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Mallorca sehen ... und sterben Nach seiner mörderischen Alpenüberquerung ist Theophil Kornmaier wirklich bedient. Da will man ein Mal seine Grenzen kennenlernen und dann wird beinahe die ganze Wandergruppe abgemurkst. Zum Glück hat er jetzt Urlaub. Mallorca, Sonne, einsame Finca – traumhaft. Wenn nur diese anhängliche Angelika aus der Nachbarschaft nicht wäre. Und – nicht zu vergessen – die Leiche, über die er letzte Nacht betrunken gestolpert ist. Aber das war doch sicher ein Traum, ganz bestimmt … Über unfreiwillige Mordermittlungen, die schattigsten Schattenseiten des Online-Datings und die Fallstricke der Liebe: Theophil Kornmaiers zweiter Fall. - Schönstes Setting: Mallorca – mörderischer Urlaub inklusive - - Der zweite Fall für den verschrobenen Theophil Kornmaier - Der schrägste und unfreiwilligste Ermittler, den die Welt je gesehen hat Alle Bände der Reihe ›Theopil Kornmaier ermittelt‹: Band 1: Von oben fällt man tiefer Band 2: Das Böse unter Palmen
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Seitenzahl: 291
Theophil Kornmaier ist genervt. Nach der grauenhaften Alpenüberquerung, die er fast mit dem Leben bezahlen musste, will er nur eins: seine Ruhe. Auf Mallorca in einer abgeschiedenen Finca müsste das doch gehen. Aber Theophil hat leider weder mit seiner anhänglichen Bekannten Angelika gerechnet noch mit der ganzen Aufregung, die plötzlich über ihn hereinbricht. Denn ein skrupelloser Killer scheint auf der sonnig-beschaulichen Trauminsel sein Unwesen zu treiben …
Von Anne Bandel ist bei dtv außerdem erschienen: Von oben fällt man tiefer
ANNE BANDEL
Das Böse unter Palmen
EIN MALLORCA-KRIMI
Unheil droht.
Kannst du nicht wissen. Passiert ja auch nicht so oft.
Deine Beinchen stemmen sich in den Sand. Beharrlich. Du willst nicht wegrutschen, willst weiter. Dorthin, wo du überleben kannst.
Also stemmst du dich, ziehst dich hoch, arbeitest dich voran, gegen diese immerwährende Zumutung, die du aber so gar nicht benennen kannst, dafür fehlt dir dann doch der Verstand, der ist, mit Verlaub, mickrig. Aber deine Instinkte: tadellos. Und von dem Unheil von oben, davon weißt du ja nichts, ist auch besser so.
Und so steigst du weiter, befühlst den Weg, tastest dich voran, mit dem Bauch schabst du über scharfe Erdkanten. Sand rieselt. Ganz schwarz bist du, jeder, der es sehen wollen würde, könnte es sehen, bei dem Mondlicht heute. Strahlt runter wie Flutlicht, das auf eine Eisbahn knallt.
Bist ja bald da, keiner stört dich, keiner hält dich auf, kann nicht mehr weit sein.
Achtung, ach, ist ja sinnlos, du hast nichts bemerkt, dein Gemüt möchte ich mal haben, für eine Stunde.
Ein paar Schrittchen weiter zittert ein anderer im Todeskampf, zertreten von irgendwas.
Und dann bist du da, endlich.
Warm ist die Leiche nicht mehr, aber von angenehmer Frische, lass es dir schmecken, Totengräberchen.
Das Reh auf der Lichtung. Zum Abschuss bereit.
Still war es, dunkel war es. Nur das schwache Leuchten eines Bildschirms gab dem Raum Konturen. Vielleicht könnte man mehr erkennen, wenn der Mann aufstehen würde. Könnte das zerwühlte Bett sehen, das mit der Bayern-München-Bettwäsche, die vier Coladosen daneben, das Plakat von Madonna, die Hanteln und Socken auf dem Laminatboden.
Aber er stand nicht auf, er war auf der Jagd, seine Silhouette verdeckte die Lichtquelle seines Computers, die der Abglanz des Zentrums seiner Welt war, so lange, bis es wieder so weit war. Bis er wieder hinauskonnte, hinausmusste.
Im Dachgeschoss eines Vorstadthauses saß er, irgendwo zwischen Hessen und Franken, in den Zimmerecken lagerte Dunkelheit und für einen Moment hob er den Kopf. Ein Geräusch hatte ihn aufmerken lassen. Er war wachsam, war es immer gewesen, das hatte sich bewährt, sonst würde er hier nicht mehr sitzen und Unfug treiben können. Seine Mutter würde das so bezeichnen, wenn sie wüsste, was er hier machte. Sie würde ihm eine runterhauen und dann in die Arme schließen. Ihr guter Junge.
Er lauschte. Es hatte begonnen zu regnen, Tropfen fielen auf das Dachfenster, wurden mehr, ein Rauschen setzte ein.
Der Mann richtete sich kurz auf, seufzte, sank dann in sich zusammen und klickte auf sein Profil: DeinFels.
Hallöchen, du schöne, wie geht es dir?
Es war 23:26 Uhr, als dieser Satz auf ihrem Computer auftauchte.
Sie saß im Blaulicht des Bildschirms und griff routiniert nach den Gummibärchen. Ein kleines Gefühl von Aufregung tauchte auf. Jemand schrieb ihr. Endlich passierte etwas, da war einer, saß irgendwo, wollte sie kennenlernen.
Seit vier Tagen war sie online, unzählige likes hatte sie erhalten, aber keiner hatte ihr geschrieben.
»Nicht selber schreiben!« Das hatte Nicole gesagt, da hielt sie sich dran. All die Profile mit den likes hatte sie sich angeschaut.
Männer auf Motorrädern, Männer vor Wohnzimmerschränken, Männer mit Bauch in engen Rennanzügen auf Fahrrädern. Männer vor einer Sehenswürdigkeit, Männer mit einem Bier in der Hand, dem Betrachter zuprostend, Männer am Steuer eines Segelschiffes. Männer mit Sonnenbrillen im Gesicht, Männer mit Baseballkappen, Männer, auf deren Foto eine Dame abgeschnitten worden war, nur ein paar blonde Haare waren noch zu erahnen, manchmal lag da auch noch eine Frauenhand auf der Schulter. Männer vor ihrem Badezimmerspiegel, ein Selfie machend, Männer in gefliesten Wohnungsfluren, Männer neben Grünpflanzen kniend (warum?). Männer vor Springbrunnen, Männer in einem Weihnachtsmannkostüm, Männer, die durch ein Astloch guckten, Männer ohne Ende.
Die Betrachtung der Fotos hatte sie unerklärlicherweise traurig gestimmt. So viel Einsamkeit, die ihr aus dieser anonymen Welt entgegenströmte wie eine zweifelhafte Chemikalie, ungesund. Und: So viele Männer, die ihr nicht gefielen.
Nun hatte ihr also wirklich einer geschrieben. Das Foto: sympathisch, die Haare verwegen in der Stirn, im Hintergrund ein paar Flugzeuge, vielleicht hatte er sogar Geld.
Alter: passend, nur zwei Jahre älter als sie. Sonst suchten die 40-Jährigen ja bis maximal dreißig, aber der hier …
Hallöchen, na ja, vielleicht war das so auf diesen Plattformen, noch hatte sie nicht viel Erfahrung.
Hallöchen, du schöne.
Kein Foto von ihr drin und doch hielt er sie für schön. Das sprach doch für ihn, wirklich, das tat es. Er wollte einen guten Charakter und den hatte sie, das hatte er bestimmt beim Lesen ihres Profils herausgefunden.
Hallöchen, du schöne. Hallo hätte ihr besser gefallen, aber vielleicht sprach man jetzt so und sie hatte es verpasst.
Katrin beugte sich über ihren PC, studierte das Profil: 1,84, athletisch, Geschäftsführer. Nein, der war eine Nummer zu groß für sie. Andererseits, es gab doch diese Fälle: sehr attraktive Männer mit einer unscheinbaren, übergewichtigen Frau, die gab es doch, wenn sie sich nicht gerade doll irrte, das konnte doch sein.
Ihm wäre es vielleicht egal, dass sie nur bei einer kleinen Firma im Büro saß und der Sekretärin zuarbeitete. Ein stilles, zurückgezogenes Leben führte.
Als Fremde war sie in das Städtchen gekommen und fremd war sie geblieben. Eigentlich kannte sie nur die Leute aus dem Kirchenchor. Ein wundervoller Chor, und singen, das konnte sie. Sopran.
Sachte klickte Katrin in das offene Chat-Fenster, zögerte, tippte dann: »Hallöchen«.
Zack. Die Antwort war so schnell da, dass sie einen kleinen Schreck bekam.
Das ist schön, dass du antwortest, meine schöne. wie geht es dir?
Er wollte immer noch wissen, wie es ihr ging. Ein scheues Lächeln wanderte über Katrins Gesicht.
Es geht ganz gut und dir? Was schrieb man denn da, sie hatte keine Ahnung.
Ganz gut klingt aber nicht so richtig gut. was fehlt dir denn?
Diesen Satz, den hatte ihr Chat-Partner aus einer Aufreißerfibel. Kapitel drei: »10 Sprüche, bei denen Frauen weich werden«. Und hier der vierte Spruch: »Was fehlt dir denn?« Begleithandlung: Tief in die Augen gucken.
Ja, was fehlte ihr denn, das konnte sie doch jetzt nicht einfach so schreiben. Seit acht Jahren war sie Single und davor nichts, woran sie sich erinnern wollte.
Ihre Finger schwebten über der Tastatur.
Authentisch sein, offen, ganz man selbst.
»Ich suche nach der Liebe, der richtigen.« Das war bestimmt voreilig, aber alles war ja ganz anonym, ganz im Verborgenen. Ihre Finger bebten beim Tippen, nervös war sie, jetzt grub sich ihre Rechte in das Glas mit den Gummibärchen, ihr weicher Mund öffnete sich und nahm die süße Fracht auf, mechanisch begann sie zu kauen.
Die kanns du bei mir findn, meine schöne.
Hingeschludert, er hatte es wohl eilig. Oder: Er konnte es nicht besser?
Katrin richtete sich wieder auf, ihre Füße mit den Hummelhausschuhen zog sie unter den Stuhl, die Hummelfühler wippten sachte.
»Aber du kennst mich doch noch gar nicht.«
Das können wir leicht ändern. hast du kinder?
Komische Frage, einen Moment stutzte Katrin. Konnte man nicht erst mal über so Allgemeines reden? Also Reiseziele und so?
»Nein. Verreist du gerne?«
Mit dir bis ans ende der welt.
Katrin musste aufstehen.
War das Schicksal? Hatte sie ihn gefunden? So schnell?
Bist du noch da?
Ja, Katrin war noch da, fühlte sie aufsteigen, die, die sie sonst niederdrückte, mit Gummibärchen zum Schweigen brachte, die ganze Wucht ihrer Jungmädchenträume. Ein Mann mit Geld und eigenem Flugzeug, mit dem sie durch die Welt reiste und alles gezeigt bekam, was sie bisher nicht gesehen hatte. Vor ihrem inneren Auge lag ihr die Landschaft Cornwalls zu Füßen, Pilcher-Land.
Ja, ich bin noch da.
Der Mann im Dachgeschoss des kleinen Vororthauses lächelte. Er las diese Worte und konnte nicht anders.
Er rückte noch ein bisschen näher an den Bildschirm heran, tippte mit dem Zeigefinger auf ihr Profil, strich zart über den Profilnamen Sonnenschein38 und murmelte: »Nicht mehr lange, meine Süße, nicht mehr lange.«
Kornmaier war mit den Gedanken woanders.
Immer dann, wenn er sich langweilte, also z. B. unter Leuten, da langweilte er sich schnell mal, immer dann war er mit den Gedanken woanders. Und so dachte er gerade an die Ratte, die musste aus seinem Haus raus. Hatte auf dem Esstisch gesessen und Obst geklaut und nur verschlagen geguckt, als er auftauchte. Wirklich mal. Wo war die Katze?
Er hatte einen breiten Streifen Mehl vor die Terrassentüren gestäubt zur Spurenkontrolle. Auf kleine Rattenspuren hatte er gehofft, die aus dem Haus herausführen würden, aber: nichts …
»Das Bild hat ein herrliches Blau, was meinen Sie?«
Eine Frau war neben Theophil Kornmaier aufgetaucht, hatte ihn aus seinen Gedanken gerissen, wollte mit ihm über das Bild reden, vor dem er stand. Oder schlimmer noch: wollte ihn kennenlernen. Das passierte ihm ja öfter mal, dass er angesprochen wurde, es musste einen Grund geben, irgendeinen, aber wollte er den wissen?
Nicht wirklich. Missgünstige hätten es ihm als Arroganz auslegen können. Doch tatsächlich interessierte es ihn einfach nicht.
Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite und deutete mit seinem Weinglas auf das Bild:
»Diese Transzendenz des Absoluten erinnert mich an einen Satz Hegels: Nur das Seiende ist.« Dann schielte er ein bisschen nach rechts. Mal gucken, was kam.
Da stand so eine. Eine, mit der er auf keinen Fall reden wollte. Eine, die auf Vernissagen ging, um Männer in ihr Leben zu zerren. Eine, die sich langweilte, oder der das Geld ausgegangen war, oder beides. Eine der deutschen Auswanderinnen auf Mallorca.
Und immer hoffte er auf die Frau, die antworten würde: »Aber der Satz stammt doch von Heidegger.« Und er fürchtete sich davor. Was wusste er schon von Philosophie.
Er hatte die Trauben so hoch gehängt, dass er nie die Richtige finden würde und wenn dann doch die Heidegger-Kennerin auftauchen würde, wäre es auch wieder nicht recht. Und so suchte er mit sechsundvierzig Jahren immer noch nach diesem Phantom.
Was, zum Teufel, stimmte nicht mit ihm?
Er schaute auf die langen Fingernägel der Frau neben ihm, die ihr leeres Weinglas umkrallte, als wollte sie es gleich zermalmen, Glasstaub würde zurückbleiben, sonst nichts. Orange waren diese Krallen und mit türkisfarbenen Steinchen beklebt. Noch schwieg sie. Würde er jetzt kommen, der magische Satz? Wären ihm die Fingernägel dann egal?
»Oh, ich sehe dort hinten einen Freund, entschuldigen Sie mich bitte.« Weg war sie.
Nur Angelikas wegen stand er hier herum, in Pollença, in ihrer Galerie zwischen dem Plaça Mayor und dem Kalvarienberg. War einfach zu höflich gewesen, um Nein zu sagen, eine unausrottbare Angewohnheit, ein genetischer Defekt, irgendwas in der Art. Gelegentlich bäumte er sich mit Erfolg auf. Trotz oder Dank seiner Therapie bei Frau Sollenhauer, das galt es zu würdigen. Weniger Höflichkeiten, mein lieber Theo, einfach mal ausprobieren.
Auf dem Pollençer Wochenmarkt hatten sie sich getroffen, nein, Angelika hatte ihn getroffen, hatte ihn erkannt, obwohl bald achtundzwanzig Jahre vergangen waren seit der gemeinsamen Schulzeit.
Und jetzt stand er in diesem sonst stillen Sträßchen, stand ein wenig abseits, trank kühlen Weißwein, den Angelika spendierte, besah sich die Vernissage-Besucher, und registrierte mal wieder, dass nur wenige sich die Bilder ansahen, man traf sich, um in Kontakt zu bleiben, das Setting war nicht so wichtig.
Je mehr Alkohol floss, desto öfter wurde ein Bild verkauft. Ach, Micha, das Rot passt so schön über unser neues Sofa. Das reichte, die Preise mussten exorbitant sein, Angelika lebte auf großem Fuß.
Die Abenddämmerung hatte sich über das Städtchen gesenkt, es war Anfang Oktober und noch immer strahlten die Steine die Wärme des Tages ab, der Wein und das Murmeln der Menschen stimmten Kornmaier milde, ließen ihn großzügig auf Männer in kurzen Hosen und Frauen mit langen Fingernägeln blicken und für einen Moment legte er den Kopf in den Nacken und bewunderte den Anblick des Vollmondes, der stetig und kugelrund über den Hausdächern aufstieg.
Friedvoll war es und Kornmaier wünschte sich, dass dieses Gefühl der Milde bleiben möge, eine Art von Versöhnung mit der Welt.
Angelika hatte sich neben ihn gestellt und blickte abwechselnd auf den Mann, den sie immer noch nicht durchschaute und auf die honigfarbene Himmelsscheibe.
»Es sind bestimmt deine Unterarme, Theo.«
»Wie?«
»Ach, nichts.« Auch sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt. »Und, hast du wieder deinen Hegel-Satz angebracht?«
»Heidegger, Angelika, Heidegger.«
»Weiß ich doch inzwischen, nett ist das nicht, sag ich dir mal.« Und wieder sah sie Kornmaier an, taxierte ihn, einen Mann in Leinenhose und einem sandfarbenen Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln, so, als müsste er nun ein wenig Holz hacken gehen und fragte sich, was seine Anziehung ausmachte.
»Ach, Angelika, sei friedlich. Schau, wie schön der Mond …«
»Jaja, schön. Ich geh jetzt mal ein Bild verkaufen.«
Hätte Kornmaier die Ohren eines Luchses gehabt, hätte er ihn gehört, den Todeskampf einer Frau, die für die große Liebe nach Mallorca geflogen war.
Nur zweihundert Meter entfernt schlug diese Frau um sich, verstand nichts und begriff doch, dass das hier existenziell war. Der Seidenschal um ihren Hals wurde enger und enger gezogen und ihr letzter Gedanke war: Mama, hilf mir.
Mama war ihr schon lange vorausgegangen, und während ihr Körper langsam kalt wurde, trank die große Liebe zwei Schnäpse.
Dann öffnete der tödliche Irrtum ihren Koffer.
Kramte ein wenig herum und hielt schließlich ein paar Hausschuhe in die Luft, die wie dicke Hummeln aussahen, darüber würde sich vielleicht die Mutter freuen.
Der Rest war diesmal ein Reinfall. Abhaken, abreisen, und zwar umgehend.
Von alledem ahnte Kornmaier nichts, Grillen zirpten das Lied des Südens, der Mond stieg höher, wurde heller und strahlender, flutete die Nacht mit seinem Licht, eine Katze strich an seinen Beinen vorbei und verschwand in einem Hauseingang.
Kornmaiers Welt lag in friedvollem Glanz.
Noch.
Der Asphalt unter Kornmaiers Füßen war warm und angenehm.
Nicht ganz freiwillig durfte er diese Erfahrung machen, er hatte einfach vergessen, wo er geparkt hatte, möglicherweise hatte das mit Angelikas Wein zu tun. Ganz vielleicht. Schwankte er? Höchstens ein bisschen.
Das würde eine lange Wanderung zu seiner Finca geben, aber das kümmerte ihn nicht. Drei Kilometer. Gerade erst hatte er die Alpen überquert, da würde das jetzt ein Witz sein.
Wo die wohl abgeblieben waren, die Schuhe?
Hin und wieder musste er die Arme heben, dann, wenn es über spitze Steinchen ging, so, als könnte er sich auf diese Weise leichter machen.
Der Mond stand jetzt weiter im Süden und malte dicke schwarze Schatten auf das Sträßchen. Ab und an wurde die Luft süß und schwer vom Duft eines Affenbrotbaums, Grillen zirpten immer noch unermüdlich und mal nah, mal fern klingelte eines der Glöckchen, die hier die Schafe um den Hals trugen.
Ansonsten herrschte Stille.
Es zog sich, vielleicht auch, weil Kornmaier ein wenig in Schlangenlinien lief und weil er öfter mal stehen bleiben musste, um die Affenbrotbaumluft zu würdigen oder das Flutlicht zu bewundern, dass da großzügig vom Himmel strahlte und die Schafe weiß, wie kleine Geister, leuchten ließ.
Und dann war er am richtigen Abzweig vorbeigewankt, blieb stehen und mit einem mann, mann, mann drehte er um, mäanderte zurück, bog nach links ab, rein in den Cami de Can Musquaroles, fühlte eine Müdigkeit in sich, der er folgen wollte, eigentlich gleich, war doch schön hier, eine wunderherrliche Nacht und da lagen doch ein paar Säcke für die Olivenernte, ganz und gar gemütlich. Und so legte sich Kornmaier ganz zufrieden nach zwei Stunden Fußweg auf ein Feld in den Schatten eines Baumes, wurde selbst Teil des Schattens und fiel in einen merkwürdigen Schlaf mit merkwürdigen Träumen.
Er träumte vom zischenden Geräusch eines Spatens, der in die Erde gestoßen wurde, immer wieder, und von einem sehr großen Rollmops, der in dieser Erde versenkt wurde. Und er träumte, dass ein Leuchtturm Zeichen sendete, wobei es sich viel später herausstellen würde, dass es wohl nur das Metall des Spatens im Mondlicht gewesen war, das Morsezeichen sendend, immer wieder aufleuchtete.
Und immer noch hatte Theophil Kornmaier keine Ahnung, dass es nun vorbei war mit den wohlig-ereignisarmen Ferien.
»Was hast du denn da wieder veranstaltet.« Das würde seine Mutter wohl sagen, wenn sie es wüsste.
DeinFels saß wieder auf dem heimatlichen Dachboden, das lächerlich wenige Geld hatte er in einem Loch hinter der Tapete versteckt.
Vor langer Zeit schon hatte er diese Tapete abgefriemelt, darunter den Putz weggekratzt, einen Ziegelstein entfernt, das alles war mühsam gewesen. Am Anfang hatte er dort kleine Ritterfiguren versteckt, später waren es Heftchen mit nackten Frauen gewesen und jetzt, jetzt war es Geld. Vor seiner Mutter war sonst nichts sicher.
»Vor deiner Mutter ist ja nichts sicher«, das hatte Kevin mal zu ihm gesagt, damals, als er schon keinen Besuch mehr bekommen durfte.
Er hatte beschlossen, dass er ein eigenes Haus brauchte. Ein schönes Haus mit einem hohen Zaun und einer großen Garage für ein großes Auto. Und das war teuer. Ganz einfach.
Seine Mutter durfte nichts davon erfahren. Weder von seiner Geldquelle, noch von dem, was der gute Junge auf Mallorca so veranstaltete. Und erst recht nicht, und das auf keinen Fall, dass er ausziehen wollte.
Das wäre dann eine … ihm fiel kein Wort dafür ein, Überraschung?
Kurz tauchte vor seinen Augen ein Bild auf, wie er seiner Mutter einen Seidenschal um den Hals legte, ein Geschenk für dich, schön, nich? und aus Versehen ein bisschen zu fest daran zog.
Vielleicht aus reiner Gewohnheit.
Vielleicht auch nicht.
Julia kämmte ihre Haare.
Lang, braun und am Ende mit einem kleinen Schwung nach innen. Stetig und langsam zog die Bürste ihre Bahn. Am Scheitel ansetzen, dann langsam runterziehen. Als Kind hatte sie Locken gehabt, das war nun der kümmerliche Rest. Als Kind hatte sie auch an den Weihnachtsmann geglaubt. Hatte keine Ahnung gehabt, wie sich die Welt noch so entwickeln würde.
Hier nur sitzen und die Haare kämmen, das reichte doch eigentlich.
Julia richtete sich auf. Irgendwann mal, da würde das reichen. Jetzt lag ja noch ein halbes Leben vor ihr.
Sein Bein wurde auf eine heiße Herdplatte gedrückt und er konnte nichts dagegen tun, war der Hitze ausgeliefert, wollte weg, er begann zwischen den Welten zu wandern, der des Traums und der des Wachseins. Versuchte sich zu orientieren.
Wo war er?
Für eine kleine Sekunde hatte Kornmaier das Gefühl, sein Gedächtnis verloren zu haben. Auf einem Sack lag er, vor seiner Nase rote Erde, und immer noch diese unangenehme Wärme am Bein. Vielleicht war er angeschossen worden, und während er hier untätig herumlag, floss in aller Seelenruhe und unwiederbringlich das Blut aus seinem Körper.
Langsam richtete er sich auf, langsam begann sein Verstand wieder zu arbeiten.
In was für ein Besäufnis war er denn da hineingeraten. Genau auf dem Feld vor seinem Haus hatte er die Nacht verbracht. Vorsichtig zog er sein Bein weg, schüttelte den Kopf, ließ das gleich wieder, der Schmerz.
Nanita lag da. Hatte es offenbar sehr angenehm gefunden, da an seinem Bein, je wärmer, je lieber.
»Katze, du hast einen Knall.« Er streichelte sie ein wenig, stand, Körper und Geist prüfend, auf und ging nackten Fußes und behutsamen Schrittes, wieder die Arme zur Seite haltend, zur Finca.
Nur fünfzig Meter weiter lag das alte Bauernhaus am Fuße eines rundbuckligen Berges. Döste dort, von Dattelpalmen behütet, in der Morgensonne.
Nie wieder Alkohol. Und noch während er das dachte, sagte eine zweite innere Stimme: Ja, Theo, quatsch du mal.
Und kurz musste er an seine erlesene Whiskysammlung in München denken.
Im Haus stand noch dick wie Erbsensuppe die stickige Wärme des Vortages.
Nanita war ihm gefolgt, strich um seine Beine. Er öffnete Türen und Fenster, holte dann eine Packung Luxus-Katzenfutter, betrachtete einen Moment die schnurrende Katze, deren Kopf beim Fressen immer ein bisschen nach links kippte, nahm eine Dusche, zog die zweite seiner drei hellen Leinenhosen an, spaltete eine Wassermelone, lauschte auf das krachende Geräusch, das auf den perfekten Reifezustand schließen ließ und setzte sich, angeschlagen, in den Schatten vor die Haustür.
Die ganze Zeit und unendlich nervig geisterte da etwas in seinem Kopf herum, ließ sich nicht abstellen, zog ihn runter: der Traum.
Der riesige Rollmops, der in der Erde verschwand, aber, er war sich sicher, nicht von allein. Eine Gestalt war da, routiniert hatte die vor sich hin geschaufelt und dann waren da die Morsezeichen des Leuchtturms, oder nein, dieser Schaufel. SOS, vielleicht war es ein SOS-Signal und ihm wurde klar, er musste nachsehen, sonst würden diese absurden Gedanken ihm den ganzen Tag versauen.
Die Katze hatte sich wieder zu ihm gesellt, streckte sich neben ihm auf den Terrakottafliesen aus, war zufrieden und schlief ein.
Beneidenswert.
Von diesem Zustand war er gerade meilenweit entfernt.
Er blickte auf die Steineiche vor dem Haus, sah den gepflasterten Weg, sandsteinfarben, die alten Steinmauern, den Swimmingpool dahinter mit dem unvermeidlich poolblauen Wasser.
Es musste ein Traum gewesen sein, mehr nicht.
Und doch, es würde ihm keine Ruhe lassen. Er würde das Feld inspizieren müssen.
Kornmaier erhob sich. Wo waren eigentlich seine Schuhe? Wieder war der Kopf für einen Moment komplett leer.
Und wieder gab es ein mann, mann, mann. Kornmaier ging ins Haus und zog das zweite Paar seiner drei hellen Leinenschuhe an.
In diesen Sommerklamotten sah man in null Komma nichts aus, wie aus dem Müll gezogen. Ein weiterer Seufzer.
Panamahut aufsetzen und ab aufs Feld und nach etwas suchen, das es hoffentlich nicht gab.
Er war gekommen. Nein, er war immer noch da.
Oder eigentlich, wenn sie es genau nahm, war er wieder da.
Angelikas Zeigefinger fuhr mit kühler Sachlichkeit über eine Nasolabialfalte. Jetzt war’s genug, jetzt würde es eine Unterspritzung geben, Theophil Kornmaier war aufgetaucht.
Routiniert griff sie nach ihren Ketten, eine in Rosa, eine Türkisfarbene, eine, sie zögerte, ja, eine Rote.
Schon damals war er so merkwürdig gewesen, so spröde, immer gegen den Strom.
Angelika unterbrach ihren Fluss der Erinnerung, konnte kaum auseinanderhalten, ob das wohl tatsächlich so gewesen war oder ob alles nur eine Nostalgiewelle war, von der sie trostvoll getragen wurde. Wenn sie lächelte, war das gar nicht so schlimm mit den Falten, dann gehörten die ja dahin.
Aber da machte sie sich ein bisschen was vor. Gleich mal die Frau Sabowsky anrufen und fragen, wo die das immer machen ließ. Sie würde jetzt auch mal was machen lassen.
Kornmaier, ihr alter Jugendschwarm, war aufgetaucht, Kornmaier, das Rätsel.
Das Reh in spe hatte ein Profilbild eingestellt. Blonde Haare, dunkler Ansatz, irgendwie struppig. Sonnenbrille, an den Busen gepresst: ein kleiner Hund mit Spange im Haar.
DeinFels hieß jetzt MillionDollar.
Routiniert suchte er das Bild nach Hinweisen ab und wurde fündig. Ein richtig großer Klunker strahlte an ihrem Ringfinger, vielleicht unecht, vielleicht auch nicht. 42, kinderlos, 1,68. Hildesheim. Beruf: Immobilienmaklerin.
Wenn es stimmte. Er hatte schon mitgekriegt, dass die Weiber logen, dass es krachte. Jugendbilder, dann doch irgendwelche Blagen, doch nicht geschieden, ein Lügenpack, eine wie die andere.
»Stefan? Schatz?«, seine Mutter trat ins Zimmer, hatte sich wie immer lautlos angeschlichen, die blöde Hexe.
Aber er war im Vorteil. Sein breiter Rücken verdeckte zuverlässig den Bildschirm, einfach nur zum Computerspiel wechseln.
»Hilf der Mutti mal, ja?«
»Gleich.«
»Sofort. Sofort hilfst du der Mutti.« Manchmal wechselte ihr Tonfall so schnell wie in einem Horrorfilm. Das dachte er und wusste, es half ja nichts.
Aber lange würde das nicht mehr so gehen.
Das Telefon hatte geklingelt. Angelika.
Nein, er würde Nein sagen. Nicht noch eine Veranstaltung mit einem Haufen von Leuten, die über die lästerten, die das Pech hatten, gerade nicht dabei zu sein.
Während er den Hörer des altmodischen Apparats abhob, betrachtete er seine Schuhe. Eingesaut, was sonst. Roter Staub hatte seinen Schuhen eine rosafarbene Anmutung verliehen.
Es war ein Reinfall gewesen, nein, es war ja besser so. Er hatte nichts gefunden, die rote Erde des Feldes hatte unberührt dagelegen. Sein Traum war ein Albtraum gewesen, dem Suff geschuldet.
»Angelika, alles gut überstanden?« Ihm fiel seine Mehlfalle wieder ein, die Ratte war wahrscheinlich noch im Haus.
»Theo-Schatz«, Kornmaiers Gesicht zog sich zusammen, als habe er in eine Zitrone gebissen, »wärst du so lieb«, nein, er würde Nein sagen. »Du kennst dich doch aus.« Womit, womit kannte er sich aus? Damit, seine Kleidung jeden Tag einzusauen?
»Ja, womit kenn ich mich denn aus, Angelika?«
»Es ist ein Notfall.«
»Ein Notfall?« Kornmaier wanderte durch die Halle im Erdgeschoss von der aus eine gemauerte Treppe in den ersten Stock führte.
Er hielt den Apparat in der Linken, den Hörer in der rechten Hand, bloß nicht über die Strippe stürzen.
»Julia.«
»Julia?« Kornmaier hockte jetzt mal wieder vor seiner Mehllinie, zehn Zentimeter breit, in der er hoffte die winzigen Spuren von Rattenfüßen zu finden. Aus dem Haus raus. Aber immer noch nichts.
»Sie will dich treffen.«
»Wer zum Henker ist Julia?« Kornmaier war wieder aufgestanden, beguckte sich den kleinen Gecko, der wie von Zauberhand an der Wand klebte und ihn anschielte.
»Du hast gestern mit ihr, also, getrunken. Bitte sag ihr, dass du kein Interesse hast, mir glaubt sie nicht. Sag deinen Hegel-Satz und gut is.«
»Angelika, Heidegger. Und: wirklich nicht.«
Hatte er das mit dem nötigen Nachdruck gesagt?
Nachher kannte Julia, wer immer das auch war, doch den Heidegger?
»Danke, du bist ein Schatz. Ich hab ihr schon deine Telefonnummer …«
Kornmaier legte auf. Manche Leute kapierten es sonst nicht.
Aber der Satz hallte nach: Ich hab ihr schon deine Telefonnummer …
Ruhe, er wollte doch nur seine Ruhe haben, nun, er würde einfach das Telefon stummschalten.
Dr. Mabuse blickte gen Westen. Dahin, wo die Palmen im Wind raschelten, zwei Katzen auf den Steinmauern herumlagen und zwei winzige rosa Wolken am Abendhimmel standen.
Saß auf seiner Terrasse, trank ein wenig Rotwein und trommelte mit den Fingern auf dem Tisch herum.
Entspannen, ja er entspannte sich ganz großartig, ganz wundervoll, diese Luft, diese Wärme, herrlich. Das würde er nachher noch auf Facebook mitteilen.
Eine kleine Weile blickte er durch sein Smartphone auf die Idylle, um den besten Winkel, die beste Perspektive hinzukriegen, den besten Filter zu aktivieren, verlor sich in der zweidimensionalen Welt, um sich dann zu ermahnen. Digitales Detoxen, das war doch angesagt.
Er ließ das Handy sinken und da stieg sie ganz an die Oberfläche seines Seins, diese Unruhe, das Warten, irgendetwas sollte passieren, sollte ihn glücklich machen, aus seinem Leben reißen, aber er war weit davon entfernt, irgendwohin gerissen zu werden.
Wieder hob er das Smartphone, machte ein paar Fotos, Weinglas vor Sonnenuntergang, und stand dann mit einem Ruck auf.
Warum tauchten sie hier auf, diese Erinnerungen, ätzend. Dr. Mabuse, würde er das nie loswerden? Immer kam das hoch, wenn er mal Ruhe hatte. Stieg auf, einer Wasserleiche gleich, von ihrem Betonklotz befreit, schwebend, treibend, Grauen verbreitend.
Ja, er hatte sich durchs Studium gemogelt, aber du meine Güte, das war doch eher kreativ gewesen, was sollte das Theater.
»Mitschke, wollten Sie jetzt hier wirklich mit Superkleber einen Kontaktpunkt zum Nachbarzahn hinpfuschen? Was?«
Ja, das hatte er gewollt.
Aber auf seltsame Art hatte ihn seine Kreativität einsam gemacht und so dachte er nur: Das ist alles nicht gerecht.
Und das stand ihm zu, Gerechtigkeit. Längst schon.
Hallöchen, meine schöne, wie geht es dir?
Die Schnepfe brauchte ein wenig Zeit. Stefan wartete, wurde unruhig, das mochte er gar nicht. Warten. Wahrscheinlich bekam der dämliche Hund gerad ein neues Jäckchen angezogen.
Hi, mir geht es gut und Dir?
Wenn ich dich sehe geht es mir super.
Wo wohnst Du denn?
Auf Mallorca und was macht so eine schöne Frau wie du hier?
Ach, in deinem Profil steht München?
Ja, da bin ich manchmal auch, du könntest doch alle männer haben! (Aufreißerfibel Seite 48)
Und was machst du dann auf Mallorca?
Blöde Kuh.
Ich muss nicht mehr arbeiten, ich lebe hier.
Ach, Du bist Frührentner?
Wie war denn die drauf!
mir geht es sehr gut hier, ich würde gern eine Frau an meiner Seite haben, die ich verwöhnen kann. (Aufreißerfibel Seite 29)
Also mit Sex ist bei mir erst mal nicht. Frühestens nach drei Monaten, wenn man sich mag.
Er konnte sich mit dem Gedanken an einen Seidenschal etwas beruhigen. Kein Wunder, dass die keinen abkriegte.
das hast du falsch verstanden, meine schöne, ich möchte mein haus und mein geld mit einer frau teilen. allein ist das nicht so toll.
Das hier artete mal wieder in Arbeit aus. Er sah sich genötigt noch ein: Ich bin gern sehr großzügig hinzuzusetzen. (Aufreißerfibel Seite 33).
Geld hab ich selber.
Jetzt Vorsicht, jetzt langsam, jetzt keinen Fehler machen. Die war schwierig, die Alte, aber vielleicht hatte sie wirklich Schotter.
das ist toll. viele frauen sind nur auf mein geld aus. (Aufreißerfibel Seite 54)
warum hast du diesen komischen nick?
Komischer Nick? Für einen Moment fiel ihm nicht ein, welchen er gerade verwendete.
ach, nur so. Wieso hat so eine schöne frau wie du keinen mann? (Aufreißerfibel Seite 12)
du bist doch fake, schönes Leben noch.
Und zack, hatte die Kuh sein Profil gesperrt.
Stefan stand auf und brüllte.
Aus dem Erdgeschoss kam ein: »Schatz, nicht schreien.«
Zur Antwort brüllte er ein »Ja!« und ihm war danach, die ganze Bude zu zerlegen. Er riss sein Geheimfach im Schrank auf und nahm einen Seidenschal heraus, schlang ihn um seine Hände und erwürgte mit einem teuflischen Grinsen erst die Schlampe mit der Töle und dann seine Mutter.
Dass seine Hände dabei erst ganz weiß und dann blau wurden, erfüllte ihn mit Genugtuung.
Er war mit den roséfarbenen Schuhen nach Pollença gelaufen. Man konnte ja auch mal Prinzipien über Bord werfen. Suboptimal gekleidet unter Leute, war ja auch mal eine Herausforderung.
Die Uhrzeit war schlecht gewählt. 14 Uhr. Mittagshitze. Kaum Schatten. Heute brauchte er nur fünfundvierzig Minuten, die Stadt lag ausgestorben, alles saß in den Häusern. Siesta.
Sein Wagen stand in der prallen Sonne und er öffnete erst mal alle Türen und wartete. Vor der Fahrertür standen ordentlich nebeneinander seine Schuhe, die er gestern auf seinem nächtlichen Heimweg vermisst hatte. Und wieder ein mann, mann, mann und für einen Moment fasste er sich an den Kopf und aus irgendeinem Grund fiel ihm Columbo ein.
Dann kaufte er zwei Wassermelonen, Katzenfutter und Waschpulver, kurvte nach Hause, parkte in der Garage und beschloss, den Nachmittag am Pool zu verbringen. Ein bisschen im Wasser rumliegen, der gelegentlich anspringenden Pool-Pumpe lauschen und sonst nichts tun. Herrlich.
Und dann, dann geschah das, was sich irgendwie schon angekündigt hatte, was gewissermaßen in der flirrenden Luft der Insel gelegen und ihn dazu auserkoren hatte, ihm den Urlaub zu vermurksen.
Kornmaier lag auf dem Rücken im Wasser, bewegte ein bisschen die Füße, ein bisschen die Hände, blickte nach oben in die unendliche Durchsichtigkeit des blauen Himmels, der sich dehnte und dehnte, roch den Duft des Affenbrotbaumes, der mit einer sanften Brise an ihm vorbeigetragen wurde, sah die Steinfassade der Finca, an der Bougainvilleas und Wein emporrankten und dann, dann hörte er in all der friedvollen Stille ein Geräusch.
Jemand öffnete das Gartentor und schloss es wieder.
Eisen schepperte auf Eisen.
Vielleicht der Gärtner? Der Pooljunge? Aber: um die Uhrzeit?
Kornmaier fixierte das Haus, den kleinen Weg rechts davon, gleich müsste dort jemand auftauchen.
Mal nachgucken, also zur Leiter hin, den Widerstand des Wassers durchpflügen, zum Weg blicken, ein wenig alarmiert sein und dann:
»Hallo?« Eine Frau.
Doch nicht etwa … eine kleine Wutwelle kam und ebbte ab.
Ruhig Theo, jemand will nach dem Weg fragen. Wahrscheinlich nur das.
Er hatte ein Handtuch um seine Hüften geschlungen und tappte, eine nasse Spur hinterlassend, am Haus vorbei.
Da stand eine. Kam ihm bekannt vor. Vage.
»Hallo Theo, tut mir leid, dass ich dich hier so überfalle.«
Wer, zum Teufel, war das?
»Wir haben uns ja gestern kennengelernt und du hast erzählt, dass du Rechtsanwalt bist und mir fällt hier sonst keiner ein.«
Kornmaier guckte und wartete auf ein Licht, das ihm aufging. Lange braune Haare, nettes Gesicht, Sommerkleid und, kurzer Check, keine Gelnägel. Julia?
Sie hatte wohl Kornmaiers fragendes Gesicht bemerkt.
»Angelika hat mir deine Adresse …« Julia verstummte.
»Ah ja, Angelika.« Kornmaier stand immer noch etwas belämmert da. Dass er diese Julia dermaßen vergessen hatte? Hatte er gestern von Wein zu Wodka gewechselt?
»Setz dich doch«, er wies auf die Terrasse vorm Haus, »ich zieh mir mal was an.«
Sie blickte ihm nach. Angelika hatte erzählt, dass er mal geboxt hatte, sah man noch.
Attraktiv, anziehend, interessant, durchaus.
Drei Glöckchen an roten Wollfäden verrieten den Besucher.
Klingelten zart, als die Tür geöffnet wurde und der Mann die Galerie betrat.
In Windeseile scannte Angelika den Kunden in spe.
Knielange Shorts, gebügelt. Poloshirt, gebügelt. Seglerschuhe, ohne Socken. Fette Uhr, Basecap mit BOSS-Logo. Könnte was werden.
»Buenas tardes. Echa un vistazo a tu alrededor.« Angelika hoffte auf einen Engländer oder Deutschen. Spanisch war jetzt nicht so ihrs.
»Duh juh spieck englisch?«
Ein Deutscher, Gott sei Dank.
»Ach, Sie kommen aus Deutschland, woher denn?«
Missgelaunt guckte der mit einem Mal so, als habe sie etwas Ungehöriges gesagt.
»Ach, auch Deutsche? Aus Lübeck bin ich.« Was nicht stimmte, das nur am Rande.
»Ach, Lübeck! Herrlich! Die Weihnachtsmärkte, die Altstadt, die Schiffergesellschaft, Sie sind ein gesegneter Mensch.«
Immer dem Kunden schmeicheln.
»Mmh. Und was gibt’s hier so für Kunst?« Der Fremde hatte sich in Bewegung gesetzt. Kein Small Talk also, nicht empfänglich für Schmeichelei. Auch gut.
»Sehen Sie sich ganz in Ruhe um. Wenn Sie Fragen haben …«
»… meld ich mich.«
Dr. Mitschke streunte durch die Galerie, einige Bilder waren schon mit einem roten Punkt versehen, das Zeug verkaufte sich also. Er wanderte weiter, blieb hier stehen, beugte sich dort zu einer kleinen Info herab: »Frühling« 2017, Öl und Sand, 2.50 x 1,40, 2.300 Euro und schnaubte durch die Nase.
»Frühling«… stand immer noch gebückt, drehte sich zu Angelika, grinste freudlos: »Dann gibt’s auch eins mit Herbst?«
Unangenehm war der, für einen Moment tauchte das Wort Schutzgeld in ihrem Universum auf und sie dachte an ihre Pistole im Hinterzimmer.
Der talentlose Zahnarzt Dr. Mitschke hatte sich wieder aufgerichtet.
»2.300 Euro, ich beabsichtige eine Wertanlage zu erwerben, High-class-Kunst eben.« Wieder dieses Lächeln, das die Augen nicht erreichte.
»High-class-Kunst.« Angelikas Augenbrauen suchten Kontakt zu ihrem Haaransatz. Hatte sie jemals etwas Blöderes … nein, sie konnte sich nicht erinnern. Der hatte doch keine Ahnung, der war doch nicht ganz dicht.
»Ich verkaufe hier eher Kunst für Menschen mit Herz, tut mir leid.«
Angelika sagte das mit so einer Überzeugung, dass sie sich selbst für einen Moment glaubte, und das war irritierend angenehm.
Hallöchen, meine schöne, wie geht es dir?
Wo blieb das Reh auf der Lichtung, musste doch mal wieder eines dabei sein.
Stefan kicherte. »Bambi-Baby, wo steckst Du denn?«
liebeHexe28: 25, 1.72, blond, keine Kinder, geschieden, Kauffrau.
Sein Nick war immer noch MillionDollar.
Frau mit Sonnenbrille und rotem Kleid in einem Cabrio, hatte er mit seinem geübten Blick gleich erkannt, man sah den Anschnitt einer Kopfstütze. Konnte natürlich auch einem Freund gehören oder gemietet sein.
Seine Finger trommelten auf den Tisch. Warum antwortete die Kuh nicht.
Hallöchen, schöner Mann, willst du mich kennenlernen?
Aber klar will ich das, schöne frau.