Das Böse - Michael Weber - E-Book

Das Böse E-Book

Michael Weber

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Beschreibung

Herr Schwarz hatte also beschlossen, ein Verbrechen aufzudecken... Das tausendjährige Reich ist gefallen. Die Militärpolizei holt den Bürgermeister und die anderen Parteigrößen ab. Der Dorflehrer hütet ein Geheimnis. Und Herr Schwarz, der Pfarrer, erinnert sich nicht an die Zeit vor dem 11. März.

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Ach! Warum brüstet sich der Mensch damit, dem Tier gefühlsmäßig überlegen zu sein? Das macht uns nur zu bedürftigeren Wesen. Wären unsere Triebe auf Hunger, Durst und Begierde beschränkt, könnten wir beinahe frei sein. So aber werden wir von jedem Windstoß umhergetrieben, von jedem zufälligen Wort oder jedem Bild, das uns dieses Wort vermittelt.

Mary Shelley, Frankenstein

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Nachwort

Kapitel 1

Als Herr Schwarz zu sich kam, fühlte er sich, als wäre er über Nacht krank geworden. Seine Glieder waren schwer wie Blei. Die Augen wollten sich kaum öffnen. Als sie endlich offen waren, lag er noch lange Zeit - wie es ihm vorkam - regungslos da und starrte zu der weiß getünchten Decke hinauf. Nach einer weiteren langen Zeit bewegte er erst die Augen und dann den Kopf um sich umzusehen.

Er glaubte in einem Krankenhaus zu sein, denn der Raum war groß und weiß und es standen viele weiße Betten darin. In einem davon lag er selbst. Frauen in weißer Schwesterntracht eilten zwischen den Betten hin und her. Dem Licht nach zu urteilen, das durch die großen Fenster hereinfiel, musste es Nachmittag sein. Die Sonne schien. Er wäre gerne aufgestanden, wusste aber nicht, wie er es anfangen sollte, da seine Glieder ihm offenbar nicht gehorchen wollten.

Während er sich noch abmühte, trat eine Schwester auf ihn zu.

„Ach, Sie sind ja wach. Wie fühlen Sie sich?“

Er dachte lange über die Frage nach und lallte dann Worte, die er selbst nicht verstand.

Die Schwester schien daran keinen Anstoß zu nehmen. „Es ist ein Wunder“, sagte sie fröhlich, „dass Sie noch leben!“

Sie meinte es gut, aber Herr Schwarz erschrak zutiefst. Wovon sprach diese Frau? Warum war er hier? Was war mit ihm passiert? Panik griff nach ihm. Er wollte fragen, aber es gelang ihm nicht, sich verständlich zu machen.

Die Schwester merkte, dass sie ihn beunruhigt hatte. Sie brachte Wasser und flößte es ihm löffelweise ein. Sie wusch ihm das Gesicht und schob sein Kissen zurecht, wobei sie ihm ihren Busen ins Gesicht drückte.

Herr Schwarz wurde unterdessen sehr müde. Vielleicht, dachte er noch, war etwas in dem Wasser, ein Beruhigungs- oder ein Schlafmittel? Doch dann vergaß er alle seine Fragen und schlief wieder ein.

Ein paar Tage vergingen, ohne dass Herr Schwarz sich dessen bewusst wurde. Er schlief, erwachte, wurde gefüttert und gewaschen und schlief wieder ein.

Allmählich fühlte er sich kräftiger. Er versuchte, sich aufzusetzen, verspürte Hunger. Er bemerkte, dass er an einigen Stellen bandagiert war, aber es fühlte sich an, als wären die Wunden, die unter den Bandagen gewesen sein mochten, verheilt. Ein Arzt kam, besah ihn und schien begeistert zu sein.

Herr Schwarz dachte wieder daran, dass er nicht wusste, wie und warum er ins Krankenhaus gekommen war. Er fragte nach, und die Worte kamen zu seiner eigenen Überraschung klar und deutlich aus seinem Mund.

Der Arzt sah ihn erstaunt an.

„Wissen Sie es denn wirklich nicht?“

Herr Schwarz schüttelte betreten den Kopf.

Der Arzt setzte sich auf die Bettkante. „Sie wurden verschüttet“, sagte er. Er schien lachen zu wollen, als könne er es selbst nicht glauben. „Ein Bombenangriff! Können Sie sich wirklich nicht erinnern?“

Herr Schwarz dachte nach; er meinte, sich dunkel an Fliegeralarm zu erinnern und an Schreie, die ihn geweckt hatten. Aber wann und wo war das gewesen? Es wollte ihm nicht einfallen. Am Ende beschloss er, ein anderes Mal wieder darauf zurückzukommen und richtete seine Gedanken auf seine Genesung.

Es ging ihm jetzt täglich besser. Bald fühlte er sich in der Lage, aufzustehen und ein paar Schritte zu gehen. Der Arzt kam zu einer großen Untersuchung, maß seinen Blutdruck und seinen Puls, zog an allen seinen Gliedmaßen einzeln, fragte, ob er jedes einzelne spüre, drückte alle möglichen Stellen auf seinem Bauch, prüfte mit einem kleinen Hammer seine Reflexe, legte sein Stethoskop auf seine Brust und auf seinen Rücken und befahl ihm ausgiebig zu husten, schaute ihm tief in den Rachen und in die Augen und ließ ihn sich endlich wieder hinlegen.

„Es ist wahrhaftig ein Wunder“, seufzte er glücklich. „Sie hatten eine schwere Gehirnerschütterung natürlich, Verbrennungen, Prellungen und Abschürfungen, aber nichts wirklich Schlimmes; bald sind Sie wieder völlig hergestellt.“

Herr Schwarz bemerkte, er habe offenbar Glück gehabt. Dabei fiel ihm wieder ein, dass er sich noch immer nicht erinnern konnte, wie es geschehen war.

„Bei Gott“, sagte der Arzt. „Sie hatten mehr als Glück. Sie müssten tot sein oder zumindest schwer verletzt.“

Herr Schwarz dachte darüber nach.

„Ich wurde gebeten, Ihre Vorgesetzten umgehend über das Ergebnis dieser Untersuchung zu informieren“, sagte der Arzt. „Sie werden ebenfalls sehr erfreut sein. Ich habe verstanden, dass Sie keine Familie haben, die wir benachrichtigen müssten; ist das richtig?“

Herr Schwarz dachte nach und sagte dann wahrheitsgemäß, dass er sich in dem Punkt nicht ganz sicher wäre. Er spürte, wie sein Herz vor Aufregung klopfte und das Blut ihm ins Gesicht schoss, als er das sagte.

„Ich verstehe“, sagte der Arzt. „Der Schock oder die Gewalt des Bombeneinschlags beeinträchtigen Ihr Erinnerungsvermögen. Das wird sich vermutlich bald geben.“ Er schwieg einen Moment, nickte und schien aus irgendeinem Grund unangenehm berührt zu sein. Um das zu verbergen, sah er - wie Herr Schwarz wohl bemerkte - auf seine Armbanduhr und studierte die Anzeige so sorgfältig, als ob sie besonders schwer zu verstehen wäre. „Nun denn!“ sagte er schließlich und klatschte, als er aufstand, in die Hände. „Ich werde Ihnen jetzt gleich etwas zu essen bringen lassen.“

Nach dem Essen schlief Herr Schwarz satt und zufrieden ein. Als er nach einiger Zeit frisch und ausgeruht erwachte, saß ein schwarzgekleideter Herr auf einem Stuhl neben seinem Bett. Herr Schwarz erkannte sofort, dass es sich um einen Abgesandten der Landeskirche handelte; ein Herr Kirchenrat oder etwas in der Art, und jemand, der noch mehr zu werden gedachte. Er fand, dass das Schwarz seiner Kleidung einen interessanten Kontrast zu all dem ihn umgebenden Weiß darstellte. Er bemerkte, dass die Fenster zugezogen waren. Von der Lampe auf seinem Nachtisch kam ein schwaches Licht. Es musste wohl Abend sein oder bereits Nacht.

„Lieber Bruder Schwarz!“ sagte der Herr, als er merkte, dass Herr Schwarz wach war. Er beugte sich vor, eine Geste, die Herr Schwarz als aufdringlich empfand. „Sie glauben ja nicht, wie froh wir sind, dass Sie das alles so gut überstanden haben. Wir kennen uns noch nicht persönlich, ich bin Kirchenrat Botsch, im Auftrag des Landeskirchenamtes. Es geht Ihnen doch gut? Ja? Großartig! Einfach großartig! Ich bin ja so froh!“

Herr Schwarz hatte noch nichts gesagt und schwieg auch weiterhin.

„Lieber Bruder Schwarz!“ begann der Kirchenrat erneut. „Der Arzt sagt, dass er Sie noch ein paar wenige Tage zur Beobachtung hier behalten möchte. Danach haben wir für Sie schon einen Platz im Sanatorium, nicht weit von hier.“ Er zeigte vage in irgendeine Richtung, dann in eine andere. „Dort sollen Sie erst einmal wieder zu Kräften kommen, bevor wir über Ihre weitere Verwendung entscheiden.“

Herr Schwarz fand, das klänge vernünftig, also nickte er.

Der Kirchenrat überreichte ihm eine Karte mit seinem Titel und Namen sowie einer Adresse in der Stadt und einer Telefonnummer. „Wenn etwas wäre, können Sie mich unter dieser Adresse und Telefonnummer erreichen; wenn ich nichts höre, komme ich Anfang Mai wieder zu Ihnen! Können wir das so machen?“

Herr Schwarz fand, dass sie das so machen könnten und nickte erneut.

Kirchenrat Botsch erhob sich und sagte, indem er seine Uhr zog, er wolle ihn nun nicht länger behelligen, habe es außerdem eilig; er wünschte ihm alles Gute, erklärte ihm erneut, wie großartig alles wäre und wie froh er selbst, und eilte dann davon, als ob der Teufel ihm auf den Fersen wäre.

Herr Schwarz wusste jetzt sicher, dass etwas nicht stimmte, konnte sich aber nicht denken, was es war. Er lag noch lange wach und lauschte den Schlafgeräuschen der anderen Patienten. Das Nachtlicht fiel auf einen Kalender an der Wand: Es war Sonntag, der 11. März 1945.

Kapitel 2

Es war ein schöner Frühlingstag; viele Patienten saßen auf dem breiten, umlaufenden Balkon und ließen sich von der noch niedrigen Nachmittagssonne bescheinen. Vögel sangen, Bienen summten. Ein leichter Luftzug trug den Duft von Blüten und feuchtem Gras von den nahen Wiesen herauf. Herr Schwarz saß mit geschlossenen Augen etwas abseits vom Gebäude unter einem Baum und lauschte konzentriert. Es war eine Art meditativer Übung, die er täglich abhielt, manchmal stundenlang. Wenn er lange genug so dasaß und lauschte, vergaß er am Ende sich selbst und seine vielen Fragen. In einer solchen Selbstvergessenheit saß er auch jetzt im Schatten seines Baumes und war buchstäblich eins mit sich selbst und der Welt. Da öffnete sich die Terrassentür und Herr Schwarz wusste sofort, dass es jetzt um seine Ruhe geschehen sein würde.

Alles und jeder im Sanatorium hatte seine festen Zeiten und Orte, und keiner von denen, die für gewöhnlich hier waren und hierher gehörten, würde um diese Zeit des Tages die Terrassentür öffnen. Aus diesem Grund und weil es Anfang Mai war, war Herr Schwarz, noch ehe er die Augen öffnete, überzeugt, dass es Kirchenrat