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»Nach der Musik die Stille. Kein Gefühl für Zeit, im Dunkeln wartend, gefesselt vor Publikum. Geraune und Getuschel, mehr vernahm ich nicht. Ich kam mir nicht nur entblößt vor, ich war es. Jeden Blick, der auf mich gerichtet war, meinte ich zu spüren. Das, was es zu sehen gab, war nur ich.« 5 Geschichten aus dem Herzen der hedonistischen Cocktailbar. Nach »Hinter dem Schmerz nichts als Romantik« taucht Gilbert Bach seine Kurzgeschichten erneut in alle schillernden Farben des Cuckoldings. Menschliche Begegnungen, unkonventionelle Liebe, schrankenlose Erotik. Eine candaulistische Feier des Lebens. Enthält explizite, direkte Sprache. Bitte Vorwort beachten.
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Seitenzahl: 105
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Für A.Einzigartige!
Wenn der Unselige, der mich gestern besucht hat, ein Mann, dessen Geliebte es mit einem andern versucht, wenn er ganz sicher sein könnte, daß die Gespräche eines andern, die Küsse eines andern, die zärtlichen Einfälle eines andern, die Umarmung eines andern niemals an die seinen heranreichen, wäre er nicht etwas gelassener?
Eifersucht als Angst vor dem Vergleich.
Max Frisch. Tagebuch 1946 - 1949
27 Minuten
3 Stunden
8 Tage
5 Wochen
4 Monate
Über den Autor
Liebe Leserin, lieber Leser,
dieser Kurzgeschichtenband ist darauf ausgelegt, Sie zu unterhalten. Außer Ihrem Vergnügen hatte der Autor nichts im Sinn. Damit dies aber auch gelingen kann, müssen Sie jetzt, genau an dieser Stelle, erfahren, was Sie erwartet. Es ist ein explizites Buch. Die Sprache ist offen, deutlich und direkt.
Ich muss Sie daher höflich bitten, seien Sie in jeder Hinsicht erwachsen, wenn Sie sich auf diese Geschichten einlassen wollen.
Die Figuren dieser Erzählung handeln immer und zu jeder Zeit safe, sane and consensual. Jegliche Beschreibung von Sexualität ist im wärmsten Sinne einem Lifestyle gewidmet, der für einige ungewöhnlich, für andere aber besonders reizvoll erscheint. Cuckolding ist ein in allen schillernden Farben des Begehrens leuchtendes Miteinander von Liebenden. Alle wissen, worauf sie sich einlassen. Mitunter wird es ambivalent, dennoch werden keine persönlichen Grenzen überschritten, kein Zwang erlebt, niemals Gewalt verübt.
Sie müssen sich dieser Neigung nicht unmittelbar selbst verschrieben haben, um erleben zu können, wie aufregend die Reise sinnlich begabter, hedonistisch-offener Menschen sein kann. Haben Sie Spaß! Nur das will der Text.
Lina wartete seit fast einer halben Stunde auf der samtbezogenen Sitzbank im hinteren Teil des Cafés. Mir kam sie unruhig vor, ungehalten, bereit, wieder zu gehen. Ich hatte erwartet, dass sie nach spätestens zehn Minuten zu mir nach vorne an die Theke kam, um mich zu bitten, sie nach Hause zu fahren. Aber kein Zeichen von ihr. Sie blieb auf ihrem Platz. Zu diesem Zeitpunkt unserer Ehe hatten wir eine gewisse Routine in abgesagten Verabredungen, First-Dates-Enttäuschungen und allerlei ernüchternden Begegnungen. Sobald Datingapps im Spiel waren, musste man damit rechnen, versetzt zu werden. Ich stellte mich also auf einen Abend mit Pizza und dem langsamen Wegdösen vor irgendeiner True-Crime-Serie ein, ihren Kopf in meinem Schoß, das blonde Haar zwischen meinen Fingern, ihr süßer Duft in meiner Nase. Eheglück auf die konventionelle Art. Keine besonderen Vorkommnisse. Außer dass man die Täter eines bestialischen Mordes in Kufstein am Inn oder die dreisten Bankräuber aus Norderstedt bis heute nicht fassen konnte, wie uns die weiße Schrift auf schwarzem Grund vor dem Abspann und unserem endgültigen Zubettgehen dramatisch verkünden würde. Doch zunächst bestellte ich einen Nachtisch. Auch weil ich glaubte, Männer an Theken aßen keine Hauptgerichte. Sie tranken schwarzen Kaffee, rauchten. Und genossen Schoko-Tarte mit flüssigem Kern. Im Hintergrund lief »To Agalma«, heimatliche Klänge für die Besitzerin des französisch eingerichteten Kaffeehauses mit internationaler Bistroküche. Sofi kam aus Thessaloniki und liebte Paris. Ihr kleiner Laden in Derendorf war seit zehn Jahren fester Bestandteil einer lebendigen Stadtteilszene, zu der auch Lina und ich gehörten. Unsere Wohnung im vierten Stock eines kernsanierten Altbaus lag nur zwei Straßen entfernt. »Kommt er nicht?« Sie reichte mir den Kuchen über die Theke und fuhr fort: »Soll ich mich mit einem Cremant zu ihr setzen und einen neuen Typen aussuchen?« Ihr Zwinkern dabei so verführerisch, dass mein Herz direkt schneller schlug. Ich versuchte mich in abgeklärter Haltung. Nicht sicher, ob wenigstens das gelang. »Nein, lass mal. Ich schätze, wir gehen gleich.« Sofi kannte uns gut. Und sie wusste, was ablief, wenn ich an der Theke saß und Lina im hinteren Teil des Cafés. »Irgendwann will ich zusehen, wie du zusehen musst. Aber ich komm ja hier nie raus.« »Ich stehe viel zu sehr auf dich, als dass ich das zuließe, du sanfte Göttin.« Sofi lachte laut, schloss kurz die Augen, zustimmend, und wandte sich zwei jungen Männern zu. Sie wusste, dass ich die Wahrheit sagte.
*
Die Hand auf meiner Schulter hatte ich nicht erwartet. Groß, warm, mit sanftem Druck. Ich aß meine Tarte und hatte die Eingangstür nicht im Blick. Jetzt stand er hinter mir, und berührte mich lange, wie einen alten Freund. »Du musst Felix sein. Schokokuchen? Dein Ernst?« Ich verschluckte mich und hustete nur mit größter Mühe keine Essensreste durch den Raum. Dafür sorgte ich mich sofort, ob noch Reste von Schokolade auf meinen Zähnen zu sehen waren. Seine Hand blieb unerschrocken auf meiner Schulter. »Das Bäuerchen kommt meist erst nach dem Essen, mein Lieber. Darf ich mich setzen?« Ich nickte mit hochrotem Kopf. Mein Blick zu Lina. Sie beobachtete uns sichtlich vergnügt. Und winkte mit einer derart frivolen Geste, dass ich mich fragte, ob man mit den Fingern klimpern kann, wenn die Augen es vormachten. Ihr Gruß galt meinem Sitznachbarn, sein Lächeln, die erhobene Hand, alles Ouvertüre zu meinem Erstaunen. »Hi, ich bin David. Sicher wirst du erlauben, dass ich deiner Frau kurz Hallo sage, bevor ich Platz nehme, nicht wahr?« Ohne meine Antwort abzuwarten, war er schon auf dem Weg zu ihr. Seinen Duft ließ er bei mir. Nicht aufdringlich, aber maskulin, frisch geduschte Selbstsicherheit als olfaktorischer Gruß an den Ehemann. Beeindruckend ab der ersten Minute. David. Hier ging er, in langsamen Schritten, aber schnell genug. In lässiger Haltung, aber nicht unkontrolliert. In stattlicher Größe, gerade recht. Sein blauer Anzug souverän, nicht elitär. Das schwarze Haar voll, auch von hinten. »Was für ein schöner und eleganter Mann!« Sofi räumte meinen Kuchen ab und blickte mit mir den Raum hinunter. »Ach, die kennen sich! Ich dachte, ihr hättet heute wieder ein Blinddate.« Wir beobachteten ihre vertraute Umarmung, sein zärtliches Streichen über ihren Kopf, nach dem Kuss und dem kleinen Wortwechsel. Seine Hand auch auf ihrer Schulter, so, als habe er sie runtergedrückt, als habe er ihr bedeutet: »Setz dich wieder!« Jedenfalls sank sie auf die Bank, gleich einer Novizin, die das erste Mal vor ihrem Herrn knien darf. Ich kannte ihr Gesicht, wenn sie aufgeregt und erregt zugleich war, erwartungsvoll, bereit, zu folgen. Lina saß wieder, wie schon seit fast einer Stunde, David war auf dem Weg zurück zu mir.
*
»Trägst du einen Cage?« Er rauchte dabei seine erste Zigarette. Sofi, die ihm seinen Tom Collins direkt vor uns zubereitete, machte große Augen. David lächelte. Und erklärte es ihr, als hätte ich nicht direkt neben ihm gesessen. »Das ist ein Peniskäfig. Man verschließt da unten alles. So wird aus dem symbolischen Nicht-Dürfen ein praktisches Nicht-Können.« Ich wendete mich Lina zu, suchte ihren Blick über die Distanz, auch um dieser unangenehmen Nähe zu entgehen. Sie nickte mir zu. Mein fragendes Gesicht, nichts anderes konnte ich hinterlassen, quittierte sie mit einer Geste, die nur eines bedeuten konnte: »Dreh dich zu ihm um, lass es geschehen.« Ich seufzte. Und bedankte mich bei Sofi für Davids Getränk. An seiner statt.
Übersprungshandlung, mein Redeanteil: Höflichkeit. David grinste. »Good Boy!« Ich war geliefert. Diese Dynamik hatte ich nicht kommen sehen. »Also, trägst du einen?« »Nein.« Er trank, wir schwiegen. Um uns herum fröhliche Betriebsamkeit. Mir kam es vor, als ob uns alle beobachteten. Wahrscheinlich machten sie nur ihr Ding, hatten Spaß, ein Feierabendbier hier, ein abendlicher Snack dort. Dennoch fühlte ich alle Augen auf meinem Körper, je länger wir miteinander schwiegen. David wirkte sehr gelassen. Eine fast sadistische Ruhe, die er uns hier verordnete, die er über mich legte wie eine Zwangsjacke. Mit der er mich quälte, weil er wusste, ich würde mich nicht trauen, jetzt einfach zu sprechen, nur etwas zu sagen, um selbst aktiv zu sein. Ich begann zu zittern. Er bemerkte es sofort. »Geh mal auf die Toilette, Felix. Zähl mal bis 30, ein bisschen Wasser ins Gesicht und auf die Pulsadern. Ich laufe dir nicht weg. Komm zur Ruhe. Dann bring ich dich um den Verstand.«
*
Frisches, kaltes Wasser. Mir ging es sofort besser. Meine Nervosität blieb unverändert, aber ich hatte die Hoffnung, den Gastraum wieder in einem Stück betreten zu können. Ich hielt das kleine, weiße Handtuch einen Moment länger als nötig vor mein Gesicht, bevor ich es in einen Bastkorb warf und wieder hinaus ins Licht der Gesellschaft trat.
Weiterhin hektische Betriebsamkeit und fröhliche Menschen. Fast alle waren vertieft in Gespräche oder beschäftigt mit ihren Speisen. Fast alle. Ich bemerkte einen jungen Mann in unmittelbarer Nähe. Er saß allein an seinem Tisch und starrte zur Theke, ohne dass er mich wahrnahm. Ich folgte seinem Blick. Und sah Lina auf meinem Platz. Es kostete mich einige Augenblicke, um zu verstehen, was sich dort abspielte. Mir kam es vor, als schaute man auf eines dieser Suchbilder und alle um einen herum riefen »Siehst du das Kätzchen?« Und dann sah man eine Ente. David jedenfalls hatte Linas Barhocker zu sich herangezogen. Sie lehnte mit dem Rücken an seinem Oberkörper, ihr langes Haar fiel hinter seine Schulter, ihre Augen geschlossen, der Mund geöffnet, halb nach hinten gebeugt, in einem Moment den Hals überstreckt, dann wieder nach vorne. Ihr Becken war vorgeschoben, hätte er sie nicht festgehalten, sie wäre vom Art-déco-Hochsitz gefallen. Die schwarzen Heels hatte sie abgestreift oder in dieser Haltung einfach verloren, man sah ihr rechtes Bein nur noch halb bestrumpft mit Halterlosen, über der nackten Stelle ihres Oberschenkels bewegte sich Davids Arm. Ihr schwarzes Minikleid mit offenem Rücken, es war kaum noch zu sehen. Lina hing halb verdeckt, halb offen in einer nach und nach erkennbaren Umarmung, mit seiner Hand in ihrem Schoß. Der Mann, auf den wir heute Abend so lange gewartet hatten, dieser Mann, den ich für ein unpünktliches Tinderdate gehalten hatte, jener Kerl, der mich scheinbar fürsorglich auf die Toilette geschickt hatte, er befriedigte meine Ehefrau gerade mit der Hand. In der Öffentlichkeit. In unserem Stammbistro. Und alle, die es sehen wollten, konnten es sehen.
*
Meine Knie wurden weich, ich musste mich setzen. Der nächste freie Stuhl befand sich am Tisch des jungen Mannes, der Lina und David unaufhörlich beobachtete. »Entschuldigen Sie, darf ich kurz?« »Oh, ja, Verzeihung, bitte!« Es ruckelte und rappelte ein wenig, ich machte mehr Aufsehen, als mir lieb war, mir gelang es nicht, den Stuhl in einer eleganten Bewegung vorzuziehen, auszurichten, mich einfach nur hinzusetzen. Ich entschuldigte mich erneut. Mein Gegenüber musterte mich, lächelte. »Sie saßen doch gerade eben noch selbst auf diesem Platz, oder?« Er zeigte zu ihnen rüber. »Ja.« »Verstehe!« Jetzt lächelte auch ich. »Tun Sie das?« Er musterte mich freundlich, schien dabei die richtigen Worte zu suchen. »Nein, das tue ich nicht. Es geht mich auch nichts an. Aber, was immer es ist, und es findet gerade sehr öffentlich statt, es scheint Sie zu bewegen.« Möglicherweise gelang es mir für einen kurzen Moment, meine Verunsicherung zu überspielen, wahrscheinlich misslang aber auch das auf ganzer Linie. Er hatte es gesehen. Nicht nur Lina und David. Auch meine Erregung, mein aufgewühltes Ich, das sich vor seinen Augen in sichtbarer Verzweiflung auflöste. »Sie ist meine Frau.« Jetzt war es raus. Er war mir so fremd wie David. Und es kam mir nicht mal seltsam vor, dass die Wahrheit, sei sie noch so schambesetzt, mir wieder etwas Kontrolle verlieh. Ich konnte es benennen. Ich entschied, was dieser Mann erfuhr. Was dort drüben geschah, konnte ich nicht beeinflussen. Nicht in diesem Moment. »Ich heiße Felix, ich bin ein Cuckold. Das ist Lina. Wir sind acht Jahre verheiratet.« Ein langer Atemzug, eine kurze Pause, dann schloss ich die Augen und redete weiter. »Wissen Sie, was das bedeutet? Eigentlich spielt es auch keine Rolle, denn ich hoffe, Sie haben einen angenehmen Abend, genießen ihre, wie ich annehme, kostbare Freizeit, und fühlen sich weder von der Show dort drüben noch von meiner Unverfrorenheit belästigt. Entschuldigen Sie. Erneut!« Er nickte mir zu, wirkte nicht überrascht, nahm es auf, als erzählte ich ihm über das Wetter in Schweden. Unser gemeinsamer Blick galt jetzt wieder Lina und David. Sie saßen nun nebeneinander, als sei nichts geschehen, unterhielten sich angeregt, seine Hand dabei immer wieder in ihrem Haar, auf ihrem Hals, streichelnde Zärtlichkeit, Vertrautheit, schwer zu ertragende, sanfte Intimität. »Wie lange fickt er sie schon?« Ich drehte mich wieder um, zurück zu meinem Gegenüber, starrte ihn an. Wie präzise, dachte ich, und musterte ihn genau. »Gute Frage. Ich weiß es nicht. Vermutlich ist er ...« Er unterbrach mich mit dem Zeigefinger vor seinen geschlossenen Lippen. »Weißt du, Felix, es ist mir eigentlich egal. Sie ist ohnehin zu schön für dich. Bleib mal hier sitzen und kümmere dich um deine Emotionen.« Dann verschwand er zur Theke und ließ mich allein.
*