Das agile Unternehmen - Kai Anderson - E-Book

Das agile Unternehmen E-Book

Kai Anderson

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Beschreibung

Wandlungsfähigkeit muss oberstes Ziel jedes Unternehmens sein. Doch wie hält man einen Konzern flexibel? Und warum sollte sich ein Weltmarktführer verändern? Kai Anderson und Jane Uhlig widmen sich diesen Fragen aus der Perspektive von 30 Topmanagern. Sie zeigen, wie etwa Mathias Döpfner und Johannes Teyssen durch zielgerichtetes HR-Management die Weichen von Axel Springer und E.ON auf Zukunft stellen. Daraus entwickeln die Autoren das Modell eines zukunftsfähigen Unternehmens, das Veränderungsfähigkeit auf allen Ebenen lebt, mit konstanter Unsicherheit umgeht und die Zukunft erobert.

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Kai Anderson, Jane Uhlig

Das agile Unternehmen

Wie Organisationen sich neu erfinden

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Wandlungsfähigkeit muss oberstes Ziel jedes Unternehmens sein. Doch wie hält man einen Konzern flexibel? Und warum sollte sich ein Weltmarktführer verändern? Kai Anderson und Jane Uhlig widmen sich diesen Fragen aus der Perspektive von 30 Topmanagern. Sie zeigen, wie etwa Mathias Döpfner und Johannes Teyssen durch zielgerichtetes HR-Management die Weichen von Axel Springer und E.ON auf Zukunft stellen. Daraus entwickeln die Autoren das Modell eines zukunftsfähigen Unternehmens, das Veränderungsfähigkeit auf allen Ebenen lebt, mit konstanter Unsicherheit umgeht und die Zukunft erobert.

Vita

Kai Anderson gehört zu den gefragtesten Veränderungsexperten Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist die Neuausrichtung des HR-Managements in internationalen Konzernen und Organisationen.

Jane Uhlig ist Kommunikationsberaterin für Unternehmen sowie Organisationen und coacht und berät Vorstände, Geschäftsführer und Mitarbeiter. Außerdem entwickelt und gestaltet sie PR-Strategien für Unternehmer und Organisationen.

Inhalt

Kapitel @Vorwort von Kai Anderson und Jane Uhlig»Agilität aus Leidenschaft« — Wenn Unternehmen sich verändern, verändern sie die Welt

Kapitel @GrußwortInnovationen annehmen und aktiv gestalten — Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank

Kapitel @Digitales VerlagshausErstens Internet, zweitens Internet, drittens Internet — Im Gespräch mit Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE

Kapitel @UniversalbankVertrauen kann nur entstehen, wenn auch Verständnis für die Rolle der Banken da ist — Im Gespräch mit Jürgen Fitschen, Co-Vorsitzender des Vorstands und des Group Executive Committees der Deutschen Bank AG sowie Mitglied der Trilateralen Kommission in Europa

Kapitel @VerkehrsunternehmenAuf der Schlussgerade muss man sich sagen: Ich will gewinnen. Und Gewinnen beginnt im Kopf — Im Gespräch mit Rüdiger Grube, Vorstandsvorsitzender, Deutsche Bahn AG und DB Mobility Logistics AG

Kapitel @EnergiekonzernÜber den Mut, neue Wege zu gehen, unorthodoxe Lösungen umzusetzen und ein guter Menschenfischer zu sein — Im Gespräch mit Johannes Teyssen, Vorstandsvorsitzender E.ON AG

Kapitel @AutomobilbrancheBits und Bytes erobern unsere Produkte — Im Gespräch mit Rupert Stadler, Vorstandsvorsitzender, AUDI AG

Kapitel @StahlunternehmenIch habe Dinge aus eigenem Antrieb getan – und nicht, um anderen Leuten irgendetwas damit zu zeigen — Im Gespräch mit Jürgen R. Großmann, Alleingesellschafter der Georgsmarienhütte Holding und ehemaliger Vorstandsvorsitzender der RWE AG

Kapitel @Handel- und DienstleistungsbrancheEin Erfolgsfaktor ist, immer hungrig zu bleiben nach der besten Lösung — Im Gespräch mit Rainer Hillebrand, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Otto Group

Kapitel @ImmobilienspezialistNach dem Sprichwort »Schuster, bleib bei deinen Leisten« — Im Gespräch mit Wolf Schumacher, Vorstandsvorsitzender, Aareal Bank AG

Kapitel @IT-GigantPreis für die beste Idee, die nicht funktioniert hat — Im Gespräch mit Philipp Justus, Google

Kapitel @Hotelgesellschaft in EuropaWir suchen talentierte Publikumsmagneten — Im Gespräch mit Puneet Chhatwal, Vorstandsvorsitzender, Steigenberger Hotels AG

Kapitel @BaufachhandelWeg von der Matrix. Entwicklung einer Einlinienorganisation — Im Gespräch mit Udo Brandt, CEO, Saint-Gobain Building Distribution Deutschland

Kapitel @FlugsicherungIch finde, dass man Wanderer zwischen den Welten des privaten und des öffentlichen Sektors sein kann — Im Gespräch mit Klaus-Dieter Scheurle, Vorsitzender der Geschäftsführung DFS Deutsche Flugsicherung GmbH

Kapitel @Führendes Schweizer TelekommunikationsunternehmenEinfachheit ist das A und O — Im Gespräch mit Urs Schaeppi, Vorstandsvorsitzender, und Dr. Hans C. Werner, Chief Personnel Officer CPO, Swisscom AG

Kapitel @TelekommunikationsbrancheKeine Stabsstellen, keine Strategieabteilung, keine Spezialabteilung für Business-Development — Im Gespräch mit Christoph Vilanek, Vorstandsvorsitzender freenet AG

Kapitel @Unternehmen der gesetzlichen KrankenversicherungWir brauchen keine Quote, sondern einen geistigen Kulturwandel — Im Gespräch mit Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK)

Kapitel @Versicherungsgruppe ohne AußendienstKonsequentes Weglassen bedeutet mehr Geschwindigkeit im Wettbewerb — Im Gespräch mit Peter Stockhorst, Vorstandsvorsitzender CosmosDirekt Versicherungsgruppe

Kapitel @BeleuchtungsspezialistDer Erfolg des Unternehmens muss im Zentrum des Handelns eines jeden Mitarbeiters stehen — Im Gespräch mit Ulrich Schumacher, Vorstandschef des österreichischen Beleuchtungsspezialisten Zumtobel Group

Kapitel @Unternehmen der öffentlich-rechtlichen RundfunkanstaltenIn Deutschland wird der langfristige Trend unterschätzt und der kurzfristige überschätzt — Im Gespräch mit Lutz Marmor, Vorsitzender der ARD und Intendant des NDR

Kapitel @Zweigniederlassung eines japanischen Elektronikkonzerns in DeutschlandWir fordern eine eigene Meinung von den Mitarbeitern — Im Gespräch mit Thomas Nedder, Country Head, Sony Europe Limited Deutschland

Kapitel @Hauptniederlassung einer Schweizer Großbank in DeutschlandBei den Banken gibt’s noch viele Agilitätshemmer — Im Gespräch mit Axel Hörger, Unternehmer und ehemaliger Vorstandsvorsitzender, UBS Deutschland AG

Kapitel @Hauptniederlassung eines Schweizer Versicherungs­unternehmens in DeutschlandWenn Männer und Frauen in einem Team zusammenarbeiten, dann erreicht man mehr als 100 Prozent — Im Gespräch mit Marita Kraemer, Vorstand Credit & Surety, Zurich Gruppe Deutschland

Kapitel @PrivatsenderEin Sprung in der Schüssel lässt das Licht herein: Menschen neigen dazu, Leute auszuwählen, die ihnen ähnlich sind. Das ist aber kontraproduktiv für Innovation — Gespräch mit Heidi Stopper, Unternehmerin und ehemaliger Vorstand Human Resources ProSiebenSat.1

Kapitel @Flughafenbetreiber und TransportVeränderung ist nur dann sinnvoll, wenn sie zu gesellschaftlichem Nutzen führt — Im Gespräch mit Wilhelm Bender, Aufsichtsratsvorsitzender der Bombardier Transportation (Bahn) Deutschland, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Fraport AG

Kapitel @Kapitalmarkt und BörseLetztlich ist es der Gipfel, der reizt und oftmals Höchstleistungen abverlangt — Im Gespräch mit Rüdiger Helmold Freiherr von Rosen, ehemaliger Vorstandssprecher Deutsche Börse AG und ehemaliger Leiter des Deutschen Aktieninstituts

Kapitel @WochenmagazinWir können unserer Informationspflicht nachkommen und die Politiker dafür sensibilisieren, welch gesellschaftlicher Sprengstoff da heranwächst — Im Gespräch mit Christian Krug, Chefredakteur Stern

Kapitel @WirtschaftsmagazinTransformationsprozesse von einem stabilen Zustand in den anderen gibt es kaum noch — Im Gespräch mit Uwe Vorkötter, Chefredakteur HORIZONT

Kapitel @Wirtschaftsmagazin onlineHeute so, morgen so … oder vielleicht doch anders — Im Gespräch mit Silke Fredrich, stellvertretende Chefredakteurin von WirtschaftsWoche Online

Kapitel @Schweizer Wirtschaftsmagazin in DeutschlandUm das Scheitern wird ein Kult betrieben, seit im Silicon Valley Multimilliardäre auf die Idee kamen, ihren Erfolg mit ein paar Brüchen zu schmücken — Im Gespräch mit Klaus Boldt, Chefredakteur BILANZ, Axel Springer SE

Kapitel @HirnforschungDie größte Herausforderung der Zukunft ist die zunehmende Komplexität der Systeme: Das gilt für Wirtschaftssysteme wie für soziale Systeme — Im Gespräch mit Prof. Dr. Wolf Singer, Hirnforscher und Direktor em. am Max-Planck-Institut für Hirnforschung, Frankfurt/Main

Kapitel @Agilität I ZukunftsmodellJedes Unternehmen ist agil. Die Frage ist nur: Ist es agil genug?

Strategie und Execution

Das eine nicht ohne das andere. Aber was ist wichtiger?

Prozesse und Strukturen

Die Entstehung von Innovation

Die Organisation der Organisation

Intern oder extern? Wen interessiert das noch?

Potenzial und Führung

Welche Qualifikationen braucht das agile Unternehmen?

Wie flexibel soll es sein? Führung für das agile Unternehmen

Strategie und Identität

Wohin geht die Reise? Eine verinnerlichte Strategie schafft Motivation

Schaffen wir das? Eine starke Identität als Absprungbasis

Nichts ist mehr sicher: die Veränderung als Dauerzustand

Das Modell des agilen Unternehmens

Kapitel @Vorwort von Kai Anderson und Jane Uhlig»Agilität aus Leidenschaft«

Wenn Unternehmen sich verändern, verändern sie die Welt

Veränderung ist keine konstante Größe. Und trotzdem begleitet sie uns immer wieder. Mal stärker und mal schwächer ausgeprägt. Es gibt sie im Kleinen für jeden Menschen, und als großes Ganzes für die Gesellschaft – und damit auch für jedes Unternehmen. Erfolg ist die Folge von Veränderungsfähigkeit einer Organisation. Aber kann ein Unternehmen wirklich dauerhaft erfolgreich sein? Dürfen Ziele ständig wechseln? Und hat man ein Ziel wirklich erreicht, wenn man am Ziel ist? Sobald der Mensch mit einem Ziel beschäftigt ist, entsteht Agilität. Aber Bestand hat nicht das Ziel, sondern nur die Veränderung. Deshalb liegt der Schwerpunkt unserer Betrachtung bei den Menschen, die die Organisation mit wechselnden Zielen flexibel und veränderungsfähig machen. Sie suchen permanent den Wettbewerbsvorteil. Sie treiben Innovationen voran und stellen Bestehendes kontinuierlich in Frage. Denn der Natur des Menschen wie auch des Unternehmens entspricht es nicht, immer in eine Richtung zu gehen. Repräsentativ für diese Menschen haben wir mit den CEOs von Unternehmen gesprochen, die massive Veränderungen bewältigt haben oder gerade mitten drin sind. Auf Basis der Interviews haben wir recherchiert und die zentralen Stellhebel für Veränderungsfähigkeit identifiziert. Dabei ging es um Fragen wie: Was bedeutet Agilität für Unternehmen? Welche Voraussetzungen müssen dabei erfüllt sein? Welche Bedeutung haben Strategien? Wie wird die Umsetzung erreicht? Was zeichnet eine veränderungsfähige Organisation aus? Was bedeuten Veränderungen für den CEO und für die Mitarbeiter? Welche neuen Arbeitsmethoden werden eingesetzt? Wir betrachteten die organisatorischen und kulturellen Rahmenbedingungen, unter denen Menschen sich, ihre Ideen und ihr Unternehmen entwickeln können und skizzierten das Modell einer zukunftsfähigen Organisation, die Veränderungsfähigkeit für sich und ihre Akteure verinnerlicht hat. Diese Organisation existiert nicht in Reinform. Daher stellen wir anhand von Beispielen und Recherchen die wesentlichen Aspekte und Erfolgsfaktoren heraus.

Wir sagen Danke an Stephanie Walter vom Campus Verlag, die das Buch mit viel Geduld begleitet hat, Dr. Daniel Tasch für die Begleitung der Interviews, Laslo Dani für die Fotos, Sabine Zweigler für die Transkription, Till Sivkovich für die erste Korrektur, Constantin von Selasinsky für die Snapshots, Anna-Lena Müller, Alia Tagba und Anuschka Wienerl für die organisatorische Mitarbeit. Ebenso danken wir Moritz Klein für die Nutzung der Räumlichkeiten im Steigenberger Frankfurter Hof. Wir danken allen CEOs, Chefredakteuren, KommunikationsleiterInnen und AssistentInnen der Unternehmen für die hilfreiche Unterstützung.

Frankfurt, im Oktober 2015 Kai Anderson und Jane Uhlig

Kapitel @GrußwortInnovationen annehmen und aktiv gestalten

Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank

Eine stabile Währung gründet auf einer starken Wirtschaft. So wie der Erfolg der D-Mark untrennbar mit dem deutschen »Wirtschaftswunder« verknüpft war, so wird der Euro als gemeinsame Währung für Europa nur dann langfristig erfolgreich sein, wenn alle Staaten des Währungsraums die Bedingungen für nachhaltiges Wachstum verbessern und die Spielregeln einer Stabilitätsgemeinschaft akzeptieren.

Auch Deutschland steht dabei vor Herausforderungen, die wir nicht unterschätzen dürfen. Unser Land muss auf die ungünstige demografische Entwicklung und die damit verbundene Alterung der Gesellschaft die richtigen Antworten finden. Vor allem und zuerst müssen wir uns unsere Innovationsfähigkeit und Wettbewerbsstärke bewahren. Die zunehmende Internationalisierung unseres Landes und unserer Unternehmen kann uns dabei helfen. Es ist zu begrüßen, wenn Deutschland junge Talente aus allen Teilen der Welt anzieht. Ebenso wichtig ist es aber auch, unser Bildungs- und Ausbildungssystem und seine Lehrinhalte beständig zu erneuern. Vor allem müssen wir Kindern aus allen sozialen Schichten den Zugang zu guter Bildung ermöglichen, um vorhandene Potenziale auszuschöpfen und um das Versprechen von Chancengleichheit einzulösen. Andererseits müssen uns persönliche Flexibilität und die Bereitschaft, Innovationen anzunehmen und aktiv zu gestalten, durch das Berufsleben begleiten. Eine alternde Gesellschaft kann es sich nicht leisten, auch in ihrer Mentalität alt und träge zu werden.

Als Präsident der Deutschen Bundesbank ist es meine Aufgabe, gemeinsam mit meinen Kollegen im EZB-Rat den Geldwert stabil zu halten. Eine gesunde und dynamische Wirtschaft erleichtert diese Aufgabe. Gleichzeitig trägt eine stabile Währung dazu bei, dass die Zukunft für Bürger und Unternehmen besser planbar ist. Das gilt für die Altersvorsorge ebenso wie für unternehmerische Investitionen. Daher können Sie gewiss sein, dass ich mich auch in Zukunft mit ganzer Kraft für eine verantwortungsvolle Geldpolitik einsetzen werde. In der Tradition der Deutschen Bundesbank fühle ich mich der stabilen Währung verpflichtet.

Kapitel @Digitales VerlagshausErstens Internet, zweitens Internet, drittens Internet

Im Gespräch mit Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE

Axel Springer SE +++ führender digitaler Verlag in Europa +++ Marktführer im deutschen Printgeschäft +++ in mehr als 40 Ländern aktiv +++ erwirtschaftet mehr als 40 Prozent des Umsatzes mit internationalem Geschäft

Dr. Mathias Döpfner +++ studierte Musikwissenschaft, Germanistik und Theaterwissenschaft +++ ist seit 1998 für das Unternehmen Axel Springer tätig +++ war Chefredakteur DIE WELT +++ seit 2000 Mitglied des Vorstands +++ seit 2002 Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE

Agiles Fazit

#Veränderungen annehmen #Studien nicht idealisieren #Veränderungen für das Unternehmen nutzen #Ständig die Gegenwart beobachten #Dem gesunden Menschenverstand vertrauen #Antizyklisch Agieren #Selbstkannibalisierung ist besser als Kannibalisierung #Digitale Geschäfte ins Kerngeschäft integrieren #Offen für Neues sein #Nicht an alten Strukturen festhalten #Integrierte Hierarchiepyramide entwickeln #Delegation der Verantwortung nach unten #Mitarbeiter als Unternehmer im Unternehmen #Maximale Toleranz für andere Unternehmenskulturen #Werte modern gestalten #Mit Werten führen motiviert #Die Besten ins Silicon Valley schicken #Werkzeugkasten #Großfamilie als Leitbild #Bei Schwierigkeiten zusammenhalten #Fehler zulassen und schnell korrigieren #Integer gewinnen oder integer verlieren #Keine falschen Kompromisse #Auf Tricks und Scharaden verzichten #Leidenschaftlichkeit und Besessenheit zulassen

ANDERSON: Viele Verlage haben die Herausforderungen im Internetzeitalter erst spät erkannt. Sie haben die Digitalisierung eigentlich von Anfang an als Chance verstanden und es geschafft, Axel Springer zu einem führenden digitalen Verlag in Europa zu machen. Wie ist Ihnen das gelungen?

DÖPFNER: Für mich waren die Chancen der Digitalisierung von Anfang an sehr naheliegend. Ende der 90er-Jahre habe ich als Chefredakteur der Welt einen Kommentar geschrieben. Der Tenor lautete: Es gibt für Medienunternehmen eigentlich nur drei Prioritäten: erstens Internet, zweitens Internet, drittens Internet. Es war damals schon seit einigen Jahren erkennbar, dass sich ein dramatischer Wandel ereignet. Wenn man sich diesen mit gesundem Menschenverstand angesehen hat – nicht vernebelt durch die eigenen Wünsche –, konnte man erkennen, dass neue Vertriebswege und neue Lesemöglichkeiten entstehen. Und dass sich daraus eine Menge Vorteile gegenüber den Printprodukten ergeben und sich unsere Branche und wahrscheinlich unsere ganze Gesellschaft verändern werden. Diese Erkenntnis kam zuerst. Das Zweite war, die Konsequenz daraus zu ziehen. Nicht zu versuchen, den Fortschritt oder die Veränderung zu verhindern und Schutzwälle zu errichten, sondern diese Entwicklung zum Vorteil des Unternehmens zu nutzen und sie mitzugestalten. Dass man nicht immer genau wusste, wie etwas werden würde, ist auch klar. Es gibt in diesem Zusammenhang ja auch das schöne Zitat von Peter Drucker, dem Management-Guru und Lehrer, der geschrieben hat: »The best way to predict the future is to create it.«

UHLIG: Haben Sie im Laufe dieser Entwicklung auch auf Studien und Umfragen zurückgegriffen oder haben Sie sich auf Ihr Bauchgefühl verlassen?

DÖPFNER: Es kann gefährlich sein, sich auf Studien zu verlassen. Die eine Studie sagt, Zeitungen werden immer leben. Die andere Studie sagt, bald werden sie ganz weg sein. Wie Studien sich irren können, zeigt ein konkretes Beispiel. Als wir die euphorischsten Annahmen zur Entwicklung der Werbeerlöse im Internetzeitalter vor zehn Jahren in der Vorstandssitzung diskutiert haben, war allen klar: Dieses Szenario ist bestimmt viel zu optimistisch. Und was kommt heraus? Die Annahmen waren viel zu vorsichtig. Die Veränderungen sind noch viel gravierender ausgefallen, die Volumina der Werbeerlöse sind heute noch viel größer als damals prognostiziert. Ich setze viel auf den gesunden Menschenverstand, auf schonungslose Ist-Beobachtung. Um daraus abzuleiten, wie sich die Dinge entwickeln werden. Und noch einmal: Ich halte es nicht für einen Verdienst, das erkannt zu haben. Das konnte jeder sehen.

ANDERSON: Anfang der Nullerjahre war die New-Economy-Blase geplatzt, der erste Kater war da, das war die Zeit, als Sie als Vorstandsvorsitzender übernommen haben in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Wie viel Überzeugungskraft hat es damals gebraucht zu sagen: »Wir setzen trotzdem auf die Digitalisierung.«

DÖPFNER: Mein Anliegen, die Welt in eine digitale Marke zu verwandeln, wurde zunächst zurückgewiesen. Das passe überhaupt nicht in die Landschaft. Der Internet-Boom sei gerade geplatzt, das werde nichts mehr mit dem Internet. Ich war mir damals sicher: Natürlich wird das noch was, wir erleben nur gerade nach einer heftigen Überreaktion in der Frühphase ein bisschen Abkühlung. Und jetzt wäre der beste Zeitpunkt, antizyklisch zu investieren. Zwei Jahre später bekam ich dann selber die Chance, als Vorstandsvorsitzender bestimmte Weichen zu stellen. Und selbst dann war es noch immer schwer genug, alle davon zu überzeugen.

ANDERSON: Inwiefern?

DÖPFNER: Es gab drei strategische Prioritäten: erstens die Stärkung des deutschsprachigen Kerngeschäfts, zweitens die Internationalisierung des Unternehmens und als dritte, wichtigste Priorität die Digitalisierung. Und dazu haben viele gesagt: »Jetzt übertreibt der aber!« Und: »Das wollen wir doch noch mal sehen mit dem Internet … Das wird doch nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird.« So auch die Schlagzeile, als ich Vorstandsvorsitzender wurde und meine Strategie verkündete »Jugend forscht«.

ANDERSON: Wie wurde Ihre Strategie im Unternehmen aufgenommen?

DÖPFNER: Natürlich war es anfangs auch intern keine Selbstverständlichkeit, Verbündete zu finden und die Skepsis in den Bestandsgeschäften zu überwinden. Aber ich war der Meinung, dass es besser sei, sich selbst zu kannibalisieren, als von anderen kannibalisiert zu werden. Das sagt sich als Betroffener, dem gerade etwas weggenommen wird, aber doch schwerer. Und deswegen gab es am Anfang erhebliche Widerstände. Dieser Widerstand hat sich erst durch eine wichtige Grundsatzentscheidung in Unterstützung gewandelt: Wir haben beschlossen, die digitalen Geschäfte nicht herauszutreiben aus dem Konzern und sie wegzuhalten vom Kerngeschäft. Sondern wir haben sie in gemeinsamen Verantwortungsketten Schritt für Schritt voll integriert. Eine Grundsatzentscheidung, die uns von beinahe allen Wettbewerbern rund um die Welt unterschieden hat. Ihr lagen folgende Überlegungen zugrunde: Das Digitalgeschäft machte damals vielleicht 2 Prozent aus. Wenn man jetzt 2 Prozent oder 5 Prozent oder selbst 10 Prozent digitale Verantwortung in Stellung bringt gegen 98 oder 95 oder 90 Prozent analoge Verantwortung, dann gewinnt nicht die Minderheit, die die Zukunft gestaltet, sondern die Mehrheit, die die Vergangenheit verteidigen will. Und kulturell gilt: Die, die das Neue gestalten, gewinnen; die, die das Alte verteidigen, verlieren. Die Verantwortlichen für die analogen Geschäfte hatten immer nur schlechte Zahlen zu präsentieren und Argumente, warum sie nichts dafür konnten, weil der Markt ja noch viel schlechter sei usw. Bei den digitalen Verantwortlichen war die Stimmung bombig. Die Reichweiten stiegen und das Geschäft entwickelte sich gut. Und so erging es vielen Verlagen. Und das Motto war, von der New York Times bis zur FAZ: Die Digital-Typen sind so anders als die analogen, die müssen weit weg, damit sie sich nicht stören und beeinflussen.

ANDERSON: Was war Ihre Reaktion?

DÖPFNER: Ich habe gesagt: Wir machen genau das Umgekehrte. Wir verbinden die beiden Gruppen. Wir schaffen eine integrierte Hierarchiepyramide, an deren Ende ein Chef steht, der für beides verantwortlich ist, für Digitales und Analoges, egal ob Inhalte, Technologie, Anzeigen und Werbevermarktung. Im Kern war das, glaube ich, der entscheidende Hebel, der unsere Unternehmenskultur hin zur Digitalisierung verändert hat. Plötzlich gab es lauter Gewinner. Jeder hier im Unternehmen ist für die Digitalisierung seines Geschäftsmodells, seiner Marke, seiner Inhalte verantwortlich. Und damit war auch jeder für die erfolgreiche digitale Transformation verantwortlich. Und so treiben wir die digitale Transformation heute gemeinsam voran.

UHLIG: Viele waren der Meinung, der Journalismus würde durch die Digitalisierung schlechter. Sie haben von Anfang an das Gegenteil vertreten. Wie wurde das im Haus aufgenommen?

DÖPFNER: Wenn ich ganz ehrlich sein soll: Ich glaube, auch heute noch denken einige von mir: »Der spinnt!« Einseitige Gefolgschaft gibt es nicht. Ich bin überzeugt: In der Natur des Online-Mediums liegen nur Vorteile. Sie können mit Online-Journalismus schneller und viel aktueller sein – 24 Stunden rund um die Uhr. Sie können aber, wenn sie wollen, auch abwarten, etwa um in Ruhe über ein Thema nachzudenken. Sie sind flexibler. Außerdem können Sie wesentlich ausführlicher sein, weil sie unbegrenzten Platz haben. Sie haben Zugang zu anderen Informationsquellen, von der Online-Recherche bis hin zur Intelligenz ihrer Leser. Sie finden Fachleute, die sofort einen Fehler im Text korrigieren. Und Sie können die verschiedenen Mediengattungen, also etwa geschriebene Inhalte, bewegte Bilder oder Radioinhalte, zusammenmischen zu neuen kreativen Darstellungsformen. Damit wird Ihr Journalismus leser-, betrachter-, nutzerfreundlicher, vielfältiger, kreativer. Und natürlich ist der digitale Journalismus interaktiv. Sie können jederzeit auf die Bedürfnisse und Interessen ihrer Leser reagieren, sie können sehr spezielle, in die Tiefe gehende Angebote eröffnen. Und auch die Produktion vereinfacht sich: Kosten für Papier, für Druckereien, für den Transport der Zeitungen – all das fällt weg. Kurzum: Ich kann nur Vorteile erkennen. Und deshalb glaube ich, dass wir in zehn Jahren eine viel bessere journalistische Qualität erreichen werden.

ANDERSON: Wenn wir noch mal auf den Veränderungsprozess zurückkommen: Sie erwähnten Peter Drucker. Von Peter Drucker stammt ja auch der Satz: »Culture eats strategy for breakfast.« Wie viel Strategie haben Sie verordnet? Wie viele Impulse kamen von innen?

DÖPFNER: Wir haben als kulturelle Grundprinzipien im Unternehmen drei Werte definiert: Kreativität, Unternehmertum, Integrität. Sie müssen die besten kreativen Impulse haben, und zwar in allen Bereichen des Hauses. Sie müssen echte Unternehmer haben, die nach unten delegieren – nicht nach oben! – und Risiken eingehen, so agieren, als wäre es ihr eigenes Geld. Und sie brauchen, drittens, anständige Leute. Auf Basis dieser drei Werte haben sich eigentlich drei Prinzipien unserer Digitalisierung herauskristallisiert. Davon habe ich zwei schon genannt: keine Angst vor Selbstkannibalisierung und keine Silos, das heißt kein Kampf »analog gegen digital«. Das dritte Prinzip, und dieses knüpft vielleicht an Drucker an: Die Kultur ist wichtiger als die Strategie. Was heißt das? Bei Investitionen in neue junge Geschäftsmodelle und Unternehmen agieren wir nicht wie der klassische Großkonzern. Was macht der? Er integriert Assets nach allen Regeln der Managementkunst und erklärt von oben nach unten, was jetzt Sache ist: »In Zukunft holen wir die Pizza nicht mehr um die Ecke, sondern wir gehen in die Kantine mit der Essensmarke … und im Übrigen haben wir nicht mehr soundsoviele Tage Urlaub, sondern soundsoviele Tage … und Reporting-Gespräche finden jetzt immer montags um 10 statt, egal ob man sie braucht oder nicht!« So infiltriert eine tendenziell träge und bürokratisch gewordene Großorganisation eine kleine, bewegliche, dynamische Neuorganisation mit alten Regeln und Prinzipien, zerstört damit die eigenständige Kultur, die Geschwindigkeit, die Motivation, die Inspiration – und am Ende auch den Wert des Assets. Also haben wir unser drittes Prinzip vereinbart: Maximale Toleranz für andere Unternehmenskulturen. Wir bieten die Synergien, die unser Unternehmen im Familienverbund hat, als Werkzeugkasten an. Jedes Unternehmen bei Axel Springer kann diese Instrumente nutzen, um sein Geschäft zu betreiben, um Werbung zu schalten, um über Cross-Promotion Verbundeffekte zu nutzen. Es gibt die Verkaufsorganisation, die hilft, Produkte besser zu verkaufen, und die internationale Infrastruktur, die hilft, zu internationalisieren. Es gibt Know-how, gerade auch IT-Know-how, Finanzmittel. Wer in der Axel-Springer-Familie Bedarf hat, der mag sich bedienen. Wer glaubt, sein Geschäft besser ohne das alles zu betreiben, kann auch alles alleine machen. Wir lassen ihn in Ruhe, solange er das Budget einhält …

ANDERSON: … und die unternehmerischen Werte und Verfassung von Axel Springer akzeptiert?

DÖPFNER: So ist es. Sie sind der Kern. Mit dieser Strategie sind wir bisher gut gefahren. Es hat sich herausgestellt, dass die alte Regel gilt: »You cannot push the spaghetti over the table – you have to pull it.« Eine gekochte Nudel lässt sich nicht mit Gewalt über den Tisch schieben. Sie wird nur krumm. Wenn man an der Nudel zieht, dann geht das eben schnell. Und so muss man sicherstellen, dass die Leute ziehen. Ich erlebe gerade in der letzten Zeit ein wachsendes Interesse der vielen neueren, jüngeren Geschäfte, die sich zu Beginn kaum mit Axel Springer identifizieren konnten. Und jetzt möchten sie verstärkt kooperieren, zum Beispiel mit einer gemeinsamen IT-Lösung, die für uns alle zusammen viel günstiger und besser wird. Und so entstehen die Verbundeffekte. Die Großfamilie als Leitbild, vielleicht als eine Art Patchwork-Familie, in der es sehr unterschiedliche Familienmitglieder gibt. Wir haben viel Toleranz für Andersartigkeit und für Ausreißer und exzentrische Kinder, solange wir, wenn es darauf ankommt, wirklich zusammenhalten und der Familienspirit besteht. Der ist erstens wertegebunden und zweitens leistungsgetrieben. Das sind die beiden Dinge, die dann wirklich zählen.

UHLIG: Und war es schwierig, diese Kultur zu etablieren? Immerhin ist Axel Springer ein Traditionsverlag, gegründet nach Kriegsende, geprägt vom alles überstrahlenden Axel Springer.

DÖPFNER: Ja und nein. Natürlich ist eine solche Veränderung schwierig. Es gibt diesen Satz von Gandhi: »Erst belächeln sie dich, dann bekämpfen sie dich und dann folgen sie dir!« Und so ähnlich haben wir es auch erfahren. Am Anfang haben sie sich lustig gemacht. Dann haben sie gemerkt: »Oh, der meint es ernst!« Dann wurde gekämpft. Und dann irgendwann sagte man: »Die Sache scheint zu funktionieren, da bin ich besser dabei.« Ich glaube, das ist in jeder Organisation so – in der Auseinandersetzung außen und innen. Allerdings: Bei meinen Änderungen habe ich mich aus Überzeugung immer auch gerne auf Axel Springer berufen. Erstens haben meine Kollegen und ich seine verlegerischen und unternehmerischen Werte durch den Veränderungsprozess wieder stärker betont. Wir haben sie aus der Mottenkiste des alten Traditionsballasts herausgeholt und gesagt: Werte sind etwas Modernes, sehr Motivierendes, Wichtiges. Sie sind für die Mitarbeiter wichtig, damit sie beitragen zu einem gesamten Ganzen. So haben wir die Springer-Werte mitgenommen. Wir haben den Standort Berlin, der Axel Springer immer am Herzen lag, zum Konzernstandort gemacht, das Unternehmen von Hamburg nach Berlin bewegt. Dazu kommt: Axel Springer war überaus technologieaffin und hat seinerzeit die modernsten Drucktechnologien eingeführt. Der Erste, der mit Vierfarbdruck gearbeitet hat, der Erste im Offsetdruck. Sicher würde er heute nicht herumsitzen und sagen: »Igitt, das Internet – Technologiekram, damit will ich nichts zu tun haben!« Sondern er würde alles daransetzen, um an die Spitze der Bewegung zu kommen. Bei der Neuausrichtung des Unternehmens konnten wir uns also umfassend auf die Werte von Axel Springer berufen. Übrigens haben wir auch an Axel Springer gedacht, als wir unser Silicon-Valley-Projekt geplant und die drei wichtigsten Führungskräfte für neun Monate ins Silicon Valley geschickt haben. Wir haben uns gefragt: »Was würde eigentlich der Axel Springer machen, wenn er heute 40 Jahre alt wäre oder 30? Und wir waren uns einig: Er würde wahrscheinlich Facebook gründen. Aber dummerweise haben wir noch kein Facebook gegründet. Und die Erfindung der Bild-Zeitung ist auch schon lange her.

UHLIG: Und was haben Sie dann getan und geändert?

DÖPFNER: Uns war schnell klar: Wir müssen die glaubwürdigsten und wichtigsten Führungsfiguren unseres Unternehmens in die Pflicht nehmen. Aber: Wenn wir es ernst meinen, dann sollten wir auch den Mut haben, drei dieser Personen für längere Zeit dorthin zu schicken, wo digitale Innovation entsteht wie nirgendwo sonst auf der Welt – im Silicon Valley. Auch dieses Projekt ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir uns bei der Suche und Auswahl von Ideen immer wieder auch auf Axel Springer berufen konnten. Axel Springer war ja 1946 ebenfalls Start-up-Unternehmer. Er hat den Verlag mit der gleichen Besessenheit nach vorne getrieben, wie das ein Larry Page bei Google oder ein Mark Zuckerberg bei Facebook getan hat.

ANDERSON: Wie wichtig ist denn Besessenheit und Leidenschaft, um etwas erfolgreich zu machen?

DÖPFNER: Absolut erfolgsentscheidend. Ohne beides geht es nicht.

ANDERSON: Und wie kriegen Sie das in die Organisation?

DÖPFNER: Sicher durch die Auswahl der Leute, das ist ganz wichtig. Es hilft sehr, wenn man eine kritische Masse an Leidenschaftlichen und Besessenen und Befähigten hat. Diese inspirieren auch andere. Und natürlich gibt es immer ein paar, die nicht mitkommen oder die nicht mitwollen – aber ganz viele lassen sich dann doch auch gewinnen und motivieren.

ANDERSON: Das stelle ich mir für Ihr Printgeschäft nicht so schwer vor. Dort ist Axel Springer sicherlich eine erste Adresse. Jetzt suchen Sie aber Onliner und konkurrieren mit den Start-ups hier in Berlin. Wie gelingt Ihnen das?

DÖPFNER: Da wird Sie meine Antwort überraschen. Ich glaube, dass uns Letzteres sogar leichter gelingt als die Suche nach Journalisten und guten Inhalten. Denn inhaltlich ist es leider so, dass dieses Haus immer noch mit den mittlerweile geradezu reaktionären Vorurteilen aus der 68er-Zeit zu tun hat. Unser Haus hat damals auch Fehler gemacht. Der Verlag ist aber auch von ideologischen Gegnern positioniert worden. Dass diese Gegner zum Teil von der DDR bezahlt worden sind, ist heute keine Verschwörungstheorie mehr, sondern wissenschaftlich aufgearbeitete Tatsache.

ANDERSON: Und welche Ursachen hatte dies Ihrer Meinung nach?

DÖPFNER: Vor einigen Jahren haben drei Wissenschaftler von der FU Berlin ein sehr interessantes Buch vorgelegt – Feind-Bild Springer: Ein Verlag und seine Gegner. Darin kommen sie zu dem Ergebnis, dass etwa der Slogan ›Enteignet Springer‹ Stasi-Erfindung war. Von der DDR anschubfinanziert, sprangen westdeutsche Verleger wie Bucerius oder Augstein auf den Zug auf und haben ihrerseits noch ein bisschen Geld investiert, um den jungen Leuten beim Klassenkampf zu helfen … aber im Grunde ging es um die Schwächung Springers als Wettbewerber. Was ich sagen will: Diese alten Schlachten beeinflussen noch immer die Wahrnehmung der journalistischen Arbeit des Unternehmens Axel Springer in der Öffentlichkeit. Und das ist schade. Meine Überzeugung hingegen ist: Es gibt keinen Verlag, in dem Journalisten so frei und so plural arbeiten können wie bei uns! Und das sage ich mit großem Selbstbewusstsein, weil ich auch woanders gearbeitet habe – zehn Jahre bei der FAZ, sieben Jahre bei Bertelsmann, Gruner & Jahr. Trotzdem wird uns heute hier und da immer noch das Gegenteil unterstellt. Springer ist dann ein konservativer Meinungsmoloch. Da sitzt morgens der Vorstandsvorsitzende mit der großen Trommel und erklärt allen, wie nun kommentiert zu werden hat. Komisch, dass es dann regelmäßig so ausgeht, dass der eine für den EU-Beitritt der Türkei argumentiert und der andere am gleichen Tag dagegen.

UHLIG: Woran erkennen Sie einen guten Journalisten?

DÖPFNER: Mit Sicherheit nicht daran, dass er einen eloquenten Eindruck beim Bewerbungsgespräch macht oder gar besonders adrett gekleidet ist. Sondern daran, dass er in einer unwiderstehlichen Sprache relevante Sachverhalte packend und faszinierend aufschreibt. Und am Ergebnis der Geschichte. Es ist ein großer Fehler, Journalisten an Formnoten zu beurteilen. Man müsste eigentlich Journalisten bei Bewerbungsgesprächen genauso behandeln wie Orchestermusiker, wenn sie Mitglied eines großen Orchesters werden möchten. Jene spielen hinter einem Vorhang vor – man sieht sie nicht. Und so lenkt man die Konzentration auf das Wesentliche – die Inhalte.

ANDERSON: Jenseits der fachlichen Qualifikation: Was muss ein Mitarbeiter mitbringen, um in dieser Netzwerkorganisation erfolgreich zu sein? Um einen Beitrag zu leisten und vielleicht auch selber glücklich zu sein?

DÖPFNER: Individualität und eine wirklich eigenständige, scharf profilierte Persönlichkeit, kein Mitläufertyp, niemand, der anderen nach dem Mund redet. Er sollte absolut sachlich und nicht politisch getrieben sein. Karriere als Selbstzweck funktioniert nicht – er muss eine inhaltliche oder auf jeden Fall fachliche Motivation haben. Und: Er oder sie darf ruhig Spezialist sein. Wir brauchen also nicht nur Generalisten, die alles ein bisschen können, sondern genauso Leute, die eine Sache ganz besonders gut können. Schließlich: Er sollte leidenschaftlich, integer, weltoffen und vorurteilsfrei sein.

UHLIG: Wie erkennen Sie die Leidenschaft? Meiner Erfahrung nach fehlt bei einer Reihe von Journalisten die Leidenschaft.

DÖPFNER: Ich glaube, dass es bei Repräsentanten aller Berufsgruppen solche und solche gibt. Ein guter Journalist muss davon überzeugt sein, dass das, was er tut, das Wichtigste auf der Welt ist – und wenn er sich gerade mit einem Thema beschäftigt, dann haben sich gefälligst auch alle anderen mit diesem Thema zu beschäftigen. Und daraus resultiert ein inhaltliches Charisma, das den Inhalt unwiderstehlich macht, selbst für die, die sich eigentlich noch gar nicht dafür interessierten. Anders herum: Wer als Journalist nur träge danach fragt, was die Leser jetzt wohl hören wollen, der brennt ja gar nicht mehr. Und wer nicht brennt, kann niemanden anzünden. Ganz einfach.

ANDERSON: Welche Fähigkeiten zur Veränderung müssen Ihre Journalisten und Mitarbeiter mitbringen?

DÖPFNER: Die Vertriebswege, die Darstellungsformen, die Arbeitsweisen ändern sich – und vieles mehr. An inhaltlichen Qualitätsstandards und unseren Werten halten wir jedoch fest. Je besser man weiß, was man bewahren will, desto besser kann man sich radikal verändern. Und mit dieser Haltung haben wir unseren Mitarbeitern in den letzten Jahren sehr viele Veränderungen zugemutet. Wenn es so etwas gibt wie den »Veränderungsmuskel«, dann ist der bei uns besonders gut trainiert. Gestählt wie im Fitnessstudio. Weil wir uns kontinuierlich verändern, ist es für uns nicht mehr so schockierend, wenn es schon wieder nötig ist. Und die Mitarbeiter haben natürlich auch gelernt, dass sie für Veränderungen belohnt werden. Dass die Veränderungen Arbeitsplätze sicherer machen, weil sichere Arbeitsplätze Wertsteigerungen erfordern. Und dann sagt sich der Mitarbeiter: Jetzt haben wir uns schon dreimal verändert und dreimal was anders gemacht als früher – und das hat jedes Mal zum Ziel geführt.

ANDERSON: Zufriedenheit, so weit man blickt?

DÖPFNER: Im Gegenteil. Zufriedenheit leisten wir uns nicht. Wer zufrieden ist, der ist irgendwie träge, der wird auch schnell selbstzufrieden. Glück und Freude sollte man unbedingt empfinden und zulassen, auch Stolz auf das Erreichte. Aber niemals Zufriedenheit. Und deswegen wende ich mich gegen das bräsige Dasein des Marktführers, der alles erkennbar besser macht als andere. Es mag ja sein, dass wir unter den traditionellen Unternehmen unserer Branche in Europa vermutlich am besten dastehen.

UHLIG: Aber?

DÖPFNER: Das spielt keine Rolle für die Beantwortung der Frage, ob Axel Springer langfristig erfolgreich sein wird. Das wird entscheidend dadurch bestimmt, wie wir uns gegenüber den großen neuen digitalen Wettbewerbern aufstellen. Damit meine ich einerseits die großen Technologiegiganten Amazon, Facebook oder Google, andererseits die vielen disruptiven digitalen Verlage wie Vox Media, Huffington Post, BuzzFeed oder Vice, die mit Start-up-Energie antreten und vielleicht alte Marken und Verlage einfach von der Bildfläche blasen. Angesichts dieser Herausforderungen besteht kein Anlass zu Zufriedenheit oder Selbstzufriedenheit.

ANDERSON: Wie gehen Sie mit Fehlern um?

DÖPFNER: Man sollte sich nicht von Fehlern entmutigen lassen. Die berühmte Fehlerkultur – das ist etwas, was wir im Silicon Valley lernen, das heißt Fehler machen, Fehler zulassen, Fehler schnell korrigieren. Allerdings: Manchmal habe ich das Gefühl, der Fehler wird fast schon verherrlicht. Natürlich ist es besser, wenn man viele Sachen richtig macht.

UHLIG: Wie motivieren Sie sich angesichts Ihrer langen Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender?

DÖPFNER: Ganz genau weiß ich es selbst nicht. Sicher spielt ein gewisses Grundnaturell eine Rolle. Außerdem weiß ich, dass die größten Herausforderungen noch vor uns liegen. Wenn man wirklich etwas langfristig Erfolgreiches gestalten möchte, gibt es auch in den kommenden Jahren viel Arbeit zu tun. Und drittens: Es wirkt enorm motivierend, wenn man positive Resonanz von Mitarbeitern bekommt. Und damit meine ich keine Komplimente. Es geht mir um das Gefühl, dass Mitarbeiter Freude haben an dem, was sie machen, dass sie am Erfolg Spaß haben, dass sie stolz darauf sind, in unserem Unternehmen zu arbeiten, dass sie mit Lust und Energie am Wettbewerb vorbeiziehen. Und schließlich hängt meine Motivation auch mit den Selbstzweifeln zusammen, die ich immer wieder bei meinen Entscheidungen habe. Wenn man die Zweifel überwindet und etwas macht, obwohl einem ganz viele sagen, das werde nichts, das sollte man so nicht machen – wenn man sich entscheidet und das dann aufgeht: Das ist ein tolles Gefühl.

UHLIG: Wann hatten Sie die meisten Zweifel?

DÖPFNER: Das dürfte ganz am Anfang meiner Amtszeit als Vorstandsvorsitzender gewesen sein, als wir die Auseinandersetzung mit Leo Kirch hatten. Ich hatte 30 Tage Zeit, um zu entscheiden, ob wir eine »put option« gegen unseren zweitgrößten Aktionär – der als der größte Haifisch der deutschen Medienbranche galt! – ausüben oder nicht. Verwerfe ich sie, habe ich mein Selbstwertgefühl und meine Integrität gleich zu Beginn an der Garderobe abgegeben. Übe ich sie aus, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich nach drei Monaten entlassen bin, überragend hoch. Das waren keine erfreulichen Startbedingungen.

UHLIG: Und wie haben Sie es geschafft? Einfach durch und …?

DÖPFNER: Meine Erfahrung ist, dass mich großer Druck und große Probleme sehr konzentriert, sehr entschieden machen. Wir fassten also damals die Grundsatzentscheidung: Wir ziehen diese Angelegenheit nach bestem Wissen und Gewissen so integer, klar und sachlich wie möglich durch und weichen nicht vom Weg ab. Wir machen keinen falschen Kompromiss, verzichten auf Tricks und Scharaden. Wenn es gut geht, dann haben wir es integer gewonnen, und wenn es schiefgeht, dann haben wir es integer verloren. Und vielleicht ist das die Lehre: Wenn Sie einmal so eine Schlacht mit diesem inneren Koordinatensystem für sich entschieden haben, dann ist es nachher kaum verlockend, wegen weniger wichtiger Auseinandersetzungen faule Kompromisse zu machen. Man bleibt bei dieser Linie.

UHLIG: Sie haben Musikwissenschaften und Geisteswissenschaften studiert und haben lange Zeit als Journalist gearbeitet. Heute sind Sie Unternehmer. Wie passt das zusammen?

DÖPFNER: Vielleicht waren mein Studienhintergrund und meine journalistische Tätigkeit sogar ganz gute Voraussetzungen. Beides hilft dabei, Axel Springer als Kreativunternehmen zu führen. Wer als Jurist oder Betriebswirt plötzlich mit einem anstrengenden, aber hochbegabten Reporter sprechen muss, ist vielleicht überfordert oder fühlt sich missverstanden. Aber ich glaube, man kann auch Medizin studieren und einen Verlag erfolgreich führen. Mich haben die betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen Aufgaben schon immer sehr interessiert, zum Beispiel das Verhandeln. Und es gab eine gewisse Ambivalenz: Ich wollte Journalist sein, aber ich wollte auch Unternehmer sein. Und das konnte ich hier in diesem Job so zusammenbringen. Deswegen bin ich jeden Tag froh, wenn ich ins Büro gehe.

#Wie Axel Springer SE mit dem Silicon Valley Fellowship Programm die Dynamik des Silicon Valley nutzt: Im September 2012 verlegten der wichtigste Journalist, der beste Vermarkter und der cleverste IT-Kopf der Axel Springer SE für einige Monate ihre Arbeitsplätze von Berlin an die Westküste der USA, um im Silicon Valley – der Boom-Region für digitale Wirtschaft und Start-ups – nach neuen Geschäftsideen zu suchen. Anknüpfend an diesen ertragreichen Aufenthalt besuchten 2013 weitere Führungskräfte des Verlags als »Visiting Fellows« das Tal südlich von San Francisco. Im Januar 2014 etablierte Axel Springer schließlich eine ständige Repräsentanz in Palo Alto, um Investitionsoptionen in strategisch relevante Start-ups und Frühphasen-Fonds vor Ort zu sondieren. Seit Frühjahr 2014 existiert das Silicon Valley Fellowship Programm. Mitarbeiter von Axel Springer erhalten hier die Möglichkeit, in einem strukturierten Programm von der Dynamik und Innovationskraft des Silicon Valley zu profitieren. Das Angebot ist mit klaren Erwartungen verbunden: Bereits im Rahmen der Bewerbung präsentieren die Kandidaten konkrete Pläne für Projekte, die sie – zurück in der Heimat – umsetzen wollen. Grundsätzlich kann sich jeder Mitarbeiter für das Fellowship Programm bewerben. Entscheidende Voraussetzung ist jedoch, dass die Kandidaten aufgrund ihrer Position oder der Unterstützung durch Vorgesetzte ihre Pläne auch umsetzen können. Während der Aufenthaltsdauer von vier bis zehn Wochen können die Fellows, die in einem von Axel Springer angemieteten Haus in Palo Alto wohnen und arbeiten, gezielt und projektbezogen auf Kontakte des im Silicon Valley ansässigen Unternehmens »Rocketspace« zurückgreifen. So sind die Besucher in der Lage, über einen kurzen Zeitraum mehr Informationen zu sammeln, als auf eigene Faust möglich wäre.

Kapitel @UniversalbankVertrauen kann nur entstehen, wenn auch Verständnis für die Rolle der Banken da ist

Im Gespräch mit Jürgen Fitschen, Co-Vorsitzender des Vorstands und des Group Executive Committees der Deutschen Bank AG sowie Mitglied der Trilateralen Kommission in Europa

Deutsche Bank AG +++ nach Bilanzsumme und Mitarbeiterzahl größtes Kreditinstitut Deutschlands +++ eine der einflussreichsten Banken der Welt +++ bedeutende Niederlassungen in London, New York City, Singapur, Hongkong und Sydney

Jürgen Fitschen +++ Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann +++ studierte Wirtschaftswissenschaften +++ 1987 Deutsche Bank AG +++ 2012 Co-Vorsitzender des Vorstandes (Doppelspitze mit Anshu Jain bis 30. Juni 2015) +++ 2013 Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken

Agiles Fazit

#Wandel ist etwas Natürliches #Mit Veränderungen erfolgen neue Anstöße #Nicht alles kann im Voraus geplant werden #Auch aus der Situation heraus entscheiden #Umgang mit anderen Kulturen nutzen #Respekt vor allen Kulturen #Akzeptanz muss erarbeitet werden #Mit Respekt erhält man Zugang zu jedem Menschen #Leidenschaft mit Verantwortung umsetzen #Wandel wird mit Überzeugungen glaubwürdig #Mehr Wirtschaft in die Schule #Digitalen Fortschritt für mehr Effizienz nutzen #Beständiges im Wandel suchen #Leidenschaft mit Verantwortung

UHLIG: Ihr Lebenslauf ist old school – das meine ich positiv. Sie sind in einem Dorf aufgewachsen, haben eine klassische Ausbildung absolviert, sind dann für einige Jahre zur Citibank gegangen, anschließend waren Sie viele Jahre bei der Deutschen Bank tätig. Diese Kontinuität erlebt man ja heutzutage bei Managern eher selten. Was waren die entscheidenden Veränderungen für Sie?

FITSCHEN: Das war sicherlich in frühen Jahren der Wechsel von der kleinen Dorfschule aufs Gymnasium. Ebenso später der Wechsel in die große Stadt Hamburg zur Lehre und anschließend zur Universität. Dies alles hat sich natürlich sehr stark ausgewirkt auf die Art und Weise, wie ich Dinge empfunden und gedacht habe. Das heißt, mit vielen Veränderungen ist immer wieder ein neuer Anstoß gekommen, der meine Sicht auf die Dinge neu beeinflusst und neue Horizonte eröffnet hat. Womöglich liegt hier die Wurzel für meine spätere Entscheidung, beruflich nach Asien zu gehen. Ich war in Thailand, als dieses Land die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft weltweit war; durchschnittlich 14 Prozent im Jahr. Zu erleben, wenn plötzlich wirtschaftlich alles möglich ist, ist eine besondere Erfahrung. Und drei Jahre später in Japan erlebte ich das Gegenteil. Die Blase platzte. Und die Gesellschaft war, weil wir vom Wandel sprechen, nicht in der Lage, damit angemessen umzugehen. Und das bis heute. 20 Jahre später stellen wir immer noch fest, dass ein Wandel dort nicht vollständig stattgefunden hat, wie es in anderen Gesellschaften zur gleichen Zeit möglich war. Insofern profitiere ich von diesen sehr unterschiedlichen Erfahrungen, die ich gemacht habe. Veränderungen haben mein Weltbild nachhaltig geprägt. Dafür bin ich sehr dankbar. Man wird sehr viel toleranter, hat mehr Verständnis für die Sichtweisen anderer. Und ich denke, das ist mir auch später in der Führungsaufgabe in Deutschland zugutegekommen.

UHLIG: War der Wandel etwas Bedrohliches für Sie?

FITSCHEN: Im Gegenteil. Steter Wandel ist ein vertrauter Teil meines Lebens. Wenn ich auf meine Berufsjahre zurückblicke, dann relativiert sich im Nachhinein so mancher Erfolg oder Nicht-Erfolg. Für mich gibt es heute auch keine »Schwarz-Weiß«-Sichtweisen mehr. Meine Erfahrung mit Veränderungen hat mich gelehrt, dass die Medaille immer zwei Seiten hat – mindestens. Wandel ist für mich also etwas ganz Natürliches. Er war nie bedrohlich für mich.

UHLIG: Kann Karriere im Zuge ständiger Veränderungsprozesse überhaupt geplant werden?

FITSCHEN: Ich wurde oft von jüngeren Mitarbeitern gefragt, ob man denn angesichts aller Veränderungen und Unsicherheiten überhaupt noch seinen Berufsweg planen soll. Mein Rat: Wir können nicht alles im Voraus planen. Man sollte sich manchmal auch der Situation stellen und dann aus der Situation heraus entscheiden und das Beste daraus machen. Ich glaube nicht, dass es generell möglich ist, auf viele Jahre im Voraus genau festzulegen, wie die Dinge sich entwickeln werden.

UHLIG: Meinen Sie, die Unsicherheit in unserer Gesellschaft wächst?

FITSCHEN: Das befürchte ich. Gerade in den letzten Wochen und Monaten konnten wir eindrucksvoll beobachten, wie sich die Dinge in unserer Welt verändern – nicht immer zum Guten. Wer hätte vor ein paar Monaten noch gedacht, dass man deutschen Politikern in Griechenland so feindselig begegnet? Alle Stereotypen sind hier wieder hochgekommen. Und auch nicht wenige Deutsche scheinen zu glauben, die Griechen seien faul und würden auf Kosten anderer leben. Umgekehrt legt man den Griechen in den Mund, wir, die Deutschen, würden sie gängeln und wirtschaftlich ausnutzen. Das ist schon erstaunlich. Bis vor Kurzem war das Verhältnis zwischen beiden Ländern intakt, geprägt von Freundschaft und engen wirtschaftlichen Beziehungen. Oder schauen Sie sich die Situation in der Ukraine und das Verhalten in Russland an. Das ist wenig ermutigend. Und zeigt ebenfalls, wie stark die Welt Veränderungen und Unsicherheiten ausgesetzt ist. Das wird künftig eher zunehmen als abnehmen. Darauf müssen wir uns einstellen.

UHLIG: Und wenn Sie die Perspektive aus der Bank heraus betrachten?

FITSCHEN: Hier beschäftigen mich vor allem zwei Dinge: einmal die fortschreitende Digitalisierung unserer Welt, weil sie das gesellschaftliche Miteinander dramatisch verändern wird. Wir Bürger sind hier im Übrigen sehr inkonsequent. Alle scheinen gerne ihre privaten Daten preiszugeben und loben gleichzeitig die Errungenschaften des freien Internets. Dies birgt durchaus Gefahren. Die Menschen merken oftmals gar nicht mehr, dass sie auch einen Preis zahlen, und zwar nicht im monetären Sinne. Sie zahlen sozusagen mit ihrer eigenen Information, die andere dann wirtschaftlich ausnutzen können. Das führt mich zum zweiten Punkt – der Ökonomisierung des Privaten. Auch das verändert die Art und Weise unseres Zusammenlebens fundamental.

UHLIG: Können Sie Beispiele für die Ökonomisierung des Privaten nennen?

FITSCHEN: Es betrifft verschiedene Lebensbereiche, beispielsweise Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen, Altersvorsorge, kulturelle Aktivitäten oder die Inanspruchnahme von Infrastruktureinrichtungen. Dabei scheint es mir in Zeiten zunehmender Digitalisierung für eine wachsende Zahl von Menschen problematischer zu werden, zwischen den Begriffen »ohne Nutzen« und »nutzlos« zu unterscheiden.

ANDERSON: Zurück zu Ihnen: Wie empfanden Sie Ihre Rückkehr nach Deutschland? Das war sicher nicht so einfach.

FITSCHEN: Zurück nach Deutschland zu kommen war viel schwieriger, als vorher innerhalb Asiens zu wechseln. Denn jetzt war ich in der Zentrale. Und diese Umgebung war vor allem eines: sehr deutsch geprägt. Andererseits hatte es auch seine Gründe, warum man mich gebeten hatte, wieder nach Deutschland zu kommen. Es war ja nicht so, dass Asien für die Bank nicht mehr interessant gewesen wäre. Man hat aber gesehen, wie ich in Asien mit Kollegen und Kunden umgegangen bin, und wollte, dass ich das von Frankfurt aus mit weltweiter Perspektive mache. Aber bequem und einfach war dieser Schritt für mich sicher nicht. Ich wurde aus meiner gewohnten Umgebung herausgerissen. Man kann sagen, ich ging, bevor ich alles ernten konnte, was ich vorher gesät hatte. Dieses Gefühl, etwas unvollendet zurückgelassen zu haben, war damals stark bei mir vorhanden.

UHLIG: In welcher Kultur haben Sie sich wohler gefühlt, in der asiatischen oder in der deutschen?

FITSCHEN: Das kann ich nicht eindeutig beantworten. Ich habe vor allem den persönlichen Umgang in Asien geschätzt, der dort eine besonders große Rolle spielt. Der Umgang mit Asiaten ist durchaus kompliziert. Wer aber dem Vorurteil glaubt, Asiaten seien oberflächlich und lächelten stets, hat diese Kultur nicht verstanden. Man kommuniziert dort eben auf andere Art und Weise, als das bei uns üblich ist. Aber eines haben beide Kulturen gemeinsam: Man kann zu jedem Menschen einen persönlichen Zugang finden, wenn man ihm mit dem nötigen Respekt begegnet.

UHLIG: Sie haben in Ihrem Berufsleben ein großes Netzwerk aufgebaut. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in verschiedenen Ländern insbesondere in Europa, Asien und dem Mittleren Osten. Es muss ein Erfolgsgeheimnis geben, warum Sie mit den Menschen in den unterschiedlichsten Regionen besonders gut auskommen. Was ist das Geheimnis?

FITSCHEN: Ich versuche, meinen Gesprächspartnern das Gefühl zu vermitteln, dass sie offen mit mir sprechen können – ohne Gefahr zu laufen, das Gesicht zu verlieren. Das ist das Schlimmste, was man seinem Gesprächspartner in Asien antun kann: ihn bloßzustellen. Hier in Deutschland spielt dieser Punkt nicht so eine große Rolle. Auch nicht in den USA, wo Sie vielleicht zunächst direkt kritisiert werden, wenn Sie zu weit gegangen sind. Danach ist es aber auch schnell wieder vergessen. Das geht in Asien nicht, das dürfen Sie dort nicht tun. Sie müssen immer und jederzeit die Form wahren. Die Direktheit, die wir hier in den westlichen Ländern pflegen, gibt es in Asien nicht. Deshalb ist es für einige westliche Manager auch schwierig, mit Asiaten ins Gespräch zu kommen und von ihnen akzeptiert zu werden. Aber diese Akzeptanz müssen Sie sich erarbeiten. Hier entstehen echte Partnerschaften in vielen Jahren vertrauensvoller Zusammenarbeit. So etwas finden Sie heute in den westlichen Ländern nicht mehr oft.

UHLIG: Sie haben viel erlebt mit Managern aus der Wirtschaft, auch in emotionalen Situationen. Konnten Sie immer vertrauen?

FITSCHEN: Nein, nicht immer. Ich habe auch meine Erfahrungen gemacht. Aber nicht so, dass ich danach ohne Hoffnung geworden wäre. Man braucht eine gewisse Gelassenheit. Man muss erkennen, dass es im Leben nicht immer gerecht zugeht und dass man daran aber nicht verzweifeln sollte.

ANDERSON: Wobei Ihre Karriere wahrscheinlich auch wenig Anlass zu Zweifeln gegeben hat, oder? Also ich denke jetzt an die Zeit, als die Welt wirklich noch in Ordnung war. Die Deutsche Bank war der Inbegriff der Stabilität. Sie waren im Vorstand angekommen. Denkt man da ans Scheitern, wenn man so einen erfolgreichen Weg gegangen ist? Bekommt man da überhaupt Zweifel?

FITSCHEN: Na ja, die heile Welt, die Sie hier ansprechen, von der reden wir zwar häufig, aber dann doch meistens in der Rückschau. Ich habe meine Zweifel, ob die Welt jemals so »in Ordnung« war. Zum anderen verstehe ich Zweifel als Fähigkeit, sich selbst in Frage zu stellen. Verliert man diese Fähigkeit, wird es gefährlich.

UHLIG: Und die Nachricht vom Ausscheiden Anshu Jains, ihres Co-Vorstandsvorsitzenden, war sicher auch nicht einfach.

FITSCHEN: Auch diese Veränderung muss ein Manager verkraften. Und Sie müssen immer damit rechnen, dass so etwas passieren kann. Wer sich hinstellt und meint, er sei jetzt ganz oben angekommen und ihm könne nichts mehr passieren, der scheint mir ziemlich naiv.

UHLIG: Sie als Co-Vorstandsvorsitzender werden in der Öffentlichkeit von vielen mit einem gewissen Neidfaktor wahrgenommen: gehobener Status, hohes Gehalt, Chauffeur, Dienstwagen, exklusives Büro. Vielen ist nicht klar, welcher Einsatz damit verbunden ist – im Sinne von überdurchschnittlicher Verantwortung, viel Arbeit und pausenloser Termine; kaum Privatleben. Meinen Sie, die Menschen sollten mehr darüber erfahren, was ein Manager in Ihrer Position alles leistet?

FITSCHEN: Ich glaube, viele sehen schon, dass wir eine hohe Verantwortung tragen und dass wir einen sehr ausgefüllten Kalender haben. Vieles wird festgemacht an der Person des Vorstandsvorsitzenden. Das habe ich zu Zeiten von meinem Vorgänger erfahren. Und nachdem Anshu Jain und ich übernommen hatten, ist es uns genauso ergangen. Man darf nicht den Versuch machen, sich dem zu entziehen. Insofern ist diese Art der Öffentlichkeitsarbeit, die wir in dieser Position verrichten, ein Teil unseres Aufgabengebietes, ein Teil, der in dieser medialen Welt immer wichtiger geworden ist.

ANDERSON: Es gibt den Spruch von Clement Stone: »To every disadvantage there is a corresponding advantage.« Können Sie dem Ganzen etwas Positives abgewinnen?

FITSCHEN: Es gab in meinem Berufsleben keinen einzigen Tag, den ich als verlorenen Tag empfunden habe. Die unzähligen Begegnungen mit Freunden, Kollegen und Kunden auf der ganzen Welt möchte ich auf gar keinen Fall missen. Das kann sicher nicht jeder von seinem Beruf behaupten. Und ich bin mir zutiefst bewusst, welches Glück mir damit zuteil geworden ist. Die positiven Aspekte überwiegen eindeutig.

UHLIG: Finden Sie den Slogan Ihrer Bank »Leistung aus Leidenschaft« noch angemessen im Zuge der Krise und des Kulturwandels? Oder müsste der Slogan heißen: Leistung aus Verantwortung?

FITSCHEN: Ich habe sehr früh gesagt, dass ich den Slogan nicht mehr optimal finde. Damit will ich nicht sagen, dass »Leistung aus Leidenschaft« für uns nicht mehr gilt. Sie gehört zur Deutschen Bank. Denn wir nehmen für uns in Anspruch, dass wir stets die höchsten Erwartungen an uns alle haben. Das muss auch so bleiben. Ich habe den Slogan deshalb kritisch beurteilt, weil Leidenschaft auch zu Exzessen führen kann, wenn sie keine Grenzen mehr kennt, wenn Menschen Maß und Mitte verlieren. Und deshalb sagte ich, dass Verantwortung, Integrität und Disziplin ebenfalls dazugehören. Das heißt, Leidenschaft allein reicht nicht aus, sie muss auch verantwortungsvoll umgesetzt werden.

UHLIG: War die Leidenschaft am Pokertisch das Dilemma?

FITSCHEN: Poker ist Glückspiel und das ist schlicht nicht unser Geschäft. Leidenschaft im falsch verstandenen Sinne ist, wie gesagt, generell nicht gut. Man muss im Übrigen bei der Aufarbeitung von Fehlverhalten immer auch die Zeit berücksichtigen, in der es aufgetreten ist. Es gilt, gut zu unterscheiden zwischen den Dingen, die sowohl damals wie auch heute nicht korrekt waren beziehungsweise sind. Und es gibt andere Fälle, die aus heutiger Sicht nicht richtig sind, aber seinerzeit rechtlich in Ordnung waren. Nicht alles, was damals getan wurde, muss heute sanktioniert werden. Aber wir stellen fest, dass sich die Einstellung zu bestimmtem Geschäften und Handlungsweisen geändert hat – und oftmals zu Recht. Und deshalb wollen wir uns auch in Zukunft genauso leidenschaftlich um unsere Kunden kümmern wie bisher.

UHLIG: Welche Rolle spielt Risiko dabei?

FITSCHEN: Ernst zu nehmende Stimmen sagen, dass wir bald eine Gesellschaft sind, in der keiner mehr bereit ist, Risiken zu übernehmen. Eine Gesellschaft, in der jeder glaubt, er muss gegen alle Eventualitäten geschützt werden. Das kann nicht funktionieren, denn unser Geschäft hat per se nicht nur Chancen, sondern auch Risiken.