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Ein Leben gebaut aus Geheimnissen – Wie findest du die Wahrheit heraus?
Das leidenschaftliche Finale der Enemies to Lovers Romance-Reihe von Talina Leandro
Nachdem Adriana, Tochter eines russischen Mafiabosses, vor ihrer Zwangshochzeit nach Frankreich flieht, um dort ein neues Leben zu beginnen, lernt sie den französischen Polizisten Léron kennen. Die beiden verbringen eine leidenschaftliche Nacht miteinander, doch bereits am nächsten Tag trennen sich ihre Wege. Was Adriana nicht weiß: Léron hat sich bei der Mafiaorganisation Les Rois Noir undercover eingeschleust, um seine Geschwister zu finden. Und diese haben ein Ziel: Sich am Mafiaboss des verfeindeten Clans zu rächen und dessen Tochter zu entführen und zu töten: Adriana. Léron ist hin- und hergerissen zwischen seinen Gefühlen für die schöne Frau, die ihm nicht mehr aus dem Kopf geht, und seiner Mission, bei der die Sicherheit seiner Familie auf dem Spiel steht. Doch auch Adriana hütet ein kleines Geheimnis …
Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Du bist meine Dunkelheit.
Weitere Titel dieser Reihe
Love and Betrayal (ISBN: 9783987786792)
Ruthless Desires (ISBN: 9783987786969)
Erste Leser:innenstimmen
„Der dritte Band der Dark Mafia King-Reihe von Talina Leandro ist eine absolut gelungene Fortsetzung, bei der man einfach nicht mehr aufhören kann zu lesen!“
„Die heiße Dark Romance Lovestory von Adriana und Léron definitiv einen Blick wert – beide sind aufbrausend, können aber auch nichts für die Anziehung füreinander. Garantierte prickelnde Lesestunden!“
„Eine etwas andere Mafiageschichte, die einfach fesselt. Tolle Charaktere, die nicht die typische für das Genre sind, und super spannende, aktionsreiche Handlung!“
„Dieser düstere Liebesroman ist so flüssig geschrieben, ich konnte leicht in die Story abtauchen und abschalten.“
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Seitenzahl: 501
Nachdem Adriana, Tochter eines russischen Mafiabosses, vor ihrer Zwangshochzeit nach Frankreich flieht, um dort ein neues Leben zu beginnen, lernt sie den französischen Polizisten Léron kennen. Die beiden verbringen eine leidenschaftliche Nacht miteinander, doch bereits am nächsten Tag trennen sich ihre Wege. Was Adriana nicht weiß: Léron hat sich bei der Mafiaorganisation Les Rois Noir undercover eingeschleust, um seine Geschwister zu finden. Und diese haben ein Ziel: Sich am Mafiaboss des verfeindeten Clans zu rächen und dessen Tochter zu entführen und zu töten: Adriana. Léron ist hin- und hergerissen zwischen seinen Gefühlen für die schöne Frau, die ihm nicht mehr aus dem Kopf geht, und seiner Mission, bei der die Sicherheit seiner Familie auf dem Spiel steht. Doch auch Adriana hütet ein kleines Geheimnis …
Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Du bist meine Dunkelheit.
Überarbeitete Neuausgabe Oktober 2023
Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98778-687-7 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98778-757-7
Copyright © 2022, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2022 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Du bist meine Dunkelheit (ISBN: 978-3-98637-536-2).
Covergestaltung: Jasmin Kreilmann unter Verwendung von Motiven von depositphotos.com: © Torsakarin, © hoverfly, © Rizwanda, © AntonMatyukha, © zatvor, © fxquadro Lektorat: Stephanie Schilling
E-Book-Version 12.04.2024, 11:05:47.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Es gibt Diebe, die nicht bestraft werden und dem Menschen doch das Kostbarste stehlen: Die Zeit.
Napoleon
Rumänien
Der kleine Seitenvorhang, der vor dem offenen Fenster hin und her schwingt, ist das einzig Fröhliche in diesem Raum.
Immer wieder sehe ich herüber, während ich mich zwinge, die Beine still und den Rücken gerade zu halten.
Normalerweise mag ich das gemeinsame Essen an der reichlich gedeckten Tafel im Beisein meines Vaters, doch nicht heute. Die Anwesenheit einer bestimmten Person trübt das schöne Bild. Da können auch der prächtig duftende Truthahn oder die Ciorbă de burtă, die dampfend in der Tischmitte stehen, nichts ändern.
„Nun“, beginnt mein Vater zu sprechen und lehnt sich in dem mit rotem Samt bezogenen Barrockstuhl zurück. „Wie laufen die Geschäfte, Balász?“
Während der unangenehme Gast, der bei jedem Treffen offenkundig einen viel zu dunklen Abdeckstift auf seinen Tränensäcken trägt, meinem Vater antwortet, starre ich wie hypnotisiert auf meinen Teller und beachte ihn mit keinem einzigen Blick. Alles in mir ist bis auf die kleinste Zelle angespannt. Ohne hinzusehen, weiß ich ganz genau, mit welch arrogantem Gesichtsausdruck dieser Widerling seine Geschäfte vor meinem Vater schönt. Niemand kann auf kurze Zeit so erfolgreich werden wie er. Ich bin nicht dumm und mein Vater ist es auch nicht. Trotzdem scheint er Balász zu mögen. Warum auch immer. Wahrscheinlich aus finanziellen Gründen. Mein Vater denkt an erster Stelle immer wirtschaftlich.
„Nun, wann wollen wir über die Vermählung mit meiner Tochter sprechen, Balász?“ Mein Magen schnürt sich zusammen, als ich die Worte meines Vaters wie in Trance aufnehme. Ein Schleier bildet sich vor meinen Augen, den ich nicht in der Lage bin wegzublinzeln. Zumindest nicht, ohne dass sich die Tränen lösen. Aber ich habe meinen Stolz. Ich werde nicht weinen. Nicht hier am Tisch. Und nicht vor Vater oder diesem aufgeblasenen Abdeckstiftbenutzer.
„Wenn du Zeit hast, Zoltan, dann besprechen wir das gerne morgen detailliert. Aber jetzt kann ich dir schon mal sagen, dass ich die Hochzeit gern in meinem Anwesen ausrichten möchte.“
Erschrocken blicke ich auf und sehe nun doch hilflos meinem Vater entgegen.
Dieser reibt sich den weißen Bart und wendet den Blick sofort von mir ab. Warum tut er das? Liebt er mich denn kein Stück? Wie ein Vieh verschenkt er seine eigene und einzige Tochter an diesen Bastard!
Ein Kälteschauer erfasst mich und als ich zu Balász herübersehe, weiß ich auch, warum.
Seine eisblauen Augen sind auf meine gerichtet, bohren sich wie Dolche durch mich hindurch. Bereit, meine Seele zu brechen und alles, was mich ausmacht zu vernichten. Bis nur noch ein willenloser Zombie von mir übrig ist, der nur Gehorsam kennt. Zumindest könnte man das annehmen, wenn man den Gerüchten über ihm Glauben schenkt. Ein willenloser Zombie … Das werde ich nicht. Und das will ich auch niemals sein. Dieser Mann, der mich wie sein Besitz beäugt und sich wahrscheinlich in diesem Augenblick ausmalt, was er mit mir alles anstellen wird, wird mich nicht brechen. Niemals!
„Das halte ich für eine gute Idee.“ Ich nicht. Mein Vater nippt an seinem Weinglas. „Wie viele Gäste planst du ein?“, fragt Vater ihn, mich weiter ignorierend.
Balász legt das Besteck nieder und lehnt sich zurück, als würde er es sich gerade vor dem Fernseher gemütlich machen und nicht hier bei uns im Esszimmer sitzen und meinen Untergang beschließen. Er rutscht mit dem Stuhl ein Stück vom Tisch zurück und schlägt die Beine übereinander. Dann fährt er sich durch das zurückgekämmte, blonde Haar, das wie in einer Werbung für Haarspray frisiert ist und rümpft die kleine Knollnase. „Nun, ich denke nicht mehr als sechshundert Gäste. Ich möchte es klein halten“, sagt er überheblich und sieht mich an, als würde er mich genauso hassen wie ich ihn.
Klein. Dass ich nicht lache. Du willst dich doch am liebsten vor aller Welt als neuer Traumschwiegersohn von Zoltan Stoica präsentieren. Unser Familienname ist deine Eintrittskarte in eine noch dunklere Geschäftswelt als die, in der er ohnehin schon fischt. Warum sonst, will er meinen Namen annehmen? Seine Augen unter den gezackten Brauen mustern mich argwöhnisch und kalt, als hätte er die Gabe, meine Gedanken lesen zu können. Er spürt es. Er spürt, dass ich ihn aus tiefster Seele verabscheue. Und wahrscheinlich macht es ihn sogar noch an.
Mein Hals ist auf einmal staubtrocken und meine Hände langsam, aber sicher verschwitzt. Guck weg! Sieh meinen Vater oder die Blumenvase an, aber nicht mich! Ich habe dir nichts zu sagen. Denn das Einzige, was ich an Worten für dich übrighabe, würde üble Konsequenzen für mich zur Folge haben.
„Nun, es ist schon spät. Ich hatte einen langen Tag“, bemerkt mein Vater und zerreißt endlich die tödliche Stille. „Wir besprechen alles Weitere morgen in Ruhe. Vielleicht bei einer Partie Golf?“
„Einverstanden“, erwidert Balász, wirft mir einen weiteren kalten Du-wirst-schon-sehen-Blick zu und erhebt sich von seinem Stuhl. Ja, spielt ruhig Golf. Am liebsten würde ich mich dazugesellen und ihm den Schläger in die Eier rammen. Ich hasse diesen Kerl so sehr.
Wie zu einer Salzsäule erstarrt, bleibe ich sitzen und zupfe nervös an meinem elfenbeinfarbenen Abendkleid herum. Ganz bewusst habe ich eines mit hohem Kragen ausgesucht, das auf den ersten Blick zwar etwas bieder wirkt, Balász allerdings keine Chance auf einen Blick auf mein Dekolleté ermöglicht.
Oana, unser Dienstmädchen, tritt durch die Tür und beginnt mit dem Abräumen der Tafel.
Ich hebe den Blick und starre auf meine Suppe, die ich nicht angerührt habe. Mein Magen ist so leer wie meine Seele, wenn dieser Mann in meiner Nähe ist.
„Kindchen, dein Teller ist ja noch gar nicht leer“, flüstert mir Oana ins Ohr, während ich meinem Vater und Balász nachsehe, wie sie durch die Tür treten.
„Adriana! Willst du dich nicht von unserem Gast verabschieden?!“, höre ich meinen Vater streng aus dem Foyer rufen, worauf mein Puls zu rasen beginnt. Nein, will ich nicht. Es sei denn, ich darf ihm „auf Nimmerwiedersehen“ sagen.
Ich seufze schwer, erhebe mich aus dem Stuhl und eile mit immer wackeliger werdenden Schritten zu ihnen.
Die beiden stehen im Foyer unter dem riesigen Kristallkronleuchter.
Balász knöpft die Jackettjacke zu und zieht einen Schlüssel mit einem Pferd als Logo aus der Tasche seiner Anzughose. Der Multimillionär hat nicht nur einen Ferrari in seiner XXL-Garage, wie er immer gerne prahlt. Sein unterbelichtetes Ego kann er damit aber auch nicht ausgleichen. Das sollte mein Vater doch auch langsam bemerken.
Ich trete neben die beiden und bemühe mich, die aufsteigende Galle bei mir zu behalten.
Während der Widerling meinem Vater den Schlüssel vor die Nase hält, weil er ihn darauf anspricht, und mit den vielen PS unter der Motorhaube hausiert, spüre ich seine Hand von hinten unter den Stoff meines Kleides wandern, das knapp über meinen Knien endet.
Ekel überkommt mich und lässt mich sofort einen Schritt vorspringen, bevor er seine schmierigen Hände zwischen meine Schenkel stecken kann. Doch der Bastard rutscht nach. Finger weg!
„Adriana, zappele nicht so herum, wenn sich jemand mit mir unterhält“, tadelt mich mein Vater, der überhaupt nicht mitzubekommen scheint, dass sich die Hand seines Gastes den Weg zwischen meine Schenkel bahnt. Oder er ignoriert es. So, wie er vieles ausblendet, das vor seinen Augen passiert.
Ich habe das Gefühl, am Ekel zu ersticken. „Lass das“, knurre ich in Balász’ Richtung, sodass mein Vater es nicht genau hören kann. Er ist schon über sechzig und seine Ohren nicht mehr die Besten.
Balász, dieser Bastard, schmunzelt nur und schiebt mit einem Finger meinen Slip beiseite.
Das reicht! Ich springe zur Seite, hole aus und scheuere ihm eine, dass er die Engel singen hört. Lieber würde ich einsam auf Schloss Bran leben, als mich von diesem Kotzbrocken noch einmal berühren zu lassen.
Die Augen meines Vaters weiten sich, als er realisiert, was ich getan habe. Er sieht mich entrüstet an, bevor sich seine buschigen, weißen Brauen finster zusammenziehen und er mich ohrfeigt, dass es durch das ganze Foyer zu hören ist. Taumelnd gehe ich zu Boden.
„Entschuldige, Balász“, sagt er, legt den Arm um den Widerling und dreht sich mit diesem von mir weg. Mir den Rücken zugewandt, flanieren sie in Richtung Ausgangstür.
Oana kommt sofort angelaufen und kniet vor mir nieder. „Kind! Was machst du?!“ Ihre Wangen sind gerötet, aber bei weitem nicht so wie meine. Ich liebe Oana. Sie ist das einzig Gute in diesem Haus und für mich wie die Mutter, die ich seit meinem fünften Lebensjahr schmerzlich vermisse. Ich weiß noch genau, wie mein Vater mir von ihrem „Verkehrsunfall“ erzählte. Doch nicht nur ich vermute, dass sie abgehauen ist. Wer könnte es ihr verübeln, wenn sie genauso behandelt wurde, wie ich.
Oana greift mir unter den Arm und hilft mir auf. Mitleid spiegelt sich in ihren Augen wider, als sie mein kakaobraunes Haar zurückstreicht. Ein paar Strähnen haben sich aus meinem braven, französischen Zopf durch die Ohrfeige gelöst. Die Hand meines Vaters ist beinahe so breit wie mein Gesicht. Ich wette, ich kann gleich jeden seiner Finger auf meinen glühenden Wangen sehen, wenn ich auf meinem Zimmer in den Spiegel schaue. „Was machst du denn nur, Adriana?! Du weißt doch, dass dein Vater so etwas nicht duldet.“
„Aber dieser Widerling …“ Ein „Shhh“ von Oana unterbricht mich.
Bitterernst und flehend sieht sie mich an. Dann nimmt sie den Finger von ihren Lippen. „Nicht hier unten“, flüstert sie.
„Aber …“
„Ich habe es gesehen und jetzt schweig lieber“, unterbricht sie mich erneut und bringt mich durch ihre Ernsthaftigkeit zum Schweigen. Ich sollte wirklich die Klappe halten, bevor ich mir noch eine Tracht Prügel einfange.
Während heiße Tränen über meine pochende Wange laufen, steige ich neben Oana, die sich bei mir eingehakt hat, die Treppe hinauf. Meine Schritte sind wackelig und mein linkes Ohr rauscht von dem Schlag, sodass mir schwindelig wird.
Oana festigt den Griff. Sie bemerkt immer sofort, wenn mir etwas fehlt. „Ich bringe dich auf dein Zimmer, Kindchen. Und dann hole ich dir etwas zum Kühlen.“
„Danke“, antworte ich ihr mit zittriger Stimme und starre auf den roten Teppich auf der Treppe.
Dieses Haus mit all seinen pompösen Schätzen, der sündhaft teuren Dekoration und dem gut durchdachten Einrichtungskonzept ist nur eine lächerliche Fassade, um die Grausamkeit zu übertünchen, die darin herrscht.
Die Tür meines Zimmers öffnet sich schier lautlos.
Oana hilft mir zu dem goldenen Himmelbett, das mit mehr Kissen ausgestattet ist, als ich benötige, und hockt sich mit sorgenvoller Miene vor mich. „Ich hole dir jetzt ein Coolpack und dann schläfst du.“
„Aber es ist noch früh.“
„Keine Widerrede. Und morgen sieht die Welt schon wieder anders aus.“
Ich ergreife Oanas Hände, während mir dicke Tränen von der Nasenspitze tropfen. „Oana, du weißt ganz genau, dass das nicht stimmt“, flüstere ich und sehe sie mit brennenden Augen an.
Sie schluckt hart, weil sie die Wahrheit kennt, und diese genauso wenig ertragen kann wie ich. Oana presst die schmalen Lippen zusammen, erwidert jedoch nichts. Dann erhebt sie sich und gibt mir einen zärtlichen Kuss auf die Stirn, bevor sie mein Zimmer verlässt.
Mit bleischwerem Herzen greife ich nach dem Handspiegel aus meiner Nachttischschublade und betrachte das Werk meines Vaters. Es ist nur eines von vielen, aber definitiv das Letzte, denn ich werde keine Zeit mehr in diesem goldenen Käfig verbringen. Schon seit Wochen habe ich meine Flucht geplant, die ich heute Nacht antreten werde.
Palais Longchamp, Marseille
Man sagt, in allem Schlechten steckt etwas Gutes. Dem kann ich nicht ganz zustimmen, denn noch nie habe ich mich so beschissen und belogen gefühlt wie jetzt.
Wie ein hüllenloser Zombie laufe ich zwei Tage nach dem größten Verlust meines Lebens die beleuchteten Straßen nahe dem Palais Longchamp hinab auf der Suche nach dem Hotel, das ich gebucht habe. Ich kann es immer noch nicht fassen, aber nun, zwei Tage danach, scheint der Tod meiner Mutter langsam real zu werden. Da war der viele Alkohol, mit dem ich versucht habe, meine Trauer zu betäuben, völlig nutzlos. Ich bin kein Mensch der großen Emotionen, aber der Verlust meiner Mutter lässt mich nicht kalt. Sie war der einzige Mensch, für den ich jemals echte Liebe empfunden habe. Dass sie mir ihr dunkles Geheimnis ihr Leben lang verschwiegen hat, kann ich ihr wohl nicht mehr verzeihen. Wie kann man nur jahrelang mit dem Wissen herumlaufen, dass man drei Kinder, statt nur einem hat und nie ein Wort darüber verlieren? Und wie konnte ich – ein Mann, der nahezu jeden Menschen durchschaut – das nicht bemerken? Das will mir einfach nicht in den Kopf.
In der Straßenbahn bin ich gedankenlos versehentlich zwei Station zu früh ausgestiegen und zu ungeduldig, um auf die nächste Bahn zu warten.
Mein Handy klingelt schon zum zweiten Mal. Es ist Jerome, einer meiner Vorgesetzten. Doch ich gehe nicht ran, denn ich habe offiziell Urlaub – auch wenn es der erste in den letzten Jahren ist, den ich freiwillig genommen habe und ich mit freien Tagen eigentlich nicht viel anfangen kann. Ich lebe für meinen Beruf. Aber in diesem muss man zu einhundert Prozent funktionieren und das kann ich gerade nicht. Vielleicht werde ich ihn später zurückrufen, wenn ich im Hotel angekommen bin, aber gerade habe ich keinen Kopf dafür – zu sehr bin ich damit beschäftigt, die Tatsache zu verarbeiten, dass meine Mutter gestorben ist und ich einen Bruder sowie eine Schwester habe, die sie mir verschwiegen hat.
Als das Klingeln verstummt, stelle ich das Handy auf Vibration.
Die Straßen sind voll, denn die Dämmerung ist bereits über die Stadt hereingebrochen und das Nachtleben erwacht. Mein Ziel, das Hotel Mercure, ist doch weiter entfernt als gedacht, so zeigt es mir die Karte auf meinem Smartphone an. Ich drängele mich durch das Getümmel auf dem Gehweg, flaniere an einigen kleinen Cafés und nett beleuchteten Bars vorbei. Musik dringt aus dem Inneren hervor, Tische und Stühle, die zum Verweilen einladen, sind auf den Terrassen vor dem Eingang aufgestellt. Als die nächste Station der Straßenbahn in Sicht gerät, gehe ich langsamer. Die Verlockung ist groß, obwohl es vielleicht nur noch knapp anderthalb Kilometer sind, die ein so sportlicher Mann wie ich locker in wenigen Minuten schafft. Nichtsdestotrotz entscheide ich mich um, denn ein Blick in den trüb-grauen Himmel, lässt Regen erahnen.
Die wartenden Menschen tummeln sich vor dem Bahnsteig.
Schnell drängele ich mich samt meinem Koffer dazwischen.
Das Smartphone in der Tasche meiner Jacke vibriert erneut. Ich ignoriere es abermals.
Um mich herum sind Dutzende fremder Leute und unterschiedlichste Gerüche. Von teurem Parfum, über kalten Zigarettenqualm zum Gestank billigen Fusels. Als ich zu meiner Linken blicke, sehe ich auch, woher der letzte Geruch stammt.
Ein Mann, vermutlich Mitte vierzig, mit kahlrasiertem Kopf und Piercings im Gesicht hält eine Papiertüte in der Hand, aus der der schlanke Hals einer Flasche herausschaut. Seine Kleidung ist schmutzig und ich wette seine Haut hat auch ewig keine Seife gesehen. Die Laufsohle seiner Schuhe löst sich an der Vorderkappe bereits ab. Was für eine verlorene Seele. Wobei ich mir eingestehen muss, dass ich heute ebenfalls eine bin. Auch wenn ich nicht so heruntergekommen aussehe, fühle ich mich so.
Ein lautes Quietschen erweckt die Aufmerksamkeit der Leute, die ihren Kopf nach links schnellen lassen, wo in der Ferne bereits die Bahn zu sehen ist.
Ich sehe mich schon, wie ich mich zwischen dieser Menschenmasse in die Bahn quetsche und bereue es, nicht weitergelaufen zu sein. Genervt entgleitet mir ein Seufzen. Flüchtig blicke ich über die Köpfe der vielen Menschen hinweg, stelle mich gedanklich auf eine anstrengende, wenn auch kurze Fahrt ein und will mich gerade über meine Dummheit ärgern, zu früh aus der anderen Bahn gestiegen zu sein … doch dann entdecke ich dich und halte inne.
Du hast eine schwarze Kappe ins Gesicht gezogen, trotzdem erkenne ich deine Schönheit sofort. Dein gedankenverlorener Blick ist starr auf die Gleise gerichtet, als du deine Nase tiefer unter den Seidenschal vor deinem zierlichen Gesicht steckst. Ist dir kalt oder willst du nicht bemerkt werden? Bemühe dich nicht, unscheinbar zu sein, denn umso weniger kannst du dich meiner Aufmerksamkeit entziehen.
Nach fünf Jahren Dienst in der Gendarmerie und drei in der Spezialeinheit GIGN stelle ich sofort fest, wenn jemand nicht gesehen werden will. Ich gebe zu, die Zeit im Kampf gegen Terrorismus und Kriminalität haben mich geprägt, doch wenn ich ein so hilfloses Wesen wie dich sehe, spüre ich trotz aller Trauer um meine Mutter immer noch den Beschützer in mir, dessen Augen immer wachsam sind.
Der Kerl mit dem rasierten Schädel hat dich ins Visier genommen und schiebt sich an mir vorbei. Während er auf dich zusteuert, kann ich seine lüsternen Gedanken förmlich hören.
Ungeachtet von ihm folge ich dem Gestank seines Fusels, halte jedoch erst einmal Abstand, denn eine korpulente Dame stellt sich mir in den Weg.
„Hey, nicht vordrängeln!“, geht sie mich an, was ich einfach ignoriere und den Glatzkopf und dich nicht aus den Augen lasse. Ich stelle mich seitlich, sodass ich dich möglichst gut beobachten kann.
Auch du hast ihn bemerkt und drängst dich dichter an den Bahnsteig, um dir Raum zu verschaffen. Bitte nicht zu nah, sonst wird nicht der Kerl, sondern die Straßenbahn dich erfassen, denn du stehst zu weit weg, als dass ich eingreifen könnte.
Meine Sinne sind geschärft – dabei liegt der Fokus nicht nur bei euch und der Straßenbahn, sondern auch bei den Menschen, die von hinten in Richtung Bahnsteig drängeln.
Die Gleise heulen auf, als die Bahn weiter vorfährt und der Mann, der mir ein Dorn im Auge ist, neben dich tritt.
Wie ein scheues Reh siehst du ihn flüchtig an. Deine Augen weiten sich für den Bruchteil einer Sekunde. Der Kerl ist dir nicht geheuer. Du suchst Raum, den es in dem Gedränge nicht gibt.
Ich dränge mich ein Stück in eure Richtung und sehe, wie er dich anspricht. Was er sagt, kann ich nicht verstehen, dazu ist es hier zu laut und ich stehe zu weit weg. Doch, dass du nicht mit ihm reden willst, ist für mich mehr als offensichtlich, so hilfesuchend, wie du dich umsiehst.
Der Kerl legt seinen Arm um deine Schulter und drückt dich an sich. Ich sehe dir an, dass dir das nicht recht ist, da du versuchst, zur Seite auszuweichen. Mit der einen Hand umklammerst du deine Reisetasche, während du mit dem anderen Arm versuchst, ihn von dir fernzuhalten, aber der Kerl rückt dir nicht von der Pelle.
So ein hübsches, kleines Ding wie du passt perfekt in die Opferrolle. Aber ich werde dafür sorgen, dass er dich nicht zu seinem Opfer macht. Eher mache ich ihn zu meinem.
Ich drängele mich langsam weiter an den Leuten vorbei und habe euch fast erreicht, als du erneut von ihm wegzurücken versuchst.
Die Bahn kommt auf den quälend aufheulenden Gleisen zum Stehen.
Ich sehe dir an, dass du zögerst einzusteigen. Dir wird klar sein, dass der Kerl dich bis zu deinem Ziel verfolgen wird. Du ziehst den Schal noch höher und die Kappe tiefer ins Gesicht, doch auch das hilft dir nicht, den aufdringlichen Kerl auszublenden, weil er nicht nachgibt. Es wird Zeit, einzuschreiten.
Blitzschnell dränge ich mich vor und rempele den Penner grob mit der Schulter an. „Pardon, ich glaube, du baggerst an meiner Frau rum, kann das sein?“ Ich greife nach deiner Hand, als du zeitgleich mit dem Glatzkopf zu mir aufsiehst, der nicht annähernd so breitschultrig ist wie ich. Selbst wenn wir gleich gebaut wären, hätte er gegen mich mit meiner Nahkampfausbildung keine Chance.
In deinen palisanderfarbenen Augen mischen sich gleichermaßen Angst wie Dankbarkeit.
Der Kerl sieht mich wie ein Begriffsstutziger an.
Die Türen der Bahn öffnen sich und um uns herum drängen sich die Menschen, um einzusteigen. Doch dass wir den Verkehr behindern, ist mir scheißegal. Wir klären das. Und zwar auf der Stelle.
„Was willst du von mir, Mann? Ich habe sie nur nach der Uhrzeit gefragt!“, verteidigt sich das nach billigem Fusel stinkende Arschgesicht.
„Stimmt das?“, frage ich dich und du schüttelst schweigsam den Kopf.
Inzwischen sind alle Leute vom Bahnsteig eingestiegen.
„Ich habe genau gesehen, dass du deinen schmierigen Arm um sie gelegt hast! Fass meine Frau noch einmal an und ich stampfe dich in den Boden!“, knurre ich bedrohlich, greife nach seinem Handgelenk und biege es so, dass er es nicht bewegen kann, ohne es sich dabei zu brechen. Ein Griff, den man bereits in der Grundausbildung der Gendarmerie lernt. Schnell schubse ich ihn in die Bahn, deren Türen sich zu schließen beginnen.
Als der Bastard ins Innere der Straßenbahn taumelt und fast zu Boden geht, hat er keine Zeit mehr, um zu uns nach draußen zu kommen, denn einer der Fahrgäste hilft ihm auf. Der Kerl reißt sich eilig von seinem Helfer los, doch schon ist die Tür zu.
Ich winke der Bahn provokant hinterher, als sie losfährt, und belächele den erhobenen Mittelfinger des Glatzkopfes.
Du bist ganz still, als ich von ihm zu dir herübersehe. Wahrscheinlich verarbeitest du noch, was gerade passiert ist. Von der sich entfernenden Bahn wendest du den Blick zu mir. „Danke“, antwortest du mit einem kaum auffallenden, ausländischen Akzent, den ich noch nicht einzuordnen weiß. Aber ich als gebürtiger Franzose höre ihn auch in dem kleinen Wort heraus.
„Du bist nicht von hier?“, frage ich dich deswegen auf Englisch.
Schüchtern schüttelst du den Kopf und deine Augen werden glasig. Heul jetzt bloß nicht los. Ich bin echt kein Typ für sowas und erst recht kein guter Tröster. „Wir können ruhig Französisch sprechen“, bemerkst du leise und scheinst dich wieder zu fangen.
„Okay. Wo wolltest du denn hin?“, frage ich und sehe, dass du zögerst. „Also, ich muss ins Mercure Hotel.“
„Ich auch“, erwiderst du mit Bedacht, als wüsstest du nicht recht, ob du mir trauen kannst.
„Keine Sorge. Ich stelle keine Gefahr für dich dar.“ Aus der Hosentasche ziehe ich vorsichtig meine Marke, um dir zu zeigen, dass ich einer von den Guten bin. Doch beim Anblick derer, wirkst du noch verschreckter.
„Ich muss gehen“, sagst du hektisch und willst auf dem Absatz kehrtmachen. Allerdings hast du nicht mit meiner Hand gerechnet, die blitzschnell und grob nach deinem Arm greift. Wie ein scheues Reh siehst du zu mir auf.
Deines verschreckten Gesichtsausdrucks halber lasse ich los. „Hör zu, ich habe keine Ahnung, vor was oder wem du wegläufst. Aber ich biete dir gerne an, dir ein Taxi mit mir zu teilen, wo immer du hin musst. So Kerle wie eben gibt es hier leider zuhauf.“
Du zögerst und taxierst mich von oben bis unten. „Also … ich weiß nicht.“
„Ich möchte einfach nur, dass du heil zu deinem Ziel kommst, okay?“ Es ist nicht meine Absicht, mich dir aufzudrängen, aber ich kann es schlecht mit meinem Pflichtbewusstsein vereinbaren, wenn ich nicht ganz zweifellos weiß, dass du dein Ziel sicher erreicht hast.
Ich winke ein Taxi heran und obwohl du einfach deines Weges ziehen könntest, bleibst du neben mir stehen. Offenbar hast du dir Gedanken darüber gemacht, ob der Schutz, den ich dir bieten kann, es wert ist, deine Scheu zu überwinden.
Es dauert einige Minuten bis endlich ein Taxi hält, denn die ersten Regentropfen beginnen vom Himmel zu fallen.
Ich öffne dir die Tür – ein bisschen Anstand haben auch wir vom GIGN – und lasse dich zuerst einsteigen. Dann laufe ich um das Taxi herum, verstaue mein Gepäck im Kofferraum und steige auf der anderen Seite zu. „Das Hotel Mercure also?“, frage ich dich, nachdem du die Tasche, die du bei dir trägst, zwischen deinen Füßen verstaut hast. Offenbar möchtest du sie nicht außer Reichweite lassen, was den Anschein erweckt, dass du dein ganzes Hab und Gut mit dir herumzuschleppen scheinst. Deine Obacht untermauerst du unbewusst durch das ständige nervöse Spielen mit einer Haarsträhne und das fahrige Berühren deiner Tasche.
„Ja. Hotel Mercure“, wisperst du wiederholend und siehst immer wieder zwischen deiner Tasche und mir hin und her. Hey, ich bin wirklich einer von den Guten.
Ich schmunzele. „Du hast Glück, dass du den Geleitschutz bis zum Empfang bekommst.“
Du blickst von der Tasche zu mir auf. In deine Iriden mischen sich ein paar jadegrüne Sprenkel. Wie aus einem Automatismus heraus erfasse ich jedes noch so kleine Detail deiner Person, was ich als Berufskrankheit abtue, bevor ich noch in Erwägung ziehe, unterbewusst auch nur einen Funken ernstes Interesse an dir zu hegen. „Danke. Auch für eben. Das war nicht selbstverständlich“, sagst du und siehst scheu zwischen mir und der Tasche hin und her.
„Keine Ursache. Bei sowas kann man doch nicht wegsehen.“
„Die anderen haben weggesehen“, wirfst du ein und streichst dir eine Strähne deiner schokobraunen Haare, die sich unter der Kappe hervorgestohlen haben, hinter das Ohr.
Vielleicht sollten wir das Thema wechseln, ehe es zu sehr ins Negative abschweift. „Ich bin übrigens Léron.“
„Léron … ein schöner Name“, stellst du verhalten fest, und die Seiten deiner Lippen verwandeln sich in ein Schmunzeln. Dann siehst du zu mir, presst die Lippen wieder angespannt aufeinander und wickelst den Schal von deinem Hals. „Ich bin … Yulia“, bemerkst du mit einem schüchternen Lächeln.
„Schöner Name. Aber von hier bist du nicht“, entgegne ich feststellend, gebe dir jedoch nicht das Gefühl, dass ich dich aushorchen will, obwohl es Tatsache ist. Irgendetwas an deinem Verhalten alarmiert mein Bauchgefühl, dass du neben der Reisetasche ein dunkles Geheimnis mit dir herumträgst. Daher interessiert mich jedes Detail, das du von dir preisgibst.
Du schüttelst mit dem Kopf. „Nein, ich bin nicht von hier. Ich bin auf dem Weg in den Urlaub.“
Urlaub? Mit einer kleinen Reisetasche? Ganz sicher nicht. Das sieht ein Blinder. Du verstrickst dich in Lügen, Cherie. Tu das lieber nicht, denn ich verstehe meinen Beruf sehr gut. Lügner enttarne ich sofort.
„Und du?“ Langsam scheinst du mit mir warm zu werden.
Schnell verdränge ich meine Skepsis und mime den Unbehelligten. „Ich bin auch nur auf der Durchreise. So, wie du“, antworte ich und stelle eine weitere Gemeinsamkeit her, um dich zu ermutigen, weiterzureden.
Fahrig streichst du mit den Fingern über deinen Mantel. „Dann haben wir ja mehr gemeinsam als nur das Hotel.“
„Scheint so.“
Dicke Regentropfen prasseln auf die Windschutzscheibe nieder und perlen auch an unseren Fenstern in kleinen Schlieren hinab.
„Und du bist bei der Polizei?“, möchtest du schließlich doch wissen. Mir war klar, dass dir diese Frage noch auf der Zunge brennt, so erschrocken wie du beim Anblick meiner Marke ausgesehen hast.
„Ich war fünf Jahre in der Gendarmerie und seit drei Jahren gehöre ich der GIGN an.“
„Was ist die GIGN?“
„Eine Spezialeinheit der französischen Gendarmerie zur Terrorismus- und Kriminalitäts-Bekämpfung.“
Deine Augen weiten sich. Aber nicht aus Furcht, sondern es ist die reine Neugierde, die den Glanz in deinen Iriden verursacht. „Das ist sicher ein spannender Beruf.“
„Das ist er. Aber auch ein nicht ganz ungefährlicher.“
Du nickst, als du wieder zu deiner Tasche herabsiehst, in der du etwas ziemlich Wichtiges befördern musst, so sehr wie du sie im Auge behältst. Ich kann es nicht genau definieren, aber etwas hast du an dir, das mir offenbart, dass in dir nicht das kleine Unschuldslamm steckt, das du mir vorzuspielen versuchst. Und damit hast du den Profiler in mir geweckt. Inzwischen bin ich mir sicher, dass mein erster Eindruck von der verschüchterten, jungen Frau ein Trugschluss war. Das sagt mir mein Instinkt – und der täuscht mich nie. Du bist clever, überlegst genau, was du sagst und wie du dich bewegst, damit dich jeder mögliche Gegner unterschätzt. In deinen Augen lodert diese Leidenschaft, die ich auch bei mir manchmal beobachte, wenn ich mit meiner Einheit losziehe – genau wie ich hast du ein klares Ziel vor Augen. Eine Mission, die du mit deinem Leben verteidigst und zu erfüllen bereit bist. Ich spüre, dass wir uns ähnlicher sind, als du denkst. Wahrscheinlich ist es das, was mich in deinen Bann zieht und meinen Kummer für einen Augenblick beiseiteschieben lässt.
Das Prasseln des Regens wird zunehmend lauter. Das ist kein Schauer mehr, sondern verändert sich schon in Richtung Unwetter.
Ich sehe aus dem Fenster und blicke nach oben. Der Himmel ist von dicht-dunklen Wolken bedeckt. Die Lichter der Innenstadt ziehen an uns vorbei. Weit dürfte das Hotel Mercure nicht mehr sein.
„Und wie lange bleibst du in der Stadt?“ Du zeigst zunehmend Interesse.
„Morgen geht es schon weiter.“
Wir biegen an einer Kurve ab und werden von den Scheinwerfern eines entgegenkommenden Autos geblendet.
Weil du dich scheinbar gerade selbst dabei ertappst, dass du mich auszufragen beginnst, legt sich eine leichte Röte auf die Wangen. „Entschuldigung, ich wollte nicht …“
„Schon okay“, schieße ich schnell, aber in entspanntem Tonfall dazwischen. „Ich bin auf dem Weg zu meinem Bruder“, sage ich, damit deine Neugierde befriedigt wird, du aber nicht das Gefühl haben musst, mich ausgefragt zu haben.
„Wo lebt er?“ Jetzt beginnst du offenbar doch, mich auszufragen. Bei dir muss ich wohl deutlich mehr aufpassen, als ich zunächst angenommen habe.
„Nahe Menton. Ist also nur ein paar Kilometer von hier entfernt.“ Ein kleines Stück an Strecke, aber eine riesige Überwindung für mich.
„Und du?“, wirfst du ein und spielst mit einer Haarsträhne.
„Ich komme aus Paris.“ Ein Lächeln, das ich mit einem Kopfschütteln verbinde, geht mir über die Lippen, weil ich auf deine Ausfragerei reingefallen bin. Aber was willst du schon mit dieser Information anfangen? Paris ist mit seinen 2,1 Millionen Einwohnern nicht gerade klein.
Du nickst. „Dann seht ihr euch bestimmt nicht oft. Er freut sich sicher, dich zu sehen.“
Ich schlucke hart und presse die Lippen aufeinander. „Ich komme unangemeldet. Und ich weiß auch nicht, ob er zuhause ist, wenn ich ankomme.“
„Oh“, bemerkst du verwundert und ziehst die Brauen zusammen, sodass sich eine zugegeben niedliche, kleine Furche über deinem Nasenrücken bildet. „Er wird sich sicher freuen, dich zu sehen.“
„Bestimmt.“ Nicht.Und wenn ich ehrlich bin, habe ich keine Ahnung, wie er auf mich reagieren wird. Vielleicht sollte ich doch zuerst nach meiner Schwester suchen, aber zu ihrem Aufenthaltsort haben selbst meine besten Kontakte nichts herausfinden können. Durch meinen Bruder erhoffe ich mir mehr Informationen. Deswegen ist er mein erstes Ziel.
Das Taxi hält vor einem hell erleuchteten Gebäude.
„Oh, ich glaube, wir sind da.“ Ich sehe auf das Taxameter, ziehe das Portemonnaie aus meiner Hosentasche und beuge mich zum Fahrer vor, um ihn zu bezahlen. Ein kleines Trinkgeld lege ich oben drauf, das er dankend annimmt.
Zeitgleich mit mir öffnest du deine Tür und hältst inne, weil es wie aus Eimern schüttet.
„Auf drei“, sage ich an, worauf du lachst, weil sich die Tatsache, dass wir nass werden, nicht vermeiden lässt. „Eins.“
Du wirfst „Zwei“ ein und schmunzelst, indes du deine Reisetasche fest umklammerst.
„Drei!“
Während dich dein Weg geradewegs zum Eingang führt, muss ich noch einen Stopp am Kofferraum einlegen und bekomme so erheblich mehr vom Regen ab als du. Doch das macht mir nichts aus. Bei meinen Einsätzen bin ich Unangenehmeres gewohnt als ein paar Regentropfen. Rasch öffne ich die Klappe des Kofferraums und hieve meinen Reisekoffer heraus. Schnellen Schrittes eile ich zum Eingang, vor dessen Tür du bereits auf mich wartest.
„Ich würde mal behaupten, du hast gewonnen.“
„War das ein Wettrennen?“, fragst du mit einem amüsierten Augenaufschlag.
„Vielleicht.“ Ich verkneife mir das schelmische Grinsen, das du mir beinahe entlockt hättest.
„Dann wären deine Teammitglieder aber nicht sonderlich stolz auf dich, wenn dich eine Frau in High Heels schlägt.“ Mit einem neckischen Grinsen deutest du auf deine Schuhe. Auf diesen Absätzen könnte ich keine zehn Meter laufen, ohne mir die Beine zu brechen.
„Du hattest ja auch eine viel kürzere Strecke als ich. Aber mit der Niederlage kann ich leben“, gebe ich augenzwinkernd zurück und halte dir die Tür auf.
Hinter dir betrete ich die Hotellobby, die mit hellem Marmorboden ausgestattet ist. Ebenfalls cremefarbene Säulen aus Marmor stehen links und rechts im Raum verteilt und auch der Tresen der Rezeption ist aus selbigem Material. Eine große Palme steht unweit davon entfernt. Klassische Musik läuft dezent im Hintergrund und unterstreicht damit das edle Ambiente.
Du stellst dich an den Tresen und wartest geduldig, bis die Rezeptionistin zu dir aufsieht.
Ich lasse dir den Vortritt. Nachdem die Empfangsdame dich eingecheckt und dir deine Zimmerkarte ausgehändigt hat, machst du einen Schritt auf mich zu. „Danke nochmal.“
„Keine Ursache. Pass gut auf dich auf.“
„Mach ich. Und viel Erfolg mit deinem Bruder.“
Ich nicke dir zu und deine Wangen nehmen wieder einen leichten Rotton an. Dann drehst du dich um und steuerst mit der Reisetasche in der Hand den Lift an.
Du steigst in den Aufzug und siehst noch einmal zu mir herüber bevor sich die Türen schließen und die einzige schöne Ablenkung an diesem Tag beenden.
Mit einem Herzschlag, der dem beim Hochleistungssport gleichkommt, eile ich über den Flur. Mein Puls beruhigt sich erst, als ich die Hotelzimmertür hinter mir schließe. Blind ertaste ich mit den Fingern neben der Garderobe direkt am Eingang den Lichtschalter. Der Raum ist dunkel, denn durch die Fenster scheint zu so später Stunde nur das fahle Mondlicht, das hin und wieder zwischen den dichten Wolken hindurchscheint.
Ein Klicken und kurz darauf erhellt sich der Raum. Geblendet kneife ich die Augen zusammen und muss ein paar Mal blinzeln, bevor ich mich im Zimmer umsehen kann.
Am Fenster steht ein gemütliches Bett, dem gegenüber an der Wand hängt ein kleiner Fernseher, vor mir finde ich einen schlichten Tisch mit einem Stuhl und links von mir entdecke ich eine weitere Tür, die zum Bad führen muss. Klein, aber völlig ausreichend. Nachdem ich durch die Badezimmertür gespäht habe, um mich zu versichern, allein im Zimmer zu sein, halte ich auf das Bett zu und lege die Reisetasche darauf ab. Eine Tasche mit meinem wichtigsten Hab und Gut, von dem ich ein paar Dinge im Tresor neben der Garderobe einschließen sollte. Doch zuvor will ich die Vorhänge des großen Fensters zuziehen, von denen aus man die hell erleuchtete Stadt betrachten kann. Ein wunderschöner Ausblick, den ich heute leider nicht genießen kann.
Aus der Tasche krame ich nach dem Portemonnaie mit meinem Ausweis und einem kleinen Vermögen an Bargeld und schließe es im Tresor ein. Den Schlüssel dafür stecke ich mir in den BH. Ich weiß, dass es keine sonderlich gute Idee ist, mit so viel Bargeld herumzulaufen, aber jede Kreditkartenbewegung würde Vater sofort auf meinen Standort aufmerksam machen.
Monatelang habe ich mich auf diesen Tag vorbereitet. Geplant, was in meine Tasche kommt, mit welchen Verkehrsmitteln ich mich fortbewegen darf und klamm heimlich ein fast perfektes Französisch gelernt. Ich möchte niemandem als offensichtliche Ausländerin auffallen, der sich deswegen bei einer Befragung durch meinen Vater oder seine Leute an mich erinnern könnte.
Auf dem Weg vom Tresor zurück zum Bett lege ich meine Hände in den Nacken und spüre, wie verspannt ich bin. Ein Bad könnte helfen. Oana lässt mir auch immer ein Bad ein, damit ich entspannen kann. Zum Glück gibt es hier eines und nicht nur eine Dusche.
Ich schalte das Licht im Bad ein und drehe den Wasserhahn der Whirlpoolbadewanne auf. Am Rand der Wanne liegen neben zwei großen Kerzen einige Badekugeln in verschiedenen Duftrichtungen. Nicht schlecht – das gefällt mir. Ich stelle das Wasser an und greife nach der Kugel, die nach Vanille riecht. Ich entferne das Papier und sehe kurz dabei zu, wie sie sich im Wasser aufzulösen beginnt. Schon als Kind habe ich Badekugeln geliebt.
In der Zwischenzeit, in der die Wanne weiter vollläuft, lege ich mir frische Kleidung aus meiner Tasche auf dem Bett zurecht. Dabei überlege ich, später vielleicht noch runter an die Hotelbar zu gehen, denn eigentlich möchte ich nicht alleine sein. Allerdings erscheint mir das als zu gefährlich. Die beklemmende Stille in meinem Zimmer macht mich wahnsinnig.
Schnell suche ich nach der Fernbedienung und schalte im TV einen Musiksender an. Schon besser.
Während ich zur Musik mit dem Kopf mitgehe, tänzele ich ins Bad, um nach der Wanne zu schauen. Sie ist fast vollgelaufen. Am Rand stehen Badebomben bereit, von denen ich mir eine in Pink greife und im Badewasser versenke. Zufrieden sehe ich dabei zu, wie sie sich aufsprudelnd im Wasser zersetzt, und entledige mich meiner Kleidung.
Als ich in die Wanne steige und knisternder, nach Vanille duftender Schaum mich umgibt, spüre ich, wie ein großer Teil der Anspannung, die ich den ganzen Tag mit mir herumgetragen habe, von mir abfällt. Ich schließe die Augen und verspüre zum ersten Mal ein Gefühl von Freiheit.
Wahrscheinlich sucht man mich längst. Vater und Balász werden jeden Stein nach mir umdrehen. Sie haben ja absolut keine Ahnung, dass ich bereits sehr lange vorhatte wegzulaufen. Und schon mal gar nicht wohin. Ich könnte überall sein. Ich erinnere mich noch genau an den Tag vor einem dreiviertel Jahr, als ich durch Zufall ein Telefongespräch von Vater aufgeschnappt und von der arrangierten Hochzeit mit diesem Widerling Balász erfahren habe. Noch am gleichen Abend stand mein Fluchtplan fest. Ich habe mir ein Ziel ausgesucht und jeden Abend im Bett mit Hilfe einer App auf meinem Smartphone die französische Sprache gelernt. Mein Zugticket nach Frankreich habe ich am Bahnhof gekauft und von dem Bargeld bezahlt, das ich mir heimlich angespart habe. Alle Spuren sind verwischt. Damit allerdings die Polizei nicht nach mir sucht, habe ich Vater einen Abschiedsbrief auf mein Kopfkissen gelegt. Darin steht, dass ich alt genug bin und mich deswegen aus freien Stücken entschieden habe von zuhause fortzugehen und ausdrücklich nicht möchte, dass man nach mir sucht und ich nicht vorhabe, zurückzukommen. Das werde ich niemals. Keine zehn Pferde können mich dazu bringen, die Villa meines Vaters jemals wieder zu betreten. Das prächtige Anwesen, das von außen wie ein Palast wirkt, von innen aber nichts als ein schön dekoriertes Gefängnis ist. Zumindest für mich.
„Jetzt bin ich frei. Endlich frei“, murmele ich und höre dem seichten Plätschern des Wassers zu, während ich mit den Armen rudere, als würde ich schwimmen. Ich lasse mich tragen, schwerelos und frei wie ein Vogel.
Eine ganze Stunde verbringe ich in der Wanne und stelle schmunzelnd fest, dass meine Finger schon ganz verschrumpelt sind. Ich hülle meinen Körper in den kuscheligen, weißen Hotelbademantel, während das Wasser gluckernd abläuft, und schminke mich vor dem großen Spiegel. Eigentlich könnte ich den Abend auch ungeschminkt verbringen, aber sollte ich doch überraschend aufbrechen müssen, möchte ich nicht, dass man mir den Schlafmangel der letzten Nacht ansieht. Vor Sorge habe ich mal wieder kein Auge zugetan. Ich muss unauffällig auftreten. Jedes auffällige Detail – und das könnten auch die dunklen Schatten unter meinen Augen sein – könnten mich auffällig erscheinen lassen. Als das Make-up sitzt, föhne ich mein kakaobraunes Haar. Ich denke, ich werde mir noch etwas zu trinken aufs Zimmer bestellen, denn nach dem ganzen Stress schreit meine Kehle nach etwas Hochprozentigem. Ohne zu zögern, greife ich nach dem Telefon und bestelle eine Flasche Wodka, die ich bar bezahlen werde. Bloß keine Spuren hinterlassen. Ich mache es mir auf dem Bett gemütlich und starre erschöpft die Zimmerdecke an. Tausende Gedanken schwirren durch meinen Kopf. Ob Vater schon Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hat, um nach mir zu suchen? Was er mit mir anstellen wird, wenn er mich hier aufgabelt? Schnell schlage ich meine Hände vor das Gesicht. Ich will es lieber gar nicht wissen. Das Ticken der Uhr erscheint mir endlos und fast einschläfernd. Hat man mich vergessen? Vielleicht sollte ich doch den Weg zur Hotelbar wagen. Vermuten wird mich dort ohnehin niemand, denn ich glaube kaum, dass mir jemand von Vaters oder Balász’ Leuten bis nach Südfrankreich gefolgt ist. Es ist ein gewagter Gedanke, doch ich lasse ihn siegen und steige in ein schwarzes Abendkleid. Nicht die optimale Wahl für eine Flüchtige, aber in Anbetracht dessen, dass ich im Mercure nicht auffallen möchte, genau richtig. Es mir für eine Stunde an der Hotelbar gemütlich machen, erscheint mir als eine gute Alternative, denn die Einsamkeit hier oben erdrückt mich. Ich muss unter Leute, etwas vom Flair der Stadt mitbekommen, um bei Laune zu bleiben und meinen Plan nicht zu verwerfen. Ich will feiern, was ich erreicht habe, denn endlich habe ich mich aus dem goldenen Käfig befreit. Meine Mutter wäre stolz auf mich – und wo immer sie jetzt auch ist, ich werde in Gedanken mit ihr anstoßen. Allerdings werde ich das nicht draußen in der Stadt tun, sondern lieber ruhig an der Bar feiern. Das ist sicherer für eine Frau, die allein unterwegs ist.
Ich steige in meine Louboutins, stecke den Tresorschlüssel wieder in meinen BH und verlasse mit einer Clutch mit etwas Bargeld und der Zimmerkarte die Räumlichkeiten.
Im menschenleeren Flur liegt ein roter Teppich aus, der zu den Aufzügen führt. Ich befinde mich im dritten Stock, sonst hätte ich sicher die Treppe genommen. Vor dem Lift bleibe ich stehen und drücke den Knopf. Es dauert keine drei Minuten, bis ich den leeren Aufzug besteige und nach unten ins Erdgeschoss fahre. Die Bar befindet sich in der Nähe des Eingangsbereiches. Unvermittelt muss ich ans Einchecken denken und bin immer noch froh, dass mich Léron vor diesem Skinhead gerettet hat. Das war wirklich sehr knapp gewesen. Der Dreckskerl hätte mich ganz sicher ausgeraubt und vergewaltigt. Ich habe in seinem Blick genau gesehen, worauf er aus war.
Die große Uhr im Flur zeigt kurz vor Mitternacht an. Es halten sich kaum noch Gäste hier unten auf. An der Bar sieht es ähnlich aus, stelle ich fest, als ich sie durch eine gläserne Tür betrete.
Leise Jazzmusik erklingt aus den kleinen Lautsprechern an der Wand und ich bin heilfroh, dass das Rauchen hier verboten ist. Zuhause wird in beinahe jedem Raum gequalmt. Kurioserweise fühle ich mich in dieser fremden Stadt gar nicht so verloren, wie ich es eigentlich bin. Immerhin kenne ich keine Menschenseele und bin ziemlich weit von zu Hause weg. Doch das alles macht mir nichts aus. Es ist das Gefühl von Freiheit, das mich auf Wolken trägt und für den heutigen Abend ist es wirklich ein wahrer Grund zum Feiern.
Ich traue meinen Augen kaum als ich die Bar betrete, um diesen anstrengenden Tag, von dem ich einen Teil gern aus meinem Leben streichen möchte, mit einer ordentlichen Portion Wodka herunterzuspülen. Den Whisky aus der Minibar auf meinem Zimmer habe ich mir schon genehmigt. Offenbar habe ich einen guten Zeitpunkt gewählt, denn du scheinst die gleichen Absichten zu haben. Mein Handy habe ich auf dem Zimmer gelassen. Jérome hat heute drei Mal angerufen, was nichts anderes bedeutet, als dass er einen neuen Auftrag auf mich abwälzen will, dem niemand sonst aus dem Team gewachsen ist. Aber nicht mit mir. Nicht heute – nicht nach diesem Tag.
Ganz langsam lasse ich die Glastür hinter mir ins Schloss gleiten und sehe mich in der Bar um, bevor ich auf den Tresen zugehe, an dem du stehst.
Dein kakaobraunes Haar fällt dir glatt über die Schultern und das schwarze Abendkleid, das du trägst, ist zugegeben ein echter Blickfang. Zumindest für mich, denn hinter der harten Fassade steckt auch nur ein Mann. Das Kleid betont deine Kurven, ist angemessen für ein Etablissement wie dieses – auch ich bin in Anzughose, Hemd und Sakko hier – gleichzeitig ist es nicht zu auffällig, du willst schließlich nicht angestarrt werden. Du bist auch nicht hier, um anderen Männern aufzufallen, sondern, weil du offenbar etwas zu feiern hast. Sonst hättest du dir den Champagner nicht bestellt, den der Mann hinter der Theke dir gerade hinstellt. Die Frage ist nur, was dich so zufrieden macht, denn deine Züge wirken, als könne dir in diesem Augenblick niemand den Boden unter den Füßen wegreißen. Ganz im Gegensatz zu unserem Treffen vor ein paar Stunden.
Ich stelle mich einige Meter von dir entfernt an die Bar, um zu bestellen, und gebe vor, dich noch nicht bemerkt zu haben.
„Schlaflos in Marseille, was?“ Deine Stimme ist sanft und du klingst erleichtert.
„Noch eine Gemeinsamkeit“, sage ich reserviert und wende dann erst den Kopf zu dir. Du bist mir nicht geheuer, weil ich dich nicht genau einzuschätzen weiß. Eine Situation nicht zu beherrschen, ist keine Option für mich. Allerdings erhellt dein Lächeln mein Gemüt im Nu, denn du scheinst dich wirklich zu freuen, mich zu sehen.
„Komm doch rüber, dann stoßen wir an.“
Kurz zögere ich, weil es nicht meine Art ist, mich von Frauen zu sich beordern zu lassen und mit ihnen Champagner zu trinken. Lieber mache ich es mir mit einer Flasche Whiskey in einer ruhigen Ecke gemütlich und saufe mir die Rübe weg, bis ich jeglichen Scheiß meines Lebens vergessen kann. Was das betrifft, sind wir vom GIGN alle gleich. Wir ertränken unsere Gefühle, denn die sind es, die uns verwundbar machen. Eigentlich sollte ich ablehnen. In meiner Verfassung bin ich kein guter Gesprächspartner. Außerdem liegt mir Small Talk nicht. Doch weil ich immer noch nicht herausgefunden habe, wer du eigentlich bist und mich das auf heimtückische Art und Weise wie ein Magnet anzieht, stelle ich mich zu dir.
Deine Augen funkeln geheimnisvoll, als ich mich zu dir auf einen der Barhocker setze, sodass mir jegliche Konzentration auf etwas anderes schwerfällt. Wahrscheinlich ist es der nicht unerheblichen Menge Alkohol geschuldet, die bereits durch meine Blutbahn rauscht. Ich will mehr von deinem Strahlen, denn es bringt an diesem Abend ein wenig Licht in mein dunkles Herz. Dieses Gefühl ist befremdlich und zugleich faszinierend. Wenn ich bisher eine Frau in meine Nähe gelassen habe, war es gegen Bezahlung und sofort wieder vorbei, sobald sie mir Erleichterung verschafft hat. Es gab die letzten Jahre nur Nutten oder Tänzerinnen in meinem Leben. Aber so eine Frau bist du nicht. Die Bedienung stellt ein Glas Champagner vor mich auf den Tresen.
Grazil umfassen deine schlanken Finger den Stiel und halten das Glas nach oben. Aufgrund kleinen Details wie diesen schließe ich, dass du aus gutem Hause stammst, was die Qualität vom Stoff deines Kleides noch untermauert. „Auf dich und deinen Bruder.“
„Auf dich und einen schönen Urlaub.“ Verhalten lasse ich mein Glas gegen deines klirren und kippe die prickelnde Brause nach unten. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal so ein Schickimickigetränk intus hatte. Schmeckt gar nicht so übel.
„Und wohin geht es für dich weiter oder ist mit Marseille dein Ziel schon erreicht?“, wage ich es, dich zu fragen. Berufskrankheit. Sie kommt immer wieder durch. Verhöre gehören zu meinem täglichen Brot.
Du wölbst eine Braue und trinkst einen großen Schluck. Eine Übersprunghandlung, die dir Zeit zum Überlegen verschafft. Hab ich zu viel riskiert oder lassen sich dir mit Hilfe von Alkohol doch noch ein paar Informationen entlocken? Ich kann einfach nicht nachgeben, wenn ich nicht da angelangt bin, wo ich hinwill. Und wenn ich Informationen möchte, dann bekomme ich sie.
Auch ich setze das Glas an meine Lippen, um dir, ganz Gentleman, den ich in Perfektion mime, noch etwas mehr Überlegungszeit einzuräumen.
„Na ja, wenn ich es mir recht überlege… Marseille ist eine schöne Stadt und auf jeden Fall einen Zwischenstopp wert, aber ich denke, morgen geht es auch für mich weiter.“ Du blickst auf die Wanduhr und begegnest den Zeigern, die bereits warnend die Mitte der Nacht verkünden, mit einem Lächeln. „Allerdings werde ich meine Reise wohl nicht ganz so früh fortsetzen können.“
„Mhm.“ Nickend stimme ich dir zu und trinke mein Glas aus. „Wir sollten schlafen gehen. Ich kann nicht verantworten, dass du deinen Anschlusszug oder was auch immer verpasst.“ Mahnend deute ich auf den Rest deines Champagners.
Entzückt von meinem Verständnis lächelst du und leerst dein Glas. „Wir sollten schlafen gehen?“, wiederholst du grinsend meine Worte und verwendest einen eigentümlichen Tonfall, der alles in einem ganz anderen Kontext darstellt.
„Du bei dir und ich bei mir … du weißt schon“, stelle ich klar und ziehe leicht die Mundwinkel nach oben.
„Soso.“ Deine Augen glitzern verschwörerisch, doch es kann auch Einbildung meinerseits sein. Glaub bloß nicht, dass ich Hand an dich lege. Für meine rauen Bedürfnisse bist du viel zu zerbrechlich.
„Setzen Sie es auf meine Rechnung“, sage ich, bevor du auf die Idee kommst auch nur einen Cent auszugeben. Zwar bin ich ein harter Kerl – nicht nur äußerlich – ich habe Menschen sterben sehen, aber in mir steckt immer noch ein Gentleman mit Manieren. Diese Werte hat meine Mutter mir beigebracht und nur, weil sie tot ist, werde ich nicht damit aufhören.
„Danke, aber das wäre nicht nötig gewesen.“
Deine Aussage ignorierend wende ich mich vom Tresen ab und warte, dass du mir folgst.
Wir gehen zusammen durch das große Foyer, in dem jeder deiner Schritte hallt wie in einer Kirche. Ladylike stolzierst du mit deinen High Heels neben mir, die mich tierisch anmachen. Vor dem Aufzug bleiben wir stehen und es dauert keine Minute, bis sich dessen Türen öffnen.
Wir steigen in den leeren Lift.
Du drückst die Drei, die auch meine Etage ist.
„Zimmer 112“, erwähne ich beiläufig und beobachte genau, wie du fahrig mit den Händen über dein Kleid streichst. Mache ich dich etwa nervös, wenn wir beide alleine sind? Das sollte es auch, denn du reizt mich.
„118.“ Du siehst zu mir auf, nachdem die Türen sich geschlossen und uns in lockende Zweisamkeit gesperrt haben.
Du schweigst und siehst zwischen den Knöpfen des Lifts immer wieder zu mir herüber. Dabei flammen die jadegrünen Sprenkel in deinen Iriden sinnlich auf und beflügeln meine Phantasie. Plötzlich mache ich mir Gedanken darüber, wie weich sich deine Haut und wie leidenschaftlich sich deine Küsse anfühlen würden. Was passiert da gerade in meinem Kopf? Bisher war der Gedanke an Sex nichts weiter als die Erinnerung an meine düsteren Bedürfnisse. Sex ist für mich kein Akt der Liebe, sondern ein ursprüngliches, raues Entladen des Drucks, der stets auf mir lastet. Durch das viele Leid und die Gewalt, die zur täglichen Realität meines Berufes gehören, bin ich abgestumpft. Für eine Beziehung habe ich ohnehin keine Zeit und keine Nerven. Daher greife ich lieber auf professionelle Dienste zurück. Die Nutten, die ich normalerweise zur Befriedigung meiner Bedürfnisse aufsuche, ficke ich hart und schnell. Aber du, Yulia, du löst Begehren in mir aus. Ich will mehr von dir: Dich spüren und besitzen.
In die Stille, die folgt, schleicht sich ein leises Flüstern. Eines, das mich mit Engelszungen dazu bewegt, meine Hand an deinen unteren Rücken zu legen und dich mit einem Ruck zu mir zu ziehen. In meine Nase dringt dein betörender Geruch von Madonnen-Lilie und Pfingstrose, der eine Mischung von Unschuld und Sünde ist.
Das Feuer in deinen Augen lodert auf, du greifst mit der Hand nach meinem Nacken und ziehst mich zu dir herunter, um mir stürmisch deine vollen Lippen auf meine zu legen.
Meine letzte Freundin liegt schon Jahre zurück und Nutten küsse ich nicht. Dich zu kosten, übertrifft alles, was ich bis dato erlebt habe. Mein Herz krampft und droht wie eine Granate zu zerspringen, wenn ich diese Art von Zärtlichkeiten weiter zulasse.
Ich sollte mir nicht erlauben, dass wir uns auf diese Art und Weise begegnen, aber ich bin wie gelähmt. Mich gegen all die Liebe, Sehnsucht und die brennende Leidenschaft zu wehren, die mit jedem deiner Küsse auf mich übergehen, ist mir nicht möglich, da ich viel zu sehr damit beschäftigt bin, mit dieser Magie, die du aussendest, umzugehen.
Du bist wie der Kuss einer Madonnen-Lilie, du sendest Impulse aus, die das Blut in meinen Venen kristallisieren und schließlich in einer Explosion zerspringen lässt.
„Léron“, raunst du mir meinen Namen ins Ohr, wie es seit Ewigkeiten keine Frau getan hat.
Die Tür des Lifts öffnet, wir stolpern rückwärtsgehend heraus, indessen ich einhändig nach der Zimmerkarte in meiner Hosentasche wühle.
Ich stecke sie in die dafür vorgesehene Öffnung, während du nicht von mir ablässt. Mit einem Klick springt die Tür auf und ich mache dem Biest in mir Platz, das du mit einem Kuss aus der Dunkelheit hervorgelockt hast. Der Alkohol macht sich bemerkbar, denn ich kann kaum noch klar denken.
Mit gierigem Blick knöpfst du mein Hemd auf und vergräbst deine Finger darunter, um es mir über die Schultern zu streifen.
Meine breite, trainierte Brust scheint dir zu gefallen, so begierig wie du mich ansiehst, als du dich schließlich von meinen Lippen löst.
Einen kurzen Augenblick sehen wir einander einfach nur an. Hinter dem lodernden Feuer entdecke ich tiefe Traurigkeit in deinen Augen und plötzlich habe ich es verstanden. Dass du nicht auf dem Weg in den Urlaub bist, habe ich dir ohnehin nicht abgekauft. Du läufst vor jemandem davon. Vor irgendwem, der eine viel größere Bedrohung für dich darstellt, als ich es in dieser Nacht je sein könnte. Deshalb sehnst du dich nach meinen starken Armen und nach Ablenkung. Du brauchst den Sex, um alles Schlechte zu verdrängen, was dir den ganzen Tag im Kopf herumgespukt ist. Genau wie ich.
In Lérons Armen liegend, steht mein Körper in Flammen. Er hat mich zum Bett getragen und ich spüre, dass auch er diese Nähe braucht. Ich möchte heute Nacht nicht allein sein.
Der Champagner benebelt meine Sinne, doch nicht genug, um die ständige Gefahr auszublenden, die mir in Form von Balász und meinem Vater auf den Fersen ist.
Léron hat die Träger meines Kleides heruntergeschoben und zieht es langsam nach unten über meine Beine, bis er es schließlich in eine Ecke neben dem Bett pfeffert und ich nur noch in Dessous unter ihm liege.
Er lässt den Blick über meinen Körper schweifen und vergräbt schließlich die Nase in meinem Nacken. „Gott, bist du schön“, raunt er mir ins Ohr. Seine Stimme ist so einnehmend und tief, dass sich mir alle Härchen meines Körpers aufstellen. Ich werfe den Kopf in den Nacken, sodass ich tief im weichen Kissen versinke, als er meinen Hals abwärts küsst. Seine Lippen legen sich fest und gierig auf meinen Körper, sodass ich mit jeder seiner Berührungen erschaudere.
Während er mich weiter abwärts küsst, öffnet er gekonnt den Häkchenverschluss meines BHs und zieht ihn mir aus. Meine Brüste knetend hat sein Mund meinen Bauchnabel erreicht, den er mit seiner rauen Zunge erforscht. Dann löst er seine Hände von mir und entledigt mich meines Slips. Kaum habe ich das realisiert, spüre ich seine Zunge an meiner Perle. Jesus! Dieser Mann weiß, was und wie er es tut.
Ich keuche auf und wölbe ihm meinen Körper entgegen. Mit zwei Fingern berührt er quälend-süß meine Klit und entlockt mir ein sinnliches Stöhnen. Ich vergrabe meine Hände in seinen Haaren, knete sie und konzentriere mich darauf, nicht sofort zu kommen.
Léron weiß genau, wie ich es brauche und wie er mich mit seiner Zunge in den Wahnsinn treibt.
Kurz bevor sich alles in mir zusammenzieht, taucht er zwischen meinen Beinen auf und schiebt seine Hose nach unten.
Ich kralle die Finger in seinen Rücken, als er mit seinem Gesicht wieder über meinem ist, und drücke ihn an mich. Eine Hand löse ich von ihm, um ihm in den Nacken zu greifen. Ich liebe sein mittellanges, dunkelbraunes Haar.
Seine Augen haben sich verfinstert. Er zögert einen Augenblick und zieht die Winkel seines Mundes leicht nach oben. In Lérons Blick liegt etwas Diabolisches, das meine Lust noch weiter anfacht.
Ich bin fasziniert von ihm und will augenblicklich mehr. Deshalb kann ich dem Drang nicht widerstehen, sein Gesicht zu meinem zu ziehen.
Er legt mir eine Hand in den Nacken und hält mich damit fest in seinem Griff. Léron küsst mich hart und unersättlich, während er mich mit seiner Härte auszufüllen beginnt.
Erschrocken halte ich die Luft an, da ich mit dieser Größe nicht gerechnet habe. Nun ist mir klar, warum er auf das Vorspiel bestanden hat. Anders hätte ich ihn vermutlich nicht so schnell in mir aufnehmen können. Ich keuche heftig auf, als er nach wenigen Stößen ganz in mir ist und wir in einer Symbiose verschmelzen. Der Sex ist hart und unerbittlich – aber der Beste, den ich je hatte. Er hat mein Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen genommen, küsst mich unaufhörlich und gierig, während er mich vögelt wie ein Gott. Ein ziemlich dunkler Gott. Mit jeder Faser meines Körpers spüre ich, dass in ihm mindestens genauso viel Leid wie in mir steckt. Wir vögeln nicht der Liebe wegen. Sondern weil wir uns begehren und einander vom Schmerz befreien.
Unter diesem wunderschönen Adonis liegend, kann ich mich nicht lange gegen die Welle wehren, die sich in mir anbahnt und mich mit jedem nächsten Stoß zu überrollen droht. Ich kralle meine Hände in seine Schulter und schließe die Augen, während er das Tempo steigert. Ich schreie seinen Namen, als meine Pussy kontrahiert und ich Léron erliege. Spürend wie mich seine Blicke befriedigt durchbohren, versuche ich wieder Herrin meiner Sinne zu werden.
Er lächelt düster als ich wieder zu ihm aufschaue und gibt mir den Rest. Schwer atmend bewegt er sich über mir, kommt wild und tief. Ein animalischer Laut entfährt seiner Kehle und geht mir durch Mark und Bein. Seine Härte pulsiert in mir und ich sehe die Erleichterung, als er den Kopf in den Nacken legt, die Augen schließt und dankbar lächelt.
Alles um mich herum fühlt sich wie in Trance an. Ist das real oder bloß ein Traum? Ist der schöne Mann, der mich aus seinen Fängen entlässt, nichts weiter als eine Einbildung? Ich schließe die Augen, um in die Realität zurückzufinden, doch als ich sie öffne, ist er weg.
Suchend blicke ich mich um und begreife die Situation, als das Duschwasser läuft. Lächelnd schüttele ich den Kopf und rolle mit den Augen. Mit gemischten Gefühlen und einer pochenden Klit klettere ich aus Lérons Bett. Es ist okay. Wir sind einander nicht zu einem Gute-Nacht-Kuss verpflichtet. Meine Beine sind zittrig und die Knie weich, als ich in mein Kleid steige. Es fühlt sich so befremdlich an, denn mein Körper steht immer noch in Flammen – an jeder Stelle, an der Léron mich berührt hat.
Ich fühle mich restlos frei. Die Louboutins finden nicht mehr an meine Füße zurück. Ich werde sie lieber mit den Händen, statt an den Füßen tragen, denn für die sieben Zentimeter habe ich eindeutig zu viel getrunken. Erleichtert und zufrieden werfe ich einen letzten Blick auf das Bett mit den zerwühlten Laken und atme die von heißem Sex geschwängerte Luft ein, bevor ich leise und ohne ein Wort des Abschiedes das Zimmer verlasse.