird also kein Problem sein.«
»Na gut. Geben Sie mir Bescheid, sobald Sie sich einen Termin überlegt haben. Für die Hochzeit, meine ich. Wir müssen dann über Ihre Urlaubstage sprechen.«
»Klar, wird gemacht. Man sieht sich.« Ich schloss die Tür hinter mir. »Leider Gottes«, murmelte ich vor mich hin, als ich schnurstracks zum Aufzug ging.
Es war nicht Emmetts angedrohte Klage, die mir Sorgen bereitete – er konnte die Kohle von mir aus haben –, sondern der Umstand, dass er mich als Milliardär outen würde. Mein Leben würde nie wieder sein wie bisher. In Zukunft würde ich mich bei jedem gesellschaftlichen Umgang, jedem Aufriss, jeder geschäftlichen Transaktion unwillkürlich fragen müssen, welche verborgene Motivation die Menschen in Bezug auf mich hatten. Nein. Ich hatte es so viele Jahre geschafft, meinen ungeheuren Reichtum zu verbergen, und ich würde mein friedvolles Dasein nicht von Emmetts Machtspielen ruinieren lassen.
Was bedeutete, dass ich entweder einer vollkommen Fremden einen Heiratsantrag machen oder nach Alaska fliegen musste.
Und Letzteres würde ganz sicher nicht passieren.
In der U-Bahn auf dem Weg zum Hauptsitz von WNT unterdrückte ich den Impuls, zu hyperventilieren und hektisch in die McDonald’s-Tüte meines Sitznachbarn zu atmen, was in Anbetracht meiner Lage eine enorme Leistung war.
Ich war nicht wie meine Kumpels Christian und Arsène, denen in stressigen Situationen regelrecht einer abging. Die beiden konnten sogar in einem leeren Raum einen Streit vom Zaun brechen. Antipathie war ihr Lebenselixier.
Ich stieg an der 34th Street aus und betrat wenig später die Lobby des Senders, wo ich von einer quirligen Empfangsdame begrüßt wurde. »Willkommen bei der WNT News Corporation! Wie kann ich Ihnen helfen?«
Töten Sie mich einfach. Wenn es schnell geht, lege ich ein paar extra Dollar drauf.
»Ich möchte zu …« Delia? Davina? Delaney? »Gretchen Beattys Assistentin.«
»Zu welcher? Sie hat sechs.«
Sechs? Die Frau generierte höhere Unterhaltungskosten als Disney World. Keine große Überraschung.
»Ich meine die Britin, die aussieht wie eine scharfe Nonne.« Ich lehnte mich mit der Hüfte an die Rezeption und klopfte ungeduldig mit der Schuhspitze auf den Boden.
»Eine scharfe Nonne?« Sie legte verwirrt den Kopf schräg. Gelegentlich vergaß ich, dass die meisten Menschen ihre Vergleiche und kulturellen Bezüge nicht von Pornoseiten herleiteten.
»Sie wissen schon – konservative Aufmachung, Stöckelschuhe und all der Quatsch. Und sie hat hübsche …« Ich hielt meine zu Hohlformen gekrümmten Hände an meinen Oberkörper und tat, als würde ich etwas darin wiegen. Auweia! Schon wieder ließ ich meinem inneren Antrieb die Zügel schießen. »Ähm, Haare.«
Das war nicht mal gelogen. Sie hatte eine seidig glänzende Mähne – das wusste ich noch, weil ich mir vorgestellt hatte, sie um meine Faust zu schlingen.
»Welche Farbe?« Die Empfangsdame kniff die Augen zusammen.
»Was?« Bilder des ansehnlichen Vorbaus meiner Zukünftigen zuckten mir durch den Kopf. Sie war ein echter Hingucker und der Inbegriff einer schicken Europäerin. Wäre da nur nicht ihre Persönlichkeit.
»Die Haare der Frau, Sir.«
»Ach ja. Eine interessante Schattierung von Braun. Sie erinnert an …« Sag nicht einen Straßenköter. »Schlamm.«
Obwohl nicht die Gefahr bestand, dass ich Pablo Neruda als König der schwärmerischen Poesie entthronen würde, fügte die kleine Emola Holmes die Puzzleteile zusammen.
»Sie sprechen von Daphne.« Daphne. Wusste ich’s doch, dass der Name mit D anfing. »Ich werde oben anrufen. Wen darf ich ankündigen?«
Den Kerl, der vor ihren Augen ihre Chefin gevögelt hat, bevor er sich mehrfach über Daphne lustig machte und zu guter Letzt ihren Heiratsantrag ablehnte. Hier ist ein Foto von meinem Schwanz, für den Fall, dass ihr Gedächtnis eine kleine Auffrischung braucht.
»Riggs.« Ich räusperte mich. »Riggs Bates.«
Die Rezeptionistin telefonierte kurz, dann schickte sie mich mit dem Aufzug zur dreißigsten Etage. Oben wurde ich von einer Mitarbeiterin in Empfang genommen, die sich als Gretchens vierte Assistentin vorstellte und mich zu Daphnes Büro geleitete. Dort fand ich meine Verlobte in spe dabei vor, wie sie, in einer geräumigen Schuhschachtel stehend, mit roter Fingerfarbe ein Verkehrshütchen bemalte. Gleichzeitig zeterte sie in das Handy, das sie sich zwischen Ohr und Schulter geklemmt hatte. »Dessen bin ich mir verdammt noch mal bewusst, Charlie! Erspar mir deine aufmunternden Worte. Ich wünschte, ich könnte Gretchen sagen, sie soll sich ihre Anspruchshaltung irgendwo hin–«
Wer war Charlie? Unwichtig. Es bereitete mir unerklärliches Vergnügen, Daphne so zu erleben. Ich kannte ihr Kaliber. Sie war besessen von ihren kostbaren Haaren, ihren teuren Schuhen und Designerkleidern. Unter Kunst verstand sie vermutlich, mittels Make-up die Vorzüge ihres Gesichts herauszuarbeiten.
Ich trat ins Zimmer, schloss die Tür und lehnte mich grinsend dagegen. Daphnes Aufmerksamkeit wurde derart von ihrem Tun beansprucht, dass sie nicht einmal aufsah.
»… schaffe es heute nicht, mich auf ein Bier mit dir zu treffen. Trink eins für mich mit …«
Es wunderte mich nicht, dass die Menschen in ihrem Umfeld Alkohol brauchten, um sich von einem Tag zum nächsten zu hangeln. Ich beschloss, mich bemerkbar zu machen und die Sache hinter mich zu bringen.
»Diese Betätigung wirkt …« Genauso bizarr wie dein Verhalten letzte Nacht. »Therapeutisch.«
Daphne hob den Kopf und sperrte ulkig den Mund auf. »Oh. Sie sind das.« Sie verzog angewidert das Gesicht und pfefferte ihr Handy auf den Schreibtisch. »Gretchens Büro ist am Ende des Flurs.«
Sie dachte, ich wolle zu ihrer Chefin. Deren Existenz ich schon fast vergessen hatte.
»Zielen Sie auf einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde für das exzentrischste Stück Müll ab?«, erkundigte ich mich, um einen netten Plausch in Gang zu setzen.
Sie betrachtete mit konzentrierter Miene den von braunem Pappmaché verhüllten Kegel in ihrer Hand. »Ich stelle ein Diorama für Lyrics Geografieunterricht her. Sie will einen aktiven Vulkan.«
»Wer ist Lyric?«
»Das Kind Ihrer Geliebten, Sie charakterloser Wicht.« Sie bückte sich, um mehr Farbe aufzunehmen.
»Gretchens Tochter?« Ich stieß mich von der Tür ab und schlenderte tiefer ins Zimmer. »Sollte sie das nicht selber machen?«
Aus dem vernichtenden Blick, mit dem Daphne mich aufspießte, schloss ich, dass die Mitglieder der Familie Beatty nur sehr wenige Aufgaben persönlich erledigten. Angesichts der Tatsache, dass Gretchen über sechs Assistentinnen verfügte, würde es mich überraschen, wenn sie sich eigenhändig den Hintern abwischte. Mary Poppins sollte dankbar sein, dass ihre Vorgesetzte ihr nicht auch noch ihre Menstruationsbeschwerden aufhalsen konnte.
Ich ließ mich auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch fallen, der übersät war mit Ablaufplänen und ordentlich beschrifteten, pastellfarbenen Haftzetteln. Dahinter hing eine Pinnwand, an der mit Reißzwecken Fotos von Häusern in den Hamptons und Birkin Bags befestigt waren. Gretchen hatte die Wahrheit gesagt. Daphne war ein gesellschaftlicher Emporkömmling. Ich war schon mein ganzes Leben von wohlhabenden Frauen umgeben, aber nur die neureichen fuhren auf überteuerten Designerkram ab.
»Ich bin hier, um unsere Verhandlungen fortzusetzen«, verkündete ich und öffnete den Plastikbehälter vor mir, um zu sehen, was sich darin befand. Beeren. Das passte zu ihr. Sie machte den Eindruck einer Frau, die Kohlenhydrate verteufelte.
»Wenn Sie schon mal hier sind, können Sie sich ebenso gut nützlich machen. Füllen Sie die leere Wasserflasche dort mit Backnatron und roter Lebensmittelfarbe.« Sie wies mit dem Kinn nach rechts zu einem Pappkarton, in der sich die genannten Ingredienzien befanden. »Aber fügen Sie keinen Essig hinzu. Den muss sie gesondert mit zur Schule bringen.«
Ich schnappte mir die Flasche und tat, wie mir geheißen.
»Und? Haben Sie schon jemandem erzählt, dass Sie Gretchen Beatty beim Sex mit einem Rebellen erwischt haben?«, fragte ich im Plauderton.
Daphne war immer noch dabei, das blutrote Machwerk zu bemalen, das sie als einen Vulkan bezeichnete. »Zunächst einmal denke ich, dass Sie viel zu alt sind, um als ein Rebell durchzugehen. Der Ausdruck Versager wäre wohl um einiges treffender.«
Und das aus dem Mund einer Frau, die auf erpresserische Methoden zurückgreifen muss, um geheiratet zu werden.