Das andere Mecklenburg-Vorpommern - Wolf Schmidt - E-Book

Das andere Mecklenburg-Vorpommern E-Book

Wolf Schmidt

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Beschreibung

Das andere Mecklenburg-Vorpommern ist das unbekannte und geheimnisvolle, skurrile, missverständliche und irritierende. Augenzwinkernd und sorgfältig recherchiert entfaltet sich hier ein neues Bild des Nordostens mit überraschenden Bezügen zum Rest der Welt.

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Inhalt

Aalbude

Ananas

Benzin

Bluetooth

Cap Arcona

Donnerkeil

Essen

Fischdose

Glück

Hansa

Hühnergott

Hymne

Ikarus

Kreta

Kuchen, Sternberger

Landeslied

Lulu

Maikäfer

Maräne – Moräne – Muräne

Mecklenburg

Mecklenburg vor Pommern

Nackte

Ostsee

Pommern

Qualle

Raps

Rom

Schweiz

Soll

Strelitzie

Troja

Unendlichkeit

Vagel Bülow

Weltuntergang

Wessi

Zepelin

Ein anderes Mecklenburg-Vorpommern?

Zur Einführung

Mecklenburg und Vorpommern, wie man das Doppelland nicht aus Reiseführern, Geschichtsbüchern oder Landeskunden kennt, darum geht es hier. Dieses Buch wagt eine Expedition in das Geheimnisvolle, Skurrile, Irritierende und Missverständliche des Nordostens.

Was hat der Ort Benzin mit dem Treibstoff zu tun, was Wedekinds Hure mit Ludwigs Lust und wieso gab es Bluetooth an der Ostsee schon vor über 1.000 Jahren? Wie ist genau der Zusammenhang zwischen Fischdose und Archäologie, Maikäfer und Pommern oder Pommes und Pommern? Und wie kommt die südafrikanische Strelitzie zum Namen slawischer Bogenschützen in Mecklenburg?

Endlich aufgearbeitet wird hier die Mecklenburger Verwandtschaft Loriots, der Anteil des Teufels am Landschaftsbild des Nordostens und die Grundsatzfrage nach dem Glück zwischen Schaalsee und Oder. Auch die Bezüge zwischen Mecklenburg und der Schweiz, das Kretische an Rügen oder kulinarische Untiefen kommen nicht zu kurz. Selbst wie das Land zu besingen ist, soll nicht unterschlagen werden.

Man sieht, es geht um wirklich wichtige Themen, die viel über Mecklenburg-Vorpommern verraten und zugleich weit, sehr weit, darüber hinausweisen. Eine augenzwinkernde Expedition mit Sinn für Ironie des Faktischen. Sorgfältig recherchiert, erfährt der Leser nicht selten auf den ersten Blick Nebensächliches, das aber Erkenntnis über Land und Leute fördert. Ein Land erschließt sich auf Seiten- und Umwegen eben besser als auf Autobahnen.

Viel Spaß beim Ausflug in das andere Mecklenburg-Vorpommern!

Dr. Wolf SchmidtDobin am See, Frühjahr 2024

Aalbude

Ortsteil der Gemeinde Dargun, Postleitzahl 17159

Aalsuppe nach Art des Hauses, Räucheraal, Aal gebraten oder hausgemachtes Aalsauer – das bietet das Restaurant Aalbude im gleichnamigen Ort. An der historischen Grenze zwischen Mecklenburg und Pommern, wo die Peene den Kummerower See verlässt, ist der Ort seit 1697 nachgewiesen. Hier siedelten seit dem 14. Jahrhundert Aalfischer. Mit Aalwehren fingen sie die extrem fetten Fische aus dem Fluss. Für Wasserfahrzeuge mussten sie die Wehre öffnen. Zoll wurde hier bis ins 19. Jahrhundert erhoben. Das 1893 gebaute Fährhaus bot auch Raum, Durchreisende auf Cholera zu untersuchen ( Weltuntergang).

Mecklenburg hat es nur zu einer kleinen Aalbude gebracht. Dänemark dagegen brüstet sich mit einer großen Aalburg, nämlich Aalborg am Limfjord zwischen Nord- und Ostsee. So wie der Aal die südliche Ostseeküste liebt, lieben deren Bewohner ihn – wenn auch in unterschiedlicher Weise.

Beim Verzehr sollte man bedenken, welche außergewöhnlichen Leistungen sich auf dem Teller verbergen. Getrieben von seiner sexuellen Orientierung reist der schlängelnde Fisch von der Aalbude bis zu den Bermudas. Dort will er im schiffeverschlingenden Sargassomeer für Nachwuchs sorgen. Bevor er die Nordsee erreicht, nimmt er sogar Landwanderungen in Kauf – mit Hautatmung und bevorzugt bei hässlich-herbstlichem Regenwetter. Dann 5.000 km Schwimmen – und das ohne Nahrungsaufnahme. Tag und Nacht – in 200 bis 1.000 Metern Tiefe tags und an der wärmeren Oberfläche nachts. Jetzt ist klar, wofür das viele Fett auf dem Teller eigentlich bestimmt war.

Anders als sein kulinarischer Freund braucht der Aal kein GPS beim Reisen. Er verlässt sich auf die eingebaute magnetische Orientierung. Sein Aussehen folgt der Natur: im Binnengewässer gelb-grün-braun, im Meer gibt er sich als „Blank“- oder „Silberaal“. So fällt er nicht auf. Im Inneren schafft er auch Erstaunliches. Richtung Bermuda-Dreieck bildet er seine Verdauungsorgane zurück, denn das gibt Platz für wachsende Geschlechtsteile. Wenn die bis zu 2.000 m tief in der Sargassosee ihre Schuldigkeit getan haben, ist auch der Aal am Ende. Dann beginnt für die kleinen Weidenblattlarven der Rückweg. Zu durchscheinenden „Glasaalen“ entwickeln sie sich auf der Reise.

Die menschliche Neugier gegenüber dem geheimen unterseeischen Treiben von Anguilla anguilla blieb bis ins 20. Jahrhundert unbefriedigt. Dem verdankt die Aalmutter Zoarces viviparus ihren Namen. Statt eines Aalvaters kennt die Biologie nur männliche Aalmütter. Der leicht getigerte schleimige Knochenfisch erreicht bestenfalls entfernt Ähnlichkeit zum Aal, teilt mit ihm aber den Hang zum biologisch Kuriosen. Er legt nämlich keine Eier, sondern bringt lebende Fischlein zur Welt. Diese sehr seltene Eigenschaft hat zu der Annahme geführt, von den Aalmüttern würden die Aale geboren.

Ähnlich irrleitend ist der Arbeiter-Aal. Man mag denken, es handele sich um ein sozialpolitisch motiviertes Angebot von verbilligtem Aal. Weit gefehlt. Dahinter verbirgt sich der Hornhecht Belone belone, der weder gehörnt noch Hecht ist. Der schlanke „Marlin des kleinen Mannes“ mit seinem langen spitzen Schnabel bevölkert im Schwarm unter anderem die Ostsee. Zur Rapsblüte ( Raps) – aber nicht ihretwegen – kommt er in großer Zahl an die Ostseeküste, zum Beispiel im Greifswalder Bodden und in der Wismar-Bucht. Hier lassen sich die Fische leicht fangen und sind deshalb für Arbeiter erschwinglich. Lecker und leider grätenreich, erschrecken sie doch manchen Esser bei der Erstbegegnung. Wie auch bei der Aalmutter verfärbt sich das Skelett beim Erhitzen blau-grünlich. Das ist faszinierend zu sehen und kein Grund zur Sorge. Dahinter steckt das grüne Abbauprodukt Biliverdin des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin.

Der Sandaal ist ebenso essbar und an der Ostsee heimisch. Er sieht nur aus wie ein Aal. Der wissenschaftliche Name Ammodytidae heißt übersetzt Sandtaucher und genau das machen diese Fische bei Gefahr. Als Angelköder hat er den Ruf einer „Praline der Ostsee“.

Der Seeaal dagegen kann als „Meeraal“ ein Verwandter des Europäischen Aals sein. Im Fischgeschäft geht es aber meist um einen Fantasienamen des Handels für den Dornhai, der auch in der Ostsee vorkommt ( Ostsee). Da Haie lange keinen verkaufsfördernden Ruf hatten, vermarktet man das Rückenstück als Seeaal und die geräucherten Bauchlappen als Schillerlocke. Die war der Räucheraal-Ersatz auf dem DDR-Büffet. Dabei bleibt zu hoffen, dass Schillers Locken nicht ähnlich fettig waren und vor allem nicht so hohe Methylquecksilbermengen angereichert hatten wie der arme Dornhai.

Der Europäische Aal gilt als Aussterbekandidat. Um die Bestände zu sichern, werden Glasaale im Meer an Flussmündungen gefangen und in Binnengewässern ausgesetzt. Ob es hilft?

Möglicherweise hat Günter Grass mehr für den Erhalt des Aals getan. Sein Roman „Die Blechtrommel“ enthält eine Szene, wie Aale aus dem abgetrennten Kopf eines toten Pferdes gefangen werden. Sie haben es sich in dem Aas gemütlich gemacht. Agnes, die Mutter des blechtrommelnden Oskar Matzerath, bekommt beim Anblick das Kotzen, muss aber den Aal essen. Später stirbt sie an Fischvergiftung. Die Ekeldarstellung in Wort und Film ist fachlich falsch, weil Aale solches Aas nicht fressen. Die Darstellung hat aber manchem den Appetit auf Aal verdorben.

Ananas, die

Ananas comosus, aus dem tropischen Amerika stammende Bromelie mit fleischigem Fruchtstand unter üppigem Schopf.

Ananas in Alaska zu züchten, diese Idee fand der CSU-Heilige Franz Josef Strauß 1969 attraktiver als deutscher Bundeskanzler zu werden. Eher als in Alaska würden Einzelexemplare in Mecklenburg und Vorpommern mit Glück auf der Fensterbank gedeihen. Vor 60 Jahren war im Westen die Ananas – in Scheiben oder Stücken – primär als Konserve bekannt. Die frische Frucht war ein Luxusgut, das der DDR-Großhandel gar nicht führte.

Wie bei jedem Luxus ruft die weniger begüterte Bevölkerung nach einem preisgünstigen Imitat. Mecklenburger Ananas ist insofern nicht eine solche aus hiesigem Anbau und es handelt sich auch nicht um eine Frucht, sondern um eine Wurzel in ungefähr gleichem Umfang und mit ähnlicher Farbe des Inneren.

So machte hier als Ananas ausgerechnet jene kulinarische Massenware Karriere, die neben Millionen Kriegstoten zu den grausigsten Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg zählt: der Steckrübenwinter 1916/17, in dem das hart arbeitende Volk mit der Kohlwurzel – plattdeutsch Wruke – abgespeist wurde. Die geschmackliche Nähe zu Ananas lässt sich mit folgendem Rezept selbst ausprobieren – im Krieg natürlich ohne Fleischanteil.

Rezept MECKLENBURGER ANANAS

Zutaten500 Gramm Schweinefleisch (z.B. Rippchen) 1 Wruke 2 kleine Möhren 1 kleine Zwiebel 1 Teelöffel Majoran 1/2 Teelöffel Kümmel Gemüsebrühe und Salz

Zubereitung

▶ Die Wruke wird geschält und in kleine Würfel geschnitten. Man gebe eine grob geschnittene Zwiebel in den Topf und dünste das Fleisch darin an, aber nicht braun werden lassen.

▶ Man fülle dann das Fleisch mit Gemüsebrühe auf und lasse es 1/2 Stunde vorkochen.

▶ Dann gewürfelte Wruke sowie Majoran, Kümmel, Salz und Möhren dazugeben und alles garkochen, dabei immer mal kosten, bis die Wrukenstückchen bissfest sind.

▶ Nochmal abschmecken und nach Belieben noch Petersilie dazugeben. Dazu Salzkartoffeln reichen.

Das Rezept für Pommersche Ananas funktioniert etwas anders:

Rezept POMMERSCHE ANANAS

Zutaten2 Keulen von der Pommerngans 1 Bund Suppengrün 750 Gramm Wruken 6 große Kartoffeln Salz frisch gemahlener Pfeffer Zucker 1 Bund Thymian

Zubereitung

▶ Zunächst mit zwei Gänsekeulen und Suppengemüse in ca. 35 Minuten einen Suppenfond kochen.

▶ In der Zwischenzeit 750 Gramm Wruken und 6 große Kartoffeln in Würfel schneiden.

▶ Die Gänsekeulen aus dem Fond nehmen, zuerst die Wruken, 10 Minuten später die Kartoffeln in die Suppe geben.

▶ Während die Kartoffeln und Wruken kochen, das Fleisch von den Knochen entfernen.

▶ Wenn alles gar ist, das Fleisch zurück in die Suppe geben, mit Salz, einer Prise Zucker, frisch gemahlenem Pfeffer und viel Thymian würzen.

Sollte wider Erwarten etwas von der Suppe übrig bleiben, wird diese von Tag zu Tag köstlicher.

Während bei der Ananas der Verdacht aufkommen mag, dass die Benennung der Regionalausgabe in Unkenntnis, wenn nicht zynischer Verleugnung, des Originals erfolgte, feierte ein anderes Rübenimitat einen Triumph. Jeden Herbst berichten die Medien des Landes von der „Rübenkampagne“: Über eine Million Tonnen Zuckerrüben verarbeitet die Zuckerfabrik Anklam zu „weißem Gold“ – und das schon seit 1883.

Ursprünglich hatten die Europäer ihren Bedarf an Süßstoff durch Honig decken müssen. Mit den Kreuzzügen des Mittelalters lernten zumindest die Reichen Zucker aus Zuckerrohr, dem bis zu sechs Meter hohen Süßgras, kennen. Schösslinge davon brachte Kolumbus 1493 in die Karibik, wo sie prachtvoll gediehen. Für die Zuckerrohr-Wirtschaft wurden in den folgenden Jahrhunderten viele Millionen Schwarze in Afrika versklavt und auf die lateinamerikanischen Plantagen verschickt.

Die Idee, Zucker statt aus der Karibik aus der europäischen Runkelrübe zu gewinnen, verdankt sich nicht menschenrechtlicher Motivation, sondern Napoleons Wirtschaftssanktionen gegen Großbritannien, der „Kontinentalsperre“ von 1806 bis 1813. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts konnten die Mecklenburger und pommerschen Landarbeiter dank besserer Zuckerrüben-Sorten und Anbaumethoden mit den amerikanischen Zuckersklaven konkurrieren. Zuckerbarone residierten nun nicht mehr nur in der Karibik, sondern auch auf Gütern Mecklenburg-Vorpommerns.

Rohrzucker und Rübenzucker sind chemisch identisch. Vom Mecklenburger Zuckerrohr könnte man also mit mehr Recht sprechen als von Mecklenburger Ananas.

Benzin

Unter anderem

■ Ortsteil von Wedendorfersee im Landkreis Nordwestmecklenburg mit PLZ 19217

■ Ortsteil von Kritzow im Landkreis Ludwigslust-Parchim mit PLZ 19386

■ Treibstoffe verschiedener Art

■ Lied der Band Rammstein

■ (Gas) Gemälde von Edward Hopper (1940)

Die Vermutung, dass die beiden Benzin-Dörfer in Mecklenburg etwas mit dem Treibstoff zu tun haben, liegt nahe, findet aber vor Ort keine unmittelbare Bestätigung. Dort ist weder ein Gedenkstein für die Entwicklung des Kraftstoffs noch eine Raffinerie oder auch nur eine Tankstelle zu finden. Der nächstliegende Zusammenhang ergibt sich aus dem Vorhandensein einer Bushaltestelle, auch wenn Busse zum Teil schon elektrisch angetrieben werden.

Namensverwandt erscheint der Erfinder Carl Benz, der erstmals in automobilem Zusammenhang den Treibstoff in seiner Patentschrift zum „Benz Patent-Motorwagen Nummer 1“ von 1886 als „leichtflüssiges Oel“ erwähnt. Seine Frau Bertha Benz bezog es bei einer Probefahrt 1888 von der Wieslocher Stadtapotheke am Südrand des Odenwalds.

Nun scheint sich gleich ein doppelter Bezug zu Mecklenburg-Vorpommern aufzutun, denn neben Benzin ist auch Benz hier ein Ortsname. Einmal als Ortsteil der Rügener Gemeinde Gustow, als selbständige Gemeinde mit über 1.000 Einwohnern und der Postleitzahl 17429 im Achterland der Insel Usedom, der so genannten Usedomer Schweiz ( Schweiz) sowie mit der Postleitzahl 23970 östlich von Wismar. Urkundlich wurde Benz erstmals 1229 als „Bents“ erwähnt. Die nächstgelegene Tankstelle befindet sich im benachbarten Seebad Bansin, das auch verdächtig klingt. 1256 hieß es noch „Banzin“. Der Name soll wendischen Ursprungs sein und so etwas wie „vom Stamm“ oder auch „Hummel“ oder „Brumme“ bedeuten. Benzin bei Lübz mit Ersterwähnung 1300 als „Banzin“ leitet sich angeblich von slawisch bak für Schrei oder von Herrn Beka ab.

Aber zurück zu Carl Benz. Irritierend ist, dass der Familienname Benz mit dem Ortsnamen nicht recht harmoniert. Benz heißen Menschen gerade dort, wo Orte nicht so genannt werden, nämlich in Süddeutschland. Auch für den Namen gibt es diverse Erklärungsansätze, zum Beispiel aus dem Vornamen Berthold oder Benedikt. So erweist sich bei näherer Betrachtung die ganze Verbindung von Carl Benz und Benzin zwar technikgeschichtlich als treffend, begriffsgeschichtlich aber als Sackgasse.

Versuchen wir den Blick über die Landesgrenzen hinaus global zu weiten. In Südostasien wachsen verschiedene Arten von Storax-Bäumen (Styrax spp). Wenn man die circa 20 m hohen Exemplare anritzt, tritt ein Harz aus, das zu festen bröckeligen Klumpen erstarrt und lieblich-süßlich nach Vanille sowie Schokolade duftet. Die Araber nannten es luban djawi, d.h. Weihrauch von Java, der mit dem arabischen Weihrauch der Gattung Boswellia zwar nicht verwandt ist, aber ebenso zum Beräuchern beispielsweise indischer Tempel und russisch-orthodoxer Kirchen genutzt wird. Dieses Harz brachten Araber in den Mittelmeer-Raum, wo die Italiener unter Weglassung der ersten Silbe den Namen zu Benjui verballhornten. Mittellateinisch wurde daraus benzoe. Aus dem Harz extrahiert man Benzoesäure. Die ist jedem geläufig, der sich zum Beispiel die Inhaltsstoffe von Fisch- und Krabbenzubereitungen anschaut. Mit dieser Säure und Kalkmilch synthetisierte der Chemiker Eilhard Mitscherlich 1833 erstmals einen flüchtigen Stoff, den er als Benzin bezeichnete. Justus von Liebig benannte aus systematischen Gründen Benzin um in Benzol, während die heutige offizielle wissenschaftliche Nomenklatur daraus „Benzen“ gemacht hat. Den Begriff verwendet aber kaum jemand.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts fiel Benzol oder Leichtbenzin als Abfallprodukt der Petroleumherstellung an. Es wird bis heute als Wasch- oder Fleckenbenzin in Apotheken und Drogerien verkauft. Die Verwendung als Motortreibstoff verdanken wir im Grundkonzept Carl Benz, der damit den Ottomotor weiterentwickelte. Otto hatte zunächst mit Spiritus als Treibstoff begonnen.

Festzuhalten ist somit, dass Mecklenburg-Vorpommern die älteren Rechte am Namen Benzin geltend machen kann, aber Verwechslungsmöglichkeiten mit dem Treibstoff infolge arabisch-italienisch-mittellateinischer Hörverständnisprobleme hinnehmen muss.

Zur automobilen Nutzung von Benzin hat Mecklenburg-Vorpommern dennoch Wichtiges beizutragen. Nicht nur liebt der Bewohner des weiten, dünn besiedelten Landes den Verbrennungsmotor, das Land hat auch Automobilgeschichte geschrieben. Zwar gebührt Carl Benz der Ruhm, das erste Automobil auf die Straße gebracht zu haben. Aber nur knapp. Da gibt es nämlich noch Siegfried Marcus aus dem mecklenburgischen Malchin. Wenn ihn heute kaum jemand mehr kennt, ist dies leider ein Erfolg der NS-Herrschaft, die ihn wegen seiner jüdischen Abstammung aus dem Gedächtnis tilgte.

1831 geboren, absolvierte Marcus eine – heute unter Kinderarbeit fallende – Mechanikerlehre in Malchin und ging mit 14 Jahren zuerst nach Hamburg und Berlin, schließlich als Neunzehnjähriger nach Wien. 1870 baute er dort das erste benzinbetriebene Straßenfahrzeug der Geschichte, das allerdings noch weder über Bremsen noch Lenkung oder Kupplung verfügte. Der zweite Marcus-Wagen, nun mit den klassischen Bestandteilen eines Kraftfahrzeugs, entstand fast zeitgleich mit dem von Benz 1888/89. Während der Benz ein motorisiertes Dreirad war, baute Marcus das erste vierrädrige Auto. Dieser Wagen steht als das älteste in fahrfähigem Zustand erhaltene Benzinautomobil der Welt im Technischen Museum Wien. Ein originalgetreuer Nachbau des ersten Wagens ist im Heimatmuseum Malchin zu besichtigen. Zu Marcus‘ vielen Pionierleistungen gehört unter anderem die Magnetzündung, die von Bosch weiterentwickelt wurde.

Vergessen ist neben der Flugzeug-Industrie ( Ikarus) auch die einstmals blühende Automobilindustrie des Landes. In Wismar baute die Firma Podeus als Weiterentwicklung von Eisenbahnwaggons ab 1909 Serien-LKWs und ab 1910 auch Autos. Die Automobilfabrik Paul Heinrich Podeus produzierte mit 400 Beschäftigten für das In- und Ausland. Im historischen Vorpommern gründeten im heute polnischen Stettin Bernhard und Emil Stoewer schon 1899 eine Fabrik für Motorfahrzeuge und stellten im selben Jahr den „Großen Stoewer Motorwagen“ vor, von dem sich das einzig erhaltene Exemplar heute im Polytechnischen Museum in Moskau befindet. Stoewer gehörte zur Kategorie sportlicher Luxuskarossen auf Augenhöhe mit Mercedes und Horch, heute unter der lateinischen Übersetzung Audi bekannt. Hinzu kamen im Zweiten Weltkrieg zahlreiche Militärfahrzeuge. 1945 wurde das Werk geschlossen und anschließend für die Sowjetunion demontiert.

Nicht zu vergessen ist ein kultureller Bezug von Mecklenburg-Vorpommern zu Benzin. Mehr oder weniger zwischen den beiden Ortschaften Benzin liegt die Künstlerkolonie Drispeth, wo sich zu DDR-Zeiten auch der Kinderbuchautor Werner Lindemann niedergelassen hatte und sein Sohn Till in Wendisch Rambow aufwuchs. Till, der heute noch in Drispeth seinen Rückzugsort hat, wurde Mitgründer und Sänger der Metal-Band Rammstein, deren Musikvideo „Benzin“ bei YouTube inzwischen insgesamt über 70 Millionen Mal heruntergeladen wurde. Darin geht es nicht um die genannten Dörfer, sondern um die Benzin-Anbetung einer wüsten Feuerwehrtruppe. Aber immerhin.

Die Amerikaner bezeichnen Benzin als Gas und so heißt auch ein berühmtes Bild von Edward Hopper, das seltsamerweise trotz der einsamen Straße mit Tankstelle nichts mit Mecklenburg-Vorpommern zu tun, es kann aber dennoch als Meisterwerk gelten und im New Yorker Museum of Modern Art besichtigt werden.

Sollte man in Anbetracht all dieser Fakten Benzin in Mecklenburg besuchen? In Benzin sowie Neu Benzin in Nordwestmecklenburg und Benzin bei Lübz weisen Reste von Großsteingräbern aus der Jungsteinzeit auf eine Jahrtausende alte Besiedlung hin – das ist eher unspektakulär. Benzin bei Lübz kann dagegen mit einem echten Highlight des Carbon-Kapitalismus punkten. Hier ist eine stillgelegte Ziegelei mit einem gewaltigen Ringofen – der einzige in MV zugängliche – mit neu angesiedelten Kulturinitiativen zu besichtigen.

Bluetooth

■ (dt: Blauzahn) seit den 1990er Jahren entwickelter Industriestandard für die Datenübertragung per Funk

■ Harald I. Blauzahn Gormsson (im altnordischen Original: Haraldr blátǫnn), Wikinger-König circa 910 bis 985/87

Das Markenzeichen von Bluetooth suggeriert, es könnte sich um eine alte Wikingertechnik handeln. Es zeigt in Runen die Initialen HB für Harald Blauzahn. Intensivere Forschungen ergeben freilich, dass Harald weder die nötige Hardware noch die erforderliche Elektrizität besaß.

Käptn Blaubär, der Lügenbär aus der „Sendung mit der Maus“, dagegen verfügt über Bluetooth. Könnte Käptn Blaubär ein Kumpel von Harald Blauzahn sein? Beide haben eine Affinität zu gestrandeten Schiffen. Und eine der vielen Spekulationen über den Beinamen Haralds erklärt den blauen Zahn mit einer möglichen Vorliebe für Blaubeeren. Auch Bären mögen Blaubeeren. Aber der zeitliche Abstand von über 1.000 Jahren schließt eine Verbindung wohl aus.

Kehren wir zurück aus der Welt der Kinderzimmerfiguren in die reale. Hier hat 2018 ein 13-jähriger Junge von der Insel Rügen zusammen mit einem ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger den jüngsten Beweis einer Verbindung von Blauzahn und Pommern erbracht. Bei Schaprode – wo die Fähre nach Hiddensee abgeht – fanden sie einen Schatz mit mehr als 600 Silbergegenständen, darunter Halsringe, Fibeln, Perlen und einen Thorshammer. Am wichtigsten aber waren rund 100 Münzen, die Blauzahn hatte prägen lassen. Vor 150 Jahren war schon einmal 5 km entfernt am Neuendorfer Strand auf Hiddensee ein Goldschatz der Wikinger entdeckt worden. Den kann man nun durch die Münzdatierung auch in einen Zusammenhang mit Blauzahn bringen. Archäologen nehmen an, dass der verletzte Blauzahn hier auf der Flucht vor seinem Sohn, dem er ein Seegefecht geliefert hatte, Schätze vergraben hat.

Hinweise auf Wikinger aus dem neunten bis elften Jahrhundert gibt es zwischen Wismar und Oder-Mündung nicht wenige. Eine bedeutende Wikingersiedlung konnte in Menzlin wenige Kilometer nördlich von Anklam ausgegraben werden. Hier befindet sich der einzige bekannte Wikinger-Friedhof der südlichen Ostsee mit den typischen Schiffsgräbern. Offenbar nutzten die Wikinger die Peene, um zu Wasser ins Landesinnere zu gelangen.

Legendär ist das sagenhafte Vineta oder die Jomsburg. Ob diese mythischen Orte bei Arkona, Ralswiek, Menzlin oder auf der heute polnischen Insel Wollin zu lokalisieren sind oder überhaupt existierten, bleibt umstritten. Und ob in der Blauzahn zugeschriebenen Jomsburg tatsächlich eine Kriegerkaste lebte, die keine Frauen und nur wehrfähige Männer zwischen 18 und 50 Jahren zuließ, ist auch nicht bewiesen. Blauzahn immerhin hatte eine Mecklenburgerin als Frau, wobei es im neunten Jahrhundert noch kein Mecklenburg, aber die hier siedelnden slawischen Abodriten gab. Ob die Abodriten-Prinzessin Tove, von der eine Steinstele überliefert ist, allerdings Blauzahns Frau oder die Tochter seiner Frau – einer verwitweten Abodriten-Fürstin war –, ist ebenso nebulös.

Die frauenraubenden wilden Krieger mit schnellen Booten und reicher Beute faszinieren bis heute. Wikinger-Events aller Art werden in Mecklenburg-Vorpommern inszeniert – auch wenn die nordischen Krieger und Kaufleute nur eine historisch kurze Zeit und in vergleichsweise geringer Zahl hier auftauchten. Das Wikingererbe aufzublasen, verstanden schon die Nazis. Die wotangläubigen Nordmannen entsprachen ihrem Herrenmenschen-Ideal, die „ostischen“ Slawen galten dagegen als Untermenschen. In der SS-Division „Wiking“ vereinte Himmler 1940 „germanische“ Freiwillige aus Holland, Dänemark, Norwegen und belgische Wallonen. Spuren nationalsozialistischer Wikinger-Begeisterung in MV finden sich bis heute. So wurde das slawische Alt Gaarz an der Ostsee 1938 zu Rerik umbenannt, weil dort das wikingische Reric – zu Unrecht – vermutet wurde.

Die Bluetooth-Technik wurde von dem niederländischen Professor Jaap Haartsen und dem Schweden Sven Mattisson für die Firma Ericsson entwickelt. Sie basierte nicht zuletzt auf dem Frequenzsprungverfahren. Das hatte eine jüdische Schauspielerin aus Wien, die unter dem Namen Hedy Lamarr den Ruf der schönsten Frau der Welt genoss, 1940 entwickelt. In was für einem After-work-Rausch die beiden auf die Idee kamen, das mit einem blauzahnigen Wikinger-König in Verbindung zu bringen, muss hier offenbleiben.

Cap Arcona

Name zweier Kaps und diverser Schiffe in unterschiedlicher Schreibweise

K